Urteil des BVerwG vom 30.04.2008

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BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 27.08
VGH 3 S 918/06
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. April 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rojahn und Gatz
beschlossen:
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs
Baden-Württemberg vom 5. Dezember 2007 wird zurück-
gewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 940 467,93 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Revision ist weder nach § 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache noch nach
§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen.
1. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechts-
sache setzt voraus, dass für die Entscheidung des vorinstanzlichen Gerichts
eine konkrete, fallübergreifende Rechtsfrage von Bedeutung war, die auch für
die Entscheidung im Revisionsverfahren erheblich wäre und aus Gründen der
Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der bedeutsamen Fort-
entwicklung des Rechts der Klärung bedarf (vgl. Beschluss vom 2. Oktober
1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.>; stRspr). Aus dem Be-
schwerdevorbringen ergibt sich nicht, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind.
a) Die Frage, was Gegenstand einer Einigung nach § 110 Abs. 2 BauGB sein
kann, führt nicht zur Zulassung der Revision, weil sie nicht den notwendigen
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Konkretisierungsgrad aufweist. Sie ist so abstrakt-offen formuliert, dass sie nur
für eine Mehrzahl gedachter Fälle nach Art eines Lehrbuchs beantwortet wer-
den könnte. Das ist nicht Aufgabe eines Revisionsverfahrens.
Die Frage, ob sich die Beteiligten im Rahmen des § 110 Abs. 2 BauGB nur dar-
über verständigen dürfen, was nach § 86 BauGB Gegenstand der Enteignung
sein kann und ohne die Einigung in einem Enteignungsbeschluss (§ 113 Abs. 2
BauGB) geregelt werden könnte, ist zwar hinreichend konkret, bedarf aber kei-
ner Klärung, da sie der Verwaltungsgerichtshof im Sinne der Beklagten dahin
beantwortet hat, dass ein Einigungsvertrag nicht nur dasjenige enthalten darf,
was nach § 113 Abs. 2 BauGB notwendiger Bestandteil eines Enteignungsbe-
schlusses ist. Der Verwaltungsgerichtshof ist davon ausgegangen, dass in einer
Einigungsbeurkundung über den nach § 113 Abs. 2 BauGB notwendigen Min-
destinhalt hinaus zusätzliche Regelungen vereinbart werden dürfen (UA S. 20).
Er hat allerdings die hier getroffenen Zusatzvereinbarungen einer rechtlich
selbständigen Bewertung unterzogen (UA S. 20, 22). Die Beklagte beanstandet
die Aufspaltung der Einigungsbeurkundung in Vertragsbestandteile, die nach
§ 113 Abs. 2 BauGB notwendig sind, und ergänzende Vertragsbestandteile als
künstlich und betont den Vergleichscharakter der Einigung, durch den der Zu-
sammenhang zwischen den Vereinbarungen über die zu leistenden Aus-
gleichsbeiträge und den die Grundstücksübertragung betreffenden Teilen der
beurkundenden Einigung hergestellt werde. Damit übt sie eine einzelfallbezo-
gene Kritik an der vorinstanzlichen Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwen-
dung. Mit ihr kann die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht be-
gründet werden.
