Urteil des BSG vom 25.04.2018

Urteil vom 25.04.2018

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 25.4.2018, B 8 SO 24/16
R
ECLI:DE:BSG:2018:250418UB8SO2416R0
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des
Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 28. April 2016
wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu
erstatten.
Tatbestand
1
Im Streit sind höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem
Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für die Zeit
von Juni bis Dezember 2011.
2
Die im April 1946 geborene alleinstehende Klägerin, die im streitigen
Zeitraum über kein Vermögen verfügte und eine Mietwohnung (Miete
inklusive Nebenkosten 305,35 Euro, Heizungskosten 40,86 Euro)
bewohnte, war von September 2010 bis Juni 2012 geringfügig
beschäftigt und erzielte ein Bruttoarbeitsentgelt von 120 Euro
monatlich. Bis April 2011 erhielt sie Arbeitslosengeld II (Alg II); dabei
wurde ihr Erwerbseinkommen in Höhe von 16 Euro monatlich
berücksichtigt (Bescheid vom 24.11.2010). Ab Mai 2011 bezog die
Klägerin von der Deutschen Rentenversicherung Braunschweig-
Hannover eine Altersrente
(in den Monaten Mai und Juni in Höhe von 131,99 Euro monatlich, ab
Juli 2011 in Höhe von 133,30 Euro monatlich; Bescheid vom
16.2.2011; Anpassung zum 1.7.2011)
.
3
Auf ihren Antrag bewilligte die Stadt Göttingen der Klägerin im Namen
des Beklagten Grundsicherungsleistungen, zuletzt für die Zeit von
Juni bis Dezember 2011 in Höhe von 497,86 Euro monatlich,
errechnet aus einem Regelbedarf in Höhe von 364 Euro sowie
Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 346,21 Euro und
unter Berücksichtigung von Erwerbseinkommen in Höhe von 80,36
Euro (120 Euro abzüglich eines Betrags für Arbeitsmittel in Höhe von
5,20 Euro und eines aus dem Differenzbetrag errechneten
Freibetrags in Höhe von 34,44 Euro) sowie Renteneinkommen in
Höhe von 131,99 Euro (Bescheid vom 11.4.2011).
4
Während des von der Klägerin gegen diesen Bescheid geführten
Widerspruchsverfahrens "übernahm" die Stadt Göttingen auf Antrag
der Klägerin namens des Beklagten die sich aus der
Nebenkostenabrechnung 2010 ergebende Nachforderung in Höhe
von 293,47 Euro (Bescheid vom 31.5.2011)und bewilligte - unter
teilweiser Änderung des Bescheids vom 11.4.2011 -
Grundsicherungsleistungen für die Zeit von Juli 2011 bis Dezember
2011. Sie gewährte für Juli 2011 Leistungen in Höhe von 790,02 Euro
und für die Zeit ab August 2011 in Höhe von 496,55 Euro, errechnet
aus einem Bedarf in Höhe von 710,21 Euro (August bis Dezember
2011) bzw - aufgrund der Nebenkostennachforderung - 1003,68 Euro
(Juli 2011) unter Anrechnung jeweils von Renteneinkommen in Höhe
von 133,30 Euro und Erwerbseinkommen in Höhe von 80,36 Euro
monatlich (Bescheid vom 8.8.2011).Der Widerspruch der Klägerin war
teilweise erfolgreich. Für die Monate Mai bis August 2011 wurde
Erwerbseinkommen (nur noch) "in Höhe von 37,80 Euro pro Monat
auf den Grundsicherungsbedarf angerechnet"
(120 Euro abzüglich 36 Euro Freibetrag, 5,20 Euro
Arbeitsmittelpauschale und zudem 41 Euro Fahrtkosten;
Widerspruchsbescheid des Beklagten unter Beteiligung sozial
erfahrener Dritter vom 24.8.2011)
; im Übrigen wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Im
Anschluss bewilligte die Stadt Göttingen namens des Beklagten der
Klägerin - unter Aufhebung des vorangegangenen
Bewilligungsbescheids insoweit - für die Zeit von September bis
Dezember 2011 Grundsicherungsleistungen in Höhe von monatlich
539,11 Euro, ebenfalls unter Berücksichtigung von
Erwerbseinkommen in Höhe von monatlich 37,80 Euro
(Bescheid vom 26.8.2011).
