Urteil des BVerwG vom 01.10.2008

BVerwG (krankenversicherung, krankenkasse, freiwillig, bundesverwaltungsgericht, höhe, teil, gruppe, umstand, folge, beihilfe)

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 2 B 2.09
VGH 4 S 1802/05
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. Dezember 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Maidowski
beschlossen:
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Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in die versäumte Frist
zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde gewährt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs
Baden-Württemberg vom 1. Oktober 2008 wird zurückge-
wiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 147,76 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Dem Kläger war die beantragte Wiedereinsetzung zu gewähren, weil er glaub-
haft gemacht hat, dass sein Prozessbevollmächtigter die Frist zur Begründung
der Nichtzulassungsbeschwerde ohne Verschulden versäumt hat.
Die auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Be-
schwerde ist unbegründet.
Der Kläger ist Ruhestandsbeamter und begehrt weitere Beihilfeleistungen auf
der Grundlage eines Bemessungssatzes von 100 % statt von 70 %. Er war zu-
nächst Angestellter und bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand Beamter im
Dienst der Beklagten. Er bezieht eine Berufsunfähigkeitsrente und ist Pflicht-
mitglied in der Krankenversicherung der Rentner, wo er sich für eine Teilnahme
am Kostenerstattungsverfahren entschieden hat. Die Rentenkasse trägt einen
Teil seines Krankenversicherungsbeitrags. Das Klageverfahren blieb erfolglos.
Das Berufungsgericht hat den niedrigeren Bemessungssatz für Beihilfeleistun-
gen bei Pflichtversicherten in der gesetzlichen Krankenkasse sowie den vom
Kläger ebenfalls beanstandeten Ausschluss der Beihilfefähigkeit von Sach- und
Dienstleistungen für rechtmäßig erachtet.
Der Kläger hält die Rechtssache für grundsätzlich bedeutsam im Sinne von
§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, weil er die Gruppe der in der gesetzlichen Kranken-
versicherung Pflichtversicherten gegenüber den freiwillig gesetzlich oder privat
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krankenversicherten Beamten gleichheitswidrig sowie unter Verstoß gegen
Art. 33 Abs. 5 und Art. 14 Abs. 1 GG benachteiligt sieht, wenn der Bemes-
sungssatz für sie nicht 100 %, sondern nur 70 % beträgt, und wenn Sach- und
Dienstleistungen von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen werden. Er ist der
Auffassung, Zuschüsse der Rentenversicherung zu den Beiträgen für die ge-
setzliche Krankenversicherung stünden einer Erhöhung des Beihilfesatzes auf
100 % nicht entgegen, weil die Rentenzahlungen auf den zuvor geleisteten Bei-
trägen des Versicherten beruhten und deshalb als Eigenleistungen den Schutz
des Art. 14 Abs. 1 GG genössen.
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO),
wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des
revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen
Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung
oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt
werden muss (Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE
13, 90 <91> = Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 18 S. 21 f.). Diese Vorausset-
zungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Rechtsfrage im Revisi-
onsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist oder auf Grund
des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung
und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung
eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann.
Die vom Kläger aufgeworfenen Fragen verleihen der Rechtssache keine grund-
sätzliche Bedeutung in diesem Sinne. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die
Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung schon deshalb aus-
scheidet, weil es sich bei den Beihilfevorschriften um auslaufendes Recht han-
delt, das nur noch für eine Übergangszeit anzuwenden ist (Urteil vom 17. Juni
2004 - BVerwG 2 C 50.02 - BVerwGE 121, 103 <105 ff.> = Buchholz 232 § 79
BBG Nr. 123). Denn die vom Kläger aufgeworfenen Fragen führen nicht zur
Zulassung der Revision, weil sie in der Rechtsprechung des Senats bereits ge-
klärt sind bzw. auf der Grundlage dieser Rechtsprechung ohne Weiteres be-
antwortet werden können.
