Urteil des BSG vom 22.03.2018

Nichtzulassungsbeschwerde - rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht

BUNDESSOZIALGERICHT Beschluß vom 22.3.2018, B 5 RE
12/17 B
ECLI:DE:BSG:2018:220318BB5RE1217B0
Nichtzulassungsbeschwerde - rückwirkende Befreiung von
der Rentenversicherungspflicht
Tenor
Die Beschwerde des Beigeladenen zu 1 gegen die
Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts
Baden-Württemberg vom 20. Juli 2017 wird zurückgewiesen.
Der Beigeladene zu 1 hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens
ausgenommen die Kosten des Beigeladenen zu 2 zu tragen.
Der Streitwert wird auf 5000 Euro festgesetzt.
Gründe
1 I. Die Klägerin begehrt die rückwirkende Befreiung von der
gesetzlichen Rentenversicherungspflicht für die Zeit vom 18.1.2012
bis 31.3.2014.
2 Die Klägerin ist Volljuristin und Fachanwältin für Sozialrecht. Seit
dem 19.3.2008 ist sie Mitglied der Rechtsanwaltskammer F. und
Mitglied des Versorgungswerks der Rechtsanwälte in Baden-
Württemberg. Seit Mai 2009 ist sie als selbstständige
Rechtsanwältin in F., zunächst in Bürogemeinschaft und sodann in
eigener Kanzlei tätig.
3 Am 18.1.2012 nahm die Klägerin neben ihrer Tätigkeit als
selbstständige Rechtsanwältin bei dem Beigeladenen zu 2 eine
Tätigkeit im Umfang von 50 Prozent einer Vollzeitstelle in der
Zentralstelle Technologietransfer auf (unbefristeter Arbeitsvertrag
vom 18.1.2012) und übt diese Beschäftigung - unterbrochen durch
Mutterschutz und Elternzeit - aus.
4 Am 4.4.2012 beantragte die Klägerin bei der Beklagten für diese
Tätigkeit die Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 SGB
VI ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt. Diesen Antrag lehnte die
Beklagte mit Bescheid vom 7.1.2013 ab, weil es sich bei der
abhängigen Beschäftigung bei dem Beigeladenen zu 2 um keine
berufsspezifische (anwaltliche) Tätigkeit handele. Den Widerspruch
der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom
29.8.2013 als unbegründet zurück.
5 Die hiergegen gerichtete Klage hat das SG Freiburg mit
Gerichtsbescheid vom 5.8.2015 abgewiesen.
6 Während des von der Klägerin veranlassten Berufungsverfahrens
hat die Rechtsanwaltskammer Freiburg die Klägerin mit Bescheid
vom 7.2.2017 gemäß § 46 Abs 2 BRAO als Rechtsanwältin
(Syndikusrechtsanwältin) für die Tätigkeit bei dem Beigeladenen zu
2 zugelassen. Am 16.3.2017 ist ihr die Zulassungsurkunde von der
Rechtsanwaltskammer ausgehändigt worden. Unter dem 2.3.2017
hat der Beigeladene zu 1 gegenüber der Beklagten bestätigt, dass
die Klägerin seit 19.3.2008 im Versorgungswerk Pflichtmitglied kraft
Gesetzes sei und für die zu befreiende Beschäftigung
einkommensbezogene Pflichtbeiträge analog §§ 157 ff SGB VI
gezahlt habe.
7
Mit Bescheid vom 18.4.2017 hat die Beklagte die Klägerin auf ihren
erneuten Befreiungsantrag für die im Arbeitsvertrag vom 18.1.2012
bezeichnete Tätigkeit bei dem Beigeladenen zu 2, für die eine
Zulassung als Syndikusrechtsanwältin nach § 46a BRAO erteilt
worden ist, von der Versicherungspflicht zur gesetzlichen
Rentenversicherung nach § 6 Abs 1 S 1 SGB VI ab Zulassung als
Syndikusrechtsanwältin am 16.3.2017 befreit. Weiterhin hat die
Beklagte die Klägerin auf ihren Antrag mit Bescheid vom 23.5.2017
für die Zeit vom 1.4.2014 bis zum 15.3.2017 hinsichtlich ihrer
Beschäftigung als Mitarbeiterin bei dem Beigeladenen zu 2
rückwirkend nach § 231 Abs 4b SGB VI von der
Rentenversicherungspflicht befreit. Hinsichtlich der Zeit vom
18.1.2012 bis zum 31.3.2014 hat sie den Antrag der Klägerin auf
rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach §
231 Abs 4b SGB VI durch Bescheid vom 24.5.2017 abgelehnt, weil
diese in dem genannten Zeitraum keine einkommensbezogenen
Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk gezahlt
habe. Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin Widerspruch
eingelegt.
