Urteil des BSG vom 16.05.2018

Urteil vom 16.05.2018

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 16.5.2018, B 6 KA 16/17
R
ECLI:DE:BSG:2018:160518UB6KA1617R0
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des
Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. März 2016
aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und
Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
1 Im Streit ist die Vergütung sonographischer Leistungen in den
Quartalen IV/2010 und I/2011.
2 Der Kläger ist als Facharzt für Allgemeinmedizin mit dem
Schwerpunkt Phlebologie und Lymphologie zur vertragsärztlichen
Versorgung zugelassen. Mit Honorarbescheid vom 15.4.2011 setzte
die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) sein
vertragsärztliches Honorar für das Quartal IV/2010 fest. Dabei
berücksichtigte sie lediglich zwei sonographische Leistungen nach
der Gebührenordnungsposition (GOP) 33076 des einheitlichen
Bewertungsmaßstabes für ärztliche Leistungen (EBM-Ä). Mit
Bescheid vom selben Tag stellte die Beklagte weitere 962
sonographische Leistungen nach der GOP 33076 EBM-Ä
("sonographische Untersuchung der Venen einer Extremität mittels
B-Mode-Verfahren von mindestens acht Beschallungsstellen - 245
Punkte") richtig, weil die Leistung nicht neben der GOP 33072 EBM-
Ä ("sonographische Untersuchung der extremitätenver- und/oder -
entsorgenden Gefäße mittels Duplex-Verfahren - 735 Punkte")
berechnungsfähig sei. Der Kläger erhob Widerspruch und verwies
darauf, dass die Leistungen auch in der Vergangenheit
nebeneinander vergütet worden seien.
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Mit Honorarbescheid vom 15.7.2011 setzte die Beklagte das
vertragsärztliche Honorar für das Quartal I/2011 fest. Dabei erkannte
sie ebenfalls lediglich zwei sonographische Leistungen nach der
GOP 33076 EBM-Ä an und führte mit Richtigstellungsbescheid vom
gleichen Tag aus, dass weitere 569 sonographische Leistungen nur
nach der GOP 33072 EBM-Ä vergütet worden seien. Auch
hiergegen erhob der Kläger Widerspruch.
4 Die Beklagte wies die Widersprüche des Klägers zurück
(Widerspruchsbescheide vom 14.10.2011 und 9.2.2012). Die
Abrechnung der GOP 33076 EBM-Ä neben der GOP 33072 EBM-Ä
sei nach den Allgemeinen Bestimmungen in Abschnitt I Nummer
2.1.3 EBM-Ä ausgeschlossen, weil die Leistungsinhalte der GOP
33076 EBM-Ä vollständig Bestandteil der bereits vergüteten GOP
33072 EBM-Ä seien. Zudem sei die GOP 33072 EBM-Ä höher
bewertet als die GOP 33076 EBM-Ä. Dass die
Nebeneinanderberechnung der GOP 33072 und 33076 EBM-Ä
bisher nicht beanstandet worden sei, binde sie, die Beklagte, nicht
für die Zukunft.
5
Die hiergegen erhobenen, zur gemeinsamen Verhandlung und
Entscheidung verbundenen Klagen hat das SG als unbegründet
abgewiesen (Urteil vom 24.7.2013). Die Abrechnung der GOP
33076 EBM-Ä neben der GOP 33072 EBM-Ä sei nach Abschnitt I
Nummer 2.1.3 EBM-Ä ausgeschlossen. Danach dürfe eine GOP
nicht abgerechnet werden, wenn deren obligate und - sofern
vorhanden - fakultative Leistungsinhalte vollständiger Bestandteil
einer anderen berechneten GOP seien. Dieser
Abrechnungsausschluss verlange keine komplette
Übereinstimmung der Leistungstatbestände. Es genüge, dass sich
die Leistungstatbestände zweier GOP zu einem wesentlichen Teil
überschnitten. Das sei hier der Fall, weil das B-Mode-Verfahren
typischerweise in der Duplexsonographie enthalten sei. Das ergebe
sich zum einen aus der technischen Überschneidung der Verfahren
und zum anderen daraus, dass die Behandlung von
Venenerkrankungen ohne Dopplersonographie nicht mehr dem
Stand der medizinischen Erkenntnisse entspreche. Werde eine
Vene im Duplex-Verfahren beleuchtet, sei von einem in derselben
Sitzung kumulativ durchgeführten B-Mode-Verfahren kein
Erkenntnisgewinn zu erwarten.
