Urteil des BVerfG vom 23.03.2018

Verfristete Verfassungsbeschwerde gegen Beschlüsse im Zwangsversteigerungsverfahren

- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt Wolf-Wilhelm Richter,
Hüninger Straße 24, 14195 Berlin -
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 2126/17 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der Frau W...,
gegen a) den Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 17. Juli 2017 - 1 T
103/13 -,
b) den Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 11. Juni 2014 - 1 T
103/13 -,
c) den Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 11. März 2014 - 1 T
103/13 -
und Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richterin Hermanns,
den Richter Müller
und die Richterin Langenfeld
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der
Bekanntmachung
vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 23. März 2018 einstimmig beschlossen:
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgelehnt.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
1
2
3
4
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
G r ü n d e :
I.
1. Das Amtsgericht Luckenwalde erteilte der Beschwerdeführerin mit Beschluss
vom 21. April 2010 den Zuschlag für ein in Rangsdorf bei Berlin gelegenes
Grundstück. Gegen den Zuschlagsbeschluss legte der Schuldner am
19. November 2012 sofortige Beschwerde ein. Dieser half das Amtsgericht
Luckenwalde mit Beschluss vom 11. November 2013 nicht ab. Da die
Bemühungen, den Aufenthalt des Schuldners zu ermitteln, nachweislich ohne Erfolg
geblieben seien, habe es die öffentliche Zustellung angeordnet und später einen
Rechtsanwalt als Zustellungsvertreter für den Schuldner bestellt. Ein
Zuschlagsversagungsgrund liege daher weder nach § 100 in Verbindung mit § 83
Nr. 1 ZVG noch in Verbindung mit § 83 Nr. 6 ZVG vor.
2. Mit Beschluss vom 11. März 2014 hob das Landgericht Potsdam den
Zuschlagsbeschluss des Amtsgerichts Luckenwalde auf und versagte den
Zuschlag. Zur Begründung führte es aus, die sofortige Beschwerde sei nach § 96,
§ 97 Abs. 1 ZVG, § 793 ZPO statthaft und als außerordentliche Beschwerde
(„Nichtigkeitsbeschwerde“)
innerhalb
gesetzlicher
Frist
eingelegt.
Die
außerordentliche Beschwerde nach § 569 Abs. 1 Satz 3 ZPO befreie von der
Notfrist von zwei Wochen, die mit der Zustellung der Entscheidung, spätestens mit
dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung des Beschlusses, beginne.
Lägen die Voraussetzungen der Nichtigkeits- oder der Restitutionsklage vor, könne
nach § 569 Abs. 1 Satz 3 ZPO die Beschwerde auch nach Ablauf der Notfrist
innerhalb der für diese Klage geltenden Notfristen erhoben werden. Nach § 579
Abs. 1 Nr. 4 ZPO finde die Nichtigkeitsklage statt, wenn eine Partei in dem
Verfahren nicht nach den Vorschriften der Gesetze vertreten war. Dies treffe auf
den vorliegenden Fall zu. Die Bestellung des Zustellungsvertreters sei wegen
Fehlens der Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 ZVG gegenüber dem Schuldner
unwirksam gewesen. Denn nach § 6 Abs. 1 ZVG sei ein Zustellungsvertreter nur zu
bestellen, wenn der Aufenthalt desjenigen, dem zugestellt werden solle, dem
Vollstreckungsgericht unbekannt sei. Hier habe das Gericht gebotene
Nachforschungen zum tatsächlichen Aufenthaltsort des Schuldners unterlassen,
obwohl erkennbare Hinweise vorgelegen hätten. Das Gericht dürfe nicht einfach die
nötigen Feststellungen durch Bestellung eines Zustellungsvertreters umgehen.
Dieser vom Amtsgericht begangene schwere Verfahrensfehler begründe sowohl
den Versagungsgrund nach § 83 Nr. 1, § 43 Abs. 2 ZVG als auch nach § 83 Nr. 6
ZVG.
3. Mit Beschluss vom 11. Juni 2014 ergänzte das Landgericht Potsdam den Tenor
des Beschlusses vom 11. März 2014 dahingehend, dass das Verfahren unter
Versagung des Zuschlags einstweilen eingestellt werde.
4. Die Gehörsrüge der Beschwerdeführerin vom 16. April 2014 wies das
5
6
7
8
9
10
Landgericht Potsdam mit Beschluss vom 17. Juli 2017, dem damaligen
Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin zugestellt am 20. Juli 2017, zurück.
II.
