Urteil des BSG vom 14.06.2018

Arbeitslosengeld II - Unterkunft und Heizung - Heizkostenrückzahlung - Übernahme nur angemessener Heizkosten im Abrechnungszeitraum - Ansparung eines Teils der Heizkostenvorauszahlung aus der Regelleistung - Minderung der Leistungen für Unterkunft und Hei

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 14.6.2018, B 14 AS 22/17
R
ECLI:DE:BSG:2018:140618UB14AS2217R0
Arbeitslosengeld II - Unterkunft und Heizung -
Heizkostenrückzahlung - Übernahme nur angemessener
Heizkosten im Abrechnungszeitraum - Ansparung eines
Teils der Heizkostenvorauszahlung aus der Regelleistung -
Minderung der Leistungen für Unterkunft und Heizung
Tenor
Auf die Revision des Beklagten werden das Urteil des
Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 31. Mai 2017
und der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Aurich vom 22.
April 2015 geändert und die Klage insgesamt abgewiesen.
Kosten sind für das Gerichtsverfahren in allen Instanzen nicht zu
erstatten. Für das Widerspruchsverfahren hat der Beklagte der
Klägerin ein Viertel der Kosten zu erstatten.
Tatbestand
1
Im Streit ist die teilweise Aufhebung des der Klägerin bewilligten Alg II
für Mai 2012 wegen der im April 2012 erfolgten Rückzahlung von
Vorauszahlungen an den Gasversorger.
2
Die 1959 geborene Klägerin und ihr 1996 geborener Sohn bezogen
seit 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem
SGB II. Sie bewohnten ein im Eigentum der Klägerin stehendes
Einfamilienhaus. Dessen Beheizung und die zentrale
Warmwassererzeugung erfolgten mit Erdgas. Seit Juli 2010 erhielten
sie hierfür Leistungen nicht mehr in Höhe ihrer tatsächlichen
Aufwendungen, sondern nur in abgesenkter Höhe auf Basis der
maximal angemessenen Wohnfläche und des höchstzulässigen
Energieverbrauchs. Von April 2011 bis März 2012 zahlten sie an den
Gasversorger monatliche Abschläge in Höhe von insgesamt 1488
Euro. Das beklagte Jobcenter bewilligte durch die von ihm
herangezogene Gemeinde R in diesem Zeitraum Leistungen für
Heizung in Höhe von 942,48 Euro, zuzüglich Leistungen für zentrale
Warmwassererzeugung in Höhe von 149,37 Euro; insgesamt
1091,85 Euro. Am 23.4.2012 ging auf dem Konto der Klägerin ein
vom Gasversorger überwiesener Betrag von 550,87 Euro ein, der auf
der Schlussabrechnung vom 19.4.2012 beruhte, nach der im
Abrechnungszeitraum von April 2011 bis März 2012 für Heizung und
Warmwasser 937,13 Euro aufzuwenden waren. Im Mai 2012
betrugen die tatsächlichen Aufwendungen der Klägerin und ihres
Sohnes für Unterkunft 416,25 Euro (265,02 Euro Schuldzinsen,
133,23 Euro Steuern und Abgaben, 18 Euro Sielachtbeitrag) und für
Heizung 120 Euro (Abschlag an Gasversorger); insgesamt 536,25
Euro.