6 Die Berufung des Klägers hat das LSG aus den Gründen der
angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückgewiesen
(Urteil des LSG vom 16.3.2016). Der sachkundig besetzte Senat
hege keinen Zweifel, dass die Leistungsinhalte der GOP 33076
EBM-Ä vollständig Bestandteil der GOP 33072 EBM-Ä seien. Die
Duplexsonographie kombiniere ein B-Bild mit einer farbigen
Bewegungsanzeige. Für eine Sonographie der Venen nach dem B-
Mode-Verfahren als neben der Duplexsonographie selbständig
durchzuführende Diagnostik bestehe mangels weitergehenden
Erkenntnisgewinns keine medizinische Notwendigkeit.
7 Dass die GOP 13300 EBM-Ä (Zusatzpauschale Angiologie) die
Leistungen nach der GOP 33072 EBM-Ä als obligaten
Leistungsinhalt und die Leistungen nach der GOP 33076 EBM-Ä als
fakultativen Leistungsinhalt bezeichne, erlaube keine Rückschlüsse
auf das Verhältnis der Leistungsinhalte der GOP 33072 und 33076
EBM-Ä zueinander. Gleiches gelte für die Erwähnung beider GOP in
der Auflistung der Abrechnungsausschlüsse bei postoperativen
Behandlungen. Schließlich habe der Kläger nicht aufgrund der
früheren Abrechnungspraxis der Beklagten auf die Zulässigkeit der
Nebeneinanderabrechnung der streitigen GOP vertrauen dürfen.
8
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision. Die
allgemeine Bestimmung in Abschnitt I Nummer 2.1.3 EBM-Ä
schließe die Abrechnung der GOP 33076 EBM-Ä neben der GOP
33072 EBM-Ä nicht aus, weil die Leistungsinhalte der GOP 33076
EBM-Ä nicht vollständig in der GOP 33072 EBM-Ä enthalten seien.
Die sonographische Untersuchung der Venen einer Extremität
mittels B-Mode-Verfahren müsse nach dem Wortlaut der GOP
33076 EBM-Ä an mindestens acht Beschallungsstellen erfolgen.
Dieses Erfordernis enthalte der Wortlaut der GOP 33072 EBM-Ä
nicht. Ebenfalls mit dem Wortlaut dieser Bestimmung ("vollständig
Bestandteil") nicht vereinbar sei die Annahme eines
Abrechnungsausschlusses bereits bei einer wesentlichen
Überschneidung der Leistungsinhalte beider GOP. Vielmehr müsse
die eine Leistung restlos in der anderen aufgehen, um von der
Abrechnung ausgeschlossen zu sein. Das unterscheide den
Abrechnungsausschluss nach Abschnitt I Nummer 2.1.3 EBM-Ä von
dem Abrechnungsausschluss nach Ziffer 2 S 1 der Allgemeinen
Bestimmungen des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für
zahnärztliche Leistungen (BEMA-Z), zu dem sich die frühere
Rechtsprechung des BSG verhalte. Dort greife ein
Abrechnungsausschluss bereits dann, wenn eine Leistung
"Bestandteil einer anderen abrechnungsfähigen Leistung" sei.
