Urteil des BSG vom 23.01.2018

Landwirtschaftliche Unfallversicherung - Beitrags- und Versicherungspflicht - Haus- und Ziergarten - unabhängig von Grundstücksgröße regelmäßig kein landwirtschaftliches Unternehmen - Ausnahmen - gesamtschuldnerische Beitragshaftung - Auswahl des Gesamtsc

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 23.1.2018, B 2 U 4/16 R
ECLI:DE:BSG:2018:230118UB2U416R0
Landwirtschaftliche Unfallversicherung - Beitrags- und
Versicherungspflicht - Haus- und Ziergarten - unabhängig
von Grundstücksgröße regelmäßig kein landwirtschaftliches
Unternehmen - Ausnahmen - gesamtschuldnerische
Beitragshaftung - Auswahl des Gesamtschuldners -
Ermessensentscheidung der landwirtschaftlichen
Berufsgenossenschaft
Leitsätze
Haus- und Ziergärten sind unabhängig von ihrer Größe keine
landwirtschaftlichen Unternehmen, es sei denn, sie werden
regelmäßig oder in erheblichem Umfang mit besonderen
Arbeitskräften bewirtschaftet oder ihre Erzeugnisse dienen nicht
hauptsächlich dem eigenen Haushalt.
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des
Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 30.
September 2015 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass
die Anschlussberufung gegen den Bescheid der Beklagten vom
28. April 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
20. Mai 2015 als unzulässig verworfen wird.
Der Kläger hat auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu
tragen.
Tatbestand
1
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger versicherungs- und
beitragspflichtiges Mitglied der beklagten landwirtschaftlichen
Berufsgenossenschaft ist.
2
Der Kläger erwarb im Jahr 1994 gemeinsam mit seiner Ehefrau ein
4705 qm großes, mit einem Einfamilienhaus bebautes Grundstück.
Die Beklagte nahm durch Bescheid vom 6.9.1995 den Kläger als
Unternehmer mit dem Unternehmensteil "Haus- und Ziergarten" zum
29.7.1994 in ihr Unternehmerverzeichnis auf und erteilte ihm einen
Mitgliedsschein; zugleich erhob sie den Beitrag für das Jahr 1994.
Durch Bescheid vom 18.4.2011 setzte sie gegenüber dem Kläger den
Beitrag für das Umlagejahr 2010 in Höhe des in ihrer Satzung
vorgesehenen Mindestbeitrags iHv 39 Euro fest. Der Widerspruch
blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 8.6.2011).
3
Hiergegen hat der Kläger Klage zum SG erhoben, das durch Urteil
vom 2.10.2012 den Bescheid der Beklagten vom 18.4.2011 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.6.2011 aufgehoben hat,
weil das Grundstück des Klägers aufgrund der anzuwendenden
Ausnahmevorschrift des § 123 Abs 2 SGB VII als versicherungsfreier
Haus- und Ziergarten einzuordnen sei. Die Beklagte hat Berufung
eingelegt. Auf Anregung des LSG hat die Beklagte sodann den
Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 18.4.2011 auch
als Überprüfungsantrag des Bescheids vom 6.9.1995 ausgelegt.
Durch Bescheid vom 28.4.2015 hat sie jedoch eine Rücknahme des
bestandskräftigen Bescheids vom 6.9.1995 gemäß § 44 SGB X
abgelehnt. Der Widerspruch hiergegen blieb erfolglos
(Widerspruchsbescheid vom 20.5.2015). Der Kläger hat sodann vor
dem LSG im Wege der Anschlussberufung beantragt, den Bescheid
der Beklagten vom 28.4.2015 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 20.5.2015 aufzuheben und die Beklagte
zu verpflichten, den Bescheid vom 6.9.1995 rückwirkend zum
Erlasszeitpunkt zurückzunehmen. Die Beklagte hat dieser
"Klageänderung" zugestimmt.
4
Das LSG hat das Urteil des SG aufgehoben sowie die
Anschlussberufung des Klägers zurückgewiesen. Die Klage gegen
den Bescheid vom 18.4.2011 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 8.6.2011 sowie die Klage gegen den
Bescheid vom 28.4.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 20.5.2015 hat es abgewiesen (Urteil vom 30.9.2015). Zur
Begründung hat es ausgeführt, die im Wege der Anschlussberufung
vorgenommene Klageänderung sei zulässig, weshalb auch über die
vorgenommene Klageänderung sei zulässig, weshalb auch über die
Klage gegen den Bescheid vom 28.4.2015 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 20.5.2015 zu entscheiden sei. Der
Statthaftigkeit der Anschlussberufung stehe nicht entgegen, dass das
SG dem in erster Instanz gestellten Klageantrag im vollen Umfang
stattgegeben habe, denn für die Anschließung an die gegnerische
Berufung sei keine Beschwer des Berufungsbeklagten erforderlich.
