Urteil des BVerwG vom 06.02.2007

BVerwG (gebiet, richtlinie, anhang, bezug, eugh, gutachten, thüringen, stellungnahme, erhaltung, verhältnis zu)

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 9 VR 9.07
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 13. März 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Storost,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Vallendar
und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Buchberger
beschlossen:
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Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung
der Klage der Antragstellerin gegen den Planfeststel-
lungsbeschluss vom 6. Februar 2007 in der Gestalt des
Planergänzungsbeschlusses vom 13. April 2007 wird ab-
gelehnt.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tra-
gen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 12 671,25 €
festgesetzt.
G r ü n d e :
I
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer
Anfechtungsklage gegen den Planfeststellungsbeschluss des Antragsgegners
vom 6. Februar 2007 in der Fassung des Planergänzungsbeschlusses vom
13. April 2007 für das Vorhaben „A 4 Eisenach-Görlitz Streckenabschnitt
Waltershausen - AK Hermsdorf (A 9) VKE 5531: ö AS Magdala - AS Jena/
Göschwitz (B 88) Leutratal“. Mit diesem Straßenbauvorhaben soll die beste-
hende Autobahn A 4 zwischen den Anschlussstellen Magdala und Jena-
Göschwitz sechsstreifig ausgebaut werden. Dabei ist für den Ausbau eine neue
Trasse nördlich des FFH-Gebietes „Leutratal - Cospoth - Schießplatz
Rothenstein“ vorgesehen. Die neue Trasse zweigt östlich der Anschlussstelle
Magdala von der bestehenden A 4 nach Osten ab, umfährt mit stetiger Steigung
den Amselberg nördlich unter Ausnutzung der Talsituation des Gagabaches
zwischen Göttern und Bucha und erreicht bei Bucha den Hochpunkt; von dort
fällt die Trasse kontinuierlich ins Saaletal ab. Ein Teil dieser Streckenführung
erfolgt in einem ca. 3,1 km langen Tunnel, der westlich der Kreisstraße nach
Oßmaritz beginnend bis östlich der Ortschaft Leutra reicht (Jagdbergtunnel).
Kurz danach schwenkt die Trasse an der Anschlussstelle Jena-Göschwitz wie-
der auf die bestehende, bereits sechsstreifig ausgebaute A 4 ein. Die Neubau-
trasse hat eine Länge von insgesamt 11,8 km.
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Die Antragstellerin bewohnt in Bucha ein eigenes Haus und ist Eigentümerin
land- und forstwirtschaftlich genutzter Grundstücke in der Gemarkung Bucha,
die für das Vorhaben in Anspruch genommen werden sollen.
Mit ihrem auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gerichteten
Antrag macht die Antragstellerin im Wesentlichen geltend, der Planfeststel-
lungsbeschluss sei rechtswidrig, weil die Neubautrasse ein faktisches Vogel-
schutzgebiet quere. Das Waldgebiet „Doberau“ südwestlich von Oßmaritz habe
eine hohe Bedeutung für 71 Vogelarten, darunter auch nach Anhang I der Vo-
gelschutzrichtlinie besonders geschützte Arten. Dort würden Brut- und Nah-
rungshabitate zerstört. Es dränge sich auf, dass das geplante Vogelschutzge-
biet Nr. 33 „Muschelkalkhänge der westlichen Saaleplatte“ das Gebiet im Be-
reich des geplanten westlichen Tunnelportals aus sachfremden wirtschaftlichen
Erwägungen ausgrenze. Die vorhandenen Baumhöhlen hätten Bedeutung für
Fledermäuse als Quartierbäume. Außerdem niste im Trassenbereich eine Ha-
selmaus. Darüber hinaus schneide die geplante Trasse im Bereich des westli-
chen Tunnelportals und danach in ein potenzielles FFH-Gebiet ein. Dort befinde
sich der Lebensraumtyp Orchideen-Buchenwälder; unter anderem kämen im
Einschnittsbereich der planfestgestellten Autobahn beim Westportal mindestens
13 Orchideenarten sowie 12 besonders geschützte Arten vor. Zudem werde
über dem Westportal prioritärer Kalk-Trockenrasen (Code 6210*) im FFH-
Gebiet Nr. 129 durch erhöhten Schadstoffeintrag geschädigt.
Die Abwägung im Planfeststellungsbeschluss in Bezug auf die Trassenvarian-
ten sei fehlerhaft. Die gewählte Ausbautrasse („Neubauvariante Jagdberg“) sei
die für die Bewohner des betroffenen Gebietes schlechteste Variante von allen
möglichen. Gegenüber dem Ausbau der Bestandstrasse („Ausbauvariante“)
führe die Neubauvariante zu einer extrem hohen Eingriffsintensität in Bezug auf
die Anzahl der betroffenen Anwohner, einer Neuversiegelung von Flächen, ei-
nem Flächenverlust naturschutzfachlich hochsensibler Bereiche und Waldge-
biete. Zudem sei die Neubauvariante wesentlich teurer als die Ausbauvariante.
Schließlich gehe der idyllische Ortscharakter der Ortsteile Bucha und Oßmaritz
vollständig verloren. Auch werde das Neubauvorhaben zu einer drastischen
Verkehrszunahme und damit zu einer Überlastung der Zubringerstraße nach
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Jena führen. Demgegenüber würde bei der „Ausbauvariante“ die Verkehrsbe-
lastung der L 2308 zwischen Bucha und Jena um bis zu 25 % reduziert.
Dem Optimierungsgebot nach § 50 Satz 1 BImSchG sei nicht genügt worden.
Der Bau des westlichen Tunnelportals und die anschließende freie Strecke mit
Vernichtung großer Teile des Waldbestandes wirkten sich gravierend negativ
auf die lufthygienische Situation von Oßmaritz aus. Darüber hinaus werde die
Wohnlage in Bucha vermeidbar belastet. Auch der Belang der Erhaltung best-
möglicher Luftqualität nach § 50 Satz 2 BImSchG sei nicht hinreichend berück-
sichtigt worden.
Schließlich seien die Belange des Naturschutzes fehlgewichtet worden. Im We-
sentlichen sei auf das FFH-Gebiet im Leutratal abgestellt worden. Die FFH-
Verträglichkeitsstudie von April 2000 leide jedoch an groben Mängeln. Darüber
hinaus habe der Vorhabenträger eine Untertunnelung des Amselberges über-
haupt nicht untersucht. Auch die teilweise südlich von der A 4 abgerückte „Wan-
derheimvariante“ habe sich als bessere Alternative aufgedrängt.
II
Der Antrag ist zulässig. Der Planfeststellungsbeschluss betrifft ein Vorhaben
nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des gemäß § 11 Abs. 2 weiterhin anwendbaren
Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes (VerkPBG). Das Vorhaben ist
im Bedarfsplan für Bundesfernstraßen nach § 1 Abs. 1 FStrAbG außerdem als
vordringlicher Bedarf eingestuft. Die hiergegen von der Antragstellerin erhobene
Klage entfaltet daher keine aufschiebende Wirkung (§ 5 Abs. 2 Satz 1
VerkPBG, § 17e Abs. 2 Satz 1 FStrG). Das Bundesverwaltungsgericht ent-
scheidet im ersten und letzten Rechtszug über sämtliche Streitigkeiten gegen
einen solchen Planfeststellungsbeschluss (§ 5 Abs. 1 VerkPBG) und ist folglich
auch nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO als Gericht der Hauptsache für die Ent-
scheidung über den beantragten vorläufigen Rechtsschutz zuständig.
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Der Antrag ist jedoch unbegründet. Das öffentliche Interesse an der sofortigen
Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses überwiegt die Interessen der An-
tragstellerin an der Beibehaltung des bisherigen Zustandes bis zur Entschei-
dung der Hauptsache. Nach der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO
gebotenen summarischen Prüfung lassen sich die Erfolgsaussichten in der
Hauptsache zwar nicht abschließend abschätzen. Der Antragstellerin ist es
aber nicht gelungen, Umstände darzutun, die es überwiegend wahrscheinlich
machen, dass ihre Klage zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses oder
zur Feststellung seiner Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit führen wird.
Eine umfassende Bewertung und Abwägung der Interessenlage bietet unter
diesen Umständen keinen hinreichenden Anlass, von der im Gesetz (§ 5 Abs. 2
Satz 1 VerkPBG, § 17e Abs. 2 Satz 1 FStrG) vorgesehenen Regel der soforti-
gen Vollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses abzusehen.
1. Die Antragstellerin rügt mit ihrer Klage vorrangig die Verletzung zwingenden
Naturschutzrechts. Als durch die enteignungsrechtliche Vorwirkung des Plan-
feststellungsbeschlusses Betroffener steht ihr grundsätzlich ein Anspruch dar-
auf zu, die Planfeststellung umfassend dahingehend überprüfen zu lassen, ob
bei der fachplanerischen Abwägung öffentliche Belange hinreichend beachtet
worden sind. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass der im Planfeststellungs-
beschluss zugelassene Eigentumsentzug zum Wohle der Allgemeinheit erfor-
derlich sein muss (vgl. z.B. Urteil vom 16. März 2006 - BVerwG 4 A 1075.04 -
BVerwGE 125, 116 = Buchholz 442.40 § 8 LuftVG Nr. 23 Rn. 448, 453 m.w.N.).
Allerdings kann die Antragstellerin sich auf die Beeinträchtigung eines öffentli-
chen Belangs - hier des Naturschutzes - dann nicht mit Erfolg berufen, wenn
auch die Beachtung dieses Belangs nicht zu einer Verschonung ihres Grundei-
gentums führen würde (vgl. z.B. Urteil vom 28. Februar 1996 - BVerwG 4 A
27.95 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 110 S. 82). Das gilt auch, wenn - wie
hier - eine Verletzung von Gemeinschaftsrecht geltend gemacht wird (vgl. z.B.
Urteil vom 19. Mai 1998 - BVerwG 4 C 11.96 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG
Nr. 138 S. 252 f.).
Die abschließende Beurteilung der von der Antragstellerin aufgeworfenen Fra-
ge, ob der Planfeststellungsbeschluss zwingendem Naturschutzrecht wider-
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spricht, muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Im Ergebnis
spricht jedoch sehr wenig dafür, dass sich aus dem Naturschutzrecht eine un-
überwindbare Zulassungssperre ableiten lässt, die den Vorhabenträger hindert,
an der Trassenauswahl und damit an der Inanspruchnahme des klägerischen
Grundbesitzes festzuhalten. Die planfestgestellte Neubauvariante erscheint
nämlich alternativlos. Darüber hinaus ist hier die Dimensionierung der Trasse
nicht im Streit und kann sich eine Beeinträchtigung des Gemeinwohls, die die
Antragstellerin geltend machen könnte, um den Eingriff in ihr Grundeigentum
abzuwehren, auch unter diesem Aspekt nicht ergeben.
a) Die Antragstellerin macht in erster Linie geltend, das Waldgebiet „Doberau“
südwestlich von Oßmaritz weise die Merkmale eines Vogelschutzgebietes auf,
weshalb es den Schutz eines faktischen Vogelschutzgebietes genieße. Obwohl
dieser Frage im Hauptsacheverfahren noch nachzugehen sein wird, liegen - an-
gesichts des bislang erreichten Standes des Melde- und Gebietsausweisungs-
verfahrens - für die Richtigkeit der Auffassung der Antragstellerin bislang keine
Anhaltspunkte vor, die zwingend erscheinen. Dass das Vorhaben Art. 4 Abs. 4
Satz 1 der Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 über die Erhal-
tung der wildlebenden Vogelarten - Vogelschutzrichtlinie (VRL) - verletzt, er-
scheint derzeit nicht überwiegend wahrscheinlich.