5
Die dagegen mit dem Ziel erhobene Klage, 21,80 Euro monatlich
höhere Leistungen zu erlangen, ist nur im Sinne eines klarstellenden
Tenors, im Übrigen jedoch nicht erfolgreich gewesen
(Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 21.11.2013; Urteil
des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom
28.4.2016)
. Das LSG hat die zugelassene Berufung zurückgewiesen und zur
Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, für die
bedarfsmindernde Berücksichtigung des Erwerbseinkommens von
120 Euro sei kein anderer als der in § 82 Abs 3 Satz 1 SGB XII
vorgesehene Betrag abzusetzen. Weder liege ein begründeter Fall iS
von § 82 Abs 3 Satz 3 SGB XII vor noch komme eine analoge
Anwendung von § 11b Abs 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch -
Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) in Betracht. § 82 SGB
XII sei auch nicht verfassungswidrig. Die Regelung führe weder zu
einer unzulässigen Diskriminierung wegen des Alters noch folge aus
ihr eine faktische (mittelbare) Diskriminierung von Frauen
(Art 3 Abs 2 Grundgesetz ).
6
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 82 SGB XII
und Art 3 GG. Die uneingeschränkte Anwendung von § 82 SGB XII
führe in einem Fall wie ihrem zu einer altersbedingten Diskriminierung.
Erwerbseinkommen werde bei Bezug von
Grundsicherungsleistungen nach Erreichen der Regelaltersgrenze
gegenüber Erwerbseinkommen bei Bezug von Leistungen nach dem
SGB II ohne sachlichen Grund stärker berücksichtigt. Zudem würden
insbesondere Frauen durch diese Regelung diskriminiert. Die für
Altersrentenbezieher ungünstigere Einkommensanrechnung betreffe
aufgrund der durchschnittlich sehr geringen Rente
überdurchschnittlich häufig Frauen; diese seien verstärkt auf einen
Hinzuverdienst angewiesen. Durch Erhöhung der Freibeträge und der
Hinzuverdienstgrenzen könne eine Angleichung an die
durchschnittliche Altersrente von Männern "ungefähr erreicht"
werden.
7
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 28.
April 2016 und des Sozialgerichts Hildesheim vom 21. November
2013 sowie die Bescheide vom 11. April und 8. August 2011 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. August 2011 und den
Bescheid vom 26. August 2011 zu ändern und den Beklagten zu
verurteilen, ihr für die Zeit vom 1. Juni bis zum 31. Dezember 2011
weitere Leistungen der Grundsicherung im Alter in Höhe von 152,60
Euro zu zahlen.
8
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
9
Er hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.
Entscheidungsgründe
10
Die Revision ist unbegründet
(§ 170 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ). Der Klägerin
steht ein Anspruch auf höhere Leistungen für die Zeit von Juni bis
Dezember 2011 nicht zu.
11
Gegenstand des Revisionsverfahrens sind der Bescheid vom
11.4.2011 den Monat Juni 2011 betreffend sowie der Bescheid vom
8.8.2011, der im Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom
11.4.2011 die Leistungsbewilligung
(einschließlich des "Übernahmebescheids" vom 31.5.2011)für die
Monate Juli und August 2011 ersetzt hat
(§ 86 SGG; vgl zur insoweit an den Wortlaut des § 96 SGG
angepassten Auslegung des § 86 SGG nur Bundessozialgericht
SozR 4-2600 § 307b Nr 10 RdNr 12; zur analogen
Anwendung auf hier nicht streitbefangene Folgezeiträume BSG
Urteil vom 17.6.2008 - B 8 AY 11/07 R - Juris RdNr 10),
Urteil vom 17.6.2008 - B 8 AY 11/07 R - Juris RdNr 10),
beide Bescheide in Gestalt des unter Beteiligung sozial erfahrener
Dritter (§ 116 SGB XII) erlassenen Widerspruchsbescheids vom
24.8.2011 (§ 95 SGG). Gegenstand des Verfahrens ist zudem der
Bescheid vom 26.8.2011, der Änderungen für die Monate
September bis Dezember 2011 enthält und für diese Monate die
vorangehenden Regelungen nach § 96 SGG ersetzt hat
(vgl zur Anwendung dieser Vorschrift auch auf zwischen Erlass des
Widerspruchsbescheids und Klageerhebung ergangene Bescheide
nur Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12.