1. Mit ihrer am Samstag, den 19. August 2017, per Telefax ohne Anlagen und am
Mittwoch, den 23. August 2017, per Post mit Anlagen eingegangenen
Verfassungsbeschwerde rügt die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin eine
Verletzung ihres Rechts auf Eigentum (Art. 14 Abs. 1 GG), ihres Rechts auf den
gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) sowie ihres Rechts auf rechtliches
Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).
Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, Art. 14 Abs. 1 GG sei verletzt, da
das Landgericht in völlig einseitiger Weise die Belange des Schuldners vorrangig
berücksichtigt habe und damit zu einem Ergebnis gelangt sei, welches sachlich
nicht gerechtfertigt und deshalb letztlich willkürlich erscheine. Die Eigentumsgarantie
der Beschwerdeführerin, die als Ersteherin durch den Zuschlag Eigentum erworben,
das Grundstück mittlerweile mit einem Wohnhaus bebaut und zum
Lebensmittelpunkt ihrer Familie gemacht habe, sei durch das Landgericht in
eklatanter Weise dadurch verletzt worden, dass es auf die Beschwerde des
Schuldners hin den Zuschlag versagt und der Beschwerdeführerin das erworbene
Eigentum wieder entzogen habe.
Zudem habe das Landgericht die Anforderungen an die verfahrensrechtlichen
Ermittlungspflichten des Versteigerungsgerichts praxis- und realitätsfern zugunsten
des Voreigentümers überspannt, indem es die Ansicht vertreten habe, dass das
Amtsgericht den Aufenthalt bzw. die Zustelladresse des Schuldners hätte genauer
ermitteln müssen. Tatsache sei, dass der Aufenthalt bzw. die Zustelladresse bis
heute nicht bekannt seien.
Hinsichtlich einer Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1
GG führt die Beschwerdeführerin im Wesentlichen an, dass das Landgericht das
Beschwerdeverfahren ohne sie durchgeführt und ihr den Beschluss über die
Beschwerde nicht zur Kenntnis gebracht habe. Nur durch Zufall habe die
Beschwerdeführerin von der „Enteignungsentscheidung“ Kenntnis erlangt und
daraufhin im April 2014 Gehörsrüge erhoben. Darüber hinaus lägen Gehörs-
verletzungen darin, dass das Landgericht über Vortrag der Beschwerdeführerin
einfach hinweggegangen sei und Dinge unzutreffend als unstreitig bezeichnet habe.
Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sei verletzt, da das Landgericht über die Beschwerde
des Schuldners nicht durch einen Einzelrichter habe entscheiden dürfen. Denn das
Verfahren weise nicht nur eine Fülle an tatsächlichen und rechtlichen
Schwierigkeiten auf, sondern habe auch existentielle Auswirkungen auf die
Beschwerdeführerin und ihre Familie. Einen entsprechenden Antrag auf
Übertragung des Rechtsstreits auf die Kammer habe die Beschwerdeführerin
ausdrücklich gestellt.
Um die Verfassungsbeschwerde möglichst übersichtlich zu halten, werde darauf
verzichtet, alle Details des Versteigerungsverfahrens sowie des gerichtlichen
Verfahrens auszuführen. Bei der rechtlichen Würdigung werde auf wesentliche
11
12
13
14
Einzelheiten eingegangen und ansonsten gebeten, die einschlägigen Akten des
Amtsgerichts und des Landgerichts beizuziehen und daraus weitere Einzelheiten zu
entnehmen.
2. Auf Hinweis des Bundesverfassungsgerichts vom 31. August 2017, dass
Kopien der angegriffenen Entscheidungen und die weiteren notwendigen Unterlagen
erst nach Ablauf der Monatsfrist am 23. August 2017 eingegangen seien, hat der
Bevollmächtigte der Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 13. September 2017
die
Auffassung
vertreten,
dass
der
fristgerecht
eingegangenen
Verfassungsbeschwerde der wesentliche Inhalt der angegriffenen Entscheidungen,
der Verlauf des Verfahrens und die bisherige Argumentation der
Beschwerdeführerin hinreichend deutlich zu entnehmen seien. Für den Fall, dass es
darauf ankomme, stelle er zugleich Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags führt er aus, auf dem
Briefkasten vor seiner Poststelle in Berlin-Dahlem sei angegeben, dass er
samstags um 13.15 Uhr geleert werde. Um sicher zu gehen, dass vorher
eingelieferte Post tatsächlich noch am Samstag befördert werde, habe er sich am
Donnerstag, den 17. August 2017, in der Poststelle erkundigt, ob bei der Leerung
bzw. Abholung der Post am Samstag um 13.15 Uhr die Postsendung noch am
selben Tag „auf den Weg nach Karlsruhe gebracht“ würde. Dies sei ihm von einer
Postmitarbeiterin ausdrücklich bestätigt worden. Daraufhin habe er die Sendung mit
Anlagen als Einschreiben am Samstag, den 19. August 2017, um 12.55 Uhr bei der
Poststelle aufgegeben. Den Einlieferungsbeleg habe er eingesteckt und den dort
angebrachten Vermerk, dass die „Versandschlusszeit überschritten“ sei, erst am
11. September 2017 registriert, als er den Einlieferungsschein für das
Bundesverfassungsgericht kopiert habe.