8 Mit Urteil vom 20.7.2017 hat das LSG Baden-Württemberg die
Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des SG Freiburg
vom 5.8.2015 zurückgewiesen. Gegenstand des Verfahrens sei nur
der Bescheid vom 7.1.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 29.8.2013, der sich als rechtmäßig darstelle. Der Bescheid vom
24.5.2017 sei nicht gemäß § 96 SGG Gegenstand des
Berufungsverfahrens geworden. Er habe den Ursprungsbescheid
weder abgeändert noch ersetzt. Die von der Klägerin in der
mündlichen Verhandlung am 20.7.2017 vorgenommene
Klageänderung sei unzulässig.
9 Gegen die Nichtzulassung der Revision in der ihm am 28.7.2017
zugestellten Berufungsentscheidung hat der Beigeladene zu 1 am
28.8.2017 Beschwerde beim BSG erhoben. Er beruft sich auf die
grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS von § 160 Abs 2 Nr 1
SGG und einen Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG
wegen Verletzung des § 96 SGG.
10
Die Klägerin hat sich dem Vortrag des Beigeladenen zu 1
angeschlossen. Die übrigen Beteiligten haben sich im
Beschwerdeverfahren nicht zur Sache geäußert.
11
II. Die Beschwerde des Beigeladenen zu 1 hat keinen Erfolg. Soweit
sich die Beschwerde auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen
Bedeutung der Rechtssache iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG stützt, ist
sie bereits unzulässig. Die Beschwerdebegründung genügt insoweit
nicht den Anforderungen des § 160a Abs 2 S 3 SGG (dazu 1.). Die
im Übrigen einen Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG
geltend machende Beschwerde ist zwar zulässig, jedoch
unbegründet (dazu 2.).
12
1. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn
sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus
Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer
Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der
Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts
und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung
angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt
sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der
Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und
dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten
lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner
Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte)
Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit
(Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall
hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung
(sogenannte Breitenwirkung) darlegen
(zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN; Fichte
in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl 2014, § 160a RdNr 32 ff)
. Diesen Anforderungen wird die vorliegende
Beschwerdebegründung nicht gerecht.
13
Der Beigeladene zu 1 misst folgender Rechtsfrage grundsätzliche
Bedeutung bei:
"Werden
in
einer
wegen
der
Erfüllung
der
Befreiungsvoraussetzungen des § 6 SGB VI vor dem
03.04.2014 bei Sozialgerichten anhängig gemachten und
noch nicht entschiedenen Rechtssache die an den(die)
jeweilige Kläger(in) gemäß den Bestimmungen der §§ 6, 231
Abs. 4b SGB VI nach dem 31.12.2015 ergangenen
Bescheide und Widerspruchsbescheide Gegenstand des
anhängigen Klageverfahrens nach § 96 SGG?"
14
Er hat es allerdings versäumt, deren Klärungsbedürftigkeit schlüssig
aufzuzeigen.
15
Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort
praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz
ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als höchstrichterlich
geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das
Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht
ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere
höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende
Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als
grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben
(vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). Im Hinblick hierauf muss in
der Beschwerdebegründung unter Auswertung der
höchstrichterlichen Rechtsprechung zu dem Problemkreis
substantiiert vorgetragen werden, dass das BSG bzw das BVerfG zu
diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung gefällt hat oder
durch die schon vorliegenden Urteile die hier maßgebende Frage
von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet worden ist
(Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen
Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 183 mwN)
. Hieran fehlt es.
16
Zwar führt der Beigeladene zu 1 aus, dass die aufgeworfene Frage
noch nicht vom BSG entschieden worden sei. Er legt jedoch nicht
dar, dass die schon vorhandene höchstrichterliche Judikatur noch
nicht einmal Anhaltspunkte für deren Beurteilung enthält. Im
Gegenteil zeigt die Beschwerdebegründung selbst auf, nach
welchen Maßstäben und mit welchem Ergebnis die hier
maßgeblichen Tatbestandsmerkmale des § 96 SGG "abändern und
ersetzen" unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des BSG
auszulegen seien.