Aufl 2017, § 96 RdNr 3a)
. Mit diesen Bescheiden sind
(mit Ausnahme nur des Monats Juni 2011, dazu sogleich) jeweils
höhere als zuvor gewährte Leistungen bewilligt worden; alle jeweils
vorangegangenen Bescheide haben sich damit auch für die Zeit von
Juli bis Dezember 2011 für den streitbefangenen Zeitraum durch
diese Bescheide erledigt
(§ 39 Abs 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch -
Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - ; vgl
dazu BSGE 121, 283 = SozR 4-3500 § 82 Nr 11, RdNr 11).
Für den Monat Juni 2011 hat der Beklagte zwar nicht höhere
Leistungen gewährt, jedoch in derselben Höhe über den Anspruch
der Klägerin nochmals vollständig neu entschieden und daher im
Wege eines Zweitbescheids den vorangegangenen Bescheid vom
1.4.2011 vollständig ersetzt, der sich dadurch "auf andere Weise"
erledigt hat
(ebenfalls § 39 Abs 2 SGB X; vgl dazu BSGE 95, 57 RdNr 10 =
SozR 4-1300 § 48 Nr 6 RdNr 11; BSG SozR 4-2600 § 89 Nr 3 RdNr
17 f)
.
12
In zeitlicher Hinsicht hat die Klägerin den Streitgegenstand schon im
Klageverfahren zulässig
(vgl dazu nur BSG Urteil vom 13.7.2017 - B 8 SO 1/16 R, Juris RdNr
12, SozR 4-3250 § 14 Nr 26 sowie zur Veröffentlichung in BSGE
vorgesehen)
auf die Zeit von Juni bis Dezember 2011 beschränkt. Ihr diesen
Zeitraum betreffendes, auf die Zahlung von 21,80 Euro höheren
monatlichen Leistungen der Grundsicherung und folglich einen
Gesamtbetrag von 152,60 Euro gerichtetes Begehren verfolgt die
Klägerin zulässig mit ihrer kombinierten Anfechtungs- und
Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4, § 56 SGG).
13
Zu Recht ist die Klage gegen den Beklagten gerichtet. Hieran ändert
nichts, dass die Stadt Göttingen die streitgegenständlichen
Bescheide erlassen hat. Nach § 8 Abs 1 Satz 1 des
Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des SGB XII
(AG SGB XII; in der hier maßgeblichen Fassung vom 16.12.2004,
Gesetz- und Verordnungsblatt 644) kann der Beklagte zwar
zur Durchführung der ihm als örtlichem Sozialhilfeträger obliegenden
Aufgabe ua durch öffentlich-rechtlichen Vertrag regionsangehörige
Gemeinden heranziehen, und von dieser Möglichkeit hat er auch
Gebrauch gemacht
(§ 1 der Heranziehungsvereinbarung zwischen dem Beklagten und
der Stadt Göttingen gemäß § 8 Abs 1 AG SGB XII mWv 1.1.2011)
; jedoch handelt die herangezogene kommunale Körperschaft
gemäß § 9 Abs 4 AG SGB XII und § 1 Abs 2 Satz 1 der
Heranziehungsvereinbarung (nur) im Namen des örtlichen Trägers
der Sozialhilfe (vgl hierzu BSG Urteil vom 9.6.2011 -B 8 SO 1/10 R
- Juris RdNr 13 mwN).
