Urteil des BSG vom 15.03.2018

Urteil vom 15.03.2018

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 15.3.2018, B 3 KR 4/16 R
ECLI:DE:BSG:2018:150318UB3KR416R0
Parallelentscheidung zu dem Urteil des BSG vom 15.3.2018 - B 3
KR 18/17 R.
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen
Landessozialgerichts vom 10. Dezember 2015 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an
das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
1
Im Streit steht der Anspruch des Klägers auf Versorgung mit einem
Therapiedreirad.
2
Der 1960 geborene, bei der Beklagten im Rahmen der
Krankenversicherung der Rentner versicherte Kläger leidet als Folge
eines im Jahr 1992 erlittenen Hirntumors ua an einer
symptomatischen Epilepsie mit fokal-motorischen Anfällen, einer
Beeinträchtigung der linken Körperhälfte mit reduzierter Motorik und
Gleichgewichtsstörungen, an einer organisch bedingten
Antriebsstörung, rezidivierenden depressiven Störungen sowie einer
Anpassungsstörung. Daneben besteht ein Diabetes mellitus mit
beginnender Polyneuropathie. Aufgrund der Diagnose eines
"hirnorganischen Psychosyndroms" steht der Kläger unter der
Betreuung seiner Ehefrau. Er bezieht Leistungen der sozialen
Pflegeversicherung, zuletzt nach der Pflegestufe II aF seit Januar
2012. Bei dem Kläger ist ein Grad der Behinderung von 100 mit den
Merkzeichen H, B und G anerkannt.
3
Am 13.11.2013 beantragte die Ehefrau des Klägers bei der Beklagten
die Übernahme der Kosten für das Therapiedreirad "Easy Rider 2"
(Sesseldreirad mit Rückenlehne und niedrigem Einstieg, s
Hilfsmittelverzeichnis Nr 22.51.02.0048)
unter Vorlage der ärztlichen Verordnung vom 4.11.2013. Die Beklagte
teilte dem Kläger am selben Tag mit, sie werde weitere medizinische
Informationen anfordern. Mit Schreiben vom 3.1.2014 reichte der
Kläger die ärztliche Verordnung bei der Beklagten erneut ein, worauf
die Beklagte am 6.1.2014 den Medizinischen Dienst der
Krankenversicherung (MDK) mit der Begutachtung der
Hilfsmittelversorgung beauftragte. Der MDK kam zu dem Ergebnis,
dass die Versorgung des Klägers mit dem Therapiedreirad "Easy
Rider 2" nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV) umfasst sei. Im Übrigen sei das
Sesseldreirad ein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens
(Sozialmedizinisches Gutachten vom 16.1.2014).
4
Der Antrag blieb bei der Beklagten
(Bescheid vom 21.1.2014; Widerspruchsbescheid vom 10.4.2014)
und in erster Instanz erfolglos (Gerichtsbescheid vom 21.11.2014).
Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen: Der Kläger
habe keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für das
Therapiedreirad "Easy Rider 2". Zwar liege eine Fristüberschreitung
nach § 13 Abs 3a SGB V vor. Die Genehmigungsfiktion greife aber
nach dem Wortlaut von § 13 Abs 3a S 7 SGB V nur ein, wenn sich der
Versicherte die begehrte Leistung bereits selbst beschafft habe (bzw
eine entsprechende schuldrechtliche Verpflichtung eingegangen sei)
und Kostenerstattung bzw -freistellung geltend gemacht werde. Das
sei hier nicht der Fall. § 13 Abs 3a S 6 SGB V räume dem
Versicherten keinen Sachleistungsanspruch ein. Selbst dann wäre
dieser durch das Qualitätsgebot (§ 2 Abs 1 S 3 SGB V) und das
Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs 1 SGB V) begrenzt. Denn die
Genehmigungsfiktion von § 13 Abs 3a SGB V könne nicht weiter
reichen als der zugrunde liegende Sachleistungsanspruch. Dem
Kläger stehe auch kein Sachleistungsanspruch auf Versorgung mit
einem Therapiedreirad gemäß § 33 Abs 1 S 1 SGB V zu. Das
Hilfsmittel diene weder dem Behinderungsausgleich noch zur
Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung. Die Verwendung des
Therapiedreirads sei beim Kläger ausschließlich auf
gesundheitsfördernde Zwecke gerichtet, wie die allgemeine
Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit und die Erhöhung
der Ausdauer und Belastungsfähigkeit. Ein anderes Ergebnis folge
nicht daraus, dass der behandelnde Neurologe den Einsatz des
Therapiedreirads zur Verbesserung der selbstständigen Teilnahme
am sozialen Leben und der allgemeinen Lebensqualität empfohlen
habe (Urteil vom 10.12.2015).
5
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
Entgegen der Ansicht des LSG ergebe sich schon aus dem Wortlaut
von § 13 Abs 3a S 6 SGB V ein Sachleistungsanspruch. Wäre der
Geltungsbereich der Genehmigungsfiktion lediglich auf einen
Kostenerstattungsanspruch beschränkt, käme § 13 Abs 3a S 6 SGB
V kein eigener Regelungsgehalt zu. Zudem schließe eine solche
Auslegung mittellose Versicherte, die nach Ablauf der Frist nicht in der
Lage seien, sich die begehrte Leistung selbst zu beschaffen,
praktisch aus dem Schutzbereich des § 13 Abs 3a SGB V aus. Dies
sei eine ungerechtfertigte Benachteiligung solcher Versicherter
(Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG), die finanziell nicht in Vorleistung
treten könnten. Die Genehmigungsfiktion sei eingeführt worden, um
Prüfungsverfahren für Hilfsmittel zu beschleunigen bzw überlange
Prüfungsverfahren zu sanktionieren. Zu hinterfragen sei auch die
Begrenzung des Anspruchs nach § 13 Abs 3a S 6 und 7 SGB V
durch das Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebot. Darüber hinaus
bestehe ein Anspruch auf Versorgung mit dem Hilfsmittel aus § 33
Abs 1 S 1 Alt 1 SGB V zur Sicherung des Erfolgs der Heilbehandlung.
6
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 10. Dezember
2015 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt vom
21. November 2014 aufzuheben sowie die Beklagte unter Aufhebung
des Bescheides vom 21. Januar 2014 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 10. April 2014 zu verurteilen, ihn mit
dem Therapiedreirad Easy Rider 2 zu versorgen,
hilfsweise,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 10. Dezember
2015 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und
Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
7
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
8
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Das Therapiedreirad
sei im Übrigen eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation, sodass
der Anwendungsbereich von § 13 Abs 3a SGB V nicht eröffnet sei.
Ein Sachleistungsanspruch aus § 33 SGB V bestehe nach
zutreffender Ansicht des LSG nicht.
Entscheidungsgründe
9 Die zulässige Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung des
LSG-Urteils und Zurückverweisung der Sache an das
Berufungsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung
(§ 170 Abs 2 S 2 SGG) begründet.
10
Die Versorgung des Klägers mit einem Therapiedreirad "Easy Rider
2" lässt sich nicht mit Erfolg auf die Genehmigungsfiktion nach § 13
Abs 3a S 6 SGB V stützen, weil S 9 dieser Vorschrift Leistungen zur
medizinischen Rehabilitation dem Regelungssystem des SGB IX
zuweist und diese Leistungen daher insgesamt nicht vom
sachlichen Anwendungsbereich der Genehmigungsfiktion sowie der
Regelungen aus § 13 Abs 3a SGB V erfasst werden (hierzu 1.).
11
Ansprüche auf Versorgung mit Hilfsmitteln nach § 33 SGB V, für die
der 3. Senat nach dem Geschäftsverteilungsplan des BSG in
Revisionsverfahren allein zuständig ist, fallen nur dann unter den
Begriff der "Leistungen zur medizinischen Rehabilitation", wenn das
Hilfsmittel dem Ausgleich oder der Vorbeugung einer Behinderung
dienen soll (§ 33 Abs 1 S 1 Var 2 und 3 SGB V). Der sachliche
Anwendungsbereich des § 13 Abs 3a SGB V ist deshalb lediglich für
Hilfsmittel zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung iS von
§ 33 Abs 1 S 1 Var 1 SGB V eröffnet. Bei dem hier im Streit
stehenden Therapiedreirad "Easy Rider 2" kann es sich jedoch nur
um ein Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich handeln, sodass § 13
Abs 3a SGB V für eine darauf gerichtete Leistungsgewährung keine
Anwendung findet (hierzu 2.).
12
Es fehlen aber ausreichende Feststellungen des LSG, ob dem
Kläger ein Anspruch auf Versorgung mit dem Therapiedreirad "Easy
Rider 2" nach § 33 Abs 1 S 1 Var 3 SGB V gegen die Beklagte als
originärer Leistungsträger zusteht, oder ob ein Anspruch auf
Versorgung mit dem Hilfsmittel aus dem Bereich eines anderen
Rehabilitationsträgers (vgl § 6 Abs 1 SGB IX), für den die Beklagte
als erstangegangener Rehabilitationsträger
(§ 14 SGB IX idF des Gesetzes zur Förderung der Ausbildung und
Beschäftigung schwerbehinderter Menschen vom 23.4.2004, BGBl I
606, gültig bis 31.12.2017 )
mangels Weiterleitung des Antrags im Verhältnis zum Kläger
umfassend zuständig geworden ist. Daher kann der Senat nicht
abschließend in der Sache entscheiden (hierzu 3.).