Gebiete, die nach den Kriterien der Vogelschutzrichtlinie förmlich unter Vogel-
schutz hätten gestellt werden müssen, aber nicht als Vogelschutzgebiet ausge-
wiesen worden sind, unterliegen dem vorläufigen Schutzregime des Art. 4
Abs. 4 Satz 1 VRL (vgl. z.B. EuGH, Urteile vom 13. Dezember 2007 - Rs.
C-418/04 - juris Rn. 84, vom 7. Dezember 2000 - Rs. C-374/98 - Slg. 2000,
I-10799 Rn. 26, 42, 47, 57 und vom 2. August 1993 - Rs. C-355/90 - Slg. 1993,
I-4221 Rn. 22). Dieses ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass bis zu einem
Regimewechsel nach Art. 7 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai
1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere
und Pflanzen - Habitat-Richtlinie (FFH-RL) - das Spektrum der Gründe, die eine
Einschränkung des Vogelschutzes zugunsten eines Infrastrukturvorhabens
rechtfertigen können, sehr eingeschränkt ist (vgl. EuGH, Urteile vom 28. Febru-
ar 1991 - Rs. C-57/89 - Slg. 1991, I-883 Rn. 22 ff., vom 2. August 1993 - Rs.
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C-355/90 - a.a.O. Rn. 19, 45 und vom 18. Dezember 2007 - Rs. C-186/06 - juris
Rn. 37; BVerwG, Urteile vom 17. Januar 2007 - BVerwG 9 A 20.05 - BVerwGE
128, 1 <59> und vom 1. April 2004 - BVerwG 4 C 2.03 - BVerwGE 120, 276
<287>).
Nach Art. 4 Abs. 1 Satz 4 VRL erklären die Mitgliedstaaten insbesondere die für
die Erhaltung der im Anhang I aufgeführten Vogelarten zahlen- und flächenmä-
ßig geeignetsten Gebiete zu Schutzgebieten, wobei die Erfordernisse des
Schutzes dieser Arten in dem geographischen Meeres- und Landgebiet, in dem
die Richtlinie Anwendung findet, zu berücksichtigen sind. Art. 4 Abs. 2 VRL er-
gänzt diese Bestimmung dahin, dass die Mitgliedstaaten unter Berücksichtigung
der Schutzerfordernisse die entsprechenden Maßnahmen für die nicht in An-
hang I aufgeführten, regelmäßig auftretenden Zugvogelarten hinsichtlich ihrer
Vermehrungs-, Mauser- und Überwinterungsgebiete sowie der Rastplätze in
ihren Wanderungsgebieten treffen.
Aus diesen Regelungen folgt jedoch nicht, dass sämtliche Landschaftsräume
unter Schutz gestellt werden müssen, in denen vom Aussterben oder sonst be-
drohte Vogelarten vorkommen. Vielmehr haben die Mitgliedstaaten die Gebiete
auszuwählen, die im Verhältnis zu anderen Landschaftsteilen am besten die
Gewähr für die Verwirklichung der Richtlinienziele bieten. Schutzmaßnahmen
sind danach zu ergreifen, soweit sie erforderlich sind, um das Überleben und
die Vermehrung der in Anhang I aufgeführten Vogelarten und der in Art. 4
Abs. 2 VRL angesprochenen Zugvogelarten sicherzustellen. Die Auswahlent-
scheidung hat sich ausschließlich an diesen ornithologischen Erhaltungszielen
zu orientieren. Eine Abwägung mit anderen Belangen findet nicht statt. Unter
Schutz zu stellen sind die Landschaftsräume, die sich nach ihrer Anzahl und
Fläche am ehesten zur Arterhaltung eignen. Welche Gebiete hierzu zählen, legt
das Gemeinschaftsrecht nicht im Einzelnen fest. Jeder Mitgliedstaat muss das
Seine zum Schutz der Lebensräume beitragen, die sich auf seinem Hoheitsge-
biet befinden. Entscheidend ist die ornithologische Wertigkeit, die nach quanti-
tativen und nach qualitativen Kriterien zu bestimmen ist. Je mehr der im An-
hang I aufgeführten oder in Art. 4 Abs. 2 VRL genannten Vogelarten in einem
Gebiet in einer erheblichen Anzahl von Exemplaren vorkommen, desto höher ist
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der Wert als Lebensraum einzuschätzen. Je bedrohter, seltener oder empfindli-
cher die Arten sind, desto größere Bedeutung ist dem Gebiet beizumessen, das
die für ihr Leben und ihre Fortpflanzung ausschlaggebenden physischen und
biologischen Elemente aufweist. Nur Lebensräume und Habitate, die unter Be-
rücksichtigung dieser Maßstäbe für sich betrachtet in signifikanter Weise zur
Arterhaltung beitragen, gehören zum Kreis der im Sinne des Art. 4 VRL geeig-
netsten Gebiete (vgl. EuGH, Urteil vom 2. August 1993 - Rs. C-355/90 - a.a.O.
Rn. 26 ff.; BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2006 - BVerwG 9 A 28.05 - BVerwGE
126, 166 <168 f.>; Beschlüsse vom 24. Februar 2004 - BVerwG 4 B 101.03 -
juris Rn. 13 und vom 12. Juni 2003 - BVerwG 4 B 37.03 - NVwZ 2004, S. 98;
Urteil vom 31. Januar 2002 - BVerwG 4 A 15.01 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG
Nr. 168 S. 95 f.).
Ob eine Ausweisung als Vogelschutzgebiet aus sachfremden Erwägungen un-
terblieben ist, ist gerichtlich voll überprüfbar. Die Identifizierung europäischer
Vogelschutzgebiete in den Bundesländern unterliegt dagegen nur einer einge-
schränkten Überprüfung durch die Verwaltungsgerichte. Art. 4 Abs. 1 Satz 4
VRL eröffnet den Mitgliedstaaten nämlich einen fachlichen Beurteilungsspiel-
raum in der Frage, welche Gebiete nach ornithologischen Kriterien für die Erhal-
tung der in Anhang 1 der Richtlinie aufgeführten Vogelarten „zahlen- und flä-
chenmäßig“ am geeignetsten sind (EuGH, Urteile vom 28. Februar 1991 - Rs.
C-57/89 - a.a.O. Rn. 20, vom 2. August 1993 - Rs. C-355/90 - a.a.O. Rn. 26 und
vom 23. März 2006 - Rs. C-209/04 - Slg. 2006, I-2755 Rn. 33; BVerwG, Urteile
vom 21. Juni 2006 - BVerwG 9 A 28.05 - a.a.O. und vom 14. November 2002
- BVerwG 4 A 15.02 - BVerwGE 117, 149 <155>).
Das Melde- und Gebietsausweisungsverfahren hat einen fortgeschrittenen
Stand erreicht, so dass zwischenzeitlich in Deutschland das von der Vogel-
schutzrichtlinie angestrebte zusammenhängende Netz der Vogelschutzgebiete
entstanden ist (vgl. Art. 4 Abs. 3 VRL). Dementsprechend verringert sich die
gerichtliche Kontrolldichte und unterliegt Parteivorbringen, es gebe ein fakti-
sches Vogelschutzgebiet, das eine „Lücke im Netz“ schließe, besonderen Dar-
legungsanforderungen (vgl. Urteile vom 21. Juni 2006 - BVerwG 9 A 28.05 -
a.a.O. S. 170 und vom 14. November 2002 - BVerwG 4 A 15.02 - a.a.O.
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S. 155 f.). Derzeit zeichnet sich nicht ab, dass ein Nachweis dafür geführt wer-
den kann, dass - wie die Antragstellerin vermutet - sachfremde Erwägungen
dafür ausschlaggebend waren, das Waldgebiet „Doberau“ nicht in das Vogel-
schutzgebiet Nr. 33 einzubeziehen. Vielmehr spricht Vieles dafür, dass die Ab-
grenzung des Vogelschutzgebietes Nr. 33 auch aus ornithologischer Sicht ver-
tretbar ist.
Zwar ist der Antragstellerin darin zuzustimmen, dass das Waldgebiet „Doberau“
als naturschutzfachlich wertvoll einzuschätzen ist, wie sich das auch dem Land-
schaftspflegerischen Begleitplan entnehmen lässt. Insbesondere ist dort fest-
gehalten, dass die von der Neubautrasse durchschnittenen Waldstrukturen ein
wichtiges Verbindungselement für den Lebensraumverbund zwischen den
Waldflächen des Leutratales und den Waldflächen im Raum Nennsdorf darstel-
len. Jedoch ist nicht jedes Gebiet, auch wenn es als naturschutzfachlich wert-
voll einzuschätzen ist, dort schützenswerte Vogelarten vorkommen oder diese
Vogelarten dort zumindest einen Funktionsraum vorfinden, als ein faktisches
Vogelschutzgebiet zu betrachten, sondern vielmehr nur ein solches, das die
oben genannten Kriterien erfüllt.
Wenn bei der Auswahl und Abgrenzung eines Vogelschutzgebietes nach orni-
thologischen Kriterien vorzugehen ist, besagt dies zwar, dass die Notwendigkeit
besserer Verkehrsverbindungen als Rechtfertigung für diese Entscheidungen
untauglich ist (vgl. EuGH, Urteil vom 2. August 1993 - Rs. C-355/90 - a.a.O.
Rn. 37). Die mit der Vogelschutzrichtlinie verfolgte Zielsetzung verbietet es je-
doch nicht, dass ornithologische Gesichtspunkte, die für eine bestimmte Ab-
grenzung sprechen, mit sonstigen raumordnerischen Gründen zusammenfallen.
Der von der Antragstellerin geäußerte Verdacht, dass das Gebiet westlich von
Oßmaritz deswegen ausgespart worden sei, um die Neubauvariante zu er-
möglichen, ist auf der Grundlage des derzeitigen Erkenntnisstandes nicht zu
erhärten.