Die Klageänderung sei gemäß § 153 Abs 1 iVm § 99 Abs 1 SGG
zulässig, weil die Beklagte hierzu ihre Einwilligung erklärt habe.
Deshalb habe der Senat auch über den Anspruch auf Rücknahme
des Bescheids vom 6.9.1995 zu entscheiden, wobei er eine
erstinstanzliche Entscheidung treffe. Dem stehe nicht entgegen, dass
hierfür gemäß § 29 SGG keine funktionelle bzw instanzielle
Zuständigkeit des LSG bestehe. Die Klage gegen den Bescheid vom
28.4.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.5.2015
habe jedoch in der Sache keinen Erfolg, weil der Bescheid
rechtmäßig sei. Der Kläger sei Miteigentümer des Grundstücks und
damit als landwirtschaftlicher Unternehmer gesetzlich unfallversichert.
Der Ausnahmetatbestand des § 123 Abs 2 Nr 1 SGB VII sei nicht
erfüllt. Bereits das Reichsversicherungsamt (RVA) habe eine
Grundstücksgröße von 2500 qm als Obergrenze für Haus- und
Ziergärten angesehen. Daher falle der Garten des Klägers nicht unter
die Ausnahmeregelung des § 123 Abs 2 Nr 1 SGB VII. Die
Gesamtfläche übersteige hier den allgemein akzeptierten Grenzwert
von 2500 qm so deutlich, dass der Garten nicht mehr als Haus- und
Ziergarten angesehen werden könne. Angesichts eines
wöchentlichen Arbeitsaufwands im Sommer von etwa 1 ½ Stunden
sowie darüber hinaus anfallender Arbeiten zur Pflege der
Ziersträucher könne nicht von einem extrem geringen Umfang der
Bewirtschaftung ausgegangen werden. Zu Unrecht berufe sich der
Kläger darauf, dass er lediglich hälftiger Miteigentümer des
Grundstücks sei. Hieraus folge die gesamtschuldnerische Haftung
jedes einzelnen Mitunternehmers, sodass die alleinige
Inanspruchnahme des Klägers nicht zu beanstanden sei. Da der
Kläger damit kraft Gesetzes versichert sei, erweise sich auch der
Beitragsbescheid für das Umlagejahr 2010 als rechtmäßig.
5
Der Kläger rügt mit seiner Revision eine Verletzung des § 123 Abs 2
SGB VII. Er beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen
vom 30. September 2015 und den Bescheid der Beklagten
vom 28. April 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 20. Mai 2015 aufzuheben und die Berufung der Beklagten
gegen das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 2. Oktober
2012 zurückzuweisen.
6
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
7 Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet und daher
zurückzuweisen. Das Urteil des LSG vom 30.9.2015 war
dahingehend zu berichtigen, dass die Anschlussberufung als
unzulässig verworfen wird (dazu unter A.). Im Übrigen hat das LSG
im Ergebnis zu Recht das Urteil des SG aufgehoben und die Klage
gegen den Bescheid vom 18.4.2011 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 8.6.2011 abgewiesen (dazu unter B.).
8 A. Die Anschlussberufung gegen den während des
Berufungsverfahrens ergangenen Bescheid der Beklagten vom
28.4.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
20.5.2015 war unzulässig, weil sie nicht den gleichen prozessualen
Anspruch wie die Hauptberufung der Beklagten betrifft
(dazu unter 1.). Dahinstehen kann daher, ob die mit der
Anschlussberufung einhergehende Klageänderung zulässig und
das LSG für die Entscheidung über diese geänderte Klage
zuständig war (dazu unter 2.).
9
1. Die Anschlussberufung war unzulässig, weil der Kläger hierdurch
einen neuen Streitgegenstand in den Rechtsstreit eingeführt hat. Der
Kläger hat im Wege der Anschlussberufung ausdrücklich beantragt,
neben der Berufungszurückweisung den Überprüfungsbescheid
vom 28.4.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
20.5.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den
Veranlagungsbescheid vom 6.9.1995 rückwirkend
zurückzunehmen. Die Anschließung des Klägers und
Berufungsbeklagten an die Berufung der Beklagten und
Berufungsklägerin im Wege einer unselbständigen
Anschlussberufung konnte zwar wirksam auch im Laufe der
mündlichen Verhandlung durch Erklärung zur Niederschrift des
Gerichts erfolgen
(BSG vom 16.10.1968 - 3 RK 25/65 - SozR Nr 9 zu RAM-Erl über
KrV vom 2.11.1943 = Juris RdNr 21; BSG vom 13.3.1968 - 12 RJ
622/64 - BSGE 28, 31 = SozR Nr 4 zu § 522a ZPO; BSG vom
31.1.1967 - 2 RU 82/63 - AP Nr 3 zu § 522a ZPO; BGH vom
6.5.1987 - IVb ZR 51/86 - BGHZ 100, 383 = NJW 1987, 3263)
. Die im SGG nicht ausdrücklich geregelte Anschlussberufung richtet
sich nach § 202 SGG iVm § 524 ZPO. Sie ist kein Rechtsmittel,
sondern eröffnet dem Berufungsbeklagten lediglich die Möglichkeit,
sich mit eigenen Sachanträgen über die begehrte Zurückweisung
des Rechtsmittels hinaus oder nach Ablauf der Berufungsfrist gegen
die Berufung zu verteidigen und damit eine reformatio in peius zu
Lasten des Berufungsklägers zu erreichen
(Schreiber in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl 2014, § 143 RdNr 23;
Sommer in Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Aufl 2014, § 143 RdNr 26)
.