14
Der Beklagte war auch der für die Entscheidung örtlich und sachlich
zuständige Träger der Sozialhilfe nach § 3 Abs 2, § 97 Abs 1, § 98
Abs 1 SGB XII iVm § 1 Abs 2 Satz 1 und § 6 Abs 1 AG SGB XII. Die
Heranziehung der kreisangehörigen Stadt Göttingen
(vgl § 16, § 14 Abs 6 Niedersächsisches
Kommunalverfassungsgesetz vom 17.12.2010
576>)
nach § 99 Abs 1 SGB XII iVm § 8 Abs 1 AG SGB XII verändert nicht
die Zuständigkeit (§ 9 Abs 4 AG SGB XII). Ebenso wenig ergibt sich
eine Zuständigkeit der Stadt Göttingen aus § 16 Abs 2 NKomVG,
wonach auf die Stadt Göttingen die für kreisfreie Städte geltenden
Vorschriften anzuwenden sind, soweit durch Rechtsvorschriften
nichts anderes bestimmt ist. Eine abweichende Regelung stellt
insoweit § 8 Abs 2 AG SGB XII dar, der ausdrücklich eine
Heranziehung der Stadt Göttingen zur Durchführung von Aufgaben
des überörtlichen Trägers vorsieht. Dieser Regelung hätte es nicht
bedurft, wenn § 16 Abs 2 NKomVG auch auf das AG SGB XII
Anwendung findet. Der Senat ist nicht gehindert, die dem Grunde
nach nicht revisiblen (§ 162 SGG) landesrechtlichen Vorschriften
anzuwenden und auszulegen, weil das LSG diese Vorschriften bei
seiner Entscheidung unberücksichtigt gelassen hat
(BSGE 102, 10 = SozR 4-2500 § 264 Nr 2, RdNr 28; BSG Urteil vom
9.6.2011 - B 8 SO 1/10 R - Juris RdNr 14)
,
15
Der Senat lässt dahingestellt, nach welcher rechtlichen Grundlage
(vgl §§ 44 ff SGB X)sich die Rechtmäßigkeit der hier
streitgegenständlichen (Änderungs-)Bescheide richtet. Denn
materiell-rechtlich steht der Klägerin ein Anspruch auf weitere als die
zuletzt von dem Beklagten gewährte Leistungen der
Grundsicherung in Höhe von 540,42 Euro für Juni 2011, von 832,58
Euro für Juli 2011 sowie von 539,11 Euro für die Monate August bis
Dezember 2011 nicht zu. Dies misst sich an § 19 Abs 2 SGB XII iVm
§§ 41 ff SGB XII
(jeweils in der Fassung, die die Normen durch das Gesetz zur
Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und
Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011,
Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz
BGBl I 453 - erhalten haben). Danach ist - zusammengefasst
formuliert - ua Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, die
die maßgebliche Altersgrenze erreicht haben (§ 41 Abs 2 SGB XII),
soweit sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht aus Einkommen
und Vermögen nach den §§ 82 bis 84 und 90 SGB XII bestreiten
können, auf Antrag Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung zu leisten.
16
Die Klägerin, die im April 2011 65 Jahre alt geworden ist
(Altersgrenze für Personen, die - wie die Klägerin - vor dem 1.1.1947
geboren sind <§ 41 Abs 2 Satz 2 SGB XII>)
und nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG
(§ 163 SGG) im Kreisgebiet des Beklagten ihren gewöhnlichen
Aufenthalt hatte, erfüllt die personenbezogenen Voraussetzungen
für den Bezug von Grundsicherungsleistungen. Der Umfang der
Leistungen ist anhand des nach § 42 SGB XII zu bestimmenden
Gesamtbedarfs der Klägerin einerseits und
berücksichtigungsfähigem Einkommen und Vermögen andererseits
zu ermitteln. Den Bedarf hat das LSG zutreffend in Höhe von 710,21
Euro für die Monate Juni und August bis Dezember 2011 bzw in
Höhe von 1003,68 Euro für Juli 2011 aus dem für die Klägerin
maßgeblichen Regelsatz von 364 Euro monatlich
(Regelbedarfsstufe 1 nach § 42 Nr 1 iVm § 28 SGB XII und seiner
Anlage, letztere auch in der Normfassung des RBEG)
sowie den Kosten der Unterkunft und Heizung(§ 42 Nr 4 SGB XII)
errechnet. Letztere beliefen sich nach den Feststellungen des LSG
auf 346,21 Euro (Miete, Neben- und Heizkosten) jeweils in den
Monaten Juni sowie August bis Dezember 2011 bzw auf 639,68
Euro (einschließlich einer Nebenkostennachforderung) im Monat Juli
2011, die der Beklagte zutreffend im Fälligkeitsmonat Juli 2011
berücksichtigt hat (vgl BSG SozR 4-3500 § 44 Nr 2 RdNr 17).
Weitere Bedarfe nach Maßgabe von § 42 Nr 2, 3 und 5 SGB XII
bestanden nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen
des LSG nicht und werden von der Klägerin auch nicht geltend
gemacht.
