Urteil des BSG vom 03.05.2018

Krankenversicherung - Arzneimittelversorgung - Festbetragsfestsetzung - zweistufiges Verfahren - Klage gegen Festsetzung durch GKV-Spitzenverband - keine notwendige Beiladung des Gemeinsamen Bundesausschusses, wenn Rechtmäßigkeit der ersten Stufe (Gruppen

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 3.5.2018, B 3 KR 9/16 R
ECLI:DE:BSG:2018:030518UB3KR916R0
Krankenversicherung - Arzneimittelversorgung -
Festbetragsfestsetzung - zweistufiges Verfahren - Klage
gegen Festsetzung durch GKV-Spitzenverband - keine
notwendige Beiladung des Gemeinsamen
Bundesausschusses, wenn Rechtmäßigkeit der ersten Stufe
(Gruppenbildung und Ermittlung der Vergleichsgrößen)
unzweifelhaft - Klagebefugnis pharmazeutischer
Unternehmen im Hinblick auf das ihnen gesetzlich
eingeräumte Recht zur Stellungnahme sowie auf gleiche
Teilhabe am fairen Wettbewerb - Herabsetzung eines
Festbetrages auf der zweiten Stufe - Wettbewerbsverzerrung
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des
Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 8. April 2016 wird
zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.
Der Streitwert wird auf 1 400 000 Euro festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten über die Herabsetzung eines Festbetrages für
Arzneimittel durch den beklagten Spitzenverband Bund der
Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) ab 1.12.2012.
2
Die Klägerin betreibt ein pharmazeutisches Unternehmen und bringt
die zu der Festbetragsgruppe "Antianämika, andere, Gruppe 1"
gehörenden Arzneimittel "Epoetin alfa Hexal®" und "Binocrit®" mit
dem Wirkstoff Epoetin alfa auf den Markt. Der Beklagte beabsichtigte
auf der Datengrundlage des Preis- und Produktstandes vom 1.1.2012
sowie der Verordnungsdaten nach § 84 Abs 5 SGB V des Jahres
2010, die Festbeträge ua dieser Festbetragsgruppe zum 1.7.2012
abzusenken und führte im Februar/März 2012 ein entsprechendes
Stellungnahmeverfahren durch (§ 35 Abs 3 S 3 SGB V).
3
Als für ein anderes Arzneimittel dieser Festbetragsgruppe (das von
der Firma R.
in Verkehr gebrachte Mircera® mit dem Wirkstoff PEG-Erythropoetin)
ein Lieferausfall in allen Stärken eintrat, stellte der Beklagte die
Herabsetzung des Festbetrages zunächst zurück, weil die
Berechnungen zur beabsichtigten Absenkung maßgeblich auf
dessen Verfügbarkeit basierten (Beschluss vom 9.5.2012). Nachdem
die Lieferfähigkeit dieses Arzneimittels wiederhergestellt war,
beschloss der Beklagte - wie vorgesehen - den Festbetrag auf der
Basis der bereits geprüften Daten und des hierzu durchgeführten
Stellungnahmeverfahrens mit Wirkung zum 1.12.2012 abzusenken
(Beschluss vom 8.10.2012, BAnz AT 17.10.2012 B2).
4
Dagegen hat die Klägerin Klage beim LSG Berlin-Brandenburg
erhoben: Die Festbetragsfestsetzung sei offensichtlich rechtswidrig
und verursache bei ihr einen wirtschaftlichen Verlust in Höhe von
jährlich 1 407 098 Euro. Der Beklagte habe dem Festbetrag den
veralteten Preis- und Produktstand vom 1.1.2012 sowie die
Verordnungsdaten aus 2010 zugrunde gelegt, obwohl inzwischen
aktuellere Daten zur Verfügung gestanden hätten. Aufgrund der
Lieferschwierigkeiten für Mircera® habe sich der ursprüngliche
Sachverhalt erheblich geändert, sodass ein erneutes
Stellungnahmeverfahren erforderlich gewesen sei. Zudem habe der
Beklagte die gesetzlichen Vorgaben zur Gewährleistung der
Versorgungssicherheit und der hinreichenden Versorgung mit
zuzahlungsfreien Arzneimitteln nicht eingehalten.
5
Das LSG hat die Klage abgewiesen: Die Klägerin sei klagebefugt,
obwohl der Zweck des § 35 SGB V nicht auf den Schutz der
Interessen der pharmazeutischen Industrie gerichtet sei; denn eine
Verletzung eigener Rechte (iS von Art 12 iVm Art 3 GG) sei nicht
ausgeschlossen. Die Klage sei aber unbegründet. Der Beklagte habe
den Festbetrag auf der Grundlage der Daten des
Berechnungsstichtags rechtmäßig festgesetzt und hierzu ein
Anhörungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt. Die eingetretene
Verzögerung mache die Festbetragsanpassung nicht rechtswidrig,
denn der Gesetzgeber billige den erhobenen Daten grundsätzlich für
einen Zeitraum von einem Jahr hinreichende Aussagekraft zu. Die
Auffassung des Beklagten, der Aussagewert der Daten sei durch die
vorübergehenden Lieferschwierigkeiten eines Medikaments nicht
beeinträchtigt, halte sich im Rahmen seines Beurteilungsspielraums.
Die Versorgung mit von der Zuzahlung freigestellten Arzneimitteln sei
hinreichend gewährleistet geblieben. Unerheblich sei, dass es sich
dabei auch um Parallelimporte gehandelt habe (Urteil vom 8.4.2016).
