Urteil des BVerfG vom 13.04.2000

BVerfG: pressefreiheit, privatsphäre, persönlichkeitsrecht, papier, grundrecht, selbstkontrolle, umwelt, anschluss, hochzeit, unterhaltung

Entscheidungen
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 150/98 -
- 1 BvR 151/98 -
In den Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerden
der B. Verlag GmbH,
vertreten durch den Geschäftsführer,
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte Prof. Dr. Robert Schweizer und Koll.,
Arabellastraße 21, München -
1.
gegen
das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 9. Dezember 1997 -
7 U 171/97 -
- 1 BvR 150/98 -,
2.
gegen
das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 9. Dezember 1997 -
7 U 172/97 -
- 1 BvR 151/98 -
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den
Vizepräsidenten Papier
und die Richter Steiner,
Hoffmann-Riem
gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I
S. 1473) am 13. April 2000 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe:
1
Die Verfassungsbeschwerden betreffen Fragen des Persönlichkeitsschutzes gegenüber der Wortberichterstattung
der Presse. Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen Verurteilungen zur Unterlassung von Äußerungen über eine
bevorstehende Vermählung der Kläger der beiden Ausgangsverfahren.
2
Die Verfassungsbeschwerden sind nicht zur Entscheidung anzunehmen. Ihnen kommt keine grundsätzliche
verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinne des § 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG zu. Die von ihnen aufgeworfenen
Fragen zur Reichweite des Persönlichkeitsschutzes und der Pressefreiheit sind im Grundsätzlichen mit dem Urteil
des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1999 - 1 BvR 653/96 - geklärt worden. Die
Anwendung dieser Grundsätze auf den Einzelfall einschließlich der Zuordnung kollidierender Grundrechte im Zuge
einer Abwägung ist eine Aufgabe der Fachgerichte. Eine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung folgt nicht
allein aus dem Interesse an weiteren Konkretisierungen, und zwar auch nicht insoweit als die vom
Bundesverfassungsgericht vorgenommenen Klärungen Spielräume bei der Anwendung und Abwägung im Einzelfall
belassen.
3
Die Annahme der Verfassungsbeschwerden gegen die Entscheidungen des Fachgerichts ist auch nicht nach § 93 a
Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin angezeigt. Dies wäre der
Fall, wenn die geltend gemachte Verletzung von Grundrechten besonderes Gewicht hätte oder die Beschwerdeführerin
in existentieller Weise beträfe. Besonders gewichtig ist eine Grundrechtsverletzung, die auf eine generelle
Vernachlässigung von Grundrechten hindeutet oder wegen ihrer Wirkung geeignet ist, von der Ausübung von
Grundrechten abzuhalten. Eine geltend gemachte Verletzung hat ferner dann besonderes Gewicht, wenn sie auf einer
groben Verkennung des durch ein Grundrecht gewährten Schutzes oder einem geradezu leichtfertigen Umgang mit
grundrechtlich geschützten Positionen beruht (vgl. BVerfGE 90, 22 <25>).
4
Das Oberlandesgericht hat die Pressefreiheit, die es bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen
zivilrechtlichen Vorschriften ebenso berücksichtigen muss wie den grundrechtlichen Persönlichkeitsschutz, weder
verkannt noch im Verhältnis zu diesem fehlerhaft gewichtet.
5
Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, dessen Ausstrahlungswirkung das zivilrechtliche
Persönlichkeitsrecht verstärken kann, vermittelt entgegen dem Eindruck, der in der einleitenden Passage der
angegriffenen Entscheidungen erweckt wird, zwar kein allgemeines und umfassendes Verfügungsrecht über die
Darstellung der eigenen Person (vgl. das Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 15.
