Urteil des BVerfG vom 15.03.2017

BVerfG: rechtliches gehör, legitimation, willkürverbot, jahresrechnung, vertreter, satzung, anteil, aufklärungspflicht, volk, organisation

Rechtsquellen:
GG
Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und 3, Art. 28 Abs. 1 Satz 1, Art. 103 Abs. 1
WVG
§§ 28, 30, 47, 72 Abs. 1
VwGO § 86 Abs. 1
Stichworte:
Wasserverband; Verbandsversammlung; funktionale Selbstverwaltung;
Demokratieprinzip; demokratische Legitimation; demokratische Repräsentation;
Berufsgruppe; hauptberufliche Landwirte; Verbandsbeitrag; Verbandssatzung;
Beitragsmaßstab; Flächenanteil; Einwohneranteil; Willkürverbot; Anteil befestigter
Flächen; Beitragssatz; Beitragskalkulation; Schätzung; Haushaltsplan;
Jahresrechnung; Aufklärungspflicht; Überraschungsentscheidung; rechtliches Gehör.
Leitsatz:
Mit dem Demokratieprinzip kann es vereinbar sein, in der Satzung eines Wasser-
und Bodenverbandes vorzuschreiben, dass ein bestimmter Anteil der von den
Mitgliedsgemeinden in die Verbandsversammlung entsandten Vertreter der
Berufsgruppe der hauptberuflichen Landwirte angehören muss; dies gilt jedenfalls
dann, wenn die Vertretungskörperschaften der Mitgliedsgemeinden die betreffenden
Vertreter selbst frei auswählen können, ohne durch verbindliche Vorschlagsrechte
der Berufsgruppe eingeengt zu sein, und außerdem kommunalrechtliche
Weisungsrechte auch gegenüber diesen Vertretern bestehen (im Anschluss an
BVerfG, Beschluss vom 5. Dezember 2002 - 2 BvL 5, 6/98 - BVerfGE 107, 59 ff.).
Beschluss des 10. Senats vom 27. Juni 2005 - BVerwG 10 B 72.04
I. VG Minden vom 14.06.2002 - Az.: VG 8 K 244/96 Minden -
II. OVG Münster vom 15.09.2004 - Az.: OVG 20 A 3166/02 -
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 10 B 72.04
OVG 20 A 3166/02
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. Juni 2005
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts H i e n und die Richter
am Bundesverwaltungsgericht Dr. N o l t e und D o m g ö r g e n
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das
Land Nordrhein-Westfalen vom 15. September 2004 wird
zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das
Beschwerdeverfahren auf 259 618,67 € festgesetzt.
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G r ü n d e :
Die auf die Zulassungsgründe grundsätzlicher Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO)
und des Vorliegens von Verfahrensmängeln (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte
Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Beschwerde lässt nicht den Schluss zu, dass der Rechtssache die von der
Klägerin geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung zukommt. Von grundsätzlicher
Bedeutung ist eine Rechtssache nur, wenn sie eine für die erstrebte
Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im
Interesse der Einheit und Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung
bedarf. Die von der Klägerin aufgeworfenen Fragen erfüllen diese Erfordernisse
nicht.
a) Für grundsätzlich bedeutsam hält die Beschwerde die folgende Frage:
Ist es mit dem Prinzip der demokratischen Repräsentation
(Art. 20 Abs. 2 GG) vereinbar, wenn in der Satzung einer
öffentlich-rechtlichen Körperschaft eine zwingende Beteiligung
bzw. ein zwingendes Beteiligungsverhältnis bestimmter
Berufsgruppen in der Vertreterversammlung vorgesehen ist?
Unter Berücksichtigung der Grundsätze, die das Bundesverfassungsgericht für die
Organisation von Trägern funktionaler Selbstverwaltung aus dem Demokratieprinzip
abgeleitet hat, besteht für diese Frage kein revisionsgerichtlicher Klärungsbedarf.