17
Der Beigeladene zu 1 trägt dementsprechend auch nicht
ausreichend vor, dass trotz der vorhandenen höchstrichterlichen
Rechtsprechung noch oder wieder Klärungsbedarf bestehe.
18
Ist eine Rechtsfrage bereits höchstrichterlich entschieden, kann sie
aufgrund einer Gesetzesänderung wieder klärungsbedürftig werden.
Dies gilt selbst dann, wenn die höchstrichterlich ausgelegte
Gesetzesvorschrift nicht geändert worden ist. Bei einer
Gesetzesänderung kann sich nämlich ähnlich wie bei einer
grundlegenden Änderung der Lebensverhältnisse in einem
bestimmten Bereich der Inhalt nicht ausdrücklich geänderter Normen
wandeln bzw hierdurch eine Neuinterpretation des Gesetzes
erforderlich werden
(vgl Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr
320; vgl auch BSG Beschluss vom 4.9.2013 - B 10 LW 5/13 B - Juris
RdNr 8)
. Diese Umstände und ihre rechtlichen Konsequenzen für die
Auslegung des Gesetzes sind in der Beschwerdebegründung unter
Auswertung der Rechtsprechung des BSG substantiiert vorzutragen
(vgl Kummer, aaO, RdNr 320). Diesen Anforderungen ist ebenfalls
nicht genügt.
19
Zwar verweist der Beigeladene zu 1 auf den mit Wirkung zum
1.1.2016 eingeführten § 231 Abs 4b SGB VI und legt des Weiteren
dar, dass der während des Berufungsverfahrens ergangene, den
Antrag der Klägerin auf rückwirkende Befreiung von der
Versicherungspflicht für die Zeit vom 18.1.2012 bis 31.3.2014
ablehnende Bescheid vom 24.5.2017 den ursprünglichen Bescheid
vom 7.1.2013, mit dem der Antrag der Klägerin auf Befreiung von
der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB VI
abgelehnt worden ist, entgegen der Rechtsauffassung des LSG
ersetzt habe und damit Gegenstand des Verfahrens gemäß § 96
SGG geworden sei. Er trägt aber nicht vor, dass diese Norm
aufgrund des neu eingeführten § 231 Abs 4b SGB VI neu
interpretiert werden müsste; vielmehr macht er geltend, dass das
LSG den vorliegenden Fall rechtsfehlerhaft unter die Rechtslage
subsumiert habe. Damit rügt der Beigeladene zu 1 eine fehlerhafte
Rechtsanwendung des § 96 SGG durch das Berufungsgericht. Mit
dem Hinweis auf eine unrichtige Rechtsanwendung der Vorinstanz
wird eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache indes nicht
dargetan
(vgl nur BVerwG Beschluss vom 23.5.2006 - 9 B 8.06 - Juris RdNr 6)
.
20
Ebenso wenig ist die Klärungsbedürftigkeit mit dem Hinweis
aufgezeigt, dass ein weiteres LSG und verschiedene SG die
Rechtslage unterschiedlich beurteilt hätten bzw die aufgeworfene
Frage in weiteren zweitinstanzlichen Verfahren zur Entscheidung
anstehen könne. Dass in diesen Verfahren Gesichtspunkte benannt
worden sind, die abweichend von der bereits vorliegenden
höchstrichterlichen Rechtsprechung eine neue Interpretation des §
96 SGG erforderten, ist der Beschwerdebegründung nicht zu
entnehmen.
21
2. Der geltend gemachte Verfahrensmangel liegt nicht vor. Das LSG
ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Bescheid der Beklagten
vom 24.5.2017 nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens
geworden ist. Die Voraussetzungen des § 96 Abs 1 SGG sind nicht
gegeben.
22
Nach dieser Vorschrift wird ein neuer Verwaltungsakt (VA) nach
Klageerhebung nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn
er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den
angefochtenen VA abändert oder ersetzt. Diese Voraussetzungen
sind nicht erfüllt.
23
Zwar hat die Klägerin den Bescheid vom 7.1.2013 vollumfänglich mit
der Klage angegriffen. Der in der Klageschrift formulierte Antrag, die
Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide zu
verpflichten anzuerkennen, dass die Klägerin "bei ihrer Tätigkeit als
Angestellte des Klinikums F., die sie ab dem 18.01.2013
aufgenommen hat, von der Versicherungspflicht gem. § 6 Abs. 1 S.