3. Mit Schriftsatz vom 8. März 2018 beantragt die Beschwerdeführerin durch ihren
Bevollmächtigten, „die Vollstreckbarkeit“ der Beschlüsse des Landgerichts Potsdam
vom 11. März 2014 und vom „20. Juli 2017“ (gemeint wohl 17. Juli 2017) vorläufig
auszusetzen.
III.
1. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die
Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor, weil die
Verfassungsbeschwerde unzulässig ist. Sie ist nicht fristgerecht begründet worden
(§ 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG in Verbindung mit § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG).
a) Nach § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG ist eine Verfassungsbeschwerde innerhalb
eines Monats nicht nur zu erheben, sondern auch zu begründen. Die fristgerechte
Begründung erfordert gemäß § 92 in Verbindung mit § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG
insbesondere, dass entweder die angegriffenen Entscheidungen selbst vorgelegt
oder wenigstens ihrem wesentlichen Inhalt nach mitgeteilt werden oder dass sich
der Beschwerdeführer mit ihnen in einer Weise auseinandersetzt, dass beurteilt
werden kann, ob sie mit dem Grundgesetz in Einklang stehen (vgl. BVerfGE 88, 40
<45>; 93, 266 <288>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom
21. November 2007 - 1 BvR 2793/07, juris, Rn. 2; stRspr). Nicht ausreichend ist es
hingegen, bis zum Ablauf der Monatsfrist lediglich die Beschwerdeschrift per
Telefax zu übermitteln und die angegriffenen Entscheidungen - nach Fristablauf - mit
15
16
dem Originalschriftsatz nachzureichen, ohne dass die Entscheidungen im
Verfassungsbeschwerdeschriftsatz hinreichend wiedergegeben sind (vgl. BVerfG,
Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 13. August 2013 - 2 BvR
2660/06 -, juris, Rn. 33 m.w.N.).
Diesen Anforderungen wird die Verfassungsbeschwerde nicht gerecht. Der
Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 17. Juli 2017 wurde dem damaligen
Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin am 20. Juli 2017 zugestellt. Die Frist zur
Begründung der Verfassungsbeschwerde endete somit am Montag, den 21. August
2017 (§ 93 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BVerfGG, § 188 Abs. 2 Alternative 1, § 193 BGB).
Zu diesem Zeitpunkt war beim Bundesverfassungsgericht nur die Faxkopie des
Beschwerdeschriftsatzes eingegangen, der die Anlagen nicht beigefügt waren. Der
Originalschriftsatz nebst diesen Anlagen - namentlich den angegriffenen
Entscheidungen und Schriftsätzen aus dem Verfahren vor den Fachgerichten - ist
erst am Mittwoch, den 23. August 2017, und damit nach Fristablauf beim
Bundesverfassungsgericht eingegangen.
Die Beschwerdeführerin hat auch den wesentlichen Inhalt der angegriffenen
Entscheidungen
in
der
fristgerecht
ohne
Anlagen
eingegangenen
Verfassungsbeschwerde nicht derart mitgeteilt, dass eine verantwortbare
verfassungsrechtliche Beurteilung möglich gewesen wäre. Insbesondere gibt die
Beschwerdeführerin die Ausführungen des Landgerichts in dem Beschluss vom
17. Juli 2017 zu der nach seiner Auffassung vom Gesetzgeber in § 90 Abs. 1, § 96
ZVG in Verbindung mit § 569 Abs. 1 Satz 3, § 579 Abs. 1 Nr. 4, § 586 ZPO
getroffenen Regelung der möglichen Aufhebung eines Zuschlagsbeschlusses auch
nach Jahren im Fall einer nicht vorschriftsgemäß vertretenen Partei nicht wieder,
mit denen das Landgericht die Rechtsmissbräuchlichkeit der sofortigen Beschwerde
des Schuldners verneint hat. Das Landgericht hat unter anderem ausgeführt, dass
der Gesetzgeber in § 90 ZVG die Entscheidung getroffen habe, dass der Ersteher
nur Eigentum erwerbe, wenn der Zuschlagsbeschluss nicht im Beschwerdewege
aufgehoben werde. Damit begünstige das ZVG den Ersteher einerseits, indem der
Eigentumserwerb nicht den Gutglaubensvorschriften unterworfen werde.
