Urteil des BVerwG vom 25.08.2008

BVerwG: wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, lsi, holocaust, gefahr im verzug, verfügung, vollziehung, anhörung, lüge, erlass, beschlagnahme

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 VR 2.08
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 25. August 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. Bardenhewer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hahn
und Vormeier
beschlossen:
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wir-
kung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid
des Bundesministeriums des Innern vom 18. April 2008
wird abgelehnt.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird
verworfen.
Der Antrag des Antragstellers, ihm für das vorliegende
Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes Prozesskosten-
hilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen,
wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 16 500 € fest-
gesetzt.
G r ü n d e :
I
Das Bundesministerium des Innern stellte durch Verfügung vom 18. April 2008
fest, dass der Antragsteller sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richte
und nach Zweck und Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufe. Er wurde verbo-
ten und aufgelöst. Ferner wurden die Bildung von Ersatzorganisationen und die
Fortführung bestehender Organisationen als Ersatzorganisationen sowie die
Verwendung von Kennzeichen für die Dauer der Vollziehbarkeit des Verbots
verboten und das Vermögen des Antragstellers beschlagnahmt und eingezo-
gen. Mit Ausnahme der Einziehungsanordnung wurde die Verfügung für sofort
vollziehbar erklärt. Das Vereinsverbot wurde im Wesentlichen wie folgt begrün-
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det: Zweck und Tätigkeiten des Antragstellers würden den Strafgesetzen zuwi-
derlaufen. Der satzungsmäßige Vereinszweck „Bildungsarbeit“ bestehe tatsäch-
lich in der nach § 130 Abs. 3 und 5 StGB strafbaren Verbreitung revisionisti-
scher, den Holocaust leugnender Propaganda. Die insoweit von der Vorsitzen-
den und anderen Mitgliedern des Antragstellers durch Veröffentlichung von Bei-
trägen in der Vereinszeitschrift „Lebensschutz-Informationen - LSI“ begangenen
Straftaten seien dem Verein zuzurechnen und prägend für seinen Charakter.
Darüber hinaus richte der Antragsteller sich gegen die verfassungsmäßige
Ordnung.
Der Antragsteller hat Anfechtungsklage erhoben. Zudem begehrt er die Wie-
derherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage, „hilfsweise“ den Erlass
einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, dass von der Beschlagnahme des
Vereinsvermögens der zur Deckung der Kosten des vorliegenden Verfahrens
erforderliche Betrag ausgenommen wird, sowie „weiter hilfsweise“ die Bewilli-
gung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtig-
ten. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor: Die Voraussetzungen für ein
Vereinsverbot seien nicht erfüllt. Er richte sich nicht gegen die verfassungsmä-
ßige Ordnung. Der Verbotsgrund der Strafgesetzwidrigkeit sei ebenfalls nicht
erfüllt. Den wegen Volksverhetzung strafgerichtlich verurteilten Vereinsmitglie-
dern gehe es nicht um die Leugnung oder Verharmlosung nationalsozialisti-
scher Verbrechen, sondern um eine aus ihrer Sicht notwendige Richtigstellung
historischer Tatsachen.
Die Antragsgegnerin tritt dem Begehren entgegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Ge-
richts- und Behördenakten Bezug genommen.
II
1. Der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO zulässige An-
trag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist unbe-
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gründet. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Verfü-
gung ist in formeller (a) und materieller (b) Hinsicht nicht zu beanstanden.
a) Die Antragsgegnerin hat das besondere Interesse an der sofortigen Vollzie-
hung der Verbotsverfügung schriftlich hinreichend begründet (§ 80 Abs. 3 Satz
1 VwGO). Sie hat zum einen auf das besondere Gewicht der bei einer zu er-
wartenden Fortsetzung der Vereinstätigkeit bedrohten Rechtsgüter abgestellt.