Dezember 1999 - 1 BvR 653/96 -, Umdruck S. 28 f.). Das Grundrecht erfordert es daher nicht,
Unterlassungsansprüche hinsichtlich einer Wortberichterstattung nach §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB analog in
rechtsdogmatischer Hinsicht ähnlich zu strukturieren oder gar genauso zu behandeln wie die nach §§ 22, 23 KUG zu
beurteilende Bildberichterstattung. Andererseits hängt die Reichweite des Persönlichkeitsschutzes gegenüber der
Berichterstattung durch Presse nicht davon ab, wodurch das Persönlichkeitsrecht verletzt wird. Unhaltbar in ihrer
Pauschalität ist daher die These der Beschwerdeführerin, Wortberichterstattung müsse bei vergleichbaren Themen in
weiterem Umfang zulässig sein als Bildberichterstattung.
6
Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG schützt, worauf das Oberlandesgericht ebenfalls zurückgreift, unter
anderem die Privatsphäre. Dieser Schutz erfasst zum einen in thematischer Hinsicht Angelegenheiten, die wegen
ihres Informationsinhalts typischerweise als "privat" eingestuft werden, etwa weil ihre öffentliche Erörterung als
unschicklich gilt, das Bekanntwerden als peinlich empfunden wird oder nachteilige Reaktionen in der Umwelt auslöst.
Er erstreckt sich zum anderen auf einen räumlich bestimmten Bereich, in dem der Einzelne die Möglichkeit hat, frei
von öffentlicher Beobachtung und der von ihr erzwungenen Selbstkontrolle zu sein, und in dem er zu sich kommen,
sich entspannen oder auch gehen lassen kann (vgl. das Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts
vom 15. Dezember 1999 - 1 BvR 653/96 -, Umdruck S. 31 ff.). Für den Schutzbereich kommt es grundsätzlich nicht
darauf an, ob die Darstellung sich negativ oder positiv auf das Erscheinungsbild der Betroffenen auswirkt.
7
Unter Berücksichtigung dieser grundrechtlichen Maßstäbe ist die vom Oberlandesgericht im Anschluss an die
landgerichtlichen Entscheidungen vorgenommene Beurteilung der streitgegenständlichen Aussagen und deren
Zuordnung zur Privatsphäre im Grundsatz verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere begegnet die
Annahme keinen Einwänden, die mit zahlreichen prominenten Gästen gefeierte Hochzeit führe nicht dazu, dass der
Schutz der Privatsphäre für damit nicht im Zusammenhang stehende Angaben über den Kläger und die Klägerin der
Ausgangsverfahren entfiele. Ebenso wenig lässt die weitere Beurteilung grundsätzliche verfassungsrechtliche Fehler
erkennen, dass beispielsweise die Angaben über die Umstände, wie sich der Kläger und die Klägerin kennen gelernt
und verlobt haben, über die jeweiligen Vermögensverhältnisse oder über bestimmte persönliche Vorlieben zu den
privaten Belangen zählten.
8
Der im Rahmen der weiteren Tatbestandsmerkmale des Unterlassungsanspruchs vorgenommenen Bewertung und
Gewichtung des Berichterstattungs- und Unterhaltungsinteresses steht die Pressefreiheit nicht entgegen. Auch wenn
die bloße Unterhaltung ebenfalls in den Grundrechtsschutz einbezogen ist und sie in mehr oder weniger weit
reichendem Umfang meinungsbildende Funktion haben kann, darf im Rahmen der Abwägung berücksichtigt werden,
ob Fragen, die die Öffentlichkeit wesentlich angehen, erörtert oder lediglich private Angelegenheiten, die nur die
Neugier befriedigen, ausgebreitet werden (vgl. das Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 15.
Dezember 1999 - 1 BvR 653/96 -, Umdruck S. 41 ff.).
9
Ob die Beurteilungen im Einzelfall auch anders hätten ausfallen können, spielt für die Frage der Annahme der
Verfassungsbeschwerden keine Rolle. Die Auslegung und Anwendung der Verfassungsrechtsnormen beruht nicht auf
einer groben Verkennung ihrer Bedeutung und Tragweite. Auch trifft die Pflicht zur Unterlassung der Äußerungen die
Beschwerdeführerin nicht in existentieller Weise.
10
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
11
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Papier
Steiner
Hoffmann-Riem