Urteil des BVerwG vom 18.07.2006

BVerwG (disziplinarverfahren, verwaltungsgericht, beschwerde, nachzahlung, inkrafttreten, sache, antrag, bundesverwaltungsgericht, gabe, vorschrift)

Rechtsquellen:
BDG
§ 85 Abs. 1, 3 und 5
BDO
§ 122
Stichworte:
Einstellung des förmlichen Disziplinarverfahrens; Nachzahlung einbehaltener
Bezüge; Geltungsbereich der Fortführungsklausel gemäß § 85 Abs. 3 BDG.
Beschluss des Disziplinarsenats vom 18. Juli 2006 - BVerwG 1 DB 4.06
I. VG …
vom 08.03.2006 - Az.: VG 38 K 3451/05.BDG –
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 DB 4.06
VG 38 K 3451/05.BDG
In dem Beschwerdeverfahren
des Ersten Polizeihauptkommissars im BGS (jetzt: Bundespolizei) a.D. …
,
,
- Verteidiger:
Rechtsanwalt …
,
-
hat der Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. Juli 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Albers
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Müller und Dr. Heitz
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beschlossen:
Die Sache wird an das Verwaltungsgericht …
zurückgege-
ben, damit dieses der Beschwerde des Ruhestandsbeam-
ten gegen den Beschluss vom 8. März 2006 abhelfen
kann, soweit die Nachzahlung der einbehaltenen Bezüge
abgelehnt worden ist.
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G r ü n d e :
I
Nach Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens gegen den Ruhestands-
beamten wurde in der Zeit vom 21. April 1995 bis 24. November 2003 durch-
gängig ein Teil seiner Dienst- und Versorgungsbezüge einbehalten. Der Diszip-
linarsenat stellte das Disziplinarverfahren durch Beschluss vom 4. November
2003 - BVerwG 1 D 8.02 - ein, weil er es für nicht ausgeschlossen hielt, dass
der Ruhestandsbeamte bei der Zustellung der Einleitungsverfügung verhand-
lungsunfähig war. Daraufhin leitete das Bundesministerium des Innern wegen
desselben Disziplinarvorwurfs im Februar 2004 ein behördliches Disziplinarver-
fahren nach Maßgabe des Bundesdisziplinargesetzes ein, das noch im Gange
ist.
Den Antrag des Ruhestandsbeamten, ihm die während des förmlichen Diszipli-
narverfahrens einbehaltenen Bezüge nachzuzahlen, lehnte das Bundesministe-
rium des Innern durch Bescheid vom 14. April 2005 ab. Das von dem Ruhe-
standsbeamten angerufene Verwaltungsgericht hat dessen Rechtsschutzbe-
gehren als Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 122 Abs. 1 BDO ge-
wertet und durch Beschluss vom 8. März 2006 abgelehnt; es ist der Ansicht,
seine Entscheidung sei unanfechtbar. Hiergegen richtet sich die Beschwerde
des Ruhestandsbeamten, der das Verwaltungsgericht nicht abgeholfen hat.
II
Der Disziplinarsenat gibt die Sache an das Verwaltungsgericht zurück, damit
dieses von der gemäß § 148 Abs. 1 VwGO eröffneten Möglichkeit Gebrauch
machen kann, der Beschwerde des Ruhestandsbeamten abzuhelfen.
Soweit der Ruhestandsbeamte mit der Antragsschrift vom 1. August 2005 die
Nachzahlung der während des förmlichen Disziplinarverfahrens einbehaltenen
Bezüge fordert, durfte das Verwaltungsgericht das Rechtsschutzbegehren nicht
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als Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 122 Abs. 1 BDO gegen den
ablehnenden Bescheid des Bundesministeriums des Innern vom 14. April 2005
behandeln und darüber auf der Grundlage dieser Vorschrift durch Beschluss
entscheiden. Denn für das Nachzahlungsbegehren ist gemäß § 40 Abs. 1
VwGO der allgemeine Verwaltungsrechtsweg gegeben. Der Ruhestandsbeam-
te muss es durch eine Klage gegen das Bundesministerium des Innern nach
Maßgabe der VwGO geltend machen (vgl. Urteil vom 27. Januar 1966
- BVerwG 2 C 221.62 - BVerwGE 23, 176 <183> und Beschluss vom
18. September 2002 - BVerwG 1 DB 13.02 - NVwZ-RR 2003, 289 jeweils zur
Geltendmachung von Ansprüchen auf Nachzahlung der nach § 9 BBesG ein-
behaltenen Dienstbezüge). Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Die Bundesdisziplinarordnung ist am 1. Januar 2002 außer Kraft getreten; an
ihre Stelle ist das Bundesdisziplinargesetz getreten (Art. 1, 27 Abs. 1 Satz 2,
Abs. 2 Nr. 1 des Neuordnungsgesetzes vom 9. Juli 2001 (BGBl I 1510). Gemäß
§ 85 Abs. 1 Satz 1 BDG werden die nach bisherigem Recht eingeleiteten Dis-
ziplinarverfahren in der Lage, in der sie sich bei Inkrafttreten dieses Gesetzes
befinden, nach diesem Gesetz fortgeführt, soweit in den Absätzen 2 bis 10
nichts Abweichendes bestimmt ist. Demnach finden die Verfahrensregeln und
-grundsätze der BDO auch hinsichtlich des gerichtlichen Rechtsschutzes seit
1. Januar 2002 nur noch Anwendung, wenn sich dies aus § 85 Abs. 2 bis 10
BDG ergibt. Dies ist hinsichtlich des Nachzahlungsbegehrens des Ruhestands-
beamten nicht der Fall. Insoweit sind weder die Voraussetzungen des § 85
Abs. 3 Satz 1 BDG noch des § 85 Abs. 5 Satz 1 BDG für eine Fortgeltung des
Verfahrensrechts der BDO erfüllt.