Andererseits müsse der Ersteher aber auch, jedenfalls für die Dauer von fünf
Jahren, damit rechnen, dass der Zuschlag aufgehoben werde. Seitens der
Ersteherin sei demgegenüber nicht im Ansatz ein Umstandsmoment vorgetragen
worden, wonach sie aufgrund eines wie auch immer gearteten Verhaltens des
Schuldners habe annehmen dürfen, der Schuldner werde auf die Geltendmachung
seiner Rechte verzichten. Diese Argumentation des Landgerichts hätte die
Beschwerdeführerin wiedergeben und sich damit auseinandersetzen müssen,
inwieweit daraus ein Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG folgt. Soweit sie rügt, dass
das Landgericht die Anforderungen an die Ermittlungspflichten des
Vollstreckungsgerichts hinsichtlich des Aufenthalts des Schuldners überspannt
habe, gibt sie nicht wieder, dass das Landgericht sowohl im Beschluss vom
11. März 2014 als auch im Beschluss vom 17. Juli 2017 ausgeführt hat, dass das
Finanzamt Luckenwalde dem Amtsgericht auf dessen Mitteilung von der
angeordneten Zwangsversteigerung hin Ende 2008 eine Anschrift des Schuldners in
den USA mitgeteilt habe, die das Amtsgericht auch zur Akte genommen, in der
Folge aber keinen einzigen Kontaktversuch unter dieser Adresse unternommen
habe.
17
18
19
20
21
Hinsichtlich der gerügten Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG lassen sich der
Verfassungsbeschwerde die genauen Erwägungen, die das Landgericht im
Beschluss vom 17. Juli 2017 zu der Zurückweisung der Gehörsrüge bewogen
haben, ebenfalls nicht entnehmen. Die Darstellung in der Verfassungsbeschwerde,
das Landgericht habe sich bei seiner Entscheidung über die Gehörsrüge nicht
weitgehend darauf beschränken dürfen, den Ausgangsbeschluss des Land-gerichts
ohne eigene weitere Ermittlungen „mehr oder weniger nachzuvollziehen“, ermöglicht
eine verantwortbare verfassungsrechtliche Prüfung nicht. Abgesehen davon teilt die
Beschwerdeführerin auch ihren Vortrag im Rahmen der Gehörsrüge vor dem
Landgericht nicht mit, sondern beschränkt sich auf die Angabe, sie habe
„umfangreich“ zu der nicht erfolgten Beteiligung am Beschwerdeverfahren vor-
getragen.
Mangels ausreichender Mitteilung des Inhalts der landgerichtlichen Ent-
scheidungen in der Verfassungsbeschwerdeschrift lässt sich schließlich nicht
verantwortbar beurteilen, ob die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher
oder rechtlicher Art aufweist oder grundsätzliche Bedeutung hat (vgl. § 568 Satz 2
ZPO). Vor diesem Hintergrund kann nicht geprüft werden, ob der Einzelrichter am
Landgericht willkürlich im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG von einer
Übertragung auf die Kammer abgesehen hat.
b) Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war abzulehnen, weil die
Beschwerdeführerin weder ausreichend dargelegt noch glaubhaft gemacht hat, dass
sie ohne Verschulden daran gehindert war, die Verfassungsbeschwerde innerhalb
der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG einzureichen (§ 93 Abs. 2 Satz 1
BVerfGG).
aa) Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags müssen sowohl der
Hinderungsgrund als auch die Umstände, die für die Beurteilung des Verschuldens
maßgebend sind, dargelegt werden. Erforderlich ist eine substantiierte und
schlüssige Darstellung der für die unverschuldete Fristversäumnis wesentlichen
Tatsachen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom
7. März 2017 - 2 BvR 162/16 -, juris, Rn. 26 m.w.N.). Ein Verschulden liegt vor,
wenn ein Beschwerdeführer diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen
gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden
Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten und ihm nach den
gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten ist. Die Anforderungen an
die Sorgfaltspflicht dürfen jedoch nicht überspannt werden; es kommt darauf an, ob
dem Betroffenen nach den gesamten Umständen des Falles ein Vorwurf daraus
gemacht werden kann, dass er die Frist versäumt hat bzw. nicht alle ihm
zumutbaren Anstrengungen unternommen hat, damit das Hindernis baldmöglichst
wegfällt. Der Vorwurf mangelnder Sorgfalt des Bevollmächtigten ist dem
Beschwerdeführer zuzurechnen (§ 93 Abs. 2 Satz 6 BVerfGG) (vgl. BVerfG,
Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 5. Juli 2004 - 2 BvR 225/00 -,
juris, Rn. 10 m.w.N.; BVerfGE 135, 126 <139>).