9
Die Leistungsinhalte der GOP 33076 EBM-Ä gingen auch bei
systematischer Betrachtung nicht vollständig in den
Leistungsinhalten der GOP 33072 EBM-Ä auf. Das zeige etwa der
Umstand, dass die Zusatzpauschale Angiologie
(GOP 13300 EBM-Ä) die sonographische Untersuchung mittels
Duplex-Verfahren (GOP 33072 EBM-Ä) als obligaten Leistungsinhalt
und die sonographische Untersuchung mittels B-Mode-Verfahren an
mindestens acht Beschallungsstellen (GOP 33076 EBM-Ä) als
fakultativen Leistungsinhalt ausweise. Bei postoperativen
Behandlungen (GOP 31630 bis 31637 EBM-Ä) werde die
Abrechnung der GOP 33072 EBM-Ä "und" der GOP 33076 EBM-Ä
ausgeschlossen. Schließlich sei die Abrechnung der GOP 33076
EBM-Ä neben der GOP 33072 EBM-Ä auch bei späteren
Neufassungen des EBM-Ä nicht explizit ausgeschlossen worden.
Der Kläger hat Auskünfte vorgelegt, wonach die
Nebeneinanderberechnung beider GOP von einer Reihe von KÄVen
gebilligt wird.
10
Der Kläger beantragt,
die Urteile des LSG Baden-Württemberg vom 16.3.2016 und des SG
Stuttgart vom 24.7.2013 aufzuheben, den Honorar- und
Richtigstellungsbescheid vom 15.4.2011 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 14.10.2011 sowie den Honorar- und
Richtig-stellungsbescheid vom 15.7.2011 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 9.2.2012 aufzuheben, soweit die
Beklagte die Vergütung von Leistungen nach GOP 33076 EBM-Ä
abgelehnt hat, und die Beklagte zu verpflichten, über die Vergütung
dieser Leistungen in den Quartalen IV/2010 und I/2011 neu zu
entscheiden.
11
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
12
Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend. Die GOP
33072 EBM-Ä beinhalte bereits eine Untersuchung im B-Mode-
Verfahren und schließe als höher bewertete GOP die Abrechnung
einer Untersuchung im B-Mode-Verfahren nach der GOP 33076
EBM-Ä aus. Der Abrechnungsausschluss nach Abschnitt I Nummer
2.1.3 EBM-Ä greife ein, da bereits eine teilweise Überschneidung
von Leistungsinhalten ausreiche, um eine GOP als vollständigen
Bestandteil der anderen GOP zu werten. Die Auflistung obligater und
fakultativer Leistungsinhalte der Zusatzpauschale Angiologie
(GOP 13300 EBM-Ä) zeige nur, dass sich deren Höhe nicht ändere,
wenn in einem Behandlungsfall nicht nur eine, sondern mehrere
verschiedene sonographische Untersuchungen kumulativ erbracht
würden.
Entscheidungsgründe
13
Die zulässige Revision ist im Sinne der Zurückverweisung
begründet.
14
1. Das Urteil des LSG leidet an keinen Verfahrensfehlern, die einer
Sachentscheidung des Senats entgegenstehen.
15
a) Soweit der Kläger beanstandet, das LSG hätte die Beurteilung,
dass die Anwendung des B-Mode-Verfahrens (GOP 33076 EBM-Ä)
neben dem Duplex-Verfahren (GOP 33072 EBM-Ä) in einer Sitzung
keinen weitergehenden Erkenntnisgewinn verheiße und medizinisch
nicht notwen-dig sei, nicht auf eigene Sachkunde stützen dürfen,
sondern ein phlebologisches Sachverständigengutachten einholen
müssen, rügt er in der Sache einen Verstoß gegen die Pflicht des
Gerichts, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Diese
Rüge geht bereits deshalb fehl, weil die Frage, welche
Gebührenordnungspositionen ein Vertragsarzt erbringen und
abrechnen darf, durch Auslegung des EBM-Ä zu ermitteln und als
Rechtsfrage keiner weiteren Sachaufklärung zugänglich ist
(vgl BSG SozR 4-5532 Allg Nr 2 RdNr 23 mwN).
