Urteil des BVerwG vom 13.03.2017

BVerwG ()

Rechtsquellen:
GG
Art. 14 Abs. 1 Satz 1, Art. 14 Abs. 3 Satz 1 und 2
FlurbG
§§ 4, 34, 36, 87 Abs. 1, § 88 Nr. 4
BayVwVfG Art. 80 Abs. 1 Satz 1 und 5
Stichworte:
Eigentum; Besitzrecht; Pacht; Unternehmensflurbereinigung; Bebauungsplan;
Enteignung; Flurbereinigungsbeschluss; enteignungsrechtliche Vorwirkung;
Reichweite; Klagebefugnis; Widerspruchsbefugnis; Pächter.
Leitsätze:
1. Das Besitzrecht des Pächters ist Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1
Satz 1 GG (wie Urteil vom 1. September 1997 - BVerwG 4 A 36.96 -
BVerwGE 105, 178 <180>).
2. Die Unternehmensflurbereinigung nach § 87 Abs. 1 FlurbG ist eine Maß-
nahme der Enteignung nach Art. 14 Abs. 3 GG auch gegenüber den Pächtern
von Grundstücken im Flurbereinigungsgebiet, die infolge der Beschaffung von
Land für das Unternehmen und der Verteilung des Landverlustes auf den Kreis
der am Verfahren beteiligten Eigentümer ihr bisheriges Pachtland verlieren (im
Anschluss an BVerfG, Urteil vom 24. März 1987 - 1 BvR 1046/85 - BVerfGE 74,
264 <279 ff.>).
3. Der Flurbereinigungsbeschluss nach § 87 Abs. 1 FlurbG hat für den Fall der
Anordnung der Flurbereinigung zur Durchführung eines durch Bebauungsplan
festgesetzten Unternehmens eine „enteignungsrechtliche Vorwirkung“ sowohl
gegenüber den Eigentümern von Grundstücken im Flurbereinigungsgebiet (vgl.
BVerfG, Urteil vom 24. März 1987 a.a.O. S. 282) als auch gegenüber allen
Pächtern solcher Grundstücke.
4. Neben den Grundstückseigentümern sind auch alle Pächter von Grundstü-
cken im Flurbereinigungsgebiet befugt, Widerspruch und Klage gegen eine An-
ordnung der Flurbereinigung zur Durchführung eines durch Bebauungsplan
festgesetzten Unternehmens zu erheben (Änderung der bisherigen Rechtspre-
chung).
Urteil des 9. Senats vom 29. Januar 2009 - BVerwG 9 C 3.08
I. VGH München vom 8.11.2007 - Az.: VGH 13 A 07.184 -
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BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 9 C 3.08
VGH 13 A 07.184
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. Januar 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Storost
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Nolte, Domgörgen,
Dr. Christ und Prof. Dr. Korbmacher
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Bayeri-
schen Verwaltungsgerichtshofs vom 8. November 2007
wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I
Gegenstand des Rechtsstreits ist die Erstattung von Kosten, die dem Kläger in
einem flurbereinigungsrechtlichen Widerspruchsverfahren entstanden sind.
Dem liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:
Das Amt für Ländliche Entwicklung Niederbayern ordnete auf Antrag der Ent-
eignungsbehörde (Landkreis Landshut, zugleich Unternehmensträger) mit Be-
schluss vom 19. Juni 2006 auf der Grundlage der §§ 87 ff. FlurbG das Flurbe-
reinigungsverfahren „Altdorf IV“ zur Durchführung des Unternehmens „Nordum-
fahrung Altdorf durch die Kreisstraße LA 26“ gemäß dem Bebauungs- und
Grünordnungsplan „Nordumfahrung Altdorf“ des Marktes Altdorf an. Gegen die-
sen öffentlich bekannt gemachten Flurbereinigungsbeschluss legte der Kläger
als Pächter landwirtschaftlich genutzter Grundstücke im Flurbereinigungsgebiet
Widerspruch ein, den das Amt für Ländliche Entwicklung Niederbayern wegen
fehlender Widerspruchsbefugnis zurückwies. Durch einen weiteren - auch an
widersprechende Eigentümer von Grundstücken im Verfahrensgebiet gerichte-
ten - Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2006 wurden der erste Wider-
spruchsbescheid zurückgenommen und der Flurbereinigungsbeschluss aufge-
hoben. Bezüglich der Widerspruchsführer, die Eigentümer von Grundstücken
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im Flurbereinigungsgebiet waren, wurden die Kosten des Verfahrens dem Be-
klagten auferlegt und die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für notwendig
erklärt. Bezüglich des Klägers wurden die Kosten des Verfahrens gegeneinan-
der aufgehoben und dies wie folgt begründet: Sein Widerspruch sei unzulässig,
da er nicht Eigentümer von im Verfahrensgebiet liegenden Grundstücken und
somit nicht widerspruchsbefugt sei. Deshalb entspreche es der Billigkeit, die
Kosten des Verfahrens gegeneinander aufzuheben, nachdem sich sein Wider-
spruch durch die Aufhebung des Flurbereinigungsbeschlusses aufgrund der
anderen Widersprüche in der Hauptsache erledigt habe.
