Urteil des BVerwG vom 16.07.2009

BVerwG: vorläufige dienstenthebung, dienstliches verhalten, sexuelle belästigung, beamtenverhältnis, disziplinarverfahren, persönliche verhältnisse, verfügung, behörde, suspendierung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 AV 4.09
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. Juli 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Groepper und Dr. Burmeister
beschlossen:
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Die vorläufige Dienstenthebung des Antragstellers und
die Einbehaltung seiner Bezüge in Höhe von 50 Prozent
werden ausgesetzt.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
G r ü n d e :
I
Der Antragsteller war bis zu der hier angegriffenen vorläufigen Dienstenthebung
als Leitender Regierungsdirektor (Besoldungsgruppe A 16) im Dienst des … der
Beklagten tätig. Am 3. März 2009 hat die Antragsgegnerin Disziplinarklage ge-
gen den Antragsteller mit dem Ziel erhoben, ihn aus dem Beamtenverhältnis zu
entfernen (Verfahren BVerwG 2 A 4.09). Sie wirft ihm als Dienstvergehen sexu-
elle Belästigung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, unberechtigte Nebentä-
tigkeit unter missbräuchlicher Verwendung dienstlicher Ressourcen, die Anferti-
gung privater juristischer Schreiben auf dem dienstlichen Rechner, beleidigende
Äußerungen über den Präsidenten und leitende Mitarbeiter des Bundesnach-
richtendienstes und des Bundeskanzleramtes, unrichtige Berechnung der Ar-
beitszeit, die Beschädigung einer Bürotür und das Verbringen eines privaten
Notebooks in die Diensträume vor. Sie hält das Vertrauensverhältnis zwischen
Antragsteller und Antragsgegnerin für unheilbar zerrüttet und die Entfernung
des Antragstellers aus dem Beamtenverhältnis für geboten. Der Antragsteller ist
der Klage entgegengetreten.
Durch Verfügung vom 10. Juni 2009 hat die Antragsgegnerin den Antragsteller
gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 BDG mit sofortiger Wirkung vorläufig des Dienstes
enthoben und gemäß § 38 Abs. 2 BDG die Einbehaltung von 50 Prozent seiner
Dienstbezüge angeordnet. Die Wahrscheinlichkeit einer Entfernung des An-
tragstellers aus dem Dienst ergebe sich aus der Vielzahl der ihm zur Last ge-
legten Dienstverletzungen und speziell aus dem gravierenden materiellen Un-
rechtsgehalt der ihm zur Last gelegten sexuellen Belästigungen. Quantität und
Nachhaltigkeit dieser Pflichtverstöße hätten zum endgültigen Vertrauensverlust
geführt. Der Antragsteller sei seiner Vorbildfunktion als Referatsleiter nicht ge-
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recht geworden und habe seine Autorität als Führungskraft untergraben. Ein
korrektes Verhalten sei für die Zukunft nicht zu erwarten. Gründe, die einer Ein-
behaltung der Bezüge in Höhe von 50 Prozent entgegenstünden, habe der An-
tragsteller nicht geltend gemacht.
Gegen diese Verfügung richtet sich der Antrag des Antragstellers, zu dessen
Begründung er geltend macht:
Es bestünden ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verfügung. Sie set-
ze eine fehlerfreie Prognose über den Ausgang des Disziplinarverfahrens und
eine rechtfehlerfreie Ermessensentscheidung voraus. Von einer Entfernung des
Antragstellers aus dem Beamtenverhältnis sei nicht auszugehen. Die der Kla-
geschrift zugrunde gelegten Tatsachen würden durch Zeugenaussagen nicht
gestützt. Die rechtliche Bewertung weiche vom Maßstab des § 77 Abs. 1 BBG
ab. In der angegriffenen Verfügung habe die Antragsgegnerin die Klageerwide-
rung des Antragstellers weder erwähnt noch gewürdigt. Sein Tatsachenvortrag
sei jedoch geeignet, den Verdacht eines Dienstvergehens zu erschüttern. Die
Prognose der Antragsgegnerin lasse zudem sein dienstliches Verhalten nach
seiner Umsetzung vom 14. April 2008 (sie ist Gegenstand des Verfahrens
BVerwG 2 A 11.08) unberücksichtigt. Er habe auch seitdem gute dienstliche
Leistungen und ein untadeliges Verhalten Mitarbeitern und Vorgesetzten ge-
genüber gezeigt.
