Urteil des BVerfG vom 16.12.2002

BVerfG: verfassungsbeschwerde, berufsausübungsfreiheit, strafverfahren, verhaftung, beweiswürdigung, beschränkung, kaution, rüge, anmerkung, einfluss

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 2099/01 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn S ...
gegen
a)
den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 26. September 2001 -
2 Ws 102/01 -,
b)
den Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom 30. August 2001 - (5/21 Ks)
710 Js 1049.0/99 -,
c)
den Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom 19. September 2000 - (5/21
Ks) 710 Js 1049.99 (W 1/99) -,
d)
den Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom 5. Juni 2000 - (5/21 Ks) 710
Js 1049.0/99 (W 1/99) -
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Hassemer,
die Richterin Osterloh
und den Richter Mellinghoff
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I
S. 1473) am 16. Dezember 2002 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
1
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat.
2
1. Soweit sich der Beschwerdeführer dagegen wendet, dass die Gerichte des Ausgangsverfahrens eine Erhöhung
der ihm zustehenden "Hauptverhandlungsgebühr" gemäß § 97 Abs. 1 Satz 3 (i.V.m. § 83 Abs. 1 Satz 1) BRAGO mit
der Begründung abgelehnt haben, die Hauptverhandlung sei bei Verhaftung seiner Mandantin bereits abgeschlossen
gewesen, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig.
3
Der Beschwerdeführer ist durch die Versagung einer Gebührenerhöhung gemäß §§ 97 Abs. 1 Satz 3, 83 Abs. 1
BRAGO nicht (mehr) beschwert, weil zwischenzeitlich für seine gesamte Pflichtverteidigertätigkeit in dem vor dem
Landgericht Frankfurt am Main gegen Frau B. durchgeführten Strafverfahren gemäß §§ 99 Abs. 1, 2 BRAGO ein
erhöhter Pauschalvergütungsanspruch in Höhe von 30.082,50 DM festgesetzt wurde, der an die Stelle der
Pflichtverteidigervergütung gemäß § 97 Abs. 1 BRAGO getreten ist. Der gerichtlich bestellte Verteidiger kann eine
Pauschalvergütung gemäß § 99 Abs. 1 BRAGO zwar auch nach unanfechtbarer Festsetzung (und Auszahlung) der in
§ 97 BRAGO geregelten Pflichtverteidigergebühren beantragen. Die Pauschvergütung wird aber nicht zusätzlich zu
den Pflichtverteidigergebühren, sondern an deren Stelle bewilligt (vgl. KG, Beschluss vom 15. Juni 1960 - 15
AR 62/60 -, Rpfl 1962, S. 41; OLG Hamm, Beschluss vom 14. August 1997 - 2 (s) Sbd.5-129/97 -, Rpfl 1998, S. 38 f.;
OLG Koblenz, Beschluss vom 18. November 1999 - 1 Ws 717/99 -, NStZ-RR 2000, S. 128; Fraunholz, in:
Riedel/Sußbauer, Kommentar zur BRAGO, 8. Aufl., § 99, Rn. 15 sub. 3; Madert, in: Gerold/Schmidt/von
Eicken/Madert, Kommentar zur BRAGO, 15. Aufl., § 99, Rn. 14; Hartmann/Albers, Kostengesetze, 31. Aufl., § 99
BRAGO, Rn. 1, 34). Eine vor der Bewilligung bereits erfolgte Gebührenfestsetzung wird insoweit - ebenso wie deren
teilweise Versagung - gegenstandslos (vgl. Fraunholz, a.a.O., Rn. 15).
4
2. Die Rüge des Beschwerdeführers, die Versagung einer Erstattung von ihm für zwei Reisen zu seiner in Frankfurt
am Main inhaftierten Mandantin verauslagter Geldbeträge verstoße gegen Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG, ist unbegründet.