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1. Die Frage, ob der Ausschluss der Beihilfefähigkeit von Aufwendungen, die
dadurch entstehen, dass der in der gesetzlichen Krankenkasse Pflichtversicher-
te an Stelle der möglichen Dienst- oder Sachleistungen eine Kostenerstattung
gewählt und erhalten hat (§ 5 Abs. 4 Nr. 1 b, Nr. 8 BhV), gegen Art. 33 Abs. 5,
Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, kann auf der Grundlage der Senatsrechtsprechung
ohne Weiteres beantwortet werden. Der Senat hat durch Urteil vom 15. De-
zember 2005 - BVerwG 2 C 35.04 - (BVerwGE 125, 21 Rn. 32 ff. = Buchholz
270 § 5 BhV Nr. 17, vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 13. Februar
2008 - 2 BvR 613/06 - ZBR 2008, 318) entschieden, es verletze das Recht der
gesetzlich krankenversicherten Beamten auf Gleichbehandlung gemäß Art. 3
Abs. 1 GG nicht, dass ihre Zuzahlungen, Kostenanteile sowie Aufwendungen
für von der Krankenversorgung ausgeschlossene Arznei-, Hilfs- und Heilmittel
gemäß § 5 Abs. 4 Nr. 2 BhV von der Beihilfe ausgeschlossen seien. Die beihil-
ferechtliche Schlechterstellung gegenüber den Beamten mit einer beihilfekon-
formen privaten Krankenversicherung sei Folge der bewussten Entscheidung
des Beamten für die gesetzliche Krankenversicherung. Daher müssten Nachtei-
le hingenommen werden, die sich aus den grundlegenden strukturellen Unter-
schieden der Sicherungssysteme „gesetzliche Krankenversicherung“ und „pri-
vate Eigenvorsorge mit ergänzender Beihilfe des Dienstherrn“ ergeben.
Der Senat hat weiter ausgeführt, die beiden Sicherungssysteme unterschieden
sich im Hinblick auf die Finanzierung, die Leistungsvoraussetzungen, das Leis-
tungsspektrum und die Leistungsformen. Bei der gesetzlichen Krankenversi-
cherung bestehe keine Entsprechung von Beitrags- und Leistungshöhe nach
versicherungsmathematischen Grundsätzen. Die Leistungen seien einheitlich
auf volle Absicherung für den Krankheitsfall angelegt. Die Beiträge würden soli-
darisch finanziert und richteten sich ausschließlich nach dem Einkommen des
jeweiligen Versicherungspflichtigen, ohne die zu erbringenden Leistungen und
das individuelle Risiko zu berücksichtigen.
Beamte könnten im Regelfall nicht an der gesetzlichen Krankenversicherung
teilnehmen. Daher träfen sie die bei der Beihilfegewährung vorausgesetzte Ei-
genvorsorge zumeist durch den Abschluss einer privaten Krankenversicherung,
die auf dem reinen Versicherungsprinzip beruhe. Hätten sie von der ihnen aus-
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nahmsweise eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht, sich gesetzlich zu ver-
sichern, so müssten sie sich an dieser Systementscheidung hinsichtlich der
damit verbundenen Vor- und Nachteile festhalten lassen. So müssten sie in
Kauf nehmen, dass krankheitsbedingte Aufwendungen nach den jeweiligen
Systembedingungen nicht vollständig gedeckt würden. Auch die durch Art. 33
Abs. 5 GG gewährleistete Fürsorgepflicht des Dienstherrn führe zu keinem an-
deren Ergebnis, weil Ansprüche gegen einen Sozialleistungsträger vorrangig
seien und die nach Kostenerstattung verbliebene Belastung des Beamten den
Wesenskern der Fürsorge nicht berühre. Entscheidend sei, dass die Amtsan-
gemessenheit der Alimentation gewährleistet sei (vgl. auch Urteil vom 3. Juli
2003 - BVerwG 2 C 36.02 - BVerwGE 118, 277 <280 ff.> = Buchholz 237.6
§ 87c NdsLBG Nr. 1 S. 3).
