Urteil des BVerfG vom 10.08.2001

BVerfG: verfassungsbeschwerde, auskunft, prozessrecht, beweisantrag, behandlung, abschiebung, ermessen, aufklärungspflicht, wiederholung, misshandlung

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 1238/00 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des türkischen Staatsangehörigen
O...
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte Lothar Hinz und Koll.,
Langenbeckstraße 15, 58097 Hagen -
gegen
a)
den Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 19. Juni 2000 - 12 UZ
1849/98.A -,
b)
das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 24. März 1998 - 7 E
31942/97.A(1) -
hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richter
Sommer,
Broß,
Mellinghoff
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S.
1473) am 10. August 2001 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
I.
1
Die Verfassungsbeschwerde eines türkischen Staatsangehörigen kurdischer Volkszugehörigkeit gegen sein
Asylbegehren ablehnende verwaltungsgerichtliche Entscheidungen betrifft im Wesentlichen Fragen nach den
verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Zurückweisung von Beweisanträgen.
II.
2
Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt
weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung von
Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten des Beschwerdeführers angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde
besitzt keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>).
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1. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG durch die Ablehnung der in der mündlichen Verhandlung gestellten
Beweisanträge ist nicht ersichtlich.
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a) Die Ablehnung des Beweisantrags auf Vernehmung des Zeugen O. dafür, dass der Beschwerdeführer wegen
seiner politischen Aktivitäten in der Türkei dort von den türkischen Sicherheitskräften gesucht bzw. nach ihm
gefahndet worden sei, findet im Prozessrecht eine Stütze. Das Verwaltungsgericht hat mit nachvollziehbaren Gründen
zum Ausdruck gebracht, dass es das Vorbringen des Beschwerdeführers zum Vorfluchtgeschehen insgesamt für
unglaubhaft hält, weil die vagen und sehr undetaillierten Angaben den Eindruck vermittelten, dass der
Beschwerdeführer den Vorlauf für ein konstruiertes Verfolgungsschicksal schildere. Hält das Gericht die Schilderung,
die der Asylkläger von seinem persönlichen Verfolgungsschicksal gibt, in wesentlichen Punkten für unzutreffend oder
in nicht auflösbarer Weise widersprüchlich, so braucht es - auch substantiierten - Beweisanträgen zum
Verfolgungsgeschehen nicht nachzugehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Oktober 1989 - BVerwG 9 B 405.89 -,
InfAuslR 1990, S. 38). Das Bundesverfassungsgericht hat diese Rechtsprechung gebilligt und die Ablehnung auch
substantiierter Beweisanträge für Behauptungen, für die es mangels einer in sich stimmigen Verfolgungsgeschichte an
einem plausiblen Anhaltspunkt fehlt, in verfassungsrechtlicher Hinsicht nicht beanstandet (vgl. Beschlüsse der 1.
Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Mai 1994 - 2 BvR 1183/92 -, DVBl 1994, S.
1403 und vom 10. März 1997 - 2 BvR 323/97 -, nur in JURIS veröffentlicht). Hiernach durfte das Verwaltungsgericht,
selbst wenn der Beweisantrag im Hinblick auf das schriftsätzliche Vorbringen als ausreichend substantiiert anzusehen
war, diesen in prozessrechtlich und damit auch verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise ablehnen.
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b) Hinsichtlich des Beweisantrags auf Einholung von Auskünften hat sich das Verwaltungsgericht der Einschätzung
des Auswärtigen Amtes in seiner Auskunft an das Verwaltungsgericht Bremen vom 21. Juli 1997 angeschlossen.
Aufgrund dieser amtlichen Auskunft ist das Verwaltungsgericht zu dem Schluss gekommen, dass angesichts der
hohen Zahl von rückgeführten türkischen Asylbewerbern ein einziger verifizierter Fall von Misshandlung nicht genüge,
um in einer rechtlich relevanten Weise davon ausgehen zu können, dass auch der Beschwerdeführer bei Abschiebung
in die Türkei eine menschenrechtswidrige Behandlung erdulden müsste. Das Verwaltungsgericht hat somit seine
eigene Sachkunde verwertet. Damit wird die Ablehnung eines (weiteren) Sachverständigenbeweises durch das
Prozessrecht gestützt: Ein Antrag auf Sachverständigenbeweis kann nach tatrichterlichem Ermessen gemäß § 98
VwGO in entsprechender Anwendung des § 412 ZPO oder mit dem Hinweis auf eigene Sachkunde
verfahrensfehlerfrei abgelehnt werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. März 2000 - BVerwG 9 B 518.99 -, NvWZ-
Beilage 9/2000, S. 99 ff.).