6
Mit der Revision rügt die Klägerin einen Verstoß des LSG gegen die
Vorgaben aus § 35 Abs 3, 5 und 6 SGB V. Die Berechnungen des
Festbetrages basierten maßgeblich auf der Verfügbarkeit des
Arzneimittels, für das zwischenzeitlich Lieferschwierigkeiten
bestanden hätten. Trotz Wiederherstellung der Lieferfähigkeit sei die
vorherige Datenbasis überholt. Denn ein Arzneimittelwechsel werde
wegen der Besonderheiten des Wirkstoffs in der Regel nicht ohne
Grund vorgenommen. Deshalb sei auch nach Wiederherstellung der
Lieferfähigkeit nicht damit zu rechnen gewesen, dass dieses
Arzneimittel sofort wieder den alten Verordnungsstand erreiche. Den
Beteiligten habe Gelegenheit zur Stellungnahme zu der vom
Beklagten anzustellenden Prognose über die weiterhin bestehende
Aussagekraft der vorhandenen Daten gewährt werden müssen. Bei
der Feststellung der Versorgungssicherheit komme dem Beklagten
kein Beurteilungsspielraum zu. Das BVerfG habe die Regelungen
über die Festsetzung von Festbeträgen gerade nur mit Blick auf die
klar überprüfbaren Festsetzungsmaßstäbe unbeanstandet gelassen.
Nach der Anpassung des Festbetrags sei auch keine hinreichende
Versorgung mit Arzneimitteln gewährleistet, die von der Zuzahlung
freigestellt seien, da nur 2,9 % der Verordnungen Arzneimittel
beträfen, die dann noch eine solche Freistellung erhielten. Durch
Parallelimporte könne die Versorgung nicht hinreichend gewährleistet
werden.
7
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 8. April
2016 sowie den Beschluss des Beklagten zur Festbetragsanpassung
für die Festbetragsgruppe "Antianämika, andere, Gruppe 1" vom 8.
Oktober 2012 aufzuheben.
8
Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
9
Er bezieht sich auf die Begründung im angegriffenen Urteil und führt
ergänzend aus, nach der Rechtsprechung des BVerfG sei § 35 Abs 5
und 6 SGB V nicht drittschützend. Eines erneuten
Stellungnahmeverfahrens habe es nicht bedurft. Denn der lediglich
etwas später als zunächst vorgesehen erlassene Beschluss zur
Festbetragsfestsetzung basiere auf einer unveränderten
Tatsachengrundlage. Bei der prognostischen Entscheidung zum
zukünftigen Verordnungsverhalten der Ärzte und zu möglichen
Auswirkungen auf den Arzneimittelmarkt habe ihm (dem Beklagten)
ein Beurteilungsspielraum zugestanden; seine Prognose sei weder
willkürlich noch sachfremd. Nach Wiederherstellung der
Lieferfähigkeit von Mircera® sei ein rascher Verordnungsanstieg zu
erwarten gewesen, weil die Versorgung aufgrund vorhandener
Bestände nie vollständig zum Erliegen gekommen sei und nur der in
Mircera® enthaltene Wirkstoff PEG-Erythropoetin zuzahlungsfrei
verfügbar gewesen sei. Auch die Erwartung, dass bei
Verordnungsumstellungen vermehrt auf andere zum Festbetrag
verfügbare Arzneimittel zurückgegriffen werde, sei nicht sachfremd.
Die tatsächliche Entwicklung, nach der bereits zum 1.12.2012 48,8 %
der Packungen und ca 90 % der Verordnungen zum Festbetrag
verfügbar gewesen seien, habe dies bestätigt. Die Ausführungen der
Klägerin zur Vermeidung eines Präparatewechsels aus
medizinischen Gründen seien nicht plausibel, weil Arzneimittel mit
dem Wirkstoff PEG-Erythropoetin bzw Epoetin grundsätzlich noch in
der Apotheke austauschbar seien. Auch die Versorgung mit von der
Zuzahlung freigestellten Arzneimitteln sei hinreichend gewährleistet
gewesen. Von zuvor 60 zuzahlungsfrei erhältlichen Packungen seien
zum Berechnungsstichtag auch nach der Festbetragsanpassung
noch 20 Packungen, dh 33,3 %, zuzahlungsfrei erhältlich gewesen,
deren Verordnungsanteil 2,9 % betragen habe.
Entscheidungsgründe
10
Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet
(§ 170 Abs 1 S 1 SGG).
11
Das LSG hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin keinen
Anspruch auf Aufhebung des Festbetrags-Beschlusses des
Beklagten zur Festbetragsgruppe "Antianämika, andere, Gruppe 1"
vom 8.10.2012 hat. Denn die Klägerin wird durch diese
Festbetragsfestsetzung des Beklagten nicht in eigenen Rechten
verletzt.
12
1. Einer notwendigen Beiladung des Gemeinsamen
Bundesausschusses (GBA) gemäß § 75 Abs 2 Fall 1 SGG bedurfte
es nicht, denn es gibt schon keine Anhaltspunkte dafür, dass die
Festbetragsfestsetzung in Bezug auf die vom GBA durchzuführende
erste Stufe des Verfahrens aufzuheben sein könnte.
13
Die Festbetragsfestsetzung folgt der Normstruktur von § 35 SGB V
(hier und im Folgenden - soweit nicht anders gekennzeichnet - idF
des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der
gesetzlichen Krankenversicherung
Versorgungsstrukturgesetz - GKV-VStG> vom 22.11.2011, gültig bis
31.12.2016, BGBl I S 2983)
entsprechend einem zweistufigen Verfahren. Während der GBA in
den Arzneimittel-Richtlinien nach § 92 Abs 1 S 2 Nr 6 SGB V
bestimmt, für welche Gruppen von Arzneimitteln Festbeträge
festgesetzt werden und welche Vergleichsgrößen dabei zugrunde
zu legen sind (vgl § 35 Abs 1 und 2 SGB V - "erste Stufe"), setzt der
beklagte GKV-Spitzenverband die Festbeträge auf dieser Grundlage
in einer zweiten Stufe des Verfahrens im Wege einer
Allgemeinverfügung fest
(vgl § 35 Abs 3 bis 6 und Abs 7 S 1 SGB V).
14
Zwar sind gesonderte Klagen gegen einzelne Bestandteile der
Festsetzung der Festbeträge nach § 35 Abs 7 S 4 SGB V
unzulässig. Die Klägerin hat daher zu Recht die
Festbetragsfestsetzung insgesamt gerichtlich angegriffen. Sie erhebt
jedoch keine Einwände gegen die auf der ersten Stufe liegende
Festbetrags-Gruppenbildung durch den GBA nach § 35 Abs 1 S 1
bis 3 SGB V oder gegen die Ermittlung der rechnerischen mittleren
Tages- oder Einzeldosen bzw der anderen geeigneten
Vergleichsgrößen nach § 35 Abs 1 S 5 SGB V, sondern wendet sich
lediglich gegen die Festsetzung des Festbetrags durch den
beklagten GKV-Spitzenverband nach § 35 Abs 3, Abs 5 und Abs 6
SGB V.