Zum anderen hat sie auf die Gefahr verwiesen, dass Vermögensgegenstände,
nicht veröffentlichte Unterlagen, Propagandamaterial und dergleichen, die
Grundlage der Vereinstätigkeit seien, beiseite geschafft und später zur Fortset-
zung derselben verfassungswidrigen Tätigkeit verwendet werden würden. Die
verfassungswidrigen Zwecke der Vereinstätigkeit werden in der Verfügung um-
fassend dargelegt. Damit ist dem formellen Begründungserfordernis genügt.
b) Der Antrag hat auch in der Sache keinen Erfolg, weil das öffentliche Interes-
se an der sofortigen Vollziehung der Verbotsverfügung das Interesse des An-
tragstellers an der Aussetzung der Vollziehung überwiegt. Dies folgt insbeson-
dere daraus, dass die Klage voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird (stRspr;
vgl. z.B. Beschlüsse vom 21. April 1995 - BVerwG 1 VR 9.94 - Buchholz 402.45
VereinsG Nr. 21 S. 41 und vom 10. Januar 2003 - BVerwG 6 VR 13.02 - Buch-
holz 402.45 VereinsG Nr. 38 S. 61). Nach gegenwärtigem Sach- und
Streitstand spricht Überwiegendes dafür, dass die Verbotsverfügung in § 3 Abs.
1 Satz 1 des Gesetzes zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts (Vereins-
gesetz) - VereinsG - vom 5. August 1964 (BGBl I S. 593), zuletzt geändert
durch Gesetz vom 21. Dezember 2007 (BGBl I S. 3198), i.V.m. Art. 9 Abs. 2
GG ihre rechtliche Grundlage findet und den Antragsteller nicht in seinen Rech-
ten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
aa) Einer Anhörung des Antragstellers vor Erlass der Verfügung im Sinne von
§ 28 Abs. 1 VwVfG bedurfte es nicht. Nach § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG kann von
der Anhörung abgesehen werden, wenn nach den Umständen des Einzelfalls
eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Inte-
resse notwendig erscheint. Es genügt, dass die Behörde unter diesen Ge-
sichtspunkten eine sofortige Entscheidung für notwendig halten durfte (vgl. Be-
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schluss vom 10. Januar 2003 a.a.O. S. 61). Das war hier der Fall. Die Antrags-
gegnerin hat nach ihren Ausführungen in der Verbotsverfügung von einer Anhö-
rung des Antragstellers deshalb abgesehen, um ihm im Hinblick auf den mit
einer Anhörung verbundenen „Ankündigungseffekt“ keine Gelegenheit zu bie-
ten, seine Infrastruktur und sein Vermögen dem behördlichen Zugriff zu entzie-
hen. Diese Befürchtung ist nach den Umständen nicht zu beanstanden. Das
Bestreben, der Verbotsverfügung auf diese Weise größtmögliche Wirksamkeit
zu geben, rechtfertigt danach ein Absehen von der Anhörung. Dem steht im
vorliegenden Fall nicht entgegen, dass das Verbot des Antragstellers vor Erlass
der streitigen Verfügung Gegenstand der öffentlichen Erörterung war (vgl.
BTDrucks 16/8214, 16/8497 und 16/9230). Diese hatte nicht den gleichen „An-
kündigungseffekt“ wie die Anhörung im Rahmen eines konkreten Verwaltungs-
verfahrens.
bb) Die angefochtene Verbotsverfügung erweist sich bei summarischer Prüfung
auch in der Sache als rechtmäßig.
Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 GG ist ein Verein u.a.
dann verboten, wenn seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zu-
widerlaufen. Dabei ist nach der Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 1 VereinsG
ein Verein ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung, zu der sich
eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem
gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten
Willensbildung unterworfen hat. Dass der Antragsteller diese Begriffsmerkmale
erfüllt, ist unstreitig und bedarf keiner näheren Darlegung. Nach vorläufiger
Würdigung geht die Antragsgegnerin auch zu Recht davon aus, dass der
Zweck und die Tätigkeit des Antragstellers den Strafgesetzen zuwiderlaufen.
