Urteil des BVerwG vom 14.03.2013

BVerwG: arglistige täuschung, rücknahme, änderung der verhältnisse, verwaltungsakt, vertrauensschutz, vermögensübertragung, ausbildung, unentgeltlichkeit, rückforderung, rechtsmissbrauch

BVerwG 5 C 10.12
Rechtsquellen:
SGB X § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 und 2, Abs. 4, § 50 Abs. 1 Satz 1
BAföG § 1
Stichworte:
Rücknahme; Rücknahmetatbestand; Bewilligungsbescheid; rechtswidriger
Bewilligungsbescheid; Aufhebung; Aufhebungstatbestand; Erstattung; Erstattungstatbestand;
Erstattung erbrachter Leistungen; Erstattungsanspruch; Treugut; treuhänderische Bindung;
Treuhandabrede; Treuhandvereinbarung; Vermögensverfügung; Vermögensübertragung;
rechtsmissbräuchliche Vermögensübertragung; Rechtsmissbrauch; förderungsrechtlich
unbeachtliche Vermögensübertragung; Vertrauen, schutzwürdiges Vertrauen; Vertrauensschutz;
fehlender Vertrauensschutz; arglistige Täuschung; unvollständige Angaben; unrichtige Angaben;
grobe Fahrlässigkeit; Nachrang der staatlichen Ausbildungsförderung; Nachranggrundsatz;
gebundene Entscheidung; Soll-Entscheidung; Ermessensentscheidung; Ermessen;
Rücknahmeermessen; intendiertes Ermessen.
Leitsatz:
Die Ermessensbetätigung der Ämter für Ausbildungsförderung nach § 45 Abs. 1 und 4 SGB X ist
auch in den Fällen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X nicht in dem Sinne vorgezeichnet, dass sie im
Regelfall nur durch eine Entscheidung für die Rücknahme des Bewilligungsbescheides
ausgeübt werden kann (sog. intendiertes Ermessen).
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 5 C 10.12
VG Dresden - 02.12.2005 - AZ: VG 13 K 1917/04
Sächsisches OVG - 09.02.2012 - AZ: OVG 1 A 532/10
In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 14. März 2013
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Vormeier,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Störmer, Dr. Häußler
und Dr. Fleuß
für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sächsischen
Oberverwaltungsgerichts vom 9. Februar 2012 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I
1 Der Kläger wendet sich gegen die mit der Aufhebung vorangegangener
Bewilligungsbescheide verbundene Rückforderung von Ausbildungsförderung.
2 Der Kläger studierte seit dem Wintersemester 2001/02 Gebäude- und Infrastrukturmanagement
an einer sächsischen Hochschule. Hierfür erhielt er antragsgemäß von Dezember 2001 bis
August 2003 Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz. In den
entsprechenden Anträgen hatte er jeweils verschwiegen, dass er neben den angegebenen
Vermögenswerten auch Inhaber eines auf seinen Namen bei der D. Bank eingerichteten
Wertpapierdepots gewesen war, das er am 8. Oktober 2001 auf seine Schwester übertragen
hatte. Dieses Konto wies im Zeitpunkt des Eingangs des ersten Antrags auf Gewährung von
Ausbildungsförderung am 20. Dezember 2001 ein Guthaben in Höhe von 20 598,20 € und im
Zeitpunkt des Eingangs des zweiten Antrags auf Gewährung von Ausbildungsförderung am 25.
Juli 2002 ein Guthaben von 21 329,88 € aus.
3 Nachdem der Beklagte hiervon Kenntnis erlangt hatte, hob er mit Bescheid vom 1. Oktober
2003 seine Bewilligungsbescheide für den besagten Zeitraum auf und forderte den Kläger auf,
die gewährte Ausbildungsförderung in Höhe von insgesamt 5 639,76 € zurückzuzahlen.
4 Mit seinem hiergegen gerichteten Widerspruch machte der Kläger geltend, bei dem Guthaben
des Wertpapierdepots handele es sich nicht um sein Vermögen. Das Geld habe seiner
zwischenzeitlich verstorbenen Großmutter gehört. Er habe das Wertpapierdepot für diese
treuhänderisch verwaltet. Zudem habe er das Guthaben des Wertpapierdepots auf Anweisung
seiner Großmutter auf seine Schwester übertragen und nicht um seine Bedürftigkeit
herbeizuführen.
5 Mit Widerspruchsbescheid vom 22. Juli 2004 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zu
Begründung führte er aus, das Guthaben des Wertpapierdepots sei dem Vermögen des Klägers
zuzurechnen. Die Übertragung dieses Depots auf seine Schwester vor der erstmaligen
Antragstellung sei rechtsmissbräuchlich und damit nichtig. Bei Berücksichtigung dieses
Guthabens übersteige das Gesamtvermögen des Klägers den ausbildungsförderungsrechtlichen
Freibetrag derart, dass dieser seinen monatlichen Bedarf in dem in Rede stehenden
Bewilligungszeitraum vollständig aus seinem anrechenbaren Vermögen habe decken können.