Auf die Klage des Klägers hat das Flurbereinigungsgericht den Widerspruchs-
bescheid vom 19. Dezember 2006 antragsgemäß dahingehend geändert, dass
der Beklagte auch die dem Kläger entstandenen Kosten des Widerspruchsver-
fahrens trägt; es hat ferner die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das
Widerspruchsverfahren auch durch den Kläger für notwendig erklärt. Zur Be-
gründung hat das Flurbereinigungsgericht ausgeführt: Der Kläger habe Wider-
spruch gegen den Flurbereinigungsbeschluss erheben können. Dieser - inzwi-
schen aufgehobene - Beschluss habe die Zulässigkeit der Enteignung für das
weitere Verfahren verbindlich geregelt. Enteignungsbetroffener sei auch der
Kläger als Besitzer von eigentumsrechtlich geschützten Pachtflächen in der
Trasse der geplanten Umgehungsstraße gewesen, so dass der Flurbereini-
gungsbeschluss auch ihm gegenüber enteignungsrechtliche Vorwirkung entfal-
tet habe. Wegen der somit gegebenen Widerspruchsbefugnis des Klägers ha-
be die Aufhebung des Flurbereinigungsbeschlusses aufgrund anderer Wider-
sprüche entgegen der Auffassung des Beklagten nicht zur Erledigung des Wi-
derspruchs des Klägers gemäß Art. 80 Abs. 1 Satz 5 BayVwVfG geführt. Viel-
mehr sei der zulässige Widerspruch des Klägers gegen den Flurbereinigungs-
beschluss infolge der Aufhebung desselben als erfolgreich im Sinne des Art. 80
Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayVwVfG anzusehen; nach dieser Vorschrift habe je-
doch der Beklagte die gesamten Kosten des Widerspruchsverfahrens zu tra-
gen. In einem Widerspruchsverfahren gegen die Anordnung einer Unterneh-
mensflurbereinigung sei wegen der Schwierigkeit der Rechtsmaterie auch re-
gelmäßig die Notwendigkeit der Zuziehung eines Rechtsanwalts zu bejahen.
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Mit der Revision macht der Beklagte geltend: Pächter von Grundstücken im
Flurbereinigungsgebiet seien nicht befugt, Widerspruch gegen einen Flurberei-
nigungsbeschluss einzulegen. Sie seien als obligatorisch Berechtigte lediglich
durch das Privatrecht geschützt. Der Pachtbesitz werde nicht durch den Flurbe-
reinigungsbeschluss, sondern erst im weiteren Verfahren beeinträchtigt, etwa
bei einer Besitzeinweisung oder spätestens durch den Flurbereinigungsplan.
Insoweit räume das Flurbereinigungsgesetz den Pächtern jedoch eigene Rech-
te ein. Da der Widerspruch des Klägers somit unzulässig gewesen sei, habe
das Flurbereinigungsgericht ihm - dem Beklagten - zu Unrecht auch dessen
Verfahrenskosten auferlegt.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom
8. November 2007 aufzuheben und die Klage abzuwei-
sen.
Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die zulässige Revision, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten
ohne mündliche Verhandlung entscheidet (vgl. § 101 Abs. 2, § 125 Abs. 1
Satz 1, § 141 Satz 1 VwGO), ist nicht begründet.