Der strafgesetzwidrige Zweck und die strafgesetzwidrige Tätigkeit einer Verei-
nigung ergeben sich aus den Absichten und Verhaltensweisen ihrer Mitglieder.
Denn eine Vereinigung ist als solche nicht straffähig. Strafgesetzwidrigkeit einer
Vereinigung ist gleichwohl rechtlich möglich, weil diese durch ihre Mitglieder
und die sie repräsentierenden Vereinsorgane einen vom einzelnen Mitglied los-
gelösten Gruppenwillen bilden und insofern eine eigene Zweckrichtung festle-
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gen sowie selbständig handeln kann. Ergibt sich aus dieser eigenen Zweckrich-
tung oder dem selbständigen Handeln einer Vereinigung ein Verstoß gegen
Strafgesetze, so ist der Verbotstatbestand erfüllt. Entscheidend ist in diesem
Zusammenhang, dass das Verhalten der Mitglieder der Vereinigung zugerech-
net werden kann. Eine durch die Mitglieder verwirklichte Strafgesetzwidrigkeit
muss den Charakter der Vereinigung prägen. Eine Vereinigung kann gleichzei-
tig verschiedene Zwecke, insbesondere neben dem satzungsmäßig ausgewie-
senen legalen Zweck auch strafrechtsrelevante Ziele anstreben und durch das
Verhalten ihrer Mitglieder verwirklichen. In diesem Falle ist es zur Erfüllung des
Verbotstatbestands nicht erforderlich, dass die Strafgesetzwidrigkeit den
Hauptzweck oder die Haupttätigkeit der Vereinigung ausmacht. Ebenso wenig
muss eine Strafgesetzwidrigkeit auf Dauer bestehen. Es genügt vielmehr, wenn
eine Vereinigung erst im Laufe der Zeit strafgesetzwidrig wird oder die Strafge-
setzwidrigkeit zeitlich begrenzt (vgl. zum Vorstehenden Urteil vom 18. Oktober
1988 - BVerwG 1 A 89.83 - BVerwGE 80, 299 <306 f.> = Buchholz 402.45
VereinsG Nr. 13 S. 23). Danach ist die Strafgesetzwidrigkeit einer Vereinigung
auch anzunehmen, wenn strafbares Verhalten von Mitgliedern der Vereinigung
dieser zuzurechnen ist und erkennbar Ausdruck des Selbstverständnisses des
Vereins ist. Gemessen an den vorstehenden Kriterien laufen der Zweck und die
Tätigkeit des Antragstellers den Strafgesetzen zuwider.
(1) Die Strafrechtswidrigkeit ergibt sich allerdings nicht schon aus der Satzung
des Antragstellers. Nach § 2 der Satzung ist der Antragsteller „eine Einrichtung
des freien Geisteslebens mit dem Schwerpunkt der Bildung im umfassenden
Sinn“. Der Antragsteller „möchte sich mit seiner Bildungsarbeit als Orientie-
rungshilfe insbesondere an junge Menschen wenden“. Dieser Zielsetzung ist
eine Strafrechtswidrigkeit nicht zu entnehmen. Die Ziele einer Vereinigung las-
sen sich aber in der Regel weniger ihrer Satzung und ihrem Programm, son-
dern eher ihrem Auftreten in der Öffentlichkeit, ihren Publikationen sowie den
Äußerungen und der Grundeinstellung ihrer Funktionsträger entnehmen (vgl.
Urteil vom 13. April 1999 - BVerwG 1 A 3.94 - Buchholz 402.45 VereinsG
Nr. 30 S. 4 m.w.N.). Deshalb ist dem Umstand, dass die Satzung keinen Hin-
weis auf eine Strafrechtswidrigkeit enthält, im vorliegenden Zusammenhang
keine Bedeutung beizumessen.