Das Vertrauen des Klägers auf den Bestand der Bewilligungsbescheide sei gemäß § 45 Abs. 2
Satz 3 Nr. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X - nicht schutzwürdig. Daher könnten die
Bewilligungsbescheide mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Bei der im
Rahmen des § 45 Abs. 1 SGB X vorzunehmenden Ermessensentscheidung stünden sich das
Interesse des Klägers an der Aufrechterhaltung der rechtswidrigen Bewilligungsbescheide und
das öffentliche Interesse an einer möglichst effizienten Vergabe der nur beschränkt vorhandenen
Förderungsmittel gegenüber. Letzteres verlange in den Fällen des Fehlens eines
schutzwürdigen Vertrauens in aller Regel die Aufhebung einer rechtswidrigen
Förderungsentscheidung und damit die Rückforderung zu Unrecht ausgezahlter Beträge. Diese
Entscheidung entspreche der ständigen Verwaltungsübung, an welche er, der Beklagte, auch
aus Gründen der Gleichbehandlung aller Förderungsempfänger gebunden sei.
6 Die Klage des Klägers hatte vor dem Verwaltungsgericht, nicht aber vor dem
Oberverwaltungsgericht Erfolg. Auf die Revision des Klägers hatte das
Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Oberverwaltungsgerichts aufgehoben und die Sache
zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht
zurückverwiesen. Denn dieses war abweichend von der ihm im Entscheidungszeitpunkt noch
nicht bekannten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts davon ausgegangenen, ein
(verdecktes) Treuhandverhältnis sei ausbildungsförderungsrechtlich unbeachtlich. In dem
nunmehr angegriffenen Urteil hat das Oberverwaltungsgericht der Berufung des Beklagten
erneut stattgegeben und die Klage des Klägers abgewiesen.
7 Mit seiner Revision macht der Kläger geltend, das Oberverwaltungsgericht habe den vom
Bundesverwaltungsgericht für die Annahme einer wirksamen Treuhandabrede im Rahmen der
ausbildungsförderungsrechtlichen Vermögensregelungen aufgestellten rechtlichen Maßstab
fehlerhaft angewandt. Es habe einerseits Beweisanzeichen, die für den Treuhandcharakter des
Wertpapierdepots sprächen, wie etwa die strikte Separierung des Depotguthabens von seinem
Vermögen, nicht mit dem ihnen zukommenden Gewicht berücksichtigt. Andererseits habe es
beispielsweise die fehlende Unterschrift seiner Großmutter auf der von ihm vorgelegten
schriftlichen Treuhandvereinbarung zu Unrecht als ein Indiz gegen den Treuhandcharakter
angesehen. Zudem habe das Oberverwaltungsgericht in grober Weise gegen die Denkgesetze
verstoßen, soweit es aus dem Umstand, dass der in dem Depot angelegte Geldbetrag nahezu
das gesamte Vermögen seiner Großmutter darstellte, gefolgert habe, dass die Unterschrift der
Großmutter auf der Treuhandvereinbarung und ein nachvollziehbarer Grund für ihren Abschluss
zu erwarten gewesen wären.
8 Des Weiteren rügt der Kläger eine Verletzung des § 45 SGB X. Der Beklagte habe zu Unrecht
angenommen, dass er sich nicht auf Vertrauensschutz berufen könne, weil er die
Bewilligungsbescheide durch arglistige Täuschung erwirkt habe. Nach den Feststellungen des
Oberverwaltungsgerichts könne ihm lediglich vorgeworfen werden, bei der Antragstellung grob
fahrlässig unvollständige Angaben gemacht zu haben. Dieser Irrtum des Beklagten führe
zwingend zu einem Ermessensfehler. Die Prüfprogramme der beiden Ermessensvorschriften
seien nicht identisch. Abgesehen davon sei das dem Beklagten im Rahmen des § 45 Abs. 1
SGB X eingeräumte Ermessen in den Fällen des Fehlens eines schutzwürdigen Vertrauens
nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X auch nicht in Richtung auf die Rücknahme intendiert.
9 Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
II
10 Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das angefochtene Urteil verletzt zwar Bundesrecht
(§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), soweit das Oberverwaltungsgericht im Rahmen des § 45 Abs. 1
Zehntes Buch Sozialgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Januar 2001
(BGBl I S. 130) und der im Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung geltenden Änderung
durch Art. 4 Abs. 72 des Gesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl I S. 718) - SGB X - ein sog.
intendiertes Ermessen der Ämter für Ausbildungsförderung bejaht, wenn ein Fall des § 45 Abs. 2
Satz 3 SGB X vorliegt. Es stellt sich aber im Ergebnis als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO), weil
die Voraussetzungen für eine Rücknahme vorlagen und der Beklagte sein Rücknahmeermessen
rechtsfehlerfrei betätigt hat.
11 Nach § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und Abs. 4 SGB X kann der Leistungsträger einen
rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit
zurücknehmen, wenn der Begünstigte deswegen nicht auf den Bestand des Verwaltungsaktes
vertrauen durfte, weil dieser auf Angaben beruht, die er grob fahrlässig in wesentlicher
Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Soweit ein Verwaltungsakt
zurückgenommen worden ist, sind bereits erbrachte Leistungen gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB
X zu erstatten. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Das Oberverwaltungsgericht hat zu
Recht entschieden, dass die Bewilligungsbescheide, bei denen es sich um begünstigende
Verwaltungsakte handelt, rechtswidrig waren, weil im gemäß § 29 Abs. 1 Satz 2 BAföG
maßgeblichen Zeitpunkt der jeweiligen Antragstellung auch das Guthaben des
Wertpapierdepots Vermögen des Klägers war und ihm daher im streitgegenständlichen Zeitraum
kein Anspruch auf Ausbildungsförderung zustand (1.). Der Kläger hat das Wertpapierdepot und
dessen Übertragung auf seine Schwester grob fahrlässig im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2
SGB X nicht angegeben (2.), weshalb er sich nicht auf Vertrauen berufen kann und die
Bewilligungsbescheide mit Wirkung für die Vergangenheit (§ 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X)
zurückgenommen werden durften. Die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X für die
Rücknahme der Bewilligungsbescheide ist eingehalten worden (3.). Der Beklagte hat bei der
Rücknahmeentscheidung auch das ihm eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt (4.). Das
Oberverwaltungsgericht hat zutreffend erkannt, dass unter diesen Voraussetzungen die
Rückforderung der erbrachten Leistungen, deren Höhe außer Streit steht, nach § 50 Abs. 1 Satz
1 SGB X zwingend ist.
12 1. Das Guthaben auf dem Wertpapierdepot ist als Vermögen des Klägers zu berücksichtigen.