16
b) Das Urteil verletzt den Kläger nicht in seinem Recht auf
rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG). Dass das LSG
seine Entscheidung überraschend auf einen Gesichtspunkt gestützt
hat, mit dem der Kläger nicht rechnen konnte, ist nicht ersichtlich.
Eine Überraschungsentscheidung ist nach ständiger
Rechtsprechung des BVerfG
(vgl BVerfGE 84, 188, 190; BVerfGE 86, 133, 144 f; BVerfGE 98,
218, 263; BVerfG Beschluss vom 7.10.2009 - 1 BvR
178/09 - Juris RdNr 8)
wie auch des BSG
(SozR 3-4100 § 103 Nr 4 S 23; SozR 4-2500 § 103 Nr 6 RdNr 17)
nicht bereits dann anzunehmen, wenn einer der Beteiligten eine
andere Entscheidung des Gerichts erwartet hat. Voraussetzung ist
vielmehr, dass das Gericht einen bis dahin nicht erörterten
rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner
Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wende gibt,
mit der auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter nach dem
bisherigen Verfahrensverlauf selbst unter Berücksichtigung der
Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör soll verhindern, dass die
Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf
Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht,
zu denen sie sich nicht äußern konnten
(BSGE 120, 254 = SozR 4-2500 § 119 Nr 2, RdNr 24 mwN). Eine
solche Konstellation lag hier nicht vor. Bereits das SG hat in den
Entscheidungsgründen seines Urteils darauf abgestellt, dass eine
sonographische Untersuchung der Venen nach dem B-Mode-
Verfahren (GOP 33076 EBM-Ä) keinen höheren Erkenntnisgewinn
als eine in derselben Sitzung vorgenommene sonographische
Untersuchung der Venen im Duplex-Verfahren (GOP 33072 EBM-Ä)
verheiße. Der Kläger ist dieser Annahme des SG in seiner
Berufungsbegründung substantiiert entgegengetreten und hat so
von seinem Recht zur Äußerung konkret Gebrauch gemacht. Allein
der Umstand, dass das Gericht der Auffassung des Klägers nicht
gefolgt ist, begründet keinen Verfahrensfehler.
17
2. Die Revision des Klägers ist im Sinne der Zurückverweisung
begründet. Der Senat kann aufgrund der bisherigen Feststellungen
nicht abschließend entscheiden, ob die angefochtenen
Honorarbescheide in vollem Umfang rechtmäßig sind. Zwar sind die
Leistungen der GOP 33076 EBM-Ä in der Leistung der GOP 33072
EBM Ä enthalten, soweit beide Untersuchungen die Venen der
Extremitäten betreffen. Der Ausschluss greift jedoch dann nicht,
wenn das neben dem B-Mode-Verfahren eingesetzte Duplex-
Verfahren die Arterien betrifft. Ob solche Fallkonstellationen den
richtiggestellten Abrechnungen zugrunde lagen, ist bislang nicht
festgestellt.
18
a) Rechtsgrundlage der sachlich-rechnerischen Richtigstellung ist §
106a Abs 2 S 1 Halbs 1 SGB V
(in der Normfassung des GKV-Modernisierungsgesetzes vom
14.11.2003, BGBl I 2190)
. Danach stellt die KÄV die sachliche und rechnerische Richtigkeit
der Abrechnungen der Vertragsärzte fest. Die Prüfung auf sachlich-
rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen des Vertragsarztes zielt
auf die Feststellung, ob die Leistungen rechtmäßig, also im Einklang
mit den gesetzlichen, vertraglichen oder satzungsrechtlichen
Vorschriften des Vertragsarztrechts - mit Ausnahme des
Wirtschaftlichkeitsgebots -, erbracht und abgerechnet worden sind.
