Urteil des BVerfG vom 08.02.0199

Verfassungsbeschwerde betreffend einen Mietrechtsstreit erfolglos

Bundesverfassungsgericht
Sie sind hier:
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 1693/92 -
IM NAMEN DES VOLKES
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
1. des Herrn E...,
2. des Herrn W...
- Bevollmächtigter:
Rechtsanwalt Christoph Kremer, Eschersheimer Landstraße 69, Frankfurt am Main -
gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 14. Oktober 1992 - 19 U 108/87 -
hat das Bundesverfassungsgericht - Erster Senat - unter Mitwirkung
des Präsidenten Herzog,
der Richter Henschel,
Seidl,
Grimm,
Söllner,
Kühling
und der Richterin Seibert
am 8. Februar 1994 beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
G r ü n d e :
1
Die Verfassungsbeschwerde betrifft einen Mietrechtsstreit.
I.
2
Die Beschwerdeführer sind vor dem Landgericht von ihren früheren Vermietern auf Zahlung von Mietzins und Nebenkosten
in Höhe von insgesamt 8.600,13 DM nebst Zinsen verklagt worden. Der Abrechnungszeitraum erstreckte sich vom 1. Januar
1982 bis zum 15. November 1985, dem Tage des Auszugs der Beschwerdeführer. Diese behaupteten Mängel der vermieteten
Räume; deshalb könnten sie den Mietzins mindern. Die Nebenkosten seien aufgrund einer vertraglichen Regelung durch
monatliche Pauschalzahlungen abgegolten. Der mit den Klägern vereinbarte Mietzins sei überhöht; dies verstoße gegen
§ 5 WiStG.
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Das Landgericht gab der Klage im wesentlichen statt. Das Oberlandesgericht änderte dessen Entscheidung und verurteilte
die Beschwerdeführer, den Klägern 4.109,43 DM nebst Zinsen zu zahlen. Zwar sei möglicherweise nach § 29 a ZPO das
Amtsgericht sachlich zuständig gewesen. Darauf könne die Berufung gemäß § 10 ZPO jedoch nicht gestützt werden. Der
Mietvertrag habe Wohnräume und nicht gewerblich genutzte Räume zum Gegenstand gehabt. Die Beschwerdeführer seien
nicht verpflichtet, für 1982 den vereinbarten Mietzins von je 600 DM für Januar und Februar und von je 680 DM für die
restlichen Monate des Jahres zu zahlen. Nach den Feststellungen des eingeholten Sachverständigengutachtens habe der
ortsübliche Mietzins zum 1. Januar 1982 nur 3,95 DM/qm betragen. Rechne man einen Zuschlag von 20 vom Hundert hinzu,
gelange man zu 4,74 DM/qm. Damit sei die nach § 5 WiStG zulässige Grenze überschritten, denn die Parteien hätten einen
Mietzins von 5,37 DM/qm vereinbart. Das führe zur Teilnichtigkeit und infolgedessen dazu, daß nur ein Mietzins von 4,74
DM/qm geschuldet werde. Für die Zeit ab 1. Januar 1983 sei der unveränderte Mietzins dagegen mit § 5 WiStG vereinbar
gewesen. Den Klägern komme die jährliche Steigerung der ortsüblichen Entgelte zugute. Der vereinbarte Mietzins
überschreite die 20 vom Hundert darüber liegende Wesentlichkeitsgrenze nicht mehr. Den danach geschuldeten Mietzins
könnten die Beschwerdeführer wegen Geräuschbelästigungen um 10 vom Hundert mindern. Die übrigen von ihnen gerügten
Mängel rechtfertigten keine weitere Minderung.
II.
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1. Mit ihrer gegen das Urteil des Oberlandesgerichts eingelegten Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer:
5
a) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sei verletzt, weil das Oberlandesgericht sich trotz § 10 ZPO nicht als der gesetzliche Richter
habe ansehen dürfen. Obwohl ein Wohnraummietverhältnis vorgelegen habe und es um eine Frage grundsätzlicher
Bedeutung gegangen sei, habe ein Rechtsentscheidsverfahren nach § 541 ZPO nicht stattgefunden.
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b) Das Urteil verstoße gegen Art. 103 Abs. 1 GG, weil das Oberlandesgericht Vortrag zu weiteren Mängeln übergangen habe
und Beweisantritten nicht nachgegangen sei. Ohne den erforderlichen Hinweis und deshalb für sie überraschend laste es
ihnen ferner an, sie hätten keinen Beweis für die behauptete Vereinbarung angetreten, daß es mit der Zahlung der 200 DM
auf die Nebenkosten sein Bewenden haben solle.