Wie das Bundesverfassungsgericht speziell für Wasserverbände entschieden hat,
lassen sich die für die unmittelbare Staatsverwaltung und die gemeindliche
Selbstverwaltung geltenden Anforderungen des Demokratiegebots auf Träger
funktionaler Selbstverwaltung nicht ungesehen übertragen. Bezogen auf diese
Träger ist das Demokratiegebot offen für andere, insbesondere vom Erfordernis
lückenloser personeller demokratischer Legitimation aller Entscheidungsbefugten
abweichende Formen der Organisation und Ausübung von Staatsgewalt. Insoweit
lässt das Grundgesetz insbesondere Raum für besondere Formen der Beteiligung
Betroffener bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben (BVerfG, Beschluss vom
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5. Dezember 2002 - 2 BvL 5, 6/98 - BVerfGE 107, 59 <91 f.>). Hierbei ist zu
berücksichtigen, dass funktionale Selbstverwaltung und demokratisches Prinzip in
einer engen Beziehung zueinander stehen; denn sowohl das Demokratieprinzip in
seiner traditionellen Ausprägung einer ununterbrochen auf das Volk
zurückzuführenden Legitimationskette für alle Amtsträger als auch die funktionale
Selbstverwaltung als organisierte Beteiligung der sachnahen Betroffenen an den sie
berührenden Entscheidungen verwirklichen die sie verbindende Idee des sich selbst
bestimmenden Menschen in einer freiheitlichen Ordnung. Der Gesetzgeber darf
deshalb in Bereichen funktionaler Selbstverwaltung ein wirksames Mitspracherecht
der Betroffenen schaffen und verwaltungsexternen Sachverstand aktivieren (BVerfG,
a.a.O. S. 92). Dies bedeutet freilich nicht, dass Organen von Trägern der
funktionalen Selbstverwaltung verbindliches Handeln mit Entscheidungscharakter
ermöglicht werden dürfte, ohne dass das Volk maßgeblichen Einfluss auf dieses
Handeln behielte. Das Bundesverfassungsgericht hat aber insoweit eine lückenlose
personelle Legitimationskette vom Volk zum Entscheidungsbefugten für verzichtbar
gehalten, sofern eine sachlich-inhaltliche demokratische Legitimation durch eine
ausreichende gesetzliche Steuerung der Aufgaben und Handlungsbefugnisse der
Organe und eine Aufsicht über sie durch personell demokratisch legitimierte
Amtswalter gewährleistet sei (a.a.O. S. 94).
Hiervon ausgehend kann es mit dem Demokratieprinzip vereinbar sein, wenn in der
Satzung eines Wasserverbands zwingend die Beteiligung bestimmter Berufsgruppen
in der Verbandsversammlung vorgesehen wird. Eine solche Beteiligung kann aus
Gründen sachgerechter und zugleich die Interessen der von der Verbandstätigkeit in
herausgehobener Weise Betroffenen berücksichtigender Aufgabenwahrnehmung
gerechtfertigt sein. Das Berufungsgericht hat derartige Gründe für die in Rede
stehende Satzungsregelung, nach der eine bestimmte Anzahl der von den
Verbandsmitgliedern in die Verbandsversammlung entsandten Delegierten der
Gruppe der hauptberuflichen Landwirte angehören muss, im Hinblick auf die
Aufgaben des Verbandes als gegeben angesehen. Das leuchtet ein, da diese
Berufsgruppe - wie im Berufungsurteil näher ausgeführt - sowohl besonderen
aufgabenspezifischen Sachverstand in die Verbandsarbeit einbringen kann als auch
in besonderem Maße von der Wahrnehmung der Verbandsaufgaben in ihren
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Interessen betroffen ist, unter beiden Gesichtspunkten also den vom
Bundesverfassungsgericht in dieser Hinsicht genannten Kriterien entspricht.