Eine sachlich-rechnerische Richtigstellung ist insbesondere dann
angezeigt, wenn die abgerechneten Leistungen nicht die Vorgaben
des EBM-Ä erfüllen
(vgl BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 28 - Nichterfüllung der
Leistungslegende; BSG SozR 4-5533 Nr 653 Nr 1 - Nichtbeachtung
von Leistungsausschlüssen)
.
19
Für die Auslegung der vertrags(zahn)ärztlicher
Vergütungsbestimmungen ist nach ständiger Rechtsprechung des
Senats in erster Linie der Wortlaut der Regelungen maßgeblich. Dies
gründet sich zum einen darauf, dass das vertragliche Regelwerk
dem Ausgleich der unterschiedlichen Interessen von Ärzten und
Krankenkassen dient und es vorrangig Aufgabe des Normgebers
des EBM-Ä, des Bewertungsausschusses gemäß § 87 Abs 1 SGB
V, ist, Unklarheiten zu beseitigen. Zum anderen folgt die primäre
Bindung an den Wortlaut aus dem Gesamtkonzept des EBM-Ä als
einer abschließenden Regelung, die keine Ergänzung oder
Lückenfüllung durch Rückgriff auf andere Leistungsverzeichnisse
bzw Gebührenordnungen oder durch analoge Anwendung zulässt.
Raum für eine systematische Interpretation im Sinne einer
Gesamtschau der in innerem Zusammenhang stehenden
vergleichbaren oder ähnlichen Leistungstatbestände ist dann, wenn
der Wortlaut eines Leistungstatbestandes zweifelhaft ist und es einer
Klarstellung bedarf. Eine entstehungsgeschichtliche Auslegung
kommt bei unklaren oder mehrdeutigen Regelungen ebenfalls in
Betracht, kann allerdings nur anhand von Dokumenten erfolgen, in
denen die Urheber der Bestimmungen diese in der Zeit ihrer
Entstehung selbst erläutert haben. Leistungsbeschreibungen dürfen
weder ausdehnend ausgelegt noch analog angewendet werden
(stRspr, vgl zuletzt BSG SozR 4-5532 Allg Nr 2 RdNr 23 mwN; BSG
SozR 4-5531 Nr 40100 Nr 1 RdNr 25 mwN)
. Diese Grundsätze gelten auch für die den
Vergütungsbestimmungen vorangestellten Allgemeinen
Bestimmungen (BSG SozR 4-5532 Allg Nr 2 RdNr 23 mwN).
20
b) Die Abrechnung einer Duplexsonographie der Venen nach GOP
33072 EBM-Ä schließt die Abrechnung einer in derselben Sitzung
erbrachten Leistung nach GOP 33076 EBM-Ä danach aus.