13
1. Die Genehmigungsfiktion sowie die Regelungen aus § 13 Abs 3a
SGB V insgesamt sind auf Leistungen zur medizinischen
Rehabilitation nicht anwendbar. Denn § 13 Abs 3a S 9 SGB V
(hier heranzuziehen in der seit 26.2.2013 geltenden Fassung von
Art 2 Nr 1 des Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von
Patientinnen und Patienten vom 20.2.2013, BGBl I
277, gültig bis 31.12.2017 )
verweist für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation auf das
Rehabilitations- und Teilhaberecht, das in §§ 14 und 15 SGB IX
(in der seit 1.7.2001 geltenden Fassung durch Art 1 und 68 des
Sozialgesetzbuches - Neuntes Buch - Rehabilitation und
Teilhabe behinderter Menschen vom 19.6.2001, BGBl I 1046, gültig
bis 31.12.2017 , sowie in §§ 14 bis 24 SGB IX
idF von Art 1 des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und
Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen
vom 23.12.2016, BGBl I 3234,
mWv 1.1.2018 )
ein eigenständiges, in sich geschlossenes System bei
Überschreitung von Entscheidungsfristen mit entsprechenden
Sanktionen vorhält. Eine Kombination dieser Regelungssysteme ist
nicht möglich (hierzu im Folgenden a). Die Systemzuweisung nach §
13 Abs 3a S 9 SGB V knüpft an den allgemeinen und schon vor
Inkrafttreten von § 13 Abs 3a SGB V bestehenden Begriff der
medizinischen Rehabilitation an (hierzu b). Maßgeblich für die
Systemabgrenzung ist insoweit allein das objektive Recht, nicht
dagegen, ob der Versicherte die Leistung (als nichtrehabilitative
Leistung) iS von § 13 Abs 3a S 7 SGB V für erforderlich halten durfte
(hierzu c).
14
a) Die Regelungssysteme von § 13 Abs 3a SGB V einerseits und
von §§ 14, 15 SGB IX aF andererseits kollidieren miteinander und
lassen sich daher weder miteinander kombinieren noch gleichzeitig
anwenden
(so auch BSG <1. Senat> Urteil vom 8.3.2016 - B 1 KR 25/15 R -
BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 15)
. Sie schließen sich vielmehr gegenseitig aus. Daher findet § 13 Abs
3a SGB V insgesamt auf Leistungen zur medizinischen
Rehabilitation keine Anwendung
(so auch vgl Knispel, GesR 2017, 749, 756; Noftz in Hauck/Noftz,
SGB V, K § 13 RdNr 58q
2016>; Helbig in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl 2016, §
13 RdNr 76; Hahn, SGb 2015, 144, 147 f)
. Nicht zu folgen ist demgegenüber der teilweise vertretenen Ansicht,
dass die Zuweisungsnorm von § 13 Abs 3a S 9 SGB V aF nur
bezüglich der Zuständigkeitsklärung und der Erstattung selbst
beschaffter Leistungen auf die Regelungen des SGB IX verweise,
sich aber der aus der Genehmigungsfiktion resultierende
Sachleistungsanspruch nach § 13 Abs 3a S 6 SGB V
(vgl dazu ua BSG <1. Senat> Urteil vom 11.7.2017 - B 1 KR 26/16 R
- Juris RdNr 12 f, auch zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-
2500 § 13 Nr 36 vorgesehen)
auch für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation ergeben
könne
(so aber ua Bayerisches LSG Urteil vom 31.1.2017 - L 5 KR 471/15 -
Juris RdNr 57 f; SG Speyer Urteil vom 18.11.2016 - S 19 KR 329/16
- Juris LS 2 und RdNr 27 f)
. Dieser Ansicht stehen sonst nicht auflösbare Normkonflikte
entgegen.
15
Während nach § 13 Abs 3a S 6 iVm S 1 SGB V die Leistung bereits
drei Wochen nach Antragseingang als genehmigt gilt, falls die
Krankenkasse ohne Mitteilung eines hinreichenden Grundes und
ohne Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme nicht darüber
entschieden hat, tritt nach dem bis zum 31.12.2017 geltenden Recht
der Rehabilitation und Teilhabe bei Überschreitung der
vorgesehenen Fristen keine Genehmigungsfiktion ein. Vielmehr
kann sich ein Leistungsberechtigter nach § 15 Abs 1 S 2 und 3 SGB
IX aF die Leistung nur dann gegen Kostenerstattung selbst
beschaffen, wenn er dem Rehabilitationsträger zuvor eine
angemessene Frist unter Androhung der Selbstbeschaffung nach
Fristablauf gesetzt hat. Diese Regelung liefe bei Eintritt einer
Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a S 6 SGB V leer. Wird eine
gutachtliche Stellungnahme eingeholt, gilt nach § 13 Abs 3a S 1
SGB V grundsätzlich eine Fünf-Wochenfrist ab Antragseingang,
während der Rehabilitationsträger nach § 14 Abs 2 S 4 SGB IX aF
innerhalb von zwei Wochen nach Vorliegen des Gutachtens
entscheiden muss. Bei paralleler Anwendung beider Normsysteme
könnte in diesen Fällen die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a
S 6 SGB V selbst dann eintreten, wenn sich der
Rehabilitationsträger noch im Rahmen der nach § 14 Abs 2 S 4 SGB
IX aF vorgegebenen Fristen hält. Schließlich könnte es zum Eintritt
der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a S 6 SGB V auch dann
kommen, wenn die Krankenkasse einen Antrag auf Leistungen zur
Teilhabe rechtmäßig nach § 14 Abs 1 S 1 und 2 SGB IX aF
innerhalb von zwei Wochen an den zuständigen
Rehabilitationsträger weiterleiten, dies dem Versicherten aber nicht
innerhalb der Drei-Wochenfrist des § 13 Abs 3a SGB V mitteilen
würde.
16
Die vorstehenden Erwägungen schließen ein Nebeneinander beider
Normkomplexe ersichtlich aus und fordern eine klare
Systemabgrenzung, die nach den Vorschriften zur Kostenerstattung
nach § 13 Abs 3 SGB V nicht notwendig war und ist. Zwar verweist
auch § 13 Abs 3 S 2 SGB V
(idF von Art 5 Nr 7 Buchst b nach Maßgabe des Art 67 SGB IX, aaO,
mWv 1.7.2001)
hinsichtlich der Kosten für selbst beschaffte "Leistungen zur
medizinischen Rehabilitation nach dem SGB IX" auf die
Erstattungsregelung von § 15 SGB IX aF
(bzw seit 1.1.2018 Verweisung auf § 18 SGB IX idF des BTHG),
allerdings ist insoweit aufgrund der Parallelität der Ansprüche und
ihrer Voraussetzungen eine kollidierende Systemabgrenzung nicht
erforderlich (vgl BSGE 113, 40 = SozR 4-3250 § 14 Nr 19, RdNr 42).
17
b) Den mit der Schaffung von § 13 Abs 3a SGB V entstandenen
Konflikt kollidierender Systeme löst § 13 Abs 3a S 9 SGB V durch
eine generelle Zuweisung in das System des SGB IX auf. Dies hat
zur Folge, dass Leistungen zur medizinischen Rehabilitation im
Sinne des SGB V und des SGB IX von vornherein nicht vom
sachlichen Anwendungsbereich des § 13 Abs 3a S 6 und S 7 SGB
V erfasst werden
(bzw sind sie hiervon "ausgeklammert", so bereits BSG Urteil vom
8.3.2016 - B 1 KR 25/15 R - BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr
33, RdNr 15)
. Derartige Leistungen sind vielmehr allein dem Regelungsgefüge
des Teilhaberechts
(§§ 14, 15 SGB IX aF bzw seit 1.1.2018 §§ 14 bis 24 SGB IX idF des
BTHG)
unterstellt. Es handelt sich um eine Systemabgrenzung, wie sie für
die nach dem SGB V zu gewährenden Leistungen der GKV schon
vor Inkrafttreten von § 13 Abs 3a SGB V bestand, und an die § 13
Abs 3a S 9 SGB V anknüpft. Denn die Regelungen des SGB IX
gelten für alle Leistungen der Rehabilitation und Teilhabe
behinderter Menschen, und zwar auch, soweit es sich dabei um
Leistungen der GKV nach dem SGB V handelt. Die SGB IX-
Regelungen gelten hingegen ausschließlich für Leistungen der
Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen, dh nicht für die
sonstigen Leistungen der GKV (vgl § 11 SGB V), insbesondere nicht
für solche zur kurativen (Akut-)Behandlung einer Krankheit
(zur Abgrenzung allgemein vgl zB Noftz in Hauck/Noftz, aaO, K § 11
RdNr 48 ff )
.
18
Während das für Leistungen der Rehabilitation und Teilhabe
behinderter Menschen geschaffene SGB IX eigenständig
Gegenstände, Umfang und Ausführungen von Teilhabeleistungen
regelt, wird hinsichtlich der Zuständigkeit und der Voraussetzungen
für die Leistungen zur Teilhabe nach § 7 S 2 SGB IX aF
ausschließlich auf die für den jeweiligen Rehabilitationsträger
geltenden Leistungsgesetze verwiesen. Die Vorschriften des SGB
IX sind maßgebend, soweit etwa im SGB V nichts Abweichendes
vorgesehen ist (vgl § 7 S 1 SGB IX aF). Die Krankenkassen sind in
ihrer Eigenschaft als Träger von Leistungen zur medizinischen
Rehabilitation (vgl § 5 Nr 1, § 6 Abs 1 Nr 1 SGB IX) nach den
Vorschriften des SGB V zur Erbringung solcher
Rehabilitationsleistungen unter den dort genannten
Voraussetzungen verpflichtet
(vgl § 11 Abs 2, § 40 SGB V; stRspr; vgl nur BSGE 98, 277 = SozR
4-2500 § 40 Nr 4, RdNr 18)
. Deshalb verliert die GKV ihre originäre Leistungszuständigkeit für
Hilfsmittel nach § 33 SGB V nicht, selbst wenn die Hilfsmittel im
Einzelfall als Folge der hier vorzunehmenden Systemzuordnung als
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zu qualifizieren sind.