3
Der Beklagte hob nach Anhörung die der Klägerin für Mai 2012
bewilligten Leistungen teilweise in Höhe von 275,43 Euro auf und
forderte insoweit Erstattung (Bescheid vom 11.9.2012). Dem
Widerspruch gab der Beklagte teilweise statt und reduzierte die
Aufhebung und Erstattung auf 217,23 Euro; im Übrigen wies er den
Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 21.11.2012). Für
den Umfang der teilweisen Aufhebung sei nicht die hälftige Höhe der
Rückzahlung, sondern die Höhe der bei der Klägerin für Unterkunft
und Heizung berücksichtigten Bedarfe maßgebend. Das SG hat die -
ursprünglich von der Klägerin und ihrem Sohn, gegenüber dem
ebenfalls eine Teilaufhebung und Erstattungsforderung ergingen -
angefochtenen Bescheide abgeändert und den auf die Leistungen
beider anzurechnenden Betrag auf insgesamt 5,35 Euro beschränkt
(Gerichtsbescheid vom 22.4.2015): § 22 Abs 3 SGB II aF sei dahin
auszulegen, dass eine Aufhebung und Erstattung nicht stattfinde,
soweit Heizkostenabschläge aus dem Regelbedarf getragen worden
seien. Das LSG hat den Gerichtsbescheid des SG auf die von diesem
zugelassene und nur vom Beklagten eingelegte Berufung abgeändert
sowie die Bescheide insoweit abgeändert, als die Erstattung für die
Klägerin und ihren Sohn auf jeweils 77,36 Euro beschränkt ist
(Urteil vom 31.5.2017): Die Rechtsauffassung des SG werde geteilt,
zu korrigieren sei nur ein Berechnungsfehler. § 22 Abs 3 SGB II aF
ziele nach seinem Sinn und Zweck nicht auf die Anrechnung von
Rückzahlungen ab, die Leistungsberechtigte aus ihrem Regelbedarf
erwirtschaftet hätten. § 22 Abs 3 SGB II nF regele insoweit nur
ausdrücklich, was bereits zuvor gegolten habe.
4
Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Beklagte die
Verletzung des § 22 Abs 3 SGB II aF. Dieser enthalte eine
typisierende Ausgestaltung, die auf die Aufbringung der Mittel im
Einzelnen nicht abstelle. Abzustellen sei vielmehr auf die aktuelle
Bedarfslage im Zeitpunkt der Berücksichtigung der Rückzahlung, wie
dies spiegelbildlich auch für die Berücksichtigung von
Nachzahlungen gelte. Anderes gelte erst seit 1.8.2016 aufgrund von
§ 22 Abs 3 SGB II nF.
5
Nach einem Unterwerfungsvergleich hinsichtlich des Sohnes
beantragt der Beklagte,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen
vom 31. Mai 2017 und den Gerichtsbescheid des
Sozialgerichts Aurich vom 22. April 2015 zu ändern und die
Klage insgesamt abzuweisen.
6
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
7 Die zulässige Revision des Beklagten ist begründet
(§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG). Entgegen den Entscheidungen der
Vorinstanzen ist der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid
gegenüber der Klägerin in vollem Umfang rechtmäßig.
8
1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den
vorinstanzlichen Entscheidungen der Bescheid des Beklagten vom
11.9.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.11.2012,
der auf die - vom SG zugelassene - Berufung nur des Beklagten
vom LSG insoweit abgeändert worden ist, als die Erstattung der für
Mai 2012 der Klägerin erbrachten Leistungen auf 77,36 Euro
beschränkt ist, und damit letztlich das Begehren des Beklagten, die
statthafte reine Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG) gegen
diese Bescheide insgesamt abzuweisen. Durch diese ist die Alg II-
Bewilligung für die Klägerin für Mai 2012 in Höhe von 217,23 Euro
teilweise aufgehoben und insoweit Erstattung gefordert worden.
Nicht mehr streitig im Revisionsverfahren ist nach dem Teilvergleich
der Beteiligten vor dem Senat die Teilaufhebung und
Erstattungsforderung gegenüber dem Sohn der Klägerin.
9 2. Das Jobcenter des Landkreises Leer ist der richtige Beklagte.