Das Urteil des Flurbereinigungsgerichts verletzt zwar die revisiblen Regelungen
des Art. 80 Abs. 1 Satz 1 und 5 BayVwVfG zur Verteilung der Kosten des Wi-
derspruchsverfahrens; das Flurbereinigungsgericht hat zu Unrecht die An-
wendbarkeit des Art. 80 Abs. 1 Satz 5 BayVwVfG auf den vorliegenden Fall
verneint und seine Entscheidung stattdessen auf Art. 80 Abs. 1 Satz 1
BayVwVfG gestützt (1.). Die Entscheidung erweist sich insoweit jedoch im Er-
gebnis als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO), weil der Kläger als Pächter von im Flur-
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bereinigungsgebiet liegenden Grundstücken Widerspruch gegen die Anordnung
der Flurbereinigung zur Realisierung der durch Bebauungsplan festgesetzten
Umgehungsstraße erheben konnte mit der Folge, dass der Beklagte auch bei
zutreffender Anwendung des Art. 80 Abs. 1 Satz 5 BayVwVfG dessen Verfah-
renskosten zu tragen hat (2.). Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Wider-
spruchsverfahren hat das Flurbereinigungsgericht zu Recht nach der - ebenfalls
revisiblen - Vorschrift des Art. 80 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG für notwendig erach-
tet (3.).
1. Die Entscheidung des Flurbereinigungsgerichts verstößt gegen Art. 80 Abs. 1
Satz 1 und 5 BayVwVfG. Auf die Verletzung dieser Regelungen kann die Revi-
sion gestützt werden (Art. 99 GG, Art. 97 BayVwVfG).
Gemäß Art. 80 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayVwVfG hat der Rechtsträger, dessen
Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, die Kosten des Wi-
derspruchsverfahrens zu tragen, wenn der Widerspruch erfolgreich ist. Ein Wi-
derspruch ist erfolgreich im Sinne dieser Vorschrift, wenn ihm durch die Aus-
gangsbehörde abgeholfen (§ 72 VwGO) oder durch die Widerspruchsbehörde
stattgegeben wird (Urteil vom 18. April 1996 - BVerwG 4 C 6.95 - BVerw-
GE 101, 64 <67 f.> zum inhaltsgleichen § 80 Abs. 1 Satz 1 HVwVfG). Dies
setzt eine Entscheidung gegenüber dem Widerspruchsführer über dessen Wi-
derspruch voraus, die seinem Widerspruchsbegehren Rechnung trägt. An dem
für die Anwendbarkeit des Art. 80 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG maßgeblichen „äu-
ßeren Erfolg“ des Widerspruchs fehlt es, wenn dieser sich erledigt hat, weil der
angefochtene Verwaltungsakt gegenüber Dritten zurückgenommen (vgl. Urteil
vom 18. April 1996 a.a.O. S. 69) oder auf den Widerspruch Dritter hin aufgeho-
ben wurde (Urteil vom 23. Februar 1982 - BVerwG 7 C 72.79 - Buchholz 316
§ 80 VwVfG Nr. 10). Der Widerspruchsführer hat in diesen Fällen allerdings
einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf eine Kostenentscheidung zu
seinen Gunsten in entsprechender Anwendung des Art. 80 Abs. 1 Satz 1
BayVwVfG, wenn die Behörde eine Erledigung des Widerspruchs in anderer
Weise als durch Abhilfe oder Stattgabe in der Absicht herbeigeführt hat, sich
dieser Kostenlast zu entledigen (Urteil vom 18. April 1996 a.a.O. S. 71 f.). Fer-
ner kommt eine Kostenentscheidung zugunsten des Widerspruchsführers trotz
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fehlendem „äußeren Erfolg“ des Widerspruchs in Betracht, wenn das Landes-
recht - wie hier Art. 80 Abs. 1 Satz 5 BayVwVfG - eine Regelung zur Kostenver-
teilung bei Erledigung des Widerspruchs enthält. Ausgehend davon hat das
Flurbereinigungsgericht seine Entscheidung, dem Beklagten auch die Verfah-
renskosten des Klägers aufzuerlegen, zu Unrecht auf Art. 80 Abs. 1 Satz 1
BayVwVfG gestützt; es hätte stattdessen Art. 80 Abs. 1 Satz 5 BayVwVfG zur
Anwendung bringen müssen, der für den Fall der Erledigung des Widerspruchs
„auf andere Weise“ eine Kostenentscheidung nach billigem Ermessen und un-
ter Berücksichtigung des bisherigen Sachstands vorsieht.
Der Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2006 stellt ausdrücklich klar,
dass der Flurbereinigungsbeschluss vom 19. Juni 2006 nicht aufgrund des - als
unzulässig erachteten - Widerspruchs des Klägers, sondern wegen „der ande-
ren“ Widersprüche aufgehoben worden sei mit der Folge, dass sich der Wider-
spruch des Klägers in der Hauptsache erledigt habe. Damit ist dem Wider-
spruch des Klägers der „äußere Erfolg“ einer Stattgabe versagt geblieben (vgl.
