Urteil des BVerfG vom 24.03.2001

BVerfG: öffentliche ordnung, öffentliche sicherheit, aufschiebende wirkung, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, versammlungsfreiheit, besondere gefährlichkeit, gefährdung, veranstaltung

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvQ 13/01 -
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
den Antrag,
im Wege der einstweiligen Anordnung die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 16. März
2001 gegen die Verbotsverfügung des Polizeipräsidenten Aachen vom 12. März 2001 - VL 1.2 - 231-10/2001 - wieder
herzustellen,
Antragsteller: Herr M. ,
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte Markus Beisicht und Koll.,
Gartenstraße 3, 51379 Leverkusen -
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Papier
und die Richter Steiner,
Hoffmann-Riem
gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 93 d Abs. 2 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August
1993 (BGBl I S. 1473) am 24. März 2001 einstimmig beschlossen:
1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Verbotsverfügung des
Polizeipräsidenten Aachen vom 12. März 2001 wird mit folgenden Maßgaben wieder hergestellt:
a) Untersagt ist die Benutzung von Trommeln und Fahnen - außer der Bundesflagge und den Fahnen der
deutschen Bundesländer - und von Transparenten strafbaren Inhalts, die Verwendung von Kennzeichen
verfassungswidriger Organisationen sowie das Tragen von Uniformen, Uniformteilen oder gleichartigen
Kleidungsstücken als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung.
b) Möglichen weiteren von der Versammlungsbehörde für erforderlich gehaltenen Auflagen über die
Streckenführung ist Folge zu leisten.
2. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
3. Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Antragsteller zwei Drittel der notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe:
1
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft ein für sofort vollziehbar erklärtes Versammlungsverbot.
Die Kammer hat die Begründung ihrer Entscheidung gemäß § 32 Abs. 5 in Verbindung mit § 93 d Abs. 2 BVerfGG
nach Bekanntgabe des Beschlusses schriftlich abgefasst.
I.
2
1. a) Der Antragsteller meldete unter dem 2. März 2001 bei der Versammlungsbehörde für den 24. März 2001 eine
Kundgebung mit Aufzug unter dem Thema "Gegen die Kriminalisierung nationaler Deutscher und Niederländer -
Gemeinsamer Protestmarsch -" an. Nach einer Auftaktkundgebung in Herzogenrath sollte der Aufzug auf
niederländischem Gebiet weitergeführt werden und in die Stadt Kerkrade führen. Anschließend sollte sich der Aufzug
zurück nach Herzogenrath bewegen, wo auch die Abschlusskundgebung stattfinden sollte. Als aktuellen Bezug für
den Aufzug nannte der Antragsteller Wahlkampfbehinderung in Kerkrade und im Raum Aachen. Er führte an, als
Hilfsmittel der Versammlung Landsknechtstrommeln, schwarze Fahnen, Transparente, Trageschilder, bis zu sechs
Handlautsprecher sowie einen Lautsprecherwagen benutzen zu wollen.
3
b) Mit Bescheid vom 12. März 2001 sprach die Versammlungsbehörde gemäß § 15 Abs. 1 des
Versammlungsgesetzes (VersG) unter Anordnung der sofortigen Vollziehung ein Verbot dieser Veranstaltung aus. Zur
Begründung machte sie geltend, die von ihr angestellte Gefahrenprognose ergebe, dass bei Durchführung der
angemeldeten Veranstaltung die öffentliche Sicherheit und die öffentliche Ordnung unmittelbar gefährdet wären.
4
Die jüngste Vergangenheit habe gezeigt, dass es bei der Durchführung von Versammlungen der rechten Szene
immer wieder zu Straftaten gemäß den §§ 86 a, 126, 130 StGB, § 3 in Verbindung mit § 28 VersG sowie zu
Körperverletzungsdelikten komme. Der Antragsteller sei bei mehreren Versammlungen, in denen es zu solchen
Delikten gekommen sei, als Ordner aufgetreten. Darüber hinaus sei der Antragsteller selbst mehrfach polizeilich und
strafrechtlich - unter anderem wegen Verstoßes gegen ein Vereinigungsverbot - in Erscheinung getreten.
5
Darüber hinaus verstoße die geplante Veranstaltung gegen die öffentliche Ordnung. Die Art und Weise der geplanten
Versammlung sei in höchstem Maße symbolträchtig. Ein Aufzug von Herzogenrath aus auf holländisches
Staatsgebiet werde viele Bürger im grenznahen Bereich an den Einmarsch der Deutschen Wehrmacht im Jahr 1940
erinnern. Dass mit schwarzen Fahnen (der Leibfarbe der SS) aufmarschiert werden solle, lasse nur den Schluss zu,
dass der Aufmarsch einer Verherrlichung des Nationalsozialismus dienen solle. Auch die Deutschen würden es als
unerträglich empfinden, wenn der Einmarsch in die Niederlande nach nunmehr 60 Jahren symbolhaft noch einmal
nachvollzogen würde. Der Aufzug würde darüber hinaus die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland stören und
das Ansehen der Bundesrepublik nachhaltig schädigen. Auch das für die Demonstration gewählte Datum, der 24.
