Urteil des BSG vom 14.02.2018

Urteil vom 14.02.2018

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 14.2.2018, B 14 AS 12/17
R
ECLI:DE:BSG:2018:140218UB14AS1217R0
Tenor
Auf die Revision der Klägerin werden die Urteile des
Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 18.
Oktober 2016 und des Sozialgerichts Neubrandenburg vom 18.
Dezember 2013 sowie der Mahngebührenbescheid der
Beklagten vom 28. Februar 2013 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 3. Mai 2013 aufgehoben.
Die Beklagte hat der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits für
alle drei Instanzen zu erstatten.
Tatbestand
1
Umstritten ist die Erhebung einer Mahngebühr durch die beklagte
Bundesagentur für Arbeit.
2
Die Klägerin wurde durch bestandskräftig gewordene Bescheide des
Jobcenters Uecker-Randow - inzwischen abgelöst durch das
Jobcenter Greifswald-Süd - zur Erstattung von Leistungen nach dem
SGB II verpflichtet. Anschließend wurde sie von der Beklagten
gemahnt und zur Zahlung von 188,12 Euro unter Einschluss einer
zugleich festgesetzten Mahngebühr von 1,20 Euro aufgefordert
(Mahngebührenbescheid vom 28.2.2013). Den Widerspruch gegen
die Gebührenerhebung mit dem Einwand der fehlenden Zuständigkeit
wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 3.5.2013).
3
Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 18.12.2013), das LSG
hat die vom SG zugelassene Berufung zurückgewiesen
(Urteil vom 18.10.2016): Der Mahngebührenbescheid sei rechtmäßig.
Insbesondere sei die Beklagte nach einer vom Geschäftsführer des
Jobcenters Uecker-Randow mit ihr für die Jahre 2012 bis 2014
abgeschlossenen Vereinbarung für die Mahnung offener
Forderungen des Jobcenters zuständig gewesen. Die Vereinbarung
habe ua das "Inkasso" umfasst, wozu nach dem "Serviceportfolio
2012" der Beklagten ab der Zahlungsgestörtheit einer Forderung
sämtliche im Einziehungsverfahren notwendigen Aufgaben gehört
hätten. Das habe die Trägerversammlung des Jobcenters mit dem
Finanzplan für 2012 mit der Einstellung von 48 000 Euro für die
Serviceleistung "Inkasso (einschließlich Zahlungsverkehr)"
mindestens konkludent beschlossen.
4
Mit ihrer vom BSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die
Verletzung ua des § 44c SGB II, der §§ 53, 33 SGB X sowie der §§ 3,
19 VwVG. Die Trägerversammlung des Jobcenters habe keinen
formell und materiell wirksamen Beschluss zur Übertragung des
Forderungseinzugs an die Beklagte gefasst.
5
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom
18. Oktober 2016 und des Sozialgerichts Neubrandenburg vom 18.
Dezember 2013 sowie den Mahngebührenbescheid vom 28. Februar
2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. Mai 2013
aufzuheben.
6
Die Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
7
Die zulässige Revision der Klägerin ist begründet
(§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG). Zu Unrecht hat das LSG die Beklagte im
hier maßgebenden Zeitraum als zuständig für die Mahnung offener
Forderungen des Jobcenters Uecker-Randow und demzufolge zur
Erhebung der angefochtenen Mahngebühr als befugt angesehen.
8 1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den
vorinstanzlichen Entscheidungen der Bescheid vom 28.2.2013 in
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3.5.2013, durch den die
Beklagte gegenüber der Klägerin eine Mahngebühr iHv 1,20 Euro
festgesetzt hat. Hiergegen wendet sich die Klägerin statthaft mit der
reinen Anfechtungsklage
(§ 54 Abs 1 Satz 1 Alternative 1 SGG; zur Qualifizierung der
Festsetzung von Mahngebühren als Verwaltungsakt vgl nur BSG
vom 26.5.2011 - B 14 AS 54/10 R - BSGE 108, 229 = SozR 4-4200
§ 44b Nr 3, RdNr 14 mwN; ebenso BSG vom 2.11.2012 - B 4 AS
97/11 R - juris, RdNr 17)
.
9 2. Geschäftsplanmäßig zuständig für die Entscheidung des
Rechtsstreits ist der erkennende 14. Senat des BSG. Ob die
Beklagte unter Berufung auf ihr nach dem SGB II übertragene
Zuständigkeiten die Zahlung der vom Jobcenter Uecker-Randow
festgesetzten Erstattungsforderung anmahnen und infolgedessen
die streitbefangene Mahngebühr erheben durfte, betrifft
Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende und nicht
der Arbeitsförderung einschließlich der übrigen Aufgaben der
Bundesagentur für Arbeit, für die der 11. Senat des BSG zuständig
ist, weil sie insoweit Kompetenzen allein nach dem SGB II
beansprucht.