Ob den Mindestanforderungen demokratischer Legitimation, die auch an
verbindliches Handeln derartiger Organisationsformen funktioneller Selbstverwaltung
zu stellen sind, ausreichend Rechnung getragen worden ist, lässt sich anhand der
vom Bundesverfassungsgericht formulierten Maßgaben ebenfalls unschwer
beantworten. Die demokratische Legitimation der Aufgabenerfüllung durch die
Verbandsversammlung des Beklagten geht nämlich über die vom
Bundesverfassungsgericht als hinreichend erachteten Anforderungen sachlich-
inhaltlicher demokratischer Legitimation sogar erheblich hinaus. Es sind nicht nur die
Aufgaben der Verbandsversammlung einschließlich der Änderung der
Verbandssatzung durch ein Parlamentsgesetz im Einzelnen vorherbestimmt (vgl.
§ 47 WVG) und die Aufgabenerfüllung der Rechts-aufsicht durch demokratisch
legitimierte Amtswalter unterstellt (vgl. § 72 Abs. 1 WVG). Vielmehr verfügte die
Verbandsversammlung nach den hier maßgeblichen Bestimmungen der
Verbandssatzung 1980 auch über eine personelle demokratische Legitimation, weil
die der Verbandsversammlung angehörenden Delegierten ausnahmslos von den
Vertretungskörperschaften der Mitgliedsgemeinden zu wählen waren. Eine
Einschränkung erfuhr die personelle Legitimation lediglich insofern, als die
Vertretungskörperschaften darauf festgelegt waren, eine bestimmte Zahl von
Delegierten aus der Gruppe der hauptberuflichen Landwirte zu wählen. Das Gewicht
dieser Einschränkung wird aber deutlich dadurch relativiert, dass - worauf die
Vorinstanz bereits hingewiesen hat - die Vertretungskörperschaften der
Mitgliedsgemeinden die betreffenden Vertreter selbst frei auswählen konnten, also
nicht durch verbindliche Vorschlagsrechte der Berufsgruppe eingeengt waren, und
außerdem kommunalrechtliche Weisungsrechte auch gegenüber diesen Delegierten
bestanden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. Juni 1969 - 2 BvR 518/66 - BVerfGE 26,
186 <196>; Beschluss vom 17. Dezember 1969 - 2 BvR 271, 342/68 - BVerfGE 27,
312 <320>; Herzog in: Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Art. 20 II
Rn. 55).
Ein weitergehender Klärungsbedarf ergibt sich nicht etwa daraus, dass die Klägerin
auf ein von dem Gebot demokratischer Legitimation zu trennendes Prinzip
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demokratischer Repräsentation verweist, das - jedenfalls auch - für die
Vertretungskörperschaften von Verbänden funktionaler Selbstverwaltung gelten und
die zwingende Berücksichtigung bestimmter Berufsgruppen bei der Delegiertenwahl
ausschließen soll. Ein solches Prinzip hat die Klägerin lediglich postuliert, ohne seine
Herleitung aus dem Demokratieprinzip näher zu begründen. Der maßgeblichen
Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, das sich - wie ausgeführt - ausdrücklich
zur Beteiligung der von der Verbandstätigkeit Betroffenen und zur Aktivierung
verwaltungsexternen Sachverstandes im Rahmen der funktionalen Selbstverwaltung
bekannt hat, entspricht die von der Klägerin erhobene Forderung nicht (vgl. auch
BVerfG, Beschluss vom 9. April 1975 - 1 BvL 6/74 - BVerfGE 39, 247 <254 f.>;
Beschluss vom 16. De-zember 1975 - 2 BvL 7/74 - BVerfGE 41, 1 <12>).
