Urteil des BVerfG vom 10.04.2018

Vorschriften zur Einheitsbewertung für die Bemessung der Grundsteuer verfassungswidrig

Verkündet
am 10. April 2018
Langendörfer
Tarifbeschäftigte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
Leitsätze
zum Urteil des Ersten Senats vom 10. April 2018
- 1 BvL 11/14 -
- 1 BvL 12/14 -
- 1 BvL 1/15 -
- 1 BvR 639/11 -
- 1 BvR 889/12 -
1. Der Gesetzgeber hat bei der Wahl der Bemessungsgrundlage und bei der
Ausgestaltung der Bewertungsregeln einer Steuer einen großen Spielraum,
solange sie geeignet sind, den Belastungsgrund der Steuer zu erfassen und
dabei die Relation der Wirtschaftsgüter zueinander realitätsgerecht
abzubilden.
2. Ermöglichen Bewertungsregeln ganz generell keine in ihrer Relation
realitätsnahe Bewertung, rechtfertigt selbst die Vermeidung eines noch so
großen Verwaltungsaufwands nicht ihre Verwendung. Auch die geringe
Höhe einer Steuer rechtfertigt die Verwendung solcher realitätsfernen
Bewertungsregeln nicht.
3. Das Aussetzen der im Recht der Einheitsbewertung ursprünglich
vorgesehenen periodischen Hauptfeststellung seit dem Jahr 1964 führt bei
der Grundsteuer zwangsläufig in zunehmendem Umfang zu
Ungleichbehandlungen durch Wertverzerrungen, die jedenfalls seit dem
Jahr 2002 weder durch den vermiedenen Aufwand neuer
Hauptfeststellungen noch durch geringe Höhe der individuellen Steuerlast
noch durch Praktikabilitätserwägungen gerechtfertigt sind.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvL 11/14 -
- 1 BvL 12/14 -
- 1 BvL 1/15 -
- 1 BvR 639/11 -
- 1 BvR 889/12 -
IM NAMEN DES VOLKES
In den Verfahren
I.1. zur verfassungsrechtlichen Prüfung,
ob §§ 19, 20, 21, 27 und 76 Absatz 1, § 93 Absatz 1 Satz 2 des
Bewertungsgesetzes in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 1 Satz 3 des
Gesetzes vom 13. August 1965 (BGBl I S. 851) in der Fassung des Artikels 2
des Gesetzes vom 22. Juli 1970 (BGBl I S. 1118) seit dem
Feststellungszeitpunkt 1. Januar 2009 wegen Verstoßes gegen den
allgemeinen Gleichheitssatz (Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes)
verfassungswidrig sind
- Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs
vom 22. Oktober 2014 - II R 16/13 -
- 1 BvL 11/14 -,
2. zur verfassungsrechtlichen Prüfung,
ob §§ 19, 20, 21, 23, 27, 76 Absatz 1, § 93 Absatz 1 Satz 2 des
Bewertungsgesetzes in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 1 Satz 3 des
Gesetzes vom 13. August 1965 (BGBl I S. 851) in der Fassung des Artikels
2 des Gesetzes vom 22. Juli 1970 (BGBl I S. 1118) seit dem
Feststellungszeitpunkt 1. Januar 2009 wegen Verstoßes gegen den
allgemeinen Gleichheitssatz (Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes)
verfassungswidrig sind
- Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs
vom 22. Oktober 2014 - II R 37/14 -
- 1 BvL 12/14 -,
3. zur verfassungsrechtlichen Prüfung,
- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Schulze-Borges, Gretzinger, Garvens,
Ellernstraße 34, 30175 Hannover -
- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte altenburg,
Stresemannstraße 78, 47051 Duisburg -
ob §§ 19, 20, 21, 22, 27, 76 Absatz 1 Nummer 1 und § 79 Absatz 5 des
Bewertungsgesetzes (BewG) in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 1 Satz 3
des Gesetzes vom 13. August 1965 (BGBl I S. 851) in der Fassung des
Artikels 2 des Gesetzes vom 22. Juli 1970 (BGBl I S. 1118) seit dem
Feststellungszeitpunkt 1. Januar 2008 wegen Verstoßes gegen den
allgemeinen Gleichheitssatz (Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes)
verfassungswidrig sind
- Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs
vom 17. Dezember 2014 - II R 14/13 -
- 1 BvL 1/15 -,
II. der Verfassungsbeschwerden
1.
der Frau N...,
gegen a) den Beschluss des Bundesfinanzhofs
vom 18. Januar 2011 - II B 74/10 -,
b) das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz
vom 6. Mai 2010 - 4 K 1417/09 -,
c) die Einspruchsentscheidung des Finanzamts Kusel-Landstuhl
vom 2. März 2009 - ... Rechtsbehelfslistennummer ... -,
d) den Einheitswertbescheid und Grundsteuermessbescheid
des Finanzamts Kusel-Landstuhl vom 26. März 2008 - ... -
- 1 BvR 639/11 -,
2.
des Herrn Dr. K...,
der Frau K...,
gegen a) den Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 24. Februar 2012 - II B
110/11 -,
b) das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 13. Oktober 2011 - 11
K 1484/10 Gr.BG -,
c) die Einspruchsentscheidung des Finanzamts Mülheim an der Ruhr
vom 28. Juni 2005 - ... -,
d) den Einheitswert- und Grundsteuermessbescheid des Finanzamts
Mülheim an der Ruhr vom 13. April 2004 - ... -
- 1 BvR 889/12 -
hat das Bundesverfassungsgericht - Erster Senat -
unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Vizepräsident Kirchhof,
Eichberger,
Masing,
Paulus,
Baer,
Britz,
Ott,
Christ
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 16. Januar 2018 durch
Urteil
für Recht erkannt:
1. Die §§ 19, 20, 21, 22, 23, 27, 76, 79 Absatz 5, § 93 Absatz 1 Satz 2 des
Bewertungsgesetzes in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 1 Satz 1 und Satz 3
des Gesetzes zur Änderung des Bewertungsgesetzes in der Fassung des
Artikels 2 des Gesetzes vom 22. Juli 1970 (Bundesgesetzblatt I Seite 1118)
sind, soweit sie bebaute Grundstücke außerhalb des Bereichs der Land-
und Forstwirtschaft und außerhalb des in Artikel 3 des Einigungsvertrags
genannten Gebiets betreffen, jedenfalls seit dem 1. Januar 2002 unvereinbar
mit Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz.
1
2. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, eine Neuregelung spätestens bis zum 31.
Dezember 2019 zu treffen. Bis zu diesem Zeitpunkt dürfen die als
unvereinbar mit Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz festgestellten Regeln über
die Einheitsbewertung weiter angewandt werden. Nach Verkündung einer
Neuregelung dürfen die beanstandeten Regelungen für weitere fünf Jahre
ab der Verkündung, längstens aber bis zum 31. Dezember 2024 angewandt
werden.
3. Für Kalenderjahre nach Ablauf der Fortgeltungsfristen dürfen auch auf
bestandskräftige Bescheide, die auf den als verfassungswidrig
festgestellten Bestimmungen des Bewertungsgesetzes beruhen, keine
Belastungen mehr gestützt werden.
4. Der Einheitswertbescheid des Finanzamts Kusel-Landstuhl vom 26. März
2008 (AZ.: ...), die Einspruchsentscheidung des Finanzamts Kusel-
Landstuhl vom 2. März 2009 (AZ.: ...; Rechtsbehelfslistennummer: ...), das
Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 6. Mai 2010 (4 K 1417/09) und
der Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 18. Januar 2011 (II B 74/10)
verletzen die Beschwerdeführerin des Verfahrens 1 BvR 639/11 in ihrem
Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes.
5. Der Einheitswertbescheid des Finanzamts Mülheim an der Ruhr vom 13.
April 2004 (EW-Nummer ...), die Einspruchsentscheidung des Finanzamts
Mülheim an der Ruhr vom 28. Juni 2005 (Steuernummer ...), das Urteil des
Finanzgerichts Düsseldorf vom 13. Oktober 2011 (11 K 1484/10 Gr,BG) und
der Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 24. Februar 2012 (II B 110/11)
verletzen die Beschwerdeführer des Verfahrens 1 BvR 889/12 in ihrem
Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes.
6. Im Übrigen werden die Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen.
7. Die Bundesrepublik Deutschland hat den Beschwerdeführern ihre
notwendigen Auslagen für die Verfassungsbeschwerdeverfahren zu
erstatten.
G r ü n d e :
A.
Die Verfahren betreffen die Frage, ob die für die Erhebung der Grundsteuer
maßgebliche Einheitsbewertung des Grundvermögens mit dem Grundrecht auf
Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar ist. Hierbei geht es vor allem um die
Anknüpfung an die Wertverhältnisse von Anfang 1964 in den alten Ländern.
2
3
4
5
6
I.
1. Einheitswerte werden nach den Bestimmungen des Bewertungsgesetzes für
inländischen Grundbesitz festgestellt (§ 19 Abs. 1 Bewertungsgesetz - BewG). Das
ursprüngliche Ziel dieser allgemeinen Wertermittlung war es, mehreren Steuerarten,
wie etwa der Vermögensteuer, Erbschaftsteuer, Gewerbekapitalsteuer und der
Grundsteuer, einheitliche Werte für den Grundbesitz - Einheitswerte - zugrunde zu
legen. Nachdem einige dieser Steuern nicht mehr erhoben werden und für andere
Sonderregelungen in das Bewertungsgesetz eingefügt wurden, ist die
Einheitsbewertung als solche zwar erhalten geblieben, aber mittlerweile nur noch für
die Grundsteuer von zentraler Bedeutung.
Die Grundsteuer wird in einem mehrstufigen Verfahren errechnet. Bindende
Grundlage ist der Einheitswert, der von den Finanzbehörden für das jeweilige
Grundstück gesondert festgestellt wird (§§ 19, 20 BewG). Er wird mit einer
gesetzlich festgelegten Steuermesszahl multipliziert (§ 13 Abs. 1 GrStG). Auf den
so berechneten Steuermessbetrag wird schließlich der von der Gemeinde
bestimmte Hebesatz angewendet (§ 25 Abs. 1 GrStG).
2. a) Einheitswerte sollen nach § 21 Abs. 1 BewG grundsätzlich in Zeitabständen
von je sechs Jahren im Wege einer so genannten Hauptfeststellung allgemein
festgestellt werden. Nachdem auf der Grundlage des Bewertungsgesetzes von
1934 zwar zunächst auf den 1. Januar 1935 eine Hauptfeststellung durchgeführt
worden war, weitere dann aber ausgesetzt wurden, entschloss sich der
Gesetzgeber nach Ende des Zweiten Weltkrieges, zum System der regelmäßigen
periodischen Neubewertung zurückzukehren und die bisherigen Einheitswerte an
die neuen Wertverhältnisse heranzuführen.
Auf Grundlage des Art. 2 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Änderung des
Bewertungsgesetzes vom 13. August 1965 - BewÄndG 1965 - (BGBl I S. 851) fand
eine vollständige Neubewertung des Grundbesitzes in der Bundesrepublik
Deutschland auf den Hauptfeststellungszeitpunkt 1. Januar 1964 statt. Ziel der
damaligen Neuregelungen war nach der Begründung des Regierungsentwurfs vor
allem, gesetzliche Normen zu schaffen, die geeignet sind, gleichmäßige, dem
Verkehrswert nahekommende Einheitswerte als Grundlage für eine gerechte
Besteuerung zu finden (vgl. BTDrucks IV/1488, S. 31). Die umfangreichen
Bewertungsarbeiten zur Hauptfeststellung 1964 konnten jedoch erst Anfang der
1970er Jahre abgeschlossen werden. Die neuen Einheitswerte wurden erstmals
zum 1. Januar 1974 zur Anwendung gebracht. Daher sah der Gesetzgeber in Art. 2
des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung bewertungsrechtlicher Vorschriften und
des Einkommensteuergesetzes vom 22. Juli 1970 (BGBl I S. 1118) vor, den
Zeitpunkt der nächsten Hauptfeststellung einem besonderen, erst später zu
verabschiedenden Gesetz vorzubehalten. Dazu ist es jedoch bis heute nicht
gekommen; für eine neue Hauptfeststellung der Einheitswerte fehlt es demnach
gegenwärtig an einer Rechtsgrundlage.
b) Infolge der Aussetzung weiterer Hauptfeststellungen werden die Einheitswerte
seither nur noch anlassbezogen weiterentwickelt oder - etwa bei neuen Gebäuden -
erstmals festgestellt. Bei Änderung wesentlicher, für die Bewertung maßgeblicher
7
8
9
Verhältnisse eines bereits bewerteten Grundstücks wird der Einheitswert nach den
Regeln des § 22 BewG fortgeschrieben. Eine Wertfortschreibung nach § 22 Abs. 1
Nr. 1 BewG erfolgt, wenn im Gesetz festgelegte Schwellenwerte über- oder
unterschritten werden. Änderungen der Eigentumsverhältnisse oder der Art des
Grundstücks wird im Wege der Zurechnungs- und Artfortschreibung Rechnung
getragen (§ 22 Abs. 2 BewG). Schließlich kann eine Fortschreibung zur Beseitigung
eines Fehlers der letzten Feststellung durchgeführt werden (§ 22 Abs. 3 BewG). Für
wirtschaftliche Einheiten, die nach dem Hauptfeststellungszeitpunkt 1964 neu
entstanden sind, wird der Einheitswert im Wege der Nachfeststellung gemäß § 23
BewG
erstmals
festgestellt.
Bei
sämtlichen
Fortschreibungen
und
Nachfeststellungen
sind
allerdings
die
Wertverhältnisse
im
Hauptfeststellungszeitpunkt zugrunde zu legen (§ 27 BewG). Alle
Bewertungsfaktoren beziehen sich daher noch heute auf den 1. Januar 1964;
spätere Veränderungen in den Wertverhältnissen können mithin im Einheitswert
nicht abgebildet werden.
c) Zur Erfassung wertrelevanter Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse sind
die Finanzbehörden im Wesentlichen auf Mitteilungen anderer Behörden
angewiesen. Denn eine allgemeine Erklärungspflicht derjenigen, denen der
Grundbesitz zuzurechnen ist, besteht gemäß § 28 Abs. 1, 3 BewG nur zum
jeweiligen Hauptfeststellungszeitpunkt. Während des - nunmehr seit 1964 -
laufenden Hauptfeststellungszeitraums besteht eine Erklärungspflicht nach § 28
Abs. 2 Satz 3 BewG im Übrigen nur, wenn die Finanzbehörde zur Abgabe einer
Erklärung besonders auffordert. Nach der Regelung des § 29 Abs. 3 BewG haben
Behörden den Finanzbehörden allgemein die rechtlichen und tatsächlichen
Umstände mitzuteilen, die ihnen im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung bekannt
geworden sind und die etwa für die Feststellung von Einheitswerten des
Grundbesitzes oder für die Grundsteuer von Bedeutung sein können. Nach Abs. 4
der genannten Vorschrift sind die Grundbuchämter verpflichtet, insbesondere
Eigentumsänderungen mitzuteilen.
d) Die sowohl für die Vorlagefragen wie auch für die Verfassungsbeschwerden
maßgebliche Bewertung des Grundvermögens ist im Einzelnen in den §§ 68-94
BewG geregelt. Diese Vorschriften werden ergänzt durch ein detailliertes
untergesetzliches Regelwerk, insbesondere durch die Richtlinien zur Bewertung des
Grundvermögens - BewRGr - vom 19. September 1966 (BStBl I, S. 890). Zum
(privaten) Grundvermögen gehören nach § 68 Abs. 1 BewG im Wesentlichen der
Grund und Boden, die Gebäude, das Erbbaurecht und das Wohnungs- und
Teileigentum nach dem Wohnungseigentumsgesetz. Das Bewertungsgesetz
bewertet sogenannte wirtschaftliche Einheiten, die nach der Verkehrsanschauung
zu bestimmen sind (§ 2 BewG). Jede wirtschaftliche Einheit des Grundvermögens
bildet dabei gemäß § 70 Abs. 1 BewG ein Grundstück im Sinne des
Bewertungsgesetzes, wobei zwischen unbebauten und bebauten Grundstücken
unterschieden wird (§§ 72 bis 90 BewG); Sondervorschriften gibt es für
Grundstücke im Zustand der Bebauung, Erbbaurechte, Wohnungs- und
Teileigentum sowie für Gebäude auf fremdem Grund und Boden (§§ 91 bis 94
BewG).
aa) Unbebaute Grundstücke im Sinne des § 72 BewG werden mangels
10
11
12
13
besonderer Bewertungsvorschriften nach § 17 Abs. 3, § 9 BewG mit dem gemeinen
Wert bewertet. Dieser ergibt sich aus der Multiplikation der Quadratmeterzahl mit
dem jeweiligen von der Verwaltung festgelegten Bodenrichtwert zum 1. Januar
1964, der den durchschnittlichen Grundstückswert eines umgrenzten Gebiets
abbilden soll (vgl. Abschn. 7 Abs. 2 BewRGr).
bb) Die für die vorliegenden Verfahren maßgebliche Bewertung bebauter
Grundstücke erfolgt in Abhängigkeit von der Grundstücksart (§ 75 BewG) nach
Maßgabe des § 76 BewG im Regelfall im Ertragswertverfahren, in Ausnahmefällen
im Sachwertverfahren.
(1) Das Ertragswertverfahren gilt nach § 76 Abs. 1 BewG für
Mietwohngrundstücke, Geschäftsgrundstücke, gemischtgenutzte Grundstücke,
Einfamilien- und Zweifamilienhäuser. Die Höhe des Einheitswerts basiert gemäß
§ 78 Satz 1 BewG auf dem Grundstückswert, der zugleich den Bodenwert, den
Gebäudewert und den Wert der Außenanlagen umfasst. Der Grundstückswert
ergibt sich nach § 78 Satz 2 BewG durch Anwendung eines im Anhang zum
Bewertungsgesetz enthaltenen Vervielfältigers auf die zu erzielende
Jahresrohmiete, die nach den Wertverhältnissen von 1964 bestimmt wird, unter
Berücksichtigung gewisser pauschaler Ermäßigungen und Erhöhungen (§§ 81 und
82 BewG). Durch diese Bewertungsmethode soll in einem vereinfachten, typisierten
Verfahren der Bodenwert wie auch der Gebäudewert in einem Rechenschritt
ermittelt und so der gemeine Wert, also der Verkehrswert, des jeweiligen
Grundstücks annähernd abgebildet werden.
(a) Als Jahresrohmiete ist vorrangig die in 1964 erzielte, nach § 79 Abs. 1 BewG
modifizierte, Miete maßgeblich. Kann diese nicht ermittelt werden, ist die übliche
Miete nach § 79 Abs. 2 BewG in Anlehnung an die Jahresrohmiete zu schätzen, die
für Räume gleicher oder ähnlicher Art, Lage und Ausstattung regelmäßig gezahlt
wird. Maßgeblich bleiben für die Höhe der Miete auch bei Fortschreibungen und
Nachfeststellungen immer die Wertverhältnisse im Hauptfeststellungszeitpunkt
1964 (§ 79 Abs. 5 BewG). Zur Ermittlung der üblichen Miete ziehen die
Finanzbehörden überwiegend Mietspiegel heran, die regelmäßig nach Baujahren,
mietpreisrechtlichen Gegebenheiten, Ausstattungsgruppen und Gemeindegrößen
gegliederte Quadratmeter-Mieten zum Stand vom 1. Januar 1964 ausweisen. Im
Hinblick auf die Ausstattungsgruppen unterteilen die Mietspiegel meist in einfache,
mittlere, gute und sehr gute Ausstattung und legen hierfür Rahmensätze für die
anzuwendenden Mietwerte fest.
(b) Auf die so ermittelte Jahresrohmiete ist gemäß § 80 BewG ein Vervielfältiger
anzuwenden, um im Ergebnis den kapitalisierten Reinertrag des Grundstücks zu
ermitteln.
Im
Einzelnen
unterscheiden
die
Vervielfältiger
zwischen
Mietwohngrundstücken,
gemischtgenutzten
Grundstücken,
Geschäftsgrundstücken, Einfamilienhäusern und Zweifamilienhäusern. Die weitere
Einteilung erfolgt nach Baujahrgruppen; als Altbauten gelten Gebäude bis 31.3.1924,
als Neubauten Gebäude bis 20.6.1948 und als Nachkriegsbauten sämtliche
Gebäude nach dem 20.6.1948. Eine weitere Altersdifferenzierung ist in den
Vervielfältigern nicht vorgesehen. Darüber hinaus sind die Vervielfältiger nach der
Bauausführung der Gebäude in drei Gruppen unterteilt (Massivbauten,
14
15
16
Holzfachwerkbauten mit Ziegelsteinausmauerung, Holzfachwerkbauten) sowie in
acht Gemeindegrößenklassen, beginnend mit Gemeinden bis 2.000 Einwohnern bis
hin zu Gemeinden mit mehr als 500.000 Einwohnern. Diese Differenzierungen sind
wie sämtliche Faktoren, die zur jeweiligen Ermittlung der einzelnen Vervielfältiger
herangezogen wurden, auf die Bau- und Wertverhältnisse von 1964 bezogen. So
sind gemäß § 80 Abs. 1 Satz 4 BewG bei Umgemeindungen nach dem
Hauptfeststellungszeitpunkt auch weiterhin die Einwohnerzahlen zugrunde zu legen,
die
für
die
betroffenen
Gemeinden
oder
Gemeindeteile
im
Hauptfeststellungszeitpunkt, also 1964, maßgebend waren.
(2) Das Sachwertverfahren findet nach § 76 Abs. 2 und 3 BewG im Wesentlichen
für solche Grundstücke Anwendung, für die eine zutreffende Mietermittlung nicht
möglich ist, aber auch für besonders gestaltete oder ausgestattete Einfamilien- und
Zweifamilienhäuser. Bei der Ermittlung des Grundstückswertes ist zunächst vom
Ausgangswert gemäß § 83 Satz 1 BewG auszugehen. Dieser setzt sich zusammen
aus jeweils gesondert zu ermittelndem Bodenwert, Gebäudewert und Wert der
Außenanlagen. Anschließend ist der Ausgangswert durch Anwendung einer
Wertzahl zu modifizieren und soll dadurch an den gemeinen Wert angeglichen
werden (§ 83 Satz 2, § 90 BewG).