Urteile vom 21. Juli 1983 - BVerwG 3 C 11.82 - BVerwGE 67, 305 <307 f.>,
vom 19. Februar 1982 - BVerwG 8 C 27.81 - BVerwGE 65, 61 <68 f.> und vom
18. Juni 1980 - BVerwG 6 C 55.79 - BVerwGE 60, 223 <228 f.> zur Auslegung
von Verwaltungsakten durch das Revisionsgericht). Die Widerspruchsbehörde
hat auch nicht sachwidrig nur deshalb von einer Stattgabe abgesehen, um die
Verfahrenskosten des Klägers nicht tragen zu müssen. Maßgeblich hierfür war
vielmehr die Erwägung, dass der Pachtbesitz dem Kläger kein Abwehrrecht
gegen den Flurbereinigungsbeschluss vermittle, so dass sein Widerspruch un-
zulässig gewesen sei. Es ist offenkundig sachgerecht, einem als unzulässig
erachteten Widerspruch nicht stattzugeben. Somit hätte das Flurbereinigungs-
gericht seine Entscheidung auf Art. 80 Abs. 1 Satz 5 BayVwVfG stützen müs-
sen.
2. Die Revision hat gleichwohl keinen Erfolg, weil sich das angefochtene Urteil
auch bei der gebotenen Anwendung des Art. 80 Abs. 1 Satz 5 BayVwVfG als
richtig erweist (§ 144 Abs. 4 VwGO). Das Flurbereinigungsgericht hat zu Recht
angenommen, dass auch der Kläger als Pächter von Grundstücken im Flurbe-
reinigungsgebiet Widerspruch gegen den Flurbereinigungsbeschluss erheben
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konnte. „Billigem Ermessen“ im Sinne des Art. 80 Abs. 1 Satz 5 BayVwVfG wird
daher nur eine Kostenentscheidung gerecht, die dem Beklagten nicht nur die
Verfahrenskosten der widersprechenden Grundstückseigentümer, sondern
auch diejenigen des Klägers auferlegt.
a) Allerdings lässt sich eine Widerspruchsbefugnis der Grundstückspächter
entgegen der Auffassung des Klägers nicht aus der Regelung des § 34 Abs. 1
FlurbG herleiten. Nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 FlurbG dürfen nach Bekanntgabe des
Flurbereinigungsbeschlusses bis zur Unanfechtbarkeit des Flurbereinigungs-
plans ohne Zustimmung der Flurbereinigungsbehörde nur Änderungen vorge-
nommen werden, die zum ordnungsgemäßen Wirtschaftsbetrieb gehören. Die-
se Einschränkung berührt das Pachtrecht schon deshalb nicht, weil die ord-
nungsgemäße Bewirtschaftung fortgeführt werden kann (Urteil vom 23. Juni
1983 - BVerwG 5 C 13.83 - Buchholz 424.01 § 10 FlurbG Nr. 1 S. 4). Die weite-
ren Zustimmungsvorbehalte in § 34 Abs. 1 Nr. 2 und 3 FlurbG für dort im Ein-
zelnen aufgeführte Maßnahmen werden erst dann „aktualisiert“, wenn sich der
Pächter während der Dauer des Flurbereinigungsverfahrens zu deren Durch-
führung entschließt. Er kann dann bei der Flurbereinigungsbehörde Antrag auf
Erteilung der Zustimmung stellen und im Falle einer Ablehnung Rechtsschutz
suchen, ist also nicht auf die Möglichkeit des Widerspruchs bereits gegen den
Flurbereinigungsbeschluss verwiesen. Dasselbe gilt hinsichtlich der Ermächti-
gung zum Erlass vorläufiger Anordnungen nach § 36 Abs. 1 FlurbG. Hierbei
handelt es sich um gesondert anfechtbare Maßnahmen, gegen die der Pächter
vorgehen kann, wenn und soweit seine rechtmäßigen Besitz- und Nutzungs-
rechte betroffen sind (Urteil vom 23. Juni 1983 a.a.O.).