15
2. Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden
Sachurteilsvoraussetzungen der Klage sind gegeben.
16
a) Die auf die Aufhebung von Festbetragsfestsetzungen gerichtete
Klage ist eine ohne Vorverfahren statthafte Anfechtungsklage
(§ 54 Abs 1 S 1 Alt 1 SGG iVm § 35 Abs 7 S 3 SGB V). Nach § 29
Abs 4 Nr 3 SGG entscheidet hierüber im ersten Rechtszug das LSG
Berlin-Brandenburg. Festbetragsfestsetzungen sind grundsätzlich
Verwaltungsakte in Form der Allgemeinverfügung nach § 31 S 2
SGB X
(vgl BVerfGE 106, 275, 298 = SozR 3-2500 § 35 Nr 2 S 17; BSGE
94, 1 = SozR 4-2500 § 35 Nr 3, RdNr 8; BSGE 107, 261 = SozR 4-
2500 § 35 Nr 5, RdNr 11)
. Zulässiger Streitgegenstand der Klage ist der Anspruch der
Klägerin auf Aufhebung der Festbetragsfestsetzung bzw -
anpassung vom 8.10.2012
(BAnz AT 17.10.2012 B2, mWv 1.12.2012).Die Klage ist fristgemäß
innerhalb eines Monats nach Bekanntmachung der
Allgemeinverfügung erhoben worden (vgl § 87 Abs 1 S 1 SGG).
17
b) Die Klägerin ist auch klagebefugt. Dies setzt nach § 54 Abs 1 S 2
SGG voraus, dass sie behauptet, durch den angefochtenen
Verwaltungsakt beschwert zu sein. Das ist vorliegend der Fall,
obwohl die Klägerin nicht Adressatin der Festbetragsfestsetzung war
(vgl dazu BSGE 114, 217 = SozR 4-2500 § 35 Nr 7, RdNr 13; BSGE
107, 261 = SozR 4-2500 § 35 Nr 5, RdNr 13; BVerfGE 106, 275, 299
= SozR 3-2500 § 35 Nr 2 S 18).
Festbeträge begrenzen nämlich den Sachleistungsanspruch der
Versicherten und sind daher in erster Linie an diese sowie daneben
an Vertragsärzte adressiert, deren Therapiefreiheit eingeengt wird
und die durch entsprechende Verordnungs- und Hinweispflichten
belastet werden. Pharmazeutische Unternehmer sind
demgegenüber nicht Adressaten einer Festbetragsfestsetzung,
denn Festbeträge legen die Preise für Arzneimittel nicht fest. Die
Auswirkungen von Festbeträgen auf die Berufsausübung
pharmazeutischer Unternehmer sind ein bloßer Reflex, ohne
berufsregelnde Tendenz
(stRspr, vgl BVerfGE 106, 275, 299 = SozR 3-2500 § 35 Nr 2 S 18;
BSGE 107, 261 = SozR 4-2500 § 35 Nr 5, RdNr 16; BSGE 114, 217
= SozR 4-2500 § 35 Nr 7, RdNr 13).
Mit den Festbeträgen sollen wettbewerbliche Elemente in einen
Markt eingeführt werden, auf dem diese Elemente fehlen, weil die
krankenversicherten Patienten zwar als Nachfrager von
Arzneimitteln auftreten, aber mit den unmittelbaren Kosten dafür
nicht belastet werden. Der Senat hat in seiner Rechtsprechung
bereits auf seine Zweifel hingewiesen, ob Arzneimittelherstellern bei
nicht patentgeschützten Arzneimitteln eine Klagebefugnis gegen
eine gesetzeswidrige Festbetragsfestsetzung zusteht, wenn nur ihre
wirtschaftlichen Interessen betroffen sind
(vgl BSGE 94, 1 = SozR 4-2500 § 35 Nr 3, RdNr 15). Hätte der
Gesetzgeber den Arzneimittelherstellern insoweit eine umfassende
Klagebefugnis einräumen wollen, wäre vor dem Hintergrund der
diesbezüglich umfangreichen höchstrichterlichen Rechtsprechung
(vgl BVerfGE 106, 275 = SozR 3-2500 § 35 Nr 2; BSG <3. Senat> E
93, 296 RdNr 8 = SozR 4-2500 § 35 Nr 2 RdNr 9; BSG <1. Senat> E
107, 261 = SozR 4-2500 § 35 Nr 5, RdNr 14; BSG <1. Senat> E 114,
217 = SozR 4-2500 § 35 Nr 7, RdNr 13)
eine gesetzliche Klarstellung zu erwarten gewesen.
18
aa) Allerdings hat der Senat die Vorschrift zur
Festbetragsfestsetzung in § 35 SGB V zur Gewährleistung eines
effektiven Grundrechtsschutzes (Art 19 Abs 4 GG)
verfassungskonform dahin ausgelegt, dass Arzneimittelhersteller
jedenfalls dann zur Anrufung der Gerichte befugt sind, wenn geltend
gemacht wird, dass die Festbetragsgruppenbildung oder
Festbetragsfestsetzung sie in ihren spezifischen Grundrechten
verletze (vgl BSGE 94, 1 = SozR 4-2500 § 35 Nr 3, RdNr 15). Art 12
Abs 1 iVm Art 3 Abs 1 GG schützen Unternehmer im Rahmen ihres
Rechts auf Teilhabe am Wettbewerb zwar nicht vor der Veränderung
von Wettbewerbsbedingungen (BVerfGE
106, 275, 299 = SozR 3-2500 § 35 Nr 2 S 18) oder vor der
Zulassung von Konkurrenten, wohl aber vor sachlich nicht
gerechtfertigter staatlicher Begünstigung von Konkurrenten
(vgl BVerfGE 82, 209, 223). Im Hinblick auf ein Recht auf fairen
Wettbewerb können staatliche Maßnahmen, die auf eine
Veränderung des Verhaltens von Unternehmern im Wettbewerb
zielen oder den Wettbewerb der Unternehmer untereinander
verfälschen, im Einzelfall die Berufsfreiheit beeinträchtigen
(BVerfGE 86, 28, 37; BSGE 87, 95, 97 = SozR 3-2500 § 35 Nr 1 S 3;
BSGE 94, 1 = SozR 4-2500 § 35 Nr 3, RdNr 18 ;
vgl auch BSG <1. Senat> E 107, 261 = SozR 4-2500 § 35 Nr 5,
RdNr 17).