März 2001, sei offensichtlich nicht zufällig gewählt. Da am 24. März 1939 die Ermächtigungsgesetze erlassen worden
seien, stelle dieses Datum die eigentliche Machtergreifung Adolf Hitlers dar. Zusammen mit dem geplanten äußeren
Erscheinungsbild der Demonstration (schwarze Fahnen und Trommeln) solle eine Glorifizierung des
Nationalsozialismus stattfinden. Bestrebungen, die die nationalsozialistische Diktatur verharmlosten oder ihre
führenden Vertreter oder Symbole verherrlichten, seien ein gravierender Verstoß gegen die öffentliche Ordnung. Die
Art des Aufmarsches begründe auch unabhängig vom Datum eine unmittelbare Verbindung zum Einmarsch deutscher
Truppen in die Niederlande im Jahr 1940. Ein Demonstrationszug über die deutsch-niederländische Grenze, der
zumindest den äußeren Anschein erwecke, hier solle der Einmarsch deutscher Truppen im Zweiten Weltkrieg
nachvollzogen werden, schädige in ganz besonderer Weise das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im
Ausland.
6
Die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung könne auch nicht durch ein milderes Mittel - zum Beispiel
Auflagen - begegnet werden. Insbesondere könne durch das bloße Verbot von Fahnen und Trommeln nicht
sichergestellt werden, dass sich unbefangenen Dritten bei Abhaltung des Aufmarsches nicht der Eindruck der
Verherrlichung des Nationalsozialismus aufdränge. Die für den 24. März 2001 angemeldete Veranstaltung und
eventuelle Ersatzveranstaltungen seien demnach zu verbieten; die Verbotsgründe umfassten aber auch jeden anderen
Tag. Außerdem könnte sich in diesem Fall ein polizeilicher Notstand ergeben. Es könne zurzeit - unter anderem
wegen der Entsendung von geschlossenen Einheiten nach Gorleben - nicht überblickt werden, ob an dem
Veranstaltungstag genügend Polizeikräfte zur Bewältigung des Einsatzes zur Verfügung stünden.
7
c) Der Antragsteller legte gegen die Verfügung der Versammlungsbehörde Widerspruch ein und stellte darüber
hinaus beim Verwaltungsgericht einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines
Widerspruchs. Zur Begründung wies er unter anderem darauf hin, dass entgegen der Ansicht der
Versammlungsbehörde die Art und Weise der Versammlung nicht im höchsten Maße symbolträchtig sei. Hierbei sei
insbesondere auch zu berücksichtigen, dass der Antragsteller selber dann von einem Versammlungszug in die
Niederlande abzusehen bereit sei, wenn die niederländischen Behörden ein rechtmäßiges Verbot aussprechen würden.
8
d) Der Eilantrag wurde vom Verwaltungsgericht durch Beschluss vom 22. März 2001 mit der Begründung abgelehnt,
dass die Versammlungsbehörde zu Recht eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Ordnung angenommen habe.
Die Menschenwürde und die grundrechtlichen Freiheiten seien ebenso wie die verfassungsrechtlichen
Strukturprinzipien des Art. 20 GG konstituierende Bestandteile der öffentlichen Ordnung. Diese würden durch
Bestrebungen gefährdet, die die nationalsozialistische Diktatur verharmlosten oder ihre führenden Vertreter und
Symbolfiguren verherrlichten, auch wenn damit die Schwelle der Strafbarkeit im Einzelfall noch nicht erreicht sein
möge. Vorliegend habe jedoch die von dem Antragsteller angemeldete Versammlung das Gepräge eines
Bekenntnisses zum Nationalsozialismus. Dies folge aus der Art der Durchführung der Veranstaltung und aus ihrem
Zeitpunkt. Zu dieser Einschätzung trage im Übrigen auch bei, dass ein Zusammenhang der geplanten Demonstration
mit dem Kommunalwahlkampf in den Niederlanden nur schwer nachzuvollziehen sei. Es fehle sowohl ein
nachvollziehbarer
zeitlicher
Zusammenhang
als
auch
an
einer
Darlegung
der
vermeintlichen
Wahlkampfbehinderungen. Der Antragsteller habe sich lediglich auf eine Festnahme in Kerkrade am 3. Februar 2001
und auf einen Aufruf im Internet berufen. Die Verhängung von Auflagen als milderes Mittel gegenüber einem
Versammlungsverbot scheide im vorliegenden Fall aus. Solche Auflagen müssten derart weit gehen, dass sie letztlich
den Charakter der Versammlung verändern würden, so dass sie nicht mehr als milderes Mittel, sondern als die
Genehmigung einer ganz anderen, bislang nicht beantragten Versammlung anzusehen seien.
9
e) Den Antrag auf Zulassung der Beschwerde gegen diesen Beschluss lehnte das Oberverwaltungsgericht durch
Beschluss vom 23. März 2001 ab. Von der beantragten Versammlung des Antragstellers gehe eine unmittelbare
Gefährdung der öffentlichen Ordnung aus; die erlassene Verbotsverfügung sei gerechtfertigt.