Diese rechtliche Beurteilung beansprucht auch für die aufgeworfene Frage ei-
ner Leistungseinschränkung Geltung, die Folge der Entscheidung des Beamten
für das Kostenerstattungsverfahren im Rahmen der gesetzlichen Krankenversi-
cherung ist. Der Umstand, dass im Kostenerstattungsverfahren - anders als bei
der bedarfsdeckenden Gewährung von Dienst- und Sachleistungen - Aufwen-
dungen teilweise ungedeckt bleiben, beruht auf der Wahlentscheidung des
Pflichtversicherten. Der Dienstherr ist nicht verpflichtet, die finanziell nachteili-
gen Folgen dieser Entscheidung vollständig auszugleichen. Kosten, die im Sys-
tem der gesetzlichen Krankenkasse nach der Entscheidung des Gesetzgebers
aus Gründen der Kostendämpfung und Eigenbeteiligung bei dem grundsätzlich
anspruchsberechtigten Versicherten verbleiben, müssen durch das eigenstän-
dige System des Beihilferechts nicht in vollem Umfang aufgefangen werden
(Urteil vom 15. Dezember 2005 a.a.O.; für den Fall einer doppelten Berücksich-
tigung der Praxisgebühr bei gesetzlich krankenversicherten Beihilfeberechtigten
ebenso Beschluss vom 19. Juli 2007 - BVerwG 2 B 56.07 - Buchholz 270 § 12
BhV Nr. 2).
2. Soweit der Kläger weiter für klärungsbedürftig hält, ob die Beschränkung des
Bemessungssatzes auf 70 % der nach Anrechnung der Kassenleistungen bei-
hilfefähigen Aufwendungen für die in der gesetzlichen Krankenkasse Pflichtver-
sicherten gegen Art. 14 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, lässt sich auch diese
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Frage auf der Grundlage der zitierten Senatsrechtsprechung ohne Weiteres
beantworten.
Nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift für Beihil-
fen in Krankheits-, Pflege-, Geburts- und Todesfällen (Beihilfevorschriften
- BhV) in der Fassung vom 1. Juli 1997 (GMBl S. 429) beträgt der Bemes-
sungssatz für Beihilfeleistungen bei Empfängern von Versorgungsbezügen
70 %. Dieser Satz erhöht sich nach Absatz 4 Satz 1 der Vorschrift bei freiwillig
versicherten Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung mit der Höhe
nach gleichen Leistungsansprüchen wie Pflichtversicherte auf 100 %. Damit
werden die nicht von der gesetzlichen Krankenkasse gedeckten beihilfefähigen
Aufwendungen bei dieser Gruppe in voller Höhe durch Beihilfeleistungen er-
setzt. Wenn allerdings der freiwillig Versicherte für den von ihm zu zahlenden
Krankenversicherungsbeitrag „Zuschüsse, Arbeitgeberanteile oder dergleichen“
in einer bestimmten Mindesthöhe erhält, verbleibt es nach § 14 Abs. 4 Satz 2
BhV bei einem Bemessungssatz von 70 %.
Dies ist am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu beanstanden. Denn der für
freiwillig gesetzlich Krankenversicherte geltende Bemessungssatz von 100 %
beruht auf dem Umstand, dass diese Versicherten ihren Krankenversiche-
rungsschutz vollständig aus eigenen Mitteln finanzieren, während dies bei
Pflichtversicherten, deren Krankenversicherungsbeiträge zu einem substanziel-
len Teil von dritter Seite - etwa von der gesetzlichen Rentenversicherung
(§ 249a SGB V) - übernommen wird, nicht der Fall ist.
Zutreffend hat das Berufungsgericht auch einen Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1
GG verneint. Zwar sind die mit Hilfe von Beitragsleistungen der Versicherten
erworbenen Versichertenrenten und Rentenanwartschaften dem Schutz des
Eigentumsgrundrechts unterstellt (BVerfG, Urteil vom 28. Februar 1980 - 1 BvL
17/77 u.a. - BVerfGE 53, 257). Die Berücksichtigung der Ansprüche des Klä-
gers aus der gesetzlichen Krankenversicherung lediglich als Bestimmungsfak-
tor für die Beihilfebemessung berührt aber weder die Höhe noch den Bestand
seiner Ansprüche gegenüber dem Rententräger oder der gesetzlichen Renten-
versicherung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. September 1987 - 2 BvR
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933/82 - BVerfGE 76, 256; BVerwG, Urteil vom 24. November 1988 - BVerwG
2 C 18.88 - BVerwGE 81, 27). § 14 Abs. 4 Satz 1 BhV betrifft ausschließlich
den Beihilfeanspruch des Klägers.
Soweit der Kläger im vorliegenden Beschwerdeverfahren bereits einen Revisi-
onsantrag formuliert hat, ist dieser gegenstandslos.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestset-
zung beruht auf § 47 Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 3 GKG.
Herbert Thomsen Dr. Maidowski
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