Urteil des BVerwG vom 09.12.2004

BVerwG (wesentliche veränderung, beschwerde, bundesverwaltungsgericht, rechtsfrage, zeitpunkt, begründung, ladung, halten, zulassung, zugang)

Rechtsquellen:
NWPersVG § 79
ArbGG
§§ 72, 72 a, 92, 92 a
Stichworte:
Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde; Neuregelung der
Grundsatzzulassung; intertemporales Prozessrecht.
Leitsatz:
Ist die Entscheidung des Beschwerdegerichts vor dem 1. Januar 2005 verkündet
oder zugestellt worden und lief zu diesem Zeitpunkt die Frist für die Begründung der
Nichtzulassungsbeschwerde noch, so sind die - namentlich in Bezug auf die
Statthaftigkeit der Grundsatzrüge - günstigeren Bestimmungen in Art. 7 des Anhö-
rungsrügengesetzes vom 9. Dezember 2004, BGBl I S. 3220, anzuwenden.
Beschluss des 6. Senats vom 25. Februar 2005 - BVerwG 6 PB 9.04
I. VG Aachen vom 06.03.2003 - Az.: VG 16 K 496/02.PVL -
II. OVG Münster vom 01.12.2004 - Az.: OVG 1 A 1503/03.PVL -
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 6 PB 9.04 (6 P 7.05)
OVG 1 A 1503/03.PVL
In der Personalvertretungssache
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hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 25. Februar 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. B a r d e n h e w e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht B ü g e
und V o r m e i e r
beschlossen:
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Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Rechtsbe-
schwerde im Beschluss des Fachsenats für Landespersonalver-
tretungssachen des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen vom 1. Dezember 2004 wird aufgehoben.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
G r ü n d e :
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Die
Rechtsbeschwerde ist zuzulassen.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
a) Die hier allein erhobene Grundsatzrüge ist statthaft. Die Beantwortung der Frage
richtet sich nach den Vorschriften des Arbeitsgerichtsgesetzes über das Beschluss-
verfahren, die nach § 79 Abs. 2 Satz 1 NWPersVG entsprechend gelten.
Die Grundsatzrüge konnte allerdings nach § 72 Abs. 2 Nr. 1, § 92 Abs. 1 Satz 2,
§ 92 a Satz 1 ArbGG in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung nur er-
hoben werden, wenn die Rechtssache Streitigkeiten über die Tariffähigkeit und Tarif-
zuständigkeit einer Vereinigung betraf. Darum geht es im vorliegenden Fall nicht.
Nach den vorgenannten Bestimmungen in ihrer seit 1. Januar 2005 geltenden Fas-
sung von Art. 7 des Anhörungsrügengesetzes vom 9. Dezember 2004, BGBl I
S. 3220, kann die Nichtzulassungsbeschwerde nunmehr uneingeschränkt darauf
gestützt werden, dass eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Be-
deutung hat. Diese Bestimmungen sind hier ungeachtet dessen anzuwenden, dass
der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts am 1. Dezember 2004 verkündet und
am 9. Dezember 2004 zugestellt worden ist.
aa) Wie sich aus Art. 22 Satz 2 des Anhörungsrügengesetzes ergibt, ist Art. 7 dieses
Gesetzes - wie auch die allermeisten seiner sonstigen Bestimmungen - am 1. Januar
2005 in Kraft getreten. Davon sind somit auch alle Vorschriften erfasst, welche die
Nichtzulassungsbeschwerde im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren neu regeln.
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Der Wortlaut der - durch eine Übergangsbestimmung nicht ergänzten - In-Kraft-
Tretens-Bestimmung lässt es ohne Weiteres zu, die Neuregelung auf Verfahren an-
zuwenden, in denen wie hier die zweitinstanzliche Entscheidung zwar vor dem
1. Januar 2005 verkündet oder zugestellt wurde, die unverändert geltende Be-
schwerdebegründungsfrist von zwei Monaten nach § 72 a Abs. 3 Satz 1, § 92 a
Satz 2 ArbGG aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen war.
bb) Durchgreifende rechtssystematische Bedenken dagegen bestehen nicht. Zwar
hatte die Beschwerdebegründungsfrist in Fällen der hier in Rede stehenden Art be-
reits zu laufen begonnen, als die Neuregelung noch nicht galt. Da die Begründungs-
frist aber bis zum Ablauf ihres letzten Tages ausgeschöpft werden kann, ist es
durchaus folgerichtig, die zu diesem Zeitpunkt bereits geltenden günstigeren Be-
stimmungen anzuwenden.
cc) Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der Neuregelung sprechen eben-
falls dafür. Mit ihr verfolgt der Gesetzgeber die Absicht, den Gleichklang zwischen
der Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das Beschwerdegericht (§ 72 Abs. 2
Nr. 1, § 92 Abs. 1 Sätze 1 und 2 ArbGG) und der vom Rechtsbeschwerdegericht zu
bescheidenden Nichtzulassungsbeschwerde (§ 72 Abs. 2 Nr. 1, § 92 a ArbGG) her-
zustellen, wenn eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeu-
tung hat (vgl. BTDrucks 15/3706 S. 22). Da die Beschwerdegerichte bereits vor dem
31. Dezember 2004 bei grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Rechtsbe-
schwerde zuzulassen hatten - die Neufassung auch der Regelung in § 72 Abs. 2
Nr. 1 ArbGG beinhaltet keine wesentliche Veränderung des Rechtszustandes (vgl.