10
Eine Ideologie, die auf Rassismus, Kollektivismus und dem Prinzip von Führung und unbedingtem Gehorsam
aufbaue, lasse sich unter dem Grundgesetz nicht - auch nicht mit den Mitteln des Demonstrationsrechts -
legitimieren. Durch Art. 79 Abs. 3 GG und das in Art. 20 Abs. 4 GG fixierte Widerstandsrecht sei einer wie auch
immer gearteten Durchsetzung solchen Gedankenguts im demokratischen, der Menschenwürde und dem
Friedensgebot verpflichteten Rechtsstaat des Grundgesetzes verfassungsrechtlich auf Dauer der Boden entzogen.
Diesen verfassungsimmanenten Beschränkungen demonstrativer Äußerungen nazistischer Meinungsinhalte müsse
daher bei der Auslegung des Grundrechts der Demonstrationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1, Art. 8 Abs. 1 GG und der
dortigen Grundrechtsschranken von Verfassungs wegen Rechnung getragen werden. Dies lege den Schluss nahe,
dass Versammlungen, die den dargelegten Maßstäben zuwider liefen, schon kraft verfassungsimmanenter Schranken
vom Schutzbereich der Demonstrationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1, Art. 8 Abs. 1 GG ausgenommen seien. Jedenfalls
müsse der auf die Abwehr nationalsozialistischer Bestrebungen gerichteten grundgesetzlichen Werteordnung
zumindest bei der Auslegung und bei der Definition des Anwendungsbereichs der öffentlichen Ordnung im Sinne des
§ 15 VersG die verfassungsrechtlich gebotene Geltung verschafft werden.
11
Vorliegend habe die angemeldete Versammlung ein nationalsozialistisches Gepräge in diesem Sinne. Zum einen
beschränke sich der potentielle Teilnehmerkreis auf das rechtsextreme, neonazistische Spektrum. Auch die Art und
Weise, in der die Versammlung durchgeführt werden solle, lasse bei lebensnaher Betrachtung nur den Schluss darauf
zu, dass mit dieser Versammlung ein Bekenntnis zum Nationalsozialismus abgelegt werden solle. Um diesem
Eindruck wirksam zu begegnen, käme - wenn überhaupt - als milderes Mittel allenfalls die Zulassung einer
Versammlung außerhalb der deutsch-niederländischen Grenzregion in Betracht. Damit würden sich die Auflagen aber
letztlich gegen den auf einen Grenzübertritt gerichteten kommunikativen Inhalt der Veranstaltung richten, so dass
dieser auf einen dann zwar erlaubten, aber letztlich kommunikationslosen "Gruppenspaziergang" reduziert würde, den
Art. 8 Abs. 1 GG gerade nicht vor Augen habe. Auflagen, die den Charakter einer Versammlung in ihrem Inhalt und
ihrem Wesen - bis hin zur völligen Inhaltslosigkeit - veränderten, könnten weder dem Grundrechtsträger noch den
Versammlungsbehörden angesonnen werden. Eine abweichende Bewertung ergebe sich auch nicht aus der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, derzufolge die Gefährdung der öffentlichen Ordnung angesichts des
hohen Stellenwerts, den das grundgesetzlich garantierte Recht auf Versammlungsfreiheit genieße, für das Verbot
einer Versammlung im Regelfall nicht ausreiche. Dieser Ansatz könne jedenfalls dann keine Geltung beanspruchen,
wenn mit der Versammlung elementare Verfassungsgüter - wie hier - unmittelbar gefährdet würden. Jede andere
Entscheidung würde das grundgesetzlich geschützte Wertesystem selbst in Frage stellen.
12
2. In seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG beanstandet der Antragsteller,
dass sich die Behörde bei ihrer Annahme einer Tarnung einer den Nationalsozialismus verherrlichenden Versammlung
mit den Gegenindizien nicht ernsthaft auseinander gesetzt habe. Bei dem Antragsteller handele es sich in keiner
Weise um eine Person, welche neonazistisches Gedankengut heute noch vertrete. Es sei auch nicht nachvollziehbar,
wie das Oberverwaltungsgericht zu seiner Annahme komme, der Antragsteller habe nicht geleugnet, dass er und der
potentielle Teilnehmerkreis der Versammlung nationalsozialistisch geprägt seien. Auch die Art und Weise, in der die
Versammlung durchgeführt werden solle, lasse bei lebensnaher Betrachtung einen Schluss auf die Durchführung einer
den Nationalsozialismus verherrlichenden Demonstration nicht zu. Gerade die Diskussion in den Niederlanden sowie
die Aufhebung des Verbots der angemeldeten Kundgebung in Kerkrade durch die niederländischen Gerichte sprächen
eindeutig dagegen, dass durch die geplante Versammlung Assoziationen zum Einmarsch deutscher Truppen in die
Niederlande im Mai 1940 und die nachfolgende dortige Schreckensherrschaft des nationalsozialistischen
Besatzungsregimes geweckt würden. Im Übrigen wäre der angeblich von der Versammlung ausgehenden Gefährdung
der öffentlichen Ordnung durch ein milderes Mittel zu begegnen gewesen. Der Antragsteller habe zu jeder Zeit,
insbesondere auch gegenüber dem Verwaltungsgericht, seine Bereitschaft erklärt, Auflagen gegenüber offen zu sein.