10
3. Der Sachentscheidung des Senats entgegenstehende
prozessuale Hindernisse bestehen nicht. Insbesondere stand der
streitbefangenen Berufungsentscheidung nicht die Wertgrenze des
§ 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG entgegen, nachdem die Berufung
gegen die erstinstanzliche Entscheidung vom SG zugelassen
worden war. Ebenfalls ist kein Fall einer von Amts wegen im
Revisionsverfahren zu berücksichtigenden unterbliebenen
notwendigen Beiladung gemäß § 75 Abs 2 Alternative 1 SGG
gegeben, weil die gerichtliche Entscheidung über den
Mahngebührenbescheid gegenüber der Beklagten und dem
Jobcenter als einer gemeinsamen Einrichtung nicht nur einheitlich
ergehen kann; insoweit besteht allenfalls ein wirtschaftliches
Interesse der gemeinsamen Einrichtung am Verfahrensausgang,
ohne dass in diesem Verhältnis Rechte zwangsläufig und
unmittelbar festgestellt oder verändert werden
(vgl BSG vom 26.5.2011 - B 14 AS 54/10 R - BSGE 108, 229 =
SozR 4-4200 § 44b Nr 3, RdNr 12)
.
11
4. Als Rechtsgrundlage des Mahngebührenbescheids kommt nur in
Betracht § 40 Abs 6 Halbsatz 1 SGB II
(hier idF der Bekanntmachung vom 13.5.2011, BGBl I 850) iVm § 19
Abs 2 VwVG
(in der bis zum 28.11.2014 geltenden Fassung des
Kostenermächtigungs-Änderungsgesetzes vom 25.6.1970, BGBl I
805)
sowie § 3 Abs 3 VwVG. Hiernach wird eine Mahngebühr nach § 19
Abs 2 VwVG erhoben, sofern sich die Vollstreckung nach dem
VwVG richtet, weil sie - wie hier - eine Forderung von in einer
gemeinsamen Einrichtung zusammenwirkenden SGB II-Trägern und
nicht die eines zugelassenen kommunalen Trägers betrifft
(§ 40 Abs 6 Halbsatz 1 SGB II)und die zur Geltendmachung des
Anspruchs befugte Behörde als Voraussetzung für die Anordnung
der Vollstreckung den Schuldner gestützt auf § 3 Abs 3 VwVG
besonders gemahnt hat.
12
Darauf kann sich der Mahngebührenbescheid hier nicht stützen, weil
die Beklagte im Außenverhältnis zur Klägerin weder aufgrund
ausdrücklicher gesetzlicher Zuweisung noch aufgrund einer
wirksamen Delegation zur Geltendmachung der vom Jobcenter
Uecker-Randow festgesetzten Erstattung zu
vollstreckungsrelevanten Maßnahmen sachlich zuständig war.
13
5. Hat die gemeinsame Einrichtung eine abweichende
Zuständigkeitsbestimmung nach § 44b Abs 4 SGB II nicht getroffen
(dazu 6. bis 9.), ist sie zur Einleitung einer Vollstreckung nach dem
VwVG nur selbst ermächtigt.
14
a) Wie der Senat bereits ausgeführt hat, ist bei der Vollstreckung von
Forderungen gemeinsamer Einrichtungen zu unterscheiden
zwischen ihrer Durchführung im Außenverhältnis und der Einleitung
durch den zuständigen Träger
(BSG vom 25.6.2015 - B 14 AS 38/14 R - BSGE 119, 170 = SozR 4-
1300 § 63 Nr 23, RdNr 14 und 16)
. Zuständig im Außenverhältnis zum Schuldner sind die
Hauptzollämter als insoweit zuständige Vollstreckungsbehörden der
Bundesfinanzverwaltung, derer sich die gemeinsamen
Einrichtungen in Ermangelung einer anderweitigen Zuweisung für
die Vollstreckung von Geldforderungen zu bedienen haben
(§ 40 Abs 6 Halbsatz 1 SGB II iVm
§ 4 Buchst b VwVG, § 249 Abs 1 Satz 3 AO sowie § 1 Nr 4
Finanzverwaltungsgesetz)
. Einzuleiten - und ggf zu überwachen
(vgl BSG vom 25.6.2015 - B 14 AS 38/14 R - BSGE 119, 170 =
SozR 4-1300 § 63 Nr 23, RdNr 18 ff)
- im Innenverhältnis ist dies durch Vollstreckungsersuchen der
gemeinsamen Einrichtung, durch die die Finanzverwaltung im Wege
der Amtshilfe um die Durchführung der Vollstreckung ersucht wird.