17
Die Klägerin konnte diese Bedarfe teilweise selbst decken. Zwar
verfügte sie nach den Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) über
kein Vermögen (§ 90 SGB XII). Allerdings hatte sie ein monatliches
Renteneinkommen in Höhe von 131,99 Euro (Juni 2011) bzw
133,30 Euro (Juli bis Dezember 2011), das vollumfänglich, und
zudem Erwerbseinkommen aus einer geringfügigen Beschäftigung
in Höhe von 120 Euro monatlich, das jedenfalls in Höhe von 37,80
Euro zu berücksichtigen war. Höhere als die bereits durch den
Beklagten berücksichtigten Beträge waren von diesem Einkommen
nicht abzusetzen. Dies gebietet auch Verfassungsrecht nicht.
18
Nach § 82 SGB XII
(in der hier maßgeblichen Normfassung des RBEG) sind als
Einkommen alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme
der Leistungen nach dem SGB XII, der Grundrente nach dem
Bundesversorgungsgesetz (BVG) und nach den Gesetzen, die eine
entsprechende Anwendung des BVG vorsehen, und der Renten
oder Beihilfen nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) für
Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit bis zur Höhe
der vergleichbaren Grundrente nach dem BVG zu berücksichtigen
(§ 82 Abs 1 SGB XII), also vorliegend das Renten- wie das
Erwerbseinkommen. Von dem Einkommen sind - zusammengefasst
- auf das Einkommen entrichtete Steuern, Pflichtbeiträge zur
Sozialversicherung, Beiträge zu öffentlichen oder privaten
Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, soweit diese Beiträge
gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen
sind, ggf geförderte Altersvorsorgebeiträge nach § 82 des
Einkommensteuergesetzes (EStG), die mit der Erzielung des
Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben, das
Arbeitsförderungsgeld und Erhöhungsbeträge des Arbeitsentgelts iS
von § 43 Satz 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation
und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) abzusetzen
(§ 82 Abs 2 SGB XII). Bei der Hilfe zum Lebensunterhalt und der
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist ferner ein
Betrag in Höhe von 30 vom Hundert des Einkommens aus
selbständiger und nichtselbständiger Tätigkeit der
Leistungsberechtigten abzusetzen, höchstens jedoch 50 vom
Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII
(§ 82 Abs 3 Satz 1 SGB XII). Im Übrigen kann in begründeten Fällen
ein anderer als in Satz 1 festgelegter Betrag vom Einkommen
abgesetzt werden (§ 82 Abs 3 Satz 3 SGB XII).
19
Hinsichtlich des Renteneinkommens der Klägerin ergaben sich
keine absetzungsfähigen Beträge; es war vollumfänglich zu
berücksichtigen. Von dem ihr steuer- und sozialversicherungsfrei
zugeflossenen Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung sind
nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG
(§ 163 SGG) nur die mit der Erzielung des Erwerbseinkommens
verbundenen notwendigen Ausgaben
(§ 82 Abs 2 Nr 4 SGB XII iVm § 3 der Verordnung zur Durchführung
des § 82 SGB XII in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes
zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom
27.12.2003 )
und der Freibetrag nach § 82 Abs 3 Satz 1 SGB XII von Belang.
Letzteren hat der Beklagte mit 36 Euro zutreffend berechnet (30 %
vom Bruttoeinkommen in Höhe von 120 Euro). Als mit der Erzielung
des Erwerbseinkommens verbundene Ausgaben sind ein
Pauschalbetrag für Arbeitsmittel von 5,20 Euro
(§ 3 Abs 4 Satz 1 Nr 1 iVm Abs 5 VO zu § 82 SGB XII) sowie ein
Betrag für notwendige Aufwendungen für Fahrten zwischen
Wohnung und Arbeitsstätte
(§ 3 Abs 4 Satz 1 Nr 2 VO zu § 82 SGB XII) abzuziehen. Ob dafür
notwendig nur Fahrtkosten in Höhe eines Betrags von 19,50 Euro
(für wöchentlich zwei Hin- und Rückfahrten der Klägerin mit
Vierfahrtenkarten) oder die Kosten einer Monatsfahrkarte in Abzug
zu bringen sind, kann dahinstehen; denn tatsächlich hat der
Beklagte die Monatskarte von 41 Euro als notwendige Kosten
erachtet.
20
Höhere Absetzbeträge waren auch nicht nach § 82 Abs 3 Satz 3
SGB XII, der dies in begründeten Fällen ermöglicht, vom
Einkommen der Klägerin abzuziehen. Der Senat hat bereits
entschieden, dass es nach Sinn und Zweck dieser Regelung
jedenfalls nicht zulässig ist, allein aufgrund des Alters einen
erhöhten Freibetrag für Einkünfte aus einer ausgeübten Tätigkeit
einzuräumen (BSGE 108, 123 = SozR 4-3500 § 82 Nr 7, RdNr 21).