10
Die Anschlussberufung ist hier jedoch unzulässig, weil sie nicht
denselben Streitgegenstand wie die Hauptberufung der
Berufungsklägerin betrifft. Im Wege der Anschlussberufung kann
kein neuer Streitgegenstand in das Berufungsverfahren eingeführt
werden
(BSG vom 5.5.2010 - B 6 KA 6/09 R - BSGE 106, 110 = SozR 4-
2500 § 106 Nr 27; BSG vom 10.2.2005 - B 4 RA 48/04 R - Juris
RdNr 33 f; BSG vom 26.10.2017 - B 8 SO 12/16 R - SozR 4
RdNr 14; Sommer in Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Aufl
2014, § 143 RdNr 31)
. Streitgegenstand ist der prozessuale Anspruch, nämlich das vom
Kläger aufgrund eines bestimmten Sachverhalts an das Gericht
gerichtete Begehren der im Klageantrag bezeichneten Entscheidung
(zweigliedriger Streitgegenstandsbegriff - hM, zB B. Schmidt in
Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 95
RdNr 5 mwN)
. Maßgebend für die Bestimmung des Streitgegenstands ist neben
der Auslegung des Klageantrags und des Vorbringens zum
Klagegrund in erster Linie der Inhalt des angefochtenen Bescheids
(Jaritz in Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Aufl 2014, § 94 RdNr 20).
11
Gegenstand der mit der Berufung angegriffenen Entscheidung des
SG war ausschließlich der die Höhe der Beiträge für das Jahr 2010
regelnde Verwaltungsakt vom 18.4.2011 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 8.6.2011
(vgl § 746 Abs 1 RVO bzw ab 1.1.1997 § 168 Abs 1 SGB VII). Der
Prüfungsumfang bei der Anfechtung dieses Bescheids bezieht sich
vorrangig auf die individuellen unternehmensbezogenen Faktoren
wie die richtige Lohnsumme oder den Gefahrtarif
(Spellbrink in Kasseler Komm, Stand September 2017, § 168 SGB
VII RdNr 10)
. Wegen des gestuften Beitragsverfahrens der gesetzlichen
Unfallversicherung werden die Zuständigkeit und Veranlagung dort
im Regelfall nicht mehr geprüft
(Mutschler, WzS 2009, 353, 355, 356). Anhaltspunkte dafür, dass
die Beklagte bei Erlass des Beitragsbescheids vom 18.4.2011 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.6.2011 den
Mitgliedsbescheid vom 6.9.1995 ggf konkludent überprüft und damit
eine erneute gerichtliche Überprüfung ermöglicht hätte, sind nicht
ersichtlich. Dies bestimmt sich nach dem objektiven Erklärungsinhalt
dieser Bescheide im Wege der Auslegung (§ 133 BGB), zu der auch
das Revisionsgericht befugt ist
(vgl zuletzt BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 2/14 R - SozR 4-2400 § 27
Nr 7 und BSG vom 3.4.2014 - B 2 U 25/12 R - BSGE 115, 256 =
SozR 4-2700 § 136 Nr 6, RdNr 15).
12
Bei dem vom Kläger erst im Wege der Anschlussberufung
eingeführten Überprüfungsbescheid vom 28.4.2015 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 20.5.2015 betreffend die
Zuständigkeit der Beklagten handelt es sich mithin um einen
anderen Streitgegenstand, weil damit erstmals im
Berufungsverfahren der Mitgliedsschein vom 6.9.1995
(§ 664 Abs 1 RVO), der alleine die Mitgliedschaft des Klägers bei der
Beklagten betrifft, gemäß § 44 SGB X zur Überprüfung gestellt
wurde. Der Bescheid aus dem Jahre 1995 hat bei Übereinstimmung
mit der materiellen Mitgliedschaft zwar nur deklaratorische
Bedeutung
(BSG vom 17.2.1971 - 7/2 RU 74/68 - BSGE 32, 218 = SozR Nr 1 zu
§ 655 RVO = Juris RdNr 11)
, jedoch begründet er unabhängig von der materiellen Richtigkeit ein
formal-rechtliches Versicherungsverhältnis und damit die formelle
Zuständigkeit
(BSG vom 28.11.1961 - 2 RU 36/58 - BSGE 15, 282, 287; vgl BSG
vom 3.4.2014 - B 2 U 25/12 R - BSGE 115, 256 = SozR 4-2700 §
136 Nr 6, RdNr 26)
. In dem Verfahren zur Überprüfung des Aufnahmebescheids aus
dem Jahre 1995 gemäß § 44 SGB X ist damit die materielle
Zuständigkeit der Beklagten für das Unternehmen des Klägers und
damit ein anderer prozessualer Anspruch als die Höhe der zu
zahlenden Beiträge zu prüfen.