21
aa) Ein ausdrücklicher Abrechnungsausschluss war in den
streitbefangenen Quartalen in den einzelnen
Gebührenordnungspositionen nicht vorgesehen. Weder hieraus
noch aus dem Umstand, dass ein Abrechnungsausschluss auch bei
späteren Änderungen des EBM-Ä nicht eingefügt worden ist, folgt
indes, dass sich ein solcher Ausschluss nicht aus anderen
Gesichtspunkten ergeben kann. Ein grundsätzlicher Ausschluss
folgt hier aus Abschnitt I Nr 2.1.3 Abs 2 S 1 der Allgemeinen
Bestimmungen des EBM-Ä
(in der ab 1.1.2008 geltenden Normfassung). Danach ist eine
(in der ab 1.1.2008 geltenden Normfassung). Danach ist eine
Gebührenordnungsposition nicht berechnungsfähig, wenn deren
obligate und - sofern vorhanden - fakultative Leistungsinhalte
vollständig Bestandteil einer anderen berechneten
Gebührenordnungsposition sind. Der Senat kann hier offenlassen,
ob dieser - mit Wirkung ab dem 1.1.2008 durch Aufnahme des
Begriffs "vollständig" neu gefasste - Abrechnungsausschluss erst
eingreift, wenn sämtliche Leistungsinhalte einer
Gebührenordnungsposition in den Leistungsinhalten einer anderen
Gebührenordnungsposition aufgehen (sog Spezialität) oder ob -
entsprechend der bisherigen Rechtsprechung des Senats
(vgl zu Ziffer 2 S 1 BEMA-Z: BSG SozR 4-2500 § 106a Nr 4 RdNr 17
ff; BSG SozR 4-2500 § 106a Nr 3 RdNr 24 f; vgl zur Allgemeinen
Bestimmung A Nr 1 S 2 EBM-Ä in der bis 31.3.2005 geltenden
Normfassung: BSG Urteil vom 25.8.1999 - B 6 KA 57/98 R - Juris
RdNr 23 = MedR 2000, 201, 203; BSG Urteil vom 22.3.2006 - B 6
KA 44/04 R - Juris RdNr 11 = ZMGR 2006, 101, 102; BSG SozR 4-
5533 Nr 273 Nr 1 RdNr 19 mwN) -
die Voraussetzungen für einen Abrechnungsausschluss bereits
dann erfüllt sind, wenn sich die Leistungsinhalte zweier
Gebührenordnungspositionen so überschneiden, dass die eine
Leistung im Zuge einer anderen typischerweise miterbracht wird und
der für sie erforderliche Aufwand im Regelfall hinter dem für die
andere Leistung zurücktritt (sog Konsumtion). Sowohl nach Ziffer 2 S
1 der Allgemeinen Bestimmungen des BEMA-Z als auch nach der
Allgemeinen Bestimmung A Nr 1 S 2 EBM-Ä in der bis 31.3.2005
geltenden Normfassung war bzw ist eine Leistung dann nicht als
selbständige Leistung abrechnungsfähig, "wenn sie Bestandteil
einer anderen abrechnungsfähigen Leistung ist." Nach Abschnitt I Nr
2.1.3 S 1 der Allgemeinen Bestimmungen des EBM-Ä in der vom
1.4.2005 bis 31.12.2007 geltenden Normfassung war eine Leistung
nicht berechnungsfähig, "wenn sie Teilleistung einer anderen
berechnungsfähigen Leistung oder eines Leistungskomplexes ist."
Zu dieser Formulierung gibt es keine Rechtsprechung des Senats.
22
bb) Die Leistungsinhalte der GOP 33076 EBM-Ä gehen jedenfalls
vollständig in den Leistungsinhalten der GOP 33072 EBM-Ä auf,
soweit die letztgenannte Untersuchung an Venen der Extremitäten
durchgeführt wird. Jede "Vene einer Extremität" im Sinne der GOP
33076 EBM-Ä ist ein "extremitätenentsorgendes Gefäß" im Sinne
der GOP 33072 EBM-Ä. Jede Darstellung der Echoimpulse im "B-
Mode-Verfahren" im Sinne der GOP 33076 EBM-Ä erfüllt dann,
wenn in derselben Sitzung noch ein weiteres Ultraschallverfahren
(zB Doppler-Verfahren) angewandt wird, die Anforderung an eine
sonographische Untersuchung mittels Duplex-Verfahren im Sinne
der GOP 33072 EBM-Ä. Nach dem Wortlaut "Duplex-Verfahren" in
der GOP 33072 EBM-Ä (duplex = doppelt) ist davon auszugehen,
dass die Leistungslegende die gleichzeitige Durchführung zweier
(beliebiger) sonographischer Verfahren erfordert.