II.
13
Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat im Wesentlichen Erfolg.
14
1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige
Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile dringend geboten ist. Bei - wie hier - offenem
Ausgang eines noch möglichen Verfassungsbeschwerdeverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen,
die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte,
gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der
Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 <161>; 88, 185 <186>; 91, 252
<257 f.>; stRspr).
15
2. Vorliegend führt die Abwägung zu einem Überwiegen derjenigen Gründe, die für den Erlass einer einstweiligen
Anordnung sprechen, mit der die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs begrenzt wieder hergestellt wird.
16
a) Bliebe die sofortige Vollziehbarkeit des Versammlungsverbots bestehen, hätte eine Verfassungsbeschwerde aber
später Erfolg, wäre der Antragsteller um die Möglichkeit gebracht worden, von dem ihm zustehenden Grundrecht auf
Versammlungsfreiheit in der gewünschten Weise Gebrauch zu machen. Da die Versammlungsbehörde in der
Verbotsverfügung darauf hingewiesen hat, dass die Verbotsgründe "auch jeden anderen Tag" umfassten, hat dies eine
darüber hinausgehende Bedeutung; es ist zu erwarten, dass dem Antragsteller vergleichbare Demonstrationen in dem
Zuständigkeitsbereich der Versammlungsbehörde auch in Zukunft verboten werden. Könnte die Versammlung wie
geplant stattfinden, erwiese sich eine Verfassungsbeschwerde später aber als unbegründet, so wäre die Versammlung
durchgeführt worden, obwohl von ihr nach der Einschätzung der Versammlungsbehörde erhebliche Gefahren für die
öffentliche Sicherheit (Begehung von Straftaten) und Ordnung (Verherrlichung des Nationalsozialismus) verbunden
wären.
17
b) Im Zuge der anzustellenden Abwägung der Folgen einer möglichen Entscheidung ist es in Verfahren der
vorliegenden Art für das Bundesverfassungsgericht regelmäßig ausgeschlossen, in eine eigenständige Ermittlung und
Würdigung des dem Eilrechtsschutzbegehren zu Grunde liegenden Sachverhalts einzutreten. Dies gilt insbesondere
dann, wenn es - wie auch im vorliegenden Verfahren - bereits aus Zeitgründen ausscheidet, behördliche und
fachgerichtliche Akten heranzuziehen sowie Stellungnahmen sämtlicher Beteiligter einzuholen und diese auszuwerten.
In Fällen dieser Art hat das Bundesverfassungsgericht seiner Abwägung in aller Regel die Tatsachenfeststellungen
und Tatsachenwürdigungen in den angegriffenen Entscheidungen zu Grunde zu legen (vgl. hierzu etwa BVerfGE 34,
211 <216>; 36, 37 <40>). Angesichts der Zeitgebundenheit der meisten Versammlungen muss Grundrechtsschutz
aber auch im Eilverfahren gewährt werden. Das Gericht kann sich daher nicht allein auf die angegriffene Entscheidung
stützen, wenn offensichtlich ist, dass zu Grunde gelegte Tatsachenfeststellungen fehlsam sind oder die angestellte
Tatsachenwürdigung unter Berücksichtigung des Schutzgehalts der betroffenen Grundrechtsnorm nicht tragfähig ist.
Einstweiliger Rechtsschutz ist insbesondere zu gewähren, wenn die Gefahrenprognose auf Umstände gestützt wird,
deren Berücksichtigung dem Schutzgehalt des Art. 8 GG offensichtlich widerspricht oder wenn das für eine
Einschränkung der Versammlungsfreiheit herangezogene Schutzgut und die angewandten Normen in rechtlicher
Hinsicht die Einschränkung offensichtlich nicht tragen (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom
26. März 2001 - 1 BvQ 15/01 -).
18
3. Die Argumentation der Versammlungsbehörde und der Gerichte ist anhand der Maßstäbe zur Überprüfung im
Rahmen des Eilrechtsschutzverfahrens weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht tragfähig.
19
a) Dies gilt in tatsächlicher Hinsicht zunächst für die Prognose der Versammlungsbehörde, im Rahmen der
Versammlung werde es zu Straftaten unter anderem gemäß §§ 86 a, 126, 130 StGB sowie zu
Körperverletzungsdelikten und damit zu einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit gemäß § 15 Abs. 1 VersG kommen.
Soweit in der behördlichen Untersagungsverfügung in allgemeiner Form darauf hingewiesen wird, bei der Durchführung
von Versammlungen der rechten Szene komme es, wie die Erfahrung zeige, immer wieder zu solchen Straftaten,
mangelt es an einem hinreichend konkreten Bezug zu der von dem Antragsteller geplanten Veranstaltung. Darüber
hinaus kann auch aus dem Umstand, dass es im Rahmen von Demonstrationen, bei denen der Antragsteller die
Funktion eines Ordners wahrgenommen hat, zu Straftaten gekommen ist, nicht automatisch auf Gleiches in dieser
Versammlung geschlossen werden. Ein einzelner Ordner kann regelmäßig nicht derart auf eine Versammlung
einwirken, dass ihm zuzurechnen ist, wenn Straftaten begangen werden. Eine rund sechs Jahre zurückliegende
Verurteilung des Antragstellers wegen eines Verstoßes gegen ein Vereinigungsverbot ist als Grundlage für die
Prognose von Straftaten ebenfalls nicht hinreichend.
