Urteil des BSG vom 25.05.2018

Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung - Verhinderung des Arbeitsmarktzugangs bei einem nach § 63 StGB untergebrachten Versicherten

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 25.5.2018, B 13 R 30/17
R
ECLI:DE:BSG:2018:250518UB13R3017R0
Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aus der
gesetzlichen Rentenversicherung - Verhinderung des
Arbeitsmarktzugangs bei einem nach § 63 StGB
untergebrachten Versicherten
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des
Landessozialgerichts Hamburg vom 13. Juli 2016 aufgehoben
und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des
Sozialgerichts Hamburg vom 12. März 2015 zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungs- und
Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
1
Im Streit steht die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.
2
Der am 18.12.1964 geborene Kläger beendete seine
Schulausbildung im Juni 1985. Eine anschließend aufgenommene
Ausbildung brach er Ende Februar 1986 ab. Versicherungspflichtig
beschäftigt war er von August 1985 bis Dezember 1986. Von Januar
1987 bis August 1988 leistete er Zivildienst und war danach bis
einschließlich Dezember 1988 erneut versicherungspflichtig
beschäftigt. Es folgten Arbeitslosigkeit und eine
Umschulungsmaßnahme sowie eine weitere versicherungspflichtige
Beschäftigung von Mai bis Dezember 1990. Vom 24.12.1990 bis zum
18.7.1994 befand er sich in Untersuchungshaft.
3
Durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Hamburg vom 6.4.1993
(Az 622 Ks 7/92) wurde der Kläger ua wegen Mordes in zwei Fällen
zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht ordnete
nach § 63 Strafgesetzbuch (StGB) seine (weiterhin bestehende)
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, weil der
Kläger die rechtswidrigen Taten im Zustand verminderter
Schuldfähigkeit iS von § 21 StGB begangen habe und aufgrund
seiner bisher unbehandelt gebliebenen krankhaften
Persönlichkeitsstörung mit weiteren Tötungstaten zum Nachteil ihm
bis dahin unbekannter Zufallsopfer zu rechnen und er deswegen in
"ganz hohem Maße" für die Allgemeinheit gefährlich sei.
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Den Antrag des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung vom
8.8.2012 lehnte die Beklagte ab, weil die versicherungsrechtlichen
Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt seien. Den Widerspruch wies sie
zurück
(Bescheid vom 30.8.2012, Widerspruchsbescheid vom 8.1.2013).
5
Das hiergegen angerufene SG hat die Klage abgewiesen
(Urteil vom 12.3.2015). Auf die Berufung des Klägers hat das LSG die
Beklagte unter Aufhebung des Urteils des SG und der angefochtenen
Bescheide verurteilt, dem Kläger ab 1.8.2012 Rente wegen voller
Erwerbsminderung auf Dauer zu zahlen. Zur Begründung hat es
ausgeführt, der Kläger sei wegen einer schweren Erkrankung des
psychiatrischen Fachgebietes in Form einer Persönlichkeitsstörung
auf nicht absehbare Zeit außerstande, unter den üblichen
Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei
Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Der notwendige ursächliche
Zusammenhang zwischen der Erkrankung und der eigentlichen
Erwerbsminderung sei durch die aus Sicherheitsgründen
angeordnete Unterbringung nicht ausgeschlossen. Unter den
üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes könne der
Kläger auch dann nicht erwerbstätig sein, wenn die Unterbringung
aus Rechtsgründen zu beenden wäre. Von ihm gehe eine erhebliche
Fremdgefährdung aus, die sich nur ausschließen lasse, wenn er
permanent überwacht würde; unter den üblichen Bedingungen des
allgemeinen Arbeitsmarktes sei dergleichen nicht sichergestellt. Für
einen Rentenausschluss allein aufgrund der Unterbringung bestehe
kein normativer Anknüpfungspunkt. Ausgehend von einem
Leistungsfall am 23.11.1987, dem Tag der ersten Tötungshandlung,
seien auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen - vorzeitig
- erfüllt (Urteil vom 13.7.2016).
6
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 43 Abs 2 S
2 SGB VI. Wesentliche Bedingung für die Unfähigkeit des Klägers,
einer Arbeit nachzugehen, sei nicht seine Erkrankung, sondern der
Umstand, dass er wegen seiner Gefährlichkeit für die Allgemeinheit
nach § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus
untergebracht sei. Erwerbsminderungsrenten sollten nicht den
Einkommensverlust infolge strafrechtlich relevanten Handelns
ausgleichen.
7
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 13. Juli
2016 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das
Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 12. März 2015
zurückzuweisen.