Die Einrichtung des Vogelschutzgebietes Nr. 33 steht im Zusammenhang mit
dem Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen die Bundesrepu-
blik Deutschland. Die Kommission hat von verschiedenen Bundesländern,
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darunter auch dem Antragsgegner, die Nachmeldung weiterer Vogelschutzge-
biete gefordert (Akte EG-VSG Nr. 33 Unterlage 2 S. 21). Das Verzeichnis der
„Important Bird Areas“ (IBA) für Thüringen, das die Fläche des Vogelschutzge-
bietes Nr. 33 nicht aufführte, wurde von der Kommission nicht als zureichende
fachliche Referenz für die Auswahl von besonderen Schutzgebieten (Special
Protection Areas - SPA) gemäß der Vogelschutzrichtlinie gewertet. Daraufhin
wurde von der Thüringer Landesanstalt für Umwelt und Geologie in Abstim-
mung mit dem Thüringer Ministerium für Landwirtschaft, Naturschutz und Um-
welt ein Fachkonzept mit wissenschaftlichen Kriterien für die Bestimmung der
am besten für den Vogelschutz geeigneten Gebiete erstellt (Akte EG-VSG
Nr. 33 Unterlage 3) und an die Kommission übermittelt. Neben den ursprünglich
ausgewiesenen 11 Vogelschutzgebieten wurden auf der Grundlage dieses
Fachkonzepts in Thüringen weitere 33 Vogelschutzgebiete eingerichtet, mit de-
nen die europarechtlich geforderte Mindestrepräsentanz Anhang-I-geschützter
Arten erreicht werden konnte (Werres u.a., Ausweisung neuer EG-Vogelschutz-
gebiete - Thüringen schützt seine Vogelwelt in: Landschaftspflege und Natur-
schutz in Thüringen 2007, S. 66). Das Vogelschutzgebiet Nr. 33 wurde anhand
des vorhandenen Datenmaterials, das über Jahre zusammengetragen worden
war, festgelegt. Als wertgebende Vogelarten wurden Grauspecht, Heidelerche,
Mittelspecht, Neuntöter, Rauhfußkauz, Schwarzspecht, Sperlingskauz, Uhu,
Wespenbussard und Ziegenmelker angesehen und bei der Gebietsabgrenzung
die Häufigkeit ihres Vorkommens im Gebiet zugrunde legt. Die Gebietsabgren-
zung berücksichtigt zudem das FFH-Gebiet „Leutratal-Cospoth-Schießplatz
Rothenstein“ (Nr. 129 = DE 5135 301). Dass von der Kommission weiterhin Ein-
wände gegen die Ausweisung und Abgrenzung der Vogelschutzgebiete in Thü-
ringen erhoben werden, wird von der Antragstellerin nicht dargelegt.
Soweit die Antragstellerin einwendet, gerade die im Gebiet „Doberau“ vorhan-
dene Brutvogelfauna fordere eine Erweiterung des Vogelschutzgebietes Nr. 33,
kann sie damit voraussichtlich nicht durchdringen. Die Ausweisung eines Vo-
gelschutzgebietes setzt voraus, dass das betreffende Gebiet nach den „besten
verfügbaren wissenschaftlich ermittelten Fakten“ (so z.B. EuGH, Urteil vom
25. Oktober 2007 - Rs. C-334/04 - NuR 2007, S. 827 Rn. 32) die oben genann-
ten Kriterien erfüllt und zu den geeignetsten Gebieten gehört. Aus dem Vortrag
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der Antragstellerin ergibt sich nicht schlüssig, dass der Freistaat Thüringen bei
der Gebietsmeldung für das Vogelschutzgebiet Nr. 33 die besten verfügbaren
Quellen über hinreichend konstante Populationen der Anhang-I-Vogelarten ig-
noriert hätte. Allein die Tatsache, dass die Antragstellerin nunmehr aufgrund
zum Teil erst im Frühjahr 2007 - also nach Erlass des Planfeststellungsbe-
schlusses - durchgeführter Begehungen das Vorkommen einzelner Exemplare
von Anhang-I-Vogelarten darlegt, zwingt nicht zu dem Schluss, es handele sich
um ein faktisches Vogelschutzgebiet.
Zwar sind auch neuere wissenschaftliche Erkenntnisse für die Gebietsabgren-
zungen zu berücksichtigen, so dass herausragende Gebiete für die Erhaltung
der zu schützenden Arten ggf. auch dann noch unter Schutz zu stellen sind,
wenn sich ihre herausragende Eignung erst nach Umsetzung der Vogelschutz-
richtlinie herausgestellt hat (vgl. EuGH, Urteile vom 23. März 2006 - Rs.
C-209/04 - a.a.O. Rn. 43 und vom 25. Oktober 2007 - Rs. C-334/04 - a.a.O.).
So dürfte die Sache hier aber nicht liegen. Denn der Bereich des Waldgebietes
„Doberau“, der nur zu einem kleineren Teil auch von der Neubautrasse erfasst
wird, beherbergt nur eine geringe Anzahl von für das festgelegte Vogelschutz-
gebiet wertgebenden Vogelarten, wie sich aus der von der Antragstellerin vor-
gelegten „Naturschutzfachlichen Bewertung der Avifauna des Waldgebietes
‚Doberau’“, Tab. 3 S. 8, ergibt: Mittelspecht 2 Brutpaare (BP), Neuntöter 2 BP,
Schwarzspecht 2 BP, Grauspecht 1 BP, des Weiteren - nicht als wertgebend für
das Vogelschutzgebiet angesehen - die Hohltaube mit 3 BP sowie die Mistel-
drossel mit 5 BP. Demgegenüber finden sich im gemeldeten Vogelschutzgebiet
für den Mittelspecht 50 - 60 BP, den Neuntöter 60 - 90 BP, den Schwarzspecht
25 - 35 BP und den Grauspecht 15 - 25 BP (Akte EG-VSG Nr. 33 Unterlage 5).
Die Behauptung der Antragstellerin, die Habitateignung der ausgesparten Flä-
chen liege im Vergleich zu den anderen Flächen des Vogelschutzgebietes
Nr. 33 im oberen Bereich, ist deshalb - auch unter Berücksichtigung der unter-
schiedlichen Größenverhältnisse der Flächen - in Frage zu stellen. Die Be-
standszahlen einmaliger Zählungen sind zudem für die Schutzgebietsauswei-
sung nicht allein maßgebend. Vielmehr sind nach Art. 4 Abs. 1 Satz 3 VRL auch
Tendenzen und Schwankungen der Bestände der Vogelarten zu berücksichti-
gen (vgl. Kerkmann, in: Kerkmann (Hrsg.), Naturschutzrecht in der Praxis, § 8
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Rn. 14). Der mit der Richtlinie erstrebte Schutz der wildlebenden Vogelarten
wird schließlich durch die insgesamt in Thüringen gemeldeten Vogelschutzge-
biete und die Repräsentanz der geschützten Arten mit einiger Sicherheit bereits
erreicht. Danach kann es voraussichtlich nicht beanstandet werden, dass der
Antragsgegner das Gebiet „Doberau“ nicht als zu den für die Erhaltung der in
Anhang I aufgeführten Arten am geeignetsten angesehen hat (vgl. zum diesbe-
züglichen „Ermessensspielraum“ EuGH, Urteil vom 23. März 2006 - Rs.
C-209/04 - a.a.O. Rn. 33).
b) Die Antragstellerin kann auch nicht damit durchdringen, dass sie die Abgren-
zung des FFH-Gebietes Nr. 129 (= DE 5135 301) in Frage stellt und bemängelt,
dass das Gebiet westlich von Oßmaritz nicht ebenfalls von der Gebietsauswei-
sung erfasst ist. Es mag dahinstehen, ob und in welchem Umfang die Gerichte
noch befugt sind, die Gebietsabgrenzung zu überprüfen. Das Gebiet ist inzwi-
schen als Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung in der kontinentalen bio-
geografischen Region durch die EU-Kommission bestätigt (vgl. die Entschei-
dung der Kommission vom 13. November 2007 gemäß der Richtlinie
92/43/EWG des Rates zur Verabschiedung einer ersten aktualisierten Liste von
Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung in der kontinentalen biogeographi-
schen Region (ABl L 12 S. 383 vom 15. Januar 2008). Damit ist die Phase 2 der
Einrichtung des ökologischen Netzes „Natura 2000“ abgeschlossen (vgl. dazu
Boye, Natura 2000 vor der Vollendung: Aktualisierung des europäischen Netzes
der FFH-Schutzgebiete, Umwelt 2007, S. 529 f.). Der Senat entnimmt der Lis-
tenaufnahme des Gebietes, dass seitens der EU-Kommission keine Einwände
gegen die Abgrenzung des Gebietes erhoben wurden. Über ein Konzertie-
rungsverfahren nach Art. 5 FFH-RL wegen des hier in Rede stehenden Gebie-
tes, das die Auffassung der Antragstellerin stützen könnte, ist nichts dargelegt.
Damit ist davon auszugehen, dass die Abgrenzung des FFH-Gebietes jeden-
falls nach Kriterien erfolgt ist, die der FFH-Richtlinie entsprechen. Soweit über-
haupt nach dem Abschluss der Phase 2 noch Raum für die Annahme potenziel-
ler FFH-Gebiete sein könnte (vgl. zu dem entsprechenden Problem bei der Vo-
gelschutzrichtlinie EuGH, Urteil vom 23. März 2006 - Rs. C-209/04 - a.a.O.
Rn. 43), bedarf es einer besonderen Substantiierung der Einwände, die geeig-
net sein kann, die Sachgerechtigkeit der von den verschiedenen eingeschalte-
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ten Gremien überprüften Ergebnisse zu erschüttern. Dabei genügt es nicht, die
Gleichwertigkeit des angeblichen potenziellen Schutzgebietes zu behaupten
und auf Tatsachen, die bereits in die Gebietsabgrenzung eingeflossen sind,
zurückzugreifen (vgl. die „Gutachterliche Stellungnahme“ von Dr. Jochen W.
„Naturschutzfachliche Bewertung des Waldgebietes ‚Doberau’ unter besonderer
Berücksichtigung der Forderungen gemäß EG-Richtlinie 39/708 EWG und EG-
Richtlinie 92/43/EWG“ vom 15. Juli 2007 nebst Nachtrag vom 30. Juli 2007).
Die von der Antragstellerin vorgelegte Stellungnahme bewertet die zugrunde
liegenden Tatsachen anders als die zuständige Fachbehörde und führt neue
Erhebungen zu den dort vorkommenden Brutvogelarten an. In die Ausweisung
eines FFH-Gebietes fließt eine Vielzahl naturschutzfachlich bedeutsamer Tat-
sachen ein. Die sich aus der Zusammenschau ergebende Bewertung durch die
Fachbehörde wird nicht dadurch erschüttert, dass die Veränderung einzelner
Parameter behauptet wird.
c) Entgegen der Auffassung der Antragstellerin war der Antragsgegner nach
dem derzeitigen Sachstand nicht gezwungen, ein Abweichungsverfahren nach
Art. 6 Abs. 4 FFH-RL durchzuführen, weil erhebliche Belastungen infolge der
NO
x
-Belastung für den Lebensraumtyp Kalk-Trockenrasen (Code 6210*) ober-
halb des Westportals im FFH-Gebiet Nr. 129 entstehen.
Nach § 26b Abs. 3 ThürNatG, der Art. 6 Abs. 3 FFH-RL in das Landesrecht um-
setzt, ist ein Projekt wie die hier geplante Neubautrasse unzulässig, wenn die
Verträglichkeitsprüfung ergibt, dass das Projekt zu erheblichen Beeinträchti-
gungen eines Gebietes von gemeinschaftlicher Bedeutung, wie es hier vorliegt,
in seinen für die Erhaltungsziele oder für den Schutzzweck maßgeblichen Be-
standteilen führen kann.