b) Die von der Beschwerde außerdem aufgeworfene Frage,
ob es mit § 30 Abs. 1 WVG und Art. 3 Abs. 1 GG bzw. dem
allgemeinen Willkürverbot vereinbar ist, dass bei einem
Wasserverband der Maßstab für Verbandsbeiträge durch eine
Kombination von einem Flächenanteil und einem
Einwohneranteil gebildet wird,
verleiht der Rechtssache ebenfalls keine grundsätzliche Bedeutung. Diese Frage ist
auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im
bejahenden Sinne zu beantworten, ohne dass es dazu der Durchführung eines
Revisionsverfahrens bedürfte. § 30 Abs. 1 WVG sieht eine Beitragsbemessung
primär nach dem Verhältnis der Vorteile der Mitglieder und der im Hinblick auf die
Mitglieder aufgewandten Kosten des Verbandes vor (Satz 1); hierfür reicht es aus,
die Vorteile und Kosten annähernd zu ermitteln (Satz 2). Nach § 30 Abs. 2, 2. Alt.
WVG ist es auch zulässig, einen abweichenden Beitragsmaßstab festzulegen. Die
gesetzliche Regelung eröffnet, wie vor allem das vorerwähnte Wahlrecht zeigt, dem
Satzungsgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. Begrenzt wird dieser Spielraum
durch das Willkürverbot (BVerwG, Urteil vom 29. Mai 1964 - BVerwG 4 C 22.63 -
BVerwGE 18, 324 <327>; Urteil vom 2. Dezember 1966 - BVerwG 4 C 185.65 -
Buchholz 445.2 § 81 WVVO Nr. 1 S. 4), auf das sich verbandsangehörige
Gemeinden ungeachtet ihrer mangelnden Grundrechtsträgerschaft wegen seiner
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Verankerung im Rechtsstaatsprinzip berufen können (vgl. BVerfG, Beschluss vom
24. Juni 1969 - 2 BvR 446/64 - BVerfGE 26, 228 <244>; Beschluss vom 7. Oktober
1980 - 2 BvR 584/76 u.a. - BVerfGE 56, 298 <313>). Der Beitragsmaßstab darf nicht
sachwidrig und für das Wirken des Verbandes völlig unpassend sein.
Hiervon ausgehend liegt es auf der Hand, dass sich der Beitragsmaßstab nicht
notwendig an einem einzelnen Kriterium ausrichten muss. Vielmehr kann es
sachangemessen sein, mehrere Faktoren einzubeziehen, wenn ihnen nicht nur je für
sich, sondern auch in ihrer Kombination typischerweise Aussagekraft hinsichtlich des
jeweiligen verbandlichen Kostenaufwandes und des für die Verbandsmitglieder aus
der Aufgabenerfüllung resultierenden Nutzens zukommt. Dies trifft auf einen
Beitragsmaßstab wie den des Beklagten zu, der die Flächenanteile der
Mitgliedsgemeinden, differenziert nach Flächenklassen, und die Einwohneranteile
zugrundelegt. Wie das Oberverwaltungsgericht im Einzelnen ausgeführt hat, hängen
der Umfang des Wasserabflusses und der damit korrespondierende
Gewässerunterhaltungsaufwand maßgeblich vom Flächenumfang und von der
Flächenbeschaffenheit ab, wobei sich Unterschiede insbesondere zwischen
befestigten und nicht befestigten Flächen ergeben. Die Bevölkerungszahl wiederum
lässt Rückschlüsse auf die Nutzungsintensität der jeweiligen Flächen und den damit
verbundenen Nutzwert zu. Den Einwand der Klägerin, mit den Faktoren
Einwohnerzahl und Anteil befestigter Flächen werde ein und derselbe Gesichtspunkt
doppelt gewichtet, hat die Vorinstanz überzeugend entkräftet. Über das zusätzliche
Kriterium der Einwohnerzahl wird lediglich berücksichtigt, dass befestigte Flächen in
eher städtisch strukturierten Gebieten verglichen mit außerhalb gelegenen
befestigten Flächen im Hinblick auf die Vorteilhaftigkeit der Verbandstätigkeit
typischerweise Unterschiede aufweisen.
c) Die Beschwerde misst ferner der folgenden Frage grundsätzliche Bedeutung bei:
Ist es bei der Erhebung von Beiträgen mit § 30 Abs. 1 WVG und
Art. 3 Abs. 1 GG bzw. dem allgemeinen Willkürverbot vereinbar,
wenn die bei der Beitragsverteilung zugrunde zu legenden
Vorteile und Kosten überhaupt nicht ermittelt, sondern lediglich
pauschal geschätzt worden sind?