19
Die in § 13 Abs 3a SGB V eingefügte Genehmigungsfiktion für selbst
beschaffte Leistungen hat die aufgezeigten Systemgrenzen im
Grundsatz unberührt gelassen. Dies belegen die
Gesetzesmaterialien zu dieser Regelung, die ausdrücklich (bloß)
klarstellen, dass für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation die
§§ 14, 15 SGB IX aF zur Zuständigkeitsklärung und Erstattung
selbst beschaffter Leistungen gelten und dass Spezialregelungen im
SGB V wie zB § 32 Abs 1a (Genehmigungsfiktion bei Heilmitteln)
vorrangig anzuwenden sind
(vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung zum PatRVerbG, BT-
Drucks 17/10488 S 32 zu Art 2 Nr 1)
. Überdies bestätigt auch die Neuregelung des § 13 Abs 3a S 9 SGB
V (idF des BTHG), dass für Leistungen zur medizinischen
Rehabilitation die im SGB IX neu geregelten Vorschriften der §§ 14
bis 24 SGB IX (idF des BTHG) zur Koordinierung der Leistungen
und zur Erstattung selbst beschaffter Leistungen gelten. Hierzu
enthalten die Gesetzesmaterialien den Hinweis, dass es sich um
eine rein redaktionelle Folgeänderung aufgrund der Neufassung der
vorgenannten Vorschriften handele
(vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung zum BTHG, BT-Drucks
18/9522 S 322 zu Art 6 Nr 5 Buchst b).
20
Nach dieser Systemzuweisung gelten die Vorschriften des SGB IX
für die GKV grundsätzlich nur, soweit die Krankenkasse als
Rehabilitationsträgerin für Leistungen zur medizinischen
Rehabilitation, unterhaltssichernde und andere ergänzende
Leistungen (§ 6 Abs 1 Nr 1, § 5 Nr 1 SGB IX) originär zuständig ist
(vgl § 11 Abs 2 S 1 und 3 SGB V, § 27 Abs 1 S 2 Nr 6 SGB V, § 40
SGB V)
oder soweit die Krankenkasse im Außenverhältnis zum
Leistungsberechtigten für Teilhabeleistungen nach § 14 Abs 2 SGB
IX zuständig geworden ist. Für Leistungen zur Teilhabe nach den in
§ 5 SGB IX aufgeführten Leistungsgruppen, für welche originär ein
anderer Rehabilitationsträger zuständig ist, kann der
erstangegangene Rehabilitationsträger zuständig werden, wenn er
den Antrag nicht innerhalb von zwei Wochen an den zuständigen
Rehabilitationsträger weiterleitet (§ 14 Abs 2 S 1 SGB IX). Außerdem
kann ein originär unzuständiger Rehabilitationsträger für eine
Leistung (bindend) zuständig werden, wenn ein Antrag trotz seiner
Unzuständigkeit an ihn weitergeleitet wurde
(§ 14 Abs 1 S 3 und 5 SGB IX aF bzw § 14 Abs 2 S 4 iVm Abs 3
SGB IX idF des BTHG)
. In diesen Fällen gelten die Vorschriften zur Koordinierung der
raschen Zuständigkeitsklärung und zur Kostenerstattung nach §§
14, 15 SGB IX aF
(bzw seit 1.1.2018 §§ 14 bis 24 SGB IX idF des BTHG), an die die
Krankenkasse als Rehabilitationsträgerin nach dem SGB IX
gebunden ist, nicht aber § 13 Abs 3a SGB V.
21
c) Maßstab für die Systemabgrenzung ist bei alledem allein das
objektive Recht. Denn eine Systemabgrenzung lässt sich aus
Gründen der gebotenen Rechtssicherheit und Rechtsklarheit nicht
anhand subjektiver (Rechts-)Vorstellungen der Betroffenen
vornehmen. Die damit ggf (allein) für die Leistungsberechtigten
verbundene Unsicherheit bezüglich des Eintritts einer
Genehmigungsfiktion und eines möglichen Anspruchs auf
Kostenerstattung bei Selbstbeschaffung ist hinzunehmen. Dies gilt
ungeachtet der Rechtsprechung sowohl des 1. Senats
(BSG Urteil vom 8.3.2016 - B 1 KR 25/15 R - BSGE 121, 40 = SozR
4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 25 f)
als auch des 3. Senats des BSG
(vgl Urteil vom 11.5.2017 - B 3 KR 30/15 R -
Juris RdNr 39, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2500 § 13
Nr 34 vorgesehen - Kopforthese)
, nach der es für den Eintritt der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs
3a S 6 SGB V und den Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs
3a S 7 SGB V grundsätzlich nicht auf die objektive Erforderlichkeit
der Leistung, sondern lediglich darauf ankommt, ob der Versicherte
sie subjektiv für erforderlich halten durfte
(vgl Werner, SGb 2015, 323, 325; aA Knispel, SGb 2014, 374, 376;
von Koppenfels-Spies, NZS 2016, 601, 604)
. Der Ausschluss des Anwendungsbereichs von § 13 Abs 3a SGB V
für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation
(§ 13 Abs 3a S 9 SGB V) ist gegenüber diesem Grundsatz vorrangig
und schließt eine Leistungsgewährung über § 13 Abs 3a SGB V
aus, unabhängig davon, ob sie der Versicherte für eine
nichtrehabilitative Leistung halten durfte und sie iS von § 13 Abs 3a
S 7 SGB V als erforderlich ansehen durfte.
22
2. Zu den Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach dem
SGB V kann zwar nach ständiger Rechtsprechung auch die
Versorgung mit sächlichen Hilfsmitteln der GKV nach § 33 SGB V
gehören
(vgl zuletzt BSGE 113, 40 = SozR 4-3250 § 14 Nr 19, RdNr 21 mwN
- Hörgerät)
. Gleichwohl wird die Versorgung mit Hilfsmitteln der GKV
systematisch der Krankenbehandlung zugeordnet
(§ 27 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB V). Daraus ergeben sich zwangsläufig bei
der Auslegung des § 13 Abs 3a SGB V Abgrenzungsfragen. Mit
Rücksicht auf die schon in § 33 Abs 1 S 1 SGB V angelegte
unterschiedliche Zielrichtung von Hilfsmitteln sind allerdings nicht
sämtliche Hilfsmittel der GKV gleichermaßen vom
Anwendungsbereich des § 13 Abs 3a SGB V erfasst bzw
ausgeklammert. Für eine systemgerechte Zuordnung des jeweils zu
beurteilenden Hilfsmittels bedarf es vielmehr einer Differenzierung
nach dessen Funktionalität und Zwecksetzung
(hierzu im Folgenden a), die im Wesentlichen auf die
Unterscheidung zwischen den Begriffen "Krankheit" und
"Behinderung" zurückzuführen ist (hierzu b). Nach dieser
Abgrenzung finden die Regelungen des § 13 Abs 3a SGB V allein
auf Hilfsmittel zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung
(§ 33 Abs 1 S 1 Var 1 SGB V) Anwendung, denn als Leistungen zur
medizinischen Rehabilitation sind alle anderen Hilfsmittel vom
Anwendungsbereich des § 13 Abs 3a SGB V ausgenommen
(hierzu c). Diese Unterscheidung wird durch das Richtlinienrecht des
Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) bestätigt (hierzu d) und
ist sachlich gerechtfertigt und daher nicht gleichheitswidrig (hierzu e).
Das im vorliegend zu entscheidenden Fall von dem Kläger begehrte
Therapiedreirad ist auf den Zweck des Behinderungsausgleichs und
nicht auf Krankenbehandlung gerichtet, sodass § 13 Abs 3a SGB V
keine Anwendung findet (hierzu f).
23
a) Hilfsmittel können nach § 33 Abs 1 S 1 SGB V drei
unterschiedlichen Zielrichtungen dienen: der "Sicherung des Erfolgs
der Krankenbehandlung" (Var 1), dem "Vorbeugen vor
Behinderung" (Var 2) oder dem "Behinderungsausgleich" (Var 3).
Der 3. Senat hat in seiner Rechtsprechung hierzu bereits ausgeführt,
dass es sich bei der Versorgung mit einem sächlichen Hilfsmittel
nicht um eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation iS von § 13
Abs 3a S 9 SGB V handelt, wenn der Einsatz des Hilfsmittels der
"Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung" dient
(vgl BSG Urteil vom 11.5.2017 - B 3 KR 30/15 R - Juris RdNr 35 ff,
auch für BSGE und SozR 4-2500 § 13 Nr 34 vorgesehen -
Kopforthese)
. Hieran hält der Senat fest. Hilfsmittel dienen dann der "Sicherung
des Erfolgs der Krankenbehandlung", wenn sie im Rahmen einer
Krankenbehandlung, dh zu einer medizinisch-therapeutischen
Behandlung einer Erkrankung als der Kernaufgabe der GKV nach
dem SGB V eingesetzt werden. Krankenbehandlung umfasst dabei
nach der Definition des § 27 Abs 1 S 1 SGB V die notwendigen
Maßnahmen, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre
Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu
lindern. Das umschreibt die kurative Therapie einer Krankheit, wozu
auch medizinische Untersuchungs- und Diagnostikverfahren
gehören. Insoweit unterliegt auch das Hilfsmittel selbst den
Vorschriften zur Qualitätssicherung vertragsärztlicher
Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, insbesondere dem
Erfordernis der positiven Empfehlung durch den GBA, soweit die
Verwendung des Hilfsmittels untrennbar mit einer neuen Methode
verbunden ist
(vgl nur BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 47 LS und RdNr 26 ff - CGMS-
Gerät).