Nach § 84 BewG ist der Grund und Boden mit dem Wert anzusetzen, der sich
ergeben würde, wenn das Grundstück unbebaut wäre. Bei der Ermittlung des
Gebäudewerts und des Werts der Außenanlagen sind die durchschnittlichen
Herstellungskosten nach den Baupreisverhältnissen des Jahres 1958 maßgebend,
umgerechnet wiederum auf den Hauptfeststellungszeitpunkt 1. Januar 1964 (§§ 85
und 89 BewG). Auf die Höhe der tatsächlichen Herstellungskosten im Einzelfall
kommt es nicht an. Für die Ermittlung der maßgeblichen Herstellungskosten sind
durch die Richtlinien zur Bewertung des Grundvermögens durchschnittliche
Erfahrungswerte für die zugrunde zu legenden Raummeterpreise festgelegt worden.
Der so ermittelte Gebäudenormalherstellungswert ist nach § 85 Satz 3 BewG
wegen Alters des Gebäudes im Hauptfeststellungszeitpunkt nach den Regelungen
des § 86 BewG zu mindern. Maßgeblich ist hierfür jedoch nur das Alter des
Gebäudes am 1. Januar 1964; für Gebäude neuerer Baujahre kann danach keine
Wertminderung wegen Alters in Abzug gebracht werden. Im Übrigen können
wertmindernde oder werterhöhende Umstände nach den Regelungen der §§ 87 und
88 BewG Berücksichtigung finden.
e) Die vorgelegten Normen des Bewertungsgesetzes lauten in der für die
vorliegenden Verfahren maßgeblichen Fassung auszugsweise wie folgt:
§ 19 Feststellung von Einheitswerten
(1) Einheitswerte werden für inländischen Grundbesitz, und zwar
für Betriebe der Land- und Forstwirtschaft (§§ 33, 48a und 51a), für
Grundstücke (§§ 68 und 70) und für Betriebsgrundstücke (§ 99)
festgestellt (§ 180 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung).
(2) (weggefallen)
(3) In dem Feststellungsbescheid (§ 179 der Abgabenordnung)
sind auch Feststellungen zu treffen
1. über die Art der wirtschaftlichen Einheit,
a) bei Grundstücken auch über die Grundstücksart (§§ 72, 74 und
75),
b) bei Betriebsgrundstücken, die zu einem Gewerbebetrieb
gehören, auch über den Gewerbebetrieb;
2. über die Zurechnung der wirtschaftlichen Einheit und bei
mehreren Beteiligten über die Höhe ihrer Anteile.
(4) Feststellungen nach den Absätzen 1 und 3 erfolgen nur, wenn
und soweit sie für die Besteuerung von Bedeutung sind.
§ 20 Ermittlung des Einheitswerts
Die Einheitswerte werden nach den Vorschriften dieses
Abschnitts ermittelt. Bei der Ermittlung der Einheitswerte ist § 163
der Abgabenordnung nicht anzuwenden; dies gilt nicht für
Übergangsregelungen, die die oberste Finanzbehörde eines Landes
im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der übrigen
Länder trifft.
§ 21 Hauptfeststellung
(1) Die Einheitswerte werden in Zeitabständen von je sechs
Jahren allgemein festgestellt (Hauptfeststellung).
(2) Der Hauptfeststellung werden die Verhältnisse zu Beginn des
Kalenderjahrs (Hauptfeststellungszeitpunkt) zugrunde gelegt. Die
Vorschriften in § 35 Abs. 2 und den §§ 54 und 59 über die
Zugrundelegung eines anderen Zeitpunkts bleiben unberührt.
§ 22 Fortschreibungen
(1) Der Einheitswert wird neu festgestellt (Wertfortschreibung),
wenn der in Deutscher Mark ermittelte und auf volle hundert
Deutsche Mark abgerundete Wert, der sich für den Beginn eines
Kalenderjahrs ergibt, von dem entsprechenden Wert des letzten
Feststellungszeitpunkts nach oben um mehr als den zehnten Teil,
mindestens aber um 5.000 Deutsche Mark, oder um mehr als
100.000 Deutsche Mark, nach unten um mehr als den zehnten Teil,
mindestens aber um 500 Deutsche Mark, oder um mehr als 5.000
Deutsche Mark, abweicht.
(2) Über die Art oder Zurechnung des Gegenstandes (§ 19 Abs. 3
Nr. 1 und 2) wird eine neue Feststellung getroffen
(Artfortschreibung oder Zurechnungsfortschreibung), wenn sie von
der zuletzt getroffenen Feststellung abweicht und es für die
Besteuerung von Bedeutung ist.
(3) Eine Fortschreibung nach Absatz 1 oder Absatz 2 findet auch
zur Beseitigung eines Fehlers der letzten Feststellung statt. § 176
der Abgabenordnung ist hierbei entsprechend anzuwenden. Dies
gilt jedoch nur für die Feststellungszeitpunkte, die vor der
Verkündung der maßgeblichen Entscheidung eines obersten
Gerichts des Bundes liegen.
(4) Eine Fortschreibung ist vorzunehmen, wenn dem Finanzamt
bekannt wird, daß die Voraussetzungen für sie vorliegen. Der
Fortschreibung werden vorbehaltlich des § 27 die Verhältnisse im
Fortschreibungszeitpunkt
zugrunde
gelegt.
Fortschreibungszeitpunkt ist
1. bei einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse der Beginn
des Kalenderjahrs, das auf die Änderung folgt;
2. in den Fällen des Absatzes 3 der Beginn des Kalenderjahrs, in
dem der Fehler dem Finanzamt bekannt wird, bei einer Erhöhung
des Einheitswerts jedoch frühestens der Beginn des Kalenderjahrs,
in dem der Feststellungsbescheid erteilt wird.
Die Vorschriften in § 35 Abs. 2 und den §§ 54 und 59 über die
Zugrundelegung eines anderen Zeitpunkts bleiben unberührt.
§ 23 Nachfeststellung
(1) Für wirtschaftliche Einheiten, für die ein Einheitswert
festzustellen ist, wird der Einheitswert nachträglich festgestellt
(Nachfeststellung), wenn nach dem Hauptfeststellungszeitpunkt (§
21 Abs. 2)
1. die wirtschaftliche Einheit neu entsteht;
2. eine bereits bestehende wirtschaftliche Einheit erstmals zu
einer Steuer herangezogen werden soll.
3. (aufgehoben)
(2) Der Nachfeststellung werden vorbehaltlich des § 27 die
Verhältnisse im Nachfeststellungszeitpunkt zugrunde gelegt.
Nachfeststellungszeitpunkt ist in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1
der Beginn des Kalenderjahrs, das auf die Entstehung der
wirtschaftlichen Einheit folgt, und in den Fällen des Absatzes 1
Nr. 2 der Beginn des Kalenderjahrs, in dem der Einheitswert
erstmals der Besteuerung zugrunde gelegt wird. Die Vorschriften in
§ 35 Abs. 2 und den §§ 54 und 59 über die Zugrundelegung eines
anderen Zeitpunkts bleiben unberührt.
§ 27 Wertverhältnisse bei Fortschreibungen und
Nachfeststellungen
Bei Fortschreibungen und bei Nachfeststellungen der
Einheitswerte für Grundbesitz sind die Wertverhältnisse im
17
Hauptfeststellungszeitpunkt zugrunde zu legen.
§ 76 Bewertung
(1) Der Wert des Grundstücks ist vorbehaltlich des Absatzes 3 im
Wege des Ertragswertverfahrens (§§ 78 bis 82) zu ermitteln für
1. Mietwohngrundstücke,
2. Geschäftsgrundstücke,
3. gemischtgenutzte Grundstücke,
4. Einfamilienhäuser,
5. Zweifamilienhäuser.
(2) Für die sonstigen bebauten Grundstücke ist der Wert im Wege
des Sachwertverfahrens (§§ 83 bis 90) zu ermitteln.
(3) Das Sachwertverfahren ist abweichend von Absatz 1
anzuwenden
1. bei Einfamilienhäusern und Zweifamilienhäusern, die sich durch
besondere Gestaltung oder Ausstattung wesentlich von den nach
Absatz
1
zu
bewertenden
Einfamilienhäusern
und
Zweifamilienhäusern unterscheiden;
2. bei solchen Gruppen von Geschäftsgrundstücken und in
solchen Einzelfällen bebauter Grundstücke der in § 75 Abs. 1 Nr. 1
bis 3 bezeichneten Grundstücksarten, für die weder eine
Jahresrohmiete ermittelt noch die übliche Miete nach § 79 Abs. 2
geschätzt werden kann;
3. bei Grundstücken mit Behelfsbauten und bei Grundstücken mit
Gebäuden in einer Bauart oder Bauausführung, für die ein
Vervielfältiger (§ 80) in den Anlagen 3 bis 8 nicht bestimmt ist.
§ 79 Jahresrohmiete
(5) Bei Fortschreibungen und Nachfeststellungen gelten für die
Höhe
der
Miete
die
Wertverhältnisse
im
Hauptfeststellungszeitpunkt.
§ 93 Wohnungseigentum und Teileigentum
(1) Jedes Wohnungseigentum und Teileigentum bildet eine
wirtschaftliche Einheit. Für die Bestimmung der Grundstücksart (§
75) ist die Nutzung des auf das Wohnungseigentum und
Teileigentum entfallenden Gebäudeteils maßgebend. Die
Vorschriften der §§ 76 bis 91 finden Anwendung, soweit sich nicht
aus den Absätzen 2 und 3 etwas anderes ergibt.
Darüber hinaus erfassen die Vorlagebeschlüsse Art. 2 Abs. 1 Satz 3 des
18
19
20
21
Gesetzes zur Änderung des Bewertungsgesetzes vom 13. August 1965 (BGBl I
S. 851) in der Fassung des Art. 2 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung
bewertungsrechtlicher Vorschriften und des Einkommensteuergesetzes vom
22. Juli 1970 (BGBl I S. 1118). Die Vorschrift lautet:
Für Grundbesitz findet die nächste Hauptfeststellung der
Einheitswerte nach § 21 des Bewertungsgesetzes in der Fassung
des Artikels 1 Nr. 8 auf den Beginn des Kalenderjahres 1964 statt
(Hauptfeststellung 1964). ( … ) Der Zeitpunkt der auf die
Hauptfeststellung 1964 folgenden nächsten Hauptfeststellung der
Einheitswerte des Grundbesitzes wird abweichend von § 21 Abs. 1
Nr. 1 des Bewertungsgesetzes durch besonderes Gesetz
bestimmt.
II.
Schon bald nach Durchführung der Hauptfeststellung zum 1. Januar 1964, die sich
bis Anfang der 1970er Jahre hingezogen hatte, gab es erste Überlegungen zur
Reform des Bewertungsrechts. Sämtliche Reformbemühungen blieben allerdings
bisher ohne Erfolg.
Anfang der 1980er Jahre scheiterte ein Gesetzentwurf, der lediglich eine
Teilhauptfeststellung der unbebauten baureifen Grundstücke zum 1. Januar 1983
(BTDrucks 9/1648) vorsah. Die Finanzminister der Länder erklärten im Jahr 1984,
dass angesichts der angespannten Arbeits- und Personallage der Finanzverwaltung
eine allgemeine Neubewertung des Grundbesitzes in den nächsten Jahren nicht in
Betracht komme (BTDrucks 10/3690, S. 13 f. m.w.N.).
Infolge der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Vermögen- und
Erbschaftsteuer im Juni 1995 (BVerfGE 93, 121; 93, 165) regelte der Gesetzgeber
die Bewertung des Grundbesitzes mit dem Jahressteuergesetz 1997 (BGBl I 1996,
S. 2049) neu. In Übereinstimmung mit dem Beschluss der Finanzministerkonferenz
der Länder vom 21. Dezember 1995 wurde für Zwecke der Erbschaft-steuer und
der Grunderwerbsteuer eine anlassbezogene Bedarfsbewertung normiert
(BRDrucks 390/96, S. 38); für die Grundsteuer sollte das bisherige Verfahren noch
übergangsweise beibehalten werden. Die daraufhin eingesetzte länderoffene
Arbeitsgruppe
entwickelte
ein
Modell
einer
neuen,
wertorientierten
Bemessungsgrundlage für die Grundsteuer, das auf dem Bodenwert und einem
pauschalierten
Gebäudewert
basierte.
Trotz
Zustimmung
der
Finanzministerkonferenz im Jahr 2000 kam eine Gesetzesinitiative der Länder nicht
zu Stande. Ein von Bayern vorgelegter Entwurf einer wertunabhängigen
Grundsteuer scheiterte ebenso wie ein Gesetzesantrag der Länder Bayern und
Hessen zur Rückholung der Gesetzgebungskompetenz bei der Grundsteuer auf die
Landesebene (BRDrucks 306/01).
Ein von Bayern und Rheinland-Pfalz im Auftrag der Finanzministerkonferenz
Anfang des Jahres 2004 vorgelegtes Reformmodell (Nomenklaturvorschlag) sah
neben einem Wegfall der Grundsteuer A für land- und forstwirtschaftliche
Nutzflächen eine Wertermittlung vor, die ebenfalls sowohl einen Ansatz für den
Grund und Boden als auch für das Gebäude zum Gegenstand hatte. Der Bodenwert
1
2
3
22
23
24
sollte auf Grundlage der Bodenrichtwerte ermittelt werden, der Gebäudewert wurde
in Abhängigkeit von Wohn- und Nutzfläche mit nach Gebäudegruppen
differenzierten Festwerten angesetzt. Auch dieser Ansatz, eine möglichst einfach
strukturierte Bemessungsgrundlage zu schaffen, scheiterte.
Eine weitere, im Januar 2010 eingesetzte, länderoffene Arbeitsgruppe bewertete
drei
von
verschiedenen
Ländern
entwickelte
Reformansätze:
Das
Verkehrswertmodell verknüpfte automationsgesteuert die individuellen Daten des zu
bewertenden Grundstücks mit Vergleichsdaten des Immobilienmarkts, während das
wertunabhängige Modell sich an Grundstücks- und Gebäudefläche orientierte. Das
gebäudewertunabhängige Kombinationsmodell legte als Bemessungsgrundlage der
Grundsteuer für die Grundstücksfläche den Bodenrichtwert zu Grunde, für die
Gebäudeflächen
hingegen
nutzungsbezogene
Äquivalenzwerte.
Eine
Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der
Finanzen zur Reform der Grundsteuer vom Dezember 2010 befürwortete die
Beibehaltung einer Besteuerung von Grundstückswerten als Summe von Boden-
und Gebäudewerten und empfahl eine grundsätzliche Orientierung am Mietwert
(Bundesministerium der Finanzen, Reform der Grundsteuer, S. 8). Nach
Untersuchungen zur Tauglichkeit der Modelle scheiterten im Jahr 2014 die
Bemühungen der Länder zur Verständigung auf ein konsensfähiges
Bewertungsmodell.
Auf Grundlage der Vorschläge einer im Jahr 2015 mit der Entwicklung eines
Gesamtmodells
beauftragten
Bund-Länder-Arbeitsgruppe
beschloss
die
Finanzministerkonferenz am 3. Juni 2016 gegen die Stimmen von Bayern und
Hamburg, eine Bundesratsinitiative auf den Weg zu bringen. Dementsprechend
brachten die Länder Hessen und Niedersachsen im September 2016 einen
Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes (BRDrucks 514/16) und des
Bewertungsgesetzes (BRDrucks 515/16) in den Bundesrat ein. In Abänderung des
Art.
105
GG
sollte
dem
Bund
zunächst
die
konkurrierende
Gesetzgebungskompetenz für die Grundsteuer ausdrücklich übertragen werden.
Der Gesetzentwurf für die Bemessungsgrundlage der Grundsteuer sah eine Abkehr
vom bisherigen Bewertungsziel „gemeiner Wert“ hin zum so genannten Kostenwert
vor, der typisiert den Investitionsaufwand für die Immobilie abbilden sollte
(BRDrucks 515/16, S. 36). Im Bewertungsverfahren waren für bebaute
Grundstücke ein Bodenwert und ein Gebäudewert zu ermitteln. Der Bodenwert
sollte sich regelmäßig anhand der Fläche und des Bodenrichtwerts nach § 196 des
Baugesetzbuches errechnen; zur Ermittlung des Gebäudewerts wurde die
Bruttogrundfläche des Gebäudes mit pauschalierten Herstellungskosten multipliziert
und
anschließend
eine
Alterswertminderung
abgezogen
(vgl.
das
Berechnungsbeispiel des Gesetzentwurfs, BRDrucks 515/16, S. 65 f.). Der
Gesetzentwurf fiel der Diskontinuität des Bundestages zum Opfer und wurde
danach nicht wieder aufgegriffen.
III.
1. Der Bundesfinanzhof ging bis zu den hier zu entscheidenden
Vorlagebeschlüssen von der Verfassungsmäßigkeit der Einheitswerte als
Bemessungsgrundlage der Grundsteuer aus. Er begründete dies vor allem damit,
25
26
27
28
dass die Einheitsbewertung nur noch für die Grundsteuer von Bedeutung sei und die
festgestellten Einheitswerte regelmäßig erheblich unter dem gemeinen Wert lägen.
Mögliche Wertverzerrungen innerhalb der Einheitsbewertung seien bei der
Grundsteuer
aufgrund
der
geringeren
steuerlichen
Belastungswirkung
verfassungsrechtlich in höherem Ausmaß hinnehmbar als bei der Erbschaft- und
Schenkungsteuer (BFHE 209, 138 sowie Urteile vom 21. Februar 2006 - II R 31/04 -
, BFH/NV 2006, 1450; vom 30. Juli 2008 - II R 5/07 -, BFH/NV 2009, 7, und vom
4. Februar 2010 - II R 1/09 -, BFH/NV 2010, 1244, m.w.N.).
Auch in seinen beiden als „Appellentscheidung“ bezeichneten Urteilen vom
30. Juni 2010 (BFHE 230, 78; 230, 93) erachtete der Bundesfinanzhof die
Vorschriften über die Einheitsbewertung des Grundvermögens jedenfalls für
Stichtage bis zum 1. Januar 2007 noch für verfassungsgemäß. Dabei wies er
jedoch darauf hin, dass das weitere Unterbleiben einer allgemeinen Neubewertung
des Grundvermögens für Zwecke der Grundsteuer mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht
vereinbar sei. Seine verfassungsrechtlichen Zweifel begründete der
Bundesfinanzhof mit den lange zurückliegenden Hauptfeststellungszeitpunkten des
1. Januar 1964 und - im Beitrittsgebiet - des 1. Januar 1935. Die darauf beruhenden
Wertverzerrungen könnten auch innerhalb des Grundvermögens nicht
uneingeschränkt hingenommen werden, da die Bemessung der Grundsteuer eine
realitätsgerechte Bewertung erfordere.
2. a) Der Kläger des Ausgangsverfahrens zur Vorlage 1 BvL 11/14 erwarb im Jahr
2008 ein Ladenlokal im ehemaligen Westteil von Berlin. Das im Jahr 1892 errichtete
Mehrfamilienhaus war 1983 in Teil- und Wohnungseigentum aufgeteilt worden. Das
Finanzamt rechnete dem Kläger das Grundstück als Geschäftsgrundstück zum 1.
Januar 2009 unter Beibehaltung des bisherigen im Ertragswertverfahren
gewonnenen Einheitswerts zu. Der Kläger begehrt die ersatzlose Aufhebung der
Einheitswertfestsetzung wegen Gleichheitswidrigkeit der Einheitsbewertung. Der
Einspruch wie auch die Klage vor dem Finanzgericht blieben vor dem Hintergrund
der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs aus dem Jahr 2010 erfolglos.
b) Gegenstand des Ausgangsverfahrens, das zur Vorlage 1 BvL 12/14 geführt hat,
ist ebenfalls eine Einheitswertfeststellung auf den 1. Januar 2009 für ein Grundstück
im ehemaligen Westteil von Berlin. Der Kläger ist Eigentümer eines 1981 errichteten
Wohngebäudes, welches er im Jahr 2008 in Wohnungseigentum und Teileigentum
aufteilte. Die neu entstandenen wirtschaftlichen Einheiten bewertete das Finanzamt
im Wege der Nachfeststellung im Ertragswertverfahren auf Grundlage der
Wertverhältnisse zum 1. Januar 1964. Hiergegen richtet sich die Klage, die vor dem
Finanzgericht ohne Erfolg blieb.
c) Der Kläger des Ausgangsverfahrens zur Vorlage 1 BvL 1/15 errichtete im Jahr
2007 auf einem ihm gehörenden, im Finanzamtsbezirk Euskirchen gelegenen
Grundstück
unter
Inanspruchnahme
von
Baudarlehen
nach
dem
Wohnraumförderungsgesetz vom 13. September 2001 (BGBl I S. 2376) ein
Mietwohngebäude. Aufgrund dieser Förderung galt für die Wohnungen eine Miet-
und Belegungsbindung (Zweckbindung) für die Dauer von 20 Jahren, der zufolge die
monatliche Nettomiete anfangs 4,55 €/m² nicht übersteigen und nur im festgelegten
Rahmen erhöht werden durfte. Das Finanzamt stellte den Einheitswert für das
29
30
31
32
33
Grundstück auf den 1. Januar 2008 im Wege der Art- und Wertfortschreibung im
Ertragswertverfahren fest und legte dabei die Jahresrohmiete anhand eines
entsprechenden Mietspiegels zum 1. Januar 1964 für freifinanzierte Wohnungen zu
Grunde. Der Kläger vertritt die Ansicht, dass die aufgrund der öffentlichen Förderung
bestehende Zweckbindung bei der Bewertung berücksichtigt werden müsse und
begehrt eine Herabsetzung der Jahresrohmiete. Einspruch und Klage vor dem
Finanzgericht blieben erfolglos.
