Urteil des BSG vom 03.05.2018

Urteil vom 03.05.2018

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 3.5.2018, B 3 KR 7/17 R
ECLI:DE:BSG:2018:030518UB3KR717R0
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des
Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26. Januar 2017
wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens
einschließlich der Kosten des Beklagten und des Beigeladenen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 570 000 Euro
festgesetzt.
Tatbestand
1 Im Streit steht die Anpassung des Festbetrags für die
Festbetragsgruppe "Methylphenidat 1" durch den beklagten
Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband)
zum 1.4.2014.
2
Die Klägerin ist ein pharmazeutisches Unternehmen in der
Rechtsform einer GmbH & Co. KG. Sie vertreibt als alleinige
Zulassungsinhaberin das Arzneimittel Medikinet®adult, das zur
Behandlung des Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndroms
(ADHS) für Erwachsene ab dem 18. Lebensjahr bei einer bei ihnen
seit dem Kindesalter fortbestehenden Krankheit indiziert und
verschreibungspflichtig ist. Zur Jahresmitte 2011 wurde das
Arzneimittel, das den nicht patentgeschützten Primärwirkstoff
Methylphenidat enthält, auf dem deutschen Markt eingeführt. Die
Klägerin gehört zum Konzern der Unternehmensgruppe MEDICE, zu
der auch die MEDICE Arzneimittel P. GmbH & Co. KG zählt, die
unter derselben Anschrift wie die Klägerin Arzneimittel insbesondere
zur Behandlung von ADHS bei Kindern und Jugendlichen vertreibt.
Die MEDICE Arzneimittel P. GmbH & Co. KG ist die alleinige
Zulassungsinhaberin der für diese Behandlung verwendeten
verschreibungspflichtigen Arzneimittel Medikid®, Medikinet® und
Medikinet®retard, die ebenfalls den Wirkstoff Methylphenidat
enthalten.
3 Der beigeladene Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) hatte
bereits mit Beschluss vom 19.7.2007
(BAnz Nr 183 vom 28.9.2007 S 7646)die Festbetragsgruppe
"Methylphenidat" der Stufe 1, Gruppe 1 mit dem Wirkstoff
Methylphenidat als verschreibungspflichtig in abgeteilten oralen
Darreichungsformen von Kapseln, Retardkapseln, Tabletten,
Retardtabletten neu gebildet
(Änderung der Anlage 2 der Arzneimittel-Richtlinie idF vom
31.8.1993, BAnz Nr 246 vom 31.12.1993 S 11 155, geändert am
19.4.2007, BAnz Nr 115 vom 26.6.2007 S 6396)
.
4
Auf dieser Grundlage hatten bereits die Rechtsvorgänger des
beklagten GKV-Spitzenverbandes
(= Spitzenverbände der Krankenkassen, gemäß § 213 SGB V)den
Festbetrag für die Festbetragsgruppe "Methylphenidat 1" ab
1.1.2008 festgesetzt
(mit 17,93 Euro, Wirkstärke 8,7 mg, Standardpackung 50 Stück, s
Beschluss vom 26.10.2007)
. Zum 1.4.2010 wurde dieser Festbetrag insoweit angepasst (auf
13,43 Euro, Beschluss vom 1.2.2010).
5 Der mit Schreiben vom 18.4.2011 gestellte Antrag der Klägerin, das
Arzneimittel aus der Festbetragsgruppe Methylphenidat, Gruppe 1
herauszunehmen und für Medikinet®adult bei Markteinführung
keinen Festbetrag festzusetzen, blieb erfolglos
(Schreiben des Beigeladenen vom 18.5.2011 und des Beklagten
vom 9.6.2011)
.
6 Am 25.11.2013 veröffentlichte der Beklagte seinen Vorschlag zur
Anpassung des Festbetrags für die streitige Festbetragsgruppe. Am
20.12.2013 nahm die Klägerin dazu Stellung. Am 3.2.2014
beschloss der Beklagte, die Festbetragsgruppe "Methylphenidat 1"
nach § 35 Abs 5 SGB V anzupassen und setzte den Festbetrag auf
28,44 Euro dem Vorschlag entsprechend
(Wirkstärke 8,7 mg, Standardpackung 100 Stück) zum 1.4.2014 fest
(vgl Bekanntmachung des Bundesministeriums für Gesundheit vom
3.2.2014, veröffentlicht am 10.2.2014, BAnz AT 10.02.2014 B4 S 1,
6)
.
7
Gegen den genannten Festbetragsbeschluss des Beklagten hat die
Klägerin Klage vor dem LSG Berlin-Brandenburg erhoben. Sie hat
vorgetragen, dass der abgesenkte Festbetrag eine zweckmäßige
Versorgung iS von § 35 Abs 5 S 1 SGB V sowie eine hinreichende
Arzneimittelauswahl iS von § 35 Abs 5 S 2 SGB V nicht mehr
sicherstelle. Medikinet®adult sei als einziges Arzneimittel für die
Behandlung von adulter ADHS mit dem Wirkstoff Methylphenidat
nicht mehr ohne Aufzahlung der Versicherten erhältlich. Bereits die
Zuordnung von Medikinet®adult zur Festbetragsgruppe
Methylphenidat verstoße gegen den allgemeinen Grundsatz der
Ermöglichung einer aufzahlungsfreien zulassungskonformen
Arzneitherapie. Die Standardpackung (100 Stück) und die
Wirkstärke (8,7 mg) seien fehlerhaft gewählt worden, weil die
Klägerin und das weitere Unternehmen der MEDICE-Gruppe, die
MEDICE Arzneimittel P. GmbH & Co. KG zu Unrecht als ein
einheitlicher Anbieter gewertet worden seien.
8 Das LSG hat die Klage abgewiesen: Die Festbetragsgruppenbildung
und die Festbetragsfestsetzung seien rechtmäßig erfolgt, soweit der
Festbetrag für das Arzneimittel Medikinet®adult mit Wirkung vom
1.4.2014 angepasst worden sei. Die Klägerin sei als
Pharmaunternehmen zur Erhebung der Anfechtungsklage gegen
die Festbetragsfestsetzung berechtigt. Die Klägerin werfe im Kern
die Frage auf, ob der Festbetrag willkürlich zu niedrig angesetzt und
die Realitäten des Arzneimittelmarkts außer Acht gelassen worden
seien. Sie trage eine zur Bejahung ihrer Klagebefugnis und
prozessualen Beschwer führende Konstellation vor, aufgrund derer
ihre sachwidrige Benachteiligung (Art 3 Abs 1 GG, Art 12 GG)
möglich sei. In der Sache sei die Anpassung des Festbetrags aber
nicht zu beanstanden. Der Wirkstoff Methylphenidat sei zutreffend in
die Festgruppe "Methylphenidat 1" nach § 35 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB V
eingeordnet worden. Das Arzneimittel sei mit Bekanntmachung des
Beschlusses des beigeladenen GBA zur
Festbetragsgruppenbildung erfasst worden. Dessen Beschlüsse
entfalteten als untergesetzliche Rechtsnormen generelle Wirkung
(§ 91 Abs 6 SGB V iVm § 92 Abs 1 S 2 Nr 6 SGB V). In der
Festbetragsgruppe "Methylphenidat 1" seien Arzneimittel mit diesem
Wirkstoff zusammengefasst worden. Das Arzneimittel
Medikinet®adult enthalte als einzigen Wirkstoff Methylphenidat.
Entgegen der Ansicht der Klägerin habe dieses Arzneimittel keine
therapierelevante bedeutsame Bioverfügbarkeit, die eine
Einbeziehung in die Festbetragsgruppe ausschließe. Auch das mit
Medikinet®adult völlig identische Arzneimittel Medikinet®retard
werde von dieser Festbetragsgruppe erfasst. Medikinet®adult sei
nach erfolgter Zulassung lediglich unter einem anderen Namen
vertrieben worden. Auch seien notwendige Versorgungsalternativen
bzw Therapiemöglichkeiten deshalb nicht eingeschränkt worden.