24
Dem steht nicht entgegen, dass nach dem SGB IX Hilfsmittel zur
Sicherung des Erfolgs einer Heilbehandlung zu den Leistungen zur
medizinischen Rehabilitation gehören
(§ 26 Abs 2 Nr 6 SGB IX iVm § 31 Abs 1 Nr 2 SGB IX aF, bzw § 42
Abs 2 Nr 6 SGB IX iVm § 47 Abs 1 Nr 2 SGB IX idF des BTHG)
. Denn nach dem insoweit unterschiedlichen Wortlaut erfasst § 31
Abs 1 Nr 2 SGB IX aF(bzw § 47 Abs 1 Nr 2 SGB IX idF des BTHG)
gerade nicht die kurative Krankenbehandlung iS von § 27 Abs 1 S 1
SGB V, sondern die "Heilbehandlung", die als Leistung zur
medizinischen Rehabilitation zB im Rahmen einer stationären oder
ambulanten medizinischen Rehabilitation nach § 40 Abs 1 und 2
SGB V von der GKV erbracht wird. Solche
Rehabilitationsmaßnahmen werden durch Vorsorge- und
Rehabilitationseinrichtungen erbracht, in denen nach § 107 Abs 2 Nr
2 SGB V die Anwendung von Heilmitteln (§ 32 SGB V) im
Vordergrund des ärztlichen Behandlungsplans steht. Durch den
vorrangig auf den Teilhabeausgleich gerichteten Zweck der durch
eine Rehabilitationseinrichtung erbrachten medizinischen
Rehabilitationsmaßnahme wird auch das zur Sicherung dieser
Behandlung eingesetzte Hilfsmittel eine Leistung zur medizinischen
Rehabilitation.
25
Ein Hilfsmittel wird aber auch losgelöst von einem kurativen
Untersuchungs- oder Behandlungskonzept als Mittel der
medizinischen Rehabilitation eingesetzt, wenn es der Vorbeugung
vor oder dem Ausgleich von Behinderung dient. Es zielt in solchen
Fällen nicht primär auf das Erkennen, Heilen, Verhüten oder Lindern
von "Krankheit" iS von § 27 Abs 1 S 1 SGB V, sondern in erster Linie
darauf, eine "Behinderung" oder "Pflegebedürftigkeit" abzuwenden,
zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu
verhüten oder ihre "Folgen" zu mildern
(vgl § 11 Abs 2 SGB V; § 4 Abs 1 Nr 1, § 26 Abs 1 Nr 1 SGB IX aF).
Als Leistung zur medizinischen Rehabilitation ist das Hilfsmittel dann
unter Beachtung der Regelungen des SGB IX zu erbringen
(§ 11 Abs 2 S 3 SGB V). Maßgeblich ist demnach - vereinfacht
gesagt -, ob entweder mit dem Hilfsmittel positiv auf eine Krankheit
eingewirkt werden soll oder ob vielmehr eine Behinderung
ausgeglichen oder sonst günstig beeinflusst oder ihr Eintritt
verhindert werden soll. Diese Differenzierung basiert im
Wesentlichen auf der Unterscheidung zwischen Krankheit und
Behinderung
(vgl zB Noftz in Hauck/Noftz, aaO, K § 11 SGB V RdNr 50 f
Einzelkommentierung Oktober 2017>; Welti, Rehabilitation 2010,
537 ff; ders, Sozialrecht aktuell, Sonderheft 2013, 1 ff)
.
26
b) Der Begriff der Krankheit ist im SGB V nicht näher definiert. Nach
ständiger Rechtsprechung des BSG ist Krankheit ein regelwidriger
körperlicher oder geistiger Zustand, der behandlungsbedürftig ist
oder den Versicherten arbeitsunfähig macht
(so schon BSGE 26, 240, 242 = SozR Nr 23 zu § 182 RVO; BSGE
30, 151, 152 f = SozR Nr 37 zu § 182 RVO)
. Dies hat die höchstrichterliche Rechtsprechung im Laufe der Zeit
dahingehend präzisiert, dass nicht schon jeder körperlichen
Unregelmäßigkeit Krankheitswert zukommt. Erforderlich ist vielmehr
zusätzlich, dass der Versicherte dadurch in seinen Körperfunktionen
beeinträchtigt wird oder die Abweichung vom Regelzustand
entstellende Wirkung hat
(stRspr; vgl nur BSG <3. Senat> Urteil vom 11.5.2017 - B 3 KR 30/15
R - Juris RdNr 22, auch für BSGE und SozR 4-2500 § 13 Nr 34
vorgesehen - Kopforthese;
BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 28 RdNr 10; BSGE 100, 119 = SozR 4-
2500 § 27 Nr 14, RdNr 11; BSGE 93, 252 = SozR 4-2500 § 27 Nr 3,
RdNr 5 f; BSGE 93, 94 = SozR 4-2500 § 13 Nr 4, RdNr 16; vgl auch
Hauck, NJW 2016, 2695, 2696 f; zur Unterscheidung zwischen
Krankheit und Behinderung ferner bereits BSG SozR 4-2500 § 33 Nr
48 RdNr 19, 29 f).
27
Nach § 2 Abs 1 SGB IX aF
(idF bis 31.12.2017, Fundstelle s oben unter 1. vor a) sind
demgegenüber Menschen behindert, wenn ihre körperliche
Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher
Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das
Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe
am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von
Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist.
Seit 1.1.2018 erfasst § 2 Abs 1 S 1 SGB IX (idF des BTHG) als
Menschen mit Behinderungen solche, die körperliche, seelische,
geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in
Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an
der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher
Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine
Beeinträchtigung liegt vor, wenn der Körper- und
Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen
Zustand abweicht (§ 2 Abs 1 S 2 SGB IX idF des BTHG). Menschen
sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung zu
erwarten ist (§ 2 Abs 1 S 3 SGB IX idF des BTHG).
28
Erschwert wird eine Abgrenzung zwischen Krankheit und
Behinderung durch die Parallelen beider Begriffe, insbesondere die
Maßgeblichkeit einer (Funktions-)Abweichung vom Regelzustand
als dem für das Lebensalter typischen Zustand. Bei chronischen
Krankheiten besteht Parallelität auch bezüglich der Dauerhaftigkeit,
weshalb auch dieses Kriterium zur Abgrenzung ausscheidet. Als
maßgebliches Unterscheidungskriterium ist deshalb in erster Linie
die auf der (Funktions-)Abweichung beruhende
Teilhabebeeinträchtigung heranzuziehen, die sich aus der
Wechselwirkung des Gesundheitsproblems mit inneren und
äußeren Kontextfaktoren ergibt. Denn die Teilhabebeeinträchtigung
gehört ausschließlich zur Charakteristik der Behinderung, nicht der
Krankheit. Der 3. Senat des BSG hat bereits in seinem Urteil vom
30.9.2015 die besondere Bedeutung der Teilhabebeeinträchtigung
für den Begriff der Behinderung nach dem SGB IX mit Rücksicht auf
die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) und insbesondere
den sich aus Art 1 Abs 2 UN-BRK ergebenden Begriff der
Behinderung betont
Behinderung betont
(SozR 4-2500 § 33 Nr 48 RdNr 19 - Fingerendgliedprothese).
Danach zählen zu den "Menschen mit Behinderungen" Menschen,
die langfristige körperliche, seelische, geistige oder
Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit
verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und
gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können. An
diesem Begriff orientiert sich auch die Rechtsprechung des EuGH
(vgl Urteil vom 18.12.2014 - C-354/13 - RdNr 59 - Kaltoft - Kündigung
wegen Adipositas)
. Danach wird Behinderung nicht als ein fest definiertes Konzept
verstanden, sondern ist dynamisch und von den jeweiligen
Wechselbeziehungen mit umweltbezogenen und
personenbedingten Kontextfaktoren abhängig
(Präambel lit e und Art 1 Abs 2 UN-BRK). Der Behinderungsbegriff
entwickelt sich somit fortlaufend weiter und passt sich an die
jeweiligen gesellschaftlichen Entwicklungen an. Daher ist jeweils im
konkreten Einzelfall zu prüfen, ob eine Beeinträchtigung der vollen,
wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe vorliegt. Schließlich ist
zwar die Regelwidrigkeit und die Funktionsstörung nach
medizinischen Maßstäben zu beurteilen, die Beeinträchtigung der
Teilhabe kann jedoch auch nach soziologischen und
pädagogischen Maßstäben bestimmt werden
(vgl hierzu auch Papadopoulou, Anmerkung zu EuGH, aaO, Forum
B, Beitrag B9-2015 unter www.reha-recht.de, 10.7.2015; zum Begriff
der Behinderung vgl auch Löbner, Behindertenrecht 2015, 1 ff sowie
BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 45 RdNr 21, 28 - Perücke)
.
29
Leistungen zur Rehabilitation werden deshalb nach dem SGB IX
auch als Leistungen zur Teilhabe bezeichnet. Sie zielen auf die
Förderung der Selbstbestimmung und der gleichberechtigten
Teilhabe am Leben in der Gesellschaft (§ 1 SGB IX). Wegen der
fließenden Übergänge und Überschneidungsbereiche zwischen
Krankenbehandlung und Rehabilitation ist auf den Schwerpunkt und
die Zielrichtung der jeweiligen Maßnahme abzustellen.
