Urteil des BVerwG vom 26.05.2003

BVerwG (interesse, überwiegendes öffentliches interesse, beschwerde, restitution, bundesverwaltungsgericht, rückgabe, aufwand, prüfung, grundeigentümer, gkg)

Rechtsquellen:
VermG § 5 Abs. 1 Buchst. a
ErbbauVO § 12
Stichworte:
Rückübertragungsanspruch; Ausschlussgrund; öffentliches Inte-
resse an Aufrechterhaltung einer Nutzungsänderung; Wegfall des
Ausschlussgrundes durch Bestellung eines Erbbaurechts.
Leitsatz:
Der Rückgabeausschluss von § 5 Abs. 1 Buchst. a VermG entfällt
nicht dadurch, dass das mit erheblichem Aufwand errichtete Bau-
werk, dessen Nutzung im öffentlichen Interesse liegt, nachträg-
lich wesentlicher Bestandteil eines Erbbaurechts geworden ist.
Beschluss des 8. Senats vom 26. Mai 2003 - BVerwG 8 B 61.03
I. VG Potsdam vom 19.12.2002 - Az.: VG 1 K 2901/01 -
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 8 B 61.03
VG 1 K 2901/01
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. Mai 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. M ü l l e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
K r a u ß und P o s t i e r
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzu-
lassung der Revision in dem Urteil des Ver-
waltungsgerichts Potsdam vom 19. Dezember 2002
wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerde-
verfahrens einschließlich der außergerichtli-
chen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das
Beschwerdeverfahren auf 500 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die allein auf § 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO gestützte Grundsatzrüge rechtfertigt eine Zulassung
der Revision nicht.
Die Beschwerde wirft im Hinblick auf den Restitutionsausschluss
von § 5 Abs. 1 Buchst. a VermG eine Reihe von Fragen auf, die
sich aus den tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Ur-
teil ergeben, dass die nach der Enteignung des streitbefangenen
Grundstücks mit erheblichem baulichen Aufwand errichtete Poli-
klinik in ihrer heutigen Nutzung als "Ärztehaus" wegen eines im
Jahre 1993 bestellten Erbbaurechts nicht mehr zum Grundeigentum
gehört. Hiervon ausgehend hält die Beschwerde folgendes für
klärungsbedürftig:
- Ist bei der Prüfung des § 5 Abs. 1 Buchst. a VermG al-
lein darauf abzustellen, wie der Verfügungsberechtigte den
konkreten in Rede stehenden restitutionsbehafteten Vermö-
genswert nutzt, oder kann auch die Nutzung durch Dritte
den Ausschlusstatbestand erfüllen? Kommt es insoweit da-
rauf an, ob der Fortbestand der Nutzung durch den Dritten
bei einem Wechsel in der Person des Eigentümers gefährdet
ist oder nicht? Ist eine Restitution zumindest dann mög-
lich, wenn die unveränderte Fortsetzung der von § 5 Abs. 1
Buchst. a VermG geschützten Nutzung dinglich gesichert
ist?
- Kann, wenn an einem restitutionsbelasteten Grundstück
unanfechtbar ein Erbbaurecht bestellt wurde, die Restitu-
tion allein des (mit einem Erbbaurecht belasteten) Grund
und Bodens nach § 5 Abs. 1 Buchst. a VermG ausgeschlossen
sein?
- Besteht an der rein fiskalischen Nutzung des Grundbesit-
zes einer öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaft
(hier: Vereinnahmung von Erbpachtzinsen) ein öffentliches
Interesse im Sinne von § 5 Abs. 1 Buchst. a VermG?
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- Ist, wenn die Restitution eines mit einem Erbbaurecht
belasteten Grundstückes in Rede steht, bei der Prüfung des
§ 5 Abs. 1 Buchst. a VermG auf das öffentliche Interesse
an der Nutzung des Grundstücks durch den Grundeigentümer
abzustellen oder ist stattdessen (auch) das etwaige öf-
fentliche Interesse an der Nutzung des Gebäudes durch den
Erbbauberechtigten berücksichtigungsfähig?
Die Antwort auf diese Fragen ergibt sich aus der bisherigen
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und muss nicht
erst in einem Revisionsverfahren gefunden werden.
Der Vorschrift von § 5 Abs. 1 Buchst. a VermG liegt nach stän-
diger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Absicht
zugrunde, bestimmte tatsächliche oder rechtliche Veränderungen
an der Nutzungsart oder Zweckbestimmung eines entzogenen Grund-
stücks oder Gebäudes, an deren Aufrechterhaltung ein überwie-
gendes öffentliches Interesse besteht, nicht durch die Wieder-
begründung der früheren Eigentumsverhältnisse in Frage zu stel-
len. § 5 Abs. 1 Buchst. a VermG erfasst nach Art eines Auffang-
tatbestandes solche Grundstücke oder Gebäude, an deren geänder-
ter Nutzung gerade im Hinblick auf dafür getätigte bauliche In-
vestitionen ein gesteigertes öffentliches Interesse besteht
(Urteile vom 20. Dezember 1999 - BVerwG 7 C 34.98 - Buchholz
428 § 3 VermG Nr. 32, vom 15. November 2000 - BVerwG 8 C
27.99 - Buchholz 428 § 3 b VermG Nr. 4, vom 30. November 1995
- BVerwG 7 C 55.94 - BVerwGE 100, 70 = Buchholz 428 § 5 VermG
Nr. 5 sowie vom 25. September 2002 - BVerwG 8 C 25.01 - VIZ
2003, 130). Geschützt ist mithin die geänderte Nutzung wegen
des dafür betriebenen Aufwandes.
Das öffentliche Interesse am Fortbestand der Nutzung entfällt
nicht deshalb, weil ein Dritter und nicht der Grundstückseigen-
tümer die Nutzung vornimmt. So wird nach dem Beschluss des Se-
nats vom 17. Februar 1999 - BVerwG 8 B 215.98 – (Buchholz 428
§ 5 VermG Nr. 20) der Schutz der Nutzung nicht dadurch in Frage
gestellt, dass Mietwohnraum in Wohnungseigentum umgewandelt
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worden ist. Ferner entfällt das zum Restitutionsausschluss füh-
rende öffentliche Interesse nicht dadurch, dass die tatsächli-
che Nutzung bei Rückgabe des Eigentums aufrecht erhalten blei-
ben könnte (Urteil vom 28. Februar 2001 - BVerwG 8 C 32.99 -
Buchholz 428 § 5 VermG Nr. 27). Allein die Nutzungsänderung
verhindert bei § 5 Abs. 1 Buchst. a VermG die Rückgabe des
Grundstücks, an deren Aufrechterhaltung ein öffentliches Inte-
resse besteht. Sonstige Interessen sind unerheblich, solange
sie sich auf das öffentliche Interesse nicht negativ auswirken
(Beschluss vom 17. Februar 1999 - BVerwG 8 B 215.98 - a.a.O.).
Abzustellen ist auf das Interesse an einer Nutzung, nicht auf
das der Nutzer.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3
VwGO, die Streitwertfestsetzung aus §§ 13, 14 GKG.
Dr. Müller Krauß Postier