Arzneimittel mit unterschiedlichen Indikationen und denselben
Wirkstoffen könnten ohne Verletzung von Art 3 Abs 1 iVm Art 12 GG
in einer Festbetragsgruppe zusammengefasst werden. Im Übrigen
hätten Verordnungsalternativen außerhalb der Festbetragsgruppe
hätten Verordnungsalternativen außerhalb der Festbetragsgruppe
mit dem Wirkstoff Atomoxetin (Arzneimittel Strattera®) bestanden
und seit 1.4.2014 hätten die Arzneimittel Medikinet®adult,
Medikinet®retard, Medikinet® in unterschiedlichen
Darreichungsformen zur Verfügung gestanden. Die
Festbetragsfestsetzung als solche verstoße nicht gegen § 35 Abs 5
SGB V. Nach dem Berechnungsstichtag 1.10.2013 bzw im Jahr
2012 hätten mehr als ein Fünftel aller Verordnungen und
mindestens ein Fünftel aller Packungen zum Festbetrag erworben
werden können
(36,51 % zum Stichtag Oktober 2013 und 22,5 % im Jahr 2012). Im
Übrigen habe zum 1.7.2014 auch das Arzneimittel Ritalin® Adult
zum Festpreis zur Verfügung gestanden. Der Beklagte habe die
Standardpackung mit 100 Stück zutreffend zugrunde gelegt. Die
Klägerin und die MEDICE Arzneimittel P.
GmbH & Co. KG hätten im Rahmen der Festbetragsfestlegung als
"ein" Anbieter gewertet werden dürfen (Urteil vom 26.1.2017).
9
Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin. Sie rügt die
Verletzung von Art 19 Abs 4 GG iVm der Transparenz-RL
89/105/EWG und Art 12 GG, da kein "förmliches Verfahren" des
Beigeladenen auf ihren Antrag aus dem Jahr 2011 auf
Herausnahme von Medikinet®adult aus der Festbetragsgruppe
erfolgt sei. Das aber sei wegen der Besonderheit des solitären
Anwendungsgebiets dieses Arzneimittels (nur) für Erwachsene
notwendig gewesen. Ferner liege ein Verstoß gegen § 35 Abs 1 S 3
Halbs 1 (jetzt S 5)SGB V aF vor, der für alle Festbetragsgruppen
gelte. Entgegen der Ansicht des LSG dürfe die Festbetragsbildung
daher weder die Therapiemöglichkeiten noch die notwendigen
Versorgungsmöglichkeiten einschränken. Dies sei hier aber erfolgt,
weil Medikinet®adult als einziges Arzneimittel in der
Festbetragsgruppe zur Behandlung von Erwachsenen verfügbar
gewesen sei. Auch in der Festbetragsgruppe der Stufe 1 dürften nur
solche Arzneimittel eingeordnet werden, für die eine gemeinsame
Wirtschaftlichkeitsbetrachtung sinnvoll sei, weil sie in der relevanten
Therapiesituation dem Arzt als Versorgungsalternativen zur
Verfügung stünden. Bei Medikinet®adult habe aufgrund seiner
Solitärstellung keine Überschneidung des Anwendungsgebiets mit
anderen Arzneimitteln der Festbetragsgruppe bestanden. Die
Erwachsenenbehandlung sei ein beachtenswerter und relevanter
Versorgungsbedarf. Verordnungsalternativen zu Medikinet®adult
hätten nicht bestanden, weil der Vergleichsmaßstab innerhalb der
Festbetragsgruppe anzulegen sei. Ferner sei § 35 Abs 5 SGB V
verletzt. Der Beklagte habe auch insoweit nicht alle
Versorgungsaspekte von Medikinet®adult berücksichtigt, denn dann
hätte das streitige Arzneimittel zu einem anderen Festbetrag
verfügbar sein müssen. § 35 Abs 5 S 4 SGB V sei durch die im
regressionsanalytischen Verfahren unzutreffend gewählte
Standardpackung verletzt worden. Schließlich habe der Beklagte sie
(die Klägerin) und das weitere Unternehmen der MEDICE-Gruppe
als zwei unterschiedliche Anbieter betrachten müssen mit der Folge,
dass die Standardpackung mit 50 Stück habe festgelegt werden
müssen.
10
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26.
Januar 2017 und den Beschluss des Beklagten vom 3. Februar
2014 für die Festbetragsgruppe "Methylphenidat 1" aufzuheben,
soweit das Arzneimittel Medikinet®adult betroffen ist,
hilfsweise,
das genannte Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten
Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht
zurückzuverweisen.
11
Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
12
Er hält das angefochtene Urteil des LSG für rechtmäßig. Ein
weiteres förmliches Verfahren durch den GBA sei weder nach EU-
Recht noch aus der allgemeinen Beobachtungspflicht des GBA
erforderlich gewesen. Die Einbeziehung des streitigen Arzneimittels
in die Festbetragsgruppe sei allein schon durch die Änderung der
AMRL erfolgt. Es habe sich hier um die Zulassungserweiterung
eines Arzneimittels mit identischem Wirkstoff und derselben
Bioverfügbarkeit gehandelt, die nicht therapiebedeutsam gewesen
sei. Die Einschränkung von Therapiemöglichkeiten und das
Bestehen notwendiger Verordnungsalternativen sei für die
Gruppenbildung mit identischen Wirkstoffen nach § 35 Abs 1 S 3
(jetzt S 5) Halbs 1 SGB V aF nicht von Relevanz, ebensowenig wie
Wirtschaftlichkeitsüberlegungen im Rahmen der Gruppenzuordnung
der Stufe 1. Die Gruppenbildung sei wirkstoff- und nicht
indikationsbezogen. Doch selbst wenn § 35 Abs 1 S 3 Halbs 1 SGB
V aF bei der Festbetragsgruppenbildung der Stufe 1 Anwendung
fände, hätten notwendige Versorgungsalternativen sowohl innerhalb
als auch außerhalb der Festbetragsgruppe bestanden. Es sei allein
der Vermarktungsstrategie der Klägerin geschuldet, dass das
streitige Arzneimittel nicht als dasselbe Produkt in den Markt
gebracht worden sei. Die Festbetragsanpassung sei zutreffend nach
einem mathematischen Rechenmodell unter Anwendung einer
Maßzahl berechnet worden. Nach den Vorgaben von § 35 Abs 5
SGB V aF (idF von 2012) seien mindestens 20 % der Packungen
und 20 % der Verordnungen stichtagsbezogen zum errechneten
Festbetrag erhältlich gewesen. Dadurch sei die
Versorgungssicherheit gewährleistet gewesen. Auch die
Standardpackung sei zutreffend ausgewählt worden. Auf die
gesellschaftsrechtliche Unterscheidung verschiedener Firmen einer
Unternehmensgruppe komme es nicht an.
13
Der Beigeladene beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
14
Er hält das angefochtene Urteil ebenfalls für zutreffend. Die Klägerin
habe kein weiteres Normsetzungsverfahren verlangen können. Er
sei seinen Beobachtungspflichten bzw Handlungsobliegenheiten
entsprechend der Transparenz-RL, dem Gebot effektiven
Rechtsschutzes und daraus abgeleiteten
Verfahrensgewährleistungen nachgekommen. Insbesondere das in
Kapitel IV §§ 16 ff GBA-Verfahrensordnung vorgesehene Vorgehen
entspreche den Anforderungen an die Normsetzung. Die Bildung
der Festbetragsgruppe der Stufe 1 entspreche den gesetzlichen
Vorgaben und verstoße nicht gegen das Verbot einer willkürlichen
Wettbewerbsbenachteiligung. Arzneimittel mit demselben
Primärwirkstoff würden - anders als in der Festbetragsgruppe Stufe 2
und 3 - nicht indikationsbezogen festgelegt. Eine Differenzierung der
Wirkstoffe nach ihren Anwendungsgebieten in Bezug auf die
Festbetragsgruppenbildung habe unterbleiben dürfen, weil
Medikinet®adult und Medikinet®retard identische Arzneimittel seien.