Der Planfeststellungsbeschluss geht entsprechend der FFH-Verträglichkeitsprü-
fung vom Mai 2003 und der Ergänzung vom September 2005 davon aus, dass
es im FFH-Gebiet im Bereich der beiden Tunnelportale und des Abluftkamins
(vgl. Ergänzungen zur Verträglichkeitsprüfung September 2005 S. 13 ff.) zu ei-
nem Schadstoffeintrag kommt, der sich langfristig auf die Artenzusammenset-
zung und Standortverhältnisse der besonders wertvollen Kalk-Trockenrasen mit
23
24
25
- 14 -
orchideenreichen Beständen (Code 6210* prioritärer LRT) und Kalk-Pionier-
rasen (Code 6110* prioritärer LRT) negativ auswirken könnte. Lege man für die
Beurteilung des Risikos der kritischen Belastung durch Nährstoffeinträge die
„critical loads“ zugrunde, sei unter Berücksichtigung der Vorbelastung durch die
Bestandstrasse für den Bereich des Ostportals keine kritisch zu bewertende
NO
x
-Belastung zu erwarten. Für das Westportal müsse demgegenüber auf-
grund der besonderen örtlichen Verhältnisse mit deutlich erhöhten Stickstoffein-
trägen gerechnet werden (Tunnelsituation, besondere klimatische Verhältnisse
und Topografie). Diesen zusätzlichen Belastungen durch verkehrsbedingte
Nährstoffeinträge stünden jedoch gleichzeitig Entlastungswirkungen gegenüber,
die der Rückbau der Bestandstrasse mit sich bringe. In der Bilanz ergebe sich
keine größere Beeinträchtigung als bei der Null-Variante, so dass das Vorhaben
das Gebiet Nr. 129 nicht erheblich im Sinne des Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL
beeinträchtige.
Für diese Betrachtungsweise lässt sich anführen, dass sie dem Schutzgebot
des § 26b Abs. 3 ThürNatG, Art. 6 Abs. 3 FFH-RL entsprechen dürfte, das dar-
auf abzielt, solche Beeinträchtigungen zu verhindern, die den für das FFH-
Gebiet festgelegten Erhaltungszielen zuwider laufen. In die Beurteilung ist ei-
nerseits eingestellt, welche Lebensräume durch einen zusätzlichen Schadstoff-
eintrag beeinträchtigt werden können, ohne dass dies allerdings feststeht. Als
Vermeidungsmaßnahmen sind hier Immissionsschutzpflanzungen vorgesehen
und ein 10-jähriges Monitoring mit einem Pflegemanagement zur Verbesserung
der Standortfaktoren (vgl. Planfeststellungsunterlage 12 Landschaftspflegeri-
scher Begleitplan - LBP - Maßnahme V 2.7). Gleichzeitig wird darauf abgestellt,
dass infolge der Rückbaumaßnahmen für wesentliche Teile des Gebietes die
Standortfaktoren durch Reduzierung der Stickstoffeinträge positiv verändert
werden. Gemessen am auf das Gebiet bezogenen Erhaltungsziel in Bezug auf
die Standortveränderungen von FFH-relevanten Lebensräumen ist danach eine
erhebliche Beeinträchtigung voraussichtlich zu verneinen.
d) Im Trassenbereich sind artenschutzrechtliche Tatbestände des § 42 Abs. 1
Bundesnaturschutzgesetz (- BNatSchG - i.d.F. des Gesetzes vom 25. März
2002, BGBl I S. 1193, zuletzt geändert durch Gesetz vom 9. Dezember 2006,
26
27
- 15 -
BGBl I S. 2833) erfüllt. Dies wird sich voraussichtlich jedoch nicht als ein un-
überwindbares Zulassungshindernis herausstellen.
aa) Nach § 42 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG ist es u.a. verboten, wildlebende Tiere
der besonders geschützten Arten zu töten oder ihre Entwicklungsformen, Nist-,
Brut-, Wohn- oder Zufluchtstätten der Natur zu entnehmen, zu beschädigen
oder zu zerstören. Der Planfeststellungsbeschluss in der Fassung des Ergän-
zungsbeschlusses geht davon aus, dass durch das Vorhaben nicht benutzte
Spechthöhlen durch das Abholzen von Bäumen zerstört werden. Nicht nur ge-
rade besetzte Brutstätten sind geschützt, sondern auch regelmäßig benutzte
Brutplätze (vgl. Urteil vom 21. Juni 2006 - BVerwG 9 A 28.05 - a.a.O. S. 174).
Die Spechthöhlen werden zwar regelmäßig benutzt, nicht nur von Spechten,
sondern auch von anderen geschützten Arten wie etwa der Hohltaube. Jedoch
ist die Nutzung stets derselben Höhle für diese Tiere nicht notwendig (vgl. die
Stellungnahme der Oberen Naturschutzbehörde Thüringen vom 12. April 2007
zur Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses). Es stellt sich deshalb die
Frage, ob angesichts der Zielrichtung des § 42 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG, die Art-
erhaltung zu sichern, der Verbotstatbestand auch solche Brutstätten erfasst,
deren erneute Nutzung denkbar, aber für die Erhaltung der Art nicht notwendig
ist, weil in der Umgebung Brutstätten zur Verfügung stehen bzw. hergerichtet
werden können, oder ob der Schutz erst dann entfällt, wenn eine Lebensstätte
ihre Funktion endgültig verliert (in diesem Sinne Gellermann/Schreiber, Schutz
wildlebender Tiere und Pflanzen in staatlichen Planungs- und Zulassungsver-
fahren 2007, S. 50 f., a.A. wohl Fellenberg, in: Kerkmann, Naturschutzrecht in
der Praxis, 2007, § 7 Rn. 71 z.B. für Spechthöhlen). Soweit in dem von der An-
tragstellerin vorgelegten Gutachten (R., Naturschutzfachliche Bewertung der
Avifauna des Waldgebietes „Doberau“ vom 20. Juni 2007, zit. R.) darauf abge-
stellt wird, dass etliche Vogelarten dieselben Höhlen im Trassenbereich über
mehrere Jahre benutzen, schließt das die Annahme der Oberen Naturschutz-
behörde nicht aus, wonach die Höhlenbewohner zwar auf Spechthöhlen ange-
wiesen sind, nicht aber notwendigerweise auf immer dieselben. Es mag aber
letztlich hier dahinstehen, ob die Beseitigung der Spechthöhlen vom Verbots-
tatbestand des § 42 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG erfasst ist. Denn im Sinne einer
28
- 16 -
worst-case-Betrachtung wurde insoweit jedenfalls - wie noch auszuführen sein
wird - rechtmäßig eine Befreiung erteilt.
Die Antragstellerin macht weiterhin geltend, im Trassenbereich würden entge-
gen § 42 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG geschützte Niststätten besonders geschützter
Vögel zerstört werden. Unter Niststätten im Sinne des § 42 Abs. 1 Nr. 1
BNatSchG sind als solche genutzte Nester von Vögeln zu verstehen. Darunter
fallen auch gerade nicht besetzte, aber regelmäßig benutzte Nistplätze (vgl.
Urteil vom 21. Juni 2006 - BVerwG 9 A 28.05 - a.a.O. S. 174). Entscheidend für
die Auslegung, ob eine Niststätte vom Schutzbereich der Norm erfasst ist, dürf-
te deren Zielrichtung sein: nämlich die Teile eines Habitats besonders zu schüt-
zen, denen für die Arterhaltung eine besondere Bedeutung zukommt. Dazu
dürfte nicht nur das konkrete Nest zählen, das vor der Zerstörung geschützt
werden soll, solange es für das Brutgeschäft benötigt wird, sondern auch die
Lebensstrukturen und am Standort vorhandenen besonderen Gegebenheiten,
deren es bedarf, damit sich die Art erfolgreich reproduzieren kann (vgl.
Gellermann/Schreiber, a.a.O. S. 44 f.). Das von dem Antragsgegner vorgelegte
Artenschutzgutachten geht davon aus, dass sich - abgesehen von den oben
genannten Spechthöhlen - die festgestellten Lebensstätten der Vögel weitge-
hend außerhalb der Flächenbeanspruchung durch die Trasse befinden (vgl.
Artenschutzrechtliches Gutachten S. 39). Danach gibt es auch keine geschütz-
ten Niststätten besonders geschützter Vögel im Trassenbereich. Dem von der
Antragstellerin vorgelegten Gutachten lässt sich nichts anderes entnehmen.
Zum Zeitpunkt der dortigen Untersuchung im Mai und Juni 2007 sollen im Tras-
senbereich verschiedene Arten, darunter streng geschützte, gebrütet haben.
Damit wird geltend gemacht, dass deren Nester, falls sie auch bei Baubeginn
dort brüten sollten, zerstört würden. Der Planfeststellungsbeschluss, der den
Landschaftspflegerischen Begleitplan in Bezug nimmt, geht nicht von etwas
anderem aus. Vielmehr werden ausdrücklich Vermeidungsmaßnahmen vorge-
schrieben, die verhindern sollen, dass infolge der Bauarbeiten belegte Nester
zerstört werden (vgl. LPB Maßnahmen-Blatt S. 361 Maßnahme V 2.1).
Dem Gutachten R. ist im Übrigen nicht zu entnehmen, in welchen Fällen über
geschützte Nester hinaus Niststätten im Sinne der genannten Schutzvorschrift
29
30
- 17 -
vorhanden sind. Es enthält keine Angaben darüber, für welche Arten ein Nist-
platz im Bereich der Trasse für die Artreproduktion erforderlich ist. Die Aufstel-
lung (R. S. 8) führt unter „Konflikt“ nur insgesamt auf, wie viele Brutpaare ver-
schiedener Vogelarten im Bereich der geplanten Trasse „direkt betroffen“ wä-
ren, d.h. nach den Feststellungen dort gebrütet haben und dort ihr Brutrevier
haben. Der Planfeststellungsbeschluss geht, dem Artenschutzgutachten fol-
gend, davon aus, dass keine geschützten Lebensstätten von Flächenverlusten
betroffen sind, allerdings Nahrungshabitate sowie potenzielle Brutreviere verlo-
ren gehen (vgl. Artenschutzgutachten Tab. 8). Nahrungshabitate und potenziel-
le Brutreviere sind vom Schutzbereich des § 42 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG jedoch
nicht umfasst.