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Die Fragestellung richtet sich, wie aus der Beschwerdebegründung folgt, im
Wesentlichen auf die der Bestimmung des Beitragssatzes zugrunde zu legenden
Kosten. Insoweit fehlt es an einem revisionsgerichtlichen Klärungsbedarf. Denn das
Berufungsgericht hat nicht zu der Frage Stellung genommen, ob es ausreicht, die
Beitragserhebung auf pauschale Schätzungen des beitragsfähigen Aufwandes zu
stützen. In seinem Urteil führt es lediglich aus, eine "gesonderte Beitragskalkulation"
sei verzichtbar, und erachtet es als unbedenklich, die Kalkulation des
Gesamtbeitrages an den Ansätzen im Haushaltsplan für Ausgaben und (sonstige)
Einnahmen auszurichten. In diesem Zusammenhang betont das Gericht
ausdrücklich, dass der Aufstellung des Haushaltsplans mit seinen detaillierten
Angaben zu Ausgaben und Einnahmen eine tragfähige Prognose zugrunde lag.
Warum eine solche, über pauschale Schätzungen weit hinausgehende Prognose den
Anforderungen des einschlägigen § 28 WVG oder dem Willkürverbot nicht gerecht
werden sollte, ist weder von der Klägerin mit ihrer Beschwerde dargelegt worden
noch sonst ersichtlich.
Ohnehin könnte eine fehlerhafte Kalkulation für die Beurteilung des angefochtenen
Beitragsbescheides nur dann von Bedeutung sein, wenn sie sich zu Lasten der
Klägerin auf die Beitragshöhe ausgewirkt hätte. Davon kann jedoch nicht
ausgegangen werden, da nach den Feststellungen des Berufungsgerichts die für das
Haushaltsjahr 1995 durchgeführte und im Prüfbericht des Rechnungsprüfungsamts
der Klägerin unbeanstandet gebliebene Jahresrechnung für das Haushaltsjahr 1995
die dem Haushaltsplan zugrunde gelegte Prognose bestätigt hat.
Sofern sich die Fragestellung außerdem auf die der Beitragsverteilung zugrunde zu
legenden Vorteile der Mitglieder und Kosten des Verbands im Sinne des § 30 Abs. 1
WVG beziehen sollte, lässt sie sich unmittelbar aus dem Gesetz beantworten. Nach
§ 30 Abs. 1 Satz 2 WVG ist in dieser Hinsicht eine "annähernde Ermittlung" geboten,
aber auch hinreichend. Dies lässt ohne weiteres erkennen, dass sich das Gesetz mit
einer überschlägigen, typisierenden Betrachtung begnügt, wogegen auch im Hinblick
auf das Willkürverbot nichts einzuwenden ist.
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2. Die auf das behauptete Vorliegen eines Verfahrensmangels im Sinne des § 132
Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde hat ebenfalls keinen Erfolg.
a) Die Beschwerde macht als Verfahrensmangel geltend, das
Oberverwaltungsgericht habe seine Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO
verletzt, weil es versäumt habe zu klären, welcher Aufwand beim Beklagten im
streitigen Veranlagungsjahr konkret angefallen ist. Diese Rüge greift nicht durch. Das
Berufungsgericht könnte seine Aufklärungspflicht nach ständiger Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts nur dann verletzt haben, wenn sich ihm eine weitere
Ermittlung aufgedrängt hätte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997
- BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 n.F. VwGO Nr. 26 S. 15; Beschluss vom
10. Oktober 2001 - BVerwG 9 BN 2.01 - Buchholz 401.65 Hundesteuer Nr. 7 S. 11).
Das war indes nicht der Fall.