5
Zwar berührt die Abweisung des vom Beschwerdeführer geltend gemachten Anspruchs auf Erstattung der ihm bei
seiner beruflichen Tätigkeit entstandenen Auslagen seine Berufsausübung und ist daher nach der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts an Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG zu messen (vgl. BVerfGE 47, 285 <321>; 83, 1 <13>;
101, 331 <346>). Die Versagung eines Auslagenerstattungsanspruchs für zwei der vier vom Beschwerdeführer im
Zusammenhang mit der nach der Urteilsverkündung erfolgten Verhaftung seiner Mandantin geltend gemachten Reisen
schränkt seine Berufsausübungsfreiheit aber nicht in unzulässiger Weise ein. § 97 Abs. 2 Satz 1 BRAGO sieht
(i.V.m. § 126 Abs. 1 Satz 1 BRAGO) vor, dass der im öffentlichen Interesse als Pflichtverteidiger in Dienst
genommene Rechtsanwalt Ersatz seiner Auslagen erhält, es sei denn, die Auslagen seien zur sachgemäßen
Wahrnehmung der Interessen des Mandanten nicht erforderlich. Diese gesetzliche Begrenzung des
Auslagenerstattungsanspruchs ist durch einen vom Gesetzgeber im Sinne des Gemeinwohls vorgenommenen
Interessenausgleich, der auch das Interesse an einer Einschränkung des Kostenrisikos berücksichtigt, gerechtfertigt,
solange die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt ist (vgl. Beschluss des Vorprüfungsausschusses des
Bundesverfassungsgerichts vom 11. November 1986 - 2 BvR 1169/86 -, JurBüro 1987, Sp. 1029; Beschluss der
3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 24. November 2000 - 2 BvR 813/99 -, StV 2001,
S. 241 f.).
6
Das Landgericht hat die Beschränkung der Auslagenerstattung auf zwei der vier vom Beschwerdeführer nach
Abschluss der Hauptverhandlung in einem Zeitraum von weniger als vier Wochen durchgeführten Reisen zu seiner
inhaftierten Mandantin damit begründet, dass von der Erforderlichkeit einer dritten und vierten Reise in so kurzer Zeit
auf Grund der Besonderheiten des Falles nicht ausgegangen werden könne. Zum einen sei zu berücksichtigen, dass
der (damaligen) Angeklagten auf Wunsch des Beschwerdeführers außergewöhnlicherweise eine in Frankfurt am Main
ansässige dritte Pflichtverteidigerin bewilligt worden sei, deren Hilfe er sich habe bedienen können. Zum anderen habe
es - angesichts der Möglichkeit einer Eil-Überweisung - zur Einzahlung der Kaution keiner Reise an den Ort der
Gerichtskasse bedurft.
7
Diese Argumentation ist sachlich und nachvollziehbar, drängt also nicht den Schluss auf, das Landgericht und das
den landgerichtlichen Beschluss bestätigende Oberlandesgericht hätten sich bei der teilweisen Versagung der vom
Beschwerdeführer beantragten Reisekostenerstattung von sachfremden Erwägungen leiten lassen.
8
Die Gerichte haben auch nicht den Bedeutungsgehalt des Berufsgrundrechts, insbesondere nicht die vom
Bundesverfassungsgericht in der vom Beschwerdeführer herangezogenen Entscheidung (der 3. Kammer des Zweiten
Senats vom 24. November 2000 - 2 BvR 813/99 -, StV 2001, S. 241 f.) hieraus für das anwaltliche Gebührenrecht
abgeleiteten Maßstäbe verkannt. In dem der zitierten Entscheidung zu Grunde liegenden Fall war die Erforderlichkeit
der verfahrensgegenständlichen Informationsreise bereits gemäß § 126 Abs. 2 Satz 2 BRAGO mit verbindlicher
Wirkung für das Kostenfestsetzungsverfahren festgestellt worden, so dass eine Versagung der Auslagenerstattung in
§ 97 Abs. 2 (i.V.m. § 126 Abs. 1) BRAGO keine Grundlage fand (a.a.O., S. 241/242). Demgegenüber hatten die
Gerichte des Ausgangsverfahrens erst festzustellen, ob die vom Beschwerdeführer verauslagten Reisekosten im
Sinne dieser Vorschrift "zur sachgemäßen Wahrnehmung der Interessen" seiner Mandantin erforderlich waren, und
dabei neben den Interessen des Beschwerdeführers auch das verfassungsrechtlich legitime, mit der in § 97 Abs. 2
(i.V.m. § 126 Abs. 1) BRAGO vorgesehenen Beschränkung des Erstattungsanspruchs auf "erforderliche" Auslagen
zum Ausdruck gebrachte Interesse des Staates an der Einschränkung des Kostenrisikos zu berücksichtigen. Dass
die Gerichte insoweit die Grenze des dem Beschwerdeführer Zumutbaren überschritten hätten, ist weder von ihm
dargelegt worden noch sonst ersichtlich. Die vom Landgericht angeführte Möglichkeit, eine (Haft-)Kaution ohne Reise
an den Ort der Gerichtskasse per Eil-Überweisung zu leisten, stellt der Beschwerdeführer nicht in Abrede; dafür, dass
ihm eine Nutzung dieser Möglichkeit unzumutbar gewesen sein könnte, bestehen keinerlei Anhaltspunkte.