13
Damit war das Urteil des LSG insoweit zu korrigieren, als es die
Anschlussberufung des Klägers in der Sache zurückgewiesen und
nicht - richtigerweise - als unzulässig verworfen hat (§ 158 SGG).
14
2. Dahinstehen kann, ob die mit der Anschlussberufung
einhergehende Klageänderung zulässig und das LSG für die
Entscheidung über diese geänderte Klage zuständig war. Der Senat
hat zwar bereits ausgeführt, dass das LSG - im Unterschied etwa zu
einer in der zweiten Instanz erfolgten Einbeziehung von
Folgebescheiden (§ 96 iVm § 153 Abs 1 SGG) oder einer
Widerklage (§ 100 iVm § 153 Abs 1 SGG) - in den Fällen der
gewillkürten Klageänderung in der Berufungsinstanz nach § 153
Abs 1 iVm § 99 Abs 1 und 2 SGG, durch die ein neuer
Streitgegenstand in das Berufungsverfahren eingeführt wird, wegen
fehlender sachlicher Zuständigkeit grundsätzlich nicht zu einer
Sachentscheidung befugt ist
(BSG vom 31.7.2002 - B 4 RA 113/00 R - Juris RdNr 16 f; BSG vom
18.3.2015 - B 2 U 8/13 R - Juris RdNr 14; BSG vom 5.7.2016 - B 2 U
4/15 R - Juris RdNr 17; Stotz in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1.
Aufl 2017, § 29 RdNr 64).
Andererseits wäre der erkennende Senat aber als
Rechtsmittelgericht nach § 98 SGG iVm § 17a Abs 5 GVG hier wohl
an die Feststellung der sachlichen Zuständigkeit durch das LSG
gebunden gewesen
(vgl Gutzeit in Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Aufl 2014, § 98 RdNr 20;
aA noch BSG vom 18.3.2015 - B 2 U 8/13 R - Juris RdNr 16)
.
15
B. Das LSG hat im Ergebnis zu Recht das Urteil des SG
aufgehoben. Die Klage gegen den Bescheid vom 18.4.2011 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.6.2011 ist nicht
begründet. Ermächtigungsgrundlage für die Beitragsforderung der
Beklagten ist § 183 Abs 5 SGB VII. Danach teilt der
Unfallversicherungsträger den Beitragspflichtigen den von ihnen zu
zahlenden Beitrag schriftlich mit. Diese "Mitteilung" ist keine bloße
Bekanntgabe einer kraft Gesetzes bestehenden Zahlungspflicht,
sondern ein an den Beitragspflichtigen gerichtetes vollstreckbares
Zahlungsgebot
(BSG vom 20.7.2010 - B 2 U 7/10 R - SozR 4-2700 § 150 Nr 5). Der
Bescheid war gemäß § 183 Abs 5 S 1 SGB VII sowohl formell
(dazu unter 1.) als auch materiell rechtmäßig (dazu unter 2.).
16
1. Der Beitragsbescheid vom 18.4.2011 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 8.6.2011 war nicht gemäß § 42 S 2
SGB X wegen fehlender Anhörung gemäß § 24 SGB X aufzuheben.
Als Adressat der Beitragsfestsetzung für das Umlagejahr 2010 in
Höhe von 39 Euro sowie des entsprechenden Zahlungsgebots in
dem Beitragsbescheid war der Kläger "Beteiligter" des
Verwaltungsverfahrens, das seinerseits auf den Erlass dieser
beiden Verwaltungsakte (§ 31 SGB X)gerichtet war
(§ 12 Abs 1 Nr 2 SGB X). Mit der Beitragsforderung wurde durch die
Beklagte zumindest in die allgemeine Handlungsfreiheit und damit in
das Grundrecht des Klägers aus Art 2 Abs 1 GG eingegriffen,
wodurch ein anhörungspflichtiger "Eingriff" iS des § 24 Abs 1 SGB X
vorlag
(vgl BSG Urteil vom 25.1.1979 - 3 RK 35/77 - SozR 1200 § 34 Nr 7;
Mutschler in Kasseler Komm, Stand September 2015, § 24 SGB X
RdNr 7; Siefert in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 24
RdNr 8)
. Dahinstehen kann hier, ob bei Beitragsbescheiden im Regelfall auf
eine Anhörung nach § 24 Abs 1 SGB X als Massenverwaltungsakte
iS des § 24 Abs 2 Nr 4 SGB X oder weil sie im Allgemeinen auf
Entgeltangaben des Unternehmers beruhen, ohne zu seinen
Ungunsten abzuweichen, verzichtet werden kann
(§ 24 Abs 2 Nr 3 SGB X; Höller in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 168
RdNr 3; Spellbrink in Kasseler Komm, Stand September 2017, § 168
SGB VII RdNr 2).