Der Antragsteller beantragt,
die vorläufige Dienstenthebung sowie die Anordnung der Einbehaltung
von 50 Prozent der Dienstbezüge des Antragstellers auszusetzen.
Die Antragsgegnerin tritt dem Antrag entgegen.
Dem Senat haben der Verwaltungsvorgang zur vorläufigen Dienstenthebung
sowie die Verfahrens- und Beiakten im gerichtlichen Disziplinarverfahren
(BVerwG 2 A 4.09) vorgelegen. Auf den Inhalt dieser Unterlagen wird ergän-
zend Bezug genommen.
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II
1. Der Antrag ist zulässig. Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 BDG kann der Beamte, der
gemäß § 38 Abs. 1 BDG vorläufig des Dienstes enthoben worden und gegen
den gemäß § 38 Abs. 2 BDG die Einbehaltung eines Teils seiner Dienstbezüge
angeordnet worden ist, beim zuständigen Gericht die Aussetzung dieser Maß-
nahmen beantragen. Zuständiges Gericht ist hier nach § 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO
das Bundesverwaltungsgericht im ersten und letzten Rechtszug.
2. Der Antrag hat Erfolg, weil ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der an-
gegriffenen Maßnahmen bestehen (§ 63 Abs. 2 BDG).
Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 BDG kann die für die Disziplinarklage zuständige Be-
hörde gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens den
Beamten vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren vor-
aussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird.
Nach Satz 2 der Bestimmung kann sie den Beamten außerdem vorläufig des
Dienstes entheben, wenn durch sein Verbleiben im Dienst der Dienstbetrieb
oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden und die vorläufige
Dienstenthebung zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Diszipli-
narmaßnahme nicht außer Verhältnis steht. Nach § 38 Abs. 2 BDG kann die für
die Erhebung der Disziplinarklageverfahren zuständige Behörde gleichzeitig mit
oder nach der vorläufigen Dienstenthebung anordnen, dass dem Beamten bis
zu 50 Prozent der monatlichen Dienstbezüge einbehalten werden, wenn im
Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis
erkannt werden wird.
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Es kann offenbleiben, ob die formellen Rügen gegen die angegriffene Suspen-
dierungsverfügung durchgreifen. Die Suspendierungsverfügung ist jedenfalls
deshalb aufzuheben, weil nicht überwiegend wahrscheinlich ist, dass das gegen
den Antragsteller eingeleitete Disziplinarverfahren zu seiner Entfernung aus
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dem Beamtenverhältnis führen wird. Zwar ist die Suspendierung nach § 38
Abs. 1 Satz 2 BDG auch dann zulässig, wenn nur eine Degradierung zu erwar-
ten ist, doch muss in diesem Falle erschwerend hinzukommen, dass durch das
Verbleiben des Beamten im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen we-
sentlich beeinträchtigt würden und die vorläufige Dienstenthebung zu der Be-
deutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer
Verhältnis steht. Von den in § 38 Abs. 1 BDG geregelten beiden Möglichkeiten,
den Beamten vorläufig des Dienstes zu entheben, ist hier nur die erste zu prü-
fen, weil die Antragsgegnerin ihre Maßnahme nicht mit den zuletzt genannten
erschwerenden Umständen begründet, sondern sie ausschließlich darauf ge-
stützt hat, dass der Antragsteller im Disziplinarverfahren voraussichtlich aus
dem Beamtenverhältnis entfernt werde.
Die materielle Rechtmäßigkeit der Suspendierung hängt somit gemäß § 38
Abs. 1 Satz 1 BDG von der Prognose ab, ob das Disziplinarverfahren voraus-
sichtlich zur Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis führen wird.