Es handelt sich insoweit nicht um Treugut (a). Die unentgeltliche Übertragung dieses Depots auf
die Schwester des Klägers ist förderungsrechtlich unbeachtlich (b).
13 a) Das Oberverwaltungsgericht hat seiner erneuten Entscheidung hinsichtlich der
Berücksichtigung von Treuhandabreden im Rahmen der ausbildungsförderungsrechtlichen
Vermögensregelungen ausdrücklich die vom Senat aufgestellten Rechtsgrundsätze (vgl. Urteile
vom 4. September 2008 - BVerwG 5 C 12.08 - BVerwGE 132, 21 = Buchholz 436.36 § 27 BAföG
Nr. 4 jeweils Rn. 13 f. und vom 30. Juni 2010 - BVerwG 5 C 2.10 - juris Rn. 12 f.) zugrunde
gelegt. In rechtsfehlerfreier Anwendung dieses Maßstabs hat es den Abschluss einer
Treuhandvereinbarung zwischen dem Kläger und seiner Großmutter verneint. Die hiergegen
gerichteten Einwände der Revision greifen nicht durch.
14 Soweit die Revision rügt, das Oberverwaltungsgericht habe bei Anwendung der genannten
Rechtsgrundsätze einen Rechtsfehler begangen, indem es Beweisanzeichen, die für den
Treuhandcharakter des Wertpapierdepots sprächen, wie beispielsweise die strikte Separierung
des Depotguthabens von dem Vermögen des Klägers und die Erteilung einer Depotvollmacht an
seine Großmutter, unzutreffend bewertet habe, kritisiert sie der Sache nach dessen
Sachverhalts- und Beweiswürdigung. Das Gleiche gilt, soweit die Revision beanstandet, das
Oberverwaltungsgericht habe beispielsweise die fehlende Unterschrift der Großmutter des
Klägers auf der von ihm vorlegten schriftlichen Treuhandvereinbarung von Juni 1997 zu Unrecht
als Indiz gegen den Treuhandcharakter angesehen. Die im Berufungsverfahren vorgenommene
Feststellung und Würdigung der Tatsachen ist nach Maßgabe des § 137 Abs. 2 VwGO der
Überprüfung durch das Bundesverwaltungsgericht entzogen. Dementsprechend ist es dem
Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich versagt, die tatrichterliche Sachverhalts- und
Beweiswürdigung durch eine eigene Würdigung zu korrigieren oder gar zu ersetzen. Es ist
insoweit darauf beschränkt zu überprüfen, ob die tatrichterliche Würdigung auf einem
Rechtsirrtum beruht oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze,
insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, verletzt
(vgl. Urteil vom 16. Mai 2012 - BVerwG 5 C 2.11 - BVerwGE 143, 119 Rn. 18). Das
Revisionsvorbringen lässt nicht erkennen, dass die Würdigung des Oberverwaltungsgerichts
einem derartigen Fehler unterliegt.
15 Soweit die Revision im Zusammenhang mit der tatrichterlichen Würdigung des Umstandes,
dass es sich bei dem Guthaben des Depots nahezu um das gesamte Vermögen der Großmutter
des Klägers gehandelt habe, einen Verstoß gegen Denkgesetze rügt, der im Einzelfall als
Verfahrensfehler zu behandeln sein kann (vgl. Urteil vom 19. Januar 1990 - BVerwG 4 C 28.89 -
BVerwGE 84, 271 <272> = Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 225 S. 74 f.; Beschlüsse vom 2.
August 2007 - BVerwG 8 B 23.07 - juris Rn. 4 und vom 26. Juni 2007 - BVerwG 4 BN 24.07 -
juris Rn. 4), legt sie diesen nicht in einer den Anforderungen des § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO
genügenden Weise dar.
16 Ein Verstoß gegen Denkgesetze liegt nur dann vor, wenn ein Schluss aus Gründen der Logik
schlechthin nicht gezogen werden kann, nicht aber schon dann, wenn das Gericht andere
Schlüsse gezogen hat, als sie nach Auffassung eines der Verfahrensbeteiligten hätten gezogen
werden müssen, selbst wenn der vom Verfahrensbeteiligten favorisierte Schluss vielleicht sogar
näher liegt als der vom Gericht gezogene (stRspr, vgl. z.B. Urteil vom 20. März 2012 - BVerwG 5
C 1.11 - BVerwGE 142, 132 Rn. 32 m.w.N.). Sind bei der Sachverhalts- und Beweiswürdigung
mehrere Folgerungen denkgesetzlich möglich, so ist es nicht nur nicht fehlerhaft, wenn das
Tatsachengericht unter mehreren möglichen eine Folgerung wählt, sondern gerade auch seine
ihm durch § 108 Abs. 1 VwGO übertragene Aufgabe, sich unter Abwägung verschiedener
Möglichkeiten seine Überzeugung zu bilden (vgl. Beschluss vom 22. Dezember 2010 - BVerwG