Dazu erlässt die ersuchende Stelle eine Vollstreckungsanordnung
nach § 3 Abs 1 Halbsatz 1 VwVG
(zu Wirkung und Qualifizierung vgl näher BSG vom 25.6.2015 - B 14
AS 38/14 R - BSGE 119, 170 = SozR 4-1300 § 63 Nr 23, RdNr 16
mwN)
, sofern die Vollstreckungsvoraussetzungen nach § 3 Abs 2 VwVG
vorliegen und - wie hier streitbefangen - der Schuldner nach § 3 Abs
3 VwVG besonders gemahnt worden ist.
15
b) Zuständig für den Erlass einer Vollstreckungsanordnung ist nach
§ 3 Abs 4 VwVG die Behörde, die den (zu vollstreckenden)
Anspruch geltend machen darf. Das ist im Geltungsbereich des SGB
II gemäß § 44b Abs 1 Satz 2 Halbsatz 1 SGB II grundsätzlich die
gemeinsame Einrichtung, die aus dem zu vollstreckenden
Leistungsbescheid (§ 3 Abs 2 Buchst a VwVG) - hier dem
Erstattungsbescheid des Jobcenters Uecker-Randow - berechtigt
ist. Soweit sie danach "die Aufgaben der Träger nach diesem Buch"
wahrnimmt, sind ihr dadurch ebenso die gesamten operativen
Aufgaben einer einheitlichen Leistungsverwaltung nach dem SGB II
übertragen, wie es der Senat schon der bis zum 31.12.2010
geltenden Zuständigkeitsregelung
(vgl § 44b Abs 3 Satz 1 SGB II aF: "Die Arbeitsgemeinschaft nimmt
die Aufgaben der Agentur für Arbeit als Leistungsträger nach diesem
Buch wahr")
entnommen hatte
(BSG vom 26.5.2011 - B 14 AS 54/10 R - BSGE 108, 229 = SozR 4-
4200 § 44b Nr 3, RdNr 19 mwN).
Nur das entspricht von dem insoweit unveränderten Wortlaut
abgesehen ("die Aufgaben") der Intention des Gesetzgebers, die
Leistungsberechtigten in der gemeinsamen Einrichtung weiterhin nur
an eine Stelle zu verweisen und die SGB II-Träger demzufolge
grundsätzlich alle Aufgaben nach dem SGB II durch sie
wahrnehmen zu lassen
(Grundsatz der Gesamtwahrnehmung; BT-Drucks 17/1555 S 23; vgl
auch BSG vom 24.4.2015 - B 4 AS 39/14 R - BSGE 118, 301 =
SozR 4-4200 § 52 Nr 1, RdNr 14)
.
16
Darauf baut zudem die Öffnungsklausel des § 44b Abs 4 SGB II auf
(hier idF des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisation der
Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 3.8.2010, BGBl I 1112;
nunmehr § 44b Abs 4 Satz 1 SGB II)
, soweit sie eine Übertragung "einzelne(r)" Aufgaben der
gemeinsamen Einrichtung auf ihre Träger erlaubt und hierfür eine
entsprechende Entscheidung voraussetzt; das steht einem
Selbsteintrittsrecht eines der Träger in einzelne Aufgaben der
gemeinsamen Einrichtung ebenfalls weiterhin entgegen
(so bereits zur früheren Rechtslage BSG vom 26.5.2011 - B 14 AS
54/10 R - BSGE 108, 229 = SozR 4-4200 § 44b Nr 3, RdNr 19 mwN;
ebenso Fischer in Estelmann, SGB II, § 44b RdNr 70, Stand
Dezember 2014)
.
17
c) Die grundsätzlich ausschließliche Zuständigkeit der
gemeinsamen Einrichtung nach § 44b Abs 1 Satz 2 Halbsatz 1 SGB
II umfasst auch Mahnungen und Mahngebührenbescheide nach
dem VwVG. Dabei kann offenbleiben, ob öffentlich-rechtlich
begründete Forderungen schon aus Gründen des
Sozialdatenschutzes grundsätzlich nur von dem
Sozialleistungsträger gemahnt werden dürfen, dem sie zustehen.
Denn jedenfalls soweit eine Maßnahme der Vollstreckung dem
VwVG zuzurechnen ist und deshalb eine öffentlich-rechtlich
verliehene Kompetenz voraussetzt, bewirkt sie Rechtsfolgen nur
unter Wahrung der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung; ansonsten
ist sie unwirksam (arg § 40 Abs 3 Nr 1 SGB X).