Nach der hier gebotenen und möglichen nur summarischen Beurteilung kann
offenbleiben, ob das gerichtliche Disziplinarverfahren (BVerwG 2 A 4.09) bereits
an nichtbehebbaren Verfahrenshindernissen scheitern wird oder ob es Verfah-
rensfehler aufweist, zu deren Beseitigung der Klägerin des dortigen Verfahrens
gemäß § 55 Abs. 3 Satz 1 BDG vom Gericht eine Frist gesetzt werden kann.
Das Verfahren wird voraussichtlich jedenfalls aus materiell-rechtlichen Gründen
nicht zur Entfernung des Antragstellers aus dem Beamtenverhältnis führen.
Von den in der Klageschrift erhobenen Vorwürfen kommt dem Vorwurf sexueller
Belästigungen das Hauptgewicht zu. Dieser Vorwurf wird daher richtungwei-
send für die Bemessung der Maßnahme sein. Dabei ist hier zu unterstellen,
dass die Vorwürfe im gerichtlichen Disziplinarverfahren zur Überzeugung des
Gerichts nachgewiesen werden können.
Der Vorwurf geht im Wesentlichen dahin, der Antragsteller habe sich gegenüber
den ihm dienstlich unterstellten oder rangniedrigeren Mitarbeiterinnen K., L. und
S. sowie weiteren Mitarbeiterinnen (teilweise auch gegenüber Mitarbeitern) mit
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Bemerkungen sexuellen Inhalts oder anzüglichen Charakters geäußert und
speziell die ihm direkt untergebene, 1980 geborene Frau K. in vier Fällen, Frau
L. in einem Fall auch körperlich unmittelbar berührt. Dem Antragsteller wird vor-
geworfen, er habe in seinem Bereich ein sexuelles Umfeld geschaffen.
Zu den zur Last gelegten verbalen Äußerungen gehören u.a. Äußerungen über
Pickel und ihre hormonbedingten Ursachen, über die Kleidung („Ziehen Sie sich
mal vernünftig an, bei Ihnen hängt ja alles raus“ - S. 17 der Klageschrift - und
„Ich bin gespannt, was Sie heute Abend anziehen werden“ - S. 51), Äußerun-
gen anzüglichen Charakters wie „Das ist das perfekte Wetter, um meine
240. Sau zu schießen. Und das ist das einzige, was ich zähle“ (S. 19) und „Wir
werden nicht so viel schlafen wie in Budapest“ (S. 22), Äußerungen eindeutigen
Charakters wie der Ausdruck „ficken“ (S. 63), „Lust auf Sex“ (S. 19), „Dass Sie
mich küssen würden, weiß ich ja, aber würden Sie den küssen?“ (S. 20), „Wir
beide wissen ja, dass wir nicht ficken“ (S. 23); „Gehen Sie doch mit in mein
Bett!“ (S. 52). Vorgeworfen wird dem Antragsteller auch, er habe Frau S. gegen
ihren Willen seine Beobachtungen über das Geschlechtsorgan des Abgeordne-
ten St. geschildert und daran anzügliche Bemerkungen über dessen Fähigkeit
geknüpft, Frau S. zu befriedigen (S. 57).
An körperlichen Übergriffen wirft die Antragsgegnerin dem Antragsteller vor, er
habe Frau K. „unter Verwendung seiner Kampfsportkünste“ mit seiner Hand auf
den Rücken gezogen, so dass sie mit ihrer Brustseite auf seinem Rücken lag,
und in dieser Position durch sein Geschäftszimmer getragen (S. 16). Ein ande-
res Mal habe er ihre Hand genommen und gegen ihren Willen an seinen Brust-
muskel geführt (S. 18). Ein weiterer Vorwurf lautet, er habe Frau K. unvermittelt
an den Bauch gefasst und ihn gestreichelt (S. 21). Ein vierter Vorwurf lautet, er
habe Frau K. während eines Restaurantbesuchs unter dem Tisch am Knie ge-
streichelt, was diese mit der Äußerung „Griffel weg!“ unterbunden habe (S. 22).