5 B 8.10 - juris Rn. 15 m.w.N.).
17 Die Revision zeigt nicht auf, dass die Schlussfolgerung des Oberverwaltungsgerichts,
aufgrund des besagten Umstandes hätte für die treuhänderische Bindung des Klägers ein
nachvollziehbarer Grund bestehen müssen und es wäre zu erwarten gewesen, dass auch die
Großmutter des Klägers die schriftliche Vereinbarung unterzeichnet hätte, aus logischen
Gründen schlechterdings unhaltbar ist. Ebenso wenig ist dem Vorbringen der Revision schlüssig
zu entnehmen, dass ihre Schlussfolgerung, der Kläger und seine Großmutter hätten hinsichtlich
des Guthabens des Wertpapierdepots eine treuhänderische Bindung vereinbart, denkgesetzlich
die einzig mögliche Folgerung aus dem besagten Umstand war.
18 b) Das Oberverwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Übertragung des
Wertpapierdepots auf die Schwester des Klägers förderungsrechtlich rechtsmissbräuchlich und
damit unbeachtlich ist und infolgedessen das Guthaben als Vermögen des Klägers zu
behandeln ist.
19 Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist eine
Vermögensübertragung unabhängig von ihrer bürgerlich-rechtlichen Wirksamkeit
ausbildungsförderungsrechtlich wegen Rechtsmissbrauchs unbeachtlich, wenn sie im
Widerspruch zu dem mit der Vermögensanrechnung verfolgten Gesetzeszweck steht. Dieser
Zweck besteht in der Durchsetzung des in § 1 BAföG verankerten Nachrangs der staatlichen
Ausbildungsförderung. Danach wird Ausbildungsförderung für eine der Neigung, Eignung und
Leistung entsprechende Ausbildung nur geleistet, wenn dem Auszubildenden die für seinen
Lebensunterhalt und seine Ausbildung erforderlichen Mittel anderweitig nicht zur Verfügung
stehen. Eine Vermögensübertragung steht im Widerspruch zu diesem Zweck, wenn der
Auszubildende Vermögen überträgt, um es der Vermögensanrechnung zu entziehen. Von einer
entsprechenden Zweckbestimmung ist grundsätzlich auszugehen, wenn der Auszubildende sein
Vermögen bzw. Teile desselben auf einen Dritten überträgt, ohne eine dessen Wert
entsprechende Gegenleistung zu erhalten. Dritter in diesem Sinne sind auch die Eltern oder ein
Elternteil des Auszubildenden. Denn bei einer unentgeltlichen Übertragung von Vermögen steht
der Wert des übertragenen Vermögens dem Auszubildenden für seinen Bedarf nicht mehr zur
Verfügung. Hätte eine Anrechnung des unentgeltlich übertragenen Vermögens zu unterbleiben,
würde die finanzielle Sicherung der Ausbildung in dem im Gesetz vorgesehenen Umfang nicht
erreicht. Gerade weil das übertragene Vermögen nicht mehr vorhanden ist, wäre die
Durchführung der Ausbildung entgegen der gesetzgeberischen Konzeption durch Gewährung
staatlicher Fördermittel und nicht durch das anrechenbare Vermögen des Auszubildenden
sicherzustellen. Aus diesem Grund stellt sich eine unentgeltliche Vermögenszuwendung an
Dritte ausbildungsförderungsrechtlich grundsätzlich als Rechtsmissbrauch dar (vgl. Urteile vom
13. Januar 1983 - BVerwG 5 C 103.80 - Buchholz 436.36 § 26 BAföG Nr. 1 S. 4 ff. und vom 30.
Juni 2010 - BVerwG 5 C 2.10 - juris Rn. 12 und Beschluss vom 19. Mai 2009 - BVerwG 5 B
111.08 - juris Rn. 2). Ob die Unentgeltlichkeit der Übertragung genügt, um diese ohne Weiteres
als Rechtsmissbrauch zu werten, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab (vgl. Urteil vom
30. Juni 2010 - BVerwG 5 C 3.09 - Buchholz 436.36 § 27 BAföG Nr. 6 Rn. 47). So kann die
Unentgeltlichkeit als Kriterium für die Annahme der Rechtsmissbräuchlichkeit beispielsweise mit
zunehmendem zeitlichem Abstand von der Antragstellung an Gewicht verlieren. Mit Rücksicht
darauf ist es gerechtfertigt und gegebenenfalls im Einzelfall auch geboten, zusätzlich zur
Unentgeltlichkeit auf den zeitlichen Zusammenhang zwischen der unentgeltlichen Übertragung
von Vermögungswerten und der Beantragung von Ausbildungsförderung abzustellen. Denn ein
solcher Zusammenhang spricht in gewichtiger Weise für einen Rechtsmissbrauch.
20 Das Oberverwaltungsgericht hat sich von diesen Rechtsgrundsätzen leiten lassen. Auf der
Grundlage der von ihm getroffenen und den Senat bindenden Feststellungen (§ 137 Abs. 2
VwGO) ist seine rechtliche Würdigung revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die
Übertragung des Wertpapierdepots auf die Schwester des Klägers wegen der Unentgeltlichkeit
und des engen zeitlichen Zusammenhangs zwischen der am 8. Oktober 2001 erfolgten
Vermögensverschiebung und dem am 20. Dezember 2001 gestellten Antrag auf
Ausbildungsförderung als rechtsmissbräuchlich zu werten ist.