18
Ungeachtet der fehlenden Förmlichkeit
(vgl zuletzt nur BSG vom 9.3.2016 - B 14 AS 5/15 R - BSGE 121, 49
= SozR 4-1300 § 63 Nr 24, RdNr 20 mwN)
ist deshalb schon die einem Mahngebührenbescheid zugrunde
liegende Mahnung grundsätzlich der gemeinsamen Einrichtung
vorbehalten, da sie - wie die Erhebung der Mahngebühr erweist
(vgl § 19 Abs 2 VwVG) - als Voraussetzung für den Erlass einer
Vollstreckungsanordnung auf die Einleitung der Vollstreckung nach
dem VwVG zielt
(vgl BSG vom 25.6.2015 - B 14 AS 38/14 R - BSGE 119, 170 =
SozR 4-1300 § 63 Nr 23, RdNr 16 mwN)
und bereits insoweit Hoheitsbefugnisse nach dem VwVG
beansprucht werden. Erst recht gilt das kraft der Rechtsform für den
streitbefangenen Mahngebührenbescheid.
19
6. Soll eine von der gemeinsamen Einrichtung grundsätzlich selbst
wahrzunehmende Aufgabe durch einen ihrer Träger ausgeführt
werden, erfordert das einen entsprechenden
Übertragungsbeschluss ihrer Trägerversammlung.
20
a) § 44b Abs 4 SGB II (nunmehr § 44b Abs 4 Satz 1 SGB II)
bestimmt: "Die gemeinsame Einrichtung kann einzelne Aufgaben
auch durch die Träger wahrnehmen lassen." Durch diese mit dem
Gesetz vom 3.8.2010 (BGBl I 1112) eingefügte Öffnungsklausel hat
der Gesetzgeber - anders als nach der Rechtslage zuvor
(zu ihr vgl BSG vom 26.5.2011 - B 14 AS 54/10 R - BSGE 108, 229
= SozR 4-4200 § 44b Nr 3)
- eine ausdrückliche Grundlage dafür geschaffen, nach § 44b Abs 1
Satz 2 Halbsatz 1 SGB II grundsätzlich der gemeinsamen
Einrichtung zugewiesene Aufgaben durch einen ihrer Träger
wahrnehmen zu lassen. Ergänzt durch § 44b Abs 5 SGB II ("Die
Bundesagentur stellt der gemeinsamen Einrichtung Angebote an
Dienstleistungen zur Verfügung.") soll das die Verlagerung von
Aufgaben ermöglichen, die von einem der Grundsicherungsträger
zweckmäßiger auszuführen seien als von der gemeinsamen
Einrichtung selbst (vgl BT-Drucks 17/1555 S 24).
21
b) Die Entscheidung über die Verlagerung von Aufgaben nach § 44b
Abs 4 SGB II obliegt innerorganisatorisch der Trägerversammlung
der gemeinsamen Einrichtung nach § 44c SGB II. Hiernach ist für
jede gemeinsame Einrichtung eine Trägerversammlung zu bilden
(Abs 1 Satz 1), die "über organisatorische, personalwirtschaftliche,
personalrechtliche und personalvertretungsrechtliche
Angelegenheiten der gemeinsamen Einrichtung" zu entscheiden hat
(Abs 2 Satz 1). Dazu rechnen nach § 44c Abs 2 Satz 2 Nr 4 SGB II
jedenfalls ("insbesondere") die "Entscheidungen nach § 6 Abs 1
Satz 2 und § 44b Abs 4, ob einzelne Aufgaben durch die Träger
oder durch Dritte wahrgenommen werden". Ungeachtet der
Ausgestaltung der Aufgabendelegation im Einzelnen obliegt damit
der Trägerversammlung jedenfalls die Entscheidung darüber,
welche Aufgaben dem Grunde nach verlagert werden sollen; ob sie
auch über Modalitäten der Übertragung zu entscheiden hat, bedarf
hier keiner Entscheidung.
22
7. Der Übertragungsbeschluss nach § 44c Abs 2 Satz 2 Nr 4 SGB II
muss so gefasst sein, dass Art und Umfang der zu übertragenden
Aufgaben ihm selbst ohne Weiteres zu entnehmen sind.
