Urteil des BVerwG vom 20.06.2013

BVerwG: rechtliches gehör, zustand, ermessen, wiedergabe, eigentum, vorrang, kunst, gebärdensprache, sicherheit, fassade

BVerwG 3 B 70.12
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 70.12
VG Magdeburg - 18.04.2011 - AZ: VG 1 A 126/09 MD
OVG des Landes Sachsen-Anhalt - 21.03.2012 - AZ: OVG 3 L 301/11
In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. Juni 2013
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler und Buchheister
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil
des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 21. März 2012 wird
zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 €
festgesetzt.
Gründe
1 Die Beschwerde des Klägers bleibt ohne Erfolg. Die als Verfahrensfehler im Sinne von § 132
Abs. 2 Nr. 3 VwGO gerügte Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs
(Art. 103 Abs. 1 GG) ist nicht zu erkennen.
2 Der Kläger begehrt den Erlass zusätzlicher straßenverkehrsrechtlicher Anordnungen, um den
Verkehr auf der an seinem Grundstück vorbeiführenden Ortsstraße, insbesondere soweit es sich
um Schwerlastverkehr handelt, auszuschließen oder jedenfalls zu beschränken (Kennzeichnung
als Sackgasse für LKW; Anbringung des Verkehrszeichens 250 mit dem Zusatz „Frei für PKW
ohne Anhänger“; Anbringung des Verkehrszeichens 605 als Warnbake). Das Verwaltungsgericht
hat seine Klage abgewiesen; das Oberverwaltungsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung
zurückgewiesen.
3 Als mangelnde Gewährung rechtlichen Gehörs rügt der Kläger, das Berufungsgericht habe
nicht zur Kenntnis genommen, dass er die straßenverkehrsrechtlichen Anordnungen nicht aus
Sorge um den Zustand der Straße, sondern um den Zustand seines Hauses und damit seines
Eigentums begehrt habe. Das Oberverwaltungsgericht habe somit sein primäres Anliegen nicht
beachtet.
4 Der bundesverfassungsrechtlich durch Art. 103 Abs. 1 GG geschützte Anspruch auf rechtliches
Gehör verpflichtet die Gerichte, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in
Erwägung zu ziehen, nicht aber, sich mit jedem
Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen (BVerfG, Beschluss vom 1.
Februar 1978 - 1 BvR 426/77 - BVerfGE 47, 182 <187> m.w.N. BVerwG, Urteil vom 29.
November 1985 - BVerwG 9 C 49.85 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 177 = NJW 1986, 1125).
Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene
Vorbringen sowohl zur Kenntnis genommen als auch in seine Erwägungen einbezogen hat.
Daher kann nur, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich das Gegenteil ergeben, ein
Verstoß gegen den Grundsatz rechtlichen Gehörs angenommen werden (Beschluss vom 9. Juni
1981 - BVerwG 7 B 121.81 - Buchholz 312 EntlG Nr. 19 = DÖV 1981, 765).
5 Ausgehend davon liegt die gerügte Gehörsverletzung nicht vor. Im Tatbestand des Urteils wird
mehrfach erwähnt, dass der Kläger die straßenverkehrsrechtlichen Maßnahmen deshalb
beantragt habe, weil es durch den Fahrzeugverkehr zu Schäden an seinem Gebäude (Schäden
an Fassade und Toreinfahrt sowie Rissbildung im Keller) gekommen sei. Auch in der
zusammenfassenden Wiedergabe der Berufungsbegründung des Klägers wird nochmals
ausdrücklich sein Vorbringen aufgeführt, das Ermessen der Behörde sei auf Null reduziert, weil
sein Eigentum verletzt worden sei. Im Hinblick darauf liegt es fern, dass das Berufungsgericht
diesen Vortrag nicht zur Kenntnis genommen haben soll. Angesichts der mehrfachen
Erwähnung dieses auf den Schutz seines Eigentums gerichteten Anliegens des Klägers, das
überdies Gegenstand eingehender Ausführungen des Verwaltungsgerichts war, kann ebenfalls
nicht ernstlich angenommen werden, dass das Berufungsgericht dieses Vorbringen nicht auch
bei seiner rechtlichen Würdigung in Erwägung gezogen hat. Unmittelbar vor der vom Kläger
beanstandeten Passage seines Urteils hat es darauf hingewiesen, dass die Beklagte in
Ausübung ihres Ermessens die Ablehnung der beantragten Maßnahme damit begründen durfte,
dass der Anlieger- und Lieferverkehr zur angemessenen Erschließung der an der Ortsstraße
liegenden weiteren Grundstücke erforderlich sei, weil die Grundstücke nur über diesen Weg
erreichbar seien. Dies kann - gerade im Hinblick auf das von den Eigentümerbelangen des
Klägers dominierte Klage- und Berufungsvorbringen - nur dahin verstanden werden, dass auch
nach der Wertung des Berufungsgerichts die Beklagte jenen Anliegerinteressen wegen ihrer
Unabweisbarkeit Vorrang vor den Eigentumsinteressen des Klägers einräumen durfte. Dass das
Oberverwaltungsgericht diese Belange des Klägers nicht im Blick gehabt hat, lässt sich
jedenfalls nicht daraus schließen, dass es ihm im Folgenden das Recht abspricht, im Interesse
der Sicherheit der Verkehrsteilnehmer die mangelnde Tragfähigkeit des Fahrbahnkörpers zu
rügen. Mit diesen Ausführungen will das Gericht offenbar nur ergänzend darauf eingehen, dass
der Kläger in einem gesonderten Schriftsatz nochmals ausdrücklich auch die generelle bauliche
Ungeeignetheit der betroffenen Straße für jeglichen LKW-Verkehr gerügt hatte (vgl. Schriftsatz
vom 23. November 2011, Bl. 431 f. GA).
6 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Festsetzung des Streitwertes beruht
auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 2 GKG.
Kley
Liebler
Buchheister