b) Pächter von Grundstücken im Flurbereinigungsgebiet können jedoch mit
Blick auf den eigentumsrechtlichen Schutz des Pachtbesitzes dann Wider-
spruch und Klage gegen einen Flurbereinigungsbeschluss erheben, wenn die-
ser - wie hier - die Anordnung einer Unternehmensflurbereinigung nach § 87
FlurbG zur Verwirklichung eines durch Bebauungsplan festgesetzten Projekts
betrifft. Das ergibt sich aus Folgendem:
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aa) Durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass
das Besitzrecht des Pächters Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG
ist (Urteil vom 1. September 1997 - BVerwG 4 A 36.96 - BVerwGE 105, 178
<180>). Unter den Schutz der Eigentumsgarantie im Bereich des Privatrechts
fallen grundsätzlich alle vermögenswerten Rechte, die ihrem Inhaber von der
Rechtsordnung in der Weise zugeordnet sind, dass er die damit verbundenen
Befugnisse nach eigenverantwortlicher Entscheidung zu seinem privaten Nut-
zen ausüben darf (BVerfG, Beschluss vom 26. Mai 1993 - 1 BvR 208/93 -
BVerfGE 89, 1 <6> m.w.N.). Diese Voraussetzung erfüllt das Besitzrecht des
Pächters, das durch Schutzrechte gegenüber jedermann abgesichert ist und
dem Rechtsträger einen Freiraum im vermögensrechtlichen Bereich verschafft,
den er zum eigenen Vorteil ausnutzen kann. Der Anerkennung des Pachtbesit-
zes als verfassungsrechtlich geschütztes Eigentum steht auch nicht entgegen,
dass die Verfügungsbefugnis des Pächters weitgehend eingeschränkt ist (Urteil
vom 1. September 1997 a.a.O.; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 26. Mai 1993
a.a.O. S. 7 zum Besitzrecht des Mieters).
bb) Die Unternehmensflurbereinigung nach § 87 Abs. 1 FlurbG wirkt sich ge-
genüber den Pächtern von Grundstücken im Flurbereinigungsgebiet enteignend
aus, soweit sie infolge der Beschaffung von Land für das Unternehmen und der
Verteilung des Landverlustes auf den Kreis der am Verfahren beteiligten Eigen-
tümer ihr bisheriges Pachtland verlieren.
Die Enteignung nach Art. 14 Abs. 3 GG ist auf die vollständige oder teilweise
Entziehung konkreter subjektiver, durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützter
Rechtspositionen gerichtet, mit denen ein bestimmtes, der Erfüllung öffentlicher
Aufgaben dienendes Vorhaben durchgeführt werden soll (vgl. BVerfG, Be-
schluss vom 22. Mai 2001 - 1 BvR 1512/97 und 1 BvR 1677/97 - BVerfGE 104,
1 <9 f.>). Danach ist die Unternehmensflurbereinigung eine Maßnahme der
Enteignung. Denn sie ist darauf gerichtet, dem Unternehmensträger die
Grundstücke zu beschaffen, die zur Verwirklichung eines im öffentlichen Inte-
resse liegenden Vorhabens benötigt werden (hierzu und zum Folgenden
BVerfG, Urteil vom 24. März 1987 - 1 BvR 1046/85 - BVerfGE 74, 264 <280
ff.>). An der Enteignungsqualität der Maßnahme ändert nichts, dass nach § 87
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Abs. 1 Satz 1 FlurbG der durch das Vorhaben entstehende Landverlust auf ei-
nen größeren Kreis von Eigentümern verteilt wird. Enteignungsbetroffen sind
daher auch Eigentümer von Grundstücken außerhalb des Vorhabengebietes,
die im Rahmen der solidarischen Aufbringung der für das Vorhaben benötigten
Grundstücke einen Landabzug hinnehmen müssen (vgl. § 88 Nr. 4 FlurbG).
Denn auch sie müssen den Zugriff auf ihr Grundstück zur Verwirklichung eines
dem öffentlichen Interesse dienenden Vorhabens dulden. Ohne Belang ist au-
ßerdem, ob und in welchem Umfang eine Landabfindung stattfindet; dies gilt
auch dann, wenn die Landabfindung ohne Flächenabzug erfolgt, weil der Un-
ternehmensträger in entsprechendem Umfang Ersatzflächen einbringt. Die Ei-
gentumsgarantie sichert den konkreten Bestand in der Hand des einzelnen Ei-
gentümers. Die Frage der Landabfindung betrifft demgegenüber Art und Aus-
maß der nach Art. 14 Abs. 3 Satz 2 und 3 GG gebotenen Entschädigung.