23
a) Überträgt eine gemeinsame Einrichtung gestützt auf die
Öffnungsklausel des § 44b Abs 4 SGB II Zuständigkeiten für die
Wahrnehmung gesetzlich grundsätzlich ihr zugewiesener Aufgaben
auf einen ihrer Träger, dann unterliegt sie dabei im Außenverhältnis
zu den betroffenen Leistungsberechtigten denselben Anforderungen
an die Klarheit und Bestimmtheit der Kompetenzzuordnung wie sie
von Verfassungs wegen für Zuständigkeitszuweisungen durch den
Gesetzgeber gelten. Denn auch wenn sich die übernommene
Zuständigkeit aus Sicht des übernehmenden Trägers im
Innenverhältnis zur gemeinsamen Einrichtung nur als
"Serviceleistung" darstellt, werden dafür im Außenverhältnis zu den
Leistungsberechtigten regelmäßig hoheitliche Befugnisse
beansprucht - wie hier für die Vorbereitung der Vollstreckung nach
dem VwVG durch die Mahnung nach dessen § 3 Abs 3 -, bei deren
Zuordnung die rechtsstaatlichen Grundsätze der Normenklarheit
und Widerspruchsfreiheit zu beachten sind
(zu diesen Anforderungen vgl nur BVerfG vom 20.12.2007 - 2 BvR
2433/04, 2 BvR 2434/04 - BVerfGE 119, 331, 378 f = SozR 4-4200 §
44b Nr 1 RdNr 191; BVerfG vom 2.6.2015 - 2 BvE 7/11 - BVerfGE
139, 194 RdNr 109 mwN)
. Macht die gemeinsame Einrichtung von der Möglichkeit der
abweichenden Aufgabenwahrnehmung Gebrauch, muss sie
deshalb für eine hinreichend klare Erkennbarkeit der anderweitigen
Zuständigkeiten Sorge tragen; das verfehlt sie, wenn die
Zuständigkeitsbestimmung eine klare Verantwortungszuordnung
nicht ermöglicht
(vgl zu den Anforderungen an die Klarheit der Kompetenzzuordnung
im Interesse des Bürgers und im Hinblick auf das Demokratieprinzip
nur BVerfG vom 20.12.2007 - 2 BvR 2433/04, 2 BvR 2434/04 -
BVerfGE 119, 331, 366 = SozR 4-4200 § 44b Nr 1 RdNr 157 f mwN)
.
24
b) Innerorganisatorisch ist das bereits von der Trägerversammlung
bei Übertragungsentscheidungen nach § 44c Abs 2 Satz 2 Nr 4
SGB II zu beachten. Da die Übertragungsentscheidung hiernach
ausschließlich von ihr zu treffen ist und die Geschäftsführerin oder
der Geschäftsführer der gemeinsamen Einrichtung entsprechende
Beschlüsse gemäß § 44d Abs 1 Satz 3 SGB II durch
Vereinbarungen mit den übernehmenden Trägern
(vgl BT-Drucks 17/1555 S 24) nur "auszuführen" hat, muss sich
schon aus dem Übertragungsbeschluss der Trägerversammlung in
einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden
Weise ergeben, welche Aufgaben im Einzelnen abweichend von §
44b Abs 1 Satz 2 Halbsatz 1 SGB II durch einen Träger der
gemeinsamen Einrichtung wahrgenommen werden sollen. Das
erfordert ein Maß an Klarheit, das bei der Umsetzung durch die
Geschäftsführung jedes weitere (Auswahl-)Ermessen iS von § 44b
Abs 4 SGB II ("die gemeinsame Einrichtung kann einzelne Aufgaben
... wahrnehmen lassen") zu Gegenstand und Umfang der
Übertragung entbehrlich macht; lässt der Übertragungsbeschluss
die zu übertragende Zuständigkeit nicht ohne Weiteres erkennen,
hat die Trägerversammlung eine wirksame "Entscheidung" iS von §
44c Abs 2 Satz 2 Nr 4 SGB II nicht getroffen.
25
8. Einen diesen Anforderungen genügenden Beschluss zur
Übertragung von Vollstreckungsbefugnissen hat das LSG nicht
festgestellt. Ein ausdrücklicher - als solcher bezeichneter -
Beschluss liegt nach dem Gesamtzusammenhang der - den Senat
bindenden (§ 163 SGG) - Feststellungen des LSG nicht vor und der
Haushaltsbeschluss für das Jahr 2012 entspricht den aufgezeigten
Maßgaben entgegen der Auffassung des LSG nicht; offenbleiben
kann deshalb, ob - was allerdings zweifelhaft erscheinen kann -
Übertragungsbeschlüsse nach § 44c Abs 2 Satz 2 Nr 4 SGB II
überhaupt konkludent getroffen werden können und ob der
Haushaltsplan für das Jahr 2012 die hier streitbefangene
Mahngebühr von Februar 2013 decken könnte.