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(2) Der Charakter des Antragstellers ist jedoch nach dem vom Antragsgegner
ermittelten Sachverhalt durch die strafbare Leugnung oder Verharmlosung der
systematischen Ermordung Millionen von Juden unter der nationalsozialisti-
schen Herrschaft geprägt. Die entsprechenden von Mitgliedern begangenen
Straftaten sind ersichtlich Ausdruck des Selbstverständnisses des Antragstel-
lers.
(a) Mehrere Mitglieder des Antragstellers sind wegen Volksverhetzung (§ 130
Abs. 3 StGB) strafrechtlich in Erscheinung getreten. Durch Urteil des Amtsge-
richts Bad Oeynhausen vom 18. Juni 2004 wurden die Vorsitzende des An-
tragstellers U. H.-W. und das Mitglied des Antragstellers E.-O. C. rechtskräftig
zu Geldstrafen verurteilt. Die Verurteilung beruhte darauf, dass die Angeklagten
sich der Volksverhetzung in zwei Fällen dadurch schuldig gemacht haben, dass
sie Schriften verbreitet bzw. zum Zwecke ihrer Verbreitung hergestellt haben,
durch deren Inhalt die Vernichtung der Juden unter dem Nationalsozialismus in
einer gegen § 130 Abs. 3 StGB verstoßenden Weise geleugnet wurde. Ge-
genstand der Verurteilung waren zwei von der Vorsitzenden des Antragstellers
verfasste und in den Nummern 5/2003 und 6/2003 der Zeitschrift „Lebens-
schutz-Informationen - LSI - Stimme des Gewissens“ (LSI) erschienen Artikel.
Die Zeitschrift wird - wovon die Beteiligten übereinstimmend ausgehen - von
dem Antragsteller herausgegeben. E.-O. C. war zum damaligen Zeitpunkt
Schriftleiter der Zeitschrift. In den zur Grundlage der Verurteilungen gemachten
Artikeln legte die Vorsitzende des Antragstellers u.a. dar: „Den staatlicherseits
wissenschaftlich vorgeplanten Holocaust wie bisher behauptet gab es nicht“.
Mit Blick auf die gegen Juden gerichteten Pogrome am 9. und 10. November
1938 führte sie aus: „Es war der Beginn der großen Lüge, die endgültig zu Fall
zu bringen Anliegen unseres Vereins sein wird: Der Ausschwitz-Lüge …“. In
dem Urteil wird überzeugend aufgezeigt, dass die Ausführungen in den in Rede
stehenden Artikeln in Verbindung mit den Einlassungen der Angeklagten an-
lässlich der Hauptverhandlung nur dahin ausgelegt werden können, dass der
Holocaust an sich geleugnet werden soll.
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Das Landgericht Dortmund verurteilte die Vorsitzende des Antragstellers mit
rechtskräftigem Urteil vom 11. Juni 2007 wegen Volksverhetzung im Sinne von
§ 130 Abs. 3 StGB. Der Verurteilung lag ein von der Vorsitzenden verfasster
Artikel in der Nummer 6/2005 der LSI zugrunde, in dem u.a. die Wendung „ge-
glaubter Holocaust“ verwendet wird. Das Landgericht weist in der Urteilsbe-
gründung nach, dass diese Formulierung im Zusammenhang mit anderen
Textpassagen und der Einlassung der Angeklagten nur die Deutung zulässt,
dass die Angeklagte den während des Nationalsozialismus verübten Genozid
an den europäischen Juden geleugnet hat.
Das Vereinsmitglied K. K., der in den LSI Nr. 6/2003 von der „Behauptung,
dass wir Deutschen in Auschwitz 4 Millionen Juden durch das Giftgas Zyklon B
ermordet hätten“, als einer „talmudischen Lüge“ und einer „Lüge, die den See-
lenmord am deutschen Volk seit nunmehr fast sechzig Jahren ermöglicht hat“
gesprochen hatte, wurde durch Urteil des Amtsgerichts Bad Oeynhausen vom
11. Januar 2005 rechtskräftig wegen Volksverhetzung im Sinne von § 130 Abs.
3 StGB verurteilt. Das Gericht ist davon ausgegangen, dass durch diese Äuße-
rungen des Angeklagten der Holocaust zumindest verharmlost werden sollte,
indem das wahre Gewicht der an den Juden begangenen Verbrechen ver-
schleiert werden sollte.