Die Vorinstanz ist der Frage, auf welchen Annahmen zum Kostenaufwand die
Beitragserhebung beruht, mit mehreren Aufklärungsverfügungen im vorliegenden
Verfahren und im Parallelverfahren OVG 20 A 3165/02 nachgegangen. Der Beklagte
hat daraufhin auf seinen Haushaltsplan für das Veranlagungsjahr verwiesen und
diesen nebst Nachtragshaushaltsplan, Jahresrechnung und Prüfbericht des
Rechnungsprüfungsamts der Klägerin dem Gericht vorgelegt. Eine weitere
Aufklärung in dieser Hinsicht schied schon deshalb aus, weil aufgrund der Reaktion
des Beklagten klar war, dass es eine von den Haushaltsplanungen zu
unterscheidende Kalkulation des beitragsfähigen Aufwandes nicht gab. Von dieser
Annahme geht übrigens auch die Klägerin aus, wenn sie in ihrer
Beschwerdebegründung ausführt, es habe seitens des Beklagten "keine konkrete
Kostenermittlung stattgefunden". In dieser Situation bestand für das Gericht kein
Anlass und keine Möglichkeit zu weiteren Ermittlungen, sondern vielmehr allein die
Notwendigkeit, rechtlich zu bewerten, ob die Haushaltsplanung des Beklagten den
Anforderungen an eine ordnungsgemäße Beitragskalkulation genügte. Folgerichtig
hat auch die anwaltlich vertretene Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem
Berufungsgericht keine Veranlassung gesehen, durch einen entsprechenden
Beweisantrag auf eine weitere Sachverhaltsaufklärung hinzuwirken.
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b) Die Vorinstanz hat ferner keine Überraschungsentscheidung getroffen, durch die
der Klägerin rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verwehrt worden wäre. Ein Urteil
ist als Überraschungsentscheidung zu werten, wenn das Gericht einen bis dahin
nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner
Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wende gibt, mit der die
Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten
(BVerwG, Urteil vom 10. April 1991 - BVerwG 8 C 106.89 - Buchholz 310 § 108
VwGO Nr. 235). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Aus der Begründung des Zulassungsbeschlusses der Vorinstanz vom 7. Mai 2003
konnte die Klägerin nicht den Schluss ziehen, auf den Haushaltsplan werde es für
die Beurteilung einer ordnungsgemäßen Beitragskalkulation nicht ankommen.
Abgesehen davon, dass einer solchen Entscheidung ihrem Charakter entsprechend
nur eine sehr vorläufige Einschätzung der klärungsbedürftigen Fragen zu entnehmen
ist, verhielt sich der Zulassungsbeschluss gar nicht dazu, ob und gegebenenfalls
welche Rückschlüsse aus dem Haushaltsplan und der zugehörigen Jahresrechnung
für die im Veranlagungsjahr zugrunde zu legende Verbandstätigkeit und die damit
verbundenen Kosten zu ziehen seien; er wies vielmehr nur allgemein auf das
Erfordernis hin, Tätigkeiten und Kostenansätze zu klären, ohne sich zu den
einschlägigen Erkenntnisquellen zu äußern. Dass der Haushaltsplan nebst der
darauf bezogenen Jahresrechnung als eine solche Erkenntnisquelle vom Gericht
herangezogen werden könnte, war angesichts der darin enthaltenen detaillierten
Ansätze über Ausgaben und Einnahmen eine nahe liegende Möglichkeit; dies umso
mehr, als das Gericht sie anforderte, nachdem der Beklagte sich zum Beleg einer
ordnungsgemäßen Kalkulation auf diese Unterlagen berufen hatte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung
auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.
Hien Dr. Nolte Domgörgen