20
b) An tragfähigen tatsächlichen Anhaltspunkten fehlt es auch insoweit, als dem Antragsteller vorgeworfen wird, er
beabsichtige, nicht die angemeldete Versammlung, sondern eine Versammlung anderen Inhalts durchzuführen, die der
Verherrlichung des Nationalsozialismus diene. Der Antragsteller bestreitet, neonazistisches Gedankengut zu
vertreten, bestätigt aber, in der NVU, einer weit rechts stehenden Organisation, Mitglied zu sein, bei der es sich aber
keinesfalls um eine neofaschistische oder dem Nationalsozialismus anhängende Organisation handele. Für die
Folgenbeurteilung ist entscheidend, ob nachvollziehbare Anhaltspunkte für eine Täuschung über den geplanten Inhalt
bestehen. Bei der Beurteilung des Inhalts und Gegenstandes einer Versammlung ist zunächst vom
Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters über Art und Inhalt der Versammlung auszugehen (vgl. BVerfGE 69, 315
<343>). Die Angaben des Veranstalters scheiden als Grundlage für die von der Behörde vorzunehmende
Gefahrenprognose allerdings aus, wenn tatsächliche Anhaltspunkte - etwa der Hinweis auf frühere Täuschungen des
Antragstellers (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. August 2000 - 1 BvQ 23/00 -) -
darauf hindeuten, dass der Veranstalter in Wahrheit eine Versammlung anderen Inhalts plant, die eine unmittelbare
Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bewirkt. Die Beweislast für die Tarnung eines das Verbot
rechtfertigenden Inhalts und damit eine täuschende Anmeldung liegt bei der Verwaltung. Dies verkennt das
Verwaltungsgericht, wenn es beanstandet, dass ein Zusammenhang der geplanten Demonstration mit dem
Kommunalwahlkampf nur schwer nachzuvollziehen sei, und den Hinweis des Antragstellers auf
Wahlkampfbehinderungen durch eine Festnahme am 3. Februar 2001 als unbeachtlich wertet. Der Sache nach läuft
die Argumentation des Verwaltungsgerichts auf die Begründung einer mit dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit
nicht zu vereinbarenden Obliegenheit eines Veranstalters hinaus, sich von gegen ihn ohne besonderen Anhaltspunkt
erhobenen Vorwürfen zu entlasten.
21
c) Der Rückgriff auf die Gefährdung der öffentlichen Ordnung scheidet als Rechtsgrundlage der Verbotsverfügung
aus, so dass die Folgenbeurteilung nicht darauf gestützt werden kann. Die zur Rechtfertigung des Verbots nach § 15
Abs. 1 VersG vorgetragenen tatsächlichen Anhaltspunkte und rechtlichen Ausführungen tragen das Verbot
offensichtlich nicht.
22
aa) Ein Verbot lässt sich nicht allein mit der Erwartung der Behörde und der Gerichte begründen, der Veranstalter
und die voraussichtlichen Teilnehmer würden nationalsozialistisches oder jedenfalls rechtsextremes Gedankengut
verbreiten. Insofern fehlen schon in tatsächlicher Hinsicht nähere Angaben und eine Auseinandersetzung mit dem
Vorbringen des Antragstellers.
23
In rechtlicher Hinsicht ist bedeutsam, dass der Maßstab zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Maßnahmen, die
den Inhalt von Meinungsäußerungen beschränken, sich aus dem Grundrecht der Meinungsfreiheit ergibt, nicht aus
dem der Versammlungsfreiheit (vgl. BVerfGE 90, 241 <246>). Eine Äußerung, die nach Art. 5 Abs. 2 GG nicht
unterbunden werden darf, kann auch nicht Anlass für versammlungsbeschränkende Maßnahmen nach Art. 8 Abs. 2
GG sein.
24
Die Meinungsfreiheit ist für die freiheitlich demokratische Ordnung des Grundgesetzes schlechthin konstituierend.
Es gilt die Vermutung zugunsten freier Rede (vgl. BVerfGE 7, 198 <208>; stRspr). Die Bürger sind rechtlich nicht
gehalten, die Wertsetzungen der Verfassung persönlich zu teilen. Das Grundgesetz baut zwar auf der Erwartung auf,
dass die Bürger die allgemeinen Werte der Verfassung akzeptieren und verwirklichen, erzwingt die Werteloyalität aber
nicht. Die Bürger sind daher auch frei, grundlegende Wertungen der Verfassung in Frage zu stellen, solange sie
dadurch Rechtsgüter anderer nicht gefährden. Die plurale Demokratie des Grundgesetzes vertraut auf die Fähigkeit
der Gesamtheit der Bürger, sich mit Kritik an der Verfassung auseinander zu setzen und sie dadurch abzuwehren.