19
bb) Darüber hinaus hat der Gesetzgeber den pharmazeutischen
Unternehmern auf einfachgesetzlicher Ebene ein Beteiligungsrecht
im Sinne eines Rechts zur Stellungnahme eingeräumt, die in die
Entscheidung einzubeziehen ist
(§ 35 Abs 2 SGB V sowie § 35 Abs 3 S 3 iVm Abs 2 SGB V). Im
Übrigen aber ist der Entscheidung des BVerfG zur
Verfassungsmäßigkeit von § 35 SGB V vom 17.12.2002
(BVerfGE 106, 275 = SozR 3-2500 § 35 Nr 2), die zur
Festbetragsfestsetzung für Arzneimittel ergangen ist, kein Hinweis
auf einen drittschützenden Gehalt dieser Norm zugunsten von
Arzneimittelherstellern zu entnehmen
(vgl auch BSG <1. Senat> E 107, 261 = SozR 4-2500 § 35 Nr 5,
RdNr 14)
.
20
cc) Unter Berücksichtigung des sinngemäßen Vortrags der Klägerin,
dass der neue Festbetrag des betroffenen Arzneimittels der
Festbetragsgruppe "Antianämika, andere, Gruppe 1" nicht mehr den
Marktrealitäten entspreche, kann nicht von vornherein
ausgeschlossen werden, dass sie als pharmazeutische
Unternehmerin durch die beanstandete Festbetragsfestsetzung in
ihrem Recht auf fairen Wettbewerb ohne willkürliche
Wettbewerbsverfälschung oder in ihren Anhörungsrechten verletzt
sein könnte
(vgl hierzu insbes BSGE 107, 261 = SozR 4-2500 § 35 Nr 5, RdNr
13 ff; BSGE 114, 217 = SozR 4-2500 § 35 Nr 7, RdNr 13, 55; BSGE
94, 1 = SozR 4-2500 § 35 Nr 3, RdNr 18 ff, jeweils mwN)
.
21
3. Die Anfechtungsklage ist indessen unbegründet. Die Klägerin
kann die Aufhebung des zum 1.12.2012 abgesenkten Festbetrags
der Festbetragsgruppe "Antianämika, andere, Gruppe 1" nicht
verlangen.
22
Eine auf die Veränderung des Verhaltens von Unternehmen im
Wettbewerb zielende oder den Wettbewerb der Unternehmen
untereinander verfälschende, das Grundrecht der Klägerin auf
Wettbewerbsgleichheit (Art 12 iVm Art 3 Abs 1 GG) verletzende,
willkürliche Maßnahme liegt nicht vor
(zum Prüfmaßstab allgemein vgl BSGE 94, 1 = SozR 4-2500 § 35 Nr
3, RdNr 11,17 f;
BSGE 107, 261 = SozR 4-2500 § 35 Nr 5, RdNr 19). Durch eine
allein auf der zweiten Stufe des Festbetragsverfahrens
vorgenommene Herabsetzung des Festbetrages durch den GKV-
Spitzenverband kann das Grundrecht pharmazeutischer
Unternehmer auf Wettbewerbsgleichheit (Art 12 iVm Art 3 Abs 1 GG)
allenfalls dann verletzt sein, wenn der neue Festbetrag so
offensichtlich an den Marktrealitäten vorbei festgesetzt wurde, dass
deshalb eine daran orientierte realistische Preisgestaltung für die
Unternehmen nicht möglich ist (hierzu a). Dies ist im zu
entscheidenden Rechtsstreit nicht der Fall; die Klägerin wird durch
die Festsetzung des Festbetrags weder in ihrem Recht auf fairen
Wettbewerb (hierzu b), noch in ihrem Anhörungsrecht verletzt
(hierzu c).
23
a) Die im Wettbewerb untereinander stehenden pharmazeutischen
Unternehmer können durch die vom GBA auf der ersten Stufe des
Festbetragsverfahrens vorzunehmende Gruppenbildung, die
Zuordnung oder Nichtzuordnung ihrer Medikamente zu einer
bestimmten Gruppe oder die Ermittlung der Tages- oder
Einzeldosen oder anderer geeigneter Vergleichsgrößen in
unterschiedlichem Maße betroffen sein, weshalb damit für einzelne
Unternehmer im Vergleich zu anderen erhebliche Vorteile oder
Nachteile im Wettbewerb verbunden sein können
(vgl hierzu zB BSGE 93, 296 RdNr 12 ff = SozR 4-2500 § 35 Nr 2
RdNr 13 ff; BSGE 107, 261 = SozR 4-2500 § 35 Nr 5, RdNr 17 f;
BSGE 114, 217 = SozR 4-2500 § 35 Nr 7, RdNr 13 mwN)
. Eine Rechtsverletzung durch diese Maßnahmen des GBA auf der
ersten Stufe des Festbetragsverfahrens ist im Revisionsverfahren
nicht gerügt und auch nicht ersichtlich.
24
Die Festlegung der Höhe eines Festbetrages durch den GKV-
Spitzenverband betrifft demgegenüber alle pharmazeutischen
Unternehmer in gleicher Weise. Eine gerechtfertigte
Gleichbehandlung betroffener Unternehmer ist insoweit
gewährleistet, wenn die Gruppenbildung sowie die Ermittlung
geeigneter Vergleichsgrößen beanstandungsfrei erfolgt sind und
das Arzneimittel einer Gruppe sachgerecht zugeordnet wurde. Die
Festlegung der Höhe eines Festbetrages durch den GKV-
Spitzenverband als zweite Stufe kann daher den Wettbewerb der
Unternehmer untereinander nur wie nachfolgend dargestellt
verfälschen.