3. In den drei Revisionsverfahren hat der Bundesfinanzhof mit Beschlüssen vom
22. Oktober 2014 (II R 16/13, BFHE 247, 150 und II R 37/14, BFH/NV 2015, 309)
und 17. Dezember 2014 (II R 14/13, BFH/NV 2015, 475) die Verfahren ausgesetzt
und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt,
ob §§ 19, 20, 21, 22, 23, 27, 76 Absatz 1, § 79 Absatz 5 und § 93
Absatz 1 Satz 2 des Bewertungsgesetzes in Verbindung mit Artikel
2 Absatz 1 Satz 3 des Gesetzes vom 13. August 1965 (BGBl I S.
851) in der Fassung des Artikels 2 des Gesetzes vom 22. Juli 1970
(BGBl I S. 1118) seit dem Feststellungszeitpunkt 1. Januar 2008
bzw. 1. Januar 2009 wegen Verstoßes gegen den allgemeinen
Gleichheitssatz (Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes)
verfassungswidrig sind.
a) Aufgrund des weit zurückliegenden Hauptfeststellungszeitpunkts genüge die
Einheitsbewertung von Grundvermögen nicht mehr den verfassungsrechtlichen
Anforderungen an eine gleichheitsgerechte Ausgestaltung. Das jahrzehntelange
Unterbleiben einer solchen Wertanpassung widerspreche dem Gebot der
Folgerichtigkeit und habe zu einem weitgehenden Verlust eines einheitlichen, am
gemeinen Wert ausgerichteten Bewertungsmaßstabs geführt.
aa) Für Bewertungsstichtage ab dem 1. Januar 2008 halte der Senat an seiner
bisherigen Rechtsprechung nicht mehr fest, die trotz der verfassungsrechtlichen
Zweifel, die sich aus dem lange zurückliegenden Hauptfeststellungszeitpunkt und
den darauf beruhenden Wertverzerrungen ergäben, noch von der
Verfassungsmäßigkeit der Einheitsbewertung ausgegangen sei.
bb) Das System der Hauptfeststellung auf einen bestimmten Stichtag sei darauf
angelegt, dass Hauptfeststellungen in regelmäßigen, nicht übermäßig langen
Abständen stattfänden (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 BewG). Hauptfeststellungen seien
erforderlich, um sich innerhalb des Zeitraums, für den die festgestellten Werte
Geltung haben sollen, ergebende Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse
vollständig zu erfassen und einen Wertabgleich am Maßstab der aktuellen
Verkehrswerte vorzunehmen. Die mit der Festschreibung der Wertverhältnisse für
einen Hauptfeststellungszeitraum verbundenen Bewertungsungenauigkeiten seien
deshalb aus verfassungsrechtlicher Sicht nur hinnehmbar, wenn der
Hauptfeststellungszeitraum eine angemessene Dauer nicht überschreite.
cc) Die Einheitsbewertung des Grundvermögens, die immer noch an die
Wertverhältnisse zum 1. Januar 1964 anknüpfe, verfehle die sich aus Art. 3 Abs. 1
GG ergebenden Anforderungen. Als Grundlage für die Bemessung der Grundsteuer
bedürfe es auch innerhalb der Vermögensgruppe des Grundvermögens einer
34
35
36
37
38
realitätsgerechten, an einem einheitlichen Maßstab, nämlich dem gemeinen Wert
(Verkehrswert) ausgerichteten Bewertung. Es stelle sich zwar hier - anders als bei
der Erbschaft- und Schenkungsteuer - nicht das Problem der Gleichbehandlung mit
anderen Gegenständen, die mit einem zeitnah ermittelten Verkehrswert angesetzt
würden. Gleichwohl könnten auch bei der Bewertung des Grundvermögens allein
aus
verfassungsrechtlichen
Gründen
auf
einem
übermäßig
langen
Hauptfeststellungszeitraum beruhende Wertverzerrungen nicht hingenommen
werden.
dd) Die Anforderungen des allgemeinen Gleichheitssatzes seien aufgrund des
Charakters der Grundsteuer als Gemeindesteuer auf das Gebiet der einzelnen
Gemeinden zu beziehen (Verweisung auf BVerfGE 21, 54 unter B.II.5.). Es komme
demnach verfassungsrechtlich entscheidend darauf an, ob es durch den Verzicht
auf weitere Hauptfeststellungen nach Anzahl und Ausmaß zu dem Gleichheitssatz
widersprechenden Wertverzerrungen bei den Einheitswerten solcher Grundstücke
gekommen sei, die innerhalb des Gebiets der jeweiligen Städte und Gemeinden
belegen seien.
b) Insbesondere in größeren Städten seien derartige gewichtige Abweichungen in
bedeutendem Umfang gegeben.
aa) Hauptursache der weitreichenden Wertverzerrungen seien die tiefgreifenden
Veränderungen im Gebäudebestand sowie auf dem Immobilienmarkt und die
fortschreitende Entwicklung des Bauwesens, die als Folge der Festschreibung der
Wertverhältnisse auf den 1. Januar 1964 keinen hinreichenden Einfluss auf den
Einheitswert hätten und bei der Bewertung weitgehend unberücksichtigt blieben.
Weder die Anwendung des Sachwert- und Ertragswertverfahrens noch das Institut
der Wertfortschreibung könnten diese Wertverzerrungen kompensieren, da
entweder auf die Baupreisverhältnisse des Jahres 1958 zurückgegriffen oder
hypothetische Mietpreise zum 1. Januar 1964 zugrunde gelegt würden.
Es gebe mittlerweile eine immer größere Zahl von Gebäuden, die sich nach
Bauart, Bauweise, Konstruktion oder Objektgröße von den damals vorhandenen
Gebäuden so sehr unterschieden, dass ihre Bewertung nicht mehr mit einer den
verfassungsrechtlichen
Anforderungen
entsprechenden
Genauigkeit
und
Überprüfbarkeit möglich sei. Je länger der Hauptfeststellungszeitraum dauere und je
mehr sich die neu errichteten Gebäude von den am Hauptfeststellungzeitpunkt
vorhandenen unterschieden, desto problematischer sei mangels ausreichend
gesicherter Grundlagen die Wertermittlung.
bb) Durch Anknüpfung an Eigenschaften sowie Wert- und Ausstattungsmerkmale
von Gebäuden und Wohnungen zum 1. Januar 1964 (Hinweis auf Anlage 13 zu
Abschnitt 38 der Richtlinien für die Bewertung von Grundvermögen) könnten heute
vielfach maßgebliche wertbildende Faktoren, wie Energieeffizienz oder das
Vorhandensein von Solaranlagen, Wärmepumpen, Lärmschutz, luxuriösen Bad-
und Kücheneinrichtungen, elektronischer Steuerung der gesamten Haustechnik,
Anschlussmöglichkeiten an Hochgeschwindigkeitsdatennetze oder besonderer
Ausstattung nicht oder nur unzureichend abgebildet werden. Dies gelte nicht nur für
Gebäude, die erst nach dem Hauptfeststellungszeitpunkt neu errichtet worden
seien, sondern auch für solche Objekte, die nachträglich mit entsprechenden
39
40
41
Einrichtungen versehen worden seien. Obwohl ein solches Gebäude einen
wesentlich höheren Wert habe, werde es wie ein Objekt bewertet, das sich noch im
Ausstattungsstandard von 1964 befindet. Diese sich aus der Anknüpfung an die
Wert- und Ausstattungsverhältnisse zum 1. Januar 1964 ergebenden
Wertverzerrungen seien erheblich. Der entscheidende Einfluss dieser Faktoren
zeige sich beispielsweise in den vom Senat beigezogenen amtlichen Mietspiegeln
der Städte München und Berlin aus dem Jahr 2013. Daraus ergebe sich, dass
neben der Lage des Objekts gerade auch die Ausstattung einer Wohnung und eines
Gebäudes
eine
entscheidende
mietpreisbildende
und
damit
auch
ertragswerterhöhende Bedeutung habe. Die Preisspannen der Nettokaltmieten in
Berlin betrügen unabhängig vom Gebäudealter und der Lage allein wegen
unterschiedlicher Ausstattung bis zu 4 € sowie in München zwischen 3 € und 4 €.
Die Nichtberücksichtigung wesentlicher Ausstattungsmerkmale betreffe
schließlich auch eine Vielzahl von Gebäuden und Wohnungen. Nach einer vom
Senat beim Statistischen Bundesamt eingeholten Auskunft seien im Jahr 2011
bereits deutlich mehr als die Hälfte des Gesamtbestands an Wohnungen nach dem
Hauptfeststellungszeitpunkt errichtet worden; bei gewerblichen Objekten dürften die
Verhältnisse zumindest ähnlich sein.
cc) Die Rückanknüpfung an die Wertverhältnisse zum 1. Januar 1964 habe auch
zur Folge, dass Zweckbindungen aufgrund öffentlicher Förderung des
Wohnungsbaus nicht berücksichtigt würden, wenn die der Förderung zugrunde
liegenden Vorschriften am Hauptfeststellungszeitpunkt 1. Januar 1964 noch nicht
gegolten hätten. Der Begriff der Wertverhältnisse (§ 22 Abs. 4 Satz 2, § 79 Abs. 5
BewG) umfasse nach der Rechtsprechung vor allem die allgemeinen politischen,
wirtschaftlichen und Verkehrsverhältnisse, die sich in dem allgemeinen Markt- und
Preisniveau im Hauptfeststellungszeitpunkt niedergeschlagen hätten. Erst nach
dem Hauptfeststellungszeitpunkt eingetretene Änderungen des allgemeinen
Wertniveaus aufgrund gewandelter Verhältnisse könnten sich demgemäß bei der
Bewertung nicht auswirken. Zu den Wertverhältnissen in diesem Sinne gehörten
auch Miet- und Belegungsbindungen aufgrund einer öffentlichen Förderung des
Wohnungsbaus. Erst nach dem Hauptfeststellungszeitpunkt eingeführte
Fördermaßnahmen hätten sich auf das Mietpreisgefüge zu diesem Zeitpunkt noch
nicht auswirken können und müssten daher bei der Bestimmung der im
Ertragswertverfahren anzusetzenden Miete unberücksichtigt bleiben, obwohl sich
die Zweckbindung auf den Verkehrswert des bebauten Grundstücks auswirken
könne.
dd) Auch die rasante städtebauliche Entwicklung gerade im großstädtischen
Bereich sowie die Veränderungen auf dem Wohnungsmarkt seien bei der
Einheitsbewertung nicht darstellbar. So blieben beispielsweise die Entwicklungen
ehemals ländlich geprägter Bereiche hin zu hochpreisigen innerstädtischen
Quartieren ebenso unbeachtet wie zwischenzeitliche Um- oder Eingemeindungen.
Auch die seit 1964 erheblich veränderten und wertrelevanten Bedingungen am
Wohnungsmarkt, etwa die verstärkte Nachfrage nach kleineren Wohnungen und
nach sanierten Altbauwohnungen in zentraler Lage, fänden keinen Niederschlag im
Einheitswert.
ee) Zu weiteren und nunmehr nicht mehr hinnehmbaren Wertverzerrungen komme
42
43
44
45
46
ee) Zu weiteren und nunmehr nicht mehr hinnehmbaren Wertverzerrungen komme
es bei der Bewertung im Sachwertverfahren durch den Ausschluss der
Berücksichtigung einer Wertminderung wegen Alters (§ 85 Satz 3 und § 86 BewG).
Dies könne dazu führen, dass ein im Jahr 1964 errichtetes Gebäude auf den
Feststellungszeitpunkt 1. Januar 2009 mit demselben Gebäudewert anzusetzen sei
wie ein im Jahr 2008 errichtetes Gebäude. Die Nichtberücksichtigung der
wertmindernden Abnutzung älterer Gebäude führe zu in sich willkürlichen und damit
gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßenden Ergebnissen.
ff) Die dargestellten Wertverzerrungen würden durch nicht mehr hinnehmbare
Defizite beim Gesetzesvollzug noch deutlich verstärkt. Mangels allgemeiner
Erklärungs- und Mitteilungspflichten könne nicht sichergestellt werden, dass
Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse, die insbesondere für eine
Wertfortschreibung erheblich seien, den Finanzämtern bekannt würden. So seien
etwa nicht alle Baumaßnahmen, die für die Feststellung der Einheitswerte von
Bedeutung sein könnten, genehmigungs- oder zumindest anzeigepflichtig; es gebe
vielmehr zahlreiche verfahrensfrei durchführbare Bauvorhaben. § 22 Abs. 4 Satz 1
BewG verpflichte die Finanzämter auch nicht, stets von sich aus tätig zu werden.
Die Ermittlungspflicht der Finanzämter setze vielmehr erst dann ein, wenn ihnen
Umstände bekannt würden, die eine Fortschreibung rechtfertigen könnten. Die
Regelungen in § 29 BewG über Auskünfte, Erhebungen und Mitteilungen genügten
aufgrund der Vielzahl der in Betracht kommenden rechtlichen und tatsächlichen
Umstände sowie der schwierigen Abgrenzung zwischen den tatsächlichen
Verhältnissen und den Wertverhältnissen nicht den Anforderungen an einen
verfassungsmäßigen Gesetzesvollzug, was mit zunehmender Dauer des
Hauptfeststellungszeitraums noch verstärkt werde.
c) Eine Kompensation dieser Wertverzerrungen könne im derzeitigen
Bewertungssystem nicht erfolgen. Der Gesetzgeber dürfe es nicht auf sich beruhen
lassen, wenn sich die steuererheblichen Werte für bestimmte Gruppen
wirtschaftlicher Einheiten deutlich auseinanderentwickelten. Die Grundsätze der im
Steuerrecht zulässigen Typisierung seien nicht geeignet, das weitere Unterbleiben
einer Hauptfeststellung zu rechtfertigen, da es mittlerweile bereits an einer
realitätsgerechten Orientierung am typischen Fall fehle.
IV.
1. a) Die Beschwerdeführerin der Verfassungsbeschwerde 1 BvR 639/11
errichtete im Jahr 2005 ein Einfamilienhaus in Fertigbauweise mit einer
Gesamtwohnfläche von rund 290 m². Zum 1. Januar 2006 stellte das Finanzamt im
Wege der Nachfeststellung den Einheitswert für die neu entstandene wirtschaftliche
Einheit auf 94.588 € fest. Die Berechnung erfolgte im Wesentlichen wegen der
besonderen Größe des Einfamilienhauses im Wege des Sachwertverfahrens.
Einspruch und Klage hiergegen blieben erfolglos.
Die
Nichtzulassungsbeschwerde
der
Beschwerdeführerin
wies
der
Bundesfinanzhof mangels grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache als
unbegründet zurück. Durch seine Urteile vom 30. Juni 2010 (BFHE 230, 78; 230,
93) sei geklärt, dass für Stichtage bis zum 1. Januar 2007 von der
Verfassungsmäßigkeit der Einheitsbewertung und dabei unter anderem auch des
§ 76 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 1 BewG auszugehen sei.
47
48
49
50
51
b) Mit der Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung
von Art. 3 Abs. 1 GG.
Das Bewertungsverfahren zur Berechnung der Grundsteuer führe aufgrund der
mehrere Jahrzehnte umfassenden Dauer des Hauptfeststellungszeitraums zu einer
Verletzung des verfassungsrechtlichen Gebots der Folgerichtigkeit. Nach der
neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei auch innerhalb der
Vermögensgruppe des Grundvermögens eine realitätsgerechte Bewertung
erforderlich und eine Differenzierung bereits auf der Bewertungsebene
verfassungsrechtlich nicht zulässig. Die im Ertragswert- und im Sachwertverfahren
ermittelten Einheitswerte stünden nicht annähernd in einem den tatsächlichen
Wertverhältnissen entsprechenden Verhältnis zueinander. Dies werde in ihrem Fall
besonders deutlich: Im Jahr 2008 sei das Einfamilienhaus mit einem
eigentumsähnlichen Dauerwohnrecht belastet worden, so dass fortan zwei
wirtschaftliche Einheiten zu bewerten gewesen seien. Das Finanzamt habe -
nunmehr in Anwendung des Ertragswertverfahrens - zum 1. Januar 2009 für das
Einfamilienhaus einen Einheitswert von 28.427 €, für die das Dauerwohnrecht
betreffende zweite wirtschaftliche Einheit einen Einheitswert von 11.964 € ermittelt.
Die Summe der festgestellten Einheitswerte in Höhe von 40.391 € betrage somit
weniger als die Hälfte des im Wege des Sachwertverfahrens für das Gesamtobjekt
auf den 1. Januar 2006 ermittelten Einheitswerts von 94.588 €, obwohl es sich um
ein und dasselbe Objekt handle.
2. a) Die Beschwerdeführer des Verfahrens 1 BvR 889/12 kauften im Jahr 1999
ein bebautes Grundstück, das zuletzt im Ertragswertverfahren als Zweifamilienhaus
mit einem Einheitswert von 54.600 DM bewertet worden war. Das Finanzamt
rechnete das Grundstück den Beschwerdeführern zu und beließ den Einheitswert
unverändert. Infolge umfangreicher Umbaumaßnahmen in den Jahren 2000/2001
führte
das
Finanzamt
mit
angegriffenen
Einheitswert-
und
Grundsteuermessbescheiden vom 13. April 2004 auf den 1. Januar 2002 eine Wert-
und Artfortschreibung durch und stellte den Einheitswert auf 85.130 € fest. Dabei
änderte das Finanzamt die Grundstücksart von Zweifamilienhaus zu
Einfamilienhaus und wandte das Sachwertverfahren an. Im Einspruchsverfahren
reduzierte das Finanzamt mit angegriffener Einspruchsentscheidung vom 28. Juni
2005 den Einheitswert auf 75.415 € sowie dementsprechend den
Grundsteuermessbetrag. Mit ihrer Klage begehrten die Beschwerdeführer die
Aufhebung der Einheitswertfestsetzung wegen Verfassungswidrigkeit des geltenden
Grundsteuer- und Bewertungsrechts. Nach erfolgloser Durchführung des
finanzgerichtlichen Verfahrens erhoben die Beschwerdeführer bereits im Jahre 2008
eine erste Verfassungsbeschwerde. Diese führte aus verfahrensrechtlichen
Gründen zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und Zurückverweisung der
Sache an das Finanzgericht (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats
vom 13. April 2010, 1 BvR 3515/08, www.bverfg.de).
Das
Finanzgericht
wies
die
Klage
erneut
ab.
Auch
die
Nichtzulassungsbeschwerde blieb erfolglos.
b) Die Beschwerdeführer rügen zunächst ebenfalls eine Verletzung des Art. 3 Abs.
1 GG durch die Erhebung von Grundsteuer auf der Grundlage des derzeitigen
52
53
54
55
56
57
58
59
Bewertungsgesetzes. Nach der geltenden Einheitsbewertung komme es zu
gleichheitswidrigen Wertverzerrungen sowohl zwischen den als auch innerhalb der
unterschiedlichen Grundstücksarten. Ertrags- und Sachwertverfahren führten für
vergleichbare Grundstücke zu stark unterschiedlichen Werten, die zudem im Laufe
der Zeit immer mehr auseinanderdrifteten und jeden Realitätsbezug verloren hätten.
Aber auch die Grundsteuer selbst sei als Sondervermögensteuer gleichheitswidrig
und vor dem Hintergrund des Leistungsfähigkeitsprinzips generell nicht zu
rechtfertigen.
Die Erhebung von Grundsteuer verstoße darüber hinaus bei selbstgenutzten
Einfamilienhäusern oder Eigentumswohnungen gegen Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 6 Abs.
1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG.
V.
1. Von Seiten des Bundes und der Länder haben das Bundesministerium der
Finanzen für die Bundesregierung sowie die Bayerische Staatskanzlei für die
Landesregierung Bayern und das Hessische Ministerium der Finanzen für die
Landesregierung Hessen Stellung genommen.
a) Das Bundesministerium der Finanzen hält die Einheitsbewertung für sämtliche
relevanten Bewertungsstichtage für verfassungsgemäß.
Es betont neben der enormen Bedeutung der Grundsteuer für die Kommunen und
der - unterschätzten - Bedeutung der Einheitswerte in anderen Bereichen die hohe
Akzeptanz der Grundsteuer bei den Steuerbürgern und ihre geringe
Belastungswirkung.
Unter Hinweis auf die laufenden Reformbestrebungen führt es weiter aus, dass die
Notwendigkeit einer Grundsteuerreform dem Grunde nach unbestritten sei; sie stelle
den Gesetzgeber aber in Bezug auf die erforderliche Administrierbarkeit einer
allgemeinen Neubewertung von circa 35 Millionen Grundstücken vor besondere
Schwierigkeiten und erfordere einen mehrjährigen zeitlichen Vorlauf.
aa) Es bestünden bereits Bedenken an der Zulässigkeit der Vorlagen des
Bundesfinanzhofs. Der Bundesfinanzhof sei über Jahre hinweg und zuletzt zum
Stichtag 1. Januar 2007 von der Verfassungsmäßigkeit der Einheitsbewertung des
Grundvermögens ausgegangen und habe in den Vorlagebeschlüssen nicht
hinlänglich dargelegt, weshalb dies nun gerade ab Stichtag 1. Januar 2008 anders
zu beurteilen sein sollte. Auch sei der Bundesfinanzhof nicht, wie für eine konkrete
Normenkontrolle erforderlich, näher darauf eingegangen, inwieweit die in den
Ausgangsverfahren beteiligten Steuerpflichtigen von den behaupteten erheblichen
Wertverzerrungen nachteilig betroffen seien. Es handele sich damit um eine de facto
unzulässige abstrakte Normenkontrolle.
bb) In der Sache sieht das Bundesministerium der Finanzen die geltende
Einheitsbewertung als noch verfassungsgemäß an.
(1) So lägen die festgestellten Einheitswerte des Grundbesitzes nicht nur
regelmäßig erheblich unter dem gemeinen Wert und führten damit bei der
Bemessungsgrundlage der Grundsteuer zu einer geringeren steuerlichen
60
61
62
63
Belastungswirkung. Auch komme es im Unterschied zur Erbschaft- und
Schenkungsteuer nur auf mögliche Wertverzerrungen innerhalb der
Vermögensgruppe Grundvermögen an, was verfassungsrechtlich daher von
vornherein deutlich weniger ins Gewicht falle, weil die Bewertung einheitlich nach
Maßgabe der Wertverhältnisse am 1. Januar 1964 erfolge. Eine Annäherung der
Einheitswerte an das Marktwertniveau sei für Zwecke der Grundsteuer nicht
erforderlich und könne auch nicht aus der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts abgeleitet werden.