Soweit Bescheide nicht von diesem selbst, sondern von der
Gemeinde R erlassen worden sind, liegt dem weder eine
abweichende Trägerschaft für Leistungen der Grundsicherung für
Arbeitsuchende noch eine Wahrnehmungszuständigkeit der
Gemeinde zugrunde
(vgl zu einer solchen BSG vom 28.10.2014 - B 14 AS 65/13 R -
BSGE 117, 186 = SozR 4-4200 § 7 Nr 39, RdNr 9 f)
. Die Gemeinde ist vom Beklagten zur Durchführung der diesem als
zugelassenen kommunalen Träger nach § 6a SGB II
(Anlage zu § 1 der Kommunalträger-Zulassungsverordnung)
obliegenden Aufgaben nur in dessen Namen und Auftrag
herangezogen worden
(§ 3 Abs 1 Niedersächsisches Gesetz zur Ausführung des Zweiten
Buchs des Sozialgesetzbuchs und des § 6b des
Bundeskindergeldgesetzes vom 16.9.2004 ;
§ 1 Abs 1 der Heranziehungsvereinbarung SGB II/SGB XII zwischen
dem Landkreis und Gemeinden des Landkreises vom 25.11.2010)
.
10
3. Der nach Anhörung (§ 24 Abs 1 SGB X) ergangene Aufhebungs-
und Erstattungsbescheid ist in formeller Hinsicht nicht zu
beanstanden
(dazu, dass eine Anhörung aufgrund von § 24 Abs 2 Nr 5 SGB X
nicht erforderlich war, vgl BSG vom 16.10.2012 - B 14 AS 188/11 R -
BSGE 112, 85 = SozR 4-4200 § 11 Nr 55, RdNr 8)
. Der Bescheid vom 11.9.2012 ist zudem inhaltlich hinreichend
bestimmt
(§ 33 Abs 1 SGB X; zu den Anforderungen vgl zuletzt BSG vom
25.10.2017 - B 14 AS 9/17 R - vorgesehen für SozR 4-1300 § 45 Nr
19, RdNr 17)
, denn der Aufhebungsverwaltungsakt bezeichnet im
Verfügungssatz mit dem Bescheid vom 9.11.2011 und
Änderungsbescheiden Bewilligungen, die für Mai 2012 teilweise
aufgehoben werden, und der Erstattungsverwaltungsakt beziffert im
Verfügungssatz eine Rückforderung in Höhe von 275,43 Euro,
insoweit korrigiert durch den Widerspruchsbescheid vom 21.11.2012
durch Reduzierung des Aufhebungs- und Erstattungsumfangs auf
217,23 Euro.
11
4. Der Aufhebungsverwaltungsakt ist materiell rechtmäßig. Nach
dem vorliegend anzuwendenden § 22 Abs 3 SGB II aF (dazu 5.)
hatte die Klägerin im Mai 2012 keinen Anspruch auf die ihr
bewilligten Bedarfe für Unterkunft und Heizung wegen der ihr im April
2012 vom Gasversorger zugeflossenen Rückzahlung ungeachtet
der Übernahme nur abgesenkter Leistungen im
Abrechnungszeitraum (dazu 6.). Dies überschreitet weder die
Grenzen zulässiger Typisierung (dazu 7.) noch steht dem § 11a Abs
1 Nr 1 SGB II entgegen (dazu 8.). § 22 Abs 3 SGB II nF stellt
insoweit eine echte Rechtsänderung dar, die hier keine Anwendung
findet (dazu 9.).