25
Eine solche Wettbewerbsverfälschung hängt nicht allein davon ab,
ob der Beklagte bei der Festsetzung des Festbetrages die
Voraussetzungen des § 35 Abs 5 und 6 SGB V eingehalten hat.
Denn das gesetzgeberische Ziel, mit dem Festbetrag eine
ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der
Qualität gesicherte Versorgung (§ 35 Abs 5 S 1 SGB V) und darüber
hinaus eine hinreichende Versorgung mit von der Zuzahlung
freigestellter Arzneimittel zu gewährleisten (§ 35 Abs 6 SGB V),
betrifft - wie bereits zu den Sachurteilsvoraussetzungen unter II.
dargelegt - nur die subjektiven Rechte der Versicherten und der
Vertragsärzte, entfaltet aber keinen Drittschutz gegenüber
pharmazeutischen Unternehmern
(vgl erneut BVerfGE 106, 275, 299 = SozR 3-2500 § 35 Nr 2 S 18).
26
Eine sachlich nicht gerechtfertigte Wettbewerbsverzerrung zulasten
einzelner Unternehmer kann sich aber aus dem Gesichtspunkt
ergeben, dass Festbeträge - auch im Interesse der
pharmazeutischen Unternehmer - an der Marktlage zu orientieren
pharmazeutischen Unternehmer - an der Marktlage zu orientieren
sind (vgl § 35 Abs 5 S 3 SGB V). Das gesetzgeberische Ziel der
Ausgabenbegrenzung soll mit dem System der Festbeträge auf dem
Weg der Stärkung der preisorientierten Nachfrage erreicht werden,
dh durch eine Stärkung des Preiswettbewerbs
(vgl Entwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP eines Gesetzes
zur Strukturreform im Gesundheitswesen
Reformgesetz - GRG>, BT-Drucks 11/2237, S 148 unter V. 1. a>
aa>)
. Festbeträge bilden ein preisregulierendes Anreizsystem, mit dem
Wettbewerbselemente in den Markt der GKV eingeführt werden, die
dort wegen des Auseinanderfallens von Nachfrager und
Kostenträger fehlen. Nach § 35 Abs 5 S 2 SGB V haben
Festbeträge Wirtschaftlichkeitsreserven auszuschöpfen, sie sollen
einen wirksamen Preiswettbewerb auslösen und haben sich
deshalb an möglichst preisgünstigen Versorgungsmöglichkeiten
auszurichten; soweit wie möglich ist eine für die Therapie
hinreichende Arzneimittelauswahl sicherzustellen. Der Wortlaut
macht deutlich, dass die Ausschöpfung von
Wirtschaftlichkeitsreserven, das Auslösen eines wirksamen
Preiswettbewerbs und die Ausrichtung an möglichst preisgünstigen
Versorgungsmöglichkeiten im Vordergrund stehen. Für die im
Interesse der Versicherten und der Vertragsärzte sicherzustellende
hinreichende Arzneimittelauswahl ist lediglich "soweit wie möglich"
zu sorgen
(dazu BSGE 107, 287 = SozR 4-2500 § 35 Nr 4, RdNr 86, 89; vgl
auch BVerfGE 106, 275, 304 f, 309 f = SozR 3-2500 § 35 Nr 2 S 22,
26)
. Das Ziel des Gesetzgebers, mit den Festbeträgen eine auch im
Hinblick auf das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 SGB V) und die
Ausgabenbegrenzung der GKV möglichst preiswerte Versorgung mit
Arzneimitteln zu gewährleisten, findet auch in § 35 Abs 5 S 4 SGB V
Ausdruck, wonach der Festbetrag einer Festbetragsgruppe den
höchsten Abgabepreis des unteren Drittels des Intervalls zwischen
dem niedrigsten und dem höchsten Preis einer Standardpackung
nicht übersteigen soll. Bei dieser Berechnung sind hochpreisige
Packungen mit einem Anteil von weniger als einem Prozent an den
verordneten Packungen in der Festbetragsgruppe nicht zu
berücksichtigen (§ 35 Abs 5 S 6 SGB V).
27
Trotz der Deutlichkeit, mit der das Ziel der Ausgabenbegrenzung in
§ 35 Abs 5 SGB V zum Ausdruck gebracht wird, sind Festbeträge an
den Marktrealitäten zu orientieren. In diesem Sinne bestimmt § 35
Abs 5 S 3 SGB V, dass sie "an eine veränderte Marktlage
anzupassen" sind. Dies betrifft die Interessen pharmazeutischer
Unternehmer. Das Ziel der Stärkung des Wettbewerbs würde
nämlich geradezu in sein Gegenteil verkehrt, wenn eine realistische
Preisgestaltung in Orientierung am Festbetrag für die Unternehmer
nicht möglich wäre. Eine Stärkung des Wettbewerbs kann nur
gelingen, wenn die Herstellung von Medikamenten zum Festbetrag
für die pharmazeutischen Unternehmer wirtschaftlich ist und nicht zu
unerwünschten Marktabgängen und weitgehendem Rückzug von
Anbietern führt. Festbeträge unterhalb dieser Grenze können auf
Dauer den Preiswettbewerb durch unerwünschte Oligopolisierung
einschränken (vgl
dazu Entwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP eines
Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der GKV
, BT-Drucks
17/2413 S 16 unter II. 2.)