21 2. Das angefochtene Urteil steht auch mit Bundesrecht in Einklang, soweit das
Oberverwaltungsgericht angenommen hat, dass das Vertrauen des Klägers nicht schutzwürdig
ist und die Bewilligungsbescheide mit Wirkung für die Vergangenheit (§ 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X)
zurückgenommen werden durften, weil diese zwar nicht durch eine arglistige Täuschung im
Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB X erwirkt worden sind (a), aber im Sinne des § 45 Abs. 2
Satz 3 Nr. 2 SGB X auf grob fahrlässig gemachten unrichtigen oder unvollständigen Angaben
beruhen (b).
22 a) Nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB X kann sich der Begünstigte auf Vertrauen nicht
berufen, soweit er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung erwirkt hat. Eine arglistige
Täuschung liegt vor, wenn der Auszubildende durch Angaben, deren Unrichtigkeit ihm bewusst
war oder deren Unrichtigkeit er für möglich hielt, jedoch in Kauf nahm, oder durch Verschweigen
wahrer Tatsachen bei einem für die Bewilligung von Ausbildungsförderung maßgeblich
beteiligten Bediensteten des Amtes für Ausbildungsförderung einen Irrtum in dem Bewusstsein
hervorrief, diesen durch Täuschung zu einer für ihn günstigen Entscheidung zu bestimmen.
Unrichtige Angaben sind stets eine Täuschung, unabhängig davon, ob die Behörde hiernach
gefragt hat oder nicht (vgl. Urteil vom 24. Oktober 1996 - BVerwG 2 C 23.96 - BVerwGE 102, 178
<180 f.> = Buchholz 236.1 § 55 SG Nr. 16 S. 11 f. m.w.N.). Das Verschweigen wahrer Tatsachen
ist - in Abgrenzung zu § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X - eine Täuschung, wenn das Amt für
Ausbildungsförderung nach diesen Tatsachen gefragt hat. Der Frage eines maßgeblich
beteiligten Bediensteten des Amtes für Ausbildungsförderung steht es gleich, wenn in einem
Vordruck oder Antragsformular erkennbar eine bestimmte Frage aufgeworfen wird, welche dann
wahrheitswidrig beantwortet wird.
23 Das Oberverwaltungsgericht ist der Sache nach von diesen rechtlichen Anforderungen
ausgegangen. Gemessen daran hat es in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise eine
arglistige Täuschung abgelehnt. Denn nach seinen bindenden (§ 137 Abs. 2 VwGO)
Feststellungen ist in den Antragsformularen nicht ausdrücklich nach (unentgeltlichen)
Vermögensverfügungen gefragt worden, die in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der
Antragstellung gestanden haben.
24 b) Das Vertrauen des Begünstigten ist gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X nicht
schutzwürdig, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er grob fahrlässig in
wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor,
wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, weil
schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt worden sind und das nicht
beachtet worden ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (vgl. Urteil vom 30.
Juni 2010 a.a.O. Rn. 24 m.w.N.).
25 In Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen hat das Oberverwaltungsgericht zu Recht
entschieden, dass der Kläger die unentgeltliche Übertragung des Wertpapierdepots auf seine
Schwester grob fahrlässig verschwiegen hat. Nach dem Sachverhalt, wie er sich auf der
Grundlage der tatsächlichen Feststellungen und Bewertungen des Oberverwaltungsgerichts
ergibt, musste es sich dem Kläger aufdrängen, dass er diese Vermögensverfügung anzugeben
hatte, ohne dass danach konkret gefragt worden ist. Denn sie konnte für die Entscheidung des
Amtes für Ausbildungsförderung erheblich sein. Selbst wenn der Kläger davon ausgegangen
sein sollte, dass ihm dieses Vermögen wegen der Übertragung auf seine Schwester nicht (mehr)
zuzurechnen war und von ihm nicht zur Bedarfsdeckung eingesetzt werden musste, hätte er
diese Vorgänge zumindest offenlegen müssen, um dem Beklagten eine eigenständige Prüfung
und Bewertung der vorgetragenen Verwertungshindernisse zu ermöglichen. Die Nichtangabe
des Wertpapierdepots war für die Fehlerhaftigkeit der Bewilligungsbescheide auch kausal (vgl.
zu diesem Erfordernis Urteil vom 30. Juni 2010 a.a.O. Rn. 40).
26 3. Des Weiteren ist das Oberverwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der
Beklagte den Rücknahmebescheid vom 1. Oktober 2003 gemäß § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X
innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen erlassen
hat.
27 Die Jahresfrist beginnt, sobald die Rücknahmebehörde die Rechtswidrigkeit des erlassenen
Verwaltungsakts erkannt hat und ihr die für die Rücknahmeentscheidung außerdem erheblichen
Tatsachen vollständig bekannt sind (vgl. Urteil vom 30. Juni 2010 - BVerwG 5 C 3.09 - juris Rn.
25 m.w.N.). Sie ist hier nicht schon im September 2002 durch den Hinweis des Bundesamtes für
Finanzen auf die vom Kläger gestellten Freistellungsaufträge für Kapitaleinkünfte in Lauf gesetzt
worden, der den Anlass zu weiteren Ermittlungen gegeben hat, sondern erst durch die vom
Kläger nach einem entsprechenden Aufforderungsschreiben des Beklagten vom 31. Januar
2003 vorgelegten Unterlagen. Der Beklagte durfte auch die aus dem Datenabgleich erlangten
Informationen verwerten und zum Anlass nehmen, den Kläger zu ergänzenden Angaben zu
seinem Kapitalvermögen aufzufordern. Insbesondere rechtfertigt die durch Gesetz vom 2.