6
Da diese Auskunft nach der Darstellung im verwaltungsgerichtlichen Urteil offenbar auf Untersuchungen zu
sämtlichen rückgeführten türkischen Asylbewerbern beruht, unabhängig von deren Nähe zur PKK und unabhängig von
der Anwendbarkeit des deutsch-türkischen Briefwechselverfahrens vom 10. März 1995, kam es für das
Verwaltungsgericht auf die Frage, ob die Verurteilung des Beschwerdeführers durch das Landgericht Koblenz diesen
in die Nähe von PKK-Aktivisten gebracht hat und das Urteil den türkischen Sicherheitskräften über den regelmäßigen
Strafnachrichtenaustausch zwischen der Türkei und der Bundesrepublik bekannt geworden ist, nicht
entscheidungserheblich an.
7
Damit kann offen bleiben, ob das Verwaltungsgericht verfassungsrechtlich unbedenklich den Vortrag des
Beschwerdeführers zur Verurteilung durch das Landgericht als verspätet und damit präkludiert ansehen durfte.
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2. Da das Verwaltungsgericht die Beweisanträge in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise abgelehnt
hat, scheidet damit auch eine Verletzung der ihm durch Art. 16a Abs. 1 GG in verfahrensrechtlicher Hinsicht
auferlegten Aufklärungspflicht aus.
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Das Verwaltungsgericht hat auch den ihm eingeräumten asylspezifischen Wertungsrahmen (vgl. BVerfGE 76, 143
<161 f.>) eingehalten:
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Soweit es um das Vorfluchtgeschehen geht, hat es dieses insgesamt als unglaubhaft und konstruiert angesehen.
Das Verwaltungsgericht hat hierzu die Angaben des Beschwerdeführers bei der Bundesamtsanhörung verwertet, was
die Verfassungsbeschwerde nicht in substantiierter Weise angegriffen hat.
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Hinsichtlich der Nachfluchtgründe, insbesondere der exilpolitischen Aktivitäten des Beschwerdeführers, käme eine
Verletzung des Art. 16a Abs. 1 GG nur dann in Betracht, wenn sich die Nachfluchttatbestände als Ausdruck und
Fortführung einer schon während des Aufenthalts im Heimatland vorhandenen und erkennbar betätigten festen
Überzeugung darstellen würden (vgl. BVerfGE 74, 51 <66>). Dies scheidet nach der Auffassung des
Verwaltungsgerichts jedoch aus, da dem Vorfluchtgeschehen kein Glauben zu schenken sei.
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3. Schließlich verstößt der Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs nicht gegen Art. 19 Abs. 4 GG. Er
beruht nicht auf überzogenen Anforderungen an den Berufungszulassungsgrund der Versagung rechtlichen Gehörs.
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Dabei kann offen bleiben, ob die dem Beschwerdeführer angesonnene Wiederholung des Zeugenbeweisantrags in
der mündlichen Verhandlung die Anforderungen an eine erfolgreiche Gehörsrüge überspannt. Der Beweisantrag wurde,
wie bereits ausgeführt, jedenfalls in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise abgelehnt.
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Ebenfalls kann offen bleiben, ob die Forderung, dass Rügen gegen die vom Verwaltungsgericht angenommene
Präklusion noch in der mündlichen Verhandlung vorgebracht werden müssen, überzogen ist. Diese Erwägung ist nicht
entscheidungstragend; der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat die Ablehnung des Beweisantrags auf Einholung
von Sachverständigengutachten verfassungsrechtlich tragfähig mit dem Verweis auf die eigene Sachkunde des
Gerichts gebilligt.
15
Von einer weiter gehenden Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
16
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Sommer
Broß
Mellinghoff