9
Soweit das Landgericht die Absetzung der Kosten für eine weitere der vom Beschwerdeführer im Zusammenhang
mit der Verhaftung seiner Mandantin geltend gemachten Reisen damit begründet hat, dass Frau B. auf Antrag des
Beschwerdeführers eine in Frankfurt am Main ansässige dritte Pflichtverteidigerin beigeordnet worden war, deren Hilfe
er sich habe bedienen können, wendet er lediglich ein, der Strafkammer sei bekannt gewesen, dass allein er die
Verteidigung von Frau B. durchgängig wahrgenommen habe. Konkrete Gesichtspunkte, die eine Einschaltung der
Frankfurter Pflichtverteidigerin zur Vermeidung wenigstens einer der Reisen des Beschwerdeführers als unmöglich
oder unzumutbar erscheinen lassen könnten, führt er nicht an. Zwar ist ihm einzuräumen, dass § 97 Abs. 2 (i.V.m.
§ 126 Abs. 1 Satz 1) BRAGO die Beweis- und damit auch die Darlegungslast für das Fehlen der Erforderlichkeit von
Auslagen grundsätzlich dem Staat auferlegt (vgl. von Eicken, in: Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, Kommentar zur
BRAGO, 15. Aufl., § 126, Rn. 5 und Hartmann, Kostengesetze, 31. Aufl., § 126 BRAGO, Rn. 9, jeweils m.w.N.; s.
auch LG Düsseldorf, Beschluss vom 9. Mai 1969 - II 158/68 - 12 Kls 11/68 -, AnwBl 1969, S. 372 f.). Die im
Ausgangsverfahren auf Wunsch des Beschwerdeführers zur Erleichterung der Pflichtverteidigung erfolgte, mit
erheblichen Kosten für die Staatskasse verbundene, Beiordnung einer zusätzlichen, am Ort des Gerichts und der
Untersuchungshaftanstalt ansässigen Verteidigerin begründete jedoch eine besondere Situation, die es mit Rücksicht
auf das - angesichts der Entfernung seines Kanzleiortes erhebliche - Kostenrisiko rechtfertigte, die Erstattung der
Auslagen für eine dritte von ihm in kurzem zeitlichem Abstand durchgeführte Besuchsfahrt von der Darlegung
konkreter, einer Einschaltung der Frankfurter Anwältin entgegenstehender, Umstände abhängig zu machen. Da der
Beschwerdeführer solche Umstände im Ausgangsverfahren nicht vorgetragen hat, ist die von den Gerichten
vorgenommene Beschränkung der Auslagenerstattung auf zwei von vier seiner kurz nacheinander durchgeführten
Besuchsreisen auf Grund der geschilderten besonderen Umstände von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.
10
3. Unbegründet ist auch die Rüge des Beschwerdeführers, die Versagung einer Erstattung der von ihm für die
Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens und für das Gutachten vorbereitende
Wortlautprotokolle verauslagten Geldbeträge verletze sein Berufsgrundrecht.
11
a) Die von den Gerichten des Ausgangsverfahrens vertretene Auffassung, die vom Beschwerdeführer in Auftrag
gegebene Anfertigung von Wortlautprotokollen der Beweisaufnahme sei nicht erforderlich im Sinne des § 97 Abs. 2
(i.V.m. § 126 Abs. 1) BRAGO gewesen, ist in dem vom Oberlandesgericht in Bezug genommenen Beschluss vom
31. Oktober 2000 im Einzelnen damit begründet worden, dass § 273 Abs. 3 Satz 1 StPO dem Vorsitzenden bei
Aussagen, auf die es ankommt, die Anordnung einer vollständigen Niederschreibung und Verlesung durch den
Protokollbeamten gebietet und den Prozessbeteiligten hierauf ein - von ihnen schon aus Gründen der Kostenersparnis
vorrangig zu nutzender - Anspruch zustehe. Der Verteidiger müsse aber auch deshalb von dem prozessualen Mittel
des § 273 Abs. 3 StPO Gebrauch machen, weil nur die in § 273 Abs. 3 Satz 3 StPO vorgesehenen Absicherungen
(Protokollvermerk über die Verlesung und Genehmigung der Aussage oder etwaiger Einwände der Prozessbeteiligten)
eine spätere beweisrechtliche Verwertung der Niederschrift legitimierten.