Diese Aussagen des Bundesverfassungsgerichts zur enteignungsrechtlichen
Betroffenheit des Grundstückseigentums im Rahmen einer Unternehmensflur-
bereinigung sind auf das Besitzrecht des Pächters übertragbar. Soweit die soli-
darische Aufbringung der für das Unternehmen benötigten Flächen verpachtete
Grundstücke betrifft, wird neben konkretem Grundeigentumsbestand auch kon-
kreter, eigentumsrechtlich geschützter Pachtbesitz zur Erfüllung einer öffentli-
chen Aufgabe entzogen, so dass Art. 14 Abs. 3 GG Anwendung findet. Daran
ändert nichts, dass sich das schuldrechtliche Pachtverhältnis, soweit es nicht
nach § 49 FlurbG aufgehoben wurde, gemäß § 68 Abs. 1 FlurbG an den
Grundstücken fortsetzt, die dem Verpächter neu zugewiesen werden, und dass
der Pächter Entschädigung für den Verlust von Pachtland (vgl. BGH, Urteil vom
13. Dezember 2007 - III ZR 116/07 - BGHZ 175, 35 Rn. 20, 25) sowie im Falle
schlechterer Bewirtschaftungsverhältnisse beim neuen Pachtbesitz gemäß § 70
FlurbG Ausgleichsansprüche oder einen Anspruch auf Auflösung des Pacht-
verhältnisses geltend machen kann. Denn insoweit handelt es sich um „sekun-
däre“ Ansprüche auf Entschädigung für den Eigentumsentzug (vgl. BVerfG,
Urteil vom 24. März 1987 a.a.O. S. 283).
Gegen die enteignungsrechtliche Qualität des fremdnützigen Zugriffs auf Pacht-
land im Rahmen der Unternehmensflurbereinigung kann auch nicht eingewandt
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werden, dass die Interessen der Pächter an der unbeeinträchtigten Ausübung
ihres Pachtrechts in der Flurbereinigung allein durch die Eigentümer der ver-
pachteten Grundstücke „repräsentiert“ werden (so jedoch Urteil vom 23. Juni
1983 a.a.O. S. 3; vgl. auch VGH Mannheim, Urteil vom 6. Mai 1991 - 7 S
766/90 - NVwZ-RR 1992, 458 <459>). Die Wahrung des eigentumsrechtlich
geschützten Pachtbesitzes kann mit Blick auf das Gebot effektiven Rechts-
schutzes nicht davon abhängen, ob und wie der Grundstückseigentümer seine
Rechte verteidigt, zumal die Interessen von Pächtern und Grundstückseigen-
tümern durchaus gegenläufig sein können (vgl. Urteil vom 1. September 1997
a.a.O. S. 181). Die Eigenständigkeit der Rechtsstellung der Pächter auch in der
Flurbereinigung zeigt im Übrigen die Vorschrift des § 49 Abs. 1 Satz 1 FlurbG,
wonach unter anderem persönliche Rechte, die zum Besitz oder zur Nutzung
eines Grundstücks berechtigen, aufgehoben werden können, wenn es der
Zweck der Flurbereinigung erfordert. Auf dieser Grundlage kann das Pachtrecht
auch Gegenstand einer selbständigen Enteignung sein, wenn sich der Grund-
stückseigentümer mit der Inanspruchnahme des verpachteten Grundstücks
einverstanden erklärt (vgl. Urteil vom 1. September 1997 a.a.O.).
cc) Die „enteignungsrechtliche Vorwirkung“ der Anordnung der Flurbereinigung
zur Durchführung eines durch Bebauungsplan festgesetzten Unternehmens
erstreckt sich auf den Pachtbesitz im gesamten Flurbereinigungsgebiet.
Regelungsgegenstand des Flurbereinigungsbeschlusses (§ 4 FlurbG) ist die
nach außen verbindliche Feststellung, dass die Flurbereinigung als Ganze zu-
lässig ist, soweit dies unabhängig von der Einzelausgestaltung des Flurbereini-
gungsgebietes durch den Flurbereinigungsplan beurteilt werden kann (vgl.
BGH, Urteil vom 10. November 1983 - III ZR 131/82 - DVBl. 1984, 337 <338>
zum Umlegungsbeschluss). Nach § 87 Abs. 1 FlurbG darf ein solcher Be-
schluss, wenn er eine Unternehmensflurbereinigung betrifft, unter anderem nur
dann erlassen werden, wenn die Enteignung zulässig ist. Da Bebauungspläne
mangels entsprechender gesetzlicher Regelungen keine verbindliche Aussage
zur Zulässigkeit der Enteignung treffen (Urteil vom 14. März 1985 - BVerwG 5 C
130.83 - BVerwGE 71, 108 <121>; BVerfG, Urteil vom 24. März 1987 a.a.O.