Unter der Voraussetzung einer besonderen Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Ordnung kennen Art. 9 Abs.
2, Art. 18, Art. 21 Abs. 2 GG allerdings besondere Vorkehrungen der Gefahrenabwehr als Ausdruck einer wehrhaften
und streitbaren Demokratie. Diese Normen dienen auch dem Ziel, ein Wiederaufleben des Nationalsozialismus zu
verhindern.
25
Eine Grenze der Meinungsäußerung bilden gemäß Art. 5 Abs. 2 GG Strafgesetze, die zum Rechtsgüterschutz
ausnahmsweise bestimmte geäußerte Inhalte verbieten, wie allgemein §§ 185 ff. StGB (Beleidigung, Verleumdung)
und speziell im Bereich politischer Auseinandersetzungen etwa § 130 StGB (Volksverhetzung), § 86 a StGB
(Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) oder §§ 90 a, b StGB (Verunglimpfung des
Staates und seiner Symbole oder von Verfassungsorganen). Daneben kommen entgegen der Auffassung des
Oberverwaltungsgerichts zusätzliche "verfassungsimmanente Grenzen" der Inhalte von Meinungsäußerungen nicht
zum Tragen.
26
Die Behörde und die Gerichte haben - wie unter a) erwähnt - keine hinreichend konkreten Tatsachen für die Prognose
vorgetragen, dass der Antragsteller selbst oder die Teilnehmer der geplanten Versammlung durch die geäußerten
Inhalte Straftaten begehen werden. Die Gerichte berufen sich in der Folge auf die öffentliche Ordnung als Grenze der
Meinungsäußerung auch für den Fall, dass die Schwelle der Strafbarkeit im Einzelfall noch nicht erreicht ist. Dies
setzt voraus, dass eine Ermächtigung zum Schutz der öffentlichen Ordnung als allgemeines Gesetz und damit als
Schranke der Meinungsfreiheit im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG in Betracht kommt. Beschränkungen einer
Meinungsäußerung und der für sie gewählten Ausdrucksform unter Einschluss des Gebrauchs von Symbolen sind
rechtmäßig, wenn sie dem Schutz eines ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsguts
dienen, dem bei einer Güterabwägung Vorrang vor dem Schutz der Meinungsfreiheit gebührt (vgl. BVerfGE 7, 198
<209 f.>; 71, 108 <114>; stRspr). Ob eine Ermächtigung zum Schutze der öffentlichen Ordnung diese Voraussetzung
erfüllen und deshalb zur Beschränkung von Meinungsäußerungen herangezogen werden kann, bedarf hier keiner
grundsätzlichen Entscheidung. Denn § 15 VersG ist hinsichtlich des Schutzes der öffentlichen Ordnung insoweit
einengend auszulegen, als zur Abwehr von kommunikativen Angriffen auf Schutzgüter der Verfassung besondere
Strafrechtsnormen geschaffen worden sind. Die darin vorgesehenen Beschränkungen von Meinungsäußerungen sind
jedenfalls im Hinblick auf seit langem bekannte Gefahrensituationen abschließend und verwehren deshalb einen
Rückgriff auf die in § 15 Abs. 1 VersG enthaltene Ermächtigung zum Schutz der öffentlichen Ordnung, soweit kein
Straftatbestand erfüllt ist (vgl. Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht, 7. Aufl. 1998, S. 60). Der Gesetzgeber hat
durch die enge Fassung der Straftatbestände zum Ausdruck gebracht, im Übrigen keinen Vorrang des
Rechtsgüterschutzes gegenüber Meinungsäußerungen anzuerkennen.
27
bb) Der Schutz des Inhalts und der geistigen Wirkung der Äußerung gilt auch dann, wenn Meinungen in
gemeinschaftlicher Form in oder durch Versammlungen geäußert werden. Die Beurteilung rechtlicher Grenzen im
Hinblick auf Besonderheiten der gemeinschaftlichen Kundgabe und Erörterung erfolgt demgegenüber am Maßstab der
Versammlungsfreiheit des Art. 8 GG. Dabei können Umstände bedeutsam werden, die eine besondere Gefährlichkeit
auf Grund des gemeinschaftlichen Zusammenwirkens der Versammlungsteilnehmer bewirken.