(2) Die vom Bundesfinanzhof als Hauptursache für die angeblich weitreichenden
Wertverzerrungen
angesehenen
tiefgreifenden
Veränderungen
und
Weiterentwicklungen im Bauwesen könnten im Rahmen der geltenden Regelungen
hinreichend abgefedert werden, wie es der Bundesfinanzhof selbst in zahlreichen
Einzelfällen entschieden habe. Sowohl im Ertragswertverfahren wie auch im
Sachwertverfahren seien ausreichend Anwendungsspielräume zur sachgerechten
Bewertung neuartiger Gebäude vorhanden.
(3) Entgegen der Auffassung des Bundesfinanzhofs handele es sich bei der
Fortgeltung der Wertverhältnisse vom 1. Januar 1964 nicht um eine
gesetzgeberische Typisierung im herkömmlichen Sinne, die im Hinblick auf die
erforderliche Orientierung am typischen Fall fehlgehe. Denn das ursprüngliche
gesetzgeberische Konzept sehe an sich Hauptfeststellungen alle sechs Jahre vor,
so dass die im Bewertungsrecht selbst angelegten Typisierungen und
Pauschalierungen
der
Wertermittlung
-
bezogen
auf
einen
Hauptfeststellungszeitraum - ohne weiteres zulässig seien. Die spätere Aussetzung
weiterer Hauptfeststellungen stelle vielmehr eine Art (nachträgliche)
Verfahrensvereinfachung vor dem Hintergrund des unverhältnismäßig hohen
Aufwands einer allgemeinen Neubewertung dar. Denn die weitreichende Befugnis
des Gesetzgebers zur Typisierung und Pauschalierung bei Massenverfahren
umfasse auch die Möglichkeit, die Verwirklichung des Steueranspruchs
verfahrensrechtlich zu erleichtern und dabei die für den Staat verfügbaren
personellen und finanziellen Mittel zu berücksichtigen.
(4) Ein strukturelles Vollzugsdefizit, das auf die Verfassungsmäßigkeit des zu
Grunde liegenden materiellen Rechts zurückwirken könnte, bestehe für die
Regelungen zur Einheitsbewertung nicht. Zwar könne es aufgrund der
unterbliebenen Hauptfeststellungen nach dem 1. Januar 1964 zu möglichen
Wertverzerrungen oder gröberen Pauschalierungen bei den festgestellten
Grundstückswerten gekommen sein. Es lasse sich jedoch nicht feststellen, dass
die
Erhebungsregelungen
sich
strukturell
gegenläufig
auf
den
Besteuerungstatbestand
auswirkten.
Die
Verfahrensvorschriften
zur
Einheitsbewertung seien nicht widersprüchlich auf die Ineffektivität des materiellen
Rechts hin angelegt. Der Gesetzgeber habe gerade durch die Aussetzung weiterer
Hauptfeststellungen das Einheitswertverfahren für die Verwaltungspraxis in
effektiver Weise handhabbar gemacht und somit für einen flächendeckenden
Gesetzesvollzug gesorgt.
Auch nach Auskunft der Mehrzahl der Länder seien bislang keine wesentlichen
Probleme beim Gesetzesvollzug aufgetreten. Zur effektiven Erfassung
64
65
66
67
68
wertrelevanter Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse seien die Finanzämter
zwar auf die Mitteilungen anderer Behörden angewiesen. Diese seien jedoch nach §
29 Abs. 3 BewG zur Mitteilung relevanter Umstände verpflichtet; auch gebe es stete
Bemühungen auf Länderebene, dieses Mitteilungsverfahren, etwa im
Zusammenhang mit den erfolgten Entwicklungen im Bauordnungsrecht, im Wege
von Verwaltungsanweisungen zu optimieren.
(5) Schließlich sei zu beachten, dass die laufenden Reformbestrebungen eine
außerordentlich schwierige Materie beträfen und für den Gesetzgeber einen
überdurchschnittlichen Arbeitsaufwand bedeuteten. Das Bundesverfassungsgericht
habe in vergleichbaren historischen Fallgestaltungen den Bedürfnissen des
Gesetzgebers im Hinblick auf den Zeitbedarf für eine Reform sowie die besondere
Schwierigkeit der verwaltungspraktischen Umsetzung hinreichend Bedeutung
beigemessen. Demnach könne ein nachvollziehbar längerer Zeitbedarf des
Gesetzgebers für die Vorbereitung und Umsetzung einer Gesetzesreform einem
Grundrechtsverstoß entgegenstehen, zumindest wenn die Weitergeltung des
bisherigen Rechts für die Steuerpflichtigen nicht völlig unerträglich sei. Dies müsse
aufgrund der geringen Belastungswirkungen einerseits sowie der geringen
Streitanfälligkeit andererseits auch im Falle der Grundsteuer gelten.
Das Erfordernis einer ausreichend langen zeitlichen Übergangsphase ergebe sich
letztlich auch vor dem Hintergrund der jahrzehntelangen Zurückhaltung der
finanzgerichtlichen Rechtsprechung. So habe der Bundesfinanzhof erstmals in
seinen „Ankündigungsentscheidungen“ vom 30. Juni 2010 einen seiner Auffassung
nach relevanten Gleichheitsverstoß bei weiterem Unterbleiben einer allgemeinen
Neubewertung näher ausgeführt und damit zeitlich weit nach den für die
Vorlageverfahren maßgeblichen Bewertungsstichtagen des 1. Januar 2009
beziehungsweise des 1. Januar 2008.
b) Die Landesregierung Bayern ist der Auffassung, dass das derzeit geltende
Grundsteuergesetz mit Art. 105 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG n.F.
unvereinbar sei, da dem Bund die Gesetzgebungskompetenz fehle. Die Vor-
aussetzungen für eine Fortgeltung nach Art. 125a Abs. 2 GG lägen nicht vor. Denn
der Bundesgesetzgeber habe das Grundsteuergesetz nach Änderung des Art. 72
Abs. 2 GG wiederholt vollumfänglich in seine Willensbildung aufgenommen und
wesentliche Regelungsinhalte neu geschaffen. Darüber hinaus habe der
Gesetzgeber durch die Abkehr vom Grundgedanken der Einheitsbewertung eine
grundlegende Neukonzeption auch auf Ebene der Bemessungsgrundlage der
Grundsteuer vollzogen. Eine bundeseinheitliche Regelung zur Herstellung
gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder zur Wahrung der Rechts-
oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse sei gemäß Art. 72 Abs. 2
GG außerdem nicht erforderlich.
2. Zu den Verfahren haben sich der Bundesverband der Deutschen Indu-strie e.V.,
die Bundesarbeitsgemeinschaft Immobilienwirtschaft Deutschland, der Deutsche
Industrie- und Handelskammertag e.V., der Zentralverband der Deutschen Haus-,
Wohnungs- und Grundeigentümer e.V. - Haus & Grund Deutschland - und der
Zentralverband des Deutschen Handwerks e.V. geäußert.
Ihre Stellungnahmen folgen der Argumentation des Bundesfinanzhofs und weisen
69
70
71
72
73
74
auf ergänzende Aspekte im Zusammenhang mit den gravierenden
Wertverzerrungen bei der derzeitigen Einheitsbewertung des Grundvermögens als
Folge des überlangen Zurückliegens der letzten Hauptfeststellung hin. In
Übereinstimmung mit dem Bundesfinanzhof gehen sie von einem strukturellen
Vollzugsdefizit aus, da die Finanzbehörden im Wesentlichen von der
Erklärungsbereitschaft der Steuerpflichtigen oder von Zufallsfunden abhängig seien.
Kritisch gesehen wird darüber hinaus, dass die Berechnungen zur Feststellung des
Einheitswerts aufgrund der fehlenden Transparenz der Bewertungsgrundlagen von
Bürgern und Unternehmen nicht oder nur unzureichend nachvollzogen werden
könnten.
Die Gründe des Bundesfinanzhofs für die Verfassungsmäßigkeit der
Einheitsbewertung bis zum Stichtag 1. Januar 2007 überzeugten allerdings nicht;
insbesondere das Argument der geringen Belastungswirkung der Grundsteuer gehe
im Hinblick auf ihre periodische Erhebung fehl. Vielmehr liege mangels
realitätsgerechter Wert- und Bewertungsrelationen ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1
GG auch für weiter zurückliegende Stichtage vor.
3. Weitere Stellungnahmen haben die Bundessteuerberaterkammer, der Deutsche
Steuerberaterverband e.V. und die Bundesrechtsanwaltskammer abgegeben; der
Deutsche Bauernverband e.V. hat sich zur Einheitsbewertung des land- und
forstwirtschaftlichen Vermögens geäußert.
Die Stellungnahmen erachten übereinstimmend nicht bereits die strukturelle
Zweigleisigkeit der Bewertungsverfahren für verfassungswidrig. Ursächlich für die
massiven Wertverzerrungen sei vielmehr die Entscheidung des Gesetzgebers, die
nächste Hauptfeststellung einem besonderen Gesetz vorzubehalten, das er dann
nicht
verabschiedet
habe.
Eine
wesentliche
Überschreitung
der
Feststellungszeiträume könne nicht aus Praktikabilitätsgründen mit dem hohen
Verwaltungsaufwand gerechtfertigt werden, da das System der Hauptfeststellung
von vornherein auf periodisch wiederkehrende Wertfeststellungen angelegt sei.
Auch könne die Frage nach der Verfassungswidrigkeit einer grundsätzlich
belastenden Norm nicht vom Ausmaß ihrer Belastung abhängig gemacht werden.
Die Bundessteuerberaterkammer weist darauf hin, dass neben einem strukturellen
Vollzugsdefizit auch die durch das Vorlageverfahren 1 BvL 1/15 aufgeworfene Frage
der Nichtberücksichtigung von Neuregelungen zur öffentlichen Förderung von
Wohnraum die Verfassungswidrigkeit vertiefe. Anknüpfend an die grundlegende
Neuregelung der öffentlichen Wohnbauförderung zum 1. Januar 2002 sei die
Einheitsbewertung spätestens seit diesem Zeitpunkt verfassungswidrig.
4. Darüber hinaus sind das Bundesverwaltungsgericht, die Deutsche Steuer-
Gewerkschaft e.V. und der Bund der Steuerzahler Deutschland e.V. dem
Bundesfinanzhof in dessen Argumentation im Wesentlichen gefolgt. Der Bund der
Steuerzahler hält darüber hinaus die Abweichungen zwischen dem Ertrags- und
dem Sachwertverfahren für willkürlich. Die Deutsche Steuer-Gewerkschaft teilt im
Hinblick auf die nur zögerlichen Reformbestrebungen nunmehr ebenfalls die
Auffassung des Bundesfinanzhofs.
5. Der Deutsche Städtetag weist zusammen mit dem Deutschen Städte- und
75
76
77
78
79
Gemeindebund e.V. auf die wesentliche Bedeutung der Grundsteuer für die
Gemeinden und die hohe Akzeptanz bei den Steuerbürgern hin; ein auch nur
temporärer Ausfall der Grundsteuer könne nicht kompensiert werden.
6. Die Kläger der Ausgangsverfahren halten die Vorlagen für begründet und
bemängeln vor allem die immensen Belastungsunterschiede bei der Grundsteuer.
7. Das Bundesverfassungsgericht hat am 16. Januar 2018 eine mündliche
Verhandlung durchgeführt. Geäußert haben sich die Beschwerdeführer und der
Kläger des Ausgangsverfahrens zur Vorlage 1 BvL 11/14 sowie ein Mitglied des
Deutschen Bundestags, die Deutsche Steuer-Gewerkschaft e.V., der Deutsche
Städtetag und der Zentralverband der Deutschen Haus-, Wohnungs- und
Grundeigentümer e.V. - Haus & Grund Deutschland -.
Von Seiten des Bundes und der Länder haben die Bundesregierung, die Länder
Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Berlin und die Freie Hansestadt Hamburg
sowie Baden-Württemberg im Hinblick auf eine etwaige Fortgeltungsanordnung
dargelegt, dass eine allgemeine Neubewertung einen erheblichen zeitlichen Vorlauf
unter anderem auch zur Schaffung der erforderlichen IT-Struktur benötige.
B.
Die Normenkontrollvorlagen des Bundesfinanzhofs zur Klärung der
Verfassungsmäßigkeit der Einheitsbewertung sind zulässig (I). Für eine Erweiterung
der Vorlagefragen besteht kein Anlass (II). Der Bund hat zwar die
Gesetzgebungskompetenz für diese Regelungen (III). Sie sind mit dem allgemeinen
Gleichheitssatz jedoch nicht vereinbar (IV).
I.
Die Vorlagen des Bundesfinanzhofs nach Art. 100 Abs. 1 GG sind zulässig. Sie
genügen den Anforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG an die Darlegung der
Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Normen (vgl. hierzu BVerfGE 105, 61
<67>; 133, 1 <10 f. Rn. 35>). Ihrer Entscheidungserheblichkeit steht nicht entgegen,
dass im Falle des Verstoßes gegen Bestimmungen des Grundgesetzes lediglich
eine Feststellung der Unvereinbarkeit der Normen mit dem Grundgesetz und für
einen gewissen Zeitraum womöglich auch die Anordnung ihrer Fortgeltung durch
das Bundesverfassungsgericht nach § 35 BVerfGG zu erwarten sind (vgl. BVerfGE
138, 136 <175 Rn. 104> m.w.N.). Unschädlich ist, dass der Bundesfinanzhof in
seinen Vorlagebeschlüssen keine konkreten Feststellungen dazu getroffen hat, ob
die Kläger der Ausgangsverfahren durch die geltend gemachten Wertverzerrungen
individuell benachteiligt werden. Selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, änderte
dies nichts an der Zulässigkeit der Vorlage. In Fällen, in denen die substantiiert
behauptete Verfassungswidrigkeit eines Steuergesetzes nicht nur isolierbare
Einzelpunkte eines Teilbereichs der Steuer betrifft, sondern die gerechte Erhebung
der Steuer insgesamt in Frage stellt, ist für Steuerpflichtige, die - hier unterstellt -
durch einen für sich genommen nicht verfassungswidrigen Tatbestand dieser
Steuer betroffen sind, die Verfassungswidrigkeit der anderen Norm gleichwohl
entscheidungserheblich, da sie auch ihrer Besteuerung die Grundlage entzieht (vgl.
BVerfGE 138, 136 <172 f. Rn. 97 ff.>).
80
81
82
83
84
85
Der Bundesfinanzhof hat seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der
vorgelegten Vorschriften ausreichend begründet (zu den Anforderungen hierfür vgl.
BVerfGE 133, 1 <12 Rn. 39>). Dass er dabei seine bis zu den sogenannten
Ankündigungsentscheidungen vom 30. Juni 2010 (II R 60/08, BFHE 230, 78 und II R
12/09, BFHE 230, 93) ständige Rechtsprechung zur Verfassungsmäßigkeit der
Einheitsbewertung für die Stichtage ab 1. Januar 2008 aufgegeben hat, stellt die
Zulässigkeit der Vorlagen nicht in Frage.
II.
Die Vorlagefragen bedürfen keiner Erweiterung (vgl. dazu BVerfGE 139, 285 <297
Rn. 38> m.w.N.). Der Bundesfinanzhof hat die Normen des Bewertungsgesetzes
vorgelegt, soweit sie in den jeweiligen Ausgangsverfahren entscheidungserheblich
für die Einheitsbewertung sind. Dies betrifft die dort maßgeblichen Bewertungsregeln
für bebaute Grundstücke außerhalb des in Art. 3 des Einigungsvertrags genannten
Gebiets und damit in den „alten“ Ländern. Der Senat hat die Normenkontrolle nicht
auf die Bestimmungen zur Bewertung des land- und forstwirtschaftlichen
Vermögens (§§ 33 - 62 BewG) und zur Bewertung von Grundvermögen in dem in
Art. 3 des Einigungsvertrags genannten Gebiet (§§ 125 ff. BewG - in den neuen
Bundesländern) erstreckt. Für beide Bereiche gelten besondere Bewertungsregeln,
die auf die Frage nach ihrer Vereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG eine eigenständige
verfassungsrechtliche Würdigung erforderlich machten, ohne durch die
Ausgangsverfahren veranlasst zu sein. Zudem fehlt es insofern an einer
fachgerichtlichen Aufarbeitung der Sach- und Rechtslage. Dies schließt nicht aus,
die für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte auf die Beurteilung dieser
Vorschriften zu übertragen.
III.
Das geltende Recht der Einheitsbewertung zum Zwecke der Erhebung der
Grundsteuer ist als Bundesgesetz ergangen. Dafür steht dem Bund die
konkurrierende Gesetzgebungskompetenz zu.
Die Gesetzgebungskompetenz für eine Steuer umfasst auch die Kompetenz für
die
Regelung
ihrer
Bemessungsgrundlage
und
dazu
erforderlicher
Bewertungsregeln.
Dem Bund stand die konkurrierende Kompetenz zur Gesetzgebung für die
Grundsteuer nach Art. 105 Abs. 2 Nr. 3 in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG a.F. zu
(1). Nach der Neufassung des Art. 72 Abs. 2 GG im Jahre 1994 gilt das Recht der
Einheitsbewertung jedenfalls gemäß Art. 125a Abs. 2 GG als Bundesrecht fort (2).
1. Für die Grundsteuer und damit auch für die Bewertungsbestimmungen, die für
ihre Erhebung unverzichtbar sind, konnte der Bund jedenfalls bis zur Neufassung
des Art. 72 Abs. 2 GG durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom
27. Oktober 1994 (BGBl I S. 3146) die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz
für sich in Anspruch nehmen. Denn nach Art. 105 Abs. 2 Nr. 3 GG in der
Ursprungsfassung vom 23. Mai 1949 (BGBl I S. 1) hatte der Bund die Kompetenz
für „die Realsteuern mit Ausnahme der Festsetzung der Hebesätze, wenn er die
Steuern ganz oder zum Teil zur Deckung der Bundesausgaben in Anspruch nimmt
86
87
88
89
oder die Voraussetzungen des Artikels 72 Abs. 2 GG vorliegen“. Nach Art. 106 Abs.
2 GG in seiner ursprünglichen Fassung flossen unter anderem die Realsteuern den
Ländern und nach Maßgabe der Landesgesetzgebung den Gemeinden zu. Die
Grundsteuer zählt zu den Realsteuern (BVerfGE 65, 325 <353>; 120, 1 <25>; 125,
141 <164>).
Danach hing die Gesetzgebungskompetenz des Bundes vom Vorliegen der
damaligen Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG ab. Die auch schon vor 1994
mehrfach erfolgten Änderungen des Bewertungsgesetzes durch bundesgesetzliche
Regelung haben die Auffassung des Bundes vom Bedürfnis nach einer
bundesgesetzlichen Regelung im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG in seiner
ursprünglichen Fassung vom 23. Mai 1949 zum Ausdruck gebracht. Die Bejahung
dieses Bedürfnisses durch den Bund stellte nach damaliger Rechtslage und der zu
ihr ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine „politische
Vorentscheidung“ dar, „die das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich zu
respektieren“ hatte (BVerfGE 78, 249 <270> stRspr). Es gab keine Anhaltspunkte
dafür, dass die Annahme eines Bedürfnisses für eine bundesgesetzliche Regelung
der Grundsteuer und der für sie maßgeblichen Bewertungsbestimmungen der
danach
verbleibenden,
eingeschränkten
Kontrolle
durch
das
Bundesverfassungsgericht nicht hätte standhalten können; solche wurden auch
sonst von keiner Seite vorgebracht. Die Neufassung des Art. 105 Abs. 2 und des
Art. 106 Abs. 6 GG durch das Finanzreformgesetz vom 12. Mai 1969 (BGBl I S.
359) hat nichts an der von den Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG a.F.
abhängigen konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die
Grundsteuer geändert.
2. Es kann dahinstehen, ob die Neufassung des Art. 72 Abs. 2 GG mit der
Einführung der Erforderlichkeitsklausel durch die Grundgesetzänderung von 1994
die Bundeskompetenz für die Grundsteuer und die sie betreffenden Teile des
Bewertungsgesetzes vollständig oder teilweise entfallen ließ. Der Bund hat die
Kompetenz für die geltenden Regeln der Einheitsbewertung entweder gemäß
Art. 105 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG (a) oder nach Art. 125a Abs. 2
Satz 1 GG (b).
a) Nach Art. 105 Abs. 2 GG steht dem Bund die konkurrierende Gesetzgebung für
die Grundsteuer nur nach Maßgabe der Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2
GG in der Fassung von 1994 zu (vgl. BVerfGE 125, 141 <154>; 138, 136 <176 Rn.
108>). Macht die Herstellung gleichwertiger Verhältnisse im Bundesgebiet oder die
Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine
bundesgesetzliche Regelung der Grundsteuer oder jedenfalls der für sie
unerlässlichen Bewertungsregeln erforderlich (zu den sich hiernach ergebenden
Anforderungen vgl. BVerfGE 138, 136 <176 f. Rn. 109 ff.>), bleibt die
Kompetenzgrundlage des Bundes für die Grundsteuer und die Einheitsbewertung
unberührt.
b) Erweist sich eine bundesgesetzliche Regelung der Grundsteuer und der
Einheitsbewertung hingegen nach der seit dem 16. November 1994 geltenden
Fassung des Art. 72 Abs. 2 GG nicht als erforderlich (vgl. hierzu mit
unterschiedlichen Ergebnissen im Hinblick auf eine Neuregelung der Grundsteuer
90
91
92
etwa Seiler, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 105 Rn. 160 (Sept. 2017); Siekmann, in:
Sachs, GG, 7. Auflage 2014, Art. 105 Rn. 24 Fn. 89; Tipke/Lang, Steuerrecht, 22.