Auch die Darreichungsform sei nicht unterscheidungsrelevant
gewesen, da sich die Dosierung von Arzneimitteln bei Erwachsenen
und Kindern generell unterscheide, die Anwendungsgebiete gleich
seien und mit Blick auf den fehlenden Unterlagenschutz nach dem
Arzneimittelgesetz (AMG) die begründete Vermutung bestanden
habe, dass weitere methylphenidathaltige Arzneimittel die Zulassung
von Medikinet®adult teilen würden. Ausreichende
Versorgungsalternativen hätten bestanden.
Entscheidungsgründe
15
Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet
(§ 170 Abs 1 S 1 SGG).
16
Das LSG hat - bei erfüllten Sachurteilsvoraussetzungen (dazu 1.) -
zutreffend entschieden, dass sowohl die Festbetragsgruppenbildung
durch den beigeladenen GBA (dazu 2., 3.) als auch die
Festbetragsanpassung des beklagten GKV-Spitzenverbandes
(dazu 4.) für die Festbetragsgruppe Methylphenidat 1 ab 1.4.2014
rechtlich nicht zu beanstanden ist und dass die Klägerin nicht in
ihren Rechten aus Art 12 GG iVm Art 3 Abs 1 GG verletzt ist, soweit
das Arzneimittel Medikinet®adult betroffen ist.
17
1. Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden
Sachverhaltsvoraussetzungen der zutreffend beim LSG erhobenen
Klage sind erfüllt.
18
a) Die auf Aufhebung der Festbetragsfestsetzung gerichtete Klage
ist eine ohne Vorverfahren statthafte Anfechtungsklage
(§ 54 Abs 1 S 1 Alt 1 SGG iVm § 35 Abs 7 S 3 SGB V), für die das
LSG Berlin-Brandenburg im ersten Rechtszug nach § 29 Abs 4 Nr 3
Var 3 SGG sachlich zuständig ist. Festbetragsfestsetzungen sind
grundsätzlich Verwaltungsakte in Form der Allgemeinverfügung
nach § 31 S 2 SGB X
(vgl BVerfGE 106, 275, 298 = SozR 3-2500 § 35 Nr 2 S 17; BSGE
94, 1 = SozR 4-2500 § 35 Nr 3, RdNr 8; BSGE 107, 261 = SozR 4-
2500 § 35 Nr 5, RdNr 11;
BSGE 112, 201 = SozR 4-2500 § 36 Nr 3, RdNr 36; BSGE 114, 217
= SozR 4-2500 § 35 Nr 7, RdNr 12)
.
19
Zulässiger Gegenstand der Klage ist der Anspruch der Klägerin auf
Aufhebung der Festbetragsfestsetzung in Form der
Allgemeinverfügung vom 3.2.2014, die mit Wirkung vom 1.4.2014
unbefristet ergangen ist
(vgl Bekanntmachung im BAnz vom 10.2.2014, AT 10.02.2014 B4,
S 6)
. Im Fall einer Aufhebung des streitigen Festbetrags würde der bis
dahin geltende Festbetrag
(idF des Beschlusses des Beklagten vom 1.2.2010 mit Wirkung vom
1.4.2010)
wieder in Kraft treten
(vgl auch BSGE 107, 287 = SozR 4-2500 § 35 Nr 4, RdNr 18; BSGE
112, 201 = SozR 4-2500 § 36 Nr 3, RdNr 36)
.
20
Die Klage ist fristgemäß innerhalb eines Monats nach
Bekanntmachung der Allgemeinverfügung erhoben worden. Der
Zulässigkeit der Klage steht auch nicht entgegen, dass eine
gesonderte Klage gegen die Gruppeneinteilung unzulässig ist
(§ 35 Abs 7 S 4 SGB V). Dadurch wird eine gerichtliche Überprüfung
der Gruppeneinteilung nicht ausgeschlossen, sondern in die
gerichtliche Kontrolle der Festbetragsfestsetzung für ein Arzneimittel
mit einbezogen (dazu sogleich).
21
b) Die Klägerin ist auch klagebefugt. Dies setzt nach § 54 Abs 1 S 2
SGG voraus, dass sie behauptet, durch den angefochtenen
Verwaltungsakt beschwert zu sein. Das ist vorliegend der Fall,
obwohl die Klägerin nicht Adressatin der Festbetragsfestsetzung war
(vgl dazu allgemein BSGE 114, 217 = BSG SozR 4-2500 § 35 Nr 7,
RdNr 13; BSGE 107, 261 = SozR 4-2500 § 35 Nr 5, RdNr 13;
BVerfGE 106, 275, 299 = SozR 3-2500 § 35 Nr 2 S 18).
22
Der Senat hat bereits in seiner früheren Rechtsprechung darauf
hingewiesen, dass er Zweifel hat, ob Arzneimittelherstellern bei nicht
patentgeschützten Arzneimitteln eine Klagebefugnis gegen eine
gesetzwidrige Festbetragsfestsetzung einzuräumen ist, wenn nur
ihre wirtschaftlichen Interessen betroffen sind
(vgl BSGE 94, 1 = SozR 4-2500 § 35 Nr 3, RdNr 15). Allerdings hat
der erkennende 3. Senat des BSG zur Gewährleistung eines
effektiven Grundrechtsschutzes (Art 19 Abs 4 GG) die Vorschrift zur
Festbetragsfestsetzung(§ 35 SGB V) verfassungskonform dahin
ausgelegt, dass pharmazeutische Unternehmen jedenfalls dann zur
Anrufung der Gerichte befugt sind, wenn von ihnen geltend gemacht
wird, dass die Festbetragsgruppenbildung oder
Festbetragsfestsetzung sie in ihren spezifischen Grundrechten
verletze (vgl BSG, aaO). Unter Berücksichtigung des Vortrags der
Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit, dass das von ihr allein
vertriebene Arzneimittel Medikinet®adult wegen seiner - geltend
gemachten - Solitärstellung zur Behandlung von ADHS im
Erwachsenenalter fehlerhaft in eine Festbetragsgruppe mit nicht
solitären Arzneimitteln eingeordnet und sie dadurch im Wettbewerb
erheblich benachteiligt worden sei, erscheint eine Rechtsverletzung
jedenfalls möglich und kann nicht von vornherein ausgeschlossen
werden. Die höchstrichterliche Rechtsprechung geht davon aus,
dass staatliche Maßnahmen, die auf eine Veränderung des
Verhaltens von Unternehmen im Wettbewerb zielen oder den
Wettbewerb der Unternehmen untereinander verfälschen, im
Einzelfall die Berufsfreiheit verletzen können
(Art 12 GG iVm Art 3 Abs 1 GG; vgl auch BSG <1. Senat> E 107,
261 = SozR 4-2500 § 35 Nr 5, RdNr 17)
. Dass die Klägerin nicht als Arzneimittelherstellerin, sondern als
Anbieterin und alleinige Zulassungsinhaberin des Arzneimittels auf
dem Markt auftritt, steht dem nicht entgegen. Denn auch Anbieter
von Gesundheitsleistungen sind gegen solche Fehlsteuerungen
von Gesundheitsleistungen sind gegen solche Fehlsteuerungen
innerhalb des Marktes der GKV geschützt, die den Wettbewerb mit
Konkurrenten verfälschen
(vgl BSG <6. Senat> E 96, 261 = SozR 4-2500 § 92 Nr 5, RdNr 35;
BSG <6. Senat> SozR 4-2500 § 135 Nr 22 RdNr 32).
