Urteil des BVerfG vom 15.08.2006

BVerfG: ärztliche behandlung, verfassungsbeschwerde, strafverfahren, straftat, ermittlungsverfahren, leib, vergleich, treppe, körperverletzung, analyse

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 1028/06 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn C...,
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte Zauner & von Poser,
Langenhorner Markt 11, 22415 Hamburg -
gegen a) den Beschluss des Landgerichts Itzehoe vom 10. April 2006 - 2 Qs 80/06 -,
b)
den Beschluss des Amtsgerichts Elmshorn vom 6. März 2006 - 32 Gs 251/05 -
hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Hassemer,
die Richter Di Fabio
und Landau
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I
S. 1473) am 15. August 2006 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
1
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2
BVerfGG liegt nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.
2
1. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits festgestellt, dass die in § 81 g StPO geregelte molekulargenetische
Untersuchung von Körperzellen und die Speicherung des dadurch gewonnenen DNA-Identifizierungsmusters zum
Zweck der Vorsorge für die Verfolgung von Straftaten keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen (BVerfGE
103, 21 ff.). Da die Maßnahme eine auf bestimmte Tatsachen gestützte Prognose voraussetze, dass gegen den
Betroffenen künftig weitere Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sein werden, sei sie auf besondere Fälle
beschränkt und also verhältnismäßig. Eine tragfähig begründete Entscheidung setze allerdings voraus, dass ihr eine
zureichende Sachaufklärung, insbesondere durch Beiziehung der verfügbaren Straf- und Vollstreckungsakten, des
Bewährungshefts und zeitnaher Auskünfte aus dem Bundeszentralregister, vorausgehe. Notwendig und ausreichend
für die Anordnung sei, dass wegen der Art oder Ausführung der bereits abgeurteilten Straftat, der Persönlichkeit des
Verurteilten oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme bestehe, dass gegen ihn künftig erneut
Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen seien. Dabei sei eine auf den Einzelfall
bezogene Entscheidung, die auf schlüssigen, verwertbaren und in der Entscheidung nachvollziehbar dokumentierten
Tatsachen beruhe und die richterliche Annahme der Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten von erheblicher Bedeutung
belege, erforderlich (vgl. BVerfGE 103, 21 <34 ff.>; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des
Bundesverfassungsgerichts vom 15. März 2001 - 2 BvR 1841/00 u.a. -, NJW 2001, S. 2320; Beschluss der
3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Dezember 2001 - 2 BvR 429/01, 2 BvR
483/01 -, StV 2003, S. 1; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 16.
Februar 2006 - 2 BvR 561/03 -, juris).
3
Diese Voraussetzungen erlauben auch - wie vom Gesetzgeber ausdrücklich vorgesehen - eine Anordnung der
Maßnahme im laufenden Strafverfahren (vgl. BTDrucks 13/10791, S. 5; BTDrucks 15/5674, S. 8 f., 11 f.; nach dem
Gesetz zur Novellierung der forensischen DNA-Analyse vom 12. August 2005, BGBl I S. 2360, regeln § 81 g Abs. 1
bis 3 und 5 StPO nunmehr die Maßnahme im laufenden Ermittlungsverfahren und § 81 g Abs. 4 und 5 StPO die sog.
retrograde Erfassung). Dem liegt zugrunde, dass Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere Taten, die
gegen Leib oder Leben anderer Personen gerichtet sind und dabei Spuren entstehen lassen, die dem Vergleich
anhand des DNA-Identifizierungsmusters zugänglich sind, auch vor einer Verurteilung wegen der Anlasstat, auf die die
Maßnahme gestützt wird, begangen werden können (vgl. BVerfGE 103, 21 <40>).
4
2. Die Entscheidung des Landgerichts genügt im Hinblick auf diesen Maßstab den Anforderungen an eine
verfassungsgemäße Anordnung.
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Das Landgericht stützt seine Entscheidung darauf, dass der Beschwerdeführer als Mitarbeiter eines
Sicherheitsdienstes bei einem Pop-Konzert den Geschädigten eine Treppe hinuntergestoßen habe, wodurch der
Geschädigte bewußtlos wurde und sich wegen einer erlittenen Rippenprellung für eine Woche in stationäre ärztliche
Behandlung begeben musste. Dies ergebe sich aus den Aussagen der im Ermittlungsverfahren vernommenen
Zeugen. Grund zu der Annahme, dass gegen den Beschwerdeführer künftig Strafverfahren wegen einer Straftat von
erheblicher Bedeutung zu führen seien, bestehe, weil der Beschwerdeführer bereits wegen versuchter gefährlicher
Körperverletzung vorbestraft sei, weil die Anlasstat ein hohes Maß an Brutalität aufweise und weil der
Beschwerdeführer als Sicherheitskraft besonders gefährdet sei, wieder in vergleichbare Situationen zu geraten.
6
Diese Ausführungen sind auf den Einzelfall bezogen und lassen erkennen, dass das Landgericht seiner
Entscheidung Erkenntnisse aus den Verfahrensakten und dem Bundeszentralregister zugrunde gelegt und auch die
persönliche Situation des Beschwerdeführers in seine Erwägungen einbezogen hat. Ist es dem Gericht - wie hier -
möglich, auf Grundlage solcher Erkenntnisse eine Entscheidung zu treffen, so ist es nicht verpflichtet - in
Vorwegnahme der Untersuchungen des erkennenden Gerichts - weitere Beweiserhebungen anzustellen.
7
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
8
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Hassemer
Di Fabio
Landau