26
a) Entscheidend für die Wahrung der rechtsstaatlichen
Anforderungen ist insoweit nicht, ob die mit der Beklagten
geschlossene Vereinbarung ihrerseits den Grundsätzen der
Normenklarheit und Widerspruchsfreiheit entspricht. Auch kommt es
nicht darauf an, ob die in Anspruch genommene Kompetenz zur
Mahnung nach § 3 Abs 3 VwVG und darauf gestützt zur Erhebung
einer Mahngebühr nach § 19 Abs 2 VwVG von dem Inkasso-Begriff
im Haushaltsplan des Jobcenters Uecker-Randow gedeckt ist.
Maßgebend ist vielmehr, ob die Trägerversammlung - unterstellt, der
Haushaltsansatz wäre dafür ausreichend - mit der Bezeichnung
"Inkasso (einschließlich Zahlungsverkehr)" eine den Grundsätzen
der Normenklarheit und Widerspruchsfreiheit genügende
Entscheidung iS von § 44c Abs 2 Satz 2 Nr 4 SGB II über die
Kompetenzzuordnung im Bereich des Forderungseinzugs getroffen
hat. Das ist indes nicht der Fall.
27
b) Sollen Zuständigkeiten einer gemeinsamen Einrichtung im
Bereich des Forderungseinzugs in einer den rechtsstaatlichen
Anforderungen genügenden Weise übertragen werden, muss der
Übertragungsentscheidung zweifelsfrei zu entnehmen sein, ob sie
nur die Überwachung und Abwicklung des Zahlungsverkehrs erfasst
oder ob auch Kompetenzen nach dem VwVG zur Mahnung und
Einleitung (und Überwachung) der Vollstreckung einbezogen sind
und wo die Zuständigkeiten für Stundung, Niederschlagung
(vgl dazu nur Hengelhaupt in Hauck/Noftz, K § 44 SGB II, Stand der
Kommentierung November 2004, RdNr 57 mwN)
und Erlass von Forderungen (vgl § 44 SGB II) liegen. Fehlt es daran,
erschwert das schon für die Betroffenen zu erkennen, von wem sie
in welchem Verfahrensstadium in Anspruch genommen werden
(dürfen), an wen sie sich mit Anträgen wenden können und gegen
wen ggf Rechtsmittel zu richten sind. Auch die zur Durchführung der
Vollstreckung zuständigen Stellen der Finanzverwaltung müssen
ohne Weiteres erkennen können, ob die Vollstreckung von einer
dazu nach § 3 Abs 4 VwVG befugten Stelle betrieben wird.
Schließlich stehen Unsicherheiten über die Kompetenzzuordnung
auch der wirksamen Wahrnehmung von Aufsichtsbefugnissen
entgegen
(zu diesem Erfordernis vgl BVerfG vom 20.12.2007 - 2 BvR 2433/04,
2 BvR 2434/04 - BVerfGE 119, 331, 377 f = SozR 4-4200 § 44b Nr 1
RdNr 188 ff mwN)
.
28
c) Dem genügt die Bezeichnung "Inkasso (einschließlich
Zahlungsverkehr)" im Haushaltsbeschluss der Trägerversammlung
nicht, weil hierdurch im Verhältnis zwischen ihr und dem
Geschäftsführer nicht in einer unmittelbar ausführungsfähigen Weise
(§ 44d Abs 1 Satz 3 SGB II) festgelegt ist, für welche
Zuständigkeiten im Einzelnen eine Übertragungsvereinbarung mit
der Beklagten abgeschlossen werden sollte. Insofern deckt die
Wendung "einschließlich Zahlungsverkehr" zwar das Verständnis,
dass sich die zu übertragende Aufgabe nicht nur auf die Abwicklung
und Überwachung von Zahlungseingängen erstrecken sollte. Auch
trägt der Wortsinn
(vgl etwa Duden, Das Fremdwörterbuch, 11. Aufl 2015; Inkasso:
Beitreibung, Einziehung fälliger Forderungen)
den Schluss, dass die Beklagte auch Befugnisse des Jobcenters
nach dem VwVG wahrnehmen sollte. Nicht hinreichend deutlich ist
allerdings bereits, ob davon ebenfalls die Zuständigkeit für die
Mahnung nach § 3 VwVG umfasst sein sollte; das belegt auch die
vom LSG festgestellte - ansonsten entbehrliche - Konkretisierung,
dass der Beklagten insoweit "ab dem Zeitpunkt der
Zahlungsgestörtheit einer Forderung sämtliche Aufgaben [obliegen],
die für die Durchführung eines Einziehungsverfahrens notwendig
werden". Ohne jede Aussagekraft ist die Umschreibung "Inkasso
(einschließlich Zahlungsverkehr)" schließlich jedenfalls dafür, ob die
Zuständigkeiten für Stundung, Niederschlagung und Erlass von
Forderungen ebenfalls von der Beklagten wahrgenommen werden
oder ob sie insoweit beim Jobcenter Uecker-Randow verbleiben
sollten.