8
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
9
Er hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
10
Die zulässige Revision der Beklagten ist iS des § 170 Abs 2 S 1
SGG begründet. Das Urteil des LSG war aufzuheben und die
Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des SG
zurückzuweisen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen
voller Erwerbsminderung.
11
Nach § 43 Abs 2 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der
Regelaltersrente Anspruch auf Rente wegen voller
Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind
(Abs 2 S 1 Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der
Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine
versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit haben
(versicherungsrechtliche Voraussetzung; Abs 2 S 1 Nr 2) und vor
Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben
(Abs 2 S 1 Nr 3).
12
Die allgemeine Wartezeit hat der Kläger ausgehend von dem durch
das LSG festgestellten Leistungsfall am 23.11.1987 nach Maßgabe
des § 53 Abs 2 iVm § 245 Abs 1 SGB VI vorzeitig erfüllt. Danach ist
die allgemeine Wartezeit ua vorzeitig erfüllt, wenn Versicherte vor
Ablauf von sechs Jahren nach Beendigung einer Ausbildung voll
erwerbsgemindert geworden sind und in den letzten zwei Jahren
vorher mindestens ein Jahr Pflichtbeiträge für eine versicherte
Beschäftigung oder Tätigkeit haben (§ 53 Abs 2 S 1 SGB VI). Auf
das Vorliegen weiterer versicherungsrechtlicher Voraussetzungen
kam es deshalb nicht mehr an (§ 43 Abs 5 SGB VI).
13
Der Kläger ist jedoch nicht erwerbsgemindert. Voll bzw teilweise
erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 S 2 bzw Abs 1 S 2 SGB VI
Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht
absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen
des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden bzw
sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Zwar kann der Kläger
nicht mehr unter den üblichen Bedingungen des allgemein
Arbeitsmarktes erwerbstätig sein (hierzu 1.), doch sind - anders als
erforderlich - weder Krankheit noch Behinderung die wesentliche
Ursache hierfür (hierzu 2.).
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1. Der Kläger ist nicht im Stande, unter den üblichen Bedingungen
des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein.
15
Nach den nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen
angefochtenen und deshalb für den Senat bindenden (§ 163 SGG)
Feststellungen des LSG, ist die Erwerbsfähigkeit des Klägers
ausschließlich durch eine psychische Erkrankung in Form einer
Persönlichkeitsstörung beeinträchtigt, die mit einem deutlich
erhöhten Risiko der Ausbildung von Tötungsphantasien verbunden
ist. Diese Erkrankung hat sich noch innerhalb des Zeitraums der
vorzeitigen Wartezeiterfüllung mit der ersten Tötungshandlung am
23.11.1987 manifestiert und während des Maßregelvollzugs nicht
gebessert. Quantitative Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit des
Klägers sind mit dieser Erkrankung zwar nicht verbunden. Er kann -
wie sich auch aus seiner bis Dezember 1990 fortgesetzten
Erwerbstätigkeit ergibt - grundsätzlich einfache Tätigkeiten, dh
zureichen, abnehmen, transportieren, reinigen, sortieren, verpacken
etc, täglich sechs Stunden und mehr verrichten. Er darf jedoch zum
Schutze anderer eine Erwerbstätigkeit nicht mehr unter den üblichen
Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes verrichten. Im
Hinblick auf die aus seiner Erkrankung folgende Gefährlichkeit für
die Allgemeinheit bedürfte es seiner permanenten Überwachung am
Arbeitsplatz sowie auf dem Arbeitsweg. Dies käme der Verpflichtung
gleich, nur für den Kläger einen speziellen Arbeitsplatz einzurichten,
ohne ausschließen zu können, dass es nicht doch zu einer
Fremdgefährdung kommen könnte.
16
2. Der Kläger ist deshalb jedoch nicht erwerbsgemindert iS des § 43
SGB VI. Es fehlt die nach § 43 Abs 1 S 2 bzw Abs 2 S 2 SGB VI
geforderte Kausalität zwischen der Erkrankung ("wegen") und der
mangelnden Fähigkeit, das Leistungsvermögen unter den üblichen
Bedingungen des Arbeitsmarktes einzusetzen
(vgl zu dieser Voraussetzung nur Freudenberg in juris-PK SGB VI, 2.
Aufl 2013, § 43 RdNr 98 ff mwN)
. Die Krankheit des Klägers ist nicht wesentliche Ursache dafür,
dass er außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des
allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein. Vielmehr wird dies
- im Rechtssinne ausschließlich - durch eine andere Ursache
bewirkt, nämlich die wegen der Gefährlichkeit des Klägers für die
Allgemeinheit gerichtlich nach § 63 StGB angeordnete
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus.