30
c) Im Bereich der Hilfsmittel gehören vor diesem Hintergrund - neben
den Hilfsmitteln zur Sicherung einer Heilbehandlung iS von § 31 Abs
1 Nr 2 SGB IX aF
(bzw § 47 Abs 1 Nr 2 SGB IX idF des BTHG, vgl hierzu oben 2.a) -
sowohl Hilfsmittel zur Vorbeugung vor Behinderung iS von § 33 Abs
1 S 1 Var 2 SGB V als auch Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich
iS von § 33 Abs 1 S 1 Var 3 SGB V zu den Leistungen zur
medizinischen Rehabilitation und zwar unabhängig davon, ob sie
dem unmittelbaren oder dem mittelbaren Behinderungsausgleich
dienen.
31
Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich und zur Vorbeugung vor
Behinderung werden nicht mit dem vorrangigen Ziel eingesetzt, auf
die Krankheit, dh auf den regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand
als solchen, kurativ-therapeutisch einzuwirken. Sie sollen vielmehr in
erster Linie die mit diesem regelwidrigen Zustand bzw mit der
Funktionsbeeinträchtigung verbundene (oder im Falle der
Vorbeugung zu erwartende) Teilhabestörung ausgleichen, mildern,
abwenden oder in sonstiger Weise günstig beeinflussen, um die
Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der
Gesellschaft zu fördern und Benachteiligungen von Menschen mit
Behinderungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken
(vgl § 1 SGB IX). Bei der Beurteilung eines Anspruchs auf
Versorgung mit einem Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich und
zur Vorbeugung einer Behinderung ist daher dem Teilhabeaspekt
die nach dem SGB IX vorgesehene Bedeutung zuzumessen. Ein
Einsatz im Rahmen einer ambulanten oder stationären
Rehabilitationsmaßnahme in einer entsprechenden
Rehabilitationseinrichtung ist nicht erforderlich.
32
An dieser Stelle bedarf es im Übrigen keiner weiteren
Differenzierung zwischen dem unmittelbaren und dem mittelbaren
Behinderungsausgleich eines Hilfsmittels nach § 33 SGB V
(vgl dazu bereits näher BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 48 RdNr 18 -
Fingerendgliedprothese).
Denn auch beim unmittelbaren Behinderungsausgleich steht nicht
die Krankheitsbehandlung iS von § 27 Abs 1, § 28 Abs 1 S 1 SGB V
im Vordergrund (vgl dazu BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 35 RdNr 10),
sondern der Bezug zur Behinderung und seiner teilhabeorientierten
Begriffsbestimmung nach dem SGB IX.
33
Zwar ersetzt das Hilfsmittel beim unmittelbaren
Behinderungsausgleich die ausgefallene oder beeinträchtigte
Körperfunktion unmittelbar selbst, während es beim mittelbaren
Behinderungsausgleich nur die direkten und indirekten
Behinderungsfolgen ausgleicht
(stRspr; vgl nur zuletzt BSGE 116, 120 = SozR 4-2500 § 33 Nr 42,
RdNr 16; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 44 RdNr 19; BSG SozR 4-2500
§ 33 Nr 48 RdNr 18)
. Das Funktionsdefizit wird aber auch bei Hilfsmitteln zum
unmittelbaren Behinderungsausgleich (im Schwerpunkt) nicht kurativ
behandelt, sondern lediglich möglichst weitreichend kompensiert.
Denn es wird mit dem Hilfsmittel nicht in erster Linie auf den
regelwidrigen bzw funktional beeinträchtigten Körperzustand mit
dem Ziel der Heilung oder Besserung in einem kurativ-
therapeutischen Sinne eingewirkt. Vielmehr bleibt der vom Regelfall
abweichende Körper- oder Geisteszustand als solcher trotz
Einsatzes des Hilfsmittels im Wesentlichen unverändert. Das
Vorgehen beim Einsatz von Hilfsmitteln gleicht vielmehr
hauptsächlich die Funktionsbeeinträchtigung aus oder ersetzt die
beeinträchtigte Funktion, um dem Versicherten wieder eine
vollständige oder zumindest weniger beeinträchtigte Teilhabe in der
Gesellschaft zu ermöglichen. Es setzt mithin - selbst wenn es dem
unmittelbaren Behinderungsausgleich zuzurechnen ist - vorrangig
erst an den Folgen des medizinisch dann häufig schon
austherapierten regelwidrigen Körper- oder Geisteszustands an und
dient nicht (mehr) dessen Behandlung oder gar Wiederherstellung.
34
d) Diese systematische Abgrenzung und teilweise Zuordnung der
Hilfsmittel zum Bereich der medizinischen Rehabilitation wird
bestätigt durch die - auf § 92 Abs 1 S 2 Nr 5 SGB V beruhende -
Reha-RL des GBA vom 16.3.2004
(BAnz Nr 63 S 6769, in Kraft getreten am 1.4.2004, zuletzt geändert
durch Beschluss vom 16.3.2017, BAnz AT 8.6.2017 B1, in Kraft
getreten am 9.6.2017)
sowie die - durch § 92 Abs 1 S 2 Nr 6 SGB V ermächtigte - Richtlinie
des GBA über die Verordnung von Hilfsmitteln in der
vertragsärztlichen Versorgung
(HilfsM-RL vom 21.12.2011/15.3.2012, BAnz AT 10.4.2012 B2, in
Kraft getreten am 1.4.2012, zuletzt geändert durch Beschluss des
GBA vom 24.11.2016, BAnz AT 16.2.2017 B3, in Kraft getreten am
17.2.2017)
.
35
Die Reha-RL bezieht sich nur auf Leistungen zur medizinischen
Rehabilitation nach § 11 Abs 2 SGB V iVm §§ 40, 41 SGB V, die in
oder durch Einrichtungen erbracht werden, mit denen ein
Versorgungsvertrag besteht (vgl § 2 Abs 2 und 3 Reha-RL) und
nimmt andere Leistungen zur medizinischen Rehabilitation - zB
solche, die in den Zuständigkeitsbereich anderer
Rehabilitationsträger fallen, oder die Früh- und
Anschlussrehabilitation - ausdrücklich von ihrem Geltungsbereich
aus (vgl § 3 Reha-RL). Es handelt sich daher insoweit um die
Bestimmung des Geltungsbereichs der Richtlinie, nicht um eine
Begriffsbestimmung für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation.
Soweit nach § 4 Abs 3 Reha-RL "einzelne Leistungen der kurativen
Versorgung (z.B. Heil- oder Hilfsmittel) oder deren Kombination … für
sich allein noch keine Leistung zur medizinischen Rehabilitation im
Sinne dieser Richtlinie" darstellen, entspricht die darin enthaltene
Unterscheidung zwischen Leistungen der kurativen Versorgung und
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation der hier
vorgenommenen Abgrenzung.
36
Auch bei Erlass der HilfsM-RL ging der GBA ersichtlich davon aus,
dass es sich bei der Verordnung eines Hilfsmittels in der
vertragsärztlichen Versorgung durchaus auch um eine Leistung zur
medizinischen Rehabilitation handeln kann. Nach § 3 Abs 1 S 2
HilfsM-RL sind bei der Verordnung von Hilfsmitteln die in § 26 Abs 1
SGB IX aF genannten Rehabilitationsziele zu beachten, soweit eine
Zuständigkeit der GKV besteht. § 10 Abs 2 HilfsM-RL normiert
ausdrücklich eine Beratungspflicht der Vertragsärzte und
Krankenkassen über Leistungen zur Teilhabe und die Möglichkeit
einer trägerübergreifenden Beratung, wenn Hilfsmittel als Leistung
zur medizinischen Rehabilitation verordnet werden sollen.
Schließlich ergibt sich die Notwendigkeit für die Verordnung von
Hilfsmitteln (konkrete Indikation) nach § 6 Abs 3 HilfsM-RL nicht
allein aus der Diagnose. Vielmehr sind unter Gesamtbetrachtung der
funktionellen/strukturellen Schädigungen, der Beeinträchtigungen
der Aktivitäten (Fähigkeitsstörungen), der noch verbliebenen
Aktivitäten und einer störungsbildabhängigen Diagnostik der Bedarf,
die Fähigkeit zur Nutzung, die Prognose und das Ziel einer
Hilfsmittelversorgung auf der Grundlage realistischer, für die
Versicherten alltagsrelevanter Anforderungen zu ermitteln. Dabei
sind die individuellen Kontextfaktoren in Bezug auf Person und
Umwelt als Voraussetzung für das angestrebte Behandlungsziel
(§ 3 Abs 1 HilfsM-RL iVm § 26 SGB IX aF) zu berücksichtigen.
37
e) Die damit nach alledem erfolgende Zuordnung von Hilfsmitteln,
die der Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung dienen, zum
Fristen- und Rechtsfolgenregime des § 13 Abs 3a SGB V unter
Ausschluss aller übrigen Hilfsmittel von dessen Anwendungsbereich
ist nicht gleichheitswidrig, sondern im Hinblick auf die
unterschiedliche Ausgestaltung des Regelungssystems der §§ 14,
15 SGB IX aF (bzw §§ 14 bis 24 SGB IX idF des BTHG) sachlich
gerechtfertigt. Ein Verstoß gegen den allgemeinen
Gleichheitsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG scheidet daher aus.