Darüber hinaus enthält das Urteil des BVerfG vom 17.12.2002 zur
Verfassungsmäßigkeit von § 35 SGB V
(BVerfGE 106, 275 = SozR 3-2500 § 35 Nr 2), das zur
Festbetragsfestsetzung durch die Spitzenverbände der
Krankenkassen ergangen ist, keine Hinweise auf einen allgemeinen
drittschützenden Gehalt dieser Norm zugunsten von
Arzneimittelherstellern
(vgl auch BSGE 107, 261 = SozR 4-2500 § 35 Nr 5, RdNr 14).
Allerdings hat der Gesetzgeber den pharmazeutischen
Unternehmern im Rahmen des Festbetragsfestsetzungsverfahrens
jedenfalls ein Recht zur Stellungnahme eingeräumt, die in die
Entscheidung einzubeziehen ist
(§ 35 Abs 2 SGB V sowie § 35 Abs 3 S 3 iVm Abs 2 SGB V).
23
2. Die Anfechtungsklage ist indessen unbegründet.
24
Die Klägerin kann die Aufhebung des zum 1.4.2014 angepassten
Festbetrags für das Arzneimittel Medikinet®adult nicht verlangen.
Eine rechtswidrige, auf die Veränderung des Verhaltens von
Unternehmern im Wettbewerb zielende oder den Wettbewerb der
Unternehmer untereinander verfälschende, das Grundrecht auf
Wettbewerbsgleichheit (Art 12 iVm Art 3 Abs 1 GG) verletzende,
willkürliche Maßnahme liegt nicht vor
(zum Prüfmaßstab allgemein vgl BSGE 94, 1 RdNr 18, 22 = SozR 4-
2500 § 35 Nr 3 RdNr 18, 28;
BSGE 107, 261 = SozR 4-2500 § 35 Nr 5, RdNr 19; näher auch im
Zusammenhang mit der Festbetragsfestsetzung Senatsurteile vom
3.5.2018 - B 3 KR 9/16 R
vorgesehen> und B 3 KR 10/17 R)
.
25
Die Festbetragsfestsetzung folgt insoweit der Normstruktur von § 35
SGB V entsprechend einem zweistufigen Verfahren. Zunächst
bestimmt der beigeladene GBA in den AMRL nach § 92 Abs 1 S 2
Nr 6 SGB V, für welche Gruppen von Arzneimitteln Festbeträge
festgesetzt werden und welche Vergleichsgrößen dabei zugrunde
zu legen sind (vgl § 35 Abs 1 und 2 SGB V, vgl dazu unten 3.). Im
Rahmen einer Klage gegen die Festsetzung des Festbetrags ist die
Gruppenbildung in vollem Umfang zur Überprüfung gestellt
(vgl BSGE 94, 1 RdNr 11, 21 = SozR 4-2500 § 35 Nr 3 RdNr 11, 27
unter Hinweis auf BT-Drucks 11/3480 S 54; vgl BSGE 107, 261 =
SozR 4-2500 § 35 Nr 5, RdNr 20).
Auf dieser Grundlage erfolgt dann auf einer zweiten Stufe die
Festsetzung der jeweiligen Festbeträge im Wege einer
Allgemeinverfügung durch den beklagten GKV-Spitzenverband
(vgl § 35 Abs 3 bis 6 und Abs 7 S 1 SGB V, dazu unten 4.).
26
3. Die Zuordnung von Medikinet®adult zur Festbetragsgruppe
"Methylphenidat Stufe 1, Gruppe 1" ist revisionsrechtlich nicht zu
beanstanden.
27
a) Die Festbetragsgruppenbildung vom 19.7.2007 beruht auf § 35
Abs
1
S
1
bis
3,
5
und
Abs
2
SGB
V
(idF des Gesetzes vom 26.4.2006, BGBl I 984).Nach § 35 Abs 1 S
1 SGB V bestimmt der GBA in den RL nach § 92 Abs 1 S 2 Nr 6
SGB V, für welche Gruppen von Arzneimitteln Festbeträge
festgesetzt werden können. Nach § 35 Abs 1 S 2 SGB V sollen in
den Gruppen Arzneimittel mit
1. denselben Wirkstoffen,
2. pharmakologisch therapeutisch vergleichbaren Wirkstoffen,
insbesondere mit chemisch verwandten Stoffen,
3. therapeutisch vergleichbarer Wirkung, insbesondere
Arzneimittelkombinationen,
zusammengefasst werden; unterschiedliche Bioverfügbarkeiten
wirkstoffgleicher Arzneimittel sind zu berücksichtigen, sofern sie für
die Therapie bedeutsam sind. Nach § 35 Abs 1 S 3 SGB V müssen
die nach § 35 Abs 1 S 2 Nr 2 und 3 SGB V gebildeten Gruppen
gewährleisten, dass Therapiemöglichkeiten nicht eingeschränkt
werden und medizinisch notwendige Verordnungsalternativen zur
Verfügung stehen; ausgenommen von diesen Gruppen sind
Arzneimittel
mit
patentgeschützten
Wirkstoffen,
deren
Wirkungsweise neuartig ist oder die eine therapeutische
Verbesserung, auch wegen geringerer Nebenwirkungen,
bedeuten. Nach § 35 Abs 1 S 5 SGB V ermittelt der GBA die nach
§ 35 Abs 3 SGB V notwendigen rechnerischen mittleren Tages-
oder Einzeldosen oder anderen geeigneten Vergleichsgrößen.
28
Nach § 35 Abs 2 SGB V ist den Sachverständigen der
medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaft und Praxis
sowie der Arzneimittelhersteller und der Berufsvertretungen der
Apotheker vor der Entscheidung des GBA Gelegenheit zur
Stellungnahme zu geben; bei der Beurteilung von Arzneimitteln der
besonderen Therapierichtungen sind auch Stellungnahmen von
Sachverständigen dieser Therapierichtungen einzuholen. Die
Stellungnahmen sind in die Entscheidung einzubeziehen.
29
b) Die Festbetragsgruppenbildung verletzt nicht die
Verfahrensrechte der Klägerin. Dies gilt sowohl für die Zeit vor der
arzneimittelrechtlichen Zulassung des Arzneimittels (dazu aa, bb) als
auch nach dessen Markteinführung (dazu cc). Aus dem EU-Recht
folgt nichts anderes (dazu dd).
30
aa) Der beigeladene GBA hatte nach ordnungsgemäßer Anhörung
der Arzneimittelhersteller die Festbetragsgruppe "Methylphenidat"
der Stufe 1, Gruppe 1 bereits mit Beschluss vom 19.7.2007 neu
gebildet, die Darreichungsformen und Vergleichsgrößen bestimmt
(s BAnz Nr 183 vom 28.9.2007 S 7646) und zugleich die Anlage 2
AMRL (idF vom 19.4.2007, BAnz Nr 115 vom 26.6.2007 S 6396) auf
der Grundlage der gesetzlichen Ermächtigung von § 92 Abs 1 S 2
Nr 6 SGB V geändert. An der Verfassungsmäßigkeit der - für den
Leistungsanspruch maßgebenden (vgl § 91 Abs 6 SGB V), ihn
vorliegend einschränkenden - Rechtsetzung durch den GBA hat der
Senat auch unter Berücksichtigung der hierzu zuletzt ergangenen
Entscheidung des BVerfG
(Beschluss vom 10.11.2015 - 1 BvR 2056/12-BVerfGE 140, 229
= SozR 4-2500 § 92 Nr 18) bezogen auf die RL nach § 135 Abs 1 S
1, § 92 Abs 1 S 2 Nr 5 SGB V keine Zweifel und hält mit
ergänzenden Erwägungen an der bisherigen Rechtsprechung fest
(bereits die og Entscheidung des BVerfG berücksichtigend <1.
Senat> BSGE 120, 170 = SozR 4-2500 § 34 Nr 18, RdNr 42 ff;
bezogen auf die Richtlinien über häusliche Krankenpflege BSG <3.