Die Antragstellerin rügt insoweit eine unzureichende Ermittlungstiefe. Die Prü-
fung, ob naturschutzrechtliche Verbote, insbesondere solche nach § 42
BNatSchG, eingreifen, setzt eine ausreichende Ermittlung und Bestandsauf-
nahme der im Trassenbereich vorhandenen Tierarten und ihrer Lebensräume
voraus (vgl. zu Eingriffen in Natur und Landschaft Urteil vom 31. Januar 2002
- BVerwG 4 A 15.01 - a.a.O. S. 115; zur fachplanerischen Abwägung Urteil vom
9. Juni 2004 - BVerwG 9 A 11.03 - Buchholz 406.400 § 61 BNatSchG 2002
Nr. 5 S. 45). Die Untersuchungstiefe hängt dabei maßgeblich von den natur-
räumlichen Gegebenheiten im Einzelfall ab. Lassen bestimmte Vegetations-
strukturen sichere Rückschlüsse auf die faunistische Ausstattung zu, so kann
es mit der gezielten Erhebung der insoweit maßgeblichen repräsentativen Da-
ten sein Bewenden haben (vgl. Beschluss vom 18. Juni 2007 - BVerwG 9 VR
13.06 - juris Rn. 20). Sind von Untersuchungen keine weiterführenden Erkennt-
nisse zu erwarten, müssen sie auch nicht durchgeführt werden. Untersuchun-
gen quasi „ins Blaue hinein“ sind nicht veranlasst. Der individuumsbezogene
Ansatz der artenschutzrechtlichen Vorschriften verlangt aber andererseits Er-
mittlungen, deren Ergebnisse die Planfeststellungsbehörde in die Lage versetz-
ten, die tatbestandlichen Voraussetzungen der Verbotstatbestände zu überprü-
fen. Hierfür benötigt sie jedenfalls Daten, denen sich in Bezug auf das Plange-
biet die Häufigkeit und Verteilung der geschützten Arten sowie deren Lebens-
stätten entnehmen lassen. Nur in Kenntnis dieser Fakten kann die Planfeststel-
lungsbehörde beurteilen, ob Verbotstatbestände erfüllt sind (vgl. dazu etwa
31
- 18 -
Gellermann/Schreiber, a.a.O. S. 200 f.). Angesichts des Umfangs der Ermitt-
lungsergebnisse, die der Planfeststellungsbehörde vorlagen, waren weitere Er-
mittlungen nach dem derzeitigen Erkenntnisstand nicht veranlasst. Den Plan-
feststellungsunterlagen lässt sich die Untersuchung des einschlägigen Gebietes
u.a. auf die Vogelpopulation und sonstige Fauna entnehmen. Das artenschutz-
rechtliche Gutachten, das dem Planfeststellungsbeschluss zugrunde liegt, wer-
tet eine Vielzahl von Daten aus (vgl. dort S. 6), die aus verschiedenen Quellen
und Jahren stammen und so über einen Zeitraum von mehreren Jahren das
Vorkommen der verschiedenen planrelevanten Arten dokumentieren. Im Land-
schaftspflegerischen Begleitplan (S. 178 ff.) ist das Vorkommen zahlreicher Vo-
gelarten belegt. Die gewonnenen Daten basieren u.a. auf einer umfassenden
Kartierung, für die acht Begehungen in den Monaten März bis Juli 2002 stattge-
funden haben (vgl. LBP S. 178), was anerkannten Standards genügt (vgl. dazu
Südbeck u.a., Methodenstandards zur Erfassung der Brutvögel Deutschlands,
S. 46 ff.). Zusätzlich wurde für das Artenschutzgutachten eine Vogelkartierung
in der ersten Aprilwoche 2007 vorgenommen. Dieses Gutachten zeigt insge-
samt auf, dass im und um das Gebiet der planfestgestellten Trasse eine reich-
haltige Avifauna existiert, aber nach § 42 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG geschützte
Niststätten - abgesehen von Höhlen bewohnenden Arten - nicht betroffen sind.
Das hat die Antragstellerin auch nicht widerlegt.
Der Verbotstatbestand des § 42 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG ist nach den Feststel-
lungen des Planfeststellungsbeschlusses erfüllt, weil vom Vorhaben ausgehen-
de bauzeitliche Beeinträchtigungen (Lärmimmissionen, Erschütterungen, visuel-
le Effekte) den nahe der Trasse am Westportal des Jagdbergtunnels befindli-
chen Horst eines Mäusebussards sowie potenzielle Spechthöhlen stören
(worst-case-Betrachtung). Auch insoweit wurde jedoch eine Befreiung erteilt.
bb) Die Antragstellerin rügt, der Verbotstatbestand des § 42 Abs. 1 Nr. 1
BNatSchG, Art. 12 Abs. 1 Buchst. d FFH-RL sei deshalb erfüllt, weil sowohl Le-
bensstätten von geschützten Fledermausarten wie auch der Haselmaus ver-
nichtet würden. Damit wird sie jedoch voraussichtlich nicht durchdringen.
32
33
- 19 -
Das zur Betroffenheit von Fledermäusen vorgelegte Gutachten (Dipl. Ing.
Michael F., Fachgutachterliche Stellungnahme „Kartierung der Fledermäuse
(Chiroptera) im unteren Hangwald der ‚Doberau’“, S. 11, zit. Gutachten F.) be-
schränkt sich darauf, potenzielle Quartiere wie Spechthöhlen anzuführen und
aus der Anzahl der Höhlen Rückschlüsse auf das Vorhandensein von Quartie-
ren zu ziehen. Nach den Untersuchungen, auf denen der Landschaftspflegeri-
sche Begleitplan beruht (vgl. dort S. 160 ff., 163), werden Quartiere von Fle-
dermäusen nicht in Anspruch genommen, weil diese sich außerhalb der geplan-
ten Trasse befinden, weshalb der Verbotstatbestand nicht erfüllt sei (vgl. Arten-
schutzgutachten S. 45 - 47 sowie die Auflistung im Landschaftspflegerischen
Begleitplan S. 161 in Verbindung mit der Karte „Bestand und Bewertung von
Flora und Fauna“ Unterlage 12.1.1 Blatt 2a). Die Erwähnung von Fledermaus-
quartieren in der Auflistung „Wirkfaktoren-Beeinträchtigungskette für den Kon-
fliktbereich 2“ im Landschaftspflegerischen Begleitplan (Tabelle 72 S. 250, 258)
bedeutet nicht, dass dort abstrakt benannte Quartiere tatsächlich unmittelbar
betroffen werden. Diese Auflistung soll Konflikte im untersuchten Bereich quali-
tativ und quantitativ aufzeigen, den funktionalen Wert bestimmen und Beein-
trächtigung und Wirkfaktoren miteinander in Bezug setzen. Sie dient u.a. der
Planung kompensierender Maßnahmen und bildet deshalb nicht notwendiger-
weise die für die artenschutzrechtliche Beurteilung notwendige Genauigkeit ab.
Ebenso wenig wird die Antragstellerin voraussichtlich mit ihrer Behauptung
durchdringen, der Verbotstatbestand sei deshalb erfüllt, weil Fledermäuse
durch die Kollision mit Kraftfahrzeugen getötet würden. Denn das Kollisionsrisi-
ko wird gegenüber der bestehenden Situation nicht erhöht. Allerdings trifft es
zu, dass durch die Neutrassierung bestehende Fledermausflugrouten beein-
trächtigt werden (Konfliktbereiche 1 und 2, LBP S. 211, 246). Die Erhöhung der
Mortalität wird jedoch durch kompensierende Maßnahmen verhindert. Es wer-
den Überflughilfen für Fledermäuse im Querungsbereich der Magdel und im
Bereich der Dammkrone, am Schorbacher Graben sowie am Nostengraben
geschaffen wie die Pflanzung von hochwüchsigen Gehölzen und Bäumen sowie
eine dichte Unterpflanzung, um ein Durchfliegen zu verhindern, was insbeson-
dere die niedrig fliegenden Fledermausarten betrifft (Maßnahmen Nr. V 1.3,
V 2.3, LBP S. 364). Eine Querung des Waldes am westlichen Tunnelportal ent-
34
35
- 20 -
spricht nicht den im Landschaftspflegerischen Begleitplan (Karte 2a zu Unterla-
ge 12.1.1) festgehaltenen Flugrouten.
Die Antragstellerin meint weiter, der Verbotstatbestand sei erfüllt, weil eine Ha-
selmaus im Trassenbereich niste und deren Quartier zwangsläufig beim Bau
entfernt werden müsse. Diese Bedenken lassen sich beim gegenwärtigen
Stand der Erkenntnisse nicht ausräumen. Zwar waren nach den dem Land-
schaftspflegerischen Begleitplan sowie dem Artenschutzgutachten zugrunde
liegenden Daten Haselmausvorkommen angenommen worden, jedoch gerade
nicht im Trassenbereich, sondern südwestlich von Oßmaritz und Leutra (LBP
S. 176, 177, LINFOS-Daten Nr. 15; Artenschutzgutachten S. 16). Die Hinzuzie-
hung dieser Daten genügte der Untersuchungstiefe, weil sie auch im Hinblick
auf die Individuen einen hinreichenden Aufschluss gab. Das schließt es nicht
aus, dass bei neuen Untersuchungen weitere Individuen gefunden werden. Die
Planfeststellungsbehörde wird deshalb möglicherweise zu prüfen haben, in wel-
cher Weise sie hier dem Artenschutz Rechnung trägt.
e) Der Ergänzungsplanfeststellungsbeschluss geht davon aus, dass der Ver-
botstatbestand des § 42 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG wie auch des Art. 13 Abs. 1
Buchst. a FFH-RL hinsichtlich eines Standortes des geschützten Frauenschuh
erfüllt ist, weil dieser Standort am westlichen Tunnelportal beseitigt werden
muss. Soweit die Antragstellerin darüber hinaus weitere betroffene Standorte
geltend macht, ist nicht zu erkennen, dass diese unmittelbar zerstört würden.
Die im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung durchgeführten Untersuchun-
gen weisen eine Reihe von weiteren Standorten aus, die nicht beseitigt werden
müssen, auf die sich jedoch die zusätzlichen Nährstoffeinträge durch die NO
x
-
Immission auswirken können (vgl. Ergänzungen zur Verträglichkeitsprüfung
September 2005 S. 8, 15). Das Artenschutzgutachten geht im Anschluss an die
Ausführungen dort davon aus, dass die Frauenschuhbestände von Nährstoff-
einträgen nicht nachteilig betroffen sein werden. Eine Bindung der Pflanze an
magere Standorte sei nicht bekannt. Festgestellt werden könne aber, dass die
Frauenschuhbestände entlang der bisherigen Trasse der A 4 eine hohe Tole-
ranz gegenüber Einträgen aus dem Straßenverkehr aufwiesen (Ergänzungen
zur Verträglichkeitsprüfung September 2005 S. 15). Das kann die Antragstelle-
36
37
- 21 -
rin voraussichtlich nicht mit Bezug auf die Stellungnahme R. (Dipl. Biologe Mi-
chael R., Potentielle Wirkung von Stickstoffeinträgen in Kalk-Trockenrasen un-
ter besonderer Berücksichtigung des Frauenschuh, vom 30. November 2007)
widerlegen. Auch diese Stellungnahme geht davon aus, dass spezifische Un-
tersuchungen für Orchideenstandorte in Bezug auf den Einfluss von Stickstoff-
einträgen auf Mykorrhiza-Assoziationen nicht existieren. Auf die Stickstofftole-
ranz der vorhandenen Frauenschuhstandorte geht die Stellungnahme nicht ein,
sondern äußert lediglich Vermutungen, dass sich die Population in zukünftigen
Generationen verändern könnte.
f) Die Erfüllung der Verbotstatbestände nach § 42 Abs. 1 Nr. 1 und 3 BNatSchG
dürfte der Zulassung des Vorhabens deswegen nicht entgegenstehen, weil eine
Befreiung nach § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG von den Verboten des § 42
Abs. 1 BNatSchG gewährt wurde oder - hinsichtlich des potenziellen Hasel-
mausquartiers - zumindest nachträglich erteilt werden kann. Nach § 62 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 BNatSchG kann eine Befreiung von den Verboten auf Antrag ge-
währt werden, wenn überwiegende Gründe des Gemeinwohls dies erfordern
und die Art. 12, 13 und 16 FFH-RL sowie die Art. 5 bis 7 und 9 VRL nicht ent-
gegenstehen.
aa) Soweit eine Befreiung in Bezug auf die Spechthöhlen und die Störung eines
Horstes des Mäusebussards erteilt worden ist, dürften voraussichtlich die Ab-
weichungsvoraussetzungen des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a letzter Spiegelstrich
VRL vorliegen.