12
5. Rechtsgrundlage ist in verfahrensrechtlicher Hinsicht § 40 Abs 1
Satz 1 und Abs 2 Nr 3 SGB II iVm § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X
sowie § 330 Abs 3 Satz 1 SGB III
(§ 40 SGB II idF der Bekanntmachung vom 13.5.2011, BGBl I 850;
zur Maßgeblichkeit des im Zeitpunkt der Aufhebung geltenden
Rechts vgl letztens BSG vom 7.12.2017 - B 14 AS 7/17 R -
vorgesehen für SozR 4-4200 § 7 Nr 55, RdNr 10)
. Rechtsgrundlage in materiell-rechtlicher Hinsicht ist § 22 Abs 3
SGB II in der im Mai 2012 geltenden Fassung
(Bekanntmachung vom 13.5.2011, BGBl I 850 = aF), nicht in der
zum Zeitpunkt der Revisionsentscheidung geltenden, am 1.8.2016
in Kraft getretenen Fassung
(Neuntes Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches
Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - sowie zur
vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom
26.7.2016, BGBl I 1824 = nF)
, weil sich § 22 Abs 3 SGB II nF keine Rückwirkung für vergangene
Zeiträume beimisst und auch die einschlägige Übergangsvorschrift
des § 80 SGB II keine Rückwirkung für § 22 Abs 3 SGB II nF regelt
(Geltungszeitraumprinzip, vgl BSG vom 19.10.2016 - B 14 AS 53/15
R - SozR 4-4200 § 11 Nr 78 RdNr 14 f)
. Aufgrund dieser Vorschriften ist die Alg II-Bewilligung für Mai 2012
aufzuheben, soweit nach ihrem Erlass Einkommen erzielt worden
ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt
haben würde. Als eine solche Änderung in den Verhältnissen der
Klägerin iS des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X kommt vorliegend
allein die ihr im April 2012 zugeflossene Rückzahlung von
Vorauszahlungen an den Gasversorger (im Folgenden:
Heizkostenrückzahlung) in Betracht.
13
6. Im Mai 2012 hatte die Klägerin keinen Anspruch auf die ihr zuvor
bewilligten Bedarfe für Unterkunft und Heizung wegen der nach § 22
Abs 3 SGB II aF in diesem Monat zu berücksichtigenden
Heizkostenrückzahlung im April 2012. Denn ein auf den Alg II-
Anspruch anzurechnendes Einkommen sind auch die
unterkunftsbezogenen Rückzahlungen und Guthaben nach § 22
Abs 3 SGB II aF
(vgl BSG vom 12.12.2013 - B 14 AS 83/12 R - SozR 4-4200 § 22 Nr
74 RdNr 10 mwN)
.
14
a) Nach § 22 Abs 3 SGB II aF mindern Rückzahlungen und
Guthaben, die dem Bedarf für Unterkunft und Heizung zuzuordnen
sind, die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem
Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift; Rückzahlungen, die
sich auf die Kosten für Haushaltsenergie beziehen, bleiben außer
Betracht.
15
b) Die streitige Heizkostenrückzahlung ist iS des § 22 Abs 3
Halbsatz 1 SGB II aF dem Bedarf für Unterkunft und Heizung
zuzuordnen. Hierfür kommt es nicht darauf an, in welcher Höhe
tatsächliche Aufwendungen der Klägerin für Unterkunft und Heizung
als Bedarfe nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II anerkannt worden sind. §
22 Abs 3 SGB II aF knüpft nicht hieran, sondern an § 19 Abs 1 Satz
3 SGB II an, nach dem die Alg II-Leistungen den Regelbedarf,
Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung
(einschließlich zentraler Warmwassererzeugung) umfassen, und an
§ 19 Abs 3 Satz 2 SGB II, wonach zu berücksichtigendes
Einkommen und Vermögen zunächst die Bedarfe nach den §§ 20,
21 und 23 SGB II deckt und darüber hinaus die Bedarfe nach § 22
SGB II. Für die Anwendung des § 22 Abs 3 SGB II aF kommt es nur
auf diese Unterscheidung der Bedarfe an.
16
Anderes folgt nicht aus dem von der Vorgängerregelung in § 22 Abs
1 Satz 4 SGB II
(idF des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für
Arbeitsuchende vom 20.7.2006, BGBl I 1706)
abweichenden Wortlaut ("Rückzahlungen und Guthaben, die den
Kosten für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, mindern die
nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift entstehenden
Aufwendungen; Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für
Haushaltsenergie beziehen, bleiben insoweit außer Betracht.").
Vielmehr entspricht § 22 Abs 3 SGB II aF inhaltlich dieser
Vorgängerregelung und passte diese nur sprachlich an die
Änderung des § 19 SGB II an, die ihrerseits insoweit nur
sprachlicher ("Bedarf" statt "Kosten" für Unterkunft und Heizung) und
nicht inhaltlicher Art war (BT-Drucks 17/3404, S 97 f).