Auflage 2015, § 2 Rn. 41; Troll/Eisele, Grundsteuergesetz, 11. Auflage 2014,
Anhang V Rn. 2; Seer/Drüen, in: Kluth, Föderalismusreformgesetz, 1. Auflage 2007,
Art. 105 Rn. 8; Becker, Die Reform der Grundsteuer - wem obliegt die
Gesetzeskompetenz?, BB 2013, S. 861 <865>; Cremers, Grundsteuermodelle und
Verfassung, 2012, S. 8 ff.; Hantzsch, Reform der Grundsteuer durch den
Bundesgesetzgeber?, DStZ 2012, S. 758 <761 f.>; Kempny/Reimer, in:
Verhandlungen des 70. Deutschen Juristentages 2014, Gutachten D - Recht der
staatlichen Einnahmen, D 72 f.), gilt die bestehende Regelung nach Art. 125a Abs. 2
Satz 1 GG als Bundesrecht fort, solange sie nicht in wesentlichen Elementen
geändert wird. Denn die Zuständigkeit zur Änderung solcher fortgeltender
Vorschriften verbleibt ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des
Art. 72 Abs. 2 GG beim Bundesgesetzgeber, soweit die Änderung die wesentlichen
Elemente der in dem fortbestehenden Bundesgesetz enthaltenen Regelung
beibehält und keine grundlegende Neukonzeption enthält (vgl. BVerfGE 111, 10 <28
ff.>; 112, 226 <250>). Danach kann sich das geltende Recht der für die Grundsteuer
maßgeblichen Einheitsbewertung für Grundbesitz nach wie vor auf eine
konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes stützen. Die wesentlichen
Elemente der Einheitsbewertung im Bewertungsgesetz sind nach der Einfügung der
Erforderlichkeitsklausel in den Art. 72 Abs. 2 GG zum 15. November 1994
unverändert geblieben. Eine Neukonzeption dieses Teils des Bewertungsgesetzes
hat seither nicht stattgefunden.
Die in den vorliegenden Verfahren maßgeblichen Bestimmungen über die
Einheitsbewertung des Grundvermögens im Ersten Abschnitt des Zweiten Teils des
Bewertungsgesetzes haben im Wesentlichen seit 1965 Bestand. Insbesondere die
durch
Entscheidungen
des
Bundesverfassungsgerichts
veranlassten
Neuregelungen des Bewertungsgesetzes wurden nicht in die Vorschriften über die
Einheitsbewertung eingearbeitet, sondern als Neuregelungen in eigenen Abschnitten
in das Bewertungsgesetz eingefügt, ohne dass dabei die Bestimmungen über die
Einheitsbewertung inhaltlich neu geformt worden wären.
Durch die Neuregelungen der Bewertung von Grundbesitz für Zwecke der
Erbschaft- und der Grunderwerbsteuer, den Verzicht auf die Erhebung der
Vermögensteuer und die Aufgabe der Gewerbekapitalsteuer hat die
Einheitsbewertung zwar ihre Bedeutung als allgemeine Bewertung für eine Reihe
von Steuerarten verloren (vgl. Dritter bis Sechster Abschnitt des Zweiten Teils des
Bewertungsgesetzes). Dies ändert allerdings nichts daran, dass die Vorschriften
über die Einheitsbewertung nach wie vor erhalten geblieben und für die Grundsteuer
maßgeblich sind.
IV.
Die Regelungen des Bewertungsgesetzes zur Einheitsbewertung von
Grundvermögen sind mit Blick auf die in den Vorlagen geltend gemachten
Ungleichbehandlungen am allgemeinen Gleichheitssatz zu messen und mit ihm
unvereinbar. Art. 3 Abs. 1 GG lässt dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung von
Bewertungsvorschriften für die steuerliche Bemessungsgrundlage einen weiten
93
94
95
96
Spielraum, verlangt aber ein in der Relation realitätsgerechtes Bewertungssystem
(1). Das Festhalten des Gesetzgebers an dem Hauptfeststellungszeitpunkt von
1964 führt zu gravierenden und umfassenden Ungleichbehandlungen bei der
Bewertung von Grundvermögen (2), für die es keine ausreichende Rechtfertigung
gibt (3). Ob im Bewertungsrecht für die Einheitsbewertung daneben auch ein
Vollzugsdefizit angelegt ist, bedarf keiner Entscheidung (4). Die Unvereinbarkeit mit
Art. 3 Abs. 1 GG besteht jedenfalls seit Beginn des Jahres 2002 (5).
1. Die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten
Grundsätze zur Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes im Steuerrecht
verlangen auch auf der Ebene der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen eine
gleichheitsgerechte Ausgestaltung der Wertbemessung.
a) Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln.
Das hieraus folgende Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches
ungleich zu behandeln, gilt für ungleiche Belastungen und ungleiche
Begünstigungen. Dabei verwehrt Art. 3 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber nicht jede
Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch
Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen
sind. Dabei gilt ein stufenloser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter
verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht
abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und
Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl. BVerfGE 138, 136 <180 Rn. 121>;
139, 285 <309 Rn. 70> m.w.N., stRspr).
Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den die
Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund ergeben sich aus dem allgemeinen
Gleichheitssatz je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen
unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten auf das
Willkürverbot
beschränkten
Bindungen
bis
hin
zu
strengen
Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können. Eine strengere Bindung des
Gesetzgebers kann sich aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben.
Zudem verschärfen sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen, je weniger die
Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen
verfügbar sind oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern (vgl.
BVerfGE 138, 136 <180 Rn. 122>, 139, 285 <309 Rn. 71>, stRspr).
b) Gleichheitsrechtlicher Ausgangspunkt im Steuerrecht ist der Grundsatz der
Lastengleichheit. Die Steuerpflichtigen müssen dem Grundsatz nach durch ein
Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleichmäßig belastet werden. Der
Gleichheitssatz
belässt
dem
Gesetzgeber
einen
weit
reichenden
Entscheidungsspielraum sowohl bei der Auswahl des Steuergegenstandes als auch
bei der Bestimmung des Steuersatzes. Abweichungen von der mit der Wahl des
Steuergegenstandes einmal getroffenen Belastungsentscheidung müssen sich
indessen ihrerseits am Gleichheitssatz messen lassen (Gebot der folgerichtigen
Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands). Demgemäß bedürfen
sie eines besonderen sachlichen Grundes, der die Ungleichbehandlung zu
rechtfertigen vermag. Dabei steigen die Anforderungen an den Rechtfertigungsgrund
mit dem Ausmaß der Abweichung und ihrer Bedeutung für die Verteilung der
97
98
99
100
101
Steuerlast insgesamt (vgl. BVerfGE 138, 136 <181 Rn. 123, 131>; 139, 285 <309 f.
Rn. 72>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 10. April 2018 - 1 BvR 1236/11 -
Rn. 105, www.bverfg.de, jew. m.w.N.).
c) Art. 3 Abs. 1 GG verlangt stets auch eine gleichheitsgerechte Ausgestaltung der
Bemessungsgrundlage einer Steuer. Die Bemessungsgrundlage muss, um die
gleichmäßige Belastung der Steuerpflichtigen zu gewährleisten, so gewählt und ihre
Erfassung so ausgestaltet sein, dass sie den mit der Steuer verfolgten
Belastungsgrund in der Relation der Wirtschaftsgüter zueinander realitätsgerecht
abbildet (vgl. BVerfGE 93, 121 <136>; 93, 165 <172 f.>; 117, 1 <33>; 139, 285 <310
Rn. 73>, stRspr). Dies gilt besonders, wenn die Steuer mit einem einheitlichen
Steuersatz erhoben wird, da aus der Bemessung resultierende Ungleichheiten dann
nicht mehr auf einer späteren Ebene der Steuererhebung korrigiert oder
kompensiert werden können (vgl. BVerfGE 93, 121 <142 f.>). Um beurteilen zu
können, ob die gesetzlichen Bemessungsregeln eine in der Relation
realitätsgerechte Bewertung der erfassten Güter und damit die Vergleichbarkeit der
Bewertungsergebnisse im Einzelfall sicherstellen, muss das Gesetz das für den
steuerlichen Belastungsgrund als maßgeblich erachtete Bemessungsziel erkennen
lassen.
Ausgehend von diesen Vorgaben hat der Gesetzgeber für die Wahl der
Bemessungsgrundlage und die Ausgestaltung der Regeln ihrer Ermittlung einen
großen Spielraum, solange sie nur prinzipiell geeignet sind, den Belastungsgrund
der Steuer zu erfassen (vgl. BVerfGE 123, 1 <21>; 139, 285 <310 Rn. 73>). Dabei
ist er von Verfassungs wegen auch nicht verpflichtet, sich auf die Wahl nur eines
Maßstabs zur Bemessung der Besteuerungsgrundlage festzulegen (vgl. BVerfGE
139, 285 <310 Rn. 73>). Je nach Art und Vielfalt der von der Steuer erfassten
Wirtschaftsgüter wird eine gleichheitsgerechte Bemessung der Erhebungsgrundlage
ohnehin oft nur durch die Verwendung mehrerer Maßstäbe möglich sein. Bei der
Wahl des geeigneten Maßstabs darf sich der Gesetzgeber auch von
Praktikabilitätserwägungen leiten lassen, die je nach Zahl der zu erfassenden
Bewertungsvorgänge an Bedeutung gewinnen und so auch in größerem Umfang
Typisierungen und Pauschalierungen rechtfertigen können, dabei aber deren
verfassungsrechtliche Grenzen wahren müssen (vgl. dazu BVerfGE 137, 350 <375
f. Rn. 66>; 139, 285 <313 Rn. 77>). Jedenfalls muss das so gewählte und
ausgestaltete Bemessungssystem, um eine lastengleiche Besteuerung zu
gewährleisten, in der Gesamtsicht eine in der Relation realitäts- und damit
gleichheitsgerechte Bemessung des steuerlichen Belastungsgrundes sicherstellen.
d) Die aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden Anforderungen an eine gleichheitsgerechte
Ausgestaltung der Einheitsbewertung gelten bundesweit.
Die Bindung an Art. 3 Abs. 1 GG erfasst den jeweiligen Hoheitsträger allerdings
nur innerhalb seines Kompetenzbereichs (vgl. BVerfGE 106, 225 <241> m.w.N.,
stRspr). Steuerpflichtige können daher grundsätzlich nicht dadurch in ihrem
Anspruch auf Gleichbehandlung verletzt sein, dass die Besteuerung für sie
ungünstiger als in dem Gebiet eines anderen Hoheitsträgers ausgestaltet ist, der
seinerseits die Gesetzgebungskompetenz für diese Steuer hat.
Im Bereich der Grundsteuer ist die Bewertung des Grundbesitzes jedoch bislang
102
103
104
kompetenzgemäß (oben III) im Bewertungsgesetz bundeseinheitlich festgelegt.
Lediglich die Entscheidung darüber, ob überhaupt und nach Maßgabe welchen
Hebesatzes eine Grundsteuer erhoben werden soll, liegt in der Zuständigkeit der
Gemeinden. § 1 Abs. 1 GrStG räumt den Gemeinden ausdrücklich die Befugnis ein,
darüber zu bestimmen, ob von dem in ihrem Gebiet liegenden Grundbesitz
Grundsteuer zu erheben ist. Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG garantiert den Gemeinden
das Recht, unter anderem die Hebesätze für die Grundsteuer im Rahmen der
Gesetze festzusetzen. In Übereinstimmung damit ermächtigt § 25 Abs. 1 GrStG die
Gemeinden, zu bestimmen, mit welchem Hundertsatz des Steuermessbetrags die
Grundsteuer zu erheben ist.
Jenseits dieser beiden Kompetenzen der Gemeinden im Bereich der Grundsteuer
ist deren Erhebung bundeseinheitlich bisher im Einzelnen durch das
Grundsteuergesetz geregelt. Soweit der Bund insoweit Regelungen trifft, ist er im
Rahmen seiner Regelungen auch an Art. 3 Abs. 1 GG gebunden. Dies gilt auch für
die Bewertungsgrundlage der Grundsteuererhebung. Die Bewertung des
Grundbesitzes ist im Bewertungsgesetz bundeseinheitlich für die Grundsteuer
festgelegt.
Eigene
Hoheitsbefugnisse
und
insbesondere
eigene
Regelungsspielräume, aus denen sich eine Beschränkung der Gleichheitsbindung
auf die Gemeindeebene ergeben könnte, bestehen für die Gemeinden insoweit
nicht. Sie ergeben sich auch nicht daraus, dass das Aufkommen aus der
Grundsteuer nach Art. 106 Abs. 6 Satz 1 GG den Gemeinden zufließt. An der
bundesweiten Bindung der gegenwärtig geltenden bundesgesetzlichen Regelungen
der Einheitsbewertung an den Gleichheitssatz ändert dies nichts (ebenso BVerfGE
21, 54 <68> zu der damals den Gemeinden vorbehaltenen Entscheidung, ob und in
welcher Höhe eine Lohnsummensteuer erhoben werden solle).
2. Die Aussetzung einer erneuten Hauptfeststellung der Einheitsbewertung über
einen langen Zeitraum führt systembedingt in erheblichem Umfang zu
Ungleichbehandlungen durch ungleiche Bewertungsergebnisse (a). Infolge der
Anknüpfung an die Wertverhältnisse zum 1. Januar 1964 spiegeln sich die
wertverzerrenden Auswirkungen des überlangen Hauptfeststellungszeitraums in
den einzelnen Bewertungselementen sowohl des Ertragswert- wie auch des
Sachwertverfahrens wider (b).
a) aa) Das System der Einheitsbewertung für Grundbesitz ist davon geprägt, dass
in regelmäßigen Zeitabständen eine allgemeine Wertfeststellung (Hauptfeststellung)
stattfindet. Diese Hauptfeststellung soll gemäß § 21 Abs. 1 BewG alle sechs Jahre
für bebaute und unbebaute Grundstücke nach den Regeln der §§ 68 ff. BewG
erfolgen. Ziel der Bewertungsregeln ist es, Einheitswerte zu ermitteln, die dem
Verkehrswert der Grundstücke zumindest nahe kommen (so die Begründung des
Regierungsentwurfs zum Bewertungsänderungsgesetz von 1965, BTDrucks
IV/1488, S. 31). Das steht im Einklang mit dem in § 9 Abs. 1 BewG beschriebenen
allgemeinen Ziel des Bewertungsgesetzes, bei Bewertungen den gemeinen Wert
des Wirtschaftsguts zugrundezulegen. Dass das Bewertungsgesetz auch für die
Einheitsbewertung unbebauter und bebauter Grundstücke den jeweiligen
Verkehrswerten möglichst nahekommende Ergebnisse anstrebt, ist weitgehend
unbestritten (vgl. BFHE 134, 41 <45>; BFH, Beschluss vom 30. Januar 2004 - II B
105/02 -, juris, Rn. 6; ebenso der Bundesfinanzhof in den Vorlagebeschlüssen, vgl.
105
106
107
etwa BFH, Beschluss vom 22. Oktober 2014 - II R 16/13 -, BFHE 247, 150 <160 f.
Rn. 52> in dem Verfahren 1 BvL 11/14). Der Verkehrswert ist danach in diesem
System
Hinblick auf Art und Umfang etwaiger Abweichungen zur Beurteilung einer
gleichheitsgerechten Besteuerung messen lassen müssen.
bb) Die im Gesetz vorgesehene periodische Wiederholung der Hauptfeststellung
ist zentral für das vom Gesetzgeber selbst so gestaltete Bewertungssystem. Ihm
liegt der Gedanke zugrunde, dass die den Verkehrswert der Grundstücke
bestimmenden Verhältnisse einheitlich zum Zeitpunkt der Hauptfeststellung
möglichst realitätsnah abgebildet werden. Da diese Verhältnisse während der
folgenden
Jahre
eines
Hauptfeststellungszeitraums
typischerweise
verkehrswertrelevanten Veränderungen unterliegen, bedarf es in regelmäßigen und
nicht zu weit auseinander liegenden Abständen einer neuen Hauptfeststellung. Auch
in der Zeit zwischen zwei Hauptfeststellungen sieht das System der
Einheitsbewertung nach seiner ursprünglichen Konzeption vor, durch
Wertfortschreibungen (§ 22 BewG) und durch Nachfeststellungen (§ 23 BewG) auf
zwischenzeitlich wesentliche Veränderungen des Grundstückswertes zu reagieren.
Im Übrigen bleiben Wertveränderungen bis zur nächsten Hauptfeststellung
unberücksichtigt; die damit verbundenen Ungleichbehandlungen werden bewusst
hingenommen.
cc) Regelmäßige Neufeststellungen sind wesentlich für die Funktionsfähigkeit
dieses Bewertungssystems. Je länger ein Hauptfeststellungszeitraum über die
ursprünglich vorgesehenen sechs Jahre hinaus andauert, desto größer im Einzelfall
und umfangreicher in der Gesamtzahl werden zwangsläufig die Abweichungen
zwischen
dem
tatsächlichen
Verkehrswert
und
den
auf
den
Hauptfeststellungszeitpunkt bezogenen Einheitswerten der Grundstücke. Denn die
vom Bewertungsgesetz (vgl. die Vervielfältiger in § 80 BewG und hierzu die
Bewertungstabellen in den Anlagen 3-8) sowie in den Richtlinien für die Bewertung
des Grundvermögens vom 19. September 1966 (BStBl I S. 890) zur Verfügung
gestellten Bewertungsparameter knüpfen an Kriterien an, die die Werthaltigkeit von
Gebäuden und Grundstücken zum 1. Januar 1964 zum Ausdruck bringen. Spätere
Veränderungen in den Wertverhältnissen etwa in der Werthaltigkeit der
Grundstückslage durch Veränderungen der Umgebung, beispielsweise durch
Eingemeindungen oder das Näherrücken von Infrastrukturprojekten, oder in den
Altersunterschieden von Gebäuden finden nach der letzten Hauptfeststellung keine
Berücksichtigung (näher dazu unten b). Auch die Weiterentwicklung der im
Ertragswertverfahren relevanten Mietspiegel bleibt unberücksichtigt. Dies führt
notwendig zu Wertverzerrungen zwischen solchen Wirtschaftseinheiten, bei denen
die auf 1964 zugeschnittene Konzeption der Einheitsbewertung auch zu einem
späteren Zeitpunkt noch zutrifft und die so zu einem dem Verkehrswert jedenfalls
linear angenäherten Ergebnis gelangen, und solchen, bei denen Wertveränderungen
eingetreten sind, die auch durch Wertfortschreibung oder Nachfeststellung nicht
erfasst werden, weil die dafür maßgeblichen Faktoren von der Einheitsbewertung
nicht abgebildet werden.
dd) Der Gesetzgeber hat den Zyklus der periodischen Wiederholung von
Hauptfeststellungen, nachdem er ihn erst durch das Bewertungsänderungsgesetz
108
109
110
1965 wieder aufgenommen hatte (zu der vorherigen Entwicklung seit 1925 vgl. die
Darstellung in BVerfGE 93, 121 <144 f.>), nach der darin auf den 1. Januar 1964
bezogenen Hauptfeststellung ausgesetzt und seither nicht mehr fortgeführt. Art. 2
Abs. 1 des Bewertungsänderungsgesetzes 1965 bestimmte die nachfolgende
Hauptfeststellung - abweichend von dem damals neu gefassten § 21 Abs. 1 Nr. 1
BewG - zunächst auf den Beginn des Kalenderjahres 1971. Der Besteuerung
zugrunde gelegt wurden die neuen Einheitswerte dann allerdings erst ab 1. Januar
1974 (Art. 1 BewÄndG 1971). Das Gesetz vom 22. Juli 1970 hat Art. 2 Abs. 1
Satz 3 BewÄndG 1965 neu gefasst und angeordnet, dass der Zeitpunkt der auf die
Hauptfeststellung 1964 folgenden nächsten Hauptfeststellung der Einheitswerte des
Grundbesitzes durch besonderes Gesetz bestimmt wird. Ein solches Gesetz ist bis
heute nicht verabschiedet worden (auch hierzu vgl. BVerfGE 93, 121 <144 f.>).
Die seither andauernde Aussetzung der erforderlichen Hauptfeststellung führt in
zunehmendem Maße zu Wertverzerrungen innerhalb des Bereichs bebauter und
unbebauter Grundstücke. Das ergibt sich als zwangsläufige Folge aus dem
geltenden Bewertungssystem (vorstehend cc). Es entspricht im Übrigen auch den
Erkenntnissen des vorlegenden Bundesfinanzhofs und wird weder vom
Bundesministerium der Finanzen, das von „möglichen“ Wertverzerrungen spricht,
noch von den anderen an den vorliegenden Verfahren Beteiligten und den
sachkundigen Dritten bestritten.
ee) Dabei ist hier eine Auseinanderentwicklung zwischen Verkehrswert und
festgestelltem Einheitswert für sich genommen verfassungsrechtlich nicht
bedenklich. Würden die Einheitswerte in allen Fällen gleichmäßig hinter steigenden
Verkehrswerten zurückbleiben, führte dies allein zu keiner verfassungsrechtlich
relevanten Ungleichbehandlung, da das Niveau der Einheitswerte untereinander in
Relation zum Verkehrswert gleich bliebe. Insofern liegen die Verhältnisse bei der
Bewertung nur einer Art von Vermögensgegenständen - hier von Grundstücken -
anders als in den Fällen der Vermögensteuer und der Erbschaftsteuer. Während es
dort um die Vergleichbarkeit ganz verschiedenartiger, nach unterschiedlichen
Maßstäben zu bewertender Wirtschaftsgüter ging (vgl. dazu BVerfGE 93, 121 <122
ff., 128, 146 f.>; 117, 1 <68 f.>), ist dies bei den hier vorgelegten Normen der
Einheitsbewertung für Grundvermögen nicht der Fall. Es geht vielmehr durchgängig
um den Wert von bebauten und unbebauten Grundstücken. Die zu erwartenden und
unbestritten auch in erheblichem Umfang eingetretenen Unterschiede in der
Einheitsbewertung
betreffen
also
nicht
Wertdifferenzen
zu
anderen
Vermögensarten. Sie sind Ausdruck von Wertverzerrungen innerhalb derselben
Vermögensart. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür und wird auch weder von der
Bundesregierung noch von den Ländern behauptet, dass sich die durch den
Verzicht auf regelmäßige Hauptfeststellungen zwangsläufig zunehmenden
Wertverzerrungen in einer gleichmäßigen Relation zum Verkehrswert bewegten.
b) Die nach dem Bewertungsgesetz für die Einheitsbewertung maßgeblichen
Bewertungsparameter sind nicht in der Lage, diese Wertveränderungen abzubilden,
wenn die Wertbestimmung auf den ursprünglichen Hauptfeststellungszeitpunkt
bezogen bleibt. Dies führt zu jeweils gravierenden Ungleichbehandlungen im
Ertragswertverfahren (aa) wie auch im Sachwertverfahren (bb)
.
aa) Das als Regelbewertungsverfahren heranzuziehende Ertragswertverfahren
111
112
113
aa) Das als Regelbewertungsverfahren heranzuziehende Ertragswertverfahren
beruht gemäß § 78 Satz 2 BewG auf der Multiplikation des für das zu bewertende
Grundstück maßgeblichen Mietertrags (nachfolgend 1) mit einem bestimmten
Vervielfältiger (nachfolgend 2). Beide Faktoren knüpfen nach ihrer gesetzlichen
Ausgestaltung an die Wertverhältnisse im Hauptfeststellungszeitpunkt an.