Es gibt voraussichtlich keine andere zufriedenstellende Lösung, mit der die Be-
einträchtigungen vermieden werden könnten. Der Begriff „andere zufriedenstel-
lende Lösung“ ist wie der Begriff der „Alternativlösung“ in Art. 6 Abs. 4 FFH-RL
in vollem Umfang gerichtlich überprüfbar und im Hinblick auf das Schutzregime
der Vogelschutzrichtlinie zu verstehen (vgl. zu § 6 Abs. 4 FFH-RL Urteil vom
27. Januar 2000 - BVerwG 4 C 2.99 - BVerwGE 110, 302 <310>; Gellermann/
Schreiber, a.a.O. S. 72). Wie der Antragsgegner im Planfeststellungsbeschluss
dargelegt hat (S. 38 - 40), erscheint von allen möglichen Varianten die gewählte
am meisten geeignet, weil sie sowohl dem Schutz von Natur und Landschaft
38
39
40
- 22 -
wie auch den verkehrlichen Belangen am besten Rechnung trägt. Das ist nach
der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Überprüfung nicht zu bean-
standen.
Die von der Antragstellerin favorisierte Ausbauvariante hat der Antragsgegner
nachvollziehbar als weniger geeignet angesehen. Sie war sowohl Gegenstand
des Raumordnungsverfahrens wie auch der FFH-Verträglichkeitsprüfung. Ins-
gesamt wurde die Ausbauvariante für nicht mit den Erfordernissen der Raum-
ordnung vereinbar erklärt (Landesplanerische Beurteilung vom 30. April 2001,
S. 66). Entscheidende Kriterien gegen die Ausbauvariante waren dabei vor al-
lem die naturschutzfachliche Wertigkeit des Leutratales und der Schutz eines
der ältesten Naturschutzgebiete Deutschlands. Eingriffe in das dort vorhandene
FFH-Gebiet in einem größeren Umfang wären nicht vermeidbar gewesen. Hin-
zu kamen die Schwierigkeit des Baus unter laufendem Verkehr sowie die Stei-
gungsstrecke am Amselberg, die bei einem Ausbau weiterhin bewältigt werden
müsste. Vor allem ließe sich aber die Ausbauvariante nur unter Verstoß gegen
das europäische Naturschutzrecht verwirklichen. Die Eingriffe in das geschützte
Gebiet dürften ungeachtet der wirtschaftlichen Bedeutung des Ausbaus nicht
erfolgen, weil eine Alternativlösung vorhanden ist, Art. 6 Abs. 4 Satz 1 FFH-RL.
Schon deshalb scheidet diese Alternative aus (vgl. Urteil vom 17. Mai 2002
- BVerwG 4 A 28.01 - BVerwGE 116, 254 <264>). Demgegenüber wird die
Neubauvariante naturschutzfachlich als deutlich weniger kritisch eingeschätzt
(vgl. Landesplanerische Beurteilung vom 30. April 2001, S. 26 ff.). Sie zer-
schneidet das FFH-Gebiet nicht, sondern berührt es allenfalls randlich. Die von
der Antragstellerin ebenfalls favorisierte „Wanderheimvariante“ ist bereits im
Vorfeld weiterer Untersuchungen ausgeschieden, weil sie insgesamt schon aus
topografischen Gründen erhebliche Schwierigkeiten aufweist, wegen des Tun-
nels mit etwa 4,5 km Länge und der erforderlichen Einschnitte in Hanglagen
erhebliche Kostenfaktoren birgt und Überschussmassen anfielen, die nicht ver-
baut werden könnten. Darüber hinaus wäre eine Inanspruchnahme des FFH-
Gebietes ebenfalls nicht zu vermeiden (vgl. Stellungnahme der DEGES ohne
Datum). Eine Planungsalternative, die der Planungsbehörde bereits auf der
Grundlage einer Grobanalyse als weniger geeignet erscheint, kann schon in
einem frühen Planungsstadium ausgeschieden werden (Urteil vom 25. Januar
41
- 23 -
1996 - BVerwG 4 C 5.95 - BVerwGE 100, 238 <250>). Deshalb kann es nicht
als fehlerhaft angesehen werden, wenn diese Alternative nicht mehr vertiefend
untersucht wurde und die Planfeststellungsbehörde im Planfeststellungsbe-
schluss auf diese Variante nicht mehr näher eingegangen ist. Das gilt ebenso
hinsichtlich aller weiteren von der Antragstellerin favorisierten Varianten. Auch
soweit die Antragstellerin die Verlängerung des Tunnels verlangt, kann darin
keine andere zufriedenstellende Lösung im Hinblick auf den Befreiungstatbe-
stand gesehen werden. Eine Tunnelverlängerung - gleichgültig ob mit einer
Gradientenabsenkung oder in offener Bauweise - würde nach der Kostenschät-
zung des Antragsgegners, der die Antragstellerin nicht substantiiert entgegen-
getreten ist, Mehrkosten in zweistelliger Millionenhöhe verursachen (ca.
27 Mio. €), zudem zusätzliche laufende Kosten für die Unterhaltung verursa-
chen und wäre deshalb unverhältnismäßig. Selbst bei einer Verringerung die-
ses Betrages um mögliche Einsparungen, wie sie die Antragstellerin nunmehr
behauptet, bleiben unverhältnismäßige Mehrkosten. Soweit, wie der Antrags-
gegner behauptet, die Tunnelverlängerung wegen der Topografie nur in offener
Bauweise vorgenommen werden könnte, würde das Problem der Beseitigung
von Spechthöhlen und der Störung des Horstes eines Mäusebussards nicht
gelöst werden, weil auch für eine solche Lösung die beeinträchtigte Fläche in
Anspruch genommen werden müsste.
Die Abweichung ist voraussichtlich auch im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. a
letzter Spiegelstrich VRL zum Schutz der Pflanzen- und Tierwelt zulässig. Der
Antragsgegner hat im Verfahren dargelegt, dass die Neubauvariante planfest-
gestellt wurde, um das gemeldete FFH-Gebiet Nr. 129 im Leutratal zu schonen.
Allerdings dient die planfestgestellte Trasse nicht in erster Linie dem Schutz der
Pflanzen- und Tierwelt, sondern der Bewältigung der Verkehrsströme. Jedoch
fordern weder der Wortlaut der Vorschrift noch sein Zweck, dass eine Abwei-
chung von Art. 5 VRL ausschließlich auf dem Schutz der Pflanzen- und Tierwelt
beruhen darf. Der Schutzfunktion der strengen Abweichungsregeln (vgl. dazu
EuGH, Urteil vom 7. März 1996 - Rs. C-118/94 - Slg. 1996, I-1244 Rn. 21 f.) ist
jedenfalls genügt, wenn die Maßnahme für die Pflanzen- und Tierwelt auch ei-
nen Schutz bezweckt, der ihre Existenzbedingungen erhält und deutlich ver-
bessert und jedenfalls in seiner Bedeutung über die Maßnahme hinausgeht, die
42
- 24 -
die Abweichungsentscheidung ausgelöst hat. Die konkrete Planung mit den
gegenüber der Ausbautrasse erheblichen Mehrkosten, die der Bau des Jagd-
bergtunnels verursacht, wurde gewählt, um das im Leutratal gelegene FFH-
Gebiet zu schützen. Durch den Rückbau der Bestandstrasse wird die Zer-
schneidung des Gebietes aufgehoben und eine zusammenhängende Fläche
entstehen, die den vorhandenen Raum, der geprägt ist von streng und beson-
ders geschützten Tier- und Pflanzenarten und als Funktionsraum und -komplex
mit sehr hohem funktionalem Wert beurteilt wurde (LBP S. 193 f.), aufwertet.
Dem Ziel der Vogelschutzrichtlinie, u.a. die wildlebenden europäischen Vogelar-
ten zu schützen (Art. 1 VRL), ihren Bestand zu erhalten oder zu entwickeln
(Art. 2 VRL) sowie Lebensräume zu erhalten und wiederherzustellen (Art. 3
VRL), wird im konkreten Fall Rechnung getragen. Das Vogelschutzgebiet Nr. 33
deckt sich im Leutratal im Bereich der Bestandstrasse mit der Fläche des FFH-
Gebietes Nr. 129, so dass bei einem Wegfall der Zerschneidungswirkungen
auch für die Avifauna die Beeinträchtigung des Lebensraumes, die durch die
Bestandstrasse entsteht, aufgehoben wird (vgl. Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL). Dem
stehen bei Beachtung von Art. 13 VRL weniger gewichtig gegenüber die Besei-
tigung derzeit nicht genutzter Baumhöhlen ohne konkrete artspezifische Zuord-
nung sowie die Störung eines Horstes des in seinem Bestand ungefährdeten
Mäusebussards und - möglicherweise - die Beseitigung eines Haselmausquar-
tiers.
bb) Die Befreiung vom Verbot des § 42 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG, Art. 13 Abs. 1
Buchst. a FFH-RL hinsichtlich eines Frauenschuhstandortes ist ebenfalls nicht
zu beanstanden. Der Antragsgegner ist auch hier zu Recht davon ausgegan-
gen, dass überwiegende Gründe des Gemeinwohls die Befreiung erfordern
(§ 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG) und die Maßnahme im Sinne des Art. 16
Abs. 1 Buchst. c FFH-RL zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen
Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art oder positiver
Folgen für die Umwelt dient, es keine anderweitige zufriedenstellende Lösung
gibt und darüber hinaus die Populationen der betroffenen Art in ihrem natürli-
chen Verbreitungsgebiet trotz der Ausnahmeregelung in einem günstigen Erhal-
tungszustand verweilen.
43
- 25 -
Die oben dargestellten Gründe für den Neubau der Trasse werden sich voraus-
sichtlich als zwingend erweisen, weil die verkehrliche Belastung der A 4 für die
Zukunft unter weitestgehender Schonung von Natur und Landschaft anders
nicht bewältigt werden kann. Wie bereits oben ausgeführt, gibt es keine andere
zufriedenstellende Alternative. Als solche Alternative stellt sich auch nicht die
Verlängerung des Tunnels am Westportal dar. Bei der von dem Antragsgegner
für erforderlich gehaltenen offenen Bauweise müsste die Trasse im Anschluss
an das Tunnelportal überdeckt werden. In diesem Fall müsste aber ebenfalls
die Fläche um das vorgesehene Tunnelwestportal in Anspruch genommen wer-
den, so dass auch dann der Frauenschuhstandort betroffen wäre. In jedem Fall
wäre aber, auch wenn eine Verschiebung des Westportals anders als in offener
Bauweise erstellt werden könnte, die Tunnelverlängerung mit unverhältnismä-
ßigen Mehrkosten verbunden.