BTDrucks 15/3706 S. 20 zu Nr. 2 Buchst. a) -, wird der angestrebte Gleichklang so-
fort und effektiv zum 1. Januar 2005 erreicht, wenn das Rechtsbeschwerdegericht
bei noch laufender Begründungsfrist die Neuregelung anzuwenden hat. Dass der
Gesetzgeber die gewünschte Harmonisierung als dringlich betrachtet hat, wird an
der Begründung deutlich, die er für die parallele Neuregelung der Revisionsnichtzu-
lassungsbeschwerde in § 72 a ArbGG gegeben hat. Er hat dabei auf den bereits be-
stehenden Gleichklang in anderen Verfahrensordnungen hingewiesen und die bishe-
rige Beschränkung der Nichtzulassungsbeschwerde vor allem auf tarifvertragliche
Rechtsstreitigkeiten als "sachlich kaum zu rechtfertigen" bezeichnet (vgl. BTDrucks
15/3706 S. 20 zu Nr. 3 Buchst. a).
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dd) Die Anwendung der Neuregelung folgt dem allgemeinen Grundsatz des inter-
temporalen Prozessrechts, wonach Änderungen des Verfahrensrechts mit ihrem In-
Kraft-Treten grundsätzlich auch anhängige Rechtsstreitigkeiten erfassen (vgl.
BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 1992 - 2 BvR 1631, 1728/90 - BVerfGE 87, 48, 64
m.w.N.; BVerwG, Beschluss vom 11. November 2002 - BVerwG 7 AV 3.02 -
Buchholz 310 § 124 VwGO Nr. 31 S. 2). Vom Erlass dem Gesetzgeber durchaus
geläufiger Übergangsregelungen, wonach von der Anwendung neuen Verfahrens-
rechts Rechtsmittel gegen gerichtliche Entscheidungen ausgenommen sind, die vor
dem Stichtag verkündet oder statt einer Verkündung zugestellt worden sind (vgl. et-
wa Art. 10 Abs. 1 und 2 6. VwGOÄndG vom 1. November 1996, BGBl I S. 1626;
§ 194 Abs. 1 und 2 VwGO i.d.F. des Änderungsgesetzes vom 20. Dezember 2001,
BGBl I S. 3987), hat er im vorliegenden Zusammenhang abgesehen. Deswegen ent-
spricht die Anwendung des neuen Verfahrensrechts dem rechtsstaatlichen Postulat
der Rechtsmittelklarheit, welche das Gebot umschließt, die Regelungen über den
Zugang zu Rechtsmittelgerichten für den Rechtsuchenden möglichst klar erkennbar
und bestimmt zu halten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. August 1978 - 2 BvR
831/76 - BVerfGE 49, 148, 162; Beschluss vom 11. Juni 1980 - 1 PBvU 1/79 -
BVerfGE 54, 277, 292 f.). Angesichts des im Gesetzestext deutlich erkennbar ge-
wordenen Willens des Gesetzgebers, die Entscheidung des Beschwerdegerichts
über die Zulassung der Rechtsbeschwerde und die Entscheidung des Rechtsbe-
schwerdegerichts über die Nichtzulassungsbeschwerde zum 1. Januar 2005 zu har-
monisieren, und mangels einer abweichenden Übergangsregelung wäre es für die
Rechtsuchenden im arbeitsgerichtlichen und personalvertretungsrechtlichen Be-
schlussverfahren schwer verständlich, wenn sie sich auch nach dem 1. Januar 2005
noch an die zuvor geltenden restriktiven Bestimmungen zur Grundsatzzulassung hal-
ten müssten.
b) Den Anforderungen an die Beschwerdebegründung nach § 72 a Abs. 3 Satz 2
Nr. 1, § 92 a Satz 2 ArbGG hat der Antragsteller genügt. Er hat sinngemäß die ent-
scheidungserhebliche Rechtsfrage aufgeworfen, ob der Personalrat die Ladung ein-
zelner Beschäftigter oder Gruppen von ihnen zu einer Besprechung mit dem Dienst-
stellenleiter abstimmen muss oder ob es genügt, wenn er dem Dienststellenleiter die
Ladung so rechtzeitig mitteilt, dass dieser Einwände erheben kann. Die Beschwer-
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debegründung enthält Erläuterungen dazu, weshalb nach Auffassung des An-
tragstellers im letztgenannten Sinne zu entscheiden ist. Weitergehende Darlegungen
waren hier nicht angezeigt.
2. Die Beschwerde ist begründet. Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, weil die
genannte entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat (§ 72
Abs. 2 Nr. 1, § 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG). Die vorliegende Rechtssache gibt dem Se-
nat Gelegenheit, seine Rechtsprechung zum hier in Rede stehenden Fragenkreis
fortzubilden (vgl. Beschluss vom 9. März 1990 - BVerwG 6 P 15.88 - BVerwGE 85,
36) und dabei etwaige Besonderheiten des nordrhein-westfälischen Personalvertre-
tungsrechts einzubeziehen (vgl. § 39 Abs. 1 Satz 2, § 45 Abs. 2 Satz 2, § 49 Satz 2
NWPersVG).
Rechtsmittelbelehrung
Das Beschwerdeverfahren wird als Rechtsbeschwerdeverfahren fortgesetzt; die Ein-
legung der Nichtzulassungsbeschwerde gilt als Einlegung der Rechtsbeschwerde.
Die Rechtsbeschwerde muss innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses
Beschlusses schriftlich begründet werden. Die Begründung ist bei dem Bundesver-
waltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, einzureichen. Sie muss von einem
Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
Bardenhewer Büge Vormeier