Gemessen an den jeweiligen Verkehrswerten der Grundstücke führt dies
zwangsläufig und mit zunehmender Dauer typischerweise zu immer stärkeren
Verzerrungen der Einheitswerte.
(1) Die maßgebliche Jahresrohmiete richtet sich gemäß § 79 Abs. 1 BewG
vorrangig nach der für das Grundstück aufgrund vertraglicher Vereinbarungen im
Hauptfeststellungszeitpunkt gezahlten tatsächlichen Miete. Unmittelbar anwendbar
ist diese Vorgabe nur für Grundstücke, die im Hauptfeststellungszeitpunkt am
1. Januar 1964 bereits vermietet waren. Andernfalls bestimmt sich die
Jahresrohmiete gemäß § 79 Abs. 2 BewG nach der üblichen Miete. Je weiter der
Hauptfeststellungszeitpunkt zurückliegt, desto weniger Gebäude werden sich
finden, für die sich im Jahre 1964 gezahlte Mieten feststellen lassen. Entsprechend
geringere Bedeutung kommt der tatsächlich vereinbarten Miete im Sinne des § 79
Abs. 1 BewG zu. Es ist stattdessen zunehmend auf die 1964 übliche Miete gemäß
§ 79 Abs. 2 BewG abzustellen (Gürsching/Stenger, Bewertungsrecht, Stand
Oktober 2017, § 79 BewG Rn. 2.1; Kreutziger/Schaffner/Stephany,
Bewertungsgesetz, 3. Auflage 2013, § 79 BewG Rn. 23). Dies gilt erst recht für
Fortschreibungen und Nachfeststellungen auf aktuelle Stichtage, für die gleichfalls
die Wertverhältnisse im Hauptfeststellungszeitpunkt maßgeblich sind (§§ 27, 79
Abs. 5 BewG). Nach den Feststellungen des Bundesfinanzhofs waren im Jahr 2011
von den insgesamt in Deutschland vorhandenen Wohnungen mehr als die Hälfte
des Gesamtbestandes nach dem Hauptfeststellungszeitpunkt 1. Januar 1964
errichtet worden (vgl. Vorlagebeschlüsse II R 16/13, juris, Rn. 70 im Verfahren
1 BvL 11/14 und II R 37/14, juris, Rn. 68 im Verfahren 1 BvL 12/14). Für Gebäude,
die nach dem 1. Januar 1964 errichtet oder tatsächlich verändert worden sind, sind
ausgehend von ihrem tatsächlichen Zustand im Nachfeststellungs- oder
Fortschreibungszeitpunkt gemäß § 79 Abs. 5 BewG für die Höhe der Miete
gleichfalls die Wertverhältnisse im Hauptfeststellungszeitpunkt 1. Januar 1964
maßgeblich. Damit ist auch in diesen Fällen regelmäßig die damals übliche Miete
heranzuziehen (Gürsching/Stenger, a.a.O., § 79 BewG Rn. 51; Rössler/Troll,
Bewertungsgesetz, Stand Oktober 2017, § 79 BewG Rn. 101). Das entspricht der
Regelungskonzeption der Einheitsbewertung, innerhalb eines laufenden - freilich
nach
der
Ursprungsidee
auf
sechs
Jahre
beschränkten
-
Hauptfeststellungszeitraums der Wertermittlung ein gleichbleibendes Miet- und
Preisniveau zugrunde zu legen, um eine gleichmäßige Besteuerung zu
gewährleisten
(so
die
Begründung
des
Regierungsentwurfs
zum
Bewertungsänderungsgesetz von 1965 zu § 27 BewG, BTDrucks IV/1488, S. 39).
Die übliche Miete ist nach § 79 Abs. 2 Satz 2 BewG in Anlehnung an die
Jahresrohmiete zu schätzen. Dies geschieht regelmäßig anhand von Mietspiegeln,
die von der Finanzverwaltung zum 1. Januar 1964 aufgestellt wurden und in
ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs als geeignete Grundlage für die
Schätzung der nach § 79 Abs. 2 Satz 2, Abs. 5 BewG maßgeblichen üblichen Miete
des Jahres 1964 anerkannt werden (BFHE 188, 425 <428> m.w.N.).
114
115
116
Weil der Hauptfeststellungszeitraum nach wie vor seit 1964 läuft, bleiben die
Mieten der Mietspiegel zum 1. Januar 1964 weiterhin, auch bei zwischenzeitlich
veränderten Wertverhältnissen, maßgeblich. Damit bieten die Mietspiegel
mittlerweile keine hinreichend objektivierbaren Schätzungsgrundlagen mehr. Je
weiter der Hauptfeststellungszeitpunkt zurückliegt und je mehr deshalb neue
Gebäude in anderer Bauweise und Ausstattung als 1964 errichtet werden, desto
mehr führt die Anwendung der Mietspiegel für 1964 nicht nur zu veralteten, sondern
auch zu nicht relationsgerechten Mietansätzen. So können etwa Veränderungen am
oder im Gebäude den Verkehrswert beeinflussen (nachfolgend (a)), aber auch
äußere, strukturbedingte Umstände (nachfolgend (b)) oder mietrechtliche Bindungen
(nachfolgend (c)) wertbestimmend sein, jeweils ohne im Einheitswert angemessen
Berücksichtigung zu finden. Abhängig von Art und Ausmaß im jeweiligen Einzelfall
bewirken derartige Wertveränderungen nicht lediglich eine gleichmäßige und
generelle Unterbewertung von Grundstücken. Sie führen vielmehr zu zunehmend
gravierenderen Wertverzerrungen und damit zu Ungleichbehandlungen innerhalb
derselben Vermögensart.
(a) Die Beurteilung der baulichen Ausstattung von Grundstücken nach den
geltenden Mietspiegeln (regelmäßig einfach/mittel/gut/sehr gut) hat erheblichen
Einfluss auf die Höhe des Einheitswerts. Wie der Bundesfinanzhof anhand
beigezogener Mietspiegel der Städte München und Berlin und der darin breit
bemessenen Mietpreisspannen festgestellt hat, kommt der Ausstattung einer
Wohnung oder eines Gebäudes maßgebliche ertragswertrelevante Bedeutung zu
(vgl. die Vorlagebeschlüsse II R 16/13, juris, Rn. 69 und II R 37/14, juris, Rn. 67).
Die einzelnen Ausstattungsgruppen bilden systembedingt die Verhältnisse am
1. Januar 1964 ab und sind offenkundig in keiner Weise mehr vergleichbar mit
heutigen Standards. Damals wertbildende Faktoren, wie etwa eine zentrale
Warmwasserversorgung oder Isolierverglasung, welche die Einordnung in höhere
Ausstattungsgruppen rechtfertigten, zählen heute zur durchschnittlichen
Standardausstattung. Dies wird regelmäßig dazu führen, dass aus heutiger Sicht
nur mit durchschnittlichem Standard ausgestattete Wohnungen gemessen an den
Wertmaßstäben des Jahres 1964 höher eingestuft werden. So bleibt kein Raum zur
Differenzierung bei heute maßgeblichen wertbildenden Faktoren mit der Folge, dass
höchst ungleich ausgestattete Grundstücke gleich bewertet werden, obwohl nach
der Logik der Mietspiegel eigentlich eine Abstufung vorgenommen werden müsste,
wie sie auch in den Mietpreisspannen heutiger Mietspiegel zum Ausdruck kommt.
Die Anknüpfung an die früheren Wertverhältnisse bewirkt aber auch - worauf das
vorlegende Gericht zutreffend hinweist -, dass heute maßgebliche Eigenschaften
und Ausstattungsmerkmale nicht oder nur unzureichend im Einheitswert abgebildet
werden können, weil sie in den auf 1964 bezogenen Mietspiegeln vielfach nicht oder
nicht in angemessener Gewichtung Berücksichtigung finden. So verbessert eine
nachträgliche Anpassung an moderne Ausstattungsstandards bei älteren, schon
nach den Maßstäben von 1964 gut ausgestatteten Objekten zwar den tatsächlichen
Zustand und führt zu einer Erhöhung des Verkehrswerts. Ein höherer Einheitswert
hingegen kann systembedingt regelmäßig nicht festgestellt werden, weil bereits mit
der früheren Ausstattung dieselbe Ausstattungsklasse erreicht war (vgl. die
Vorlagebeschlüsse II R 16/13, juris, Rn. 69 und II R 37/14, juris, Rn. 67).
117
118
119
120
Auch bei der Bewertung renovierter Gebäude oder gar von Neubauten ist mithin
nach der geltenden Rechtslage auf die Spiegelmieten aus dem Jahre 1964
abzustellen. Dies wiederum bedeutet auch, dass ein Neubau mit gehobener
Ausstattung mit der gleichen Ausstattungsklasse in die Berechnung der
Jahresrohmiete eingeht, wie beispielsweise eine bereits 1964 nach den damals
maßgeblichen Ausstattungsmerkmalen als sehr gut einzuschätzende Wohnung,
obwohl der für den Neubau zu erzielende Mietzins weit über dem für den Altbau
liegen wird. Dieses Fehlen der Erfassung heutiger Ertragsfaktoren führt umso mehr
zu einer Erweiterung und Vertiefung der Wertverzerrungen, je weiter der
Hauptfeststellungszeitraum voranschreitet.
(b) Veränderungen etwa in der Lage oder der strukturellen Anbindung der
Grundstücke können ebenfalls zu beachtlichen Änderungen ihres Verkehrswerts
führen. Hier liegt ein weiterer Grund für Wertverzerrungen, da auch diese Art von
Wertveränderungen keine Berücksichtigung in der geltenden Einheitsbewertung
findet. Denn zu den auf den 1. Januar 1964 bezogenen Wertverhältnissen zählen
nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs gerade auch die allgemeinen
politischen, wirtschaftlichen und infrastrukturellen Verhältnisse, die sich in dem
allgemeinen
Markt-
und
Preisniveau
im
Hauptfeststellungszeitpunkt
niedergeschlagen haben (vgl. die Vorlagebeschlüsse II R 16/13, juris, Rn. 27 ff., 72
und II R 37/14, juris, Rn. 25 ff., 70, jew. m.w.N.). Ebenso haben veränderte
Bedingungen am Wohnungsmarkt - der Bundesfinanzhof nennt als Beispiele die
verstärkte Nachfrage nach kleineren Wohnungen und nach sanierten
Altbauwohnungen in zentraler innerstädtischer Lage - zwar Auswirkungen auf den
Verkehrswert der entsprechenden Objekte, nicht jedoch auf den Einheitswert.
Entsprechendes gilt etwa auch für ein nach 1964 erfolgtes „Hineinwachsen“ in eine
attraktive Baulage, die zwar von erheblicher Bedeutung für den Verkehrswert eines
Grundstücks sein kann, aber ohne Einfluss auf den Einheitswert bleibt (zur
Abgrenzung zu wertrelevanten Mietänderungen, vgl. Rössler/Troll, a.a.O., § 79 Rn.
104 ff. m.w.N.).
(c) Zu den Wertverhältnissen gehören nach der im Verfahren der Normenkontrolle
grundsätzlich bindenden Auffassung der Fachgerichte schließlich auch Miet- und
Belegungsbindungen aufgrund einer öffentlichen Förderung des Wohnungsbaus
(Vorlagebeschluss vom 17. Dezember 2014 - II R 14/13 -, juris, Rn. 15 in dem
Verfahren 1 BvL 1/15 unter Bezugnahme auf die BFH-Urteile vom 26. Juli 1989 - II
R 65/86 -, BFHE 158, 87, und vom 5. Mai 1993 - II R 71/90 -). Die
ertragswertmindernden Auswirkungen von Mietpreisbindungen auf Grundlage nach
dem Hauptfeststellungszeitpunkt eingeführter Fördermaßnahmen haben nach dem
System der Einheitsbewertung entsprechend unberücksichtigt zu bleiben. Dies führt
zu Verwerfungen bei der Höhe der Einheitswerte, weil für öffentlich geförderte und
frei finanzierte, im Übrigen aber gleichwertige Wohnungen der gleiche Einheitswert
festzustellen ist, obwohl sie aufgrund der Zweckbindung einen ganz
unterschiedlichen Marktwert aufweisen.
(2) Die im Ertragswertverfahren gemäß § 80 BewG auf die Jahresrohmiete
anzuwendenden und aus den Anlagen 3-8 zum Bewertungsgesetz ersichtlichen
Vervielfältiger wurden ebenfalls nach den Verhältnissen des Jahres 1964 ermittelt
(vgl. Rössler/Troll, a.a.O., § 78 Rn. 9 ff. sowie BFHE 114, 108). Der Konzeption der
121
122
123
Vervielfältiger liegen Reinerträge zugrunde, die unter Berücksichtigung
pauschalierter Bewirtschaftungskosten und Bodenertragsanteile, aufgegliedert nach
Grundstücksarten, Baujahrgruppen und Gemeindegrößenklassen, ermittelt worden
sind. Die Vervielfältiger können dementsprechend unmittelbar auf die Roherträge
angewandt werden und sollen dabei zugleich die altersbedingten Unterschiede
zwischen Grund und Boden und Gebäude miterfassen. Die Anwendung der
Vervielfältiger führt durch den Rückbezug auf den Hauptfeststellungszeitpunkt
jedoch mit zunehmender Dauer des Hauptfeststellungszeitraums zu
weitreichenden, strukturell unvermeidlichen Wertverzerrungen (vgl. Gutachten des
Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen aus dem Jahr
1989, Die Einheitsbewertung in der Bundesrepublik Deutschland - Mängel und
Alternativen -, S. 9). Die veralteten Vervielfältiger bilden beispielsweise weder die
fortschreitenden städtebaulichen Entwicklungen hinreichend ab (a) noch das Alter
von Gebäuden unterschiedlicher Baujahre (b).
(a) So führt die Regelung des § 80 Abs. 1 Satz 4 BewG, derzufolge
Umgemeindungen
nach
dem
Hauptfeststellungszeitpunkt
grundsätzlich
unbeachtlich bleiben, angesichts der Staffelung der Vervielfältiger nach
Gemeindegrößen zu evidenten Wertverzerrungen. Danach bleiben auch im Falle
von Um- und Eingemeindungen nach dem Hauptfeststellungszeitpunkt weiterhin die
ursprünglichen Einwohnerzahlen zum 1. Januar 1964 maßgebend (dazu
Gürsching/Stenger, a.a.O., § 80 Rn. 8). Überdies haben sich in den vergangenen
Jahrzehnten die Gemeindegrößen etwa durch Abwanderung aus den ländlichen
Gegenden, durch Neuentstehung von Ballungszentren oder durch Erweiterung um
Gewerbeflächen mitunter stark verändert. So werden auf zwei vergleichbare
Grundstücke, die sich in heute gleich werthaltiger Lage befinden und zu derselben
größeren Stadt gehören, unterschiedliche Vervielfältiger angewandt, wenn eines von
ihnen 1964 noch Teil einer eigenständigen, mittlerweile eingemeindeten kleinen
Gemeinde war. Derartige - unberücksichtigt bleibende - Veränderungen betreffen
sowohl die Verhältnisse innerhalb bestehender Gemeindebezirke, reichen jedoch
auch über die Gemeindegrenzen hinaus und beeinflussen so die Vergleichbarkeit zu
anderen Gemeinden.
(b) Das System der Einheitsbewertung führt aber auch unter dem Gesichtspunkt
des Alters eines Gebäudes im Ertragswertverfahren zu in sich erheblich
divergierenden Bewertungen. Denn die ertragswertmindernde Alterung eines
Gebäudes
bleibt
im
Wesentlichen
unberücksichtigt.
Sämtliche
im
Ertragswertverfahren zu bewertende Gebäude, die nach dem 20. Juni 1948
bezugsfertig errichtet worden sind, sind als Nachkriegsbauten der neuesten
Baujahrgruppe zuzuordnen. Dies hat zur Folge, dass beispielsweise ein im Jahr
2017 errichtetes Gebäude bei sonst vergleichbaren Umständen mit dem gleichen
Vervielfältiger anzusetzen ist wie ein Gebäude aus dem Jahr 1950.
bb) Gleichermaßen kann bei der Bewertung im Sachwertverfahren nach Maßgabe
der
Vorschriften
der
§§
83-90
BewG
infolge
des
überlangen
Hauptfeststellungszeitraums ein einheitliches Wertniveau innerhalb des
Grundvermögens nicht annähernd erreicht werden. Dies lässt sich insbesondere
feststellen bei der Ermittlung des Gebäudewerts nach § 85 Satz 1 und 2 BewG (1)
und der fehlenden Berücksichtigung einer Wertminderung wegen Alters nach dem
124
125
126
127
Hauptfeststellungszeitpunkt gemäß § 85 Satz 3 i.V.m. § 86 BewG (2).
(1) Die Ermittlung der Herstellungskosten zum Stand vom 1. Januar 1964, welche
die Grundlage des Gebäudewerts (§ 85 BewG) und des Werts der Außenanlagen (§
89 BewG) bilden, legt nach § 85 Satz 1 und 2 BewG zunächst die durchschnittlichen
Herstellungskosten nach den Baupreisverhältnissen des Jahres 1958 zugrunde; der
so gewonnene Wert ist dann nach den Baupreisverhältnissen im
Hauptfeststellungszeitpunkt umzurechnen. Dies geschieht mit Hilfe der Richtlinien
zur Bewertung des Grundvermögens. Aus den Anlagen 14-16 (zu Abschnitt 38 der
Richtlinien) ergeben sich die maßgeblichen Gebäudeklasseneinteilungen und
Raummeterpreise des Jahres 1958, umgerechnet auf den 1. Januar 1964. Im
Hinblick auf die vielfältigen Veränderungen und Weiterentwicklungen im Bauwesen,
auf die das vorlegende Gericht hinweist, können die Standards des Jahres 1958 für
die Bewertung neuerer und teilweise auch renovierter Gebäude weder eine
hinreichende Schätzungsgrundlage bilden noch in einer den verfassungsrechtlichen
Anforderungen genügenden Weise den typischen Fall abbilden.
Gleiches gilt für die Merkmale zur Beurteilung der baulichen Ausstattung eines
Gebäudes (einfach bis aufwendig) anhand der Anlage 13 der Richtlinien zur
Bewertung des Grundvermögens; nach Nr. 12 der Anlage 13 etwa gilt eine
thermostatgeregelte Warmwasserheizung mit flüssigen Brennstoffen oder Gas
bereits als sehr gute Ausstattung, mit einer Klimaanlage sind die Kriterien einer
aufwendigen Ausstattung erfüllt. Anlage 16 enthält einen weiter ausdifferenzierten
Berechnungsbogen zur Ermittlung des Raummeterpreises für Einfamilienhäuser
und Zweifamilienhäuser. Vergleichbar den Mietspiegeln im Ertragswertverfahren
bilden die Tabellen veraltete Ausstattungsstandards ab und können den heutigen
Verhältnissen nicht gerecht werden (vgl. die Vorlagebeschlüsse, juris, Rn. 68 in II R
16/13 und juris, Rn. 66 in II R 37/14). Dazu trägt auch die differenzierte
Beschreibung der einzelnen Merkmale bei, die weder die über Jahrzehnte hinweg
eingetretenen Weiterentwicklungen in Bau- und Ausstattungsmerkmalen noch den
Wandel in der Wertschätzung abzubilden vermögen.
(2) Die sich aus der Regelung des § 86 BewG zur Wertminderung wegen Alters
ergebenden Wertverzerrungen sind evident. Denn der anzusetzende Altersabschlag
bestimmt sich nach dem Alter des Gebäudes im Hauptfeststellungszeitpunkt. Die
Berücksichtigung später eintretender Alterswertminderungen ist sowohl bei am 1.
Januar 1964 bestehenden wie auch bei danach errichteten Gebäuden
ausgeschlossen.
3. Die aus der Überdehnung des Hauptfeststellungszeitraums folgenden
Wertverzerrungen bei der Einheitsbewertung des Grundvermögens führen zu
entsprechenden Ungleichbehandlungen bei der Erhebung der Grundsteuer; die
Vereinbarkeit dieser Ungleichbehandlungen mit Art. 3 Abs. 1 GG richtet sich nach
strengen Gleichheitsanforderungen (a). Eine ausreichende Rechtfertigung für diese
Ungleichbehandlungen ergibt sich weder allgemein aus dem Ziel der Vermeidung
allzu großen Verwaltungsaufwands (b) noch aus Gründen der Typisierung und
Pauschalierung (c). Das vielfach vorgebrachte Argument der Geringfügigkeit der
Grundsteuer trägt ebenso wenig (d) wie der Hinweis auf eine etwaige Kompensation
durch Nachfeststellungen und Wertfortschreibungen (e).
128
129
130
131
a) Die Wertverzerrungen bei der Einheitsbewertung treten flächendeckend,
zahlreich und auch in ihrem jeweiligen individuellen Ausmaß vielfach erheblich auf.