Schließlich ist die Planfeststellungsbehörde entsprechend dem Artenschutzgut-
achten (S. 43) davon ausgegangen, dass die Bestände in ihrem natürlichen
Verbreitungsgebiet in einem günstigen Erhaltungszustand verbleiben werden.
Im Hinblick auf das Ziel der FFH-Richtline, nämlich die Artenvielfalt zu sichern
(Art. 2 Abs. 1 FFH-RL), kommt es hierbei nicht darauf an, jede lokale Art an ih-
rem Ort zu schützen, sondern es bedarf einer gebietsbezogenen Betrachtung,
für die der Behörde ein naturschutzfachlicher Einschätzungsspielraum einge-
räumt ist (vgl. zu dem entsprechenden Begriff in der Vogelschutzrichtlinie Urteil
vom 21. Juni 2006 - BVerwG 9 A 28.05 - a.a.O. S. 179). Es kommt für die Beur-
teilung nämlich auf pflanzenkundliche Kriterien an. Die hierzu erforderlichen
Maßnahmen - Umsetzung des direkt betroffenen Frauenschuhstandortes, Auf-
wertung eines betroffenen Frauenschuhstandortes und Monitoring vorhandener
Frauenschuhstandorte (S. 43 Artenschutzgutachten, Maßnahmen V 2.6, S. 368
LBP, A 2.20, S. 465 LBP) - sind im Ergänzungsplanfeststellungsbeschluss mit
Bezug auf das Artenschutzgutachen und den Landschaftspflegerischen Be-
gleitplan angesprochen. Da Frauenschuhvorkommen vor allem durch Ausgra-
ben und Ausdunkeln zurückgehen (vgl. Ergänzungen zur Verträglichkeitsprü-
fung September 2005 S. 9), ist es nachvollziehbar, dass die vorgesehenen
Maßnahmen angesichts der insgesamt vorhandenen Standorte einen günstigen
Erhaltungszustand der Art bewirken.
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- 26 -
g) Der Planfeststellungsbeschluss erkennt zutreffend, dass die Maßnahme ei-
nen Eingriff in die Belange von Natur und Landschaft bedeutet und die sich
daraus ergebenden Beeinträchtigungen nach § 7 ThürNatG auszugleichen oder
zu kompensieren sind. Nach § 7 Abs. 2 ThürNatG sind vermeidbare Eingriffe zu
unterlassen. Unvermeidbare Beeinträchtigungen sind auszugleichen. Unver-
meidbare Beeinträchtigungen, die nicht ausgleichbar sind, sind nach § 7 Abs. 3
ThürNatG in sonstiger Weise zu kompensieren. Zum Umfang des Eingriffs in
Natur und Landschaft, den Minimierungs- und Vermeidungs-, den Ausgleichs-
sowie den sonstigen Kompensationsmaßnahmen verweist der Planfeststel-
lungsbeschluss auf den Landschaftspflegerischen Begleitplan, in dem im Ein-
zelnen die notwendigen Eingriffe und die beabsichtigten Maßnahmen beschrie-
ben sind, sowie auf die durchgeführten Untersuchungen und ihre Ergebnisse.
Der Planfeststellungsbeschluss geht abschließend davon aus, dass die dort
dargestellten Maßnahmen genügen, um die durch das Vorhaben hervorgerufe-
nen Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft zu minimieren, auszuglei-
chen bzw. in sonstiger Weise zu kompensieren. Insoweit ist der Planfeststel-
lungsbehörde eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative einzuräu-
men. Die Frage, ob ein Ausgleich vorliegt oder Ersatzmaßnahmen geeignet
sind, den Eingriff zu kompensieren, ist eine naturschutzfachliche Fragestellung,
die nur in einer gebietsbezogenen Gesamtbetrachtung beantwortet werden
kann. Sie entzieht sich deshalb einer uneingeschränkten richterlichen Überprü-
fung.
Im Landschaftspflegerischen Begleitplan ist für das gesamte betroffene Gebiet
im Einzelnen aufgeführt, unterschieden nach den verschiedenen Naturvorkom-
men, in welchem Umfang welche Art betroffen sein kann und welche Maßnah-
men getroffen werden können, Beeinträchtigungen zu vermeiden, auszuglei-
chen oder in sonstiger Weise zu kompensieren. Die dabei getroffenen Aussa-
gen hat die Antragstellerin nicht substantiiert widerlegt. Zwar verweist sie dar-
auf, dass Biotope streng geschützter Arten im Sinne des § 10 Abs. 2 Nr. 11
BNatSchG - Frauenschuhbestände, Fledermausarten und Vogelarten - westlich
von Oßmaritz zerstört würden, die nicht oder nur schwer regenerierbar seien.
Insoweit deckt sich ihre Einschätzung jedoch mit den Feststellungen des Land-
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- 27 -
schaftspflegerischen Begleitplanes, der dem Waldbiotopkomplex im Waldbe-
reich um Oßmaritz bis Pösen einen sehr hohen funktionalen Wert beimisst
(S. 245).
Dementsprechend sieht der Plan zunächst Vermeidungsmaßnahmen vor
(S. 361). Angesichts der Tiefe des Eingriffs lässt sich eine Beeinträchtigung al-
lerdings nur in einem geringen Umfang vermeiden. Im Übrigen hat der Vorha-
benträger deshalb Ausgleich zu schaffen, der den Verlust der Habitate auffan-
gen soll (vgl. S. 421 ff.). Die Maßnahmen sind im Einzelnen beschrieben, wobei
der Rückbau der Bestandstrasse als die bedeutendste Maßnahme zu werten
sein dürfte. Dieser Ausgleich ist auch als ortsnah anzusehen. Der räumliche
Bereich, in dem Ausgleichsmaßnahmen in Betracht kommen, wird durch den
Standort des Vorhabens vorbestimmt. Ausgleichsmaßnahmen müssen so be-
schaffen sein, dass in dem von dem Vorhaben betroffenen Landschaftsraum
ein Zustand herbeigeführt wird, der den früheren Zustand in der gleichen Art
und mit der gleichen Wirkung wiederherstellt (Urteil vom 1. September 1997
- BVerwG 4 A 36.96 - BVerwGE 105, 178 <185>). Nach § 7 Abs. 2 Satz 2
ThürNatG ist die Beeinträchtigung des Naturhaushaltes ausgeglichen, wenn
und sobald die beeinträchtigten Funktionen wiederhergestellt sind. Dies ist nach
§ 7 Abs. 2 Satz 3 ThürNatG der Fall, wenn sich diese Maßnahmen am Eingriffs-
ort funktionsstabilisierend auswirken, so dass keine erheblichen Beeinträchti-
gungen auf Dauer zurückbleiben. Davon ist die Planfeststellungsbehörde nach-
vollziehbar ausgegangen. Die Bestandstrasse verläuft nahe an der Plantrasse.
Der Rückbau wirkt auch auf den Eingriffsort zurück, weil der gesamte Bereich
südlich des vorgesehenen Tunnels und der Plantrasse als ein zusammenhän-
gender Naturraum hergestellt wird (vgl. die Darstellung im LBP S. 421 ff.). Mit
zahlreichen weiteren ergänzenden Maßnahmen soll sichergestellt werden, dass
sich neue Habitate für alle betroffenen Arten bilden können. Der Frauenschuh-
bestand im Bereich des geplanten Westportals soll unter fachkundiger Anlei-
tung umgesetzt werden in den Bereich eines weniger gut erhaltenen Bestan-
des, der durch Auslichtungsmaßnahmen aufgewertet werden soll. Durch ein
10 Jahre andauerndes Monitoring mit entsprechend angepassten Pflegemaß-
nahmen wird eine optimale Entwicklung des Standortes sichergestellt (vgl.
48
- 28 -
S. 465). Eine Abwägung nach § 7 Abs. 4 ThürNatG musste danach nicht mehr
erfolgen.
2. Der Planfeststellungsbeschluss verstößt bei summarischer Prüfung auch
nicht gegen das in § 17 Satz 2 FStrG normierte fachplanerische Abwägungsge-
bot.
a) Fehler bei der Abwägung der Trassenalternativen sind auch insoweit nicht
erkennbar. Die Auswahl unter verschiedenen für ein Vorhaben in Frage kom-
menden Trassenvarianten ist ungeachtet hierbei zu berücksichtigender rechtlich
zwingender Vorgaben eine fachplanerische Abwägungsentscheidung. Sie ist
gerichtlicher Kontrolle nur begrenzt auf erhebliche Abwägungsmängel hin zu-
gänglich. Nach ständiger Rechtsprechung handelt eine Planfeststellungsbehör-
de nicht schon dann abwägungsfehlerhaft, wenn eine von ihr verworfene Tras-
senführung ebenfalls mit guten Gründen vertretbar gewesen wäre. Es ist nicht
Aufgabe des Gerichts, durch eigene Ermittlungen ersatzweise zu planen und
sich hierbei gar von Erwägungen einer „besseren“ Planung leiten zu lassen. Die
Grenzen der planerischen Gestaltungsfreiheit bei der Auswahl zwischen ver-
schiedenen Trassenalternativen sind erst dann überschritten, wenn eine andere
als die gewählte Variante sich unter Berücksichtigung aller abwägungserhebli-
chen Belange eindeutig als die bessere, weil öffentliche und private Belange
insgesamt als die schonendere darstellen würde, wenn sich mit anderen Wor-
ten diese Lösung der Behörde hätte aufdrängen müssen (vgl. etwa Urteil vom
9. Juni 2004 - BVerwG 9 A 11.03 - a.a.O. S. 41). Die Planfeststellungsbehörde
ist zudem befugt, schon in einem frühen Planungsstadium solche Planungsal-
ternativen auszuscheiden, die nach Art einer Grobanalyse ernsthaft nicht in Be-
tracht kommen. Die Behörde muss nicht alle denkbaren Vorhabensvarianten
untersuchen (vgl. Urteil vom 12. Dezember 1996 - BVerwG 4 C 29.94 -
BVerwGE 102, 331 <345>). Gemessen an diesen Grundsätzen erweist sich die
Variantenauswahl durch die Planfeststellungsbehörde aller Voraussicht nach
nicht in einer Weise als abwägungsfehlerhaft, die vom Senat als erheblich im
Sinne des § 17e Abs. 6 Satz 1 FStrG beanstandet werden könnte. Wie oben
(S. 22) bereits ausgeführt, durfte die Planfeststellungsbehörde die Neubauvari-
ante als die am meisten geeignete auswählen, weil sie den Anforderungen an
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die Bewältigung des zukünftigen Verkehrs Rechnung trägt und gleichzeitig die
Belange des Naturschutzes dadurch wahrt, dass sie die wertvollen geschützten
Lebensräume im Leutratal erhält, die Zerschneidung des FFH-Gebietes Nr. 129
und des Vogelschutzgebietes Nr. 33 durch den Rückbau der Bestandstrasse
entfällt und so der Lebensraum für eine vielfältige Tier- und Pflanzenwelt sowie
der Erholungsraum für die Menschen erweitert und von Störungen freigehalten
wird. Die Ausbauvariante scheidet schon wegen der Inanspruchnahme der ge-
schützten Lebensräume im FFH-Gebiet Nr. 129 aus. Die „Wanderheimvariante“
konnte aus den genannten Gründen schon im Vorplanungsstadium ausge-
schieden werden.
b) Der Planfeststellungsbeschluss bewältigt auch das Problem der Gefahrgut-
transporte. Zumindest ist nichts dafür ersichtlich, dass sich unter diesem Ge-
sichtspunkt ein unüberwindbares Zulassungshindernis ergibt, das den Vorha-
benträger hindert, an der Trassenauswahl und damit an der Inanspruchnahme
des klägerischen Grundbesitzes festzuhalten.