Dezember 2004 (BGBl I S. 3127) lediglich klarstellende Einfügung des § 41 Abs. 4 BAföG nicht
den Umkehrschluss, die Erkenntnisse aus einem bis zu diesem Zeitpunkt erfolgten
Datenabgleich unterlägen einem Verwertungsverbot (vgl. Urteil vom 30. Juni 2010 a.a.O.).
28 4. Das Oberverwaltungsgericht hat schließlich im Ergebnis zutreffend festgestellt, dass die
Ermessensentscheidung des Beklagten nicht zu beanstanden ist. Mit Bundesrecht nicht
vereinbar ist zwar seine Auffassung, die Ermessensbetätigung der Ämter für
Ausbildungsförderung nach § 45 Abs. 1 SGB X sei in dem Sinne vorgezeichnet, dass sie im
Regelfall nur durch eine Entscheidung für die Rücknahme des Bewilligungsbescheides
ausgeübt werden kann (sog. intendiertes Ermessen), wenn einer der Fälle des § 45 Abs. 2 Satz
3 SGB X vorliegt (a). Der Beklagte hat aber das ihm nach § 45 Abs. 1 SGB X eingeräumte
Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt (b).
29 a) Die auf § 45 Abs. 1 und 4 SGB X gestützte Rücknahme eines von Anfang an
rechtswidrigen Bewilligungsbescheides mit Wirkung für die Vergangenheit steht im Ermessen
der Ämter für Ausbildungsförderung (vgl. Urteile vom 17. September 1987 - BVerwG 5 C 26.84 -
BVerwGE 78, 101 <105> = Buchholz 436.36 § 20 BAföG Nr. 27 S. 13 und - BVerwG 5 C 16.86 -
Buchholz 436.36 § 20 BAföG Nr. 29 S. 26; s.a. BSG, Urteil vom 17. Oktober 1990 - 11 RAr 3/88 -
SozR 3-1300 § 45 Nr. 5). Die Ermessensentscheidung erfordert eine sachgerechte Abwägung
des öffentlichen Interesses an der Herstellung gesetzmäßiger Zustände mit dem privaten
Interesse des Auszubildenden an der Aufrechterhaltung eines rechtswidrigen
Bewilligungsbescheides (vgl. Urteile vom 27. Juni 1991 - BVerwG 5 C 4.88 - BVerwGE 88, 342
<347> = Buchholz 436.36 § 24 BAföG Nr. 16 S. 20 und vom 8. Juni 1989 - BVerwG 5 C 68.86 -
Buchholz 436.36 § 50 Nr. 5 S. 4; s.a. BSG, Urteil vom 11. April 2002 - B 3 P 8/01 R - juris Rn.
21). Die Prinzipien der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Bestandskraft von
Verwaltungsakten stehen dabei gleichberechtigt nebeneinander. Dies gilt auch, wenn eine
Berufung des Auszubildenden auf Vertrauensschutz nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X
ausscheidet. Die für diese Fälle vom Oberverwaltungsgericht angenommene Begrenzung des
Entscheidungsspielraums der Ämter für Ausbildungsförderung, lässt sich weder unmittelbar aus
§ 45 SGB X (aa) noch aus dem Bundesausbildungsförderungsrecht und seinen fachspezifischen
Wertungen (bb) ableiten.
30 (aa) Die Auslegung der Ermessensvorschrift des § 45 Abs. 1 SGB X ergibt kein intendiertes
Ermessen der Ämter für Ausbildungsförderung. Hiergegen sprechen neben dem Wortlaut vor
allem systematische Erwägungen.
31 § 45 Abs. 1 SGB X eröffnet Ermessen („darf“), ohne danach zu unterscheiden, ob sich der
Begünstigte gemäß § 45 Abs. 3 SGB X auf Vertrauensschutz berufen kann oder nicht.
32 Die binnensystematische Betrachtung des § 45 SGB X bestätigt diesen Befund. So verbietet
§ 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X für den Fall, dass der Begünstigte auf den Bestand des
Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen schutzwürdig ist, die Rücknahme des
rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes. Für den Fall, dass das Vertrauen des
Begünstigten in die Bestandskraft des Verwaltungsakts gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X nicht
schutzwürdig ist, fehlt eine vergleichbare Regelung. Dies wiegt um so schwerer, als § 48 Abs. 2
VwVfG, dem § 45 Abs. 2 SGB X weitgehend entspricht, in Satz 4 ausdrücklich bestimmt, dass
der Verwaltungsakt in den Fällen des fehlenden Vertrauensschutzes nach § 48 Abs. 2 Satz 3
VwVfG in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen wird, weshalb § 48
Abs. 2 Satz 4 VwVfG auch als ermessenslenkende Norm anzusehen ist (vgl. Urteile vom 16.
Juni 1997 - BVerwG 3 C 22.96 - BVerwGE 105, 55 <57> = Buchholz 316 § 39 VwVfG Nr. 25 S. 3
und vom 23. Mai 1996 - BVerwG 3 C 13.94 - Buchholz 451.513 Sonst. Marktordnungsrecht Nr. 1
S. 13).
33 In dieselbe Richtung weist der systematische Vergleich mit der Vorschrift des § 48 Abs. 1
SGB X, die in Satz 1 eine gebundene Aufhebungsentscheidung vorsieht und in Satz 2
ausdrücklich normiert, unter welchen Voraussetzungen ein Verwaltungsakt (mit Wirkung vom
Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse) aufgehoben werden „soll“. Eine solche Differenzierung
findet sich in § 45 SGB X nicht.