Soweit der Antragsteller einwendet, seine Mitglieder hätten geglaubt, ihre Äu-
ßerungen bewegten sich im Bereich des Legalen und die Begehung von Straf-
taten sei nicht „intendiert“ oder beabsichtigt gewesen, kann er damit schon des-
halb nicht gehört werden, weil die Strafgerichte das Vorliegen der subjektiven
Voraussetzungen der Strafbarkeit festgestellt haben. Auch der Vortrag des An-
tragstellers, dass sich seine Mitglieder in den fraglichen Artikeln auf Publikatio-
nen anderer Autoren bezogen hätten, die strafrechtlich nicht belangt worden
seien, stellt die Strafbarkeit ihres Handelns nicht in Frage.
(b) Die strafbaren Handlungen der Vereinsmitglieder sind dem Antragsteller
zuzurechnen und prägen seinen Charakter.
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(aa) Dass die aufgezeigten strafrechtlichen Verfehlungen nicht nur Ausdruck
individuellen Fehlverhaltens waren, sondern dem Antragsteller zuzurechnen
sind, folgt bereits aus dem Umstand, dass die den Strafurteilen zugrunde lie-
genden Äußerungen in der von dem Antragsteller herausgegebenen Vereins-
zeitschrift veröffentlicht wurden. Der Antragsteller hat die strafgesetzwidrige
Tätigkeit seiner Mitglieder nicht nur ermöglicht. Ihm ist auch der Inhalt der Äu-
ßerungen, also die Leugnung oder Verharmlosung des Holocaust, zuzurech-
nen. Wird eine Publikation - wie hier - im Auftrag der Vereinsleitung herausge-
geben, so sind die dort erschienenen Artikel in aller Regel der Vereinigung zu-
zuschreiben. Etwas anderes kommt nur dann in Betracht, wenn es sich - wie
beispielsweise bei Leserbriefen - um ersichtlich individuelle Meinungsäußerun-
gen handelt und die Vereinigung derartige Äußerungen missbilligt oder sich
jedenfalls von ihnen distanziert (vgl. Beschluss vom 21. April 1995 a.a.O. S. 43
und Urteil vom 13. April 1999 a.a.O. S. 4 f.). Bei den Beiträgen, die den straf-
rechtlichen Verurteilungen der Mitglieder des Antragstellers zugrunde liegen,
handelt es sich weder um individuelle Meinungsäußerungen in diesem Sinne,
noch hat der Antragsteller sich von ihrem Inhalt distanziert. Der im Impressum
der LSI enthaltene pauschale Vermerk „Jeder Autor zeichnet für seinen Beitrag
selbst verantwortlich. In einem demokratisch verfassten, eingetragenen Verein
gibt es keinen Zensor“ lässt die Zurechnung nicht entfallen.
Mit Blick auf die Zurechnung der bestraften Äußerungen zum Antragsteller ist
auch von besonderem Gewicht, dass zwei Straftaten von herausgehobenen
Mitgliedern des Antragstellers begangen worden. Die wiederholt straffällige
U. H.-W. ist seit vielen Jahren Vorsitzende des Antragstellers und nimmt in der
Vereinsorganisation und Vereinsarbeit eine herausragende Position ein. Dem
Schriftleiter der Vereinszeitschrift, die für das Selbstverständnis und die Au-
ßendarstellung des Antragstellers zentrale Bedeutung hat, kommt eine maß-
gebliche Rolle im Verein zu.