12
Auch diese, auf nachvollziehbare sachliche Argumente gestützte, Begründung lässt nicht befürchten, dass sich die
Gerichte bei der Versagung der Auslagenerstattung für die vom Beschwerdeführer in Auftrag gegebenen
Wortprotokolle von sachfremden Erwägungen leiten ließen oder den Bedeutungsgehalt des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG
verkannt haben könnten. Der vom Beschwerdeführer insoweit erhobene Einwand, nur ein "unabhängig von
verfahrensrechtlichen Streitigkeiten" erstelltes Wortprotokoll sei "für die Glaubhaftigkeitsanalyse aussagekräftig", geht
schon deshalb fehl, weil ein solches Protokoll - wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt - mangels
Einhaltung der in § 273 Abs. 3 Satz 3 StPO vorgeschriebenen Verfahrensvorkehrungen beweisrechtlich nicht
verwertbar ist.
13
b) Auch die vom Oberlandesgericht bestätigte Annahme des Landgerichts, das vom Beschwerdeführer in Auftrag
gegebene Sachverständigengutachten sei kostenrechtlich nicht erforderlich gewesen, weil die Kammer es nicht zu
Beweiszwecken benötigt und deshalb auch nicht verwertet habe, ist frei von Willkür. Den auf das Gutachten
gestützten Beweisantrag des Beschwerdeführers hatte die Kammer unter Hinweis auf ihre eigene Sachkunde gemäß
§ 244 Abs. 4 StPO abgewiesen und hierzu ausgeführt, die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugen und der
Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen gehöre seit jeher zum Wesen richterlicher Rechtsfindung, d.h. zur genuinen Aufgabe
der tatrichterlich berufenen Richter und Schöffen; das lange Zurückliegen der tatrelevanten Beobachtungen begründe
insoweit keinen Ausnahmefall, der die Hinzuziehung eines Aussagepsychologen erforderlich mache, sondern sei vom
Gericht ebenso bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigen wie etwaige Diskontinuitäten oder Abhängigkeiten im
Inhalt der Zeugenaussagen.
14
Diese Auslegung des § 244 Abs. 4 Satz 1 StPO entspricht der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und
Literatur (vgl. BGH, Urteil vom 13. Oktober 1981 - 1 StR 561/81 -, NStZ 1982, S. 42; Urteil vom 5. Dezember 1986 -
2 StR 301/86 -, StV 1987, S. 374; Beschluss vom 29. Oktober 1996 - 4 StR 508/96 -, NStZ-RR 1997, S. 106;
Kleinknecht/Meyer-Goßner, Kommentar zur StPO, 45. Aufl., § 244, Rn. 74; Gollwitzer, in: Löwe-Rosenberg,
Kommentar zur StPO, 25. Aufl., § 244, Rn. 300 ff., 305 mit Rn. 82; Herdegen, in: Karlsruher Kommentar zur StPO,
4. Aufl., § 244, Rn. 27 ff., 31, jeweils m.w.N.). Auch die daran anknüpfende Ansicht des Landgerichts, das vom
Beschwerdeführer zur Vorbereitung seines Beweisantrags eingeholte Sachverständigengutachten sei im Sinne des
Kostenrechts nicht zur sachgerechten Verteidigung von Frau B. erforderlich gewesen, liegt auf der Linie der
fachgerichtlichen Rechtsprechung. Diese versagt eine Erstattung für ein Privatgutachten verauslagter Beträge in der
Regel mit der Begründung, die Interessen eines Beschuldigten im Strafverfahren seien angesichts seiner Befugnis zur
Beweisantragstellung, der den Gerichten obliegenden Aufklärungspflicht und dem Grundsatz, dass bei verbleibenden
Zweifeln zu seinen Gunsten zu entscheiden ist, hinreichend gewahrt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 12. September