Senat> SozR 4-2500 § 132a Nr 9 RdNr 21; zu § 137 SGB V vgl BSG
<1. Senat> SozR 4-2500 § 137 Nr 7 RdNr 28)
. Die generell-abstrakte Gruppen- und Vergleichsgrößenbildung war
nach ordnungsgemäßer Bekanntgabe des Beschlusses auch für die
Leistungserbringer verbindlich (§ 91 Abs 6 SGB V), ohne dass es
eines weiteren Normsetzungs- oder Umsetzungsakts bedurfte.
31
bb) Zum Zeitpunkt der Festbetragsgruppenbildung waren
Arzneimittel zur Behandlung von ADHS im Erwachsenenalter
arzneimittelrechtlich noch nicht zugelassen
(vgl BSG <1. Senat> SozR 4-2500 § 31 Nr 15, RdNr 25). Mit Blick
auf die im Jahr 2011 erfolgte Markteinführung und
arzneimittelrechtliche Zulassung methylphenidathaltiger Arzneimittel
für die Behandlung der ADHS auch im Erwachsenenalter erging
zunächst eine Übergangsregelung des GBA
(Beschluss vom 23.6.2011, BAnz Nr 111 vom 27.7.2011 S 2641).
Den generellen Verordnungsausschluss sämtlicher
methylphenidathaltiger Arzneimittel zur Behandlung von ADHS ab
dem Erwachsenenalter hat der beigeladene GBA - dem Antrag der
Klägerin aus ihrem Schreiben vom 18.4.2011 und seiner
allgemeinen Beobachtungspflicht als untergesetzlicher Normgeber
(vgl dazu BSG <1. Senat> E 107, 261 = SozR 4-2500 § 35 Nr 5,
RdNr 73 ff mwN)
folgend - erst mit Beschluss vom 21.3.2013
(BAnz vom 13.6.2013, B1) endgültig aufgehoben. Dadurch wurden
die Voraussetzungen für die ausnahmsweise Verordnungsfähigkeit
im Erwachsenenalter nun normativ konkretisiert.
Methylphenidathaltige Arzneimittel wurden zur Behandlung einer seit
Kindesalter fortbestehenden ADHS bei Erwachsenen ab einem Alter
von 18 Jahren im Rahmen einer Gesamtstrategie zugelassen, wenn
sich andere therapeutische Maßnahmen allein als unzureichend
erwiesen hatten. Maßgebliche Voraussetzung dafür war aber - wenn
die Diagnosestellung im Erwachsenalter erfolgte - dass eine ADHS
bereits im Kindesalter bestanden haben musste.
32
cc) Entgegen der Ansicht der Klägerin bedurfte es keines
gesonderten "Verwaltungs- oder Normsetzungsverfahrens" für die
Herausnahme des Arzneimittels Medikinet®adult aus der
Festbetragsgruppe "Methylphenidat 1" nach dessen
Markteinführung aufgrund seiner "Solitärstellung" zur
ausschließlichen Behandlung von ADHS im Erwachsenenalter. Ein
solcher Anspruch folgt nicht aus dem Gebot effektiven
Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 GG). Dem verfahrensmäßigen Recht
der Arzneimittelhersteller bei der Festbetragsgruppenbildung wurde
durch die Beteiligung und Abgabe einer Stellungnahme vor der
Entscheidung des GBA über die Festbetragsgruppen(neu)bildung
Rechnung getragen
(dazu bereits oben 1 b, vgl § 35 Abs 2 SGB V, ferner BSG <6.
Senat> E 96, 261 = SozR 4-2500 § 92 Nr 5, RdNr 63)
. Der Arzneimittelhersteller (Firma "MEDICE") hatte zur Bildung der
Festbetragsgruppe Methylphenidat 1 Stellung genommen, die der
Beigeladene auch berücksichtigte. Weitere Beteiligungsrechte sind
für die Klägerin bei der Festbetragsgruppenbildung gesetzlich nicht
vorgesehen
(vgl allgemein auch BSG <6. Senat> E 96, 261 = SozR 4-2500 § 92
Nr 5, RdNr 62)
.
33
dd) Aus der RL 89/105/EWG des Rates vom 21.12.1988 betreffend
die Transparenz von Maßnahmen zur Regelung der
Preisfestsetzung bei Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch
und ihre Einbeziehung in die staatlichen
Krankenversicherungssysteme (ABl EG L vom 11.2.1989, 40, 8)
lassen sich entgegen der Ansicht der Klägerin keine günstigeren
Verfahrensrechte herleiten. Diese sog Transparenz-RL findet weder
auf die Festbetragsgruppenbildung noch auf die
Festbetragsfestsetzung Anwendung. Die Regelung des § 35 SGB V
fällt nicht in deren Anwendungsbereich, weil den
Arzneimittelherstellern keine Höchstpreise vorgeschrieben werden,
die sie bei der Bildung der Verkaufspreise (Apothekenabgabepreise)
zu beachten haben (vgl Art 2, 3, 4 der RL). Auch die Regelung über
Negativlisten (Art 7 der RL) ist nicht einschlägig, weil durch die
Festbeträge nicht die Abgabefähigkeit der preislich darüber
liegenden Medikamente zu Lasten der GKV ausgeschlossen wird.
Festbeträge begrenzen lediglich den Teil der Kosten, der von der
GKV zu tragen ist
(vgl BSG <3. Senat> E 94, 1 RdNr 29 ff = SozR 4-2500 § 35 Nr 3
RdNr 35 ff; vgl auch EuGH Urteil vom 26.10.2006 - C-317/05 -,
EuGHE I 2006, 10611, "Pohl-Boskamp" zu Art 6 RL iVm § 34 Abs 1
S 2 SGB V; vgl auch BVerfG Nichtannahmebeschluss vom
12.12.2012 - 1 BvR 69/09 - Juris; vorhergehend BSG <1. Senat
>Urteil vom 6.11.2008, BSGE 102, 30 = SozR 4-2500 § 34 Nr 4).
34
c) Die nach Markteinführung des Arzneimittels Medikinet®adult
unverändert gebliebene Festbetragsgruppe 1 mit dem Wirkstoff
Methylphenidat verletzt die Klägerin nicht in ihrem grundrechtlich
(nur) geschützten Recht auf Wettbewerbsgleichheit
(iS von Art 12 iVm Art 3 Abs 1 GG).Die arzneimittelrechtliche
Zulassungserweiterung für methylphenidathaltige Arzneimittel zur
Behandlung der seit Kindesalter fortbestehenden ADHS bei
Erwachsenen und deren Verordnungsfähigkeit zulasten der GKV
war kein Umstand, der zu einer Korrektur der abstrakt-generellen
Zuordnung des Arzneimittels durch den Beigeladenen hätte führen
müssen. Allein aus der neuen indikationsspezifischen Vermarktung
eines bereits vorhandenen wirkstoffidentischen Arzneimittels kann
die Klägerin unter dem Gesichtspunkt einer fairen, dem
Gleichbehandlungsgrundsatz entsprechenden Teilhabe am Markt
der GKV keine Ansprüche gegenüber dem Beigeladenen herleiten.
Dies beruht letztlich darauf, dass das System der Versorgung der
Versicherten mit Arzneimitteln zentral auf die Wirkstoffe dieser
Arzneimittel abstellt; das heißt, dass für die Zuordnung von
Arzneimitteln zu den Festbetragsgruppen die jeweiligen Wirkstoffe
maßgeblich sind
(vgl BSG <3. Senat> E 120, 11 = SozR 4-2500 § 130a Nr 10, RdNr
29)
. Diese wirkstoffbezogene Gruppeneinteilung des Arzneimittels nach
§ 35 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB V ist hier zutreffend erfolgt (dazu aa).
Unterschiedliche Bioverfügbarkeiten sind dabei im Hinblick auf die
Therapierelevanz berücksichtigt worden (dazu bb). Dem
indikationsbezogenen Kriterium der ausschließlichen Behandlung
von Erwachsenen war bei der Gruppenbildung nicht weiter
Rechnung zu tragen (dazu cc und dd).