Die straßenverkehrsrechtliche Regelung für Gefahrguttransporte obliegt nicht
der Planfeststellungsbehörde. Im Planfeststellungsbeschluss sind jedoch die
bautechnischen Probleme zu bewältigen, die ein Straßentunnel für die Durchlei-
tung des Gefahrgutverkehrs aufwirft. Dem kommt der Planfeststellungsbe-
schluss nach. Nach den Auflagen zur Projektgestaltung (S. 16 - 18) ist der Tun-
nel nach den einschlägigen Vorschriften zu errichten, darunter die „Richtlinien
für die Ausstattung und den Betrieb von Straßentunneln“ (RABT), die entspre-
chend den Vorgaben der Richtlinie 2004/54/EG über Mindestanforderungen an
die Sicherheit von Tunneln im transeuropäischen Straßennetz vom 29. April
2004 (ABl L 167 S. 39) im Jahre 2006 überarbeitet wurde. Einen Ausschluss
von Gefahrguttransporten gibt es für den Tunnelbetrieb nicht. Die im Planfest-
stellungsbeschluss geforderte Risikoanalyse liegt inzwischen vor. Die Ergebnis-
se der Risikoanalyse, die die RABT für Tunnel ab 400 m vorschreibt, können
dazu führen, dass durch zusätzliche bauliche, technische und/oder organisato-
rische Maßnahmen Eintrittswahrscheinlichkeiten reduziert und/oder Ausmaße
von Störfällen begrenzt werden können (RABT Ausgabe 2006 S. 50). Das im
51
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- 30 -
Planfeststellungsbeschluss geforderte Gesamtsicherheitskonzept liegt ebenfalls
vor.
c) Die Planfeststellungsbehörde hat die durch das Vorhaben für die betroffenen
Wohngebiete entstehenden Probleme durch Luftschadstoffeintrag beanstan-
dungsfrei erörtert und abgewogen.
Ein Verstoß gegen die Abwägungsdirektiven des § 50 BImSchG, wie es die An-
tragstellerin geltend macht, kann nach der summarischen Überprüfung nicht
festgestellt werden. Schädliche Umwelteinwirkungen auf Wohngebiete wurden
bei der Trassenführung so weit wie möglich vermieden.
Im Planfeststellungsbeschluss (S. 89 ff.) ist im Einzelnen dargelegt, auf welchen
Berechnungsmethoden und Programmen die Untersuchung der Immissionen
verkehrsbedingter Luftschadstoffe beruht. Das zugrunde liegende Gutachten
samt Ergänzung (Luftschadstoffuntersuchung des Ingenieurbüros L. vom No-
vember 2004 mit Ergänzung vom Dezember 2005, Unterlage 11.A) ergibt die
Einhaltung der Werte der 22. BImSchV auch unter Berücksichtigung der geän-
derten Planung, die die Plantrasse ca. 25 m näher an Bucha heranrückt. Die
Berechnungen wurden in der fachtechnischen Stellungnahme der Thüringer
Landesanstalt für Umwelt und Geologie vom 12. Mai 2005 bestätigt. Das um-
fasst auch die Möglichkeit, die besonderen meteorologischen Verhältnisse des
Gebietes mittels der angewandten Rechenverfahren zu berücksichtigen. Die
Schadstoffbelastung im Bereich Nennsdorf wurde in der Ergänzung zur Schad-
stoffuntersuchung vom Dezember 2005 in die Betrachtungen einbezogen. Die
Berechnungen ergaben eine Unterschreitung der Grenzwerte im Bereich der
Wohnbebauung sowohl für den NO
2
-Jahresmittelgrenzwert, den NO
2
-Kurzzeit-
grenzwert wie auch den Jahresmittelwert der PM
10
-Belastung (Ergänzung
S. 19, 20).
d) Abwägungsmängel im Hinblick auf die eigentumsrechtlichen Belange der
Antragstellerin lässt der Planfeststellungsbeschluss ebenfalls nicht erkennen.
Allerdings werden ihre Belange im Planfeststellungsbeschluss nur im Hinblick
auf die Waldgrundstücke (vgl. S. 120) ausdrücklich erwähnt, obwohl eine weit-
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56
- 31 -
aus größere, dauerhaft landwirtschaftlich genutzte Fläche ebenfalls in ihrem
Eigentum steht. Das ist jedoch unschädlich, weil die Planfeststellungsbehörde
alle für die Abwägung erforderlichen Umstände in ihre Überlegungen eingestellt
hat. Die zu enteignenden Flächen sind im Grunderwerbsverzeichnis aufgeführt.
Im Einzelnen ist bezeichnet, welche Flächen zu erwerben sind und welche nur
vorübergehend in Anspruch genommen werden. Aus den Grunderwerbsplänen,
die wie das Grunderwerbsverzeichnis Gegenstand des Planfeststellungsbe-
schlusses sind, ergeben sich die Größe und die Lage der Grundstücke der An-
tragstellerin. Danach war der Behörde die Inanspruchnahme der Grundstücke
der Antragstellerin bewusst. Sie hat nicht übersehen, dass die Antragstellerin
durch die Inanspruchnahme landwirtschaftlich genutzter Flächen Einbußen er-
leidet. Im Grunderwerbsverzeichnis ist das Pachtverhältnis bezeichnet. Indivi-
duelle Interessen, die über den Umstand ihrer eigentumsrechtlichen Betroffen-
heit hinausgehen und im Planfeststellungsbeschluss hätten besonders erwähnt
werden müssen, hat die Antragstellerin nicht geltend gemacht. Im Planfeststel-
lungsbeschluss setzt sich die Planfeststellungsbehörde mit den Interessen einer
Reihe von Grundstückseigentümern auseinander und weist nach Abwägung
den öffentlichen Interessen an der Baumaßnahme den Vorrang zu. Das genügt
mangels weiteren individuellen Vorbringens der Antragstellerin dem Abwä-
gungsgebot des § 17 Satz 2 FStrG.
3. Von diesen Erwägungen ausgehend hält der Senat das öffentliche Interesse
an der sofortigen Vollziehung der Planfeststellung für besonders gewichtig und
hinreichend geeignet, die gegenläufigen privaten Interessen der Antragstellerin
zu überwinden. Auslöser für den Rechtsschutz, der einem Grundeigentümer
zusteht, wenn er von enteignungsrechtlichen Vorwirkungen betroffen ist, ist und
bleibt die Beeinträchtigung in Rechten. Zu seinen Gunsten kann das
Gemeinwohl nicht mit ausschlaggebendem Gewicht angeführt werden, wenn
- wie hier - die bisher vorliegenden Erkenntnisse dafür sprechen, dass die plan-
festgestellte Trassenvariante alternativlos ist und auch die Dimensionierung der
Trasse nicht dem Gemeinwohl widerstreitet. Das Interesse der Antragstellerin,
dass hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Planfeststellung verbleibende Zwei-
felsfragen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht im Hauptsacheverfahren
vorweg abschließend geklärt werden, erweist sich unter diesen Umständen
57
- 32 -
nicht als gewichtig genug, um einen Baustopp zu rechtfertigen. Im Gegenteil
würde ein Baustopp eher eine Gefahr für das Gemeinwohl nach sich ziehen.
Wenn sich die Antragstellerin zur Verteidigung ihrer Eigentümerstellung darauf
beruft, im Interesse des Gemeinwohls zu handeln, überzeugt dies nicht. Aus
der Sicht eines objektiven Betrachters dient es insbesondere nicht einem wohl-
verstandenen Schutz der Natur, das planfestgestellte Vorhaben weiter zu ver-
zögern. Die sechsstreifige Erweiterung der A 4 in Thüringen kann als Lücken-
schluss innerhalb der mit den „Vorhaben Deutsche Einheit“ (VDE) angestrebten
und weitgehend realisierten Netzstruktur der deutschen Autobahnen nicht nur
unter dem Aspekt der Verkehrsbelange höchste Priorität beanspruchen. Kenn-
zeichnend für den streitigen Bauabschnitt ist, dass mit der Verlagerung der
Trasse in den Jagdbergtunnel darüber hinaus eine dringlich erscheinende Lö-
sung schwerwiegender Konflikte mit dem Naturschutz angestrebt wird. Diese
Lösung wird bilanzierend für den Naturschutz nachhaltige Vorteile mit sich brin-
gen, so dass sie bereits beim derzeitig erreichten Erkenntnisstand als hinrei-
chend erfolgversprechend einzustufen ist. Es ist davon auszugehen, dass das
FFH-Gebiet Nr. 129, das bislang in einem zentralen Bereich von der A 4 durch-
schnitten wird, künftig allenfalls noch in Randzonen von straßenverkehrsbeding-
ten Belastungen betroffen sein wird. Die daraus möglicherweise neu erwach-
senden Risiken für die Erhaltungsziele des FFH-Gebietes werden bei über-
schlägiger Prüfung durch Schutz- und Kompensationsmaßnahmen beherrsch-
bar sein. Wie bereits erläutert wurde, steht aber fest, dass die nicht mehr benö-
tigten Straßenflächen nach ihrer Entsiegelung einer Nutzung zugeführt werden
können, die sicherstellt, dass vielfältige floristische und faunistische Lebens-
räume sich innerhalb des FFH-Gebietes Nr. 129 neu entwickeln werden. Vor
diesem Hintergrund vermag der Senat dem Klagevorbringen der Antragstellerin
bislang nicht zu entnehmen, dass ihr Widerstand gegen die neue Trassenfüh-
rung mit dem Interesse an einem wohlverstandenen Naturschutz vereinbar ist.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des
Streitwerts auf § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG. Dabei wurden entsprechend
dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit die Hälfte des Wertes
der enteignungsbetroffenen (20 685 m²) Fläche sowie 15 000 € für die Beein-
58
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trächtigung des Wohnhauses - hier: Vermeidung von Immissionen - zugrunde
gelegt, was bei hälftigem Ansatz im Hinblick auf das Eilverfahren den im Tenor
genannten Streitwert ergibt.
Dr. Storost Vallendar Buchberger