Gemäß § 85 Abs. 3 Satz 1 BDG werden die vor dem Inkrafttreten dieses Ge-
setzes eingeleiteten förmlichen Disziplinarverfahren nach bisherigem Recht
fortgeführt. Die Geltung dieser Fortführungsklausel ist bezogen und beschränkt
auf die am 1. Januar 2002 laufenden förmlichen Disziplinarverfahren. Diese
Verfahren sollen nach den Verfahrensregeln und -grundsätzen der BDO zu En-
de geführt werden. Nach ihrer Beendigung ist für die Anwendung der BDO
auch in Bezug auf solche Folgemaßnahmen und -entscheidungen kein Raum
mehr, die in einem sachlichen Zusammenhang mit dem abgeschlossenen förm-
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lichen Disziplinarverfahren stehen (Beschluss vom 17. Februar 2003 - BVerwG
1 DB 2.03 - Buchholz 235.1 § 85 BDG Nr. 3). Eine Ausnahme hat der Senat
nur für Verfahren über die Neubewilligung eines Unterhaltsbeitrags anerkannt,
wenn die Erstbewilligung auf § 77 BDO beruhte. Diese Verfahren gelten als
Annex zu dem abgeschlossenen förmlichen Disziplinarverfahren, weil sie an
den Ausspruch des Disziplinarurteils zum Unterhaltsbeitrag anknüpfen (Be-
schluss vom 15. Januar 2002 - BVerwG 1 DB 34.01 - Buchholz 235 § 110 BDO
Nr. 10).
Danach greift die Fortführungsklausel gemäß § 85 Abs. 3 Satz 1 BDG hinsicht-
lich des Nachzahlungsbegehrens des Ruhestandsbeamten nicht ein, weil das
vor dem 1. Januar 2002 eingeleitete förmliche Disziplinarverfahren gegen den
Antragsteller mit dem Einstellungsbeschluss des Disziplinarsenats vom
4. November 2003 - BVerwG 1 D 8.02 - sein Ende gefunden hat (§ 76 Abs. 3
Satz 1 und 2, § 64 Abs. 1 Nr. 1 BDO). Folgerichtig hat das Bundesministerium
des Innern hinsichtlich desselben Disziplinarvorwurfs ein neues Disziplinarver-
fahren nach Maßgabe des BDG eingeleitet.
Nichts anderes ergibt sich für das vorliegende Verfahren aus § 85 Abs. 5 Satz 1
BDG. Nach dieser Vorschrift bestimmen sich Statthaftigkeit, Frist und Form ei-
nes Rechtsbehelfs oder Rechtsmittels gegen eine Entscheidung, die vor dem
Inkrafttreten dieses Gesetzes ergangen ist, nach bisherigem Recht. Der gesetz-
liche Begriff „ Entscheidung“ umfasst Verwaltungs- und Gerichtsentscheidun-
gen über das konkrete Rechtsschutzbegehren (Beschluss vom 31. Januar 2002
- BVerwG 1 DB 33.01 - Buchholz 240 § 9 BBesG Nr. 21). Danach greift § 85
Abs. 5 Satz 1 BDG im vorliegenden Fall nicht ein, weil der die Nachzahlung
ablehnende Bescheid vom 14. April 2005 nach Inkrafttreten des BDG ergangen
ist.
Kann hinsichtlich des geltend gemachten Anspruchs auf Nachzahlung der wäh-
rend des förmlichen Disziplinarverfahrens einbehaltenen Bezüge gerichtlicher
Rechtsschutz nicht nach der BDO gewährt werden, so ist der angefochtene
Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 8. März 2006 insoweit schon deshalb
rechtswidrig, weil er auf der Grundlage des § 122 Abs. 1 BDO ergangen ist.
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Demzufolge kommt auch der Grundsatz nicht zur Anwendung, dass gegen ge-
richtliche Sachentscheidungen in Verfahren nach § 122 BDO die Beschwerde
ausgeschlossen ist (vgl. Beschluss vom 9. April 1991 - BVerwG 1 DB 3.91 -
BVerwGE 93, 61 <63>). Vielmehr gelten für die Beschwerde des Ruhestands-
beamten die Regelungen gemäß §§ 146 ff. VwGO.
Das Verwaltungsgericht muss der fristgerecht eingelegten Beschwerde gemäß
§ 148 Abs. 1 VwGO abhelfen, weil es das gerichtlich geltend gemachte Nach-
zahlungsbegehren als Klage behandeln und darüber grundsätzlich gemäß
§ 107 VwGO durch Urteil entscheiden muss. Die Antragsschrift vom 1. August
2005 kann insoweit ohne weiteres als Klageschrift verstanden werden (vgl. Be-
schluss vom 13. März 2006 - BVerwG 1 D 3.06 - juris Rn. 8). Ein vorheriges
Widerspruchsverfahren ist entbehrlich geworden, weil sich das Bundesministe-
rium des Innern in dem Schriftsatz vom 4. Oktober 2005 in der Sache eingelas-
sen hat (vgl. Urteil vom 22. Juli 1999 - BVerwG 2 C 14.98 - Buchholz 237.2
§ 12 BlnLBG Nr. 3 S. 3 m.w.N.).
In materiellrechtlicher Hinsicht weist der Disziplinarsenat darauf hin, dass eine
Beurteilung des Nachzahlungsbegehrens nach den Grundsätzen des allgemei-
nen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs in Betracht gezogen werden
muss, wenn das für die Klage zuständige Verwaltungsgericht sowohl § 96 BDO
als auch § 40 BDG (entsprechend) für unanwendbar halten sollte.
Albers Dr. Müller Dr. Heitz
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