. Dies kann sachwidrige und willkürliche Wettbewerbsverzerrungen
bewirken. Deshalb ist auch in anderen Bereichen des
Leistungserbringerrechts anerkannt, dass Preise zwar einerseits
dem Wirtschaftlichkeitsgebot genügen müssen, andererseits aber
nicht zu einer Existenzgefährdung der Leistungserbringer führen
dürfen
(vgl zB BSGE 101, 142 = SozR 4-2500 § 69 Nr 4, RdNr 63 f
unter Hinweis auf BVerfGE 101, 331, 350 f; vgl
auch: BSGE 121, 243 = SozR 4-2500 § 132a Nr 10, RdNr 54 f und
Parallelurteil B 3 KR 25/15 R vom 23.6.2016 - Juris
Krankenpflege>; BSGE 110, 222 = SozR 4-2500 § 116b Nr 3, RdNr
69, 73 ff ; zur vertragsärztlichen
Versorgung: BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, RdNr 140 f
mwN; BSG SozR 4-2500 § 87a Nr 4 RdNr 44, auch zur
Veröffentlichung in BSGE vorgesehen)
. Denn sowohl eine qualitätsgerechte als auch eine aufgrund von
Preiswettbewerb wirtschaftliche Versorgung bleiben dauerhaft nur
bei einer hinreichenden Anzahl von Anbietern gesichert. Eine mit der
Herabsetzung des Festbetrags verbundene Wettbewerbsverzerrung
kann deshalb in Betracht kommen, wenn der neue Festbetrag nicht
kann deshalb in Betracht kommen, wenn der neue Festbetrag nicht
mit den Marktrealitäten in Übereinstimmung zu bringen ist, eine
wirtschaftliche Preisgestaltung nicht möglich ist und sich Anbieter
deshalb so weit vom Markt zurückziehen, dass dadurch eine
Einschränkung des Preiswettbewerbs zu befürchten ist.
28
b) Die Klägerin wird hier durch die Herabsetzung des Festbetrags
nicht in ihrem Recht auf fairen Wettbewerb verletzt, weil sich der
beklagte GKV-Spitzenverband in rechtlich nicht zu beanstandender
Weise hinreichend an der tatsächlichen Marktlage orientiert hat.
29
Der Beklagte hat den Festbetrag unter Beachtung der gesetzlichen
Vorgaben nach § 35 SGB V festgesetzt, der eine hinreichende
Orientierung an der tatsächlichen Marktlage gewährleistet
(vgl insoweit allgemein BSGE 107, 261 = SozR 4-2500 § 35 Nr 5,
RdNr 51 ff)
. Deshalb kann vorliegend offenbleiben, wo die exakte Grenze der
Festbetragsfestsetzung verläuft, unterhalb derer der
Preiswettbewerb nicht gefördert, sondern eingeschränkt wird. Der
Beklagte hat - bezogen auf den Berechnungsstichtag 1.1.2012 - die
Vorgaben des § 35 Abs 5 S 5 SGB V (hierzu aa) sowie die des § 35
Abs 6 S 2 SGB V (hierzu bb) eingehalten. Er durfte den Festbetrag
noch zum 1.12.2012 auf die zum Berechnungsstichtag vorliegenden
Daten stützen (hierzu cc), denn diese waren nicht etwa wegen einer
veränderten Marktlage überholt (hierzu dd). Unerheblich ist deshalb,
dass nach einer in den Beratungsunterlagen erwähnten
Testrechnung mit aktuellen Daten der Festbetrag ohnehin noch
niedriger ausgefallen wäre - wozu jedoch keine weiteren
Feststellungen vorliegen und insbesondere Zweifel an der
Vollständigkeit der Datenbasis bestehen.
30
aa) Das LSG hat - von der Revisionsführerin unangegriffen und
daher für den Senat bindend (§ 163 SGG) - festgestellt, dass der
Beklagte die erforderlichen Daten für den Bewertungsstichtag
1.1.2012 rechtmäßig ermittelte, dass zu diesem Stichtag mindestens
ein Fünftel (20 %) aller Verordnungen und mindestens ein Fünftel
aller Packungen zum Festbetrag verfügbar waren, und dass
zugleich die Summe der jeweiligen Vomhundertsätze der
Verordnungen und Packungen, die nicht zum Festbetrag erhältlich
waren, den Wert von 160 nicht überschritten (§ 35 Abs 5 S 5 SGB V)
. Konkret waren zum Berechnungsstichtag 21,45 % der Packungen
und 21,91 % der Verordnungen zum Festbetrag verfügbar und die
Maßzahl M (= Summe der jeweiligen Vomhundertsätze der
Verordnungen und Packungen, die nicht zum Festbetrag erhältlich
sind) betrug 156,65.
31
bb) Das LSG hat weiter - von der Klägerin im Revisionsverfahren
unbeanstandet - festgestellt, dass zur Zeit der Anpassung des
Festbetrages ein gültiger Beschluss nach § 31 Abs 3 S 4 SGB V
vorlag, aufgrund dessen bestimmte in die Festbetragsgruppe
fallende Arzneimittel von der Zuzahlung freigestellt waren. Deshalb
durfte nach § 35 Abs 6 S 2 SGB V die Summe nach § 35 Abs 5 S 5
SGB V den Wert von 100 nicht überschreiten, wenn zu erwarten
war, dass anderenfalls keine hinreichende Anzahl zuvor auf Grund
von § 31 Abs 3 S 4 SGB V von der Zuzahlung freigestellter
Arzneimittel weiterhin freigestellt würde. Das war hier nicht der Fall.
32
§ 31 Abs 3 S 4 SGB V soll nicht nur dem Interesse der Versicherten
und der Vertragsärzte an einer hinreichenden Auswahl unter
zuzahlungsfrei erhältlichen Arzneimitteln gerecht werden, sondern
sie dient daneben auch der Vermeidung des sog
Kellertreppeneffekts
(vgl Gesetzentwurf zum AMNOG, aaO, BT-Drucks 17/2413 S 16
unter II. 2.; Hess in KassKom, Stand März 2018, § 35 SGB V RdNr
31)
. Denn die an der Marktlage orientierte Festbetragsfestsetzung führt
in Verbindung mit der Anreizwirkung, den Preis für ein Arzneimittel
zu senken, um in den Genuss des Wettbewerbsvorteils seiner
Zuzahlungsfreiheit zu gelangen, zu einer Preisspirale nach unten,
an deren Ende von der Zuzahlung freigestellte Arzneimittel - ohne
die Regelung des § 35 Abs 6 SGB V - kaum noch zu finden wären.