b) Die Frage, ob eine Ausführungsanordnung nach § 117 BauGB teilnichtig
sein kann, obwohl kein Nichtigkeitsgrund des § 44 Abs. 1 und 2 VwVfG vorliegt,
rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision, weil sie sich in dem angestrebten
Revisionsverfahren nicht stellen würde. Der Verwaltungsgerichtshof hat die
Ausführungsanordnung des Regierungspräsidiums Freiburg weder ausdrücklich
noch konkludent als teilnichtig verworfen. Er ist vielmehr davon ausgegangen,
dass die Ausführungsanordnung insgesamt wirksam ist. Entgegen der Darstel-
lung der Beklagten hat er nicht festgestellt, dass die Ausführungsanordnung
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des Regierungspräsidiums Freiburg den gesamten Inhalt der getroffenen Eini-
gung, also auch den wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage unwirksamen
Teil, umfassen sollte und umfasst hat. Nach seinen Feststellungen im Tatbe-
stand des Urteils ist Gegenstand der Ausführungsanordnung der Enteignungs-
behörde vom 3. Dezember 1997 in der Gestalt des Ergänzungsbescheides vom
20. März 1998 allein die Verpflichtung der Kläger zur lastenfreien Übertragung
des neu gebildeten Flurstücks 4../10 und die Verpflichtung der Beklagten zur
Zahlung eines Kaufpreises in Höhe von 1 745 124 DM (UA S. 5). Damit korres-
pondierend hat der Verwaltungsgerichtshof in den Entscheidungsgründen an-
genommen, dass die Ausführungsanordnung nur diejenigen, in ihrer Wirksam-
keit nicht bezweifelten Regelungen der Einigungsbeurkundung umsetzt, die
nach § 110 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 113 Abs. 2 BauGB deren notwendiger Be-
standteil waren (UA S. 20). Die Feststellung, dass die Ausführungsanordnung
auch die Höhe und Verrechnung der zunächst aufgrund der Entwicklungssat-
zung geltend gemachten Ausgleichsbeiträge zum Gegenstand hat, enthält das
angefochtene Urteil nicht.
c) Die als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnete Frage „hinsichtlich der
Bestandskraft von Beitragsbescheiden“ entbehrt jeglicher Konkretisierung und
vermag deshalb die Zulassung der Revision nicht zu rechtfertigen.
Die Frage, in welcher Weise eine Rückabwicklung zu erfolgen hat, wenn im
Falle der Nichtigkeit eines öffentlich-rechtlichen Vertrages vom Bestehen eines
allgemeinen Erstattungsanspruchs auszugehen ist, dient der Beklagten als An-
knüpfungspunkt für die an den Senat gerichtete Forderung, in einem Revisi-
onsverfahren seine Rechtsprechung zum Ausschluss eines Erstattungsan-
spruchs durch den Grundsatz von Treu und Glauben (Urteil vom 16. Mai 2000
- BVerwG 4 C 4.99 - BVerwGE 111, 162) fortzuentwickeln. Die Beklagte zeigt
aber nicht auf, inwieweit das Revisionsverfahren geeignet wäre, dem Begriff
von Treu und Glauben in seinem abstrakten Gehalt zusätzliche Konturen zu
verleihen. Sie beschränkt sich darauf, die vorinstanzliche Sachverhaltswürdi-
gung und Rechtsanwendung als fehlerhaft zu beanstanden. Das reicht zur Dar-
legung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht aus.
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d) Die Frage nach der Reichweite der Beweiswirkung einer öffentlichen Urkun-
de nach § 98 VwGO, § 415 ZPO ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung, weil
sich die Antwort unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Ist die Urkunde über eine
vor der Behörde oder Urkundsperson abgegebene Erklärung errichtet, begrün-
det sie vollen Beweis des beurkundeten Vorgangs. Die Beklagte bedient sich
der Grundsatzrüge nur als Vorwand, um die Würdigung des Verwaltungsge-
richtshofs anzugreifen, die Aussage in der Niederschrift über die mündliche
Verhandlung vor der Enteignungsbehörde, die Vorsitzende habe unter Hinweis
auf die ausführliche gerichtliche Prüfung im Hauptsacheverfahren durch das
Verwaltungsgericht Freiburg, welches die Rechtmäßigkeit der Satzung bejaht
habe, die von Rechtsanwalt T. wiederholten Zweifel an der Rechtmäßigkeit der
Entwicklungssatzung ausräumen können, nehme an der Beweiskraft nach
§ 415 ZPO teil.
2. Der gerügte Aufklärungsmangel (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) liegt nicht vor.
Die Beklagte kritisiert, dass der Verwaltungsgerichtshof ihren in der mündlichen
Verhandlung gestellten Antrag abgelehnt hat, den Altbürgermeister F. und die
Vorsitzende B. zu der Frage zu vernehmen, ob die Einigungsbeurkundung die
Auseinandersetzung um die Rechtmäßigkeit der Entwicklungssatzung habe
beenden sollen. Sie meint, dass die von der Vorinstanz angeführten Gründe für
die Ablehnung des Beweisantrags eine unzulässige Vorwegnahme der Be-
weiswürdigung enthielten. Dieser Vorwurf ist unbegründet.