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Maßstab der Kausalitätsprüfung ist auch im Recht der gesetzlichen
Rentenversicherung die Lehre von der wesentlich mitwirkenden
Bedingung
(vgl BSG Urteil vom 9.5.2012 - B 5 R 68/11 R - SozR 4-2600 § 43 Nr
18 RdNr 16; BSG Urteil vom 29.1.2002 - B 10 LW 36/00 R - SozR 3-
5868 § 34 Nr 5 - Juris RdNr 19; BSG Urteil vom 23.10.1996 - 4 RA
1/96 - SozR 3-2600 § 43 Nr 14 - Juris RdNr 20, 22; BSG GS
Beschluss vom 11.12.1969 - GS 4/69 - BSGE 30, 167 = SozR Nr 79
zu § 1246 RVO - Juris RdNr 47)
. Nach dieser sind kausal und rechtserheblich nur solche
(naturwissenschaftlich-philosophischen) Ursachen (1. Stufe), die
wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt
wesentlich mitgewirkt haben. Für die insoweit erforderliche wertende
Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache für den Erfolg
(2. Stufe) gilt: Es kann mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen
geben. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder
"annähernd gleichwertig". Zwar kann auch eine nicht annähernd
gleichwertige, sondern verhältnismäßig niedriger zu bewertende
Ursache für den Erfolg rechtlich wesentlich sein. Voraussetzung ist
allerdings, dass die andere Ursache keine überragende Bedeutung
hat
(stRspr vgl zuletzt BSG Urteil vom 30.3.2017 - B 2 U 6/15 R - SozR
4-5671 Anl 1 Nr 1103 Nr 1 RdNr 23 mwN)
. Ist dagegen eine Ursache gegenüber einer anderen von
überragender Bedeutung, so ist nur diese als "wesentliche" Ursache
im Sinne des Sozialrechts zu qualifizieren. Die andere, damit nicht
wesentliche Ursache kann zwar gleichwohl "Auslöser" für den
Ursachenzusammenhang sein, jedoch ohne dass ihr insoweit
rechtlich entscheidende Bedeutung zukäme
(BSG Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-
2700 § 8 Nr 17, RdNr 15 mwN)
.
18
Überragende und damit im Rechtssinne allein wesentliche Ursache
ist vorliegend die gerichtliche Anordnung der Unterbringung des
Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus. Ursache im
naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne (1. Stufe) dafür, dass
der Kläger sein Restleistungsvermögen nicht verwerten kann, sind
zwar sowohl seine psychische Erkrankung, die aus dieser
Erkrankung allein folgende Gefährlichkeit für die Allgemeinheit als
auch seine Unterbringung eben wegen dieser Gefährlichkeit. Diese
Bedingungen können in Anwendung der conditio-sine-qua-non-
Formel
(vgl hierzu zuletzt BSG Urteil vom 30.3.2017 - B 2 U 6/15 R - SozR
4-5671 Anl 1 Nr 1103 Nr 1 RdNr 16)
nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Erfolg - fehlende
Möglichkeit des Klägers, seine Arbeitskraft unter den üblichen
Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verwerten -
entfiele. Dies gilt unmittelbar für die Erkrankung und die - hieraus
folgende - Gefährlichkeit des Klägers für die Allgemeinheit. Dies gilt
zudem auch für die Unterbringungsanordnung, die aus
Rechtsgründen (§ 63 StGB) nicht hinweggedacht werden darf, ohne
dass zugleich auch die die Unterbringung bedingende Gefährlichkeit
des Klägers für die Allgemeinheit hinweggedacht werden müsste.