Nach § 31 Abs 3 S 4 SGB V werden Arzneimittel nur dann von der
Zuzahlung freigestellt, wenn der Abgabepreis des
pharmazeutischen Unternehmers ohne Mehrwertsteuer mindestens
um 30 % niedriger als der jeweils gültige Festbetrag ist. Bei Eintritt
eines solchen Kellertreppeneffekts kann es zu einer sachwidrigen
Wettbewerbsverzerrung in dem dargestellten Sinne kommen.
33
Zwar überschreitet in der Festbetragsgruppe "Antianämika, andere,
Gruppe 1" die Maßzahl M, die hier 156,65 beträgt, den nach § 35
Abs 6 S 2 iVm Abs 5 S 5 SGB V maßgebenden Grenzwert von 100
deutlich; nach dem Wortlaut des Abs 6 S 2 ist das Überschreiten des
Wertes von 100 aber nur dann nicht erlaubt, wenn zu erwarten ist,
dass anderenfalls keine hinreichende Anzahl zuvor von der
Zuzahlung freigestellter Arzneimittel weiterhin freigestellt ist. Der
GKV-Spitzenverband hat demnach eine Prognoseentscheidung
bezüglich der Auswirkungen der Festbetragsanpassung auf die
Anzahl der von der Zuzahlung freigestellten Arzneimittel zu treffen.
Das hat der Beklagte getan und sich dazu darauf gestützt, dass
nach den zum Stichtag vorliegenden Daten vor der
Festbetragsanpassung 60 Arzneimittelpackungen zuzahlungsfrei
verfügbar waren und 20 Packungen auch nach der Anpassung
zuzahlungsfrei zu stellen seien. Die darauf gestützte Prognose, dass
mit dieser Anzahl auch nach der Festbetragsanpassung weiterhin
eine hinreichende Versorgung mit Arzneimitteln ohne Zuzahlung
gewährleistet werden kann, ist revisionsrechtlich nicht zu
beanstanden. Nach dem Wortlaut von § 35 Abs 6 S 2 SGB V kommt
es hierbei nämlich lediglich auf die 'Anzahl der Arzneimittel' an, die
nach der Anpassung weiterhin von der Zuzahlung freigestellt
werden. Der Verordnungsanteil dieser Arzneimittel, der zum
Berechnungsstichtag bei lediglich 2,9 % lag, ist nach dem klaren
Wortlaut unerheblich. Zudem beruht die Prognose des in Bezug auf
die Effekte am Arzneimittelmarkt für Versicherte der GKV
sachkundigen Beklagten, dass Ärzte in Anpassung an die
geänderten Zuzahlungsbedingungen auch zukünftig
zuzahlungsfreigestellte Arzneimittel verordnen würden und deshalb
mit einem Anstieg solcher Verordnungen zu rechnen sein werde, auf
sachlichen Erwägungen und erscheint nachvollziehbar.
34
Hinweise darauf, dass der herabgesetzte Festbetrag einen
unerwünschten, den Wettbewerb schädigenden Kellertreppeneffekt
auslösen könnte, lagen zum Zeitpunkt der Beschlussfassung bei 20
weiterhin von der Zuzahlung freigestellten Arzneimitteln nicht vor.
Dass es sich bei der Vielzahl der Anbieter der
zuzahlungsfreigestellten Arzneimittel neben dem Originalhersteller
ausschließlich um Parallelimporte handelte, steht dem nicht
entgegen. Vielmehr deutet auch die Praxis, zur Versorgung von
Versicherten der GKV in Deutschland auf arzneimittel- und
krankenversicherungsrechtlich nicht generell ausgeschlossene
kostengünstige Parallelimporte zurückzugreifen, auf vorhandene
Wirtschaftlichkeitsreserven hin, die der Beklagte mittels des
festgesetzten Festbetrages ohne marktschädigende Effekte in den
Blick nehmen durfte. Dies wurde im Übrigen durch die
Marktentwicklung in der Folgezeit tatsächlich bestätigt.
35
cc) Die von der Klägerin gegen die angegriffene
Festbetragsfestsetzung des Beklagten erhobenen Einwände, er
habe den Beschluss vom 8.10.2012 nach dem Vorliegen der
Verordnungsdaten für das Jahr 2011 nicht mehr auf die Daten aus
dem Jahre 2010 stützen dürfen, und er habe einen aktuellen
Berechnungsstichtag für den Preis- und Produktstand wählen
müssen und nicht die Daten vom 1.1.2012 heranziehen dürfen,
greifen nicht durch. Letztlich ist durch das Vorgehen des Beklagten
sein zunächst mit Wirkung ab 1.7.2012 vorgesehener Beschluss
lediglich mit einer zeitlichen Verzögerung von fünf Monaten
ergangen. Dem Senat erschließt sich nicht, dass es dadurch zu
einer Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der Klägerin gekommen
sein könnte.
36
dd) Der Beklagte hatte die sich auf der geschilderten Datenbasis
ergebenden Festbeträge auch nicht erneut zu überprüfen und an
eine veränderte Marktlage anzupassen.
37
Nach § 35 Abs 5 S 3 SGB V sind die Festbeträge ohnehin
mindestens einmal im Jahr zu überprüfen und in geeigneten
Zeitabständen an eine veränderte Marktlage anzupassen. Wie
bereits das LSG zutreffend ausgeführt hat, bringt der Gesetzgeber
mit dieser Regelung zum Ausdruck, dass - jedenfalls ohne
genügende Hinweise auf eine veränderte Marktlage - "eine" jährliche
Überprüfung der Festbeträge ausreicht. Im vorliegenden Fall war die
Datenbasis des Beklagten bei der Beschlussfassung noch nicht
älter als ein Jahr und es bestand nach den Umständen kein
erkennbarer hinreichender Anlass dazu, die Festbeträge auf eine
aktuellere Datenlage zu stützen und die bereits zuvor erhobenen
Daten bei der Entscheidungsfindung ungenutzt zu lassen. Der
Beklagte musste vor diesem Hintergrund nicht davon ausgehen,
dass die zugrunde gelegte Datenbasis inzwischen durch eine
geänderte Marktlage überholt war.