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c) Schließlich verletze die Entscheidung Art. 3 Abs. 1 GG. Das Oberlandesgericht habe den Betrag des zu zahlenden
Mietzinses zu hoch angesetzt. Die Steigerung der Vergleichsmieten dürfe ihnen nicht entgegengehalten werden. Andernfalls
könnten die Kläger einen 20 vom Hundert über der jeweiligen Vergleichsmiete liegenden Mietzins behalten und würden
damit besser als der rechtstreue Vermieter gestellt, ohne sich je mit einem Mieterhöhungsverfahren belastet zu haben.
Dadurch werde den Beschwerdeführern der formelle und materielle Schutz des § 2 MHG vorenthalten. Auf diese Weise
würden sie als Opfer des durch § 5 WiStG verbotenen Sozialwuchers schlechter als die Mieter gestellt, die nur den
Vergleichsmietzins geschuldet hätten.
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Es verstoße auch gegen das Willkürverbot, in den Fällen des § 5 WiStG die Zahlungspflicht nicht auf den Vergleichsmietzins
zu reduzieren, sondern dem rechtsuntreuen Vermieter noch einen Zuschlag von 20 vom Hundert zu belassen.
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2. Die Hessische Staatskanzlei hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Der Vorsitzende des VIII. Zivilsenats des
Bundesgerichtshofs hat auf Rechtsprechung zur Teilnichtigkeit von Mietzinsvereinbarungen bei Verstößen gegen § 5 Abs. 1
WiStG hingewiesen.
III.
10
Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen nicht vor.
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1. Der Verfassungsbeschwerde kommt grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung nicht zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a
BVerfGG). Diese ist nur gegeben, wenn die Verfassungsbeschwerde eine verfassungsrechtliche Frage aufwirft, die sich nicht
ohne weiteres aus dem Grundgesetz beantworten läßt und noch nicht durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung
geklärt oder die durch veränderte Verhältnisse erneut klärungsbedürftig geworden ist. Über die Beantwortung der
verfassungsrechtlichen Frage müssen also ernsthafte Zweifel bestehen. Anhaltspunkt für eine grundsätzliche Bedeutung in
diesem Sinne kann sein, daß die Frage in der Fachliteratur kontrovers diskutiert oder in der Rechtsprechung der
Fachgerichte unterschiedlich beantwortet wird. An ihrer Klärung muß zudem ein über den Einzelfall hinausgehendes
Interesse bestehen. Das kann etwa dann der Fall sein, wenn sie für eine nicht unerhebliche Anzahl von Streitigkeiten
bedeutsam ist oder ein Problem von einigem Gewicht betrifft, das in künftigen Fällen erneut Bedeutung erlangen kann. Bei
der Prüfung der Annahme muß bereits absehbar sein, daß sich das Bundesverfassungsgericht bei seiner Entscheidung über
die Verfassungsbeschwerde mit der Grundsatzfrage befassen muß. Kommt es auf sie hingegen nicht
entscheidungserheblich an, ist eine Annahme nach § 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG nicht geboten.
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Die hier mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen Fragen sind in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung
geklärt (vgl. zu Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG: BVerfGE 87, 282 <285>; zu Art. 103 Abs. 1 GG: BVerfGE 84, 34 <58> und 86,
133 <144 f.>; zu Art. 3 Abs. 1 GG: BVerfGE 88, 87 <97>; jeweils m.w.N.). Es ist nicht ersichtlich, daß der vorliegende Fall
weitere grundsätzliche Klärung erfordert.