34 (bb) Ebenso wenig ist dem einschlägigen Fachrecht zu entnehmen (vgl. zur Zulässigkeit, ein
intendiertes Ermessen kraft Fachrechts anzunehmen z.B. Urteil vom 25. September 1992 -
BVerwG 8 C 68 u. 70.90 - BVerwGE 91, 82 <90 f.> = Buchholz 454.71 § 3 WoGG Nr. 6 S. 8 f.),
dass das Interesse an der Herstellung gesetzmäßiger Zustände in den Fällen des § 45 Abs. 2
Satz 3 SGB X in der Weise Vorrang genießt, dass die Rücknahme rechtswidriger
Bewilligungsbescheide vorgegeben ist.
35 Eine entsprechende fachgesetzliche Intention lässt sich entgegen der Auffassung des
Oberverwaltungsgerichts nicht aus dem in § 1 BAföG normierten Grundsatz des Nachrangs der
staatlichen Ausbildungsförderung folgern. Durch diesen soll sichergestellt werden, dass die
begrenzten staatlichen Förderungsmittel sinnvoll eingesetzt werden und für förderungsbedürftige
Auszubildende zur Verfügung stehen. Auch wenn dies die Rücknahme rechtswidriger
Bewilligungsbescheide und die Rückforderung zu Unrecht gezahlter Ausbildungsförderung nahe
legt, ist § 1 BAföG keine ermessenslenkende Bedeutung für die hier in Rede stehende
Konstellation beizumessen. Denn die Vorschrift unterscheidet nicht zwischen Auszubildenden,
die die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X erfüllen, und solchen, die dies nicht tun.
Sie beansprucht vielmehr für beide Fallgruppen Geltung. Infolgedessen fehlt es an einer
hinreichend aussagekräftigen Grundlage für die Annahme, dass dem Prinzip der
Gesetzmäßigkeit der Verwaltung in den Fällen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X im Regelfall
Vorrang vor dem kollidierenden Prinzip der Bestandskraft von Verwaltungsakten zukommt. Der
bloße Verstoß gegen den Nachranggrundsatz sagt für sich noch nichts darüber aus, mit welcher
Gewichtigkeit diese Belange in die Abwägung einzustellen sind.
36 Gegen die Annahme eines durch das Bundesausbildungsförderungsgesetz intendierten
Ermessens spricht in deutlicher Weise die Vorschrift des § 20 BAföG. Ihr ist eine differenzierte
Regelung zu entnehmen, unter welchen Voraussetzungen die Aufhebung rechtswidriger
Bewilligungsbescheide und die Erstattung zu Unrecht gewährter Leistungen der
Ausbildungsförderung mit Wirkung für die Vergangenheit in Betracht kommt und welche
Entscheidung die Ämter für Ausbildungsförderung dabei jeweils zu treffen haben.
37 Bis zum Inkrafttreten des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch vom 18. August 1980 (BGBl I S.
1469) mit Wirkung zum 1. Januar 1981 enthielt § 20 BAföG eine vollständige und abschließende
Regelung über die Aufhebung rechtswidriger Bewilligungsbescheide und die Erstattung zu
Unrecht gewährter Leistungen der Ausbildungsförderung. Mit dem Inkrafttreten des Zehnten
Buches Sozialgesetzbuch wurden die früheren Aufhebungs- und Erstattungstatbestände des §
20 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BAföG gestrichen, weil die von ihnen erfassten Sachverhalte durch die §§
45, 48 und 50 SGB X abgedeckt sind. Durch diese Streichung und den ausdrücklichen Hinweis
auf die §§ 44 bis 50 SGB X in § 20 Abs. 1 Satz 1 BAföG wurde klargestellt, dass die Aufhebung
der Bewilligungsbescheide und die Erstattung der Förderungsleistungen in den von § 20 Abs. 1
Nr. 3 und 4 SGB X nicht erfassten Fällen fortan dem Regelungsregime des Zehnten Buches
Sozialgesetzbuch unterstehen und somit an die dort normierten Voraussetzungen und
Grundsätze gebunden sind (vgl. Urteile vom 17. September 1987 - BVerwG 5 C 26.84 - a.a.O.
<104> bzw. S. 12 und - BVerwG 5 C 16.86 - a.a.O. S. 25). Mit Rücksicht darauf besteht ein
strikter Aufhebungszwang („ist ... aufzuheben“) nur in den Fällen des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und
4 BAföG. In den Fällen des § 48 SGB X („soll“) müssen die Ämter für Ausbildungsförderung die
Bewilligungsbescheide nur im Regelfall zurücknehmen und sind nur bei einer atypischen
Fallgestaltung zur Ausübung von Ermessen berechtigt und verpflichtet. In den Fällen des § 45
Abs. 1 und 4 SGB X („darf“) steht die Rücknahme stets im Ermessen der Ämter für
Ausbildungsförderung (vgl. Urteile vom 17. September 1987 - BVerwG 5 C 26.84 - BVerwGE 78,
101 <105> = Buchholz 436.36 § 20 BAföG Nr. 27 S. 13 und - BVerwG 5 C 16.86 - Buchholz
436.36 § 20 BAföG Nr. 29 S. 26). Diese klaren und eindeutigen gesetzlichen Vorgaben würden
missachtet, wenn dem öffentlichen Interesse an der Herstellung rechtmäßiger Zustände von
vornherein und unabhängig vom Einzelfall ein Vorrang eingeräumt und ein Regel-Ausnahme-
Verhältnis begründet würde.