1989 - 2 Ws 394/89 -, NStZ 1989, S. 588 f.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. August 1985 - 1 Ws 384/85 -,
AnwBl 1986, S. 158; Beschluss vom 8. Januar 1990 - 2 Ws 608/89 -, NStZ 1991, S. 353 f.; Beschluss vom 21. April
1997 - 2 Ws 108/97 -, NStZ 1997, S. 511; Paulus, in: KMR, § 464a, Rn. 40; Franke, in: Karlsruher Kommentar zur
StPO, 4. Aufl., § 464a, Rn. 7; Kleinknecht/Meyer-Goßner, Kommentar zur StPO, 45. Aufl., § 464a, Rn. 16; Pfeiffer,
Kommentar zur StPO, 4. Aufl., § 464a, Rn. 6, jeweils m.w.N.; für eine großzügigere Auslagenerstattung sprechen sich
Hilger, in: Löwe-Rosenberg, Kommentar zur StPO, 24. Aufl., § 464a, Rn. 49 und Dahs, Anmerkung zum Beschluss
des OLG Düsseldorf vom 8. Januar 1990 - 2 Ws 608/89 -, NStZ 1991, S. 354, aus). Gutachtenkosten sollen nur dann
ausnahmsweise erstattungsfähig sein, wenn - aus verständiger ex-ante-Sicht des Verfahrensbeteiligten (vgl. OLG
Düsseldorf, Beschluss vom 28. August 1985 - 1 Ws 384/85 -, AnwBl 1986, S. 158; Franke, in: Karlsruher Kommentar
zur StPO, 4. Aufl., § 464a, Rn. 6; Pfeiffer, Kommentar zur StPO, 4. Aufl., § 464a, Rn. 6) - gegenüber einem
Spezialwissen der Ermittlungsbehörden die Waffengleichheit zu wahren ist (vgl. den bereits zitierten Beschluss des
Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 8. Januar 1990 mit Anmerkung Dahs), komplexe technisch-fachliche Fragen oder
solche aus abgelegenen Rechtsgebieten zu beantworten sind (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. August 1985
- 1 Ws 384/85 -, AnwBl 1986, S. 158 f.) oder nach Ausschöpfung der prozessualen Möglichkeiten keine weitere Erfolg
versprechende Verteidigungsstrategie mehr offen stand und deshalb mit einer alsbaldigen Verschlechterung der
Prozesslage zu rechnen war (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 23. Juni 1999 - 1 Ws 209/99 -, NStZ-RR 2000, S. 64;
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21. April 1997 - 2 Ws 108/97 -, NStZ 1997, S. 511). Dagegen wird bei
Sachverständigengutachten zu gängigen strafrechtlichen Fragen eine Auslagenerstattung grundsätzlich versagt (vgl.
OLG Celle, Beschluss vom 20. Dezember 1993 - 5 Ws 259/93 -, JurBüro 1994, S. 296 f.).
15
Da die Beweiswürdigung einen Teil der strafrechtlichen Rechtsanwendung bildet (vgl. § 261 StPO) und sich dabei
stellende aussagepsychologische Fragen keine abgelegene, sondern eine für Richter ebenso wie für Anwälte zentrale,
in der juristischen Fachliteratur ausführlich abgehandelte Materie darstellen (vgl. nur Bender/Nack,
Tatsachenfeststellung vor Gericht, Band I Glaubwürdigkeits- und Beweislehre, 2. Aufl. 1995), ist die Auffassung des
Landgerichts nachvollziehbar, zur Würdigung der Zeugenaussagen sei - mangels besonderer, zusätzliche
psychologische Kenntnisse erfordernder Umstände - eine kostenverursachende Inanspruchnahme sachverständiger
Hilfe nicht erforderlich gewesen. Zumindest beruht die Entscheidung des Landgerichts, eine Erstattung des vom
Beschwerdeführer für das von ihm eingeholte aussagepsychologische Gutachten verauslagten Geldbetrages zu
versagen, auf sachlichen, einen Willkürvorwurf ausschließenden, Erwägungen.