17
Die Anwendung des § 22 Abs 3 SGB II aF ist vorliegend auch nicht
durch seinen Halbsatz 2 ausgeschlossen, weil die
Heizkostenrückzahlung sich nicht auf die Kosten der
Haushaltsenergie (Stromkosten) bezieht.
18
c) Die der Klägerin im April 2012 zugeflossene
Heizkostenrückzahlung mindert nach § 22 Abs 3 SGB II aF ihre
Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Mai 2012. Die
Berücksichtigung dieser Minderung ist nicht von vornherein auf die
Heizkostenaufwendungen der Klägerin im Mai 2012 begrenzt, denn
§ 22 Abs 3 SGB II aF sieht insoweit keine isolierte Minderung nur
von Aufwendungen für die Unterkunft einerseits und für die Heizung
andererseits je nach Herkunft der Rückzahlung vor.
19
d) Die Rückzahlung ist vor ihrer Berücksichtigung nicht zu
reduzieren. Zwar mindern Rückzahlungen und Guthaben den
Anspruch auf Alg II nur dann mit ihrem vollen Betrag, wenn die
tatsächlichen Aufwendungen der Leistungsberechtigten für
Unterkunft und Heizung durch den hierauf entfallenden Alg II-Anteil
vollständig gedeckt waren. Wurden dagegen wegen
Unangemessenheit der Aufwendungen nur abgesenkte Leistungen
für Unterkunft und Heizung erbracht, mindern Rückzahlungen und
Guthaben den Alg II-Anspruch nur um den Betrag, der nach ihrer
Anrechnung auf die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und
Heizung verbleibt
(vgl BSG vom 12.12.2013 - B 14 AS 83/12 R - SozR 4-4200 § 22 Nr
74 RdNr 11 ff)
. Dies führt vorliegend jedoch nicht zu einer Beschränkung der
Minderung, weil die Rückzahlung nicht nur die vom Beklagten im
Mai 2012 erbrachten abgesenkten Leistungen für Unterkunft und
Heizung überschritt, sondern auch die tatsächlichen Aufwendungen
der Klägerin. Diese betrugen für sie und ihren Sohn insgesamt
536,25 Euro, die Rückzahlung betrug dagegen 550,87 Euro, sodass
im Mai 2012 ein kopfteiliger Bedarf der Klägerin für Unterkunft und
Heizung nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II nicht bestand, ihr aber der
sowohl die erbrachten abgesenkten Leistungen als auch die
tatsächlichen Aufwendungen übersteigende Rückzahlungsbetrag
verblieb.
20
e) Der streitigen Minderung steht nicht entgegen, dass im
Abrechnungszeitraum nicht die tatsächlichen Aufwendungen der
Klägerin für Unterkunft und Heizung als Bedarfe nach § 22 Abs 1
Satz 1 SGB II anerkannt worden sind. Hierauf kommt es nach dem
Wortlaut des § 22 Abs 3 SGB II aF nicht an. Dem liegt zugrunde,
dass durch § 22 Abs 3 SGB II aF vermieden werden soll,
unterkunftsbezogene Rückzahlungen und Guthaben als
Einkommen nach den allgemeinen Regelungen in §§ 11 ff SGB II zu
berücksichtigen
(zu Modifikationen im Einzelnen vgl BSG vom 22.3.2012 - B 4 AS
139/11 R - BSGE 110, 294 = SozR 4-4200 § 22 Nr 55, RdNr 14 ff)
, weil hiervon aufgrund § 19 Abs 3 Satz 2 SGB II zunächst der Bund
profitieren würde, obwohl die überzahlten Beträge im Regelfall von
den Kommunen aufgebracht worden sind; Einkommen aus
unterkunftsbezogenen Rückzahlungen und Guthaben sind deshalb
ausschließlich dem Bedarfsermittlungsregime des § 22 SGB II zu
unterstellen und unmittelbar von den Aufwendungen für Unterkunft
und Heizung abzusetzen, damit es im Ergebnis zu einer Entlastung
der kommunalen Träger kommt
(vgl BT-Drucks 16/1696 <§ 22 Abs 1 Satz 4 SGB II>, S 26 f; vgl auch
BSG vom 12.12.2013 - B 14 AS 83/12 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 74
RdNr 12)
. Diesem Gesetzeszweck entspricht es, bei der Minderung der
Aufwendungen für Unterkunft und Heizung durch
unterkunftsbezogene Rückzahlungen und Guthaben nicht danach
zu differenzieren, in welcher Höhe im Abrechnungszeitraum
tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung vom
Jobcenter als Bedarfe nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II anerkannt
worden sind.