Bei Frau L. habe er mit der Bemerkung „Zeigen Sie mir doch mal, wie krank Sie
sind“ mit seiner gesamten Hand ihren Hals umfasst (S. 52).
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Selbst wenn unterstellt wird, dass diese und weitere Vorwürfe, die der Antrag-
steller sämtlich bestreitet, nachgewiesen werden, würden sie bei prognostischer
Beurteilung weder für sich genommen noch in ihrer Gesamtheit ein so schwe-
res Dienstvergehen darstellen, dass gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG nur die
Entfernung aus dem Beamtenverhältnis die angemessene Maßnahme wäre.
Dies gilt auch bei Einbeziehung der weiteren, anderen Feldern zuzuordnenden
Vorwürfe. Ob diese oder eine geringere Maßnahme zu verhängen wäre, ist viel-
mehr offen.
Aus den gesetzlichen Vorgaben des § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG folgt die Ver-
pflichtung des Gerichts, über die erforderliche Disziplinarmaßnahme aufgrund
einer auch prognostischen Gesamtwürdigung aller im Einzelfall belastenden
und entlastenden Gesichtspunkte zu entscheiden. Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2
bis 4 BDG ist die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens
unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten und des
Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträch-
tigung zu bestimmen. Die Schwere des Dienstvergehens beurteilt sich zum ei-
nen nach Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und
Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objekti-
ve Handlungsmerkmale), zum anderen nach Form und Gewicht des Verschul-
dens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten
(subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen für den
dienstlichen Bereich und für Dritte (Urteil vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 C 9.06 -
Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3, m.w.N.).
Ein Beamter, der innerhalb des Dienstes Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sexu-
ell belästigt, beeinträchtigt erheblich sein Ansehen und das der Beamtenschaft,
stört den Dienstfrieden und verletzt in schwerwiegender Weise die Würde und
Ehre der Betroffenen. Vor allem weibliche Bedienstete müssen im Dienst vor
sexuellen Belästigungen seitens ihrer Vorgesetzten und Kollegen sicher sein
(Urteil vom 12. November 1997 - BVerwG 1 D 90.95 - BVerwGE 113, 151
<155>). Inzwischen hat auch der Gesetzgeber das Anliegen, die Würde von
Frauen und Männern durch den Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeits-
platz zu wahren, aufgegriffen und im Beschäftigtenschutzgesetz - Art. 10 des
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Zweiten Gleichberechtigungsgesetzes vom 24. Juni 1994 (BGBl I S. 1406) -
dazu Regelungen getroffen. An die Stelle dieser Vorschriften sind nunmehr Be-
stimmungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes getreten, die sexuel-
le Belästigungen (§ 3 Abs. 4 AGG) auch durch Beschäftigte (§ 7 Abs. 3 AGG)
erfassen und deren Rechtswidrigkeit normativ festlegen. Nach § 3 Abs. 4 AGG
ist eine sexuelle Belästigung eine Benachteiligung, wenn ein unerwünschtes,
sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen
und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen,
Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares
Anbringen pornographischer Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt,
dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein
von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder
Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.
Das Bemessungskriterium "Umfang der Beeinträchtigung des Vertrauens des
Dienstherrn oder der Allgemeinheit" (§ 13 Abs. 1 Satz 4 BDG) erfordert eine
Würdigung des Fehlverhaltens des Beamten im Hinblick auf seinen allgemeinen
Status, seinen Tätigkeitsbereich innerhalb der Verwaltung und seine konkret
ausgeübte Funktion (Urteil vom 3. Mai 2007 a.a.O.). Deshalb führen Dienstver-
gehen aufgrund sexueller Belästigung am Arbeitsplatz nicht regelmäßig zu ei-
ner bestimmten Maßnahme, etwa zur Versetzung in ein Amt derselben Lauf-
bahn mit geringerem Endgrundgehalt. Die Handlungsbreite, in der sexuelle Zu-
dringlichkeiten im Dienst denkbar sind, ist zu groß, als dass sie einheitlichen
Regeln unterliegen und in ihren Auswirkungen auf Achtung und Vertrauen glei-
chermaßen eingestuft werden können. Stets sind die besonderen Umstände
des Einzelfalls maßgebend. In schweren Fällen innerdienstlicher sexueller Be-
lästigung weiblicher oder männlicher Mitarbeiter, insbesondere wenn der Beam-
te unter Ausnutzung seiner Vorgesetzteneigenschaft versagt und dadurch nicht
nur seine Integrität in der Dienststelle weitgehend einbüßt, sondern auch sein
Vertrauensverhältnis zum Dienstherrn schwer erschüttert, kann sich grundsätz-
lich die Frage seiner weiteren Tragbarkeit im öffentlichen Dienst stellen, wäh-
rend in minderschweren Fällen eine mildere Disziplinarmaßnahme verhängt
werden kann (Urteil vom 12. November 1997 a.a.O. S. 156).