Die Anwendung des § 82 Abs 3 Satz 3 SGB XII generell auf
Einkommen aus Tätigkeiten von Personen, die die Altersgrenze
erreicht haben, wäre ohne zusätzliche Umstände systemwidrig
(so schon BSGE 108, aaO RdNr 22). Der Gesetzgeber hat mit der
Neuregelung des Sozialhilferechts ab 1.1.2005 als einfache,
praktikable und einheitliche Lösung eine prozentuale
Einkommensfreistellung für den Regelfall gewählt
(vgl BT-Drucks 15/1514, S 65 zu § 77 Abs 3). § 82 Abs 3 Satz 3
SGB XII soll daher im Sinne einer Öffnungsklausel bzw eines
Auffangtatbestands dem Hilfeträger die Möglichkeit eröffnen, auf
besondere Umstände des Einzelfalls flexibel zu reagieren
(vgl BT-Drucks 15/1514, S 65 zu § 77 des Entwurfs; dazu BSGE
106, 62 = SozR 4-3500 § 82 Nr 6, RdNr 35)
. Im vorliegenden Fall liegen solche Umstände des Einzelfalls
(vgl dazu etwa BSGE 108, 123 = SozR 4-3500 § 82 Nr 7, RdNr 20)
nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG
jedoch nicht vor.
21
Auch Verfassungsrecht erfordert keine Anwendung von § 82 Abs 3
Satz 3 SGB XII mit der Maßgabe eines höheren Freibetrags für
Erwerbseinkommen im Altersrentenbezug. Insbesondere Art 3 GG
gebietet dies nicht
(unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten hat der Senat einen
erhöhten Freibetrag für ein nach § 104 Abs 1 Nr 3 aF iVm § 107
Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung -
geleistetes Ausbildungsgeld mit Rücksicht auf die besondere
Situation behinderter Menschen in Werkstätten angenommen, vgl
BSGE 106, 62 = SozR 4-3500 § 82 Nr 6; BSG Urteil vom 23.3.2010 -
B 8 SO 15/08 R - Juris RdNr 18).
22
Die Regelungen in § 82 Abs 2 und 3 SGB XII, die für
Grundsicherungsleistungsempfänger - anders als § 11b Abs 2 Satz
1 SGB II - keinen allgemeinen Grundfreibetrag von 100 Euro bei
Erwerbstätigkeit, sondern nur im Einzelnen nachgewiesene
Abzugsbeträge vorsehen und daher ggf zu im Vergleich geringeren
Absetzbeträgen führen, stellen keine Verletzung von Art 3 Abs 1 GG
im Sinne einer ungerechtfertigten Differenzierung aufgrund des
Alters dar. Zwar führt dies in Fällen wie demjenigen der Klägerin, die
aus dem SGB-II-Leistungsbezug (bei Berücksichtigung eines
Grundfreibetrags von 100 Euro) in den SGB-XII-Leistungsbezug
gewechselt hat, nur infolge Erreichens des Rentenalters zu einer für
sie ungünstigeren, nämlich weitergehenden Berücksichtigung von
Erwerbseinkommen. Dies verletzt jedoch nicht den
Gleichbehandlungsgrundsatz.
23
Ein Verbot der Differenzierung nach dem Alter ist in Art 3 Abs 3 GG
nicht statuiert. Eine ungleiche Behandlung von vor und nach einer
bestimmten Altersgrenze liegenden Sachverhalten ist daher ggf am
allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG zu messen
(vgl dazu nur Kischel in BeckOK GG, Epping/Hillgruber, 35. Edition,
Art 3 RdNr 139 f, Stand 15.11.2017 mwN)
. Dieser gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu
behandeln. Das hieraus folgende Gebot, wesentlich Gleiches gleich
und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, gilt für ungleiche
Belastungen ebenso wie für ungleiche Begünstigungen.