28
(1) § 15 Abs. 1 VersG erkennt auch die öffentliche Ordnung als Schranke der Versammlungsfreiheit im Sinne des
Art. 8 Abs. 2 GG an. Unter öffentlicher Ordnung wird die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln verstanden, deren
Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit dem Wertgehalt des Grundgesetzes zu vereinbarenden sozialen
und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens
innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird (vgl. BVerfGE 69, 315 <352>). Mehrheitsanschauungen allein
reichen zur Bestimmung des Gehalts der öffentlichen Ordnung nicht. Art. 8 GG ist für die Freiheitlichkeit der
demokratischen Ordnung besonders wichtig als Minderheitenschutzrecht. Die Ausstrahlungswirkung des Art. 8 GG ist
daher auch bei der Bestimmung der Reichweite des Begriffs der öffentlichen Ordnung zu berücksichtigen. Darüber
hinaus ist im Rahmen verfassungskonformer Gesetzesanwendung sicherzustellen, dass Verbote von Versammlungen
im Wesentlichen nur zur Abwehr von Gefahren für elementare Rechtsgüter in Betracht kommen. Dieser Schutz wird
regelmäßig in der positiven Rechtsordnung und damit im Rahmen des Schutzes der öffentlichen Sicherheit
verwirklicht. Eine bloße Gefährdung der öffentlichen Ordnung rechtfertigt im Allgemeinen ein Versammlungsverbot
nicht (vgl. BVerfGE 69, 315 <352 f.>). Es setzt als ultima ratio vielmehr voraus, dass das mildere Mittel der
Auflagenerteilung ausgeschöpft ist. Auflagen können zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Ordnung vorgesehen
werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 26. Januar 2001 - 1 BvQ 9/01 -). Auch
insofern gilt, dass die Gefahrenprognose auf erkennbaren Umständen beruhen muss. Ein bloßer Verdacht und
Vermutungen reichen nicht aus (vgl. BVerfGE 69, 315 <353 f.>).
29
(2) Die Behörde und die Gerichte sehen den Verstoß gegen die öffentliche Ordnung in dem nationalsozialistischen
Gepräge der geplanten Versammlung und der damit verbundenen Auswirkung auf die Bürger und das Ansehen der
Bundesrepublik im Ausland. In tatsächlicher Hinsicht stützen sie ihre Einschätzung auf den potentiellen
Teilnehmerkreis der Versammlung, der Verbindungen zu rechtsextremen Netzwerken habe, und auf die Erwartung, der
Veranstalter und die Teilnehmer der Versammlung würden rechtsextremes Gedankengut verbreiten. Verwiesen wird
ferner auf das geplante Mitführen schwarzer Fahnen und auf die durch sie symbolisierte Nähe zur SS, auf den
gewählten Termin sowie den geplanten Grenzübergang in die Niederlande. Ferner werden der Einsatz von Trommeln
und das Marschieren in Marschordnung aufgeführt.
30
Es ist nachvollziehbar, wenn die Behörde und die Gerichte annehmen, durch einen von solchen Begleitumständen
geprägten symbolhaltigen Marsch könnten Erinnerungen an die nationalsozialistische Zeit und den Einmarsch der
Deutschen in die Niederlande geweckt werden. Es ist auch nicht offensichtlich fehlsam, dass sie die Gefahr einer
Verletzung der sozialen und ethischen Anschauungen über unerlässliche Voraussetzungen eines geordneten
menschlichen Zusammenlebens jedenfalls bei den in dem Gebiet Wohnenden bejahen. Art. 8 Abs. 2 GG schließt
unter solchen Umständen nicht zwingend Beschränkungen einer öffentlichen Versammlung aus, die dem Grundsatz
der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Vorausgesetzt ist, dass von der Art der gemeinschaftlichen Kundgabe eine
Gefahr für die öffentliche Ordnung auszugehen droht, die nicht auf der bloßen Äußerung der Inhalte beruht, sondern
auf besonderen, beispielsweise provokativen oder aggressiven, das Zusammenleben der Bürger konkret
beeinträchtigenden Begleitumständen. Art. 8 GG schützt Aufzüge, nicht aber Aufmärsche mit paramilitärischen oder
sonstwie einschüchternden Begleitumständen. Bei der rechtlichen Beurteilung einer geplanten Versammlung kann
bedeutsam werden, dass einzelne je für sich unbedenkliche Verhaltensweisen in ihrer Gesamtheit der Versammlung
einen die schutzfähigen Anschauungen über ein friedliches Zusammenleben der Bürger bedrohenden Charakter
verschaffen.
31
Dementsprechend ist es im Rahmen der summarischen Prüfung im Zuge des Eilrechtsschutzes nicht als
offensichtlich fehlerhaft zu bewerten, dass die Behörde und die Gerichte eine Gefahr für die öffentliche Ordnung aus
dem Zusammenspiel verschiedener Umstände abgeleitet haben, die zu den von der Behörde und den Gerichten
erwarteten, als solchen hinzunehmenden Inhalten der Versammlung hinzutreten, wie das Mitführen von
Landsknechtstrommeln und schwarzen Fahnen, das Marschieren in Marschordnung und unter Überschreitung der
deutsch-niederländischen Grenze an einem historisch belasteten Ort. Ob diese Umstände auch in einem
Hauptsacheverfahren bei einer Überprüfung des Tatbestands einer Gefahr für die öffentliche Ordnung unter
Berücksichtigung der Ausstrahlungswirkung der Versammlungsfreiheit auf die Auslegung dieses Begriffs ausreichen,
kann im Rahmen des Eilrechtsschutzverfahrens nicht mit hinreichender Gründlichkeit geprüft und nicht abschließend
beurteilt werden. Auch muss hier dahinstehen, ob alle von der Behörde berücksichtigten Umstände, beispielsweise
auch der beabsichtigte Zeitpunkt, herangezogen werden dürfen. Ebenfalls bleibt offen, ob die Verletzung des
Ansehens der Bundesrepublik Deutschland im Ausland eine beschränkende Verfügung rechtfertigen könnte.