23
Dementsprechend wird technisch unter dem Begriff der
Duplexsonografie im Allgemeinen die gleichzeitige Durchführung
zweier Verfahren (B-Mode und M-Mode, B-Mode und
Farbkodierung, M-Mode und Farbkodierung usw) verstanden und im
Besonderen das Ultraschallverfahren, bei dem mit einem Schallkopf
sowohl ein B-Bild zur Erfassung der Weichteilstrukturen als auch ein
Dopplerspektrum zur Erfassung von Blutströmen gewonnen werden
kann
(Kubale/Stiegler, Farbkodierte Duplexsonographie, 2002, S 511).
Beschrieben wird das Duplexverfahren auch als Kombination von
Impulsechoverfahren (B-Bild) und Dopplerverfahren zur
gleichzeitigen Untersuchung der Weichteilstrukturen und des
Blutstroms
(vgl Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 267. Auflage 2017,
Stichwort: "Duplexsonographie"; Kopp/Ludwig, Checkliste Doppler-
und Duplexsonographie, 5. Aufl 2016, S 27; Amann-
Vesti/Thalhammer, Kursbuch Doppler- und Duplexsonografie, 4. Aufl
2015, S 63)
.
24
Liegt damit bereits aus technischen Gründen nahe, dass die
Duplexsonographie stets auch die Durchführung des B-Mode-
Verfahrens umfasst, ist dies jedenfalls deshalb der Fall, weil es
normativ vorgegeben ist. Nach der Vereinbarung der
Bundesmantelvertragspartner gemäß § 135 Abs 2 S 1 SGB V zur
Ultraschalldiagnostik
(Ultraschall-V, Anlage III. Anforderungen an die apparative
Ausstattung)
ist Voraussetzung für die Ausführung und Abrechnung der GOP
33072 EBM-Ä, dass das hierzu verwendete Ultraschallsystem im
Arbeitsmodus mindestens Echoimpulse im B-Mode-Verfahren
darstellen und gleichzeitig die Flussgeschwindigkeit und
Flussrichtung messen können muss. Das B-Mode-Verfahren gehört
damit notwendig zum Leistungsinhalt der GOP 33072 EBM-Ä.
Unerheblich ist, dass eine nach GOP 33076 EBM-Ä abrechenbare
sonographische Leistung an mindestens acht Beschallungsstellen
durchgeführt werden muss, während die GOP 33072 EBM-Ä keine
Mindestzahl an Beschallungsstellen fordert. Eine mit dem obligaten
Leistungsinhalt erbrachte Sonographie nach der GOP 33076 EBM-Ä
geht jedenfalls in der in derselben Sitzung zur Untersuchung der
Venen erbrachten und höher bewerteten GOP 33072 EBM-Ä auf.
25
cc) Bestätigt wird dieses Ergebnis durch die in Nummer 2.1.3 Abs 3
S 3 der Allgemeinen Bestimmungen zum EBM-Ä zum Ausdruck
kommende Wertung. Erfüllen erbrachte ärztliche Leistungen danach
die Voraussetzungen sowohl zur Berechnung von Einzelleistungen
als auch von Komplexen, so ist statt der Einzelleistung der
zutreffendere Komplex zu berechnen. Die GOP 33072 EBM-Ä
umfasst, wie der Begriff "Duplex-Verfahren" zeigt, mehrere
Verfahren. Hierzu gehört nach der Vereinbarung zu § 135 Abs 2
SGB V im vertragsärztlichen Bereich stets das B-Mode-Verfahren.
Wird dieses Verfahren in Kombination mit anderen Verfahren
angewandt, ist nach der Intention der Allgemeinen Bestimmungen
nur die weitergehende Leistung abrechenbar. Das entspricht auch
der deutlich höheren Bewertung der GOP 33072 EBM-Ä mit 735
Punkten gegenüber der Bewertung der GOP 33076 EBM-Ä mit 245
Punkten.