21
Für diese Typisierung spricht zudem, dass § 22 Abs 3 SGB II aF
nach seinem Wortlaut nicht darauf abstellt, von wem die
unterkunftsbezogenen Vorauszahlungen im Abrechnungszeitraum
aufgebracht worden sind und auf wen demgemäß die Rückzahlung
zu welchem Anteil entfällt
(vgl BSG vom 16.5.2012 - B 4 AS 132/11 R - SozR 4-4200 § 22 Nr
60 RdNr 19; BSG vom 22.3.2012 - B 4 AS 139/11 R - BSGE 110,
294 = SozR 4-4200 § 22 Nr 55, RdNr 19 f; BSG vom 12.12.2013 - B
14 AS 83/12 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 74 RdNr 15)
. Entscheidend ist nicht, wie das Einkommen aus der Rückzahlung
erwirtschaftet wurde, sondern abzustellen ist auf die Verhältnisse im
Zeitpunkt der Berücksichtigung. § 22 Abs 3 SGB II aF differenziert
weder nach dem wirtschaftlichen Ursprung der Rückzahlungen noch
nach den Zeiträumen ihrer Entstehung. Genauso wie
Rückzahlungen, die aus Zahlungen in Zeiträumen stammen, in
denen keine Hilfebedürftigkeit bestand, zu berücksichtigen sind, ist
es unerheblich, wer diese Zahlungen geleistet hat.
22
7. Dass es für die Minderung der Aufwendungen für Unterkunft und
Heizung durch Berücksichtigung der Heizkostenrückzahlung im Mai
2012 grundsicherungsrechtlich ohne Bedeutung ist, aus welchen
Mitteln die Klägerin die Heizkostenvorauszahlungen im
Abrechnungszeitraum wegen der insoweit nur abgesenkten
Leistungsbewilligung aufgebracht hat, überschreitet nicht die
Grenzen zulässiger Typisierung
(vgl zur Typisierung im Existenzsicherungsrecht nur BVerfG vom
9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr
12, juris RdNr 205; BSG vom 20.2.2014 - B 14 AS 65/12 R - SozR 4-
4200 § 21 Nr 17 RdNr 12)
. Hinter § 22 Abs 3 SGB II aF steht das normative Konzept der
Hilfebedürftigkeit
(§ 2 Abs 1 Satz 1, § 3 Abs 3, § 9 Abs 1 SGB II; vgl dazu BSG vom
1.12.2016 - B 14 AS 28/15 R - juris, RdNr 28 f)
, das insgesamt prägend für das SGB II ist: Wenn und soweit
Leistungsberechtigte aus unterkunftsbezogenen Rückzahlungen
ihre Aufwendungen für Unterkunft und Heizung selbst bestreiten
können, sind sie insoweit nicht hilfebedürftig; das Jobcenter ist
insoweit nicht zur Erbringung von Leistungen verpflichtet. § 22 Abs 3
SGB II aF dient so weder allein der Verwaltungsvereinfachung,
sondern folgt dem Hilfebedürftigkeitskonzept des SGB II, noch führt
die Vorschrift zu einer verfassungsrechtlich nicht hinnehmbaren
Bedarfsunterdeckung, sondern berücksichtigt den Zufluss von zur
Bedarfsdeckung zur Verfügung stehenden bereiten Mitteln. Vor
diesem Hintergrund besteht kein Anlass, die Typisierung des § 22
Abs 3 SGB II aF bei abgesenkten Leistungen für Unterkunft und