38
Die im Vergleich zu § 13 Abs 3a SGB V grundsätzlich längeren
Fristen nach §§ 14, 15 SGB IX aF
(bzw der §§ 14 bis 24 SGB IX idF des BTHG) halten sich in einem
Rahmen, der der Koordinierung der Teilhabeleistungen als
Komplexleistungen zwischen mehreren Rehabilitationsträgern
Rechnung trägt - auch soweit es (lediglich) um die Versorgung mit
Hilfsmitteln zum Behinderungsausgleich oder zur Vorbeugung vor
Behinderung geht. Allein die Vielzahl der Akteure des gegliederten
Systems und die Komplexität der Aufgabe macht auch die
Versorgung mit Hilfsmitteln außerhalb von Einrichtungen zu einer
Komplexmaßnahme, für welche ausschließlich die Anwendung des
Regelungs- und Fristenregimes nach §§ 14, 15 SGB IX aF
(bzw nach §§ 14 bis 24 SGB IX idF des BTHG) angemessen ist
(vgl zum Ganzen auch Schütze, SGb 2013, 147 ff; Welti,
Rehabilitation 2010, 537 ff; ders, Sozialrecht aktuell, Sonderheft
2013, 1 ff)
. Hilfsmittel können Bestandteil der Krankenbehandlung sein
. Hilfsmittel können Bestandteil der Krankenbehandlung sein
(vgl § 33 SGB V; § 31 SGB VII; § 48 SGB XII; § 13 BVG), aber
ebenso der Pflege
(vgl § 44 SGB VII; § 61 SGB XII; § 26c BVG; § 40 SGB XI), der
medizinischen Rehabilitation
(vgl § 31 SGB IX aF; § 33 SGB V; § 15 SGB VI; § 54 SGB XII; § 35a
SGB VIII; § 13 BVG)
, der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben
(vgl § 33 SGB IX
der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20.12.2011, BGBl
I 2854, mWv 1.4.2012, im Folgenden aF>; § 16 SGB VI; § 35 SGB
VII; § 112 SGB III; § 16 SGB II; § 54 SGB XII; § 35a SGB VIII; § 26
BVG)
und der Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft
(vgl § 55 SGB IX aF; § 39 SGB VII; § 54 SGB XII; § 35a SGB VIII; §
27d BVG)
. Hierfür kommen allgemein Leistungsträger aus acht
unterschiedlichen Sozialleistungsbereichen in Betracht
(vgl auch § 6 SGB IX). Dem soll durch die Anwendung der
Vorschriften des SGB IX
(hier §§ 14, 15 SGB IX aF bzw §§ 14 bis 24 SGB IX idF des BTHG)
zur möglichst umfassenden Feststellung verschiedener, individueller
Teilhabebedarfe und zügigen Zuständigkeitsklärung durch die
Träger ohne Nachteile für die Leistungsberechtigten Rechnung
getragen werden. Überdies ist die seit 1.1.2018 geltende Vorschrift
des § 18 SGB IX idF des BTHG, die § 15 SGB IX aF abgelöst hat, im
Hinblick auf die Selbstbeschaffung von Teilhabeleistungen
zugunsten der Leistungsberechtigten gesetzlich weiterentwickelt
worden
(vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung zum BTHG, BT-Drucks
18/9522 S 238 zu § 18)
. Die in § 18 Abs 1 und 3 SGB IX idF des BTHG vorgesehene Zwei-
Monatsfrist, die abgelaufen sein muss, bevor im Teilhaberecht eine
gesetzliche Genehmigungsfiktion und bei Selbstbeschaffung der
Leistung ein Kostenerstattungsanspruch eingreifen können, trägt -
im Vergleich zur weit kürzeren Drei-Wochenfrist nach § 13 Abs 3a
SGB V - dem Umstand Rechnung, dass Teilhabeleistungen nach
dem SGB IX zwar in der Regel umfangreicher und langfristiger
Planungen verschiedener Träger bedürfen
(vgl §§ 19 ff SGB IX idF des BTHG), typischerweise aber weniger
(vgl §§ 19 ff SGB IX idF des BTHG), typischerweise aber weniger
eilbedürftig sind, als Maßnahmen der kurativen (Akut-) Behandlung
nach dem SGB V.
39
f) Ein Anspruch des Klägers kann vor dem aufgezeigten Hintergrund
nicht auf § 13 Abs 3a SGB V gestützt werden. Das von ihm begehrte
Therapiedreirad dient keiner (kurativen) Krankenbehandlung, es
kann allein dem Behinderungsausgleich dienen und hat daher
medizinisch-rehabilitativen Charakter.
40
3. Der Senat kann zwar nach den bindenden Feststellungen des
LSG einen Anspruch nach § 33 Abs 1 S 1 Var 1 SGB V
ausschließen (hierzu im Folgenden a); er kann mangels
hinreichender Feststellungen des LSG allerdings nicht abschließend
entscheiden, ob sich der geltend gemachte Versorgungsanspruch
des Klägers aus § 33 Abs 1 S 1 Var 3 SGB V
(hierzu im Folgenden b)oder - was ebenso in Betracht kommt -
mangels Weiterleitung des Antrags seitens der Beklagten als
erstangegangener Rehabilitationsträger aus § 14 Abs 2 S 1 SGB IX
aF iVm einem Sachleistungsanspruch aus dem Bereich eines
anderen Rehabilitationsträgers (hierzu im Folgenden c) ergibt. Dies
führt zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung
und Entscheidung an das LSG.
41
a) Die Versorgung mit einem Therapiedreirad als originäre Leistung
der GKV kommt nach § 33 Abs 1 S 1 SGB V
(in der ab 1.4.2007 geltenden Fassung von Art 1 Nr 17 Buchst a des
GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes vom 26.3.2007, BGBI I 378)
in Betracht. Danach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit
Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen
Hilfsmitteln, wenn sie erstens nicht als allgemeine
Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens oder nach § 34 Abs
4 SGB V aus der GKV-Versorgung ausgeschlossen und zweitens im
Einzelfall erforderlich sind, um die - hier ausgeschlossene -
Krankenbehandlung zu sichern (Var 1, aa), einer drohenden
Behinderung vorzubeugen (Var 2) oder eine Behinderung
auszugleichen (Var 3, vgl dazu unten bb).
42
aa) Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen
Feststellungen und daher für den Senat bindenden Feststellungen
des LSG (§ 163 SGG) hat das LSG den Anspruch des Klägers auf
Versorgung mit dem Therapiedreirad "Easy Rider 2" aus dem Grund
"zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung" iS von § 33
Abs 1 S 1 Var 1 SGB V zu Recht abgelehnt. Der sachliche
Anwendungsbereich der Genehmigungsfiktion von § 13 Abs 3a
SGB V ist entgegen der Ansicht des LSG daher mit Blick auf dessen
S 9 nicht eröffnet worden, ungeachtet der Frage, ob aus dieser Norm
nur ein bloßer Kostenerstattungsanspruch wegen selbst beschaffter
Leistungen folgt (vgl ausführlich unter 1.), der hier auch nicht im
Streit steht. Der Kläger hat sich das Hilfsmittel bislang nicht selbst
beschafft.
43
bb) Bewegliche sächliche Mittel zur Förderung oder Ermöglichung
der Mobilisation können nur in besonders gelagerten Fällen
Hilfsmittel "zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung" iS
von § 33 Abs 1 S 1 SGB V sein
(stRspr; vgl nur BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 32 RdNr 21 ff -
Therapiedreirad II)
. Der Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung dient ein
bewegliches sächliches Mittel nach der Rechtsprechung des BSG
dann, wenn es spezifisch im Rahmen ärztlich verantworteter
Krankenbehandlung eingesetzt wird, um zu ihrem Erfolg beizutragen
(vgl BSGE 98, 213 = SozR 4-2500 § 33 Nr 15, RdNr 11; BSGE 93,
176 = SozR 4-2500 § 33 Nr 7, RdNr 11)
. Jedoch ist nicht jedwede gesundheitsfördernde Betätigung als
"spezifischer Einsatz im Rahmen der ärztlich verordneten
Krankenbehandlung" anzusehen. Einen fehlenden engen Bezug zu
einer konkreten Krankenbehandlung weisen gesundheitsförderliche
Maßnahmen auf, die (nur) allgemein auf die Verbesserung der
körperlichen Leistungsfähigkeit, die Mobilisierung von
Restfunktionen des behinderten Menschen, die Erhöhung der
Ausdauer und Belastungsfähigkeit sowie die Hilfe bei der
Krankheitsbewältigung zielen. Andernfalls bedürfte es nicht der
besonderen Leistungstatbestände ua der §§ 20 ff SGB V sowie des
§ 44 Abs 1 Nr 3 und 4 SGB IX aF
(bzw § 64 Abs 1 Nr 3 und Nr 4 SGB IX idF des BTHG), mit denen die
Leistungspflicht der GKV unter den jeweils dort genannten
Voraussetzungen über die gezielte Krankheitsbekämpfung als
Kernaufgabe hinaus
Kernaufgabe hinaus
(BSGE 81, 240, 243 = SozR 3-2500 § 27 Nr 9 S 29 - Diät- oder
Krankenkost)
auf Aufgaben im Rahmen der gesundheitlichen Prävention und
Rehabilitation ausgedehnt worden ist. Ein weitergehender
spezifischer Bezug zur ärztlich verantworteten Krankenbehandlung
kommt daher nur solchen Maßnahmen zur körperlichen Mobilisation
zu, die in engem Zusammenhang mit einer andauernden, auf einen
ärztlichen Therapieplan beruhenden Behandlung durch ärztliche
und ärztlich angeleitete Leistungserbringer stehen und für die
gezielte Versorgung im Sinne der Behandlungsziele des § 27 Abs 1
S 1 SGB V als erforderlich anzusehen sind. Davon ist auszugehen,
wenn der Versicherte aufgrund der Schwere seiner körperlichen
Beeinträchtigung dauerhaft Anspruch auf Maßnahmen der
physikalischen Therapie hat, die durch das beanspruchte Hilfsmittel
unterstützte eigene körperliche Betätigung entweder wesentlich
fördert oder die therapeutische Behandlungsfrequenz infolge der
eigenen Betätigung geringer ausfallen kann und sich deshalb die
Versorgung mit dem Hilfsmittel im Rahmen der Wahlmöglichkeit des
Versicherten (vgl § 33 SGB I und § 8 Abs 1 SGB IX) als wirtschaftlich
darstellt
(vgl BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 35 RdNr 11 - Sportrollstuhl für
Minderjährige)
.