32
(3) Als Grundlage eines Versammlungsverbots kommen die von der Behörde und den Gerichten berücksichtigten
Umstände jedenfalls deshalb nicht in Betracht, weil die angenommene Gefahr durch mildere Mittel als ein Verbot,
insbesondere durch versammlungsrechtliche Auflagen, beseitigt werden kann.
33
Die Gerichte haben die Rechtmäßigkeit des Verbots mit der Begründung bejaht, die erforderlichen Auflagen würden,
weil sie sich gegen den kommunikativen Inhalt der Versammlung richten, den Charakter der Versammlung so
verändern, dass der Erlass von Auflagen auf die Durchführung einer ganz anderen, bislang nicht beantragten
Versammlung hinauslaufen würde. In der Folge haben sie dem Antragsteller als Veranstalter der Versammlung die
Möglichkeit genommen, selbst zu bestimmen, ob er die geplante Versammlung gegebenenfalls mit Auflagen
durchführen will. Zur Versammlungsfreiheit gehört das Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters bei der
Entscheidung über die von ihm angestrebten Modalitäten der Versammlung (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten
Senats, Beschluss vom 26. März 2001 - 1 BvQ 15/01 -). Die Versammlungsbehörde und die Gerichte missachten
dieses Selbstbestimmungsrecht, wenn sie dem Veranstalter nicht, etwa in einem Kooperationsgespräch, die
Möglichkeit einräumen, Vorstellungen zur Verwirklichung seines Versammlungsrechts auch in Anbetracht
gegenläufiger Rechtsgüter einzubringen und darzulegen, welche Auflagen nach seiner Beurteilung mit dem verfolgten
Versammlungszweck vereinbar sind. Stattdessen lassen sie allein ihre Einschätzung maßgeblich werden oder
verneinen gar von vornherein, dass dem Veranstalter hilfsweise auch an einer Versammlung mit beschränkenden
Auflagen gelegen ist.
34
Da der Antragsteller selbst dargelegt hat, "für Auflagen offen zu sein", hat er zum Ausdruck gebracht, an der
Durchführung der Versammlung auch mit Auflagen interessiert zu sein. Es hätte daher geprüft werden müssen,
welche konkreten Auflagen hätten rechtmäßig sein und unter Berücksichtigung des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit dazu beitragen können, eine Gefahr für die öffentliche Ordnung auszuräumen.
35
d) Schließlich lässt sich das Versammlungsverbot auch nicht wegen des Risikos von Gegendemonstrationen mit
den Grundsätzen polizeilichen Notstands rechtfertigen. Die Versammlungsbehörde hat insoweit ohne nähere
Erläuterung darauf hingewiesen, dass "nicht überblickt werden könne", ob an dem Veranstaltungstag genügend
Polizeikräfte zur Bewältigung des Einsatzes zur Verfügung stünden, da möglicherweise Einheiten nach Gorleben
entsandt werden müssten. Auf polizeilichen Notstand kann eine Maßnahme nur gestützt werden, wenn die Gefahr auf
andere Weise nicht abgewehrt werden kann und die Verwaltungsbehörde nicht über ausreichende eigene, eventuell
durch Amts- und Vollzugshilfe ergänzte Mittel und Kräfte verfügt, um die Rechtsgüter wirksam zu schützen. Das
Gebot, vor der Inanspruchnahme von Nichtstörern eigene Kräfte gegen die Störer einzusetzen, steht zwar unter dem
Vorbehalt der Verfügbarkeit solcher Kräfte (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 26. März
2001 - 1 BvQ 15/01 -). Eine Inanspruchnahme des Antragstellers als Nichtstörer käme aber nur dann in Betracht,
wenn feststünde, dass die Versammlungsbehörde wegen der Erfüllung vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des
Bemühens, gegebenenfalls externe Polizeikräfte hinzuzuziehen, zum Schutz der von dem Antragsteller angemeldeten
Versammlung nicht in der Lage wäre. Eine pauschale Behauptung dieses Inhalts reicht nicht.
36
4. Das Bundesverfassungsgericht verbindet die Herstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs mit den
im Tenor aufgeführten inhaltlichen Maßgaben, um mögliche Gefahren, die von der Versammlungsbehörde
prognostiziert werden und die im Rahmen der im Eilrechtsschutzverfahren gebotenen Folgenabwägung zu
berücksichtigen sind, möglichst gering zu halten. Die Festlegung dieser Maßgaben beansprucht nicht, die
versammlungsrechtlichen Möglichkeiten einer Bestimmung von Auflagen auszuschöpfen. Auch ist mit dieser
Entscheidung im Verfahren gemäß § 32 BVerfGG eine Aussage zur Rechtmäßigkeit derartiger
versammlungsrechtlicher Auflagen nach § 15 Abs. 1 VersG nicht verbunden.
37
5. Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen beruht auf § 34 a Abs. 3 BVerfGG.
38
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Papier
Steiner
Hoffmann-Riem