Das folgt zwangsläufig daraus, dass eine periodische Neubewertung seit
Jahrzehnten nicht erfolgt. Die erheblichen Bewertungsverzerrungen kommen
danach nicht nur in einzelnen Sonderfällen und auch nicht lediglich in spezifischen
Fallgruppen vor, sondern tendenziell flächendeckend und mit zunehmendem
Gewicht, je mehr sich durch die die ursprüngliche Bewertungskonzeption
aufgebende Ausdehnung des Hauptfeststellungszeitraums die tatsächlichen
Verhältnisse und die daran anknüpfenden Bewertungen von Grundstücken und
Gebäuden
in
einer
Weise
entwickeln,
die
von
den
auf
den
Hauptfeststellungszeitpunkt 1964 bezogenen Bewertungsparametern nicht mehr
abgebildet werden können. Diese Ungleichbehandlungen sind in der normativen
Struktur der Einheitsbewertung in ihrer heutigen Handhabung angelegt und von
solchem Ausmaß, dass sie eine strenge Prüfung ihrer Vereinbarkeit mit Art. 3 Abs.
1 GG verlangen.
b) Der Verzicht auf neue Hauptfeststellungen dient der Vermeidung eines
besonderen Verwaltungsaufwands (aa). Hierfür steht dem Gesetzgeber zwar ein
erheblicher Gestaltungsspielraum zur Verfügung (bb). Dieser deckt aber nicht die
Inkaufnahme eines dysfunktionalen Bewertungssystems (cc).
aa) Der Gesetzgeber hat mit der Aufhebung der auf den Beginn des
Kalenderjahres 1971 festgelegten nächsten Feststellung durch das Gesetz zur
Änderung und Ergänzung bewertungsrechtlicher Vorschriften und des
Einkommensteuergesetzes 1970 und durch das seitherige Unterlassen der
Festlegung eines neuen Hauptfeststellungszeitpunkts zwar die Ursache für die
nachfolgend zunehmenden Wertverzerrungen in der Einheitsbewertung gesetzt. Er
hat damit aber keinen Differenzierungszweck erkennen lassen, der auf seine
Tragfähigkeit zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlungen geprüft werden könnte.
Die hier maßgebliche Entscheidung des Gesetzgebers, die ursprünglich sechs
Jahre nach der Hauptfeststellung vom 1. Januar 1964 anstehende erneute
Hauptfeststellung zunächst kurzfristig zu verschieben und dann dauerhaft bis heute
auszusetzen, war und ist allerdings offensichtlich von dem Wunsch getragen, den
erneuten enormen Verwaltungsaufwand zu vermeiden, der sich bereits bei der in
den 1960er und 1970er Jahren durchgeführten Hauptfeststellung für 1964 gezeigt
hat. Dies haben Bund und Länder in den vorliegenden Verfahren bestätigt (vgl.
Gesetzentwurf zur Änderung des Bewertungsgesetzes vom September 2016,
BRDrucks 515/16, S. 36; vgl. auch BVerfGE 74, 182 <190>; ferner
Dickertmann/Pfeiffer, Einheitsbewertung - die verdrängte Reform -, StuW 1987, S.
259 <265>; Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen aus
dem Jahr 2010, Reform der Grundsteuer, S. 6; ähnlich bereits Wissenschaftlicher
Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, Die Einheitsbewertung in der
Bundesrepublik Deutschland - Mängel und Alternativen -, a.a.O., 1989, S. 23). Das
im Grundsatz legitime und im Falle der Einheitsbewertung offensichtlich auch
gewichtige Ziel der Verwaltungsvereinfachung erweist sich jedoch als nicht
hinreichend tragfähig, um das Hinausschieben einer neuen Hauptfeststellung um
Jahrzehnte zu rechtfertigen.
bb) Bei der Ausgestaltung von Regelungen zur Bestimmung der
132
133
134
Bemessungsgrundlage einer Steuer verfügt der Gesetzgeber über einen weiten
Spielraum. Dabei darf er sich in erheblichem Umfang auch von
Praktikabilitätserwägungen mit dem Ziel der Einfachheit der Steuerfestsetzung und
ihrer Erhebung leiten lassen. Dies gilt in besonderem Maße bei steuerlichen
Massenverfahren. Bei der Ausgestaltung des Systems zur Erfassung der
Bemessungsgrundlage kann der Gesetzgeber Praktikabilitätserwägungen Vorrang
vor Gesichtspunkten der Ermittlungsgenauigkeit einräumen und dabei auch
beträchtliche Bewertungs- und Ermittlungsunschärfen in Kauf nehmen, um die
Festsetzung und Erhebung der Steuer handhabbar zu halten (allgemein zur
Streubreite der Wertermittlung bei Grundstücken vgl. BVerfGE 117, 1 <45 ff.>
m.w.N.). Begrenzt wird sein Spielraum dadurch, dass die von ihm geschaffenen
Bemessungsregeln grundsätzlich in der Lage sein müssen, den mit der Steuer
verfolgten Belastungsgrund in der Relation realitätsgerecht abzubilden (vgl.
BVerfGE 93, 121 <136>; 93, 165 <172 f.>; 117, 1 <33>; 139, 285 <310 Rn. 73> jew.
m.w.N. sowie oben IV 1 c).
cc) Gemessen hieran rechtfertigt das Ziel der Verwaltungsvereinfachung die durch
die andauernde Aussetzung des Hauptfeststellungszeitpunkts verursachten
Wertverzerrungen nicht, selbst wenn man die damit erzielte Entlastungswirkung als
besonders hoch einschätzt. Der Verzicht auf regelmäßige Hauptfeststellungen in
wiederkehrenden Abständen von sechs Jahren ist nicht das Ergebnis einer
bewussten Vereinfachungsentscheidung des Gesetzgebers, die Elemente der
Einheitsbewertung im Sinne einer Verschlankung korrigiert und dabei auch
Einbußen an Detailgenauigkeit in Kauf nimmt. Mit diesem Verzicht bricht der
Gesetzgeber vielmehr ein zentrales Element aus dem System der
Einheitsbewertung heraus, das unverzichtbar zur Gewinnung in ihrer Relation
realitätsnaher Bewertungen ist (oben IV 2). Vereinfachungserwägungen können dies
nicht rechtfertigen.
Erweist sich eine gesetzliche Regelung als in substanziellem Umfang
grundsätzlich
gleichheitswidrig,
können
weder
ein
Höchstmaß
an
Verwaltungsvereinfachung noch die durch eine solche Vereinfachung weitaus
bessere
Kosten-/Nutzenrelation
zwischen
Erhebungsaufwand
und
Steueraufkommen dies auf Dauer rechtfertigen (zu der besonders ungünstigen
Kosten-/Nutzenrelation der Einheitsbewertung vgl. Stellungnahme des
Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen aus dem Jahr
2010, Reform der Grundsteuer, S. 6, sowie bspw. Bayerischer Oberster
Rechnungshof, Jahresbericht 2010, S. 102 ff., 105). Die Erkenntnis, eine in einem
Steuergesetz strukturell angelegte Ungleichbehandlung könne nicht mit
vertretbarem Verwaltungsaufwand beseitigt werden, darf nicht zur Tolerierung des
verfassungswidrigen Zustands führen.
Es ist unerheblich, ob der Gesetzgeber mit der Aussetzung der Hauptfeststellung
dieses Defizit bewusst in Kauf genommen oder ob er es lediglich nicht erkannt hat.
Entscheidend ist die objektive Dysfunktionalität der verbleibenden Regelung.
Danach kommt es auch nicht darauf an, ob das Unterlassen der Bestimmung eines
neuen Hauptfeststellungszeitpunkts lediglich als dauerhaftes Zuwarten innerhalb
des Systems periodischer Hauptfeststellungen zu verstehen ist oder als
konkludenter Ausdruck eines endgültigen Verzichts auf weitere Hauptfeststellungen
135
136
137
138
139
überhaupt. Selbst wenn man der zweiten, hier von der Bundesregierung vertretenen
Deutung folgen wollte, könnte die darin liegende Umdeutung des Systems der
periodisch aktualisierten Einheitsbewertung in ein solches gänzlich ohne periodische
Hauptfeststellungen die festgestellte Ungleichbehandlung nicht tragen. Denn der
Gesetzgeber hätte bei diesem Verständnis ein von vornherein imperfektes
Bewertungssystem geschaffen, das - wie gezeigt (oben 2 a, b) - auf Dauer wegen
der verbleibenden Anknüpfung an 1964 immer weniger in der Lage ist, in der
Relation realitätsgerechte Bewertungsergebnisse zu erzielen.
c) Gründe der Typisierung und Pauschalierung rechtfertigen ebenfalls nicht die
Aussetzung der Hauptfeststellung und ihre Folgen.
Allerdings darf der Steuergesetzgeber aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung
typisieren und dabei die Besonderheiten des einzelnen Falles vernachlässigen,
wenn die daraus erwachsenden Vorteile im rechten Verhältnis zu der mit der
Typisierung notwendig verbundenen Ungleichheit der steuerlichen Belastung
stehen, er sich realitätsgerecht am typischen Fall orientiert und ein vernünftiger,
einleuchtender Grund vorhanden ist (vgl. BVerfGE 137, 350 <375 f. Rn. 66>; 139,
285 <313 Rn. 77>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 29. März 2017
- 2 BvL 6/11 -, juris, Rn. 106 ff.; stRspr).
Diesen Anforderungen genügt das gegenwärtige System der Einheitsbewertung
nicht. Es orientiert sich mit dem Verzicht auf weitere Hauptfeststellungen nicht
realitätsgerecht am typischen Fall. Die Wertverzerrungen sind keineswegs auf
atypische Sonderfälle oder vernachlässigbare Korrekturen in Randbereichen
beschränkt. Sie betreffen vielmehr die Wertfeststellung im Kern, sind in weiten
Bereichen zum Regelfall geworden und nehmen mit der fortschreitenden Dauer des
Hauptfeststellungszeitraums an Zahl und Ausmaß zu (oben 2).
d) Weder eine gemessen am Verkehrswert generelle Unterbewertung des
Grundvermögens noch die vermeintlich absolut geringe Belastungswirkung der
Grundsteuer vermögen die Wertverzerrungen zu rechtfertigen.
aa) Es ist unbestritten, dass die Bewertungsregeln der Einheitsbewertung bei
bebauten Grundstücken sowohl nach dem Ertragswertverfahren wie auch -
allerdings regelmäßig in geringerem Maße - nach dem Sachwertverfahren zu einer
gemessen am Verkehrswert generellen Unterbewertung des Grundvermögens
führen (BVerfGE 93, 121 <146>; Jakob, Möglichkeiten einer Vereinfachung der
Bewertung des Grundbesitzes sowie Untersuchung einer befristeten Anwendung
von differenzierten Zuschlägen zu den Einheitswerten, BMF-Schriftenreihe Heft 48
(1992), S. 62 ff.; Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats beim
Bundesministerium der Finanzen, Reform der Grundsteuer, 2010, S. 1). Es kommt
hier jedoch nicht darauf an, in welcher Größenordnung und in welchen Bereichen
diese Unterbewertungen auftreten, denn sie stehen in keinem unmittelbaren
Ursachenzusammenhang mit den durch die Aussetzung der periodischen
Neufeststellungen entstehenden Wertverzerrungen zwischen den zu besteuernden
Grundstücken. Die danach rechtfertigungsbedürftigen Ungleichbehandlungen
betreffen nicht die generelle Unterbewertung von Grundvermögen, die ohnehin zu
keinen Nachteilen bei der Grundsteuerbelastung führen könnte. Vielmehr verschiebt
die Bewertung des Grundvermögens diese intern, weil die Veränderung der
140
141
142
143
144
Wertverhältnisse seit der Hauptfeststellung 1964, die zu je unterschiedlichen
Abweichungen von der Zielgröße Verkehrswert führen, in dem bestehenden
Bewertungssystem nicht abgebildet werden können.
bb) Die Bundesregierung hat sich in den vorliegenden Verfahren darauf gestützt,
dass die Wertverzerrungen mit Rücksicht auf die im Ergebnis nur geringen
Belastungswirkungen der Grundsteuer den Betroffenen zugemutet werden könnten.
Sie hat sich hierzu auf die frühere Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs berufen,
der noch in seinen Urteilen vom 30. Juni 2010 für Bewertungszeiträume bis 2007
unter anderem die geringe steuerliche Belastungswirkung der Grundsteuer zur
Begründung dafür herangezogen hat, dass die Einheitsbewertung trotz
Wertverzerrungen verfassungsrechtlich noch Bestand haben könne (vgl. etwa BFH
- II R 60/08 -, juris, Rn. 40).
Es mag zwar sein, dass bei einer absolut geringen Steuerbelastung Brüche und
Ungleichbehandlungen in den Randbereichen bei der Feststellung der
Bemessungsgrundlage mit entsprechenden Konsequenzen für die Bemessung der
Steuer eher rechtfertigungsfähig und hinnehmbar sind als bei Steuern mit hoher
Belastungswirkung. Das steuerliche Gleichbehandlungsgebot aus Art. 3 Abs. 1 GG
verlangt im Grundsatz jedoch auch bei geringen Steuerbelastungen Beachtung. Es
bedarf
hier
keiner
abschließenden
Entscheidung,
inwieweit
solche
Geringfügigkeitsargumente überhaupt verfassungsrechtlich tragfähig sind. Eine
substantielle und weit greifende Ungleichbehandlung wie bei den hier festgestellten
Wertverzerrungen
im
Kernbereich
einer
Steuererhebung
vermögen
Geringfügigkeitserwägungen jedenfalls nicht zu rechtfertigen. Es ist für die
verfassungsrechtliche
Beurteilung
von
Gleichheitsverstößen
in
der
Einheitsbewertung deshalb grundsätzlich auch ohne Belang, dass sie mittlerweile
wegen ihrer weitgehenden Begrenzung auf das Recht der Grundsteuer wesentlich
an allgemeiner Bedeutung verloren hat.
Im Übrigen handelt es sich bei der Grundsteuer auch in der Sache nicht um eine
Steuer im vernachlässigbaren Größenbereich. Dagegen spricht schon das
Gesamtaufkommen der Grundsteuer, das in den letzten Jahren kontinuierlich von
12 auf zuletzt knapp 14 Milliarden € angestiegen ist, und ihre erhebliche Bedeutung
für die Kommunen. Vor allem ist die Grundsteuer angesichts der heute üblichen
Höhe der kommunalen Hebesätze für Steuerpflichtige keineswegs unbedeutend,
zumal sie zeitlich unbegrenzt anfällt. Überdies kann sie jedenfalls nach geltender
Rechtslage auf Mieter umgelegt werden, so dass die Kosten im Ergebnis weithin bei
Personen anfallen, die selbst nicht Schuldner der Grundsteuer sind.
e) Die Wertverzerrungen können entgegen der Auffassung der Bundesregierung
und einiger Ländervertreter schließlich auch nicht durch Nachfeststellungen oder
Wertfortschreibungen (aa) und auch nicht durch Anpassungen der Grundsteuerhöhe
über die Hebesätze (bb) verfassungsrechtlich kompensiert werden.
aa) Durch Nachfeststellungen (§ 23 BewG) oder Wertfortschreibungen (§ 22
BewG) können die Finanzämter den nach dem Hauptfeststellungszeitpunkt
eingetretenen bewertungsrelevanten Veränderungen der tatsächlichen Verhältnisse
Rechnung tragen. Auf diese Weise können sie zwar der Gefahr eines
Vollzugsdefizits (unten 4) entgegenwirken. Dem Problem der Wertverzerrungen,
145
146
147
148
149
150
das aus der Bezugnahme der Wertverhältnisse auf den lange zurückliegenden
Hauptfeststellungszeitpunkt
von
Anfang
1964
resultiert,
kann
mit
Wertfortschreibungen und Nachfeststellungen allerdings nicht begegnet werden,
denn auch hierfür sind die Wertverhältnisse von 1964 zugrunde zu legen (§ 27
BewG).
bb) Der Gesetzgeber kann im bestehenden System der Grundsteuer deren
Gesamtniveau durch die Festsetzung des Steuermessbetrags (§§ 13 ff. GrStG)
beeinflussen; die Gemeinden haben einen entsprechenden Einfluss durch das
Recht, den Hebesatz für die Grundsteuer festzulegen (Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG;
§§ 25 f. GrStG). Beide Instrumente bestimmen das Niveau der Grundsteuer
insgesamt mit. Sie sind mit ihrem linearen und pauschalen Ansatz jedoch von
vornherein nicht geeignet, die divergierenden, nicht nach bestimmten
Grundbesitzarten gestaffelten Wertverzerrungen auszugleichen oder sonst zu
kompensieren.
4. Der Bundesfinanzhof hat in seinen Vorlagebeschlüssen nicht mehr hinnehmbare
Defizite beim Gesetzesvollzug beanstandet. Ob das Verfahren der
Einheitsbewertung an einem seine Verfassungswidrigkeit begründenden
strukturellen Vollzugsdefizit leidet (vgl. dazu BVerfGE 84, 239 <272>; 110, 94 <112
f.>), bedarf hier keiner Entscheidung, da die Verfassungswidrigkeit der Vorschriften
über die Einheitsbewertung von Grundvermögen im Ertragswert- wie auch im
Sachwertverfahren bereits aufgrund der Wertverzerrungen feststeht, die durch die
Aussetzung neuer Hauptfeststellungen verursacht werden und für die es keine
hinreichende Rechtfertigung gibt (oben 2 und 3).
5. Die Regelungen über die Einheitsbewertung von Grundvermögen nach dem
Ersten Abschnitt des Zweiten Teils des Bewertungsgesetzes verletzen in dem hier
überprüften Umfang (oben B IV 2 und unten C) Art. 3 Abs. 1 GG jedenfalls seit
Beginn des Jahres 2002.
a) In den Ausgangsverfahren zu den Vorlagen des Bundesfinanzhofs geht es um
Einheitsbewertungen für bebaute Grundstücke im Ertragswertverfahren auf den 1.
Januar 2008 und den 1. Januar 2009. Die Verfassungsbeschwerden (nachfolgend
C) wenden sich gegen Einheitsbewertungen für bebaute Grundstücke im
Sachwertverfahren zum 1. Januar 2006 und zum 1. Januar 2002.
Es bedarf hier keiner Entscheidung, ab welchem Zeitpunkt genau die Aussetzung
der periodischen Hauptfeststellungen zu Wertverzerrungen in einem solchen
Ausmaß geführt hat, dass die dadurch verursachten Ungleichbehandlungen auch
angesichts besonders großen Verwaltungsaufwands nicht mehr gerechtfertigt
werden konnten.
Jedenfalls seit dem in den hier vorliegenden Verfahren entscheidungserheblichen
Zeitpunkt, der am weitesten zurückliegt, dem 1. Januar 2002 (in der
Verfassungsbeschwerde 1 BvR 889/12), ist dies der Fall. Die oben (B IV 2 b)
dargelegten Beispiele evidenter Wertverzerrungen sind nicht auf die jüngste Dekade
beschränkt, sondern zeigen strukturelle Verwerfungen der Einheitsbewertung auf
(oben 2 a), die zwangsläufig schon relativ bald nach Überschreiten des ursprünglich
vorgesehenen 6-Jahres-Zyklus begonnen haben. Mit zunehmender Dauer des
151
152
153
154
Hauptfeststellungszeitraums wachsen Zahl und Ausmaß der Wertverzerrungen an,
da die Distanz zu dem in Bezug genommenen Hauptfeststellungszeitpunkt immer
größer wird und die Aussagekraft der wertbestimmenden Faktoren immer mehr
verblasst und an Realitätsnähe verliert. Die Veränderung der tatsächlichen
Verhältnisse verlangt mehr und mehr Wertfortschreibungen und Nachfeststellungen,
die wegen der je unterschiedlichen Entwicklungen der tatsächlichen
Rahmenbedingungen und der veralteten Wertbestimmungsfaktoren zu erheblichen
Wertverzerrungen führen (dazu oben B IV 2). Jedenfalls im Jahre 2002 und damit
nahezu 40 Jahre nach dem letzten Hauptfeststellungszeitpunkt und über 30 Jahre
nach der Durchführung der letzten Hauptfeststellung ist die Grenze hinnehmbarer
Ungleichbehandlung überschritten.
Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass erst nach dem Jahre 2002 spezifische
Veränderungen im Bauwesen oder auf dem Gebäude- oder Wohnungsmarkt
eingesetzt hätten, die damit deutlich später zu den Wertverzerrungen in einem
verfassungsrelevanten Ausmaß geführt hätten. Andere Rechtfertigungsgründe
(dazu oben 4), die die Einheitsbewertungen noch um das Jahr 2002, aber nicht
mehr danach hätten tragen können, sind nicht ersichtlich und wurden auch in der
mündlichen Verhandlung nicht erkennbar.
b) Dem Gesetzgeber ist hier auch keine längere Überlegungs- oder Reaktionsfrist
für die Festlegung eines neuen Hauptfeststellungszeitpunkts oder die Schaffung
einer Neuregelung zur Bewertung von Grundvermögen zuzubilligen, die über das
Jahr 2002 hinausreichte. Es lässt sich nicht allgemein festlegen, ob und inwieweit
dem Gesetzgeber eine Überlegungs- oder Reaktionsfrist beim „Hineinwachsen“ der
Rechtslage in die Verfassungswidrigkeit zusteht. Das hängt jeweils von den
Umständen des Einzelfalls ab (vgl. etwa BVerfGE 84, 239 <283 ff.>).
Jedenfalls zu Beginn des Jahres 2002 war eine solche Frist längst abgelaufen. Die
Entstehung strukturell bedingter Bewertungsverzerrungen bei Aufgabe des Prinzips
kurzfristig periodischer Neufeststellungen war von Beginn an absehbar. So hat die
Bundesregierung bereits im Jahre 1987 in ihrer Stellungnahme zu einer gegen das
Sachwertverfahren erhobenen Verfassungsbeschwerde ausgeführt, sie sei sich
bewusst, „dass die gegenwärtig noch geltenden Einheitswerte des Grundbesitzes
durch zeitnahe Werte ersetzt werden müssten, und bereite deshalb eine neue
Bewertung des Grundbesitzes vor“ (BVerfGE 74, 182 <189 f.>). Die
verfassungsrechtlichen Risiken des Hinauszögerns neuer Hauptfeststellungen
wurden zudem seit Jahrzehnten in der Literatur und in Rechtsschutzverfahren
diskutiert, so dass der Gesetzgeber auch deshalb nicht überrascht sein konnte (vgl.
bereits BVerfG, Beschluss vom 4. Juni 1976 - 1 BvR 360/74 -, NJW 1977, S. 429;
Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen,
Die Einheitsbewertung in der Bundesrepublik Deutschland - Mängel und Alternativen
-, a.a.O., S. 25 f.; Jakob, a.a.O., S. 210 ff.).