44
cc) Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und daher für
den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) hat die
Versorgung des Klägers mit einem Therapiedreirad hier keinen
solch engen Bezug zur Krankenbehandlung. Das LSG hat unter
Würdigung der medizinischen Berichte festgestellt, dass dem Kläger
das Hilfsmittel zu Trainingszwecken verordnet wurde, um die
Ausdauer und koordinativen Fähigkeiten des Klägers zu
verbessern. Daraus hat das LSG in revisionsrechtlich nicht zu
beanstandender Weise geschlossen, dass das Hilfsmittel insoweit
gesundheitsförderlichen Zwecken dient, die nur allgemein auf die
Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit, die Mobilisierung
der Restfunktion des Klägers, die Erhöhung seiner Ausdauer und
Belastungsfähigkeit sowie der Hilfe bei der Krankenbewältigung
dient, ohne aber den Einsatz von Heilmitteln bzw die Ergotherapie
zu reduzieren oder die Koordination im Wesentlichen verbessern.
45
b) Allerdings haben die Vorinstanzen nicht hinreichend geprüft, ob
das Therapiedreirad zum Behinderungsausgleich in dem von der
GKV abzudeckenden Bereich der medizinischen Rehabilitation
erforderlich ist (§ 33 Abs 1 S 1 Var 3 SGB V).
46
aa) Im Bereich des von der GKV zu erfüllenden
Behinderungsausgleiches bemisst sich die originäre
Leistungszuständigkeit der GKV nach dem Zweck des Hilfsmittels,
wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen
Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines
Grundbedürfnis des Gehens und Stehens, der Erschließung des
Nahbereichs und einem möglichst selbstbestimmten Leben und
selbstständigen Leben befriedigt
(vgl allgemein zu den Grundbedürfnissen stRspr; zB BSG SozR 4-
2500 § 33 Nr 30 RdNr 12 - Lichtsignalanlage; BSGE 116, 120 =
SozR 4-2500 § 33 Nr 42, RdNr 18 - Rauchwarnmelder; BSG SozR
4-2500 § 33 Nr 48 RdNr 18 - Fingerendgliedprothese, jeweils mwN)
. Für den Versorgungsumfang, insbesondere die Qualität, Quantität
und Diversität der Hilfsmittelausstattung kommt es aber sowohl beim
unmittelbaren als auch beim mittelbaren Behinderungsausgleich
allein auf den Umfang der mit dem begehrten Hilfsmittel zu
erreichenden Gebrauchsvorteile an
(vgl zB BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 44 S 248 ff - C-Leg). Ohne
Wertungsunterschiede besteht in beiden Bereichen Anspruch auf
die im Einzelfall ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche
Hilfsmittelversorgung, nicht jedoch auf eine Optimalversorgung.
Deshalb besteht kein Anspruch auf ein teureres Hilfsmittel, soweit
die kostengünstigere Versorgung für den angestrebten
Nachteilsausgleich funktionell in gleicher Weise geeignet ist.
Demgemäß haben die Krankenkassen nicht für solche
"Innovationen" aufzukommen, die keine wesentlichen
Gebrauchsvorteile für den Versicherten bewirken, sondern sich auf
einen bloß besseren Komfort im Gebrauch oder eine bessere Optik
beschränken
(stRspr; vgl zum Ganzen BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 26; BSG SozR
3-2500 § 33 Nr 44 - C-Leg; BSGE 116, 120 = SozR 4-2500 § 33 Nr
42, RdNr 16 ff - Rauchwarnmelder; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 44
RdNr 19 ff - Autoschwenksitz; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 48 RdNr
RdNr 19 ff - Autoschwenksitz; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 48 RdNr
18 - Fingerendgliedprothese, jeweils mwN)
. Speziellen Wünschen im Hinblick auf Komfort oder Ästhetik ist nur
nachzukommen, wenn der Versicherte die Mehrkosten trägt
(§ 33 Abs 1 S 6 SGB V
Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung, Heil- und
Hilfsmittelversorgungsgesetz - HHVG, vom 4.4.2017, BGBl I 778,
mWv 11.4.2017> iVm § 47 Abs 3 SGB IX idF des BTHG)
.
47
bb) Als ein solches allgemeines Grundbedürfnis des täglichen
Lebens ist in Bezug auf Bewegungsmöglichkeiten die Erschließung
des Nahbereichs der Wohnung von Versicherten anerkannt, nicht
aber das darüber hinausreichende Interesse an Fortbewegung oder
an der Erweiterung des Aktionsraums. Maßgebend für den von der
GKV insoweit zu gewährleistenden Behinderungsausgleich ist der
Bewegungsradius, den ein nicht behinderter Mensch üblicherweise
noch zu Fuß erreicht
(stRspr; vgl BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 29, 31 und 32 sowie BSG
SozR 3-1200 § 33 Nr 1; zuletzt BSG Urteil vom 30.11.2017 - B 3 KR
3/16 R - RdNr 19 ff, zur Veröffentlichung in SozR 4-2500 § 139 Nr 9
vorgesehen)
. Ausnahmen hiervon sind in Einzelfällen beim Vorliegen eines
zusätzlichen qualitativen Moments, etwa für Mobilitätshilfen zum
mittelbaren Behinderungsausgleich bei Kindern und Jugendlichen
angenommen worden, wenn diese zum Schulbesuch oder zur
Integration in der kindlichen und jugendlichen Entwicklungsphase
erforderlich waren
(vgl BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 35 RdNr 16 mwN - Sportrollstuhl für
Minderjährige)
.
48
cc) Vorliegend fehlen bereits hinreichende Feststellungen des LSG,
auf welche Art und Weise der Kläger überhaupt in der Lage ist, sich
den Nahbereich seiner Wohnung zu erschließen, und zwar unter
Berücksichtigung der gesamten gravierenden
Funktionseinschränkungen des Klägers, insbesondere der
Gleichgewichts-, Orientierungs-, Motorik- und
Gangunsicherheitsstörungen. Anhaltspunkte dafür, dass eine nur
unzureichende Versorgung des Klägers bestanden haben könnte,
ergeben sich deshalb, weil selbst die Beklagte die Versorgung mit
einem Rollstuhl anstelle eines Rollators erwogen hat, ohne dass
diese Bedenken im Hinblick auf das zu befriedigende
Grundbedürfnis der Bewegungsmöglichkeiten im Nahbereich
ausweislich der Aktenlage näher geprüft worden sind. Die
Versorgung mit dem Therapiedreirad - dessen konkretes Modell im
Hilfsmittelverzeichnis sogar gelistet ist - ist bei Erwachsenen kein
allgemeiner Gerbauchsgegenstand des täglichen Lebens
(vgl BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 31 RdNr 25 mwN - Therapiedreirad).
Es ist auch nicht nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen. Es
könnte daher als Leistung der medizinischen Rehabilitation in
Betracht kommen, wenn das Therapiedreirad wesentlich dazu
beitragen oder zumindest maßgebliche Erleichterung bringen würde,
dem Betroffenen den Nahbereich zu erschließen. Dies käme hier
infrage, wenn die Zuhilfenahme des Rollators bei der Zurücklegung
von gesundheitserhaltenden Wegen, Versorgungswegen und
elementaren Freizeitwegen nicht mehr allein ausreichend wäre
(vgl auch LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 17.10.2012 - L 9 KR
392/10 - Juris RdNr 31 ff).
Dass der Kläger auf ständige Begleitung (Merkzeichen B)
angewiesen ist, steht dem nicht entgegen, da eine Begleitung auch
für jede andere Bewegungsmöglichkeit zur Erschließung des
Nahbereichs mit einem Hilfsmittel erforderlich ist. Hierbei ist
insbesondere das Wunsch- und Wahlrecht des behinderten
Menschen (§ 8 Abs 1 S 1, S 2 SGB IX iVm § 33 S 2 SGB I) zu
beachten. Die Beklagte darf den Kläger jedenfalls nicht bloß
beachten. Die Beklagte darf den Kläger jedenfalls nicht bloß
pauschal auf einen Rollstuhl verweisen, um das Grundbedürfnis der
(erleichterten) Erschließung des Nahbereichs zu befriedigen. Sie hat
vielmehr individuell zu prüfen, wie die Behinderung des Klägers
seinem Wunsch entsprechend und in einer dem Teilhaberecht des
SGB IX angemessenen Weise ausgeglichen wird.
49
dd) Bei der Art und Weise, wie die Beklagte den Kläger nach einer
solchen Prüfung ggf mit einem Therapiedreirad versorgt, hat sie den
berechtigten Wünschen des Klägers zu entsprechen
(§ 8 SGB IX; vgl schon BSG SozR 3-1200 § 33 Nr 1 S 4 zum
Wahlrecht zwischen Elektrorollstuhl und Shoprider)
. Dabei stünde es der Beklagten zwar ggf frei, den Kläger mit einem
gebrauchten Therapiedreirad zu versorgen, wobei die Überlassung
auch leihweise erfolgen kann (§ 33 Abs 5 S 1 SGB V). Soweit der
Versicherte allerdings ein Hilfsmittel wählt, das über das Maß des
Notwendigen hinausgeht, hat er die Mehrkosten im Vergleich zu
dem kostengünstigeren, funktionell ebenfalls geeigneten Hilfsmittel
selbst zu tragen (vgl § 33 Abs 1 S 5 SGB V). Falls das Hilfsmittel
neben der Zweckbestimmung von § 33 Abs 1 S 1 SGB V einen
Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens ersetzt, wie hier ein
Gerät, das auch zu Trainingszwecken eingesetzt werden kann,
haben die Versicherten einen Eigenanteil für ersparte
Aufwendungen in Höhe des wirtschaftlichen Werts des ersetzten
Gebrauchsgegenstands selbst zu tragen
(vgl BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 32 RdNr 28-29 - Therapiedreirad II;
BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 25 S 146 - Tandem-Therapiefahrrad)
.
50
c) Der Senat kann aber auch nicht abschließend entscheiden, ob
die beklagte Krankenkasse als zuerst angegangener
Rehabilitationsträger zur Gewährung des begehrten
Therapiedreirads nach dem Eingliederungshilferecht
(§§ 53 ff SGB XII) als Leistung zur Teilhabe am Leben in der
Gemeinschaft verpflichtet ist. Eine Sachleistung ist dem Wunsch des
Leistungsberechtigten entsprechend auch nach dem Recht der
Sozialhilfe (§ 10 Abs 3 SGB XII) möglich. Die mangels Weiterleitung
des Rehabilitationsantrags nach § 14 Abs 2 S 1 SGB IX aF
begründete Zuständigkeit der Beklagten als zuerst angegangener
Leistungsträger erstreckt sich im Außenverhältnis zum Versicherten
auf alle Rechtsgrundlagen, die überhaupt in dieser Bedarfssituation
rehabilitationsrechtlich vorgesehen sind
(vgl BSGE 93, 283 = SozR 4-3250 § 14 Nr 1, RdNr 15 ff; BSGE 98,
267 = SozR 4-3250 § 14 Nr 4, RdNr 14; BSGE 102, 90 = SozR 4-
2500 § 33 Nr 21, RdNr 23)
.
51
aa) Das LSG hat in seinem Urteil (dort S 12) die Ausführungen des
behandelnden Neurologen vom 9.7.2015 unter diesen
rehabilitationsrechtlichen Aspekten nicht hinreichend geprüft. Der
Arzt hat - entsprechend den bindenden Feststellungen des Gerichts
- ausgeführt, dass der Kläger im täglichen Leben so eingeschränkt
sei, dass die Nutzung eines Dreirads die Lebensqualität verbessern
helfe, dass er damit wieder am täglichen Leben teilnehmen und ua
auch mit seiner Ehefrau Ausflüge unternehmen könne, was ihm
bislang nicht möglich sei. Das Therapiedreirad diene der Teilhabe
am Leben und der allgemeinen körperlichen Ertüchtigung.
52
bb) Die Abgrenzung zwischen Hilfsmitteln im Sinne der
medizinischen Rehabilitation und der sozialen Rehabilitation richtet
sich entscheidend nach den Zwecken und Zielen, denen das
Hilfsmittel dienen soll. Die Zwecke können sich überschneiden, sie
können aber auch unterschiedlicher Art sein, denn die
Zwecksetzung der Leistungen zur Teilhabe am Leben in der
Gemeinschaft mit der Zwecksetzung der Leistungen der GKV ist
nicht identisch
(vgl BSGE 103, 171 = SozR 4-3500 § 54 Nr 5, RdNr 17; BSG SozR
4-3500 § 54 Nr 6 RdNr 21)
. Die grundsätzliche Zuordnung eines Hilfsmittels zur medizinischen
Rehabilitation im Sinne der GKV bedeutet daher auch nicht, dass es
unter einer anderen Zielsetzung für eine mögliche
Leistungserbringung nicht infrage kommt.
53
Leistungen zur Eingliederung in die Gesellschaft nach § 53 Abs 4, §
54 Abs 1 SGB XII iVm § 55 Abs 1 und 2 Nr 7 SGB IX aF bzw § 76
Abs 1 und 2 Nr 7 und Nr 8 SGB IX haben die Aufgabe, dem
behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der
Gemeinschaft bzw an der sozialen Teilhabe zu ermöglichen. Solche
Hilfsmittel bezwecken die gesamte Alltagsbewältigung; sie
ermöglichen dem behinderten Menschen den Kontakt mit seiner
Umwelt, nicht nur mit Familie und Nachbarschaft, sowie die
Teilnahme am öffentlichen und kulturellen Leben
(vgl BSGE 103, 171 = SozR 4-3500 § 54 Nr 5, RdNr 17
zu § 55 Abs 2 Nr 1 und Nr 7 und § 58 SGB IX aF).
54
cc) Dabei muss das LSG mit Blick auf zwischenzeitlich eingetretene
Rechtsänderungen Folgendes beachten: Zwar gelten die §§ 14 bis
24 SGB IX idF des BTHG lediglich für solche Anträge, die seit dem
Inkrafttreten dieser Regelungen am 1.1.2018 gestellt wurden
(vgl ua BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 9). Allerdings
ist für die materiell-rechtliche Beurteilung der von dem Kläger
erhobenen auf Anfechtung der Leistungsablehnung in Verbindung
mit einem konkreten Leistungsbegehren gerichteten Klage auch
nach einer Zurückverweisung die Sach- und Rechtslage im
Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz
maßgebend
(vgl stRspr; zB BSGE 99, 9 = SozR 4-3250 § 69 Nr 6, RdNr 13 mit
umfassenden Nachweisen; Keller in Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 54 RdNr
34)
. Für den Versorgungsanspruch nach § 33 SGB V ist daher
nunmehr im Falle einer neuen berufungsgerichtlichen Entscheidung
mit zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber inzwischen mit dem
BTHG vom 23.12.2016 den Behinderungsbegriff in § 2 SGB IX
ausdrücklich entsprechend dem Verständnis der UN-BRK neu
gefasst und dabei dem Wechselwirkungsansatz noch mehr Gewicht
beigemessen hat als nach dem bis dahin geltenden Recht. Danach
kommt es nicht allein auf die wirklichen oder vermeintlichen
gesundheitlichen Defizite an. Im Vordergrund stehen vielmehr das
gesundheitlichen Defizite an. Im Vordergrund stehen vielmehr das
Ziel der Teilhabe (Partizipation) an den verschiedenen
Lebensbereichen
(zur alten Rechtslage vgl bereits Gesetzentwurf der Fraktionen der
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum SGB IX, BT-Drucks
14/5074 S 94 unter II.1.; zum BTHG vgl Gesetzentwurf der
Bundesregierung, BT-Drucks 18/9522 S 192 unter II.1 S 227 zu § 2)
sowie die Stärkung der Möglichkeiten einer individuellen und den
persönlichen Wünschen entsprechenden Lebensplanung und -
gestaltung unter Berücksichtigung des Sozialraumes
(Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks 18/9522 S 3 unter
A., S 191 unter 1.5)
und der individuellen Bedarfe zu wohnen
(Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks 18/9522 S 4
drittletzter Absatz)
.
55
dd) Kommt das LSG nach der Wiedereröffnung des
Berufungsverfahrens zu dem Ergebnis, dass das streitige
Therapiedreirad für die soziale Teilhabe des Klägers erforderlich ist,
wird es weiter zu prüfen haben, ob die Einkommens- und
Vermögensverhältnisse (§ 19 Abs 3 SGB XII iVm §§ 82 ff SGB XII)
der Leistungsgewährung entgegenstehen. Nach § 19 Abs 3 S 1
SGB XII wird Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (nur)
geleistet, soweit dem Leistungsberechtigten die Aufbringung der
Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften
des 11. Kapitels des SGB XII nicht zuzumuten ist. Dabei ist auf die
Rechtslage zum Zeitpunkt der Entstehung der Kosten abzustellen
(vgl BSG Urteil vom 23.8.2013 - B 8 SO 24/11 R - Juris RdNr 20).
56
ee) Obgleich die Beklagte damit im Verhältnis zum Kläger im
Außenverhältnis allein zuständig und umfassend leistungspflichtiger
Rehabilitationsträger geworden ist, kann die Entscheidung des
vorliegenden Rechtsstreits auch in die Rechtssphäre des Trägers
der Sozialhilfe eingreifen, falls dieser nach den og
Rechtsvorschriften - und ohne die Zuständigkeitskonzentration
gemäß § 14 SGB IX aF - originär leistungspflichtig geworden wäre.
In solchen Fällen bleibt der ursprünglich leistungspflichtige
Rehabilitationsträger dem erstangegangenen Rehabilitationsträger
nach Maßgabe des § 14 Abs 4 SGB IX aF bzw § 16 Abs 1 SGB IX
erstattungspflichtig und ist damit nach § 75 Abs 2 Alt 1 SGG zum
Rechtsstreit gegen den erstangegangenen Rehabilitationsträger
notwendig beizuladen
(vgl nur BSGE 93, 283 = SozR 4-3250 § 14 Nr 1, RdNr 16;
BSGE 117, 192 = SozR 4-1500 § 163 Nr 7, RdNr 29 mwN zur alten
Rechtslage nach § 14 Abs 4 SGB IX idF bis 31.12.2017)
.
57
4. Das LSG wird im wiedereröffneten Berufungsverfahren auch über
die Kosten des Revisionsverfahrens mit zu entscheiden haben.