38 Nichts anderes folgt aus den Urteilen des Senats vom 17. September 1987 - BVerwG 5 C
26.84 und 5 C 16.86 - (jeweils a.a.O.). Die dort getroffene Aussage,
„dass beim Vorliegen eines dieser Sachverhalte [gemeint sind die Sachverhalte des § 45 Abs. 2
Satz 3 Nr. 1 bis 3 SGB X] die Ermessensbetätigung der Behörde im Normalfall ebenfalls zur
Rückgängigmachung des Verwaltungsaktes führen wird“ (vgl. a.a.O. <106> bzw. S. 13 und S.
26),
ist im Zusammenhang mit den beiden nachfolgenden Sätzen zu sehen,
„f[F]ür die weiter in Betracht zu ziehenden Fälle des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 4 SGB X folgt
das gleiche kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung daraus, dass die Behörde die
Aufhebung, wenn die Voraussetzungen dieser Regelungen erfüllt sind, vornehmen soll und
damit, wie schon ausgeführt, zur Aufhebung im Regelfall verpflichtet ist. Hier wie dort sind
demnach beim Gesetzesvollzug Ergebnisse zu erwarten, die bei typischer Fallgestaltung denen
bei Anwendung des § 20 Abs. 1 Nrn. 3 und 4 BAföG entsprechen“ (vgl. a.a.O.).
Aufgrund dieses Kontextes ist die angeführte Erklärung als empirisch-prognostische
Einschätzung des Senats zum Ergebnis des Gesetzesvollzugs zu verstehen. Eine
weitergehende Aussage dahin, dass die Ermessensentscheidung nach § 45 Abs. 1 und 4 SGB
X in den Fällen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X aus normativen Gründen, insbesondere des
Bundesausbildungsförderungsgesetzes, in Richtung Rücknahme intendiert wäre, ist ihr nicht zu
entnehmen.
39 b) Die Ausübung des Rücknahmeermessens durch den Beklagten ist revisionsrechtlich nicht
zu beanstanden. Maßgeblich sind insoweit die Erwägungen im Widerspruchsbescheid. Denn
eine behördliche Entscheidung, deren Recht- und Zweckmäßigkeit - wie hier - durch die
Widerspruchsbehörde nachgeprüft werden kann, erhält gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO erst
durch den Widerspruchsbescheid ihre für das gerichtliche Verfahren maßgebliche Gestalt (vgl.
Beschluss vom 26. April 2011 - BVerwG 7 B 34.11 - BRS 77 Nr. 68 und Urteil vom 25. Februar
2010 - BVerwG 2 C 22.09 - BVerwGE 136, 140 = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 45 Rn. 24).
40 Dem Beklagten war ausweislich des Widerspruchsbescheides bewusst, dass ihm Ermessen
zusteht, und er hat dieses erkennbar ausgeübt. Entgegen der Auffassung des
Oberverwaltungsgerichts ist der Beklagte auch nicht von der falschen Ermessensvorschrift
ausgegangen, soweit er im Widerspruchsbescheid die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3
Nr. 1 SGB X (arglistige Täuschung) statt der Nr. 2 dieser Vorschrift (grobe Fahrlässigkeit)
angenommen hat. Denn das Ermessen ist ihm nicht durch diese Regelung, sondern durch die
Bestimmung des § 45 Abs. 1 SGB X eingeräumt. Seine Ermessenserwägungen sind auch nicht
deshalb rechtsfehlerhaft, weil er im Widerspruchsbescheid zu Unrecht von einer arglistigen
Täuschung des Klägers ausgegangen ist. Denn ein Fehler in der rechtlichen Bewertung ist
unschädlich, wenn er sich in den Ermessenserwägungen nicht niederschlägt. Das ist hier der
Fall. Der Beklagte hat seine Ermessensentscheidung nicht auf den Grad des klägerischen
Verschuldens gestützt, sondern auf die Fehlerhaftigkeit der Bewilligungsbescheide und den
Schutz fiskalischer Interessen abgestellt. Bei der Ausübung des Ermessens hat sich der
Beklagte gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch am Zweck der Ermächtigung
orientiert. Er hat das Interesse des Klägers an der Beständigkeit der rechtswidrigen
Bewilligungen mit dem öffentlichen Interesse an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung
abgewogen. Letzteres schließt die Einbeziehung fiskalischer Interessen nicht aus (vgl. Urteile
vom 19. Februar 2009 - BVerwG 8 C 4.08 - juris Rn. 46 und vom 31. August 2006 - BVerwG 7 C
16.05 - Buchholz 428 § 31 VermG Nr. 12 Rn. 25). Daher ist es nicht zu beanstanden, dass sich
der Beklagte von dem Gedanken hat leiten lassen, das Interesse des Klägers, die zu Unrecht
erhaltenen Mittel zu behalten, habe hinter das öffentliche Interesse an einer rechtmäßigen und
effizienten Vergabe der nur beschränkt vorhandenen Förderungsmittel zurückzutreten. Da der
Kläger bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens keine für die Ermessensausübung
relevanten Gesichtspunkte vorgetragen hat, konnte sich der Beklagte auch auf diese knappe
allgemeine Interessenabwägung beschränken.
41 5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß §
188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO nicht erhoben.
Vormeier
Stengelhofen
Dr. Störmer
Dr. Häußler
Dr. Fleuß