1 Nr. 1 SGB VI befreit ist", stellt keine zeitliche Beschränkung des
Befreiungsbegehrens auf die Zeit erst ab Januar 2013 dar.
Ausweislich der Klagebegründung handelt es sich bei der
Jahresangabe "2013" im Antrag anstelle von "2012" vielmehr um
einen offensichtlichen Schreibfehler. Auch ist der Bescheid vom
24.5.2017 nach Erlass des Widerspruchsbescheides vom 29.8.2013
sowie bei noch nicht beendeter Rechtshängigkeit des
Klageverfahrens ergangen.
24
Der Bescheid vom 24.5.2017 ändert den Bescheid vom 7.1.2013
jedoch weder ab noch ersetzt er diesen.
25
a) Abändern oder ersetzen setzt allgemein voraus, dass der
Regelungsgegenstand des neu einzubeziehenden VA mit dem des
früheren identisch ist
(vgl BSG SozR 4-1500 § 86 Nr 2 RdNr 10; BSG SozR 4-2500 § 95
Nr 27 RdNr 21)
, was durch Vergleich der in beiden VA getroffenen Verfügungssätze
festzustellen ist
(vgl BSGE 47, 168, 170 = SozR 1500 § 96 Nr 13 S 19 f; B. Schmidt
in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 96
RdNr 4a mwN)
. Dabei reicht bei der Abänderung eines teilbaren VA eine Identität
des streitbefangenen Teils aus.
26
Ausweislich des Vergleichs der Verfügungssätze der hier
maßgeblichen Bescheide vom 7.1.2013 einerseits und vom
24.5.2017 andererseits liegt keine Identität der
Regelungsgegenstände vor.
27
Mit Bescheid vom 7.1.2013 hat die Beklagte den "Antrag vom
4.4.2012 auf Befreiung von der Versicherungspflicht für Ihre
abhängige Beschäftigung ab 18.1.2012 am Klinikum F. … abgelehnt
…". Mit Bescheid vom 24.5.2017 hat die Beklagte "den Antrag vom
14.03.2016 auf rückwirkende Befreiung von der
Rentenversicherungspflicht nach § 231 Abs. 4b des Sechsten
Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) für Ihre in der Zeit vom
18.01.2012 bis 31.03.2014 ausgeübte Beschäftigung als
Mitarbeiterin beim Klinikum F … abgelehnt".
28
Den in den Bescheiden verlautbarten Umständen lässt sich im
Wege der Auslegung entnehmen, dass beide die Ablehnung der
Befreiung der Klägerin von der Rentenversicherungspflicht für die
Zeit vom 18.1.2012 bis 31.3.2014 auch (so Bescheid vom 7.1.2013)
bzw ausschließlich (Bescheid vom 24.5.2017) regeln, wobei sich der
erste Bescheid allerdings auf ihren Status als Rechtsanwältin und
der zweite Bescheid auf ihren Status als Syndikusrechtsanwältin
bezieht.
29
Die Auslegung eines VA hat ausgehend von seinem
Verfügungssatz und der Heranziehung des in § 133 BGB
ausgedrückten allgemeinen Rechtsgedankens zu erfolgen, dass es
nicht auf den Buchstaben, sondern auf den wirklichen Willen der
Behörde bzw des Verwaltungsträgers ankommt, soweit er im
Bescheid greifbar seinen Niederschlag gefunden hat. Für die
Ermittlung des erklärten Willens sind dabei auch die Umstände und
Gesichtspunkte heranzuziehen, die zur Aufhellung des Inhalts der
Verfügung beitragen können und die dem Beteiligten bekannt sind,
wenn der VA sich erkennbar auf sie bezieht. Maßstab der
Auslegung ist insofern der verständige und Zusammenhänge
berücksichtigende Beteiligte
(BSG SozR 4-5075 § 3 Nr 1 RdNr 15 mwN; BSG Urteil vom
20.3.2013 - B 5 R 16/12 R - Juris RdNr 18)
.