38
Aus der Gesamtschau der gesetzlichen Regelung des § 35 Abs 5
SGB V wird deutlich, dass eine Überprüfung der Festbeträge - bzw
der auf der Datenbasis eines bestimmten Stichtags vorgesehenen
Festbeträge - und ihre Anpassung an eine veränderte Marktlage
noch vor Ablauf der Jahresfrist nach § 35 Abs 5 S 3 SGB V nur
erforderlich werden kann, wenn andernfalls eine im Allgemeinen
ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der
Qualität gesicherte Versorgung nicht mehr gewährleistet ist. Nach
der Wiederherstellung der Lieferfähigkeit von Mircera® bestanden
dafür indessen ausgehend von den für den Senat bindenden
Feststellungen des LSG keine Anhaltpunkte. Eine Überprüfung und
Anpassung der (vorgesehenen) Festbetragsfestsetzung durch den
Beklagten ist nicht immer schon dann zwingend erforderlich, wenn
kurzfristig nicht mehr ein Fünftel aller Verordnungen und aller
Packungen zum Festbetrag verfügbar sind oder die Maßzahl von
160 überschritten wird. Denn das gesetzliche Ziel einer möglichst
weitgehenden Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven wird
dann besonders effektiv umgesetzt, wenn der Festbetrag zum
Berechnungsstichtag so nah wie möglich an der durch § 35 Abs 5 S
5 SGB V vorgegebenen Grenze liegt. Dann kann aber nicht bereits
jede kurzfristige Schwankung auf dem Arzneimittelmarkt Anlass zur
Überprüfung geben, insbesondere dann nicht, wenn es sich - wie
hier - um einen vorübergehenden Lieferausfall handelt. Nach § 35
Abs 5 S 7 SGB V ist vielmehr maßgebend, dass die engen
Voraussetzungen des § 35 Abs 5 S 5 SGB V zum
Berechnungsstichtag vorliegen. Erst wenn sicher zu erwarten ist,
dass mit dem Festbetrag die danach vorgegebenen Grenzen
längerfristig und deutlich überschritten werden und daher auch bei
der nächsten im Jahresrhythmus anstehenden Überprüfung nicht
eingehalten werden, kann es erforderlich werden, auf die veränderte
Marktlage auch schon unterjährig zu reagieren. Nach der
Wiederherstellung der Lieferfähigkeit von Mircera® war indessen
nicht von einer längerfristigen Veränderung der Marktlage
auszugehen. Vielmehr zeigt die Wiederherstellung der
auszugehen. Vielmehr zeigt die Wiederherstellung der
Lieferfähigkeit eines zur einschlägigen Festbetragsgruppe
gehörenden Arzneimittels, dass es sich nicht um einen endgültigen
Marktabgang aus wirtschaftlichen Gründen handelte und dass
Anhaltspunkte für eine wettbewerbsschädigende Wirkung des
Festbetrags gerade nicht gegeben waren. Auf die
Versorgungssicherheit der Patienten und die medizinischen
Bedingungen für einen Wechsel zwischen verschiedenen
Präparaten - dh auf die Rechte Dritter - kann sich die Klägerin als
pharmazeutische Unternehmerin in diesem Zusammenhang nicht
berufen. Deshalb ist es grundsätzlich auch unerheblich, ob aufgrund
der Besonderheiten der betroffenen Arzneimittel, verordnende Ärzte
eine Umstellung auf andere Präparate nach Möglichkeit vermeiden
oder nicht. Für die Beurteilung der Marktlage ist demgegenüber die
Erwägung des Beklagten nicht zu beanstanden, dass im Falle von
Verordnungsumstellungen wegen der Lieferschwierigkeiten von
Mircera® überwiegend andere zum abgesenkten Festbetrag
verfügbare Arzneimittel profitierten, sodass dort mit einem
Verordnungsanstieg zu rechnen war und wegen der
Zuzahlungsfreistellung von Mircera® längerfristig auch durch
Neuzugänge wieder ein Verordnungsanstieg in Bezug auf dieses
Arzneimittel zu erwarten war. Inwieweit die Testrechnung des
Beklagten nach aktuell verfügbaren Daten eine
entscheidungserhebliche Veränderung der Marktlage nahelegte, die
zu einem noch niedrigeren Festbetrag geführt hätte, bedurfte
deshalb keiner näheren Aufklärung. Denn eine Verletzung der
Klägerin in ihrem Recht auf wirtschaftlich zumutbare Bedingungen
kommt bei dieser Sachlage ohnedies nicht in Betracht.
39
c) Vor diesem Hintergrund scheidet schließlich auch eine Verletzung
der Anhörungsrechte der Klägerin aus. Denn soweit der Beklagte
sich für den Festbetragsbeschluss vom 8.10.2012 noch auf die
Datengrundlage des Preis- und Produktstandes vom 1.1.2012 sowie
der Verordnungsdaten nach § 84 Abs 5 SGB V des Jahres 2010
stützen durfte, war auch das hierzu im Februar/März 2012
ordnungsgemäß durchgeführte Anhörungsverfahren ausreichend.
Allein die zeitliche Verschiebung der Beschlussfassung machte
keine erneute Anhörung erforderlich. Eine erneute Anhörung der
Klägerin wird erst zu einer erneuten Überprüfung und Anpassung
der Festbeträge aufgrund einer veränderten Marktlage erforderlich
und nicht schon bei kurzzeitigen Marktunregelmäßigkeiten, auch
wenn diese den Beklagten zu einer zeitlichen Verschiebung der
Beschlussfassung zur Marktbeobachtung veranlassen.
40
d) Ein Verstoß gegen weitere gesetzliche Vorgaben zur
Festbetragsfestsetzung in formeller oder materieller Hinsicht, der die
Klägerin in ihren Rechten verletzen könnte, ist von ihr weder geltend
gemacht worden noch sonst ersichtlich.
41
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm §
154 Abs 2 VwGO; diejenige über den Streitwert aus § 197a Abs 1 S
1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 GKG.