16
Landgericht und Oberlandesgericht haben insoweit auch nicht Bedeutung oder Tragweite der
Berufsausübungsfreiheit des Beschwerdeführers verkannt. Dass dieser die Einholung des aussagepsychologischen
Gutachtens zur Verteidigung seiner damaligen Mandantin, insbesondere zur Ausübung von Beweisantragsrechten, für
erforderlich hielt, weil den von dem Sachverständigen begutachteten Zeugenaussagen nach dem aufhebenden und
zurückverweisenden Beschluss des Bundesgerichtshofs maßgebliche Bedeutung zukam, macht die Versagung der
Auslagenerstattung nicht verfassungswidrig. Denn Beweisantragsrechte bestehen nur in den Grenzen der §§ 244 ff.
StPO. Angesichts der zitierten höchstrichterlichen, von der Literatur weitgehend bestätigten, Auslegung des § 244
Abs. 4 StPO war für den Beschwerdeführer bei "verständiger ex-ante-Betrachtung" erkennbar, dass das Landgericht
die Beweiswürdigung als spezifisch richterliche, d.h. kraft eigener Sachkunde zu erfüllende, Aufgabe ansehen und
Anträge auf sachverständige Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Aussagen erwachsener, psychisch und somatisch
unauffälliger, Zeugen abweisen würde (vgl. Herdegen, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 4. Aufl., § 244, Rn. 27:
"Scheut der Richter die eigenverantwortliche Beurteilung einer Beweisfrage in Fällen, in denen er eigene Sachkunde in
Anspruch nehmen dürfte und müsste, verfehlt er die ihm zukommende Rolle ..."; zum Zusammenhang zwischen dem
Umfang von Beweisantragsrechten und Auslagenerstattungsansprüchen vgl. Jakubetz, JurBüro 1999, S. 564 ff., 571).
Soweit der Beschwerdeführer die Erforderlichkeit des Sachverständigengutachtens damit begründet, dass in dem vor
dem Frankfurter Landgericht durchzuführenden dritten Strafverfahren gegen Frau B. der vom Bundesgerichtshof in
seinem Urteil vom 30. Juli 1999 (BGHSt 45, 164 ff. = NStZ 2000, S. 100 ff.) "anhand forensisch-psychologischen
Wissensstandes entwickelte Maßstab" zu beachten gewesen sei, verkennt er, dass dieser Maßstab die an ein
aussagepsychologisches Gutachten zu stellenden inhaltlichen und methodischen Anforderungen betrifft, nicht aber
die Frage, ob die Einholung eines solchen Gutachtens gemäß §§ 244 ff. StPO geboten ist.
17
Eine Erstattung der vom Beschwerdeführer verauslagten Gutachtenkosten gemäß § 97 Abs. 2 (i.V.m. § 126 Abs. 1)
BRAGO war allenfalls dann zur Wahrung seiner Berufsausübungsfreiheit geboten, wenn seine Verteidigungsstrategie
darauf zielte, von Rechtsprechung und juristischer Fachliteratur verwertete aussagepsychologische Erkenntnisse auf
Grund neuerer, durch das eingeholte Sachverständigengutachten zu belegender, Forschungsergebnisse in Frage zu
stellen. Dies war jedoch - wie sich aus dem Inhalt des vorgelegten Gutachtens ergibt - nicht der Fall: Die von dem
Sachverständigen
Prof.
Max
Steller
herangezogenen,
in
einem
Vorspann
zusammengefassten
"Forschungsergebnisse über die Zuverlässigkeit von Zeugenaussagen" entsprachen dem zu dieser Zeit in der
juristischen Fachliteratur rezipierten Stand der Wissenschaft. Dies gilt sowohl für das von dem Sachverständigen
beschriebene Phänomen sogenannter "schemabasierter Gedächtnisstörungen" (vgl. nur Bender/Nack, a.a.O., Rn. 32,
60 ff., 83 und 119 ff.), für den potentiellen Einfluss wiederholter Befragungen (vgl. dazu Bender/Nack, a.a.O.,
Rn. 103 ff., 106 ff. und Rn. 159 mit Rn. 123), sogenannter Quellenverwechselungen (vgl. dazu Bender/Nack, a.a.O.,
Rn. 115, 119 ff., 136 ff., 141 ff., 146-159) und von anderen Zeugen (vgl. dazu Bender/Nack, a.a.O., Rn. 103 ff.,
107 ff.) als auch für die von ihm angesprochene sogenannte Exaktheits-Gewissheits-Problematik (vgl. dazu
Bender/Nack, a.a.O., Rn. 123 f.).
18
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Hassemer
Osterloh
Mellinghoff