30
Unter Beachtung dieser Vorgaben ist der Bescheid vom 7.1.2013
dahin zu verstehen, dass er die Ablehnung der Befreiung der
Klägerin von der Rentenversicherungspflicht wegen Nichtausübens
einer anwaltlichen Beschäftigung im Klinikum F. für die Dauer ihrer
dortigen Beschäftigung beginnend mit dem 18.1.2012 bestimmt.
Dies ergibt sich aus dem Verfügungssatz, der die Ablehnung
ausdrücklich auf die "abhängige Beschäftigung ab 18.01.2012 am
Klinikum F." bezieht, und der Begründung, dass es sich hierbei um
keine berufsspezifische anwaltliche Tätigkeit handele. Der Antrag
der Klägerin vom 4.4.2012 (Eingangsdatum des Fax), auf den der
Verfügungssatz ausdrücklich Bezug nimmt und den er
vollumfänglich bescheidet, bestätigt dieses Ergebnis. In dem Antrag
hat die Klägerin unter Ziffer 2 angegeben: "Ich bin angestellt,
berufsspezifisch beschäftigt als Rechtsanwältin/Volljuristin,
Arbeitgeber …: Klinikum F. …, Beginn der Beschäftigung
18.01.2012". Im Anschluss hieran hat die Klägerin unter Ziffer 3
erklärt: "Ich beantrage die Befreiung von der Versicherungspflicht in
der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
bzw Satz 5 SGB VI aufgrund meiner gesetzlichen
Pflichtmitgliedschaft in der berufsständischen Kammer …
Rechtsanwaltskammer … ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt …".
Antrag und Bescheid beziehen sich mithin korrespondierend auf die
geltend gemachte Beschäftigung der Klägerin als Rechtsanwältin
bei dem Klinikum F. und deren Dauer unter Angabe des
Beschäftigungsbeginns. Der Bescheid vom 7.1.2013 regelt damit
eine Ablehnung der Befreiung der Klägerin von der
Rentenversicherungspflicht für die geltend gemachte Tätigkeit als
Rechtsanwältin bei dem Klinikum F. auch in dem Zeitraum
18.1.2012 bis 31.3.2014.
31
Dass der Bescheid vom 24.5.2017 die Ablehnung der Befreiung der
Klägerin von der Rentenversicherungspflicht für ihre Beschäftigung
bei dem Klinikum F. in der Zeit vom 18.1.2012 bis 31.3.2014 regelt,
bedarf keiner gesonderten Erläuterung. Diese Ablehnung bezieht
sich dabei allerdings im Unterschied zu dem Bescheid vom 7.1.2013
auf den neu erworbenen Status der Klägerin als
Syndikusrechtsanwältin. Dies ergibt sich zum einen durch die
Bezugnahme des Bescheides auf den Antrag der Klägerin vom
14.3.2016 (Eingangsdatum bei der Beklagten), mit dem die Klägerin
unter Hinweis auf die von ihr beantragte Zulassung als
Syndikusrechtsanwältin die rückwirkende Befreiung von der
Versicherungspflicht beantragt hat, und zum anderen durch den
Verweis des Bescheides auf § 231 Abs 4b SGB VI, der sich auf die
Befreiung von der Rentenversicherungspflicht als
Syndikusrechtsanwalt bezieht. Der Bescheid vom 24.5.2017 regelt
damit eine Ablehnung der Befreiung der Klägerin von der
Rentenversicherungspflicht für ihre Beschäftigung bei dem Klinikum
"F. " - gemeint F. in dem Zeitraum 18.1.2012 bis 31.3.2014 im
Hinblick auf ihren Status als Syndikusrechtsanwältin. Eine Identität
der Regelungsgegenstände beider Bescheide liegt aufgrund der
unterschiedlichen Statusbezogenheit nicht vor.
32
Für eine enge Auslegung der VA im dargelegten Sinn spricht auch
die Entstehungsgeschichte des § 96 Abs 1 SGG heutiger Fassung
iVm der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur alten Rechtslage.
Das BSG hat § 96 Abs 1 SGG in der bis zum 31.3.2008 geltenden
Fassung unter dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie über
seinen eigentlichen Anwendungsbereich hinaus entsprechend
angewendet
(vgl hierzu etwa BSG Urteil vom 17.11.2005 - B 11a/11 AL 57/04 R -
SozR 4-1500 § 96 Nr 4 RdNr 16 f mwN)
. Mit Wirkung zum 1.4.2008 ist § 96 Abs 1 SGG durch Art 1 Nr 16
des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des
Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26.3.2008 (BGBl I 444) neu gefasst
worden. Die Gesetzesänderung ("nur dann") diente der
Einschränkung des Anwendungsbereichs der Norm. Eine
Einbeziehung des neuen VA soll nur noch möglich sein, wenn der
ursprüngliche Bescheid nach Klageerhebung durch ihn ersetzt oder
abgeändert wird (BT-Drucks 16/7716 S 19). Eine entsprechende
Anwendung der Norm kommt danach nicht mehr in Betracht.