Der Verwaltungsgerichtshof ist aufgrund des Inhalts des Protokolls über die
mündliche Verhandlung vor der Enteignungsbehörde, der Regelungen der Eini-
gungsbeurkundung selbst sowie der gesamten Umstände des Verfahrens zu
dem Ergebnis gelangt, dass die Beteiligten übereinstimmend von der Gültigkeit
der Entwicklungssatzung ausgegangen sind (UA S. 28). Er hat die Beweislage
als „eindeutig“ angesehen und deshalb eine Vernehmung der von der Beklag-
ten angebotenen Zeugen für entbehrlich gehalten.
In dieser Begründung liegt keine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdi-
gung. Ein Gericht darf zwar grundsätzlich von einer Beweisaufnahme nicht
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deshalb absehen, weil es vom Gegenteil der unter Beweis gestellten Tatsache
überzeugt ist oder den Sachverhalt bereits für geklärt hält. Auch die bloße Un-
wahrscheinlichkeit einer behaupteten Tatsache rechtfertigt es nicht, eine Be-
weisaufnahme zu unterlassen (vgl. Urteil vom 11. April 1991 - BVerwG 3 C
73.89 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 229 m.w.N.). Ein Beweisantrag
kann jedoch dann ausnahmsweise abgelehnt werden, wenn aufgrund eines
bereits erhobenen Beweises die entscheidungserheblichen Tatsachen mit einer
solchen Gewissheit feststehen, dass die Überzeugung des Gerichts durch die
beantragte weitere Beweiserhebung - ihr Erfolg unterstellt - nicht mehr erschüt-
tert werden kann (Urteile vom 11. April 1991 - BVerwG 3 C 73.89 - a.a.O. und
vom 11. Dezember 1981 - BVerwG 4 C 71.79 - NVwZ 1982, 244). Der Verwal-
tungsgerichtshof hat die Einzelheiten des Sachverhalts sorgfältig beleuchtet
und nachvollziehbar dargelegt, dass sich aus den Vereinbarungen in der Eini-
gungsbeurkundung, der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor der
Enteignungsbehörde und den Umständen und dem Ablauf des Verfahrens ein
so klares Bild über die damaligen Motive der Beteiligten und damit die objektive
Geschäftsgrundlage für die abgegebenen Erklärungen der Beteiligten ergebe,
dass die Vernehmung der von der Beklagten benannten Zeugen die gerichtli-
che Überzeugung nicht hätte beeinflussen können. Mit dieser Einschätzung
verletzt der Verwaltungsgerichtshof die in der Rechtsprechung zum Verbot ei-
ner vorweggenommenen Beweiswürdigung aufgestellten Grundsätze nicht.
Ob der Verwaltungsgerichtshof gegen § 86 Abs. 3 VwGO verstoßen hat, indem
er die Beklagte nicht darauf aufmerksam gemacht hat, dass ihr Beweisantrag
zu einer bestimmten Sachverhaltsfrage kein geeignetes Beweisthema enthält,
kann offen bleiben. Der Verwaltungsgerichtshof hat der Beklagten vorgehalten,
keine konkreten Äußerungen oder sonstigen konkreten Umstände benannt zu
haben, aus denen sich im Falle ihrer Erweislichkeit ergeben hätte, dass die Klä-
ger nach Eintritt in die Erörterung über die Entschädigungshöhe erneut Zweifel
an der Rechtmäßigkeit der Entwicklungssatzung gehegt hätten und diese Zwei-
fel durch den Abschluss des Vergleichs hätten ausgeräumt werden sollen (UA
S. 29). Die Verfahrensrüge scheitert daran, dass die Beklagte im Beschwerde-
verfahren dazu schweigt, wie sie den Mangel ihres Beweisantrags nach einem
entsprechenden Hinweis durch den Verwaltungsgerichtshof behoben hätte.
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Dass der Verwaltungsgerichtshof den Beweisantrag zu Unrecht für konkretisie-
rungsbedürftig gehalten habe, kann nicht mit der Verfahrensrüge geltend ge-
macht werden. Das wäre ein materiellrechtlicher Fehler.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und die Streitwertfest-
setzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.
Dr. Paetow Prof. Dr. Rojahn Gatz
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