35
aa) Die vom beigeladenen GBA vorgenommene Zuordnung
entspricht den gesetzlichen Vorgaben von § 35 Abs 1 SGB V. Die
wirkstoffbezogene Zuordnung orientiert sich grundsätzlich am Inhalt
der arzneimittelrechtlichen Zulassung nach dem AMG
(in der Neufassung vom 12.12.2005, BGBl I 3394). Der Inhalt ergibt
sich insbesondere aus den Fachinformationen nach § 11a AMG
(vgl BSGE 114, 217 = SozR 4-2500 § 35 Nr 7, RdNr 29; BSGE 107,
287 = SozR 4-2500 § 35 Nr 4, RdNr 39).
Die Festbetragsgruppenbildung nach § 35 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB V
erfolgt auf der Ebene derselben Wirkstoffe der Arzneimittel. Nach
den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und daher für den
Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) enthält das
Arzneimittel Medikinet®adult als einzigen (Primär-)Wirkstoff
Methylphenidat.
36
Arzneimittel mit denselben Wirkstoffen, die der Festbetragsgruppe 1
nach § 35 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB V angehören, sind hinsichtlich ihres
Wirkstoffs austauschbar bzw identisch
(vgl BSGE 107, 261 = SozR 4-2500 § 35 Nr 5, RdNr 39 ff; zur
Unterscheidung der Begriffe "Wirkstoffgleichheit",
"Wirkungsgleichheit" und "Wirkgleichheit" vgl BSGE 120, 11 = SozR
4-2500 § 130a Nr 10, RdNr 43)
. Der Begriff des Wirkstoffs in § 35 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB V greift den
Begriff des Wirkstoffes auf, wie er in § 4 Abs 19 AMG definiert wird
(vgl BSGE 120, 11 = SozR 4-2500 § 130a Nr 10, RdNr 44). Danach
sind Wirkstoffe Stoffe, die dazu bestimmt sind, bei der Herstellung
von Arzneimitteln als arzneilich wirksame Bestandteile verwendet zu
werden oder bei ihrer Verwendung in der Arzneimittelherstellung zu
arzneilich wirksamen Bestandteilen oder Arzneimitteln zu werden.
37
Dem Arzneimittel Medikinet®retard der MEDICE Arzneimittel P.
GmbH & Co. KG liegt nicht nur ein chemisch identischer Wirkstoff
Methylphenidat zugrunde; es ist sogar ein identisches Arzneimittel
hinsichtlich des Wirkstoffgehalts, der Zusammensetzung und des
Freisetzungsprofils wie das streitige Arzneimittel
(vgl auch die Fachinformation zu Medikinet®adult, Stand Mai 2013,
unter Ziffer 4.2 "Dosistitration Fortführung einer Therapie mit
Methylphenidat").
38
bb) Der Beigeladene hat auch den Aspekt der unterschiedlichen
Bioverfügbarkeiten wirkstoffgleicher Arzneimittel, sofern sie für die
Therapie nach § 35 Abs 1 S 2 Halbs 2 SGB V bedeutsam sind,
berücksichtigt und hat die Therapierelevanz in nicht zu
beanstandender Weise verneint. Denn die Prüfung hat keine
hinreichenden Belege für unterschiedliche, für die Therapie
bedeutsame Bioverfügbarkeiten der Arzneimittel mit dem
identischen Wirkstoff Methylphenidat gefunden. Den im
Stellungnahmeverfahren vorgebrachten Einwänden zu
Unterschieden im Freisetzungsprofil der retardierten (verzögert
wirkenden) Darreichungsformen im Vergleich zu schnell
freisetzenden Präparaten wurde entgegengesetzt, dass dadurch
individuell dosierte, dem Tagesverlauf und den Bedürfnissen der
Betroffenen angepasste Behandlungen - unter Beachtung möglicher
Nebenwirkungen im Rahmen des therapeutischen
Gesamtkonzeptes - ermöglicht werden
(vgl Tragende Gründe zum Beschluss des GBA über eine Änderung
der AMRL: Festbetragsgruppenneubildung, Methylphenidat, Gruppe
1, in Stufe 1 vom 19.7.2007, S 4 und S 8, verlinkt unter www.g-
ba.de/informationen/beschluesse/450, recherchiert im Juni 2018).
39
Nichts anderes folgt auch aus dem Senatsurteil vom 24.11.2004
(BSGE 94, 1 = SozR 4-2500 § 35 Nr 3). Denn dort hat der 3. Senat
lediglich das Tatbestandsmerkmal "für die Therapie bedeutsam" iS
von § 35 Abs 1 S 2 SGB V unter Heranziehung des
Sachzusammenhangs mit § 35 Abs 1 S 3 SGB V aF ("medizinisch
notwendige Versorgungsalternativen") dahin ausgelegt, dass ein
Arzneimittel in seiner im Vergleich zu anderen wirkstoffgleichen
Präparaten unterschiedlichen Bioverfügbarkeit dann "für die
Therapie bedeutsam ist, wenn es zur Behandlung von Versicherten
durch ein anderes wirkstoffgleiches Arzneimittel nicht gleichzeitig
ersetzt werden kann, es also für die ärztliche Therapie bestimmter
Erkrankungen generell oder auch nur in bestimmten, nicht seltenen
Konstellationen unverzichtbar ist (vgl BSG aaO, RdNr 28 ff). Eine für
die Therapie bedeutsame unterschiedliche Bioverfügbarkeit von der
Festbetragsgruppe zugeordneten methylphenidathaltigen
Arzneimittel hat der GBA aber in revisionsrechtlich nicht zu
beanstandender Weise verneint.
40
cc) Im Übrigen musste der Beigeladene dem indikationsbezogenen
Kriterium der ausschließlichen Anwendung des Arzneimittels
Medikinet®adult auf Erwachsene bei der Gruppenbildung nicht
weiter Rechnung tragen. Dafür bietet das Normprogramm keinen
greifbaren Anknüpfungspunkt.
41
Der gegenteiligen Ansicht der Klägerin, die
Festbetragsgruppenbildung nach § 35 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB V müsse
auch gewährleisten, dass Therapiemöglichkeiten nicht
eingeschränkt werden und medizinisch notwendige
Verordnungsalternativen zur Verfügung stehen
(§ 35 Abs 1 S 3 Halbs 1 SGB V idF bis 12.5.2017, jetzt § 35 Abs 1 S
5 Halbs 1 SGB V idF des GKV-
Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetzes - AMVSG - vom
4.5.2017, BGBl I 1050, mWv 13.5.2017)
, steht schon der eindeutige Wortlaut von § 35 Abs 1 S 3 Halbs 1
SGB V aF (jetzt Abs 1 S 5 Halbs 1 SGB V)entgegen, der
ausdrücklich nur "Die nach Satz 2 Nr. 2 und 3 gebildeten Gruppen"
nennt. Es ist daher nicht plausibel, weshalb die nach § 35 Abs 1 S 2
Nr 1 SGB V gebildete Festbetragsgruppe dennoch von dieser Norm
erfasst sein sollte.
42
Bei der Berücksichtigung des Differenzierungszwecks der
Gruppenbildung kommt es nach § 35 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB V darauf
an, einen übergreifenden gemeinsamen Bezugspunkt mehrerer
Wirkstoffe in der Gruppe der Arzneimittel herzustellen
(vgl BSGE 107, 261 = SozR 4-2500 § 35 Nr 5, RdNr 37;
BSGE 114, 217 = SozR 4-2500 § 35 Nr 7, RdNr 32; vgl BSGE 120,
11 = SozR 4-2500 § 130a Nr 10, RdNr 43; Sodan, PharmR 2007,
485, 487)
, während es in der Gruppe nach § 35 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB V -
insoweit systematisch abweichend - darum geht, einen solchen
hinsichtlich von Arzneimittelkombinationen zu finden. In der Gruppe
nach § 35 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB V geht es hingegen um die Identität
bzw Austauschbarkeit von Arzneimitteln mit denselben Wirkstoffen
(vgl BSGE 120, 11 = 4-2500 § 130a Nr 10, RdNr 43).