Differenzierungen sind damit nicht ausgeschlossen, bedürfen jedoch
stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem
Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung
angemessen sind. Im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit
kommt dem Gesetzgeber für die Abgrenzung der begünstigten
Personenkreise ein weiter Gestaltungsspielraum zu
(BVerfGE 130, 240, 254 = SozR 4-7835 Art 1 Nr 1 RdNr 42). Die
Abgrenzung ist nicht zu beanstanden, wenn vernünftige Gründe
dafür bestehen und der Gesetzgeber willkürliche Privilegierungen
und Diskriminierungen vermeidet (BVerfGE 51, 295, 301 mwN).
Dabei ist durch die Gerichte nicht zu untersuchen, ob der
Gesetzgeber die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung
gefunden hat, sondern nur, ob er die verfassungsrechtlichen
Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit überschritten hat
(BVerfG Beschluss vom 13.12.2016 - 1 BvR 713/13 -
NJW 2017, 876 RdNr 18 mwN; BVerfGE 141, 1 RdNr 93 mwN)
.
24
Es ist danach durch sachliche Gründe gerechtfertigt, dass der
Gesetzgeber die Berücksichtigung von Erwerbseinkommen im SGB-
II-Leistungsbezug anders behandelt als im Bezug von
Grundsicherungsleistungen nach Erreichen der Regelaltersgrenze.
Die Bezieher von SGB-II-Leistungen unterscheiden sich von den
Grundsicherungsleistungsbeziehern wesentlich dadurch, dass
erstere in den Arbeitsmarkt zurückkehren sollen, während dies für
die anderen gerade nicht zutrifft. Der in § 11b Abs 2 SGB II statuierte
Grundfreibetrag verfolgt insbesondere das in § 1 Abs 2 Satz 2 SGB
II normierte Ziel der Integration erwerbsfähiger Hilfebedürftiger in den
Arbeitsmarkt, indem er Arbeitsanreize auch in unteren
Einkommensbereichen ("Mini-Jobs") verstärkt und dadurch den
Boden bereitet für eine gestufte Integration in
sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse
(vgl BT-Drucks 15/5446 , S 1, 4; vgl entsprechend auch BSG
SozR 4-4200 § 11 Nr 66)
. Es liegt innerhalb des dem Gesetzgeber zustehenden
Gestaltungsspielraums, dass er diese zusätzlichen, über die mit §
82 Abs 3 Satz 1 SGB XII verfolgten Ziele (vgl BSGE 106, 62 aaO)
hinausgehenden Anreize zur Rückkehr in den Arbeitsmarkt
Personen nach Erreichen der Regelaltersgrenze nicht mehr zur
Verfügung stellt. Dieser Personenkreis ist typischerweise dauerhaft
aus dem Erwerbsleben ausgeschieden
(vgl auch zur unterschiedlichen Vermögensberücksichtigung in SGB
II und SGB XII BSG Urteil vom 25.8.2011 - B 8 SO 19/10 R - Juris
RdNr 18)
. Die mit dem Grundfreibetrag des SGB II bezweckte besondere
Anreizfunktion kommt in diesen Fällen (typisierend) nicht mehr zum
Tragen.
25
Dass sich dabei der Wechsel von einem Leistungsbezug in den
anderen gerade mit Erreichen der Regelaltersgrenze wie ein mit
dem Alter verbundener individueller Stichtag auswirkt, ist
verfassungsrechtlich unbedenklich. Der Gesetzgeber war nicht
gehalten, für aus dem SGB-II-Leistungsbezug wechselnde
Personen gestufte Übergänge zu schaffen. Es stellt vielmehr eine
verfassungsrechtlich zulässige Typisierung von Sachverhalten
(vgl dazu näher Kischel in BeckOK GG, Epping/Hillgruber, 35.
Edition, Art 3 RdNr 122 ff, Stand 15.11.2017)
dar, den Wechsel der Einkommensanrechnung im Bezug von
existenzsichernden Leistungen an diejenige Altersgrenzen zu
knüpfen, mit der sich auch in einer sozialversicherungsrechtlichen
Beschäftigung (üblicherweise) der Wechsel von Arbeitsentgelt in
Rentenbezug vollzogen hätte. Eine unzulässige Härte wird dadurch
nicht bedingt. Dem Grundsicherungsempfänger ist es infolge des
Freibetrags nach § 82 Abs 3 Satz 1 SGB XII (weiterhin) möglich,
seine ihm zur Verfügung stehenden monatlichen Mittel jedenfalls in
gewissem Umfang zusätzlich aufzustocken.