Heizung im Abrechnungszeitraum nicht durchgreifen zu lassen
(offen gelassen in BSG vom 16.5.2012 - B 4 AS 132/11 R - SozR 4-
4200 § 22 Nr 60 RdNr 19; im Ergebnis ebenso zu § 22 Abs 3 SGB II
aF Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, K § 22 RdNr 210 f, Stand Oktober
2012; Lauterbach in Gagel, SGB II/SGB III, § 22 SGB II RdNr 96,
Stand Oktober 2016; Luik in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 22 RdNr
144, 148; aA Adolph in Adolph, SGB II/SGB XII/AsylbLG, § 22 SGB
II RdNr 112 f, Stand Januar 2017; Berlit in LPK-SGB II, 5. Aufl 2013,
§ 22 RdNr 119, 122; Boerner in Harich, Handbuch der
Grundsicherung für Arbeitsuchende, 2014, Stichwort "Guthaben und
Rückzahlungen" RdNr 9; Piepenstock in jurisPK-SGB II, 4. Aufl
Rückzahlungen" RdNr 9; Piepenstock in jurisPK-SGB II, 4. Aufl
2015, § 22 RdNr 166)
.
23
Dies steht im Einklang damit, dass Jobcenter spiegelbildlich auch für
solche Nachforderungen aus Heizkostenabrechnungen Leistungen
nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II zu erbringen haben, die sich auf
Zeiträume beziehen, in denen Leistungen nach dem SGB II nicht
beantragt waren und Hilfebedürftigkeit nicht bestand. Abzustellen ist
auch insoweit auf die Verhältnisse in dem Zeitpunkt, in dem die
Nachforderung tatsächlich anfällt
(vgl hierzu näher BSG vom 24.11.2011 - B 14 AS 121/10 R - SozR
4-4200 § 22 Nr 58 RdNr 15; BSG vom 22.3.2012 - B 4 AS 139/11 R -
BSGE 110, 294 = SozR 4-4200 § 22 Nr 55, RdNr 20; BSG vom
25.6.2015 - B 14 AS 40/14 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 83 RdNr 14 ff;
BSG vom 30.3.2017 - B 14 AS 13/16 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 92
RdNr 15)
. Und ebenso spiegelbildlich verbleiben Rückzahlungen
unterkunftsbezogener Vorauszahlungen dann bei deren
Empfängern, wenn die Vorauszahlungen zwar im
Abrechnungszeitraum vom Jobcenter übernommen worden waren,
der ehemals leistungsberechtigte Empfänger im Zeitpunkt der
Rückzahlung aber nicht mehr im Leistungsbezug ist. Entscheidend
für die grundsicherungsrechtliche Berücksichtigung sind jeweils nur
die Verhältnisse im Zeitpunkt der Nachforderung wie der
Rückzahlung.
24
Auf die Wirkungen dieser zulässigen Typisierung konnte sich die
Klägerin auch einrichten: Aufgrund der seit Juli 2010 nach einem
Kostensenkungsverfahren vom Beklagten nur noch in abgesenkter
Höhe übernommenen Heizkosten bestanden für sie
Handlungsmöglichkeiten, die Lücke zwischen tatsächlichen und als
angemessen anerkannten Kosten zu schließen oder sich auf diese
und ihre möglichen Folgen einzustellen.