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Bei der nach § 13 Abs. 1 BDG gebotenen Prognose ist auch das Persönlich-
keitsbild des Beamten angemessen zu berücksichtigen. Dieses Bemessungskri-
terium erfasst dessen persönliche Verhältnisse und sein sonstiges dienstliches
Verhalten vor, bei und nach der Tat (Urteil vom 3. Mai 2007 a.a.O.). Dabei ist
auch zu berücksichtigen, ob der Beamte wegen des ihm zur Last gelegten Ver-
haltens bereits früher aufgefallen und eventuell sogar abgemahnt oder verwarnt
worden ist.
Auf der Grundlage des so zusammengestellten Tatsachenmaterials hat das Ge-
richt eine Prognose über das voraussichtliche dienstliche Verhalten des Beam-
ten zu treffen und das Ausmaß der von ihm herbeigeführten Ansehensbeein-
trächtigung des Berufsbeamtentums einzuschätzen. Bei schweren Dienstver-
gehen stellt sich vorrangig die Frage, ob der Beamte nach seiner gesamten
Persönlichkeit noch im Beamtenverhältnis tragbar ist. Gemäß § 13 Abs. 2
Satz 1 BDG ist ein aktiver Beamter aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen,
wenn er das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verlo-
ren hat. Dies ist anzunehmen, wenn aufgrund der Gesamtwürdigung aller im
Einzelfall bedeutsamen be- und entlastenden Gesichtspunkte der Schluss ge-
zogen werden muss, der Beamte werde auch künftig nachhaltig gegen Dienst-
pflichten verstoßen oder die durch sein Fehlverhalten herbeigeführte Schädi-
gung des Ansehens des Berufsbeamtentums sei bei einer Fortsetzung des
Beamtenverhältnisses nicht wieder gutzumachen (Urteil vom 3. Mai 2007
a.a.O.).
Fälle sexueller Belästigung haben in der Rechtsprechung des Bundesverwal-
tungsgerichts, namentlich des Disziplinarsenats und des 2. Wehrdienstsenats,
zu Gehaltskürzungen (Urteile vom 4. April 2001 - BVerwG 1 D 15.00 - Buchholz
232 § 54 Satz 3 Nr. 27, vom 14. Mai 2002 - BVerwG 1 D 30.01 - juris; vom
24. April 2007 - BVerwG 2 WD 9.06 - BVerwGE 128, 319), zur Degradierung
(Urteil vom 24. November 2005 - BVerwG 2 WD 32.04 - NVwZ 2006, 608) oder
- namentlich bei Ausnutzung einer Vorgesetzteneigenschaft - zur Entfernung
aus dem Beamtenverhältnis geführt (Beschluss vom 21. September 2000
- BVerwG 1 DB 7.00 - Buchholz 235 § 91 BDO Nr. 6).
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Hieran gemessen ist zwar nicht ausgeschlossen, aber nicht überwiegend wahr-
scheinlich, dass der Antragsteller - den Nachweis der Vorfälle, deren er be-
schuldigt wird, unterstellt - aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen sein wird.
Der Mangel einer insoweit gesicherten Prognose führt dazu, dass die vorläufige
Dienstenthebung auszusetzen ist.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 BDG, § 154 Abs. 1 VwGO.
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