26
dd) Dass die GOP 13300 EBM-Ä (Zusatzpauschale Angiologie) die
GOP 33072 EBM-Ä als einen von fünf alternativen obligaten
Leistungstatbeständen und die GOP 33076 EBM-Ä als einen von
acht alternativen fakultativen Leistungstatbeständen nennt, erlaubt
keine Rückschlüsse darauf, ob der Leistungsinhalt der GOP 33076
EBM-Ä (vollständig oder teilweise) Bestandteil der GOP 33072 EBM-
Ä ist. Die Leistungslegende fordert nicht, dass neben einem
bestimmten obligaten Leistungsinhalt (GOP 33072 EBM-Ä) ein
weiterer fakultativer Leistungsinhalt (GOP 33076 EBM-Ä) erbracht
und abgerechnet wird. Es verbleibt auch ein Regelungsgehalt für die
gesonderte Aufführung der GOP 33076 EBM-Ä als fakultativer
Leistungsinhalt. Sie kann neben anderen möglichen obligaten
Leistungsinhalten und in bestimmten Konstellationen, in denen nicht
die Venen betroffen sind, auch neben der GOP 33072 EBM-Ä
abgerechnet werden (s unten Buchst c). Der
Abrechnungsausschluss betrifft außerdem nur die
Leistungserbringung "je Sitzung", während die Zusatzpauschale nur
einmal im Behandlungsfall abrechenbar ist.
27
Ebensowenig aussagekräftig ist der Umstand, dass die GOP 31630
bis 31637 EBM-Ä (postoperative Behandlungen) "im Zeitraum von
21 Tagen nach Erbringung einer Leistung des Abschnitts 31.2 EBM-
Ä (ambulante Operationen) nicht neben den GOP … 33072 und
33076 berechnungsfähig" sind. Der Abrechnungsausschluss erfasst
eine ganze Reihe von Gebührenordnungspositionen, neben denen
die GOP 33076 EBM-Ä auch isoliert abgerechnet werden kann. Die
Verbindung der GOP 33072 und 33076 EBM-Ä durch die
Konjunktion "und" bedeutet nicht, dass diese Leistungen stets
nebeneinander stehen, sondern erklärt sich daraus, dass sie die
letzten beiden Gebührenordnungspositionen am Ende einer
Aufzählung sind.
28
ee) Die vor den streitbefangenen Quartalen über einen längeren
Zeitraum hinweg praktizierte abweichende Honorierung der
Leistungen durch die Beklagte ist nicht geeignet, zugunsten des
Klägers einen Vertrauensschutz zu begründen. Es würde sonst die
vierjährige Ausschlussfrist, innerhalb der die KÄV fehlerhafte
Abrechnungen berichtigen kann, leer laufen
(vgl BSG SozR 4-2500 § 106a Nr 12 RdNr 28; BSGE 114, 170 =
SozR 4-2500 § 106a Nr 11 RdNr 22 ff)
. Eine Bindung der Beklagten an die abweichende
Honorierungspraxis anderer KÄVen kommt nicht in Betracht.
29
c) Der Abrechnungsausschluss bezieht sich indes nur auf die
Untersuchung der Venen in einer Sitzung. Nicht ausgeschlossen ist
die Abrechnung beider GOP nebeneinander in den Fällen, in denen
mittels B-Mode-Verfahren ausschließlich die Venen und mittels
Duplex-Verfahren ausschließlich Arterien der Extremitäten
untersucht werden. Eine solche besondere Konstellation muss indes
vom Arzt im Einzelfall dargelegt werden. Das LSG wird daher dem
Kläger Gelegenheit zu geben haben, solche Behandlungen in den
von der Beklagten abgesetzten Fällen anhand seiner
Dokumentation nachzuweisen. Nur in dem Umfang, in dem ihm ein
solcher Nachweis gelingt, kann seine Klage letztlich Erfolg haben.
Das LSG wird insofern noch die erforderlichen Feststellungen zu
treffen haben.
30
3. Das LSG wird in seinem Urteil auch über die Kosten des
Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.