Auch bei einem Verzicht auf eine Anhörung nach § 24 Abs 2 SGB X
wäre im Übrigen hierüber eine Ermessensentscheidung zu treffen
gewesen, die offensichtlich ebenfalls nicht vorliegt.
17
Allerdings wurde die hier vor Erlass des Bescheids vom 18.4.2011
erforderliche Anhörung jedenfalls vor dem LSG und damit innerhalb
der zeitlichen Grenzen des § 41 Abs 1 Nr 3 SGB X wirksam
nachgeholt. Die Nachholung der Anhörung parallel zum
gerichtlichen Verfahren setzt ein eigenständiges, nicht
notwendigerweise formelles Verwaltungsverfahren voraus, in
dessen Rahmen die beklagte Behörde dem Kläger in
angemessener Weise Gelegenheit zur Äußerung zu den
entscheidungserheblichen Tatsachen zu geben hat. Dies hat in der
Regel dadurch zu erfolgen, dass die Behörde den Kläger in einem
gesonderten Anhörungsschreiben alle Haupttatsachen mitteilt, auf
die sie die belastende Entscheidung stützen will, und ihm eine
angemessene Frist zur Äußerung setzt
(vgl die Entscheidung des erkennenden Senats vom 18.9.2012 - B 2
U 15/11 R - SozR 4-5671 § 3 Nr 6; BVerwG Urteil vom 17.8.1982 - 1
C 22.81 - BVerwGE 66, 111)
. Ferner ist erforderlich, dass die Behörde das Vorbringen des
Betroffenen zur Kenntnis nimmt und sich abschließend zum
Ergebnis der Überprüfung äußert, insbesondere zu erkennen gibt,
ob sie nach erneuter Prüfung an dem bisher erlassenen
Verwaltungsakt festhält
(BSG Urteile vom 6.4.2006 - B 7a AL 64/05 R - Juris, vom 9.11.2010
- B 4 AS 37/09 R - SozR 4-1300 § 41 Nr 2 RdNr 15 und vom
7.7.2011 - B 14 AS 153/10 R - BSGE 108, 289 = SozR 4-4200 § 38
Nr 2, RdNr 26; BVerwG Urteil vom 10.3.1971 - VIII C 210.67 -
BVerwGE 37, 307)
.
18
Vorliegend wurden sämtliche Aspekte, auf die die Beklagte die
Verbeitragung des Klägers stützt, insbesondere seine Aufnahme in
das Mitgliedsverzeichnis im Jahre 2015 im Rahmen des
Überprüfungsverfahrens des Mitgliedsbescheids vom 6.9.1995
sowohl durch die Ausgangsbehörde als auch die
Widerspruchsbehörde
(s zur erforderlichen Entscheidungskompetenz der
Widerspruchsbehörde BVerwG vom 17.8.1982 - 1 C 22.81 -
BVerwGE 66, 111; Hufen/Siegel, Fehler im Verwaltungsverfahren, 6.
Aufl 2018, RdNr 939)
in dem nach Berufungseinlegung durchgeführten gesonderten
Verwaltungsverfahren dem Kläger mitgeteilt, sodass dieser
Gelegenheit hatte, zu allen Gesichtspunkten Stellung zu nehmen.
Damit wurde ein etwaiger Anhörungsmangel jedenfalls geheilt.
19
2. Der Bescheid vom 18.4.2011 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 8.6.2011 ist auch materiell rechtmäßig.
Zum einen stand die Eigenschaft des Klägers als
landwirtschaftlicher Unternehmer aufgrund des bestandskräftigen
(§ 77 SGG)Mitgliedsscheins fest (dazu unter a), zum anderen war
eine Ermessensentscheidung der Beklagten, welchen der beiden
Gesamtschuldner sie zur Beitragstragung heranzieht, im Ergebnis
nicht erforderlich, weil die Ehefrau des Klägers keine
landwirtschaftliche Unternehmerin ist (dazu unter b).