25
8. Einer Berücksichtigung der Heizkostenrückzahlung steht § 11a
Abs 1 Nr 1 SGB II nicht entgegen (anders
für Rückzahlungen und Guthaben von
Stromkostenvorauszahlungen BSG vom 23.8.2011 - B 14 AS
185/10 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 42 RdNr 13 ff)
. Denn auch insoweit geht die spezialgesetzliche Bestimmung des §
22 Abs 3 SGB II aF vor. Diese enthält für Rückzahlungen und
Guthaben von Heizkostenvorauszahlungen, die anders als
Stromkostenvorauszahlungen nicht in die Ermittlung des
pauschalierten Regelbedarfs nach § 20 SGB II Eingang gefunden
haben, ein von den allgemeinen Regelungen in § 19 Abs 3 Satz 2
iVm §§ 11 ff SGB II abweichendes Berücksichtigungsregime:
Werden nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II nicht die tatsächlichen,
sondern nur abgesenkte Heizkosten vom Jobcenter übernommen
und werden die darüber hinausgehenden tatsächlichen
Aufwendungen vom Leistungsberechtigten (auch) aus dem
Regelbedarf aufgebracht, gehen Rückzahlungen und Guthaben
insoweit nicht zulasten des pauschalierten Regelbedarfs nach § 20
SGB II, sondern mindern ausschließlich die Aufwendungen für
Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II. Dieser
Unterschied rechtfertigt es, bei Anwendung des § 22 Abs 3 SGB II
aF (auch) aus dem Regelbedarf aufgebrachte
Heizkostenvorauszahlungen bei ihrer Rückzahlung nicht
unberücksichtigt zu lassen
(vgl zu diesem Unterschied bereits vgl BSG vom 23.8.2011 - B 14
AS 185/10 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 42 RdNr 22 f; aA Nippen,
ZFSH/SGB 2014, 71, 75 f; zum begrenzten Zweck des § 11a Abs 1
Nr 1 SGB II vgl zuletzt BSG vom 12.10.2017 - B 4 AS 19/16 R -
vorgesehen für SozR 4, RdNr 28 ff)
.
26
9. Für die streitige Aufhebung folgen keine anderen rechtlichen
Maßstäbe daraus, dass nach § 22 Abs 3 SGB II nF Rückzahlungen,
die sich auf nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und
Heizung beziehen, außer Betracht bleiben. Denn hierbei handelt es
sich nach dem Vorstehenden um eine echte Rechtsänderung.
Davon gehen auch die Gesetzesmaterialien aus
(BT-Drucks 18/8041, S 40). Dies verdeutlicht zudem § 82 Abs 1 Satz
2 SGB XII
(idF des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur
Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom
24.3.2011, BGBl I 453)
, wonach Einkünfte aus Rückerstattungen, die auf Vorauszahlungen
beruhen, die Leistungsberechtigte aus dem Regelsatz erbracht
haben, kein Einkommen sind
(vgl zu den Motiven BT-Drucks 17/3404, S 128 f). Denn die in
demselben Gesetz enthaltene Neufassung des § 22 Abs 3 SGB II
aF enthielt diese Einschränkung für aus dem Regelbedarf
aufgebrachte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nicht,
sondern entsprach inhaltlich der Vorgängerregelung in § 22 Abs 1
Satz 4 SGB II.
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10. Rechtsgrundlage des Erstattungsverwaltungsakts ist § 40 Abs 1
Satz 1 SGB II iVm § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X. Danach sind bereits
erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt
aufgehoben worden ist. Dies ist dem Aufhebungsverwaltungsakt zu
entnehmen, mit dem der Erstattungsverwaltungsakt in einem
Bescheid verbunden worden ist, und nach dem die Alg II-Bewilligung
für Mai 2012 teilweise aufgehoben worden ist. Die hieran
anknüpfende Erstattungsforderung in Höhe der für Mai 2012 der
Klägerin bewilligten Leistungen für Unterkunft und Heizung (217,23
Euro) ist rechtmäßig.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG. Der
Teilkostenerstattung für das Widerspruchsverfahren liegt zugrunde,
dass der Beklagte in diesem die Aufhebung und Erstattung reduziert
und damit dem Widerspruch teilweise abgeholfen hatte
(vgl § 63 SGB X).