26
Durch die Einkommensanrechnung ohne pauschalierten
Grundfreibetrag bei Bezug von Grundsicherungsleistungen nach
dem SGB XII wird auch Art 3 Abs 2 GG nicht verletzt. Weder liegt
eine unmittelbare Frauendiskriminierung vor, weil § 82 Abs 2 und 3
SGB XII nach Geschlechtern nicht differenzieren noch wirken sich
die Regelungen faktisch im Sinne einer mittelbaren Diskriminierung
von Frauen aus. Eine Diskriminierung kann auch bei Regelungen
vorliegen, die zwar geschlechtsneutral formuliert sind, im Ergebnis
aber aufgrund natürlicher Unterschiede oder der gesellschaftlichen
Bedingungen überwiegend ein Geschlecht betreffen
(vgl BVerfGE 121, 241, 254 f; BVerfGE 113, 1, 15 = SozR 4-1100 Art
3 Nr 30, RdNr 22 ff; BVerfGE 104, 373, 393).
Allerdings muss gerade infolge einer konkreten Regelung ein
erheblicher Nachteil bedingt werden; zudem ist für die typische
Betroffenheit von Frauen oder Männern ein Nachweis (etwa anhand
statistischer Daten) anstelle von vagen Vermutungen notwendig
(vgl BVerfGE 113, 1 aaO S 19 ff = SozR aaO RdNr 35 ff).
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Danach liegt eine mittelbare Frauendiskriminierung nicht vor. Es ist
schon zweifelhaft, ob bei einer Verteilung des Bezugs von
Grundsicherungsleistungen im Alter im Jahr 2011 zu ca 64 % auf
Frauen und zu ca 36 % auf Männer
(vgl das Statistische Bundesamt, 2015, Fachserie 13 Reihe 2.2.,
Sozialleistungen 2011, Tabelle B 1.3)
mit einer sinkenden Tendenz in den vergangenen Jahren
(ca 60 % Frauen, ca 40 % Männer, vgl das Statische Bundesamt in
seiner Tabelle 22151-0001 für die Jahre 2015 und 2016)
eine erhebliche Betroffenheit von Frauen bejaht werden kann
(bisher durch das BVerfG nicht im Sinne einer Mindestgrenze
entschieden; bejaht bei einem Frauenanteil von mindestens 75 % in:
BVerfGE 121, 241, 256 f)
. Jedenfalls aber wird die Betroffenheit nicht (wesentlich) durch die
Regelungen zur Einkommensanrechnung, sondern vielmehr
maßgeblich durch die dem Leistungsbezug vorangegangene
Situation (geringere Einkommensmöglichkeiten für Frauen,
Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten in der
Rentenversicherung uÄ), aber auch - wie das LSG zutreffend
ausgeführt hat - durch die persönliche Lebenssituation bedingt. In
einer Ehe oder eheähnlichen Gemeinschaft jeweils ohne
Getrenntleben betrifft die Einkommensanrechnung ohne den
Grundfreibetrag in gleicher Weise Männer und Frauen
(vgl § 43 Abs 1 SGB XII). Zudem muss der Betroffenheit von der
Einkommensregelung auch noch die Entscheidung vorangehen,
überhaupt neben der Grundsicherung noch erwerbstätig sein zu
wollen, die ggf anhand der spezifischen Lebensbesonderheiten
getroffen wird. Dieser fehlenden Kausalität von
Einkommensanrechnung und spezifischer Betroffenheit von Frauen
entspricht auch der statistische Befund. Der Anteil von Frauen im
Grundsicherungsleistungsbezug mit angerechnetem
Erwerbseinkommen ist mit ca 51 % nämlich nicht wesentlich größer
gewesen als der Anteil von Männern mit ca 49 %
(vgl das Statistische Bundesamt, 2015, Fachserie 13 Reihe 2.2.,
Sozialleistungen 2011, Tabelle B 5.3).
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Für einen höheren Freibetrag auf der Grundlage einer analogen
Anwendung von § 11b Abs 2 SGB II bleibt ebenfalls kein Raum
(vgl dazu auch BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 16 RdNr 33; BSG SozR
4-4200 § 11 Nr 44 RdNr 14)
. § 11b Abs 2 SGB II und § 82 Abs 3 SGB XII unterscheiden sich
nicht planwidrig, sondern bewusst (siehe dazu zuvor).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.