20
a) Die Eigenschaft des Klägers als landwirtschaftlicher Unternehmer
stand aufgrund des bestandskräftigen (§ 77 SGG)Mitgliedsscheins
aus dem Jahre 1995 fest. Dieser Verwaltungsakt aus dem Jahre
1995 war weder nichtig iS des § 40 SGB X, noch wurde er
zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder hatte
sich durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt
(§ 39 Abs 2 SGB X).Die in § 40 Abs 2 SGB X genannten
Tatbestände liegen nicht vor. Nach § 40 Abs 1 SGB X ist ein
Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders
schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung
aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Selbst im
Falle einer fehlenden Eigenschaft des Klägers als
landwirtschaftlicher Unternehmer wäre dieser Fehler nach den
Kriterien des § 40 Abs 1 SGB X nicht "offensichtlich". Maßstab für
die "Offensichtlichkeit" eines Fehlers ist der Durchschnittsbürger, der
ohne besondere Sachkenntnis den Fehler erkennen können muss
(vgl nur Roos in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 40
RdNr 10 mwN)
. Selbst bei groben Zuständigkeitsverstößen ist ein
Feststellungsbescheid daher zwar rechtswidrig, aber nicht nichtig
(s zuletzt zur fehlenden Nichtigkeit bei Verstoß gegen
europarechtliche Kollisionsnormen Urteil des erkennenden Senats
vom 3.4.2014 - B 2 U 25/12 R - BSGE 115, 256 = SozR 4-2700 §
136 Nr 6, RdNr 25; BSG Urteil vom 28.11.1961 - 2 RU 36/58 - BSGE
15, 282, 285 = SozR Nr 1 zu § 666 RVO; BSG Urteil vom
30.10.1974 - 2 RU 42/73 - BSGE 38, 187, 192 = SozR 2200 § 664
Nr 1 S 7)
.
21
Die Beklagte durfte den Kläger mithin auf der rechtlichen Grundlage
des bestandskräftigen Mitgliedsscheins aus dem Jahre 1995 als
landwirtschaftlichen Unternehmer mit Beiträgen belasten.
22
b) Im Ergebnis sind die Beitragsbescheide auch nicht wegen
Ermessensnichtgebrauchs rechtswidrig. Wie der Senat zuletzt
entschieden hat
(Urteil vom 30.3.2017 - B 2 U 10/15 R - BSGE =
SozR 4-2700 § 130 Nr 1), ist die Beklagte zwar grundsätzlich
gehalten, eine Ermessensentscheidung zu treffen, wenn sie einen
von mehreren Gesamtschuldnern im Sinne des auch für die
landwirtschaftliche Unfallversicherung geltenden § 150 Abs 2 S 2
SGB VII als alleinigen Beitragsschuldner in Anspruch nehmen will
(dazu unter aa). Jedoch war die Ehefrau des Klägers im Ergebnis
kein weiterer, für die Beiträge haftender Gesamtschuldner, sodass
eine Ermessensausübung der Beklagten insoweit nicht erforderlich
war (dazu unter bb).
23
aa) Dem Beitragsbescheid der Beklagten vom 18.4.2011 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.6.2011 ist eine
Ermessensausübung hinsichtlich der Inanspruchnahme des Klägers
als Beitragsschuldner nicht zu entnehmen. Eine solche Prüfung
hätte hier grundsätzlich deswegen nahegelegen, weil die Beklagte
wusste, dass die Ehefrau des Klägers Miteigentümerin des
Grundstücks zu 1/2 war. Der Senat hat zuletzt entschieden
(BSG vom 30.3.2017 - B 2 U 10/15 R - BSGE = SozR
4-2700 § 130 Nr 1)
, dass die Möglichkeit eines Gläubigers, "die Leistung nach ...
Belieben von jedem" der (Gesamt-)Schuldner "ganz oder zu einem
Teil" zu "fordern" (vgl § 421 S 1 BGB), im Beitragsrecht der
gesetzlichen Unfallversicherung als Teil des öffentlichen Rechts
verfassungsrechtlich in der Weise überformt ist, dass bei der
Auswahl des Gesamtschuldners und der Bestimmung der Quantität
("ganz oder zu einem Teil") eine Abwägung der öffentlichen und
privaten Interessen vorzunehmen ist. Die gesetzliche Anordnung in
§ 150 Abs 2 S 2 SGB VII, dass Unternehmer und Bevollmächtigter
als Gesamtschuldner haften, räumt als allgemeiner, das gesamte
Beitragsrecht beherrschender im Ersten Unterabschnitt des Ersten
Abschnitts des Sechsten Kapitels geregelter Grundsatz
(vgl Spellbrink in Kasseler Komm, Stand Juli 2017, § 150 SGB VII
RdNr 8)
, der auch für landwirtschaftliche Berufsgenossenschaften gilt
(s insbesondere § 182 Abs 1 SGB VII, der Ausnahmen ausdrücklich
(s insbesondere § 182 Abs 1 SGB VII, der Ausnahmen ausdrücklich
nur für die Regelungen aus dem 2. Unterabschnitt des ersten
Abschnitts des Sechsten Kapitels anordnet)
der ausführenden Behörde damit gleichzeitig Ermessen ein, für das
die allgemeinen Grundsätze des § 39 SGB I gelten. Jeder
Gesamtschuldner hat damit ein subjektiv-öffentliches Recht, dass
der Unfallversicherungsträger die belastende Entscheidung über
seine Inanspruchnahme ermessensfehlerfrei trifft
(BSG vom 30.3.2017 - B 2 U 10/15 R - BSGE = SozR
4-2700 § 130 Nr 1, RdNr 17; vgl zB BFH Urteil vom 2.12.2003 - VII R
17/03 - BFHE 204, 380 sowie Beschlüsse vom 12.7.1999 - VII B
2/99 - Juris RdNr 15 und vom 7.10.2004 - VII B 46/04 - BeckRS
2004, 25007513; Ratschow in Klein, AO, 13. Aufl 2016, § 44 RdNr
13)
.