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2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten
Verfassungsrechte angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das ist der Fall, wenn die geltend gemachte Verletzung
von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten besonderes Gewicht hat oder den Beschwerdeführer in existentieller
Weise betrifft. Besonders gewichtig ist eine Grundrechtsverletzung, die auf eine generelle Vernachlässigung von
Grundrechten hindeutet oder wegen ihrer Wirkung geeignet ist, von der Ausübung von Grundrechten abzuhalten. Eine
geltend gemachte Verletzung hat ferner dann besonderes Gewicht, wenn sie auf einer groben Verkennung des durch ein
Grundrecht gewährten Schutzes oder einem geradezu leichtfertigen Umgang mit grundrechtlich geschützten Positionen
beruht oder rechtsstaatliche Grundsätze kraß verletzt. Eine existentielle Betroffenheit des Beschwerdeführers kann sich vor
allem aus dem Gegenstand der angegriffenen Entscheidung oder seiner aus ihr folgenden Belastung ergeben. Ein
besonders schwerer Nachteil ist jedoch dann nicht anzunehmen, wenn die Verfassungsbeschwerde keine hinreichende
Aussicht auf Erfolg hat oder wenn deutlich abzusehen ist, daß der Beschwerdeführer auch im Falle einer Zurückverweisung
an das Ausgangsgericht im Ergebnis keinen Erfolg haben würde.
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a) Die Rügen einer Verletzung der Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und 103 Abs. 1 GG haben keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Von einer weiteren Begründung hierzu wird abgesehen (§ 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
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b) Auch zur Durchsetzung von Art. 3 Abs. 1 GG ist die Annahme der Verfassungsbeschwerde nicht angezeigt.
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Seine Auffassung, daß den Klägern der Mietzins bis zu 20 vom Hundert über der jeweiligen Vergleichsmiete zu belassen sei,
stützt das Oberlandesgericht auf die in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung stehende Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs, wonach bei einer Mietpreisüberhöhung nach § 5 WiStG die Mietpreisvereinbarung insoweit nichtig ist,
als der Mietzins die ortsübliche Vergleichsmiete mehr als nur unwesentlich übersteigt (vgl. BGHZ 89, 316 <319>). Dieses in
Anwendung von § 134 Halbsatz 2 BGB gefundene Ergebnis hat der Bundesgerichtshof damit begründet, daß die
Teilnichtigkeit nicht weiter reichen könne als die tatbestandliche Erfüllung des Verbotsgesetzes. Was das Gesetz nicht
verbiete, sei rechtmäßig und könne daher nicht der Nichtigkeitsfolge nach § 134 BGB anheimfallen.
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Art. 3 Abs. 1 GG läßt dem Gesetzgeber weitgehende Freiheit, Lebenssachverhalte und das Verhalten von Personen
entsprechend dem Regelungszusammmenhang unterschiedlich zu behandeln. Das gilt insbesondere dann, wenn die
Betroffenen die Möglichkeit haben, sich auf die Regelung einzustellen und nachteiligen Auswirkungen durch eigenes
Verhalten zu begegnen (vgl. BVerfGE 60, 329 <346>; 81, 156 <206>). Danach ist es nicht ersichtlich, daß die vom
Oberlandesgericht vertretene Auslegung gegen das Gleichbehandlungsgebot verstößt. Die Auslegung führt auch nicht
dazu, daß Mieter, deren Vermieter sich einen über der nach § 5 WiStG zulässigen Höhe liegenden Mietzins hat versprechen
lassen, schutzlos bleiben. Denn sie können sich, ohne um den Bestand des Mietvertrages fürchten zu müssen, auf die
Teilnichtigkeit der Mietpreisvereinbarung berufen und die Zahlung des die Wesentlichkeitsgrenze überschreitenden
Betrages verweigern. Auf diese Weise können sie den Folgen der vertraglichen Vereinbarung wenigstens teilweise begegnen.
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Für eine willkürliche Rechtsfindung durch das Oberlandesgericht ist nichts hervorgetreten. Zwar mag auch eine andere
Auslegung des geltenden Rechts möglich sein, etwa dahin, daß die Mietpreisvereinbarung bis zur Höhe der Vergleichsmiete
für teilnichtig erachtet oder daß der Zuschlag von 20 vom Hundert nicht zu dem zwischenzeitlich angestiegenen
Vergleichsmietzins hinzugerechnet wird. Das sind jedoch einfachrechtliche Fragen, die das Bundesverfassungsgericht nicht
zu entscheiden hat.
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Den Beschwerdeführern entsteht schließlich durch die Versagung einer Entscheidung zur Sache kein besonders schwerer
Nachteil, der die Annahme der Verfassungsbeschwerde rechtfertigen könnte. Bei der auf Art. 3 Abs. 1 GG gestützten Rüge
geht es im Ergebnis um rund 1.500 DM. Aus dem Vortrag der Beschwerdeführer ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, daß
diese Belastung sie besonders schwer trifft.
Herzog
Henschel
Seidl
Grimm
Söllner
Kühling
Seibert