Schließlich ist im vorliegenden Zusammenhang von erheblicher Bedeutung,
dass die Vorsitzende des Antragstellers in einer der Verurteilung vom 18. Juni
2004 zugrunde liegenden Äußerungen es ausdrücklich als Anliegen des An-
tragstellers bezeichnet hat, der „Auschwitz-Lüge“ den Boden zu entziehen.
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(bb) Die Äußerungen, die zu den strafrechtlichen Verurteilungen der Mitglieder
des Antragstellers geführt haben, fügten sich ein in das Selbstverständnis des
Antragstellers, wie es in zahlreichen anderen ihm zuzurechnenden Beiträgen in
der Vereinszeitschrift seinen Ausdruck findet. Die Leugnung und Verharmlo-
sung der massenhaften Vernichtung der Juden unter dem nationalsozialisti-
schen Regime nimmt in der Publikation breiten Raum ein, so dass sich auf-
drängt, dass das dargestellte strafbare Verhalten den Charakter des An-
tragstellers prägt.
So wird in den LSI Nr. 4/2004 die „Einlassung“ der Vorsitzenden des An-
tragstellers vor dem Amtsgericht Bad Oeynhausen abgedruckt, in der sie es als
Ergebnis wissenschaftlicher Untersuchungen darstellt, dass es „keine Verga-
sungen in Auschwitz“ gegeben habe, und zu der Schlussfolgerung gelangt,
dass der „Holocaust … mit seinen Millionenvergasungen in Auschwitz … nicht
mehr aufrecht zu halten“ sei. In derselben Ausgabe der LSI heißt es, die Verur-
teilung vom 18. Juni 2004 beruhe auf einer Vorschrift, die nicht „mit der ge-
wandelten Informationslage übereinstimmt“. An anderer Stelle werden die we-
gen Volksverhetzung angeklagten Vereinsmitglieder als „Gedankenkrieger für
die Wahrheit“ gewürdigt und ist von der „Holocaustreligion“ die Rede. In den
LSI Nr. 4/2006 wird die „Einlassung“ der Vorsitzenden des Antragstellers vor
dem Landgericht Bielefeld wiedergegeben, in der sie ausführt, es sei ihr un-
möglich, den Holocaust zu leugnen,
„da ich auf Grund des gegenwärtigen Forschungsstandes
erkennen muss, dass ein Holocaust als planmäßig durch-
geführter Völkermord wissenschaftlich umstritten und un-
bewiesen ist ... Forensische Beweise für den Holocaust
gibt es nicht … Es gibt lediglich Zeugenaussagen, die sich
aber alle auf die nicht aufrecht zu erhaltenden Gaskam-
mern beziehen, also Erfindungen oder Lügen sind … In ei-
nem solchen Fall lässt sich nur beweisen, dass der Holo-
caust nicht stattgefunden hat. Und genau dieses haben se-
riöse Historiker und Forscher … getan.“
In ihrem ebenfalls in den LSI Nr. 4/2006 veröffentlichten „Schlusswort“ vor dem
Landgericht Bielefeld werden die „Leidensberichte“ von Holocaust-Überle-
benden deren „blühende(r) Phantasie“ zugeschrieben. In den LSI Nr. 1/2007
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behauptet die Vorsitzende des Antragstellers, die „Vergasung von 4 Millionen
Juden in Auschwitz durch die Deutschen“ sei „keine Tatsache“, und „die Nicht-
tatsache der Millionenvergasung“ bedürfe „ - da offenkundig - … keines Bewei-
ses.“ In einem von ihr verfassten Rollenspiel lässt sie eine in erkennbar ironi-
scher Absicht „Amalia Hinterwäldlerin“ genannte Figur beteuern (LSI
Nr. 1/2006):
„Aber ich habe doch gar nichts geleugnet. Es heißt in die-
sem Paragraphen, es ist strafbar, von den National-
sozialisten begangene Straftaten zu leugnen … Ich bin
aber der Ansicht, dass diese Straftat Holocaust von den
Nationalsozialisten gar nicht begangen worden ist.“
Abhandlungen anderer Autoren in den LSI weisen in dieselbe Richtung. So
werden in dem Artikel „Die Gedenkbücher (1. und 2. Auflage) der Bundesregie-