S. 282), ist diese Prüfung durch die zuständige Flurbereinigungsbehörde vor-
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zunehmen. Mit Bestandskraft der Anordnung der Flurbereinigung zur Durchfüh-
rung eines durch Bebauungsplan festgesetzten Unternehmens steht daher die
Zulässigkeit der für das Vorhaben erforderlichen Enteignung insoweit „dem
Grunde nach“ fest, als dies unabhängig von der Einzelausgestaltung des Flur-
bereinigungsgebiets durch den Flurbereinigungsplan beurteilt werden kann;
weiteren Enteignungsschritten kann nicht mehr die Unzulässigkeit des Vorha-
bens als Ganzes entgegen gehalten werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. März
1987 a.a.O.).
Dem Gesetz kann nicht entnommen werden, dass sich diese „enteignungs-
rechtliche Vorwirkung“ des Flurbereinigungsbeschlusses nur auf das Grund-
stückseigentum, nicht jedoch auf den Pachtbesitz erstrecken soll. Nach § 87
Abs. 1 FlurbG ist die Zulässigkeit der Enteignung vielmehr allgemeine Tatbe-
standsvoraussetzung für die Anordnung der Unternehmensflurbereinigung.
Enteignet werden nach den obigen Ausführungen jedoch auch diejenigen
Pächter, die im Zuge der Beschaffung von Flächen für das Unternehmen bishe-
riges Pachtland verlieren. Es wäre im Übrigen sachwidrig, die „enteignungs-
rechtliche Vorwirkung“ nicht einheitlich gegenüber allen Enteignungsbetroffe-
nen greifen zu lassen, sondern auf die Eigentümer von Grundstücken im Flur-
bereinigungsgebiet zu beschränken. Denn dann könnte jeder Pächter, der nach
Maßgabe des Flurbereinigungsplans Änderungen am Bestand seines Pachtbe-
sitzes hinnehmen muss, erst gegen diesen (auch) mit der Begründung vorge-
hen, das Vorhaben sei als Ganzes enteignungsrechtlich nicht zulässig, auch
wenn das Vorliegen dieser Voraussetzung gegenüber den Grundstückseigen-
tümern bereits bestandskräftig feststeht. Eine solche Lösung liefe dem Zweck
der Annahme einer „enteignungsrechtlichen Vorwirkung“ zuwider, die dem
Grunde nach gegebene Zulässigkeit der für das Vorhaben erforderlichen Ent-
eignung bereits zu Beginn des Verfahrens verbindlich zu klären.
Aus demselben Grunde ist die „enteignungsrechtliche Vorwirkung“ der Anord-
nung der Flurbereinigung zur Realisierung eines bauplanerisch festgesetzten
Unternehmens entgegen der Auffassung des Flurbereinigungsgerichts nicht auf
den Pachtbesitz am Standort des Unternehmens beschränkt, weil nur insoweit
eine unveränderte Wiederzuteilung an den Eigentümer und damit die Fortset-
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zung des Pachtverhältnisses dort ausscheide. Zwar ist denkbar, dass die Un-
ternehmensflurbereinigung den außerhalb des unmittelbaren Vorhabenbereichs
liegenden Pachtbesitz einzelner Pächter letztlich unverändert lässt. Auf diesen
Aspekt kann es jedoch für die Bestimmung der Reichweite der „enteignungs-
rechtlichen Vorwirkung“ nicht ankommen, unabhängig davon, wie die Fortfüh-
rung von Pachtverhältnissen an identischen Abfindungsgrundstücken eigen-
tumsrechtlich einzuordnen ist. Eine Beschränkung der „enteignungsrechtlichen
Vorwirkung“ auf den Pachtbesitz im unmittelbaren Vorhabenbereich hätte zur
Folge, dass jeder Pächter von außerhalb dieses Bereichs gelegenen Grundstü-
cken, der sein bisheriges Pachtland im Zuge der Verteilung des durch das Un-
ternehmen entstehenden Landverlustes auf einen größeren Kreis von Eigen-
tümern (§ 87 Abs. 1 Satz 1 FlurbG) verliert, die enteignungsrechtliche Zulässig-
keit des Unternehmens erst im Rahmen des Rechtsschutzes gegen den Flurbe-
reinigungsplan in Frage stellen könnte, auch wenn diese gegenüber allen Ei-
gentümern sowie den Pächtern von Grundstücken im Vorhabenbereich bereits
bestandskräftig feststeht. Die in § 87 Abs. 1 FlurbG festgelegte „enteignungs-
rechtliche Vorwirkung“ der Anordnung der Flurbereinigung zur Verwirklichung
eines bauplanerisch festgesetzten Unternehmens könnte dann ihren Zweck
nicht erfüllen, die enteignungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens gegenüber
allen Enteignungsbetroffenen in einem frühen Verfahrensstadium verbindlich
„abzuschichten“. Maßgeblich für deren Reichweite kann daher allein sein, dass
bei Einleitung der Unternehmensflurbereinigung jeder Pächter von Grundstü-
cken im Flurbereinigungsgebiet mit dem Entzug vorhandener Pachtflächen
rechnen muss.