24
bb) Die fehlende Ermessensausübung führt jedoch im vorliegenden
Fall nicht zur Rechtswidrigkeit des Beitragsbescheids vom
18.4.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.6.2011,
weil die Ehefrau des Klägers kein landwirtschaftliches Unternehmen
iS des § 123 Abs 1 SGB VII betrieb und daher keine Beitragspflicht
ihrerseits bestand. Zwar wäre die Ehefrau als Miteigentümerin des
Grundstücks potentiell als landwirtschaftliche Unternehmerin nach §
2 Abs 1 Nr 5 Buchst a SGB VII iVm § 123 Abs 1 SGB VII
beitragspflichtig. Eine Beitragspflicht besteht nach dem zum
Zeitpunkt der etwaigen Gesamtschuldnerauswahl bei Erlass des
Bescheids vom 18.4.2011 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 8.6.2011 anwendbaren § 123 Abs 2
SGB VII aber nur dann, wenn die Haus- und Ziergärten regelmäßig
oder in besonderem Umfang mit besonderen Arbeitskräften
bewirtschaftet werden oder ihre Erzeugnisse nicht hauptsächlich
dem eigenen Haushalt dienen. Ohne diese weiteren
Voraussetzungen kann daher unabhängig von seiner Größe bei
einem Ziergarten eine Beitragspflicht nicht entstehen. Dafür
sprechen die grammatikalische, die systematische sowie die
historisch-teleologische Auslegung dieser Norm.
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Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 123 Abs 2 Nr 1 SGB VII idF
vom 31.10.2006 (BGBl I 2407) sind Haus- und Ziergärten, als
welchen die Beklagte ausweislich des an den Kläger gerichteten
Mitgliedsscheins vom 6.9.1995 den Garten ansieht, keine
landwirtschaftlichen Unternehmen, es sei denn, sie werden
regelmäßig oder in erheblichem Umfang mit besonderen
Arbeitskräften bewirtschaftet oder ihre Erzeugnisse dienen nicht
hauptsächlich dem eigenen Haushalt. Der Wortlaut der Norm enthält
insofern auch keine Einschränkung oder Gegenausnahme derart,
dass Haus- und Ziergärten ab einer bestimmten Größe (etwa 2500
qm = 0,25 ha) wieder der Beitragspflicht unterliegen sollen.
26
Auch die Gesetzessystematik legt eine Größenbeschränkung
versicherungsfreier Ziergärten nicht nah. Eine Deckungsgleichheit
mit der in § 5 SGB VII
(idF des Gesetzes vom 21.3.2005, BGBl I 818, mWv 30.3.2005)
ausdrücklich normierten Größe von 0,25 ha, bis zu der sich
landwirtschaftliche Unternehmer auf Antrag von der Versicherung
befreien lassen können, hat der Gesetzgeber gerade nicht
hergestellt.
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Schließlich gebieten Sinn und Zweck sowie die
Entstehungsgeschichte der Regelung keine Größenbegrenzung bei
der Beitragsfreiheit. Sofern die Beklagte sich auf frühere
Entscheidungen des RVA beruft, verkennt sie, dass diese sich auf
nicht mehr geltende Vorschriften der Reichsversicherungsordnung
(RVO) mit nicht deckungsgleichem Inhalt beziehen. Nach § 917 Abs
2 RVO idF vom 19.7.1911 (RGBl S 509) sollten kleine Haus- und
Ziergärten, die nicht regelmäßig und in erheblichem Umfang mit
besonderen Arbeitskräften bewirtschaftet werden und deren
Erzeugnisse hauptsächlich dem eigenen Haushalt dienen, nicht als
landwirtschaftliche Betriebe gelten. Durch das Sechste Gesetz über
Änderungen in der Unfallversicherung vom 9.3.1942 (RGBl I S 107)
wurde die Versicherungspflicht auch auf andere Kleingärten unter
ähnlichen Voraussetzungen wie Haus- und Ziergärten ausgedehnt.