rung über die Opfer der Judenverfolgung im Deutschen Reich von 1933 - 1945“
in den LSI Nr. 5/2007 die nationalsozialistischen Verbrechen an der jüdischen
Bevölkerung mit den Worten in Abrede gestellt:
„Berücksichtigt man all diese Faktoren, dann dürften in den
Jahren 1933 bis 1945 nur wenige Juden über die natürli-
che Todeszahl von 128.619 hinaus ihr Leben verloren ha-
ben … Es verschweigt die Rückführungen kurz vor Kriegs-
ende und auch die von den deutschen Behörden bis
Kriegsende auf jede denkbare Weise geförderte Auswan-
derung sowie die Flucht von Juden … Nach den in den
Gedenkbüchern veröffentlichten Zahlen kann es keine sys-
tematische Vernichtung der deutschen Juden gegeben
haben.“
Bei einer Würdigung aller aufgezeigten Umstände in ihrer Gesamtheit ergibt
sich, dass die durch die Mitglieder verwirklichte Strafgesetzwidrigkeit den Cha-
rakter des Antragstellers prägt. Die verhältnismäßig geringe Zahl der gegen
seine Mitglieder ergangenen Verurteilungen steht dem nicht entgegen. Die Fül-
le der dem Thema der Holocaustleugnung und -verharmlosung in der Vereins-
zeitschrift gewidmeten Artikel und der breite Raum, der darin der Berichterstat-
tung über die Strafprozesse gegen seine Mitglieder eingeräumt wird, belegen
die Identifizierung des Antragstellers mit den zitierten Äußerungen seiner Mit-
glieder. Dies kommt in besonderer Weise auch dadurch zum Ausdruck, dass
die bestraften Äußerungen auch von der Vereinsvorsitzenden stammen. Ist der
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Verbotstatbestand der Strafgesetzwidrigkeit demnach erfüllt, kommt es nicht
mehr darauf an, ob der Antragsteller - wie in der angefochtenen Verfügung
wohl zu Recht angenommen wird - eine Wesensverwandtschaft mit dem Nati-
onalsozialismus aufweist und sich daher auch gegen die verfassungsmäßige
Ordnung richtet.
(3) Die Verbotsverfügung weist nach summarischer Prüfung auch sonst keine
rechtlichen Mängel auf. Insbesondere wahrt sie den Grundsatz der Verhältnis-
mäßigkeit. Die weiteren in der Verfügung getroffenen und mit der Anordnung
der sofortigen Vollziehung versehenen Regelungen (Auflösung, Verbot der Bil-
dung von Ersatzorganisationen, Kennzeichenverbot, Beschlagnahme des Ver-
einsvermögens) finden ihre Rechtsgrundlage in § 3 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 und
Satz 2 Nr. 1, § 8 Abs. 1 und § 9 Abs. 1 Satz 1 VereinsG. Die Klage des An-
tragstellers wird auch insoweit voraussichtlich keinen Erfolg haben.
cc) Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist auch nicht
aufgrund einer weiteren Abwägung der widerstreitenden Interessen der Betei-
ligten geboten. Die mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung für den An-
tragsteller verbundene Beschränkung, seine Vereinstätigkeit bis zur Entschei-
dung der Hauptsache nicht fortsetzen zu dürfen, hat besonderes Gewicht. Die-
sem Nachteil stehen die Gefahren gegenüber, die für die Allgemeinheit bei
Fortsetzung der Vereinstätigkeit bestehen, wenn sich im gerichtlichen Hauptsa-
cheverfahren die in der Verbotsverfügung getroffene Einschätzung als zutref-
fend erweist, dass der Antragsteller nach Zweck und Tätigkeit den Strafgeset-
zen zuwiderläuft. Diese Gefahren sind höher zu gewichten als die für den An-
tragsteller mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung einhergehenden Be-
lastungen. Sie rechtfertigen auch die Annahme der besonderen Dringlichkeit
der Vollziehung der Verfügung.