Somit normiert § 87 Abs. 1 FlurbG für den Fall einer Anordnung der Flurberei-
nigung zur Durchführung eines durch Bebauungsplan festgesetzten Unterneh-
mens eine „enteignungsrechtliche Vorwirkung“ des Inhalts, dass mit Bestands-
kraft dieses Flurbereinigungsbeschlusses sowohl gegenüber den Eigentümern
von Grundstücken im Flurbereinigungsgebiet (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. März
1987 a.a.O. S. 282) als auch gegenüber allen Pächtern solcher Grundstücke
die Zulässigkeit der für das Vorhaben erforderlichen Enteignung insoweit fest-
steht, als dies unabhängig von der Einzelausgestaltung des Flurbereinigungs-
gebietes durch den Flurbereinigungsplan beurteilt werden kann. Dies hat zur
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Folge, dass neben den Grundstückseigentümern auch alle Pächter von
Grundstücken im Flurbereinigungsgebiet befugt sind, zur Vermeidung der Be-
standskraft Widerspruch und Klage gegen einen solchen - nach § 6 Abs. 2
FlurbG öffentlich bekannt zu machenden - Flurbereinigungsbeschluss zu erhe-
ben. Soweit das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 23. Juni 1983
- BVerwG 5 C 13.83 - (Buchholz 424.01 § 10 FlurbG Nr. 1) die Auffassung ver-
treten hat, dass Pächtern von im Flurbereinigungsgebiet belegenen Grundstü-
cken - unabhängig von der Verfahrensart (ebenda S. 5) - keine Klagebefugnis
gegen die Anordnung der Flurbereinigung zusteht, wird hieran für den Fall der
Anordnung der Flurbereinigung nach § 87 Abs. 1 FlurbG zur Durchführung ei-
nes durch Bebauungsplan festgesetzten Vorhabens nicht mehr festgehalten.
Nach allem ist die Entscheidung des Flurbereinigungsgerichts im Ergebnis nicht
zu beanstanden, weil der Widerspruch des Klägers gegen den Flurbereini-
gungsbeschluss vom 19. Juni 2006 - ebenso wie die Widersprüche der betrof-
fenen Grundstückseigentümer - zulässig war und es daher der Billigkeit im Sin-
ne des Art. 80 Abs. 1 Satz 5 BayVwVfG entspricht, dem Beklagten die Verfah-
renskosten des Klägers aufzuerlegen.
3. Das Flurbereinigungsgericht hat die Zuziehung eines Bevollmächtigten durch
den Kläger für das Widerspruchsverfahren in Einklang mit der - gemäß Art. 99
GG, Art. 97 BayVwVfG revisiblen - Vorschrift des Art. 80 Abs. 2 Satz 3
BayVwVfG für notwendig erklärt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundes-
verwaltungsgerichts ist die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfah-
ren dann notwendig, wenn es der Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen
und der Schwierigkeit der Sache nicht zuzumuten ist, das Vorverfahren selbst
zu führen. Maßgebend ist, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bil-
dungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwalts
bedient hätte (Beschluss vom 14. Januar 1999 - BVerwG 6 B 118.98 - Buch-
holz 316 § 80 VwVfG Nr. 42 S. 1 m.w.N.). Daran kann hier angesichts der
Schwierigkeit der Rechtsmaterie kein Zweifel bestehen.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Dr. Storost
Dr. Nolte
Domgörgen
Dr. Christ
Prof. Dr. Korbmacher
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes für das Revisionsverfahren wird gemäß § 47
Abs. 1, § 52 Abs. 3 GKG auf 346,17 € festgesetzt.
Dr. Storost
Dr. Christ
Prof. Dr. Korbmacher
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