43
Eine dem Wortlaut und dem Zweck der Gruppendifferenzierung
entsprechende Auslegung der Norm steht auch im Einklang mit den
Gesetzesmaterialien, die bei der Gruppenbildung nach § 35 Abs 1 S
2 Nr 2 SGB V insbesondere auf chemisch verwandte Stoffe
abstellen, während die Gruppenbildung nach § 35 Abs 1 S 2 Nr 3
SGB V auf Arzneimittel mit mehreren Wirkstoffen abzielt
(vgl Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zum
Gesetzentwurf des Gesundheits-Reformgesetzes vom
24.11.1988, BT-Drucks 11/3480 S 53 zu § 35 Abs 1)
.
44
dd) Selbst wenn § 35 Abs 1 S 3 (jetzt S 5) Halbs 1 SGB V aF auf die
Festbetragsgruppenbildung von Arzneimitteln mit denselben
Wirkstoffen Anwendung fände, ist allerdings nicht ersichtlich,
inwieweit die Zuordnung von Medikinet®adult zur
Festbetragsgruppe "Methylphenidat 1" Therapiemöglichkeiten
einschränken bzw medizinisch notwendige Verordnungsalternativen
ungünstig hätte beeinflussen können. Der 1. Senat des BSG hat
bereits zu Recht darauf hingewiesen, dass für den Fall, dass das
Risiko-Nutzen-Potential beim Fortgebrauch eines (nur) für Kinder
zugelassenen im Kindes- und Jugendlichenalter schon unmittelbar
vor Erreichen des 18. Lebensjahres angewandten Arzneimittels
auch bei Überschreiten der Schwelle zur Volljährigkeit im
Wesentlichen gleichgeblieben sei, es jedenfalls einer besonderen
Rechtfertigung bedürfe, um die nahtlose Weiterversorgung des
Betroffenen mit dem begehrten Mittel abzulehnen
Betroffenen mit dem begehrten Mittel abzulehnen
(BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 15 RdNr 39 für den Einsatz der
methylphenidathaltigen Arzneimittel Ritalin® und Concerta® bei
ADHS).
Auch die Fachinformation für Medikinet®adult
(Stand Mai 2013, unter Ziffer 4.2) weist auf eine solche
(vorübergehende) Fortführung der Therapie mit Medikinet®adult
unter gleicher Tagesdosierung wie unter Einsatz von
Medikinet®retard hin, wobei die Tagesdosis bei Erwachsenen
anhand des Körpergewichts ggf erhöht werden sollte. Individuelle
Dosierungen bzw Dosierungsunterschiede finden aber regelmäßig
über die Vergleichsgrößenermittlung nach § 35 Abs 1 S 5 SGB V aF
(jetzt S 8 idF des AMVSG) Berücksichtigung. Als geeignete
Vergleichsgröße wird für die Festbetragsgruppe nach § 35 Abs 1 S 2
Nr 1 SGB V regelmäßig die reale Wirkstärke je abgeteilter Einheit
bestimmt
(vgl Kapitel IV § 18 S 1 GBA-Verfahrensordnung, Stand 26.11.2013).
Die Klägerin hat die Verletzung von § 35 Abs 1 S 5(jetzt S 8)SGB V
aF zur Vergleichsgrößenbildung im Revisionsverfahren auch nicht
gerügt. Erst das AMVSG hat § 35 Abs 1 S 5 Halbs 2 SGB V im
Hinblick auf die Berücksichtigung von altersgerechten
Darreichungsformen bei Kindern für die Festbetragsgruppenbildung
nach § 35 Abs 1 S 2 Nr 2 und Nr 3 SGB V ergänzt, verbunden mit
der Prüfpflicht des GBA, ob eine solche Notwendigkeit besteht
(vgl Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für
Gesundheit zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum AMVSG,
BT-Drucks 18/11449 S 32 zu Nr 2 <§ 35>).
Auch daraus kann die Klägerin kein für sie günstigeres Ergebnis
herleiten.
45
d) Für die Zuordnung von Medikinet®adult zur Festbetragsgruppe
"Methylphenidat Stufe 1, Gruppe 1" spricht schließlich auch das
durch das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der
gesetzlichen Krankenversicherung
(Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz - AMNOG, BGBl I 2262, vom
22.12.2010)
zum 1.1.2011 eingeführte Normensystem des SGB V zur
Festlegung der Beträge, die die GKV pharmazeutischen
Unternehmern für Arzneimittel zu erstatten hat. Dieses System sieht
für Arzneimittel mit nicht patentgeschützten Wirkstoffen grundsätzlich
für Arzneimittel mit nicht patentgeschützten Wirkstoffen grundsätzlich
die Festlegung von Festbeträgen nach § 35 SGB V vor und für
Arzneimittel, die keiner Festbetragsgruppe zugeordnet wurden, nach
§ 130b Abs 1 S 1 SGB V die - grundsätzlich ab dem 13. Monat nach
dem erstmaligen Inverkehrbringen eines Arzneimittels mit dem
Wirkstoff geltende
(§ 130b Abs 4 S 3 SGB V aF; seit 1.4.2014 § 130b Abs 3a SGB V) -
Vereinbarung eines Erstattungsbetrags auf der Grundlage des
Beschlusses des GBA über die Nutzenbewertung nach § 35a Abs 3
SGB V. Das belegt die Vorrangigkeit der wirkstoffbezogenen
Zuordnung von Arzneimitteln zu einem Festbetrag. Denn ein
Nutzenbewertungsbeschluss ergeht nach dem insoweit bislang
unverändert gebliebenen § 35a Abs 1 S 1 SGB V grundsätzlich nur
für Arzneimittel mit "neuen" Wirkstoffen. Selbst Arzneimittel, die
lediglich pharmakologisch-therapeutisch mit
Festbetragsarzneimitteln vergleichbar sind, sind in die
entsprechende Festbetragsgruppe einzuordnen, es sei denn, es
wurde eine therapeutische Verbesserung nachgewiesen
(§ 35a Abs 4 S 1, Abs 1 S 4 SGB V, auch diese Normen gelten
unverändert fort)
. Danach kann die Zuordnung wirkstoffgleicher Arzneimittel zur
gleichen Festbetragsgruppe auch nach einer Indikationserweiterung
nicht zweifelhaft sein. Eine besondere Regelung für den Fall einer -
etwa aufgrund einer Indikationserweiterung - neu erteilten Zulassung
ist erst mit dem AMVSG(BGBl I 1050 vom 4.5.2017 mWv 13.5.2017)
in § 35a Abs 6 S 1 SGB V aufgenommen worden. Aber auch
danach kann der GBA für ein Arzneimittel mit einem Wirkstoff, der
kein "neuer" Wirkstoff ist, eine Nutzenbewertung nach § 35a Abs 1
SGB V (nur) veranlassen, wenn für das Arzneimittel eine neue
Zulassung mit neuem Unterlagenschutz erteilt wird. Für
Medikinet®adult ist kein neuer Unterlagenschutz erteilt worden.
46
4. Der auf der zweiten Stufe des Festbetragsfestsetzungsverfahrens
nach § 35 Abs 2 und 5 SGB V ergangene Beschluss des beklagten
GKV-Spitzenverbandes zur Festbetragsfestlegung bzw -anpassung
vom 3.2.2014 mit Wirkung zum 10.4.2014 verletzt die Klägerin
ebenfalls nicht in ihrem Recht auf Wettbewerbsgleichheit
(Art 12 iVm Art 3 Abs 1 GG, zum Prüfmaßstab vgl erneut oben 1 b
und 2)
.
