Urteil des BVerwG vom 30.08.2006

BVerwG (zivilrechtliche ansprüche und verpflichtungen, zivilrechtliche ansprüche, beschwerde, emrk, rechtsfrage, verfolgung, bundesverwaltungsgericht, anerkennung, asyl, verwaltungsgericht)

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 8.07 (1 PKH 7.07)
VGH 6 UE 2409/04.A
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 4. Mai 2007
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Richter und die Richterin am
Bundesverwaltungsgericht Beck
beschlossen:
Der Antrag der Kläger auf Bewilligung von Prozesskos-
tenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abge-
lehnt.
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichts-
hofs vom 30. August 2006 wird verworfen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Den Klägern kann die beantragte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden,
weil ihre Beschwerde, wie sich aus den nachstehenden Ausführungen ergibt,
keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).
Die Beschwerde der Kläger ist unzulässig. Sie legt die geltend gemachten Re-
visionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache
(§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3
VwGO) nicht in einer Weise dar, die den Anforderungen des § 133 Abs. 3
Satz 3 VwGO genügt.
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Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssa-
che setzt voraus, dass eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche
Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufgeworfen wird, die im Interesse der Ein-
heit oder Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Die Dar-
legungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangen die Bezeich-
nung einer konkreten Rechtsfrage, der in einem Revisionsverfahren entschei-
dungserhebliche Bedeutung zukommen würde, sowie einen Hinweis auf den
Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll.
Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsent-
scheidung zur Klärung einer bisher höchstrichterlich noch nicht beantworteten
fallübergreifenden Rechtsfrage führen kann. Diesen Anforderungen genügt die
Beschwerdebegründung nicht.
Die Beschwerde selbst bezeichnet keine konkrete Rechtsfrage, die höchstrich-
terlicher Klärung bedürfte. Eine derartige Frage lässt sich dem Beschwerdevor-
bringen auch sonst nicht entnehmen. Der Sache nach geht es der Beschwerde
- in der Art einer Berufungsbegründung und mit langen allgemeinen Ausführun-
gen zur Lebensplanung von Asylbewerbern - darum, dass im Hinblick auf die
(unangemessen) lange Dauer der Asyl- bzw. Asylfolgeverfahren der Kläger,
türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, ein Verstoß insbe-
sondere gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK festgestellt wird. Die Beschwerde macht
geltend, die Rechtssache habe „aufgrund des Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1
Satz 1 EMRK“ grundsätzliche Bedeutung; hierbei sei es nicht von Belang, dass
ein Asylbewerber die Möglichkeiten der behördlichen und gerichtlichen Verfol-
gung seiner Interessen, als Asylberechtigter anerkannt zu werden, tatsächlich
ausschöpfe und sich das Verfahren daher bis zu seinem Abschluss übermäßig
in die Länge ziehe; ob ein asylrechtliches Verfahren denselben Maßstäben un-
terliege wie ein Verfahren, in dem es um zivilrechtliche Ansprüche im Sinne des
Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK gehe, sei höchstrichterlich bisher noch nicht ent-
schieden worden.
Die Beschwerde übersieht dabei, dass Art. 6 Abs. 1 EMRK nach ständiger
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in asyl- und ausländerrechtli-
chen Verfahren wie dem der Kläger keine Anwendung findet (vgl. etwa Urteil
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vom 14. März 2002 - BVerwG 1 C 15.01 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 58
m.w.N.). Dies hat der Senat auch schon in einem Verfahren entschieden, an
dem die Prozessbevollmächtigte der Kläger beteiligt war (Beschluss vom
8. Dezember 2005 - BVerwG 1 B 37.05 -). Ein Rechtsstreit über die Abschie-
bung eines Ausländers ist auch nach der Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte nicht als Streitigkeit in Bezug auf „zivilrechtli-
che Ansprüche und Verpflichtungen“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK anzuse-