29
9. Ohne eine den Grundsätzen der Normenklarheit und
Widerspruchsfreiheit genügende Übertragungsentscheidung der
Trägerversammlung ist die Übertragung jedenfalls hoheitlicher
Befugnisse auf einen der Träger der gemeinsamen Einrichtung
durch Vereinbarung unwirksam.
30
a) Nach der der Übertragungsregelung des § 44b Abs 4 SGB II
zugrunde liegenden Konzeption soll die von dem Grundsatz der
einheitlichen Aufgabenwahrnehmung abweichende Übertragung
von Zuständigkeiten der gemeinsamen Einrichtung auf einen ihrer
Träger rechtsgeschäftlich erfolgen (vgl BT-Drucks 17/1555 S 26),
also durch öffentlich-rechtlichen Vertrag nach § 53 Abs 1 Satz 1
SGB X. Insoweit spricht § 44d Abs 1 SGB II schon dem Wortlaut
nach dafür, dass die dafür vorausgesetzte organschaftliche
Vertretungsmacht der Geschäftsführerin oder des Geschäftsführers
der gemeinsamen Einrichtung erst und nur durch eine (den
dargelegten Anforderungen genügende) Entscheidung der
Trägerversammlung nach § 44c Abs 2 Satz 2 Nr 4 SGB II begründet
wird. Insoweit ist zwar die Vertretungsregelung des § 44d Abs 1 Satz
2 SGB II selbst unbegrenzt ("Sie oder er vertritt die gemeinsame
Einrichtung gerichtlich und außergerichtlich"). Ihr liegen indes
unbeschränkte Geschäftsführungsfunktionen nur zugrunde, soweit
es die Führung der Geschäfte der gemeinsamen Einrichtung betrifft
(§ 44d Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB II), also bezogen auf ihre
laufenden Angelegenheiten
(vgl zu diesem Begriffsverständnis nur Weißenberger in Eicher/Luik,
SGB II, 4. Aufl 2017, § 44d RdNr 8)
; insoweit sind die Aufgaben zur eigenverantwortlichen Erledigung
zugewiesen (vgl BT-Drucks 17/1555 S 26).
31
b) Anders verhält es sich demgegenüber bei der Umsetzung von
Beschlüssen der Trägerversammlung. Sie betreffen schon der Art
nach regelmäßig nicht die von der Geschäftsführerin oder dem
Geschäftsführer zu "führenden" Geschäfte der gemeinsamen
Einrichtung. Zudem sind sie durch die Sonderregelung des § 44d
Abs 1 Satz 3 Halbsatz 1 SGB II aus dem Anwendungsbereich der
Allgemeinzuständigkeit nach § 44d Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB II
ausgenommen, soweit die Geschäftsführerin oder der
Geschäftsführer danach die von der Trägerversammlung in deren
Aufgabenbereich beschlossenen Maßnahmen "auszuführen" hat.
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Insofern ist zwar bezogen auf die hier in Rede stehenden
Übertragungsbeschlüsse nach § 44c Abs 2 Satz 2 Nr 4 SGB II die
Trägerversammlung als das insoweit zuständige Organ der
gemeinsamen Einrichtung zur Umsetzung im Außenverhältnis
verwiesen auf die organschaftliche Vertretung durch die
Geschäftsführerin oder den Geschäftsführer der Einrichtung. Jedoch
ist die Vertretungsmacht insoweit anders als im Anwendungsbereich
von § 44d Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB II nicht ausschließlich
gesetzlich begründet, sondern erst im Zusammenwirken mit einem
organschaftlich zu fassenden Beschluss, was dafür spricht, dass
eine organschaftliche Vertretungsmacht der Geschäftsführerin oder
des Geschäftsführers in diesem Zusammenhang nicht besteht,
solange ein von der Trägerversammlung zu treffender,
ausführungsfähiger Beschluss nach § 44c Abs 2 Satz 2 Nr 4 SGB II
noch nicht vorliegt
(aA Wendtland in Gagel, SGB II/SGB III, § 44d SGB II RdNr 10,
Stand Oktober 2015: eher klarstellende Bedeutung)
.