Auch die Wiedervereinigung Deutschlands verschafft dem Gesetzgeber bei der
Bewertung von Grundvermögen nicht ausnahmsweise eine verlängerte
Reaktionsfrist, die jedenfalls für die alten Länder ein Festhalten am
Hauptfeststellungszeitpunkt 1964 auch noch im Jahre 2002 gerechtfertigt hätte.
Gerade im Bereich der Grundstücksbewertung hat die Wiedervereinigung den
155
156
158
159
157
Gesetzgeber und die Finanzverwaltung zwar vor besondere Herausforderungen
gestellt, die dazu führten, dass in den neuen Ländern jedenfalls im Ausgangspunkt
vorläufig sogar an der Hauptfeststellung des Jahres 1935 festgehalten wurde (vgl.
Einigungsvertrag vom 31. August 1990, BGBl II, S. 889 <981 ff.>). Die unveränderte
Aussetzung einer Neufeststellung nach 1964 oder auch das Unterlassen einer
Neuregelung in den alten Ländern mehr als zehn Jahre nach der Wiedervereinigung
ist hierdurch jedoch nicht zu rechtfertigen.
c) Auch aus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ergeben sich keine
Gründe, die der Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Einheitsbewertung ab
Beginn des Jahres 2002 entgegenstehen.
Der Bundesfinanzhof hat allerdings in der Vergangenheit immer wieder die
Einheitsbewertung
trotz
des
jahrzehntelang
zurückliegenden
Hauptfeststellungszeitpunkts als noch verfassungsgemäß angesehen (vgl.
insbesondere BFH, Beschluss vom 8. Februar 2000 - II B 65/99 -, juris, Rn. 8, sowie
BFH, Urteile vom 2. Februar 2005 - II R 36/03 -, juris, Rn. 11; vom 21. Februar 2006
- II R 31/04 -, juris, Rn. 11; vom 30. Juli 2008 - II R 5/07 -, juris, Rn. 11; vom 4.
Februar 2010 - II R 1/09 -, juris, Rn. 9, und vom 6. Juli 2011 - II R 35/10 -, juris, Rn.
26). Insbesondere in seinen sogenannten Ankündigungsurteilen vom 30. Juni 2010
(II R 60/08, BFHE 230, 78 <84 Rn. 19> und II R 12/09, BFHE 230, 93 <94 f. Rn.
12>) hat er die Rechtslage für Stichtage bis zum 1. Januar 2007 ausdrücklich noch
nicht als verfassungswidrig beanstandet. Sachhaltige Gründe - etwa im
Zusammenhang mit Art und Ausmaß der Wertverzerrungen oder mit der
Vermeidung des besonderen Verwaltungsaufwands - dafür, warum die
Verfassungsmäßigkeit der Einheitsbewertung von Grundvermögen für Stichtage bis
zum 1. Januar 2007 noch zu bejahen, für Stichtage ab dem 1. Januar 2008
hingegen deren Verfassungswidrigkeit anzunehmen sei, hat der Bundesfinanzhof
jedoch weder in den genannten Ankündigungsurteilen noch in den hier
gegenständlichen Normenkontrollvorlagen vorgebracht. Dass seine allgemeine
Verweisung auf die mittlerweile im Wesentlichen auf die Grundsteuer beschränkte
Relevanz der Einheitswerte und die in absoluten Zahlen geringe Belastung durch die
Grundsteuer keine tragfähigen Argumente benennt, wurde bereits festgestellt (oben
B IV 3 c).
C.
Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig und begründet.
I.
1. Die Verfassungsbeschwerde 1 BvR 639/11 ist sachdienlich dahin auszulegen,
dass
sie
sich
allein
gegen
den
Einheitswertbescheid
und
die
Gerichtsentscheidungen wendet, soweit sie den Bescheid bestätigen, nicht aber
auch gegen den formal mit angegriffenen Grundsteuermessbescheid. Denn der
Einspruch hiergegen war bereits im Verwaltungsverfahren zurückgenommen
worden.
2. Die Verfassungsbeschwerde 1 BvR 889/12 ist im Ergebnis nur im Hinblick auf
die Rüge der Verfassungswidrigkeit der Einheitsbewertung des Grundvermögens
160
161
162
163
164
wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz zulässig. Soweit die
Beschwerdeführer
sich
gegen
die
Verfassungsmäßigkeit
des
Grundsteuermessbescheids wenden, entspricht ihr auf die Verletzung von Art. 2
Abs. 1, Art. 6 und Art. 14 GG gerichtetes Vorbringen nicht den
Darlegungsanforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG.
II.
Die in den beiden Ausgangsverfahren der Verfassungsbeschwerden angegriffenen
Einheitswertbescheide beruhen auf einem Bewertungsverfahren, das jedenfalls seit
Beginn des Jahres 2002, dem auch für die Verfassungsbeschwerden frühesten
maßgeblichen Zeitpunkt, nicht mehr mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar war. Die
Bescheide und die sie bestätigenden Gerichtsentscheidungen verletzen deshalb die
Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG.
Ob die angegriffenen Bescheide und Gerichtsentscheidungen daneben auch
deshalb nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sind, weil das Sachwert- und das
Ertragswertverfahren nach den §§ 76 ff. BewG typischerweise zu erheblich
unterschiedlichen
Bewertungsergebnissen
für
ein
und
denselben
Bewertungsgegenstand führen, bedarf daher keiner Entscheidung (s. dazu bereits
BVerfGE 74, 182). Die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Entscheidungen
wegen der nicht mehr hinnehmbaren Wertverzerrungen auch innerhalb der
jeweiligen Bewertungskategorie trägt die Feststellung des Verfassungsverstoßes
alleine.
D.
I.
Die vom Bundesfinanzhof vorgelegten Normen zur Einheitsbewertung bebauter
Grundstücke im Ertragswertverfahren sind mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar. Dies
betrifft die §§ 19, 20, 21, 22, 23, 27, 76 Abs. 1, § 79 Abs. 5, § 93 Abs. 1 Satz 2
BewG. Verfassungswidrig sind auch die in den Ausgangsverfahren zu den
Verfassungsbeschwerden erheblichen Bestimmungen zum Sachwertverfahren
(§ 76 Abs. 2 BewG), die ebenfalls wegen der Wertverzerrungen durch den
überlangen Hauptfeststellungszeitraum gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen (oben B
IV 2 b, 3).
Die beanstandeten Wertverzerrungen haben ihre Ursache vor allem in der
Aussetzung neuer Hauptfeststellungen und der daraus folgenden, seit Jahrzehnten
bestehenden Fixierung auf den Hauptfeststellungszeitpunkt vom 1. Januar 1964.
Diese Fixierung folgt aus Art. 2 Abs. 1 Satz 1 und 3 BewÄndG in der Fassung von
Art. 2 des Gesetzes vom 22. Juli 1970 (BGBl I S. 1118). Auch diese Bestimmungen
sind daher mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar.
II.
Die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG durch die genannten Normen zur
Einheitsbewertung führt nicht zu ihrer Nichtigkeit, sondern lediglich zur Feststellung
ihrer Unvereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz.
165
166
167
168
1. Die bloße Unvereinbarkeitserklärung einer verfassungswidrigen Norm ist
regelmäßig geboten, wenn der Gesetzgeber verschiedene Möglichkeiten hat, den
Verfassungsverstoß zu beseitigen. Das ist grundsätzlich bei Verletzungen des
Gleichheitssatzes der Fall. Stellt das Bundesverfassungsgericht die Unvereinbarkeit
einer Norm mit Art. 3 Abs. 1 GG fest, folgt daraus in der Regel die Verpflichtung des
Gesetzgebers, rückwirkend, bezogen auf den in der gerichtlichen Feststellung
genannten Zeitpunkt, die Rechtslage verfassungsgemäß umzugestalten. Hierzu
kann das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber eine Frist setzen (vgl.
BVerfGE 117, 1 <70>). Wird nicht, wie vorliegend, zugleich eine
Fortgeltungsanordnung getroffen, dürfen Gerichte und Verwaltungsbehörden die
Norm im Umfang der festgestellten Unvereinbarkeit nicht mehr anwenden, laufende
Verfahren sind auszusetzen (vgl. BVerfGE 138, 136 <249 Rn. 286> m.w.N.; 139,
285 <316 Rn. 88>).
2. Dem Gesetzgeber stehen hier vielfältige Möglichkeiten zur Schaffung eines
verfassungsgemäßen Zustandes zur Verfügung, die von der Reparatur der
beanstandeten Regelungen zur Einheitsbewertung bis zur völligen Neugestaltung
der Bewertungsvorschriften für eine im Grundgesetz als solcher vorgesehenen
Grundsteuer (Art. 106 Abs. 6 GG) reichen. Es verbleibt deshalb bei der Feststellung
der Verfassungswidrigkeit.
Der Gesetzgeber ist verpflichtet, die verfassungswidrige Rechtslage spätestens
bis zum 31. Dezember 2019 durch eine Neuregelung zu beseitigen. Damit bleibt
dem Gesetzgeber ein angemessener Zeitraum. In jahrzehntelangen
Reformbemühungen um die Grundsteuer wurden verschiedene Modelle erörtert und
durchgerechnet. In der vergangenen Legislaturperiode wurde mit Unterstützung
einer großen Mehrheit der Länder mit dem Kostenwertmodell ein konkreter
Gesetzentwurf zur Neuregelung der Bewertung des Grundbesitzes in den
Bundesrat eingebracht (BRDrucks 515/16 sowie oben A II), der allerdings der
Diskontinuität des Bundestages zum Opfer gefallen ist. Jedenfalls trifft den
Gesetzgeber die Notwendigkeit einer alsbaldigen Neuregelung nicht unvorbereitet.
Bei der Neuregelung verfügt der Gesetzgeber über einen weiten, vom
Bundesverfassungsgericht nur begrenzt überprüfbaren Spielraum zur Bestimmung
des Steuergegenstandes und des Steuersatzes (vgl. BVerfGE 138, 136 <181 Rn.
123, 131>; 139, 285 <309 f. Rn. 72> jew. m.w.N.; oben B IV 1 b). Damit liegt auch
die Gesamthöhe des mit der Steuer zu erzielenden Aufkommens völlig in der Hand
des Gesetzgebers. Belässt er es im Grundsatz bei der bisherigen Struktur von
Einheitsbewertung und Grundsteuer, kann das Steueraufkommen über den
Grundsteuermessbetrag durch den Gesetzgeber und über die Hebesätze durch die
Gemeinden bestimmt werden. Aber auch in einem anderen Modell bleibt es dem
Gesetzgeber und den nach dem Grundgesetz hebesatzberechtigten Gemeinden
(Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG) vorbehalten, die Steuerhöhe und damit den Umfang des
Steueraufkommens zu regeln. In keinem Fall wird das Gesamtaufkommen durch
die verfassungsrechtlichen Vorgaben für eine in der Relation realitätsgerechte
Bemessung der Besteuerungsgrundlagen vorbestimmt. Im Übrigen steht dem
Gesetzgeber auch bei den Regeln zur Erfassung der Bemessungsgrundlage ein
weiter Gestaltungsspielraum zu, der dadurch begrenzt ist, dass die
Bemessungsregeln den mit der Steuer verfolgten Belastungsgrund in der Relation
169
170
171
172
173
realitätsgerecht abbilden müssen (vgl. BVerfGE 93, 121 <136>; 93, 165 <172 f.>;
117, 1 <33>; 139, 285 <310 Rn. 73> jew. m.w.N.; oben B IV 1 c). Indes ist der
Gesetzgeber bei der Grundsteuer ebenso wenig wie bei anderen Steuern gehindert,
mithilfe des Steuerrechts außerfiskalische Förder- und Lenkungsziele zu verfolgen
(vgl. BVerfGE 138, 136 <181 Rn. 124> m.w.N.). Zudem verfügt der Gesetzgeber
gerade in Massenverfahren der vorliegenden Art über einen großen Typisierungs-
und Pauschalierungsspielraum (vgl. BVerfGE 139, 285 <313 Rn. 77> m.w.N.).
III.
Die Fortgeltung der beanstandeten Regelungen zur Einheitsbewertung wird bis
zum 31. Dezember 2019 sowie bis zu fünf Jahre nach der Verkündung einer
spätestens bis zum 31. Dezember 2019 getroffenen Neuregelung, längstens aber
bis zum 31. Dezember 2024 angeordnet.
1. Aus besonderem Grund, namentlich im Interesse einer verlässlichen Finanz-
und Haushaltsplanung und eines gleichmäßigen Verwaltungsvollzugs für Zeiträume
einer
weitgehend
schon
abgeschlossenen
Veranlagung,
hat
das
Bundesverfassungsgericht
wiederholt
die
weitere
Anwendbarkeit
verfassungswidriger Normen binnen der dem Gesetzgeber bis zu einer
Neuregelung gesetzten Frist oder spätestens bis zur Neuregelung für gerechtfertigt
erklärt (vgl. etwa BVerfGE 87, 153 <178>; 93, 121 <148 f.>; 123, 1 <38>; 125, 175
<258>; 138, 136 <251 Rn. 287>; 139, 285 <319 Rn. 89>). Ein solcher Grund ist
auch hier gegeben.
2. Die Fortgeltung der für verfassungswidrig befundenen Normen zur
Einheitsbewertung betrifft zunächst ausgehend vom Zeitpunkt der Verkündung
dieses Urteils die in der Vergangenheit festgestellten Einheitswerte und die darauf
beruhende Erhebung von Grundsteuer. Dafür sprechen die sonst drohenden
Vollzugsprobleme, wenn noch nicht bestandskräftige Einheitswertbescheide - und in
deren Folge auch die darauf beruhenden Grundsteuerbescheide (§ 175 AO) - in
einer angesichts der großen Zahl von Grundsteuerschuldnern aller Voraussicht
nach erheblichen Größenordnung aufgehoben oder geändert und zumindest zum
Teil rückabgewickelt werden müssten (vgl. ebenso BVerfGE 117, 1 <70>). Die
Probleme würden dadurch verschärft, dass die Aufarbeitung dieser Fälle erst nach
Inkrafttreten und Umsetzung der Neuregelung auf der Bewertungsebene und damit
erst viele Jahre nach Verkündung dieses Urteils (unten 3 und 4) erfolgen könnte.
Der Verwaltungsaufwand allein für die retrospektive Abwicklung noch offener Fälle
wäre danach höchstwahrscheinlich enorm. Die Hinnahme des Vollzugs von
Einheitswertbescheiden, die auf der Grundlage für verfassungswidrig befundener
Bewertungsregeln ergangen sind, ist auf der anderen Seite den Betroffenen auch
deshalb zumutbar, weil die Belastung mit einer Grundsteuer dem Grunde nach
durch die Verfassung legitimiert, „schon immer“ vorgesehen und deshalb von den
Grundbesitzern auch zu erwarten war und ist.
3. Die Fortgeltung der beanstandeten Regelungen ist zugleich in die Zukunft
gerichtet zunächst bis zum Ergehen einer Neuregelung, insoweit jedoch längstens
nur bis zum 31. Dezember 2019 anzuordnen.
Die weitere Anwendung der als verfassungswidrig erkannten Normen ist auch für
174
175
176
177
178
einen begrenzten Zeitraum in der Zukunft gerechtfertigt, weil ansonsten die
ernsthafte Gefahr bestünde, dass viele Gemeinden ohne die Einnahmen aus der
Grundsteuer in gravierende Haushaltsprobleme gerieten. Denn die Grundsteuer ist
von erheblicher finanzieller Bedeutung für die Kommunen. Sie stellt mit einem
jährlichen Aufkommen von in den letzten Jahren zwischen 13 und 14 Milliarden €
nach der Gewerbesteuer und dem Gemeindeanteil an der Einkommensteuer deren
drittgrößte Steuerquelle dar (Bundesministerium der Finanzen, Datensammlung zur
Steuerpolitik, Ausgabe 2016/2017, S. 15; Statistisches Bundesamt, Fachserie 14
Reihe 10.1 2016, S. 9). Die Grundsteuer ist auch deshalb von herausragender
Bedeutung für die Kommunen, weil ihr Aufkommen konjunkturunabhängig ist und
zudem durch das Hebesatzrecht der Gemeinden von ihnen in der Höhe gesteuert
werden kann.
Würde
die
Fortgeltung
nicht
angeordnet,
könnten
keine
neuen
Einheitswertbescheide mehr erlassen werden. Selbst die weitere Erhebung von
Grundsteuer auf der Grundlage schon bestandskräftiger, aber auf
verfassungswidrigen Normen beruhender Einheitswertbescheide wäre nicht
unproblematisch. Die Unanwendbarkeit der Einheitsbewertungsregeln würde dabei
im Ergebnis den gesamten Bereich der Grundsteuer betreffen. Denn von der
Verfassungswidrigkeit der hier beanstandeten Normen wären nicht nur die dort
angesprochenen bebauten Grundstücke im Grundvermögen in den alten Ländern
erfasst. Als Folge hiervon könnten auch im Übrigen - also insbesondere für den
Bereich der Land- und Forstwirtschaft in den alten Ländern und in den neuen
Ländern insgesamt - keine neuen Einheitswertfestsetzungen mehr getroffen
werden. Es wäre nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, insoweit Grundsteuer zu
erheben, für bebaute Grundstücke in den alten Ländern hingegen nicht (vgl. ebenso
BVerfGE 138, 136 <248 Rn. 283>).
Die
in
die
Zukunft
gerichtete
Fortgeltungsanordnung
ist
den
Grundsteuerschuldnern im Übrigen aus den gleichen Gründen (oben 2) zumutbar
wie die rückwirkende Fortgeltungsanordnung.
Die in die Zukunft gerichtete Anordnung der Fortgeltung gilt zunächst nur bis zum
Ergehen der Neuregelung, längstens bis zum Ablauf der dem Gesetzgeber zur
Neuregelung gesetzten Frist am 31. Dezember 2019. Angesichts der bereits
überlangen Dauer der Unvereinbarkeit der Regeln über die Einheitsbewertung mit
Art. 3 Abs. 1 GG ist keine Rechtfertigung dafür erkennbar, deren Fortgeltung
letztlich unbefristet auch über den 31. Dezember 2019 hinaus bis zu einer
tatsächlichen Neuregelung anzuordnen, falls der Gesetzgeber die gesetzte Frist
nicht einhält.
4. Die Anwendung der als unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG festgestellten
Bestimmungen der Einheitsbewertung ist schließlich, sobald der Gesetzgeber eine
Neuregelung getroffen hat, für weitere fünf Jahre nach Verkündung der Neuregelung
anzuordnen, längstens aber bis zum 31. Dezember 2024.
Diese nach Dauer und Struktur ungewöhnliche Fortgeltungsanordnung ist durch
die besonderen Sachgesetzlichkeiten der Grundsteuer geboten und von daher
ausnahmsweise gerechtfertigt. Bereits im Zusammenhang mit früheren
Bemühungen zur Reform der Grundsteuer wurde immer wieder auf den
179
180
181
außergewöhnlichen Umsetzungsaufwand im Hinblick auf Zeit und Personal
hingewiesen, den eine bundesweite Neubewertung aller Grundstücke verlangt (oben
B IV 3 b aa). Der von den Ländern Hessen und Niedersachsen im September 2016
in den Bundesrat eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Bewertungsgesetzes geht in seiner Begründung von etwa 35 Millionen
wirtschaftlicher Einheiten aus, die einer Neubewertung bedürften. Hierfür
veranschlagt der Entwurf in seiner Begründung für die automationstechnische
Umsetzung der Bewertungsverfahren einen Mindestzeitaufwand von sechs Jahren
ab Inkrafttreten des Gesetzes (BRDrucks 515/16, S. 35 f.). Im vorliegenden
Verfahren haben die Bundesregierung und zahlreiche Stellungnahmen
übereinstimmend ebenfalls den besonderen Umsetzungsaufwand insbesondere in
zeitlicher Hinsicht bei der Neubewertung betont und substantiiert begründet. Vor
diesem Hintergrund hält der Senat die Fortgeltung der alten Rechtslage für weitere
fünf Jahre geboten aber auch ausreichend, um im Falle einer Neuregelung die
dadurch geschaffenen Bewertungsbestimmungen umzusetzen und so während
dieser Zeit die ansonsten drohenden gravierenden Haushaltsprobleme (oben 3) zu
vermeiden. In diesem Zeitraum können Bund und Länder je nach Zuständigkeit
auch dafür Sorge tragen, dass die weitere Umsetzung einer Neuregelung auf der
Besteuerungsebene bereits innerhalb der Fünfjahresfrist vorbereitet wird. Denn die
Fortgeltungsanordnung
für
die
als
verfassungswidrig
festgestellten
Bewertungsregeln endet endgültig fünf Jahre nach Verkündung der Neuregelung
zum Bewertungsrecht, spätestens aber zum 31. Dezember 2024.
5. In Anbetracht der außergewöhnlich langen Fortgeltungsanordnung für an sich
verfassungswidrige Normen dürfen für Kalenderjahre nach Ende der Fortgeltung
selbst auf bestandskräftige Bescheide, die auf diesen Normen
Belastungen mehr gestützt werden. Dies gilt sowohl für die Frist zur Neuregelung
als auch für die folgende Frist zur Umsetzung.
IV.
Die Unvereinbarkeit der Vorschriften der Einheitsbewertung für Grundvermögen
zum Sachwertverfahren mit Art. 3 Abs. 1 GG führt in den
Verfassungsbeschwerdeverfahren zu der Feststellung, dass die Beschwerdeführer
in diesem Grundrecht verletzt werden, weil und soweit die zulässig angegriffenen
Behörden- und Gerichtsentscheidungen darauf beruhen. Wegen der
Fortgeltungsanordnung auch im Hinblick auf diese Vorschriften ergibt sich daraus
gleichwohl nicht die Aufhebung der angegriffenen Entscheidungen.
Die
Entscheidung
über
die
Auslagenerstattung
in
den
Verfassungsbeschwerdeverfahren beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Kirchhof
Eichberger
Masing
Paulus
Baer
Britz
Ott
Christ