2. Der hilfsweise gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
nach § 123 Abs. 1 VwGO mit dem Inhalt, dass von der Beschlagnahme des
Vereinsvermögens der zur Deckung der Verfahrenskosten erforderliche Betrag
ausgenommen wird, ist unzulässig, weil dem Antragsteller insoweit das Rechts-
schutzbedürfnis fehlt.
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Die Beschlagnahme und die (nicht für sofort vollziehbar erklärte) Einziehung
seines Vereinsvermögens hindern den Antragsteller nicht daran, aus diesem
Vermögen die Kosten der Prozessführung aufzubringen (vgl. Beschlüsse vom
27. März 2003 - BVerwG 6 PKH 8.02 <6 A 10.02/6 VR 10.02> - BA S. 2 und
vom 1. August 2005 - BVerwG 6 PKH 3.05 <6 A 1.05> - BA S. 2). Das be-
schlagnahmte und eingezogene Vermögen ist Gegenstand der Abwicklung
nach § 11 Abs. 2 Satz 4 i.V.m. § 13 VereinsG. Die dem Verein nach dem Ver-
bot durch die Inanspruchnahme von Rechtsbehelfen entstandenen Prozess-
kosten gelten für den Fall eines Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkei-
ten (§ 13 Abs. 3 Satz 3 VereinsG), die gemäß § 53 InsO aus der Insolvenz-
masse vorweg zu berichtigen sind. Der Antragsteller kann zudem bereits vor
einer endgültigen Vermögensfeststellung, die erst im Rahmen der Abwicklung
erfolgt, verlangen, dass ihm die zur Rechtsverfolgung, namentlich für einen sei-
nem Prozessbevollmächtigten zustehenden Vorschuss (§ 9 RVG), erforderli-
chen Beträge zur Verfügung gestellt werden. Dies folgt aus § 13 Abs. 1 Satz 2
VereinsG, demzufolge die Befriedigung von Gläubigern, die im Falle des Insol-
venzverfahrens Insolvenzgläubiger wären (§ 38 InsO), soweit nicht eine
Rechtsverordnung etwas anderes bestimmt (vgl. § 16 VereinsG-DVO), erst zu-
lässig ist, wenn die Verwertung des eingezogenen Vermögens eine zur Befrie-
digung aller Gläubiger ausreichende bare Masse ergeben hat. Die Beschrän-
kungen, denen die vorzeitige Befriedigung von Insolvenzverbindlichkeiten un-
terliegt, gelten, wie ein Umkehrschluss ergibt, nicht für Masseverbindlichkeiten
(vgl. Schnorr, Öffentliches Vereinsrecht, 1965, § 13 Rn. 4, für die frühere, auf
die Konkursordnung bezogene, insoweit aber vergleichbare Fassung). Umstän-
de, die es dem Antragsteller unmöglich machen könnten, auf das beschlag-
nahmte Vermögen zur prozessualen Wahrung seiner Rechte zurückzugreifen,
sind nicht ersichtlich. Auch der Antragsteller hat nicht geltend gemacht, dass
ihm die Antragsgegnerin insoweit den Zugriff auf das beschlagnahmte Vermö-
gen verwehren würde.
3. Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe sowie
Beiordnung eines Rechtsanwalts ist jedenfalls mangels hinreichender Er-
folgsaussicht abzulehnen, weil das Begehren auf Gewährung vorläufigen
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Rechtsschutzes aus den vorstehenden Gründen keinen Erfolg hat (§ 166
VwGO i.V.m. § 114 Satz 1, § 121 Abs. 1 ZPO).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung
des Wertes des Streitgegenstandes auf § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1 i.V.m.
§ 45 Abs. 1 GKG.
Dr. Bardenhewer Dr. Hahn Vormeier
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