33
Schon unter der Geltung alten Rechts hatte das BSG allerdings eine
ausdehnende Anwendung des § 96 SGG abgelehnt, wenn zwar die
späteren Entscheidungen auf derselben Rechtsgrundlage ergangen
waren und es auch um dieselbe Rechtsfrage ging, die rechtlich
relevanten Sachverhaltsumstände und Tatsachengrundlagen aber
nicht oder nur teilweise deckungsgleich waren, weil nur so dem
Gesichtspunkt der Prozessökonomie angemessen Rechnung
getragen werden könne
(vgl etwa zum Vertragsarztrecht BSGE 78, 98, 101 = SozR 3-2500 §
87 Nr 12, S 37; zur Beitragserhebung in der Unfallversicherung
BSGE 91, 128 = SozR 4-2700 § 157 Nr 1, RdNr 8; zu
Betriebsprüfungen BSGE 93, 109 = SozR 4-5375 § 2 Nr 1, RdNr 11)
. Wenn aber schon nach altem Recht eine Veränderung der
maßgeblichen Tatsachengrundlagen eine Anwendung des § 96
SGG ausgeschlossen hat, muss dies erst recht unter der Geltung
neuen Rechts gelten.
34
Eine Änderung des Streitstoffs liegt auch in diesem Fall vor.
35
Für die Frage, ob die Klägerin eine Befreiung von der
Rentenversicherungspflicht nach § 231 Abs 4b SGB VI für die Zeit
vom 18.1.2012 bis 31.3.2014 beanspruchen kann, ist maßgeblich,
ob in diesem Zeitraum einkommensbezogene Pflichtbeiträge an ein
berufsständisches Versorgungswerk gezahlt worden sind
(vgl § 231 Abs 4b S 4 SGB VI). Hierauf kam es in der
Ablehnungsentscheidung der Beklagten vom 7.1.2013 indes nicht
an; entscheidungsrelevant war insoweit, ob die Klägerin eine
anwaltliche Tätigkeit ausgeübt hat.
36
b) Entsprechend der fehlenden Identität des
Regelungsgegenstandes in den Bescheiden vom 7.1.2013 und
24.5.2017 besteht auch keine Änderung oder Ersetzung des
Ursprungsbescheids durch den späteren Bescheid iS von § 96 Abs
1 SGG. Eine Änderung liegt vor, wenn der VA teilweise aufgehoben
und durch eine Neuregelung ersetzt wird; Ersetzung ist gegeben,
wenn der neue VA vollständig an die Stelle des bisherigen tritt
(vgl nur BSG SozR 4-2400 § 22 Nr 5 RdNr 15 mwN). Der Bescheid
vom 7.1.2013 ist durch den Bescheid vom 24.5.2017 weder ganz
noch teilweise aufgehoben worden. Vielmehr ist der Bescheid vom
24.5.2017 neben den Bescheid vom 7.1.2013 getreten und entfaltet
die oben aufgezeigte eigene Regelungswirkung. Dementsprechend
hat die Klägerin im Berufungsverfahren beide Bescheide
nebeneinander in dem hier streitigen Umfang angefochten.
37
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG
iVm § 154 Abs 2 und 3, § 162 Abs 3 VwGO.
38
Der Streitwert richtet sich nach § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm §
63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1 und 2, § 47 Abs 1 GKG. Ausgehend von
dem Antrag des Rechtsmittelführers (§ 47 Abs 1 S 1 GKG) ist ein
Auffangwert von 5000 Euro anzunehmen, weil keine genügenden
Anhaltspunkte für die Bestimmung des Streitwerts unter
Berücksichtigung des insoweit maßgeblichen Interesses des
Beigeladenen zu 1
(vgl Hartmann, Kostengesetze, 48. Aufl 2018, § 47 GKG RdNr 3)
vorliegen (§ 52 Abs 2 GKG).