47
a) Die Klägerin ist im Stellungnahmeverfahren nach § 35 Abs 2, Abs
3 S 3 SGB V angehört worden. Ihre Äußerung vom 20.12.2013
wurde berücksichtigt und die Festsetzung im Bundesanzeiger
veröffentlicht (§ 35 Abs 7 S 1 SGB V, vgl BAnz vom 10.2.2014 B4).
Der Festbetrag entspricht den Vorgaben von § 35 Abs 3 S 1 und
Abs 5 SGB V in der zur Zeit der Festbetragsfestsetzung geltenden
Fassung
(idF des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes vom 22.12.2011, BGBl I
2983 mWv vom 1.1.2012).
48
Nach § 35 Abs 3 S 1 SGB V setzt der beklagte GKV-Spitzenverband
den jeweiligen Festbetrag auf der Grundlage von rechnerischen
mittleren Tages- oder Einzeldosen oder anderen geeigneten
Vergleichsgrößen fest. Nach § 35 Abs 5 SGB V sind die Festbeträge
so festzusetzen, dass sie im Allgemeinen eine ausreichende
zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte
Versorgung gewährleisten. Sie haben Wirtschaftlichkeitsreserven
auszuschöpfen, sollen einen wirksamen Preiswettbewerb auslösen
und haben sich deshalb an möglichst preisgünstigen
Versorgungsmöglichkeiten auszurichten; soweit wie möglich ist eine
für die Therapie hinreichende Arzneimittelauswahl sicherzustellen.
Die Festbeträge sind mindestens einmal im Jahr zu überprüfen; sie
sind in geeigneten Zeitabständen an eine veränderte Marktlage
anzupassen.
49
Das - verfassungskonforme - Ziel dieser Festbetragsfestsetzung ist
eine im allgemeinen ausreichende, zweckmäßige und
wirtschaftliche, in der Qualität gesicherte Versorgung der
Versicherten (BSGE 107, 261 = SozR 4-2500 § 35 Nr 5, RdNr 51 ff).
Die Festsetzung soll einen wirksamen Preiswettbewerb auslösen
und sich deshalb an möglichst preisgünstigen
Versorgungsmöglichkeiten ausrichten. Die Arzneimittelhersteller von
hochpreisigen Medikamenten sollen sich veranlasst sehen, ihre
Preise zu senken in der Erwartung, dass solche Preissenkungen
das gesamte Preisgefüge verändern
(vgl BVerfGE 106, 275, 301 = SozR 3-2500 § 35 Nr 2 S 19).
50
b) Die gesetzlichen Parameter der Festbetragsfestsetzung
(sog Fünftel-Regelung und Maßzahl) sind nach den
beanstandungsfreien Feststellungen des LSG erfüllt.
51
Für die Ermittlung des konkreten Festbetrags gilt insoweit
(§ 35 Abs 5 S 4 bis 7 SGB V), dass der Festbetrag für die
Arzneimittel in einer Festbetragsgruppe nach § 35 Abs 1 S 2 SGB V
den höchsten Abgabepreis des unteren Drittels des Intervalls
zwischen den niedrigsten und dem höchsten Preis einer
Standardpackung nicht übersteigen darf. Dabei müssen mindestens
1/5 aller Verordnungen und mindestens 1/5 aller Packungen zum
Festbetrag verfügbar sein; zugleich darf die Summe der jeweiligen
Vomhundertsätze der Verordnungen und Packungen, die nicht zum
Festbetrag erhältlich sind, den Wert von 160 nicht überschreiten. Bei
der Berechnung nach Satz 4 der Regelung sind hochpreisige
Packungen mit einem Anteil von weniger als einem vom Hundert an
den verordneten Packungen in der Festbetragsgruppe nicht zu
berücksichtigen. Für die Zahl der Verordnungen sind die zum
Zeitpunkt des Berechnungsstichtages zuletzt verfügbaren
Jahresdaten nach § 84 Abs 5 SGB V zugrunde zu legen
(vgl dazu auch Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD eines Gesetzes zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der
Arzneimittelversorgung, BT-Drucks 16/194 S 9 zu Buchst d).
Die Parameter der sog Fünftel-Regelung waren in Bezug auf die
Verordnungen und die Verpackungen
(36,51 % zum Oktober 2013 und 22,5 % im Jahr 2012) sowie die
Maßzahl von 160(s § 35 Abs 5 S 5 SGB V) zum
Berechnungsstichtag erfüllt, ohne dass die Klägerin diese
bindenden Tatsachenfeststellungen des LSG mit Verfahrensrügen
angegriffen hätte.
52
c) Der pauschale Einwand der Klägerin, dass die
Festbetragsfestsetzung die Versorgungssicherheit in der GKV
gefährde, greift nicht durch. Ungeachtet dessen, ob die Klägerin mit
dem Einwand der mangelnden Sicherstellung der Versorgung iS von
§ 35 Abs 5 S 1 SGB V überhaupt eine ihre Rechte verletzende
willkürliche, wettbewerbsverzerrende Maßnahme geltend machen
kann
(vgl insoweit auch erneut Urteile des Senats vom 3.5.2018 - B 3 KR
9/16 R sowie B 3 KR
10/17 R -)
, war die ausreichende Auswahl von Arzneimitteln hier sowohl
innerhalb als auch außerhalb der Festbetragsgruppe
"Methylphenidat 1" zum Festbetrag gewährleistet. Denn das LSG
hat bindend (vgl § 163 SGG) festgestellt, dass außerhalb der
Festbetragsgruppe der Wirkstoff Atomoxetin (Arzneimittel Strattera®)
zur Behandlung Erwachsener mit ADHS seit 2013 zur Verfügung
stand und innerhalb der Festbetragsgruppe seit 1.7.2014 zum
Festbetrag das Arzneimittel Ritalin® Adult mit demselben Wirkstoff
Methylphenidat. Schließlich war Medikinet®adult seit dem 1.8.2014
zum Festbetrag verfügbar, nachdem erst seit Juni 2013 der
generelle Verordnungsausschluss für Arzneimittel zur Behandlung
der ADHS bei Erwachsenen in der GKV endgültig aufgehoben
worden war
(s oben 3. und Beschluss GBA vom 21.3.2013, BAnz AT vom
13.6.2013, B1 zur Änderung der Anlage III Nr 44 der AMRL)
. Insofern ist auch zu berücksichtigen, dass Festbeträge in
geeigneten Zeitabständen an eine veränderte Marktlage
anzupassen sind (§ 35 Abs 5 S 3 Halbs 2 SGB V aF).
53
d) Schließlich kann die Klägerin auch nicht mit ihrem Einwand Erfolg
haben, dass der Beklagte die Größe der Standardpackung mit 100
Stück im regressionsanalytischen Verfahren nach § 35 Abs 5 S 4
SGB V unzutreffend ermittelt habe. Die Klägerin hat schon nicht
hinreichend plausibel und rechtlich nachvollziehbar dargelegt,
welchen wettbewerblichen Vorteil sie aus der Standardpackung mit
50 Stück gezogen hätte. Unter Anlegung des Prüfmaßstabs einer
mit Wettbewerbsnachteilen verbundenen willkürlichen
Ungleichbehandlung ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden,
dass der Beklagte die Klägerin und das weitere der MEDICE-Gruppe
zugehörige Unternehmen (P. GmbH & Co. KG) als einen
einheitlichen - nicht zur zufällig - unter derselben Adresse
firmierenden Anbieter derselben wirkstofforientierten und
namensähnlichen Produktpalette in die Berechnung des
regressionsanalytischen Verfahrens einbezogen und bei der
Festbetragsfestsetzung nicht entscheidend auf die
gesellschaftsrechtlich unterschiedlichen Unternehmensformen
beider Firmen abgestellt hat.
54
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm §§ 154 Abs
2, 162 Abs 3 VwGO.
55
6. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a SGG iVm § 63 Abs 2,
§ 52 Abs 1 und § 47 Abs 1 GKG.