Damit sollten in erster Linie die Schrebergärten und ähnliche
Kleingärten erfasst werden, welche die Spruchpraxis der
Schiedsstelle beim Reichsverband der deutschen
landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft bereits zuvor
grundsätzlich den kleinen versicherungsfreien Gärten iS des § 917
Abs 2 RVO gleichgestellt hatte
(Entscheidung der Schiedsstelle vom 26.6.1942 - EuM 50, 6;
Entscheidung vom 8.12.1931 - EuM 31, 530)
. Diese Fassung wurde unverändert und ohne besondere
Begründung in § 778 RVO idF des UVNG vom 30.4.1963
(BGBl I 241; vgl BT-Drucks IV/120) übernommen. Zur Größe, bis zu
der ein versicherungsfreier Haus-, Zier- oder anderer Kleingarten
angenommen werden kann, äußerten sich weder die ursprüngliche
Fassung des § 917 Abs 2 RVO noch die in der Folge geänderten
Fassungen. Durch das UVEG vom 7.8.1996 (BGBl I 1254) wurde §
123 Abs 2 SGB VII eingeführt, nach dem unter Nr 1 isoliert Haus-
und Ziergärten als versicherungsfrei gelten, was erst recht nahelegt,
dass eine isolierte Prüfung der Eigenschaft des Gartens ohne
Vergleich zu den nunmehr unter Nr 2 aufgelisteten "anderen
Kleingärten im Sinne des …" stattzufinden hat, wenn auch die
gesetzliche Begründung ausführt, dass diese Regelung dem
geltenden Recht iS des § 778 RVO und der dazu ergangenen
Rechtsprechung entspreche (vgl BR-Drucks 263/95, S 295).
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Unabhängig davon ist auch in der bisherigen Rechtsprechung eine
solche Grenzziehung nicht vorgenommen worden. Bereits den
Entscheidungen des RVA ist keine feste Obergrenze zu entnehmen.
Das RVA hat 2500 qm (= 25 Ar) als Obergrenze versicherungsfreier
Ziergärten angenommen, jedoch auch größere Gärten als nicht
versichert angesehen, wenn besondere Verhältnisse - zB die Lage
in einer ländlichen Gegend aufgrund der geringeren Bewertung von
Grund und Boden und der damit verbundenen Größe - dies
rechtfertigten
(RVA vom 7.9.1942 - EuM 50, 11, 13; vgl Entscheidung der
Schiedsstelle vom 26.6.1942 - EuM 50, 6).
Auch in der bisherigen Rechtsprechung des BSG ist eine solche
strikte Grenzziehung bei Haus- und Ziergärten nicht vorhanden
(vgl BSG vom 18.1.2011 - B 2 U 16/10 R - SozR 4-2700 § 123 Nr 2 =
Juris RdNr 25; BSG vom 11.11.2003 - B 2 U 51/02 R - Juris RdNr
24; BSG vom 6.5.2003 - B 2 U 37/02 R - Juris RdNr 20; BSG vom
31.1.1989 - 2 RU 30/88 - BSGE 64, 252, 254 = SozR 2200 § 778 Nr
2 S 7; BSG vom 28.7.1977 - 2 RU 40/77 - SozR 2200 § 778 Nr 1 =
Juris RdNr 20; BSG vom 26.6.1973 - 8/7 RU 34/71 - BSGE 36, 71 =
SozR Nr 40 zu § 539 RVO = Juris RdNr 21)
.
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Eine Beitragspflicht besteht mithin nach dem ausdrücklichen
Wortlaut des zum Zeitpunkt der etwaigen Gesamtschuldnerauswahl
bei Erlass des Bescheids vom 18.4.2011 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 8.6.2011 anwendbaren § 123 Abs 2
SGB VII also nur dann, wenn die Haus- und Ziergärten regelmäßig
oder in besonderem Umfang mit besonderen Arbeitskräften
bewirtschaftet werden oder ihre Erzeugnisse nicht hauptsächlich
dem eigenen Haushalt dienen. Diese Voraussetzungen einer
Beitragspflicht lagen hier nicht vor, sodass die Ehefrau des Klägers
mangels Eigenschaft als Unternehmerin im Ergebnis nicht als
weitere Schuldnerin in Betracht kam und somit von der Beklagten
auch keine Ermessensentscheidung hinsichtlich der Auswahl des in
Anspruch genommen Schuldners zu treffen war. Der einzig den
Streitgegenstand des Revisionsverfahrens bildende
Beitragsbescheid aus dem Jahre 2011 erweist sich damit im
Ergebnis als richtig. Der Kläger ist mithin mit seinem materiellen
Begehren, nicht allein wegen der Größe seines Haus- und
Ziergartens von 4705 qm der Beitragspflicht zur Beklagten zu
unterfallen, nur aufgrund der Bestandskraft des Mitgliedsbescheids
aus dem Jahre 1995 unterlegen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm §
154 Abs 1 VwGO.