33
c) Dafür sprechen jedenfalls in Bezug auf Übertragungsbeschlüsse
im Bereich des Forderungseinzugs auch die insoweit zu
beachtenden verfassungsrechtlichen Implikationen. Anders als vom
Gesetzgeber in anderen Bereichen angestrebt
(vgl etwa zur Eingliederungsvereinbarungnach § 15 SGB II
BSG vom 23.6.2016 - B 14 AS 42/15 R - BSGE 121, 268 = SozR 4-
4200 § 15 Nr 6, RdNr 14 mwN)
stehen Träger und Bezieher von Leistungen nach dem SGB II bei
der Beitreibung von durch Verwaltungsakt begründeten
Forderungen in einem ausschließlich hoheitlich geprägten Über-
/Unterordnungsverhältnis (Eingriffsverwaltung). Sollen die
gemeinsamen Einrichtungen nach der gesetzlichen Konzeption
hoheitliche Kompetenzen - wie hier zur Einleitung der
Zwangsvollstreckung nach dem VwVG - rechtsgeschäftlich auf
einen ihrer Träger verlagern können, erfordert dies nach dem
Vorbehalt des Gesetzes die Einhaltung der dafür gesetzlich
vorgegebenen Maßgaben und damit ua die Beteiligung der
Trägerversammlung wie dargelegt.
34
Mindestens in Bezug auf die hier in Rede stehenden
Hoheitsbefugnisse steht das dem Verständnis entgegen, dass die
Geschäftsführerin oder der Geschäftsführer der gemeinsamen
Einrichtung gestützt auf § 44d Abs 1 Satz 2 SGB II auch ohne einen
entsprechenden Trägerversammlungsbeschluss wirksam eine von §
44b Abs 1 Satz 2 Halbsatz 1 SGB II abweichende Zuständigkeit
begründen könnte. In dieser Lage gebührt vielmehr dem Interesse
der Normbetroffenen an der Einhaltung der gesetzlichen
Kompetenzordnung Vorrang vor dem Interesse des
übernehmenden Trägers, zumal dieser aufgrund seiner Vertretung
in der Trägerversammlung (§ 44c Abs 1 Satz 2 SGB II)
unproblematisch Kenntnis von der entsprechenden Beschlusslage
erlangen kann
(anders demgegenüber die Interessenlage im Verhältnis zwischen
öffentlich-rechtlichen Körperschaften und "echten"
Außenstehenden, vgl dazu zuletzt etwa BGH vom 18.11.2016 - V
ZR 266/14 - BGHZ 213, 30 RdNr 21; wie dort wohl Knapp in jurisPK-
SGB II, 4. Aufl 2015, § 44d RdNr 19: fraglich, ob Unwirksamkeit
vereinbar mit Bedürfnissen des Rechtsverkehrs; wie hier dagegen
im Ergebnis Luik in Hohm, GK-SGB II, § 44b RdNr 182.1, Stand April
2017; Weißenberger
in Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl 2017, § 44d RdNr 12: ohne Beschluss
der Trägerversammlung geschlossener Vertrag ist schwebend
unwirksam).
35
d) Ob ein ohne Beschluss der Trägerversammlung geschlossener
Vertrag (nur) schwebend unwirksam oder - was näher liegen könnte
- in entsprechender Anwendung von § 134 BGB nichtig ist, bedarf
keiner Entscheidung, weil das LSG zum einen eine nachträgliche
Genehmigung des Übertragungsvertrags durch die
Trägerversammlung des Jobcenters Uecker-Randow nicht
festgestellt hat und ihr zum anderen für den Fall hier Rückwirkung
ohnehin nicht hätte zukommen können
(vgl zur fehlenden Rückwirkung beim Zugang zur Versorgung nach
dem SGB V nur BSG vom 21.2.2006 - B 1 KR 22/05 R - juris, RdNr
15 mwN)
.
36
10. Lässt sich die von der Beklagten beanspruchte Kompetenz für
die Mahnung nach § 3 Abs 3 VwVG und für die Erhebung der
Mahngebühr nach § 19 Abs 2 VwVG nach dem Vorstehenden
ohnehin nicht auf die mit dem Geschäftsführer des Jobcenters
Uecker-Randow geschlossene Zuständigkeitsvereinbarung stützen,
bedarf es keiner weiteren Aufklärung (mehr) dazu, zu welchem
Zeitpunkt das Jobcenter Uecker-Randow durch das Jobcenter
Greifswald-Süd abgelöst worden ist und inwiefern sich ein ggf früher
erfolgter Übergang auf die Geltung der Zuständigkeitsvereinbarung
für die hier streitbefangene Mahnung und Gebührenerhebung im
Februar 2013 ausgewirkt hat.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.