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Der auf der ersten Stufe bestehende Ursachenzusammenhang
zwischen der Erkrankung des Klägers und der mangelnden
Möglichkeit, seine Arbeitskraft auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu
verwerten, wird hier jedoch im Rahmen der nachfolgenden rechtlich-
wertenden Betrachtung (2. Stufe) durch die gerichtlich angeordnete
Unterbringung verdrängt. Aus diesem Blickwinkel ist die Erkrankung
des Klägers nur "Auslöser" im Sinne der vorhergehenden
Darlegungen. Folgt aus der Krankheit als Grund für das
Erwerbshindernis - wie hier - ausschließlich die Gefährlichkeit des
Versicherten für die Allgemeinheit, kommt der Unterbringung eine
überragende Bedeutung für den versperrten Zugang zum
Arbeitsmarkt zu. Denn gerade die Gefährlichkeit rechtfertigt die
Unterbringung. Zweck der Maßregel des § 63 StGB ist es, durch
heilende oder bessernde Einwirkung auf den Täter sowie durch
seine Verwahrung die von ihm ausgehende Gefahr weiterer
erheblicher rechtswidriger Taten abzuwenden oder zu verringern
(BGH Urteil vom 25.7.1985 - 1 StR 241/85 - BGHSt 33, 285 - Juris
RdNr 7)
. § 63 StGB erlaubt sie nur dann, wenn die Allgemeinheit vor dem
Erkrankten geschützt werden muss. Sie dient der öffentlichen
Sicherheit und ist darauf ausgerichtet, den Untergebrachten so zu
behandeln, dass er für die Allgemeinheit nicht mehr gefährlich ist
(BGH Beschluss vom 8.9.1998 - 1 StR 384/98 - NStZ-RR 1999, 44 -
Juris RdNr 5)
. Lediglich die Belange der öffentlichen Sicherheit sind geeignet,
einen Menschen ganz unabhängig vom Maß seiner Schuld auf
unbestimmte Zeit einer Freiheitsentziehung zu unterwerfen
(BGH Beschluss vom 7.6.2016 - 4 StR 79/16 - NStZ-RR 2016, 306 -
Juris RdNr 7; BGH Beschluss vom 1.10.2013 - 3 StR 311/13 - NStZ-
RR 2014, 42 - Juris RdNr 9; Schöch in Laufhütte ua, Leipziger
Kommentar zum StGB, 12. Aufl 2007, § 63 RdNr 1; zum Verhältnis
zu außerstrafrechtlichen Sicherungssystemen vgl BGH Urteil vom
3.8.2017 - 4 StR 193/17 - Juris RdNr 20; BGH Urteil vom 11.12.2008
3.8.2017 - 4 StR 193/17 - Juris RdNr 20; BGH Urteil vom 11.12.2008
- 3 StR 469/08 - NStZ 2009, 260 - Juris RdNr 3 f, jeweils mwN)
. Die Unterbringung, die dem Kläger den Zugang zum Arbeitsmarkt
verwehrt, ist mithin die finale Reaktion des Staates allein auf dessen
Gefährlichkeit, gleich aus welchem Grund. Insbesondere sind auch
solche Täter von der Anordnung der Maßregel nicht ausgenommen,
bei denen eine - nicht krankhafte - schwere andere seelische
Abartigkeit vorliegt und bei denen nur wenig Aussicht auf Besserung
besteht
(BGH Beschluss vom 8.9.1998 - 1 StR 384/98 - NStZ-RR 1999, 44 -
Juris RdNr 5 mwN)
.
20
Da die Unterbringung selbst demnach nicht wegen Krankheit erfolgt,
sondern allein auf der abstrakten Gefährlichkeit des
Unterzubringenden beruht, verwirklicht sich durch diese im Rahmen
der öffentlichen Sicherheit erforderliche Maßnahme zum Schutz der
Allgemeinheit auch kein durch die gesetzliche Rentenversicherung
"versichertes" Risiko. Schutzzweck des § 43 SGB VI ist die
Absicherung des Risikos, dass der Versicherte sein
Leistungsvermögen aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr mit
Gewinn auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzen kann
(sog Invaliditätsrisiko; vgl hierzu zB Entwurf eines Gesetzes zur
Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, BT-
Drucks 14/4230 S 1, 23)
, durch Gewährung einer Entgeltersatzleistung
(vgl Freudenberg in juris-PK SGB VI, 2. Aufl 2013, § 43 RdNr 54; von
Koch in Kreikebohm, SGB VI, 5. Aufl 2017, § 43 RdNr 4)
. In Bezug auf die Erwerbsfähigkeit sichert die gesetzliche
Rentenversicherung ausschließlich Risiken ab, die sich aus
Krankheit und Behinderung ergeben
(vgl zur Rente wegen Berufsunfähigkeit BSG Urteil vom 23.10.1996 -
4 RA 1/96 - SozR 3-2600 § 43 Nr 14 - Juris RdNr 22)
. Der mit der Unterbringung bezweckte notwendige und vom Staat
umfassend zu garantierende Schutz der Allgemeinheit - also des
Lebens und der Gesundheit anderer als des Versicherten - liegt
dagegen nicht im Verantwortungsbereich der
Versichertengemeinschaft.
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Dieser Kausalitätsbeurteilung stehen die Sonderregelungen der §§
103, 104 SGB VI nicht entgegen. Diese Normen betreffen den
Ausschluss vom Rentenanspruch bei absichtlicher Minderung der
Erwerbsfähigkeit bzw die vollständige oder teilweise Versagung der
Rente im Falle der Minderung der Erwerbsfähigkeit bei einer Straftat.
Beide Regelungen setzten das Vorliegