Urteil des BSG vom 23.01.2018

Landwirtschaftliche Unfallversicherung - Beitrags- und Versicherungspflicht - forstwirtschaftlicher Unternehmer - forstwirtschaftliche Betätigung - Bewirtschaftung - Verbot - widerlegbare Vermutung - Naturschutzgebiet - Waldgrundstück - sozialgerichtliche

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 23.1.2018, B 2 U 7/16 R
ECLI:DE:BSG:2018:230118UB2U716R0
Landwirtschaftliche Unfallversicherung - Beitrags- und
Versicherungspflicht - forstwirtschaftlicher Unternehmer -
forstwirtschaftliche Betätigung - Bewirtschaftung - Verbot -
widerlegbare Vermutung - Naturschutzgebiet -
Waldgrundstück - sozialgerichtliches Verfahren - Auslegung
von Landesrecht durch LSG - Bindung des BSG
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Schleswig-
Holsteinischen Landessozialgerichts vom 8. Juli 2015 wird
zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten über die Versicherungspflicht des Klägers als
forstwirtschaftlicher Unternehmer in der landwirtschaftlichen
Berufsgenossenschaft und die Zahlung von Beiträgen für die Jahre
2008 und 2009.
2
Der Kläger ist Eigentümer einer 0,1285 ha großen, mit Bäumen
bestandenen Fläche, die in dem Naturschutzgebiet "Liether
Kalkgrube" in Schleswig-Holstein liegt. Die Rechtsvorgängerin der
Beklagten stellte ihre Zuständigkeit als landwirtschaftliche
Berufsgenossenschaft für das Unternehmen des Klägers fest,
veranlagte das Unternehmen und forderte Beiträge für das Jahr 2008
iHv 57,76 Euro und für das Jahr 2009 iHv 57,44 Euro
(Bescheid vom 1.7.2010). Den Widerspruch des Klägers wies die
Beklagte zurück, weil der Kläger als Unternehmer eines
forstwirtschaftlichen Unternehmens der landwirtschaftlichen
Berufsgenossenschaft angehöre
(Widerspruchsbescheid vom 13.9.2010).
3
Das SG hat den Bescheid der Beklagten vom 1.7.2010 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 13.9.2010 aufgehoben, weil der
Kläger kein forstwirtschaftlicher Unternehmer sei. Die Nutzung der
Fläche zu anderen Zwecken als der periodischen Gewinnung von
Forsterzeugnissen sei nachgewiesen. Aufgrund der
Landesverordnung über das Naturschutzgebiet "Liether Kalkgrube"
vom 18.10.1991
(GVOBl Schl-H 1992, S 2; in Zukunft: LandesVO L.K.) seien die
Nutzungsmöglichkeiten des Waldes für den Kläger in einem so
erheblichen Ausmaß eingeschränkt, dass objektiv keine
Bewirtschaftungsmöglichkeit bestehe, die die Vermutung einer
forstwirtschaftlichen Tätigkeit rechtfertigen könne
(Urteil vom 27.6.2012). Das LSG hat die Berufung der Beklagten
zurückgewiesen (Urteil vom 8.7.2015). Die Vermutung einer
forstwirtschaftlichen Tätigkeit sei widerlegt, wenn - wie hier - die
Nutzungsmöglichkeiten derart durch rechtliche Vorschriften
eingeschränkt seien, dass sie dem Willen des Waldbesitzers nicht
mehr zugerechnet werden könnten. Dem Kläger seien keine
forstwirtschaftlichen Maßnahmen im Eigeninteresse und nur minimale
Tätigkeiten zum Zweck der Unterhaltung und Sicherung der Wege
bzw zur Erhaltung und Entwicklung des Naturschutzgebietes möglich.
4
Die Beklagte rügt mit ihrer Revision die Verletzung des § 123 Abs 1
Nr 1 SGB VII. Die Vermutung des Vorliegens eines
forstwirtschaftlichen Unternehmens sei nicht widerlegt, solange eine
forstwirtschaftliche Tätigkeit, wenn auch in stark eingeschränktem
Umfang, noch zulässig sei. Aus dem Waldgesetz des Landes
Schleswig-Holstein ergäbe sich ua eine Bewirtschaftungspflicht. § 6
der LandesVO L.K. bzw § 67 Bundesnaturschutzgesetz sähen
Ausnahmen und Befreiungsmöglichkeiten von den
Bewirtschaftungsverboten vor.
5
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts
vom 8. Juli 2015 und des Sozialgerichts Itzehoe vom 27. Juni
2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
6
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
7
Er hält das Urteil des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
8 Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet. Zu Recht hat
das LSG die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG
zurückgewiesen. Die angefochtenen Verwaltungsakte in dem
Bescheid der Beklagten vom 1.7.2010 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 13.9.2010 sind rechtswidrig. Der
Kläger ist kein forstwirtschaftlicher Unternehmer und nicht zur
Zahlung von Beiträgen verpflichtet.
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1. Im Revisionsverfahren ist über die Rechtmäßigkeit des zulässig
mit einer Anfechtungsklage angefochtenen Bescheids vom 1.7.2010
zu entscheiden, mit dem die Beklagte ihre Zuständigkeit gegenüber
dem Kläger als Unternehmer festgestellt, sein Unternehmen mit
einem Grundwert sowie einem Schätzwert nach dem Arbeitsbedarf
bei einer Flächennutzung als Forst veranlagt und die Beiträge für die
Jahre 2008 und 2009 festgesetzt hat. Der Kläger hat alle drei
Verfügungssätze angefochten
(vgl zur Rechtsnatur des Veranlagungs- und Beitragsbescheids als
jeweils belastende Verwaltungsakte ua BSG vom 11.4.2003 - B 2 U
8/12 R - BSGE 113, 192 = SozR 4-2700 § 157 Nr 5 sowie zu dem
die Zuständigkeit regelnden Verwaltungsakt, früher sog
Aufnahmebescheid, BSG vom 3.4.2014 - B 2 U 25/12 R - BSGE
115, 256 = SozR 4-2700 § 136 Nr 6; BSG vom 2.4.2009 - B 2 U
20/07 R - SozR 4-2700 § 136 Nr 5)
und die Vorinstanzen haben hierüber entschieden. Hinsichtlich der
die Beitragsforderung regelnden Verwaltungsakte bedurfte es keiner
Zulassung der Berufung nach § 144 Abs 1 S 2 SGG, weil über
Beitragsforderungen für mehr als ein Jahr gestritten wird.
Offenbleiben kann, ob der angefochtene Bescheid bereits wegen
fehlender Anhörung gemäß § 24 SGB X rechtswidrig ist, weil die
angefochtenen Verwaltungsakte ohnehin aus materiell-rechtlichen
Gründen rechtswidrig sind. Der Senat muss daher auch nicht
entscheiden, ob bei Beitragsbescheiden im Regelfall eine Anhörung
nach § 24 Abs 2 Nr 4 SGB X nicht erforderlich ist oder ob nach § 24
Abs 2 Nr 3 SGB X auf eine Anhörung verzichtet werden kann
(vgl hierzu das Urteil des Senats vom 23.1.2018 - B 2 U 4/16 R).
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2. Die angefochtenen Verwaltungsakte sind rechtswidrig. Der Kläger
ist kein forstwirtschaftlicher Unternehmer, weil ihm nach dem vom
LSG bindend festgestellten (§ 163 SGG) Landesrecht jede
forstwirtschaftliche Tätigkeit im Eigeninteresse verboten ist. Die
Beklagte ist die gemäß § 123 Abs 1 Nr 1 SGB VII für Unternehmen
der Forstwirtschaft zuständige Berufsgenossenschaft und gemäß §
136 Abs 1 SGB VII grundsätzlich berechtigt, ihre Zuständigkeit durch
Verwaltungsakt festzustellen.
11
Der Kläger ist jedoch kein forstwirtschaftlicher Unternehmer iS des §
2 Abs 1 Nr 5 Buchst a SGB VII iVm § 123 Abs 1 Nr 1 SGB VII. Der
Versicherung kraft Gesetzes unterliegen nach § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst
a SGB VII "Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens".
Beitragspflichtig sind Unternehmer, die nach dieser Vorschrift
versichert sind oder die versicherte Arbeitskräfte beschäftigen
(§ 150 Abs 1 SGB VII). Der Begriff des landwirtschaftlichen
Unternehmens wird in § 123 Abs 1 SGB VII definiert.
Landwirtschaftliche Unternehmen sind nach Nr 1 der Vorschrift auch
solche der Forstwirtschaft. Dies setzt nach der Rechtsprechung des
Senats voraus, dass der Inhaber des Unternehmens über eine
forstwirtschaftlich genutzte Waldfläche verfügt, die zum Zwecke der
Gewinnung von Forsterzeugnissen bearbeitet wird
(vgl BSG vom 23.1.2018 - B 2 U 10/16 R; zuvor BSG vom 7.12.2004
- B 2 U 43/03 R - BSGE 94, 38 RdNr 7 = SozR 4-2700 § 182 Nr 1
RdNr 6; BSG vom 1.2.1979 - 2 RU 29/77 - SozR 2200 § 647 Nr 5;
BSG vom 28.9.1999 - B 2 U 40/98 R - SozR 3-2200 § 776 Nr 5,
SozR 3-2700 § 123 Nr 1)
. Hierfür ist Voraussetzung, dass es sich um Wald handelt.
Grundsätzlich kann zwar auch ein Waldgrundstück wie das des
Klägers Gegenstand eines forstwirtschaftlichen Unternehmens sein.
Zudem spricht auch eine Vermutung dafür, dass der
Nutzungsberechtigte dieses als forstwirtschaftlicher Unternehmer
bewirtschaftet (dazu a). Diese Vermutung ist jedoch hier widerlegt,
weil dem Kläger nach den den Senat gemäß § 163 SGG bindenden
Feststellungen des Landesrechts durch das LSG keine
forstwirtschaftliche Bewirtschaftung im Eigeninteresse mit Ausnahme
allenfalls minimaler Tätigkeiten erlaubt war (dazu unter b).
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a) Unternehmer ist nach § 136 Abs 3 Nr 1 SGB VII derjenige, dem
das Ergebnis des Unternehmens unmittelbar zum Vor- oder Nachteil
gereicht. Ein Unternehmen der Forstwirtschaft iS des § 123 Abs 1 Nr
1 SGB VII liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats
(vgl hierzu BSG vom 7.12.2004 - B 2 U 43/03 R - BSGE 94, 38 =
SozR 4-2700 § 182 Nr 1 mwN)
vor, wenn das Unternehmen eine Waldfläche bewirtschaftet.
Forstwirtschaftliche Unternehmen in diesem Sinne weisen einen
Flächenbestand auf, auf dem Bäume wachsen bzw nachwachsen.
Eine bestimmte Mindestgröße der forstwirtschaftlich genutzten
Waldfläche ist nicht erforderlich. Auch so genannte
Kleinwaldbesitzer - wie der Kläger - sind, wenn sie sich
forstwirtschaftlich betätigen, forstwirtschaftliche Unternehmer. Wie
die Regelung der Befreiungsmöglichkeit in § 5 SGB VII
(in der hier anwendbaren seit dem 30.3.2005 geltenden Fassung
des Verwaltungsvereinfachungsgesetzes vom 21.3.2005, BGBl I
818)
für Unternehmer mit einem Unternehmen bis zu einer Größe von
0,25 ha zeigt, geht das Gesetz auch bei Unterschreiten dieser
Größe von einer Unternehmereigenschaft aus. Ein bestimmtes
Mindestmaß des Arbeitsaufwands ist ebenfalls nicht Voraussetzung
für eine forstwirtschaftliche Bewirtschaftung. Dass eine Fläche
wegen ihrer Größe, Lage, Bodenbeschaffenheit oder aus anderen
Gründen für eine wirtschaftlich sinnvolle forstwirtschaftliche Nutzung
nicht geeignet ist, lässt die Unternehmenseigenschaft im Grundsatz
nicht entfallen, weil für das Vorliegen eines forstwirtschaftlichen
Unternehmens eine Gewinnerzielungsabsicht nicht vorausgesetzt
wird
(vgl BSG vom 7.12.2004 - B 2 U 43/03 R - BSGE 94, 38 = SozR 4-
2700 § 182 Nr 1)
.
13
Konkrete Bewirtschaftungsmaßnahmen, zB Pflanzen oder Fällen,
gehören wegen der die Forstwirtschaft prägenden langen
Bewirtschaftungszeiträume nicht zum notwendigen
Erscheinungsbild eines forstwirtschaftlichen Unternehmens. Die
bloße Absicht, auf einer bestimmten forstwirtschaftlichen Fläche
keine forstwirtschaftliche Tätigkeit zu entfalten, lässt die Eigenschaft
als forstwirtschaftliches Unternehmen jedenfalls solange nicht
entfallen, als auf der Fläche forstwirtschaftliche Pflanzen wachsen.
Denn dadurch werden Waldbesitzer treffende Verpflichtungen, den
Wald jedenfalls in gewissem Umfang zu bewirtschaften, nicht
berührt. Unerheblich ist, wie die Einhaltung der Pflichten des
Waldbesitzers im Einzelnen waldrechtlich gesichert ist, soweit ein
konkreter Gesetzesbefehl - nicht ein bloßer Programmsatz - vorliegt,
der ein bestimmtes Verhalten gebietet
(vgl BSG vom 28.9.1999 - B 2 U 40/98 R - SozR 3-2200 § 776 Nr 5,
SozR 3-2700 § 123 Nr 1; vgl auch BSG vom 3.5.1984 - 11 RK 1/83 -
SozR 5420 § 2 Nr 30)
.
14
Es besteht grundsätzlich die widerlegbare Vermutung, dass bei
bestehenden Nutzungsrechten an forstwirtschaftlichen Flächen -
auch bei im Einzelfall fehlenden konkreten
Bewirtschaftungsmaßnahmen - eine forstwirtschaftliche Tätigkeit
und damit die Eigenschaft des Nutzungsberechtigten als
forstwirtschaftlicher Unternehmer gegeben ist. Diese Vermutung der
forstwirtschaftlichen Betätigung ist dann widerlegt, wenn die Fläche
zu anderen Zwecken als der periodischen Gewinnung von
Forsterzeugnissen verwendet wird. Für die Widerlegung dieser
Vermutung hat der Senat gefordert, dass greifbare Umstände
vorliegen, die auf eine andersartige Nutzung hinweisen. Dies gilt
beispielsweise, wenn der Wald als Baugelände, zB zur Anlage eines
Ferienzentrums oder eines Flugplatzes, zum Liegenlassen als
"Urwald" aus wissenschaftlichen Gründen oder als sonstiges
Versuchs- und Übungsgelände erworben wurde
(vgl BSG vom 7.12.2004 - B 2 U 43/03 R - BSGE 94, 38 = SozR 4-
2700 § 182 Nr 1 mwN; BSG vom
3.5.1984 - 11 RK 1/83 - SozR 5420 § 2 Nr 30; zu den
Einschränkungen nach § 30 Bundesnaturschutzgesetz vgl aber
BSG vom 23.1.2018 - B 2 U 10/16 R).
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b) Diese Vermutung der forstwirtschaftlichen Bewirtschaftung ist hier
widerlegt. Nach den nicht mit zulässigen und begründeten
Verfahrensrügen und damit den Senat bindenden Feststellungen
des LSG
(§ 163 SGG sowie hinsichtlich der Auslegung des schleswig-
holsteinischen Landesrechts § 202 SGG iVm § 560 ZPO)
war der Kläger zwar Eigentümer und Nutzungsberechtigter eines
Waldgrundstücks iS des § 2 Abs 1 S 1 des Schleswig-
Holsteinischen Landeswaldgesetzes und damit
Nutzungsberechtigter eines Forstgrundstückes. Dem Kläger waren
jedoch nach den Regelungen der LandesVO L.K. forstwirtschaftliche
Maßnahmen im Eigeninteresse grundsätzlich verboten. An diese
Feststellung des LSG ist der Senat gebunden
(vgl aber zur Auslegung des Bundesnaturschutzgesetzes BSG vom
23.1.2018 - B 2 U 10/16 R).
Zwar rügt die Beklagte, das LSG hätte weiter aufklären müssen, für
welche konkreten Maßnahmen im Einzelnen noch eine
Genehmigung hätte erteilt werden können. Es kann dahinstehen, ob
diese Rüge in zulässiger Weise begründet wurde. Denn diese Rüge
ist jedenfalls unbegründet, weil es nach der Rechtsauffassung des
LSG nur darauf ankam, dass minimale Maßnahmen nur nach
Genehmigung zulässig waren und es damit aus der Sicht des LSG
gerade keiner weiteren Ermittlungen bedurfte.
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Forstwirtschaftliche Bewirtschaftungsmaßnahmen sind Pflanzungen,
Kulturarbeiten, Waldwegepflege
(vgl Krasney in Krasney ua, SGB VII, Stand Oktober 2017, § 123
RdNr 17)
und neben dem Holzanbau und dem Holzeinschlag auch die
ordnungsgemäße und nachhaltige Pflege des Waldes nach § 11
Bundeswaldgesetz
(vgl Feddern in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. Aufl 2014, §
123 RdNr 21 ff).
Hierzu gehören ua Tätigkeiten, die der Vorbereitung des Bodens für
die Bepflanzung, der Bepflanzung, der Pflege einschließlich der
Maßnahmen zur Verhütung von Schäden, der Kontrolle des
Waldzustandes sowie auch allein dem Wachsen aller notwendigen
Pflanzen dienen
(vgl BSG vom 28.9.1999 - B 2 U 40/98 R - SozR 3-2200 § 776 Nr 5,
SozR 3-2700 § 123 Nr 1; vgl auch BSG vom 3.5.1984 - 11 RK 1/83 -
SozR 5420 § 2 Nr 30; zur Bewirtschaftung eines kahlgeschlagenen
Waldgrundstücks BSG vom 1.2.1979 - 2 RU 29/77 - SozR 2200 §
647 Nr 5)
. Das LSG hat für den Senat bindend festgestellt, dass die allein in
Schleswig-Holstein geltende LandesVO L.K. in dem
Naturschutzgebiet allenfalls minimale forstwirtschaftliche
Maßnahmen - und diese nur nach Genehmigung - zulässt. Das LSG
hat dieses Landesrecht bindend so ausgelegt, dass dem Kläger
forstwirtschaftliche Maßnahmen im Eigeninteresse grundsätzlich
verboten waren.
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Nach der gemäß § 163 SGG den Senat bindenden Auslegung des
Landesrechts stehen damit die folgenden rechtlichen
Beschränkungen fest: Das Flurstück des Klägers ist gemäß § 2 Abs
1 LandesVO L.K. Bestandteil dieses Naturschutzgebietes. Nach § 3
Abs 3 LandesVO L.K. sind in diesem Gebiet die verschiedenen
Lebensräume mit ihren charakteristischen Lebensgemeinschaften in
ihrer Ganzheit zu erhalten. Ihre unbeeinflusste Entwicklung, der
möglichst ungestörte Ablauf der natürlichen Stoffkreisläufe und die
Fortentwicklung der natürlichen genetischen Vielfalt sind dauerhaft
zu gewährleisten, nutzungsbedingte Störeinflüsse auszuschließen
oder soweit wie möglich zu minimieren. Nach § 4 Abs 1 LandesVO
L.K. sind alle Handlungen verboten, die zu einer Zerstörung,
Beschädigung oder Veränderung des Naturschutzgebietes oder
seiner Bestandteile oder zu einer nachhaltigen Störung führen
können. § 4 Abs 1 S 2 LandesVO L.K. verbietet Erstaufforstungen
vorzunehmen, Pflanzen, Pflanzenteile oder sonstige Bestandteile
des Naturschutzgebietes zu entnehmen oder Pflanzen
einzubringen. Von den Verboten des § 4 der LandesVO L.K.
unberührt bleiben die erforderlichen, einvernehmlich mit der unteren
Landschaftspflegebehörde festgelegten Maßnahmen zur
Unterhaltung und Sicherung der Wege sowie Untersuchungen und
Maßnahmen zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung des
Naturschutzgebietes, die die untere Landschaftspflegebehörde im
Einvernehmen mit dem Landesamt für Naturschutz und
Landschaftspflege als oberer Landschaftspflegebehörde durchführt,
durchführen lässt oder die im Rahmen der Anordnungen der
obersten Landschaftspflegebehörde durchzuführen sind
(§ 5 Abs 1 Nr 4 und 8 LandesVO L.K.). Nach § 6 LandesVO L.K.
kann die untere Landschaftspflegebehörde im Einzelfall von den
Verboten des § 4 Abs 1 Nr 12, 13, 15 und 18 der Verordnung
Ausnahmen zulassen, die nicht zu einer nachhaltigen Störung
führen und den Schutzzweck nicht beeinträchtigen können. Insoweit
sind auch Ausnahmen von dem Verbot der Entnahme und dem
Einbringen von Pflanzen, Pflanzenteilen oder sonstigen
Bestandteilen des Naturschutzgebietes möglich unter der
Voraussetzung, dass es nicht zu einer nachhaltigen Störung der
Ziele des Naturschutzes kommt und dass der Schutzzweck der
Verordnung nicht beeinträchtigt wird. Nach der bindenden
Verordnung nicht beeinträchtigt wird. Nach der bindenden
Auslegung des Landesrechts durch das LSG waren damit
forstwirtschaftliche Maßnahmen im Eigeninteresse des Klägers
grundsätzlich verboten. Die Regelungen des Landesrechts erlauben
allenfalls minimale forstwirtschaftliche Maßnahmen zur Unterhaltung
und Sicherung der Wege und zur Erhaltung und Entwicklung des
Naturschutzgebietes nach Genehmigung der zuständigen Behörde.
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Tätigkeiten in einem solch geringen Umfang genügen nicht, um das
Vorliegen eines forstwirtschaftlichen Unternehmens zu bejahen.
Dabei kommt es nicht darauf an, unter welchen konkreten
Umständen welche Maßnahmen und Tätigkeiten doch noch
genehmigungsfähig gewesen wären, weil solche minimalen
genehmigungsbedürftigen Tätigkeiten nach der bindenden
Auslegung durch das LSG jedenfalls keine forstwirtschaftlichen
Maßnahmen im Eigeninteresse darstellen und damit die
Einbeziehung als versicherungspflichtiger forstwirtschaftlicher
Unternehmer in die gesetzliche Unfallversicherung nicht
rechtfertigen können. Allein der Umstand, dass in einem
Naturschutzgebiet zu dessen Erhaltung und Entwicklung sowie zur
Unterhaltung und Sicherung der Wege im Einzelfall Maßnahmen
erlaubt werden können, führt nicht dazu, dass eine
forstwirtschaftliche unternehmerische Betätigung im Eigeninteresse
vorliegt.
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Auch eine Auslegung des § 123 Abs 1 Nr 1 SGB VII im Lichte der
hier betroffenen Grundrechte gebietet es schließlich, in Fällen wie
dem Vorliegenden ein die Versicherungs- und Beitragspflicht
begründendes forstwirtschaftliches Unternehmen zu verneinen. Das
bei einzelnen erst nach behördlicher Genehmigung zulässigen
minimalen forstwirtschaftlichen Tätigkeiten entstehende
Gefährdungsrisiko steht außer Verhältnis zu der mit der
Versicherungspflicht des forstwirtschaftlichen Unternehmers
verbundenen, in Art 2 Abs 1 GG eingreifenden Beitragspflicht. Sind
einem Waldbesitzer keine forstwirtschaftlichen Maßnahmen im
Eigeninteresse mehr möglich und dürfen nur minimale
forstwirtschaftliche Tätigkeiten und nur nach vorheriger
Genehmigung verrichtet werden, wäre eine zwangsmäßige
Einbeziehung in die gesetzliche Unfallversicherung jedenfalls
unverhältnismäßig
(vgl aber das Urteil des Senats vom 23.1.2018 - B 2 U 10/17 R).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm §
154 Abs 2 VwGO.