hen (vgl. EGMR, Große Kammer, Urteil vom 5. Oktober 2000 - Nr. 39652/98 -
Maaouia - InfAuslR 2001, 109 ; Urteil vom 12. Juli 2001
- Nr. 44759/98 - Ferrazzini - NJW 2002, 3453; Urteil vom 16. September 2004
- Nr. 11103/03 - Ghiban - NVwZ 2005, 1046; vgl. auch Meyer-Ladewig, EMRK,
1. Aufl. 2003, Art. 6 Rn. 9).
Soweit die Beschwerde die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG an-
spricht, macht sie nicht ersichtlich, welche Fragen hierzu in der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts noch un-
geklärt sind und inwiefern es anlässlich des Entscheidungsfalles weitergehen-
den oder neuen rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf geben könnte. Dass hin-
sichtlich Art. 19 Abs. 4 GG ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2
Nr. 3 VwGO vorliegen soll, wird mit dem Beschwerdevorbringen weder aus-
drücklich geltend gemacht noch schlüssig bezeichnet. Zwar folgt aus der Ga-
rantie effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG auch, dass Rechts-
schutz innerhalb angemessener Zeit zu gewähren ist. Bei Prüfung der Ange-
messenheit der Verfahrensdauer ist aber neben den durch die Verfahrensdauer
etwa bedingten Nachteilen vor allem auch zu berücksichtigen, inwieweit der
Betroffene durch Betreiben seiner Rechtssache oder auf sonstige Weise auf
eine kürzere Verfahrensdauer tatsächlich hingewirkt hat (vgl. BVerfG, Be-
schluss vom 19. Juli 2001 - 2 BvR 2078/00 - juris). Die Beschwerde legt nicht
dar, dass die Kläger im bisherigen Verfahren auf eine möglichst zügige Bear-
beitung gedrängt haben. Sie geht insbesondere auch nicht auf die Besonder-
heiten des vorliegenden Verfahrens ein, das durch mindestens drei, nach An-
gaben der Beschwerde noch weiterer Asylfolgeanträge und zweier Ausreisen
des Klägers zu 6 geprägt ist, der Vater der Klägerinnen zu 2 bis 5 ist, die eige-
ne Verfolgungsgründe nicht geltend gemacht haben. Sie zeigt auch nicht sub-
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stanziiert auf, welche gewichtigen Nachteile den Klägern durch die Verfahrens-
dauer entstanden sind. So übergeht sie zum einen, dass die Kläger aufgrund
des mit einem Asylantrag verbundenen vorläufigen Aufenthaltsstatus in dem
fraglichen Zeitraum rechtlich und tatsächlich Schutz vor einer behaupteten von
ihnen befürchteten Verfolgung erhalten haben. Sie verkennt zum anderen, dass
auch eine zeitnähere Entscheidung im Berufungsverfahren, wenn sie denn zu-
gunsten der Kläger ausgefallen wäre, diesen keine unentziehbare Rechtsposi-
tion verschafft hätte (vgl. § 73 AsylVfG). Ebenso fehlt es an einem schlüssigen
Vortrag im Beschwerdeverfahren dazu, dass den Klägern bis zu einem be-
stimmten früheren Zeitpunkt, zu dem über die Sache spätestens hätte ent-
schieden werden müssen, ein Anspruch auf Anerkennung zugestanden hätte.
Auch soweit sich die Beschwerde auf die Verfahrensfehler der Verletzung der
richterlichen Hinweispflicht, der Sachaufklärungspflicht und des Anspruchs auf
Gewährung rechtlichen Gehörs stützt (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 86
Abs. 1 und 3 VwGO sowie Art. 103 Abs. 1 GG), entspricht sie nicht den Darle-
gungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Die Beschwerde beruft
sich auf Verfahrensfehler, die nicht dem Berufungsgericht, sondern dem Ver-
waltungsgericht unterlaufen sein sollen. Das Verwaltungsgericht hätte darauf
drängen müssen, dass bestimmte Bescheinigungen bzw. eidesstattliche Versi-
cherungen, auf die sich die Kläger bezogen hatten, die von ihnen aber offenbar
versehentlich nicht vorgelegt worden waren, nachgereicht werden. Dann hätte
das Berufungsgericht den Klägern nicht die Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG entge-
genhalten können. Ungeachtet der Frage, ob mit diesem Vorbringen beachtli-
che Verfahrensmängel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO bezeichnet sind,
übergeht die Beschwerde in diesem Zusammenhang den Umstand, dass die
Entscheidung des Berufungsgerichts nicht auf den behaupteten Mängeln beru-
hen kann. Denn das Berufungsgericht hat seine Entscheidung nicht nur auf die
Versäumung der Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG gestützt, sondern sich zusätzlich
mit den fraglichen, im Berufungsverfahren nachgereichten Bescheinigungen
und eidesstattlichen Versicherungen inhaltlich auseinandergesetzt und seine
Entscheidung selbständig tragend damit begründet, dass auch unter Berück-
sichtigung dieser Dokumente den Klägern bei einer Rückkehr in die Türkei nicht
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mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweite Verfolgung drohe (UA S. 11,
13 und 14 f.).
Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2
Halbs. 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden
gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus
§ 30 RVG.
Eckertz-Höfer Richter Beck
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