Bei der Übermittlung der Verfassungsbeschwerde nebst Anlagen auf dem
Postweg dürfen Verzögerungen der Briefbeförderung durch die Post dem
Beschwerdeführer nicht als Verschulden angerechnet werden (vgl. BVerfGE 50, 1
22
23
24
<3>; 51, 146 <149>; 51, 352 <354>; 53, 25 <28>; 98, 169 <196 f.>). Der Bürger
kann darauf vertrauen, dass die nach ihren organisatorischen und betrieblichen
Vorkehrungen für den Normalfall festgelegten Postlaufzeiten eingehalten werden
(vgl. BVerfGE 40, 42 <45>; 41, 23 <27>; 53, 25 <29>; 62, 334 <337>; stRspr). Im
Verantwortungsbereich des Absenders liegt es danach allein, das zu befördernde
Schriftstück so rechtzeitig zur Post zu geben, dass es nach deren
organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen bei regelmäßigem Betriebsablauf
den Empfänger fristgerecht erreichen kann (vgl. BVerfGE 62, 334 <337>; BVerfG,
Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 7. März 2017 - 2 BvR 162/16 -,
juris, Rn. 26).
bb) Gemessen daran erfolgte die Fristversäumnis nicht ohne Verschulden seitens
des Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin. Der von diesem vorgelegte
Einlieferungsbeleg der Deutschen Post AG lässt zwar erkennen, dass er die
Verfassungsbeschwerde im Original mit Anlagen am 19. August 2017 in Berlin zur
Post gegeben hat. Der Einlieferungsbeleg trägt aber den Aufdruck
„Versandschlusszeit überschritten. Der Transport der Sendung beginnt am
nächsten Werktag“. Der Bevollmächtigte der Beschwerdeführerin konnte und
musste daher bei Erhalt des Einlieferungsbelegs am Samstag, den 19. August
2017, um 12.55 Uhr erkennen, dass er die Verfassungsbeschwerdeschrift samt
Anlagen nicht so rechtzeitig zur Post gebracht hatte, dass bei gewöhnlicher
Postlaufzeit mit einem rechtzeitigen Eingang beim Bundesverfassungsgericht am
Montag, den 21. August 2017, zu rechnen war. Statt den Einlieferungsbeleg zu
überprüfen und den Aufdruck zur Kenntnis zu nehmen, was ihm ermöglicht hätte,
weitere Maßnahmen zu ergreifen, um einen fristgerechten Zugang noch zu
bewirken - wie insbesondere die Übersendung der Anlagen per Telefax -, steckte er
den Einlieferungsbeleg ein, ohne ihn zu lesen, so dass ihm der entsprechende
Aufdruck erst im September 2017 auffiel. Damit ließ er diejenige Sorgfalt außer
Acht, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß
wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten und
ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war.
Insbesondere konnte er sich nicht darauf verlassen, dass ihm nach seinen Angaben
eine Postmitarbeiterin zwei Tage vor der Aufgabe zur Post ausdrücklich bestätigt
hatte, dass an einem Samstag vor 13.15 Uhr eingelieferte Post noch am selben Tag
„auf den Weg nach Karlsruhe gebracht“ würde. Ungeachtet dessen, dass unklar ist,
ob sich diese Auskunft auf den Einwurf in den Briefkasten vor der Poststelle bezog
oder auch die Einlieferung in der Poststelle umfasste, und diese Auskunft ferner
nicht beinhaltete, dass die Sendung bei normalem Verlauf der Dinge das
Bundesverfassungsgericht bis zum 21. August 2017 tatsächlich erreichen könne,
widersprach der Aufdruck auf dem erhaltenen Einlieferungsbeleg eindeutig dieser
Auskunft und hätte dem Bevollmächtigten daher Anlass geben müssen, an der
Möglichkeit eines fristgemäßen Eingangs zu zweifeln.
Bei dieser Sachlage ist dem Bundesverfassungsgericht eine inhaltliche Prüfung
der bereits unzulässigen Verfassungsbeschwerde versagt. Von einer weiteren
Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
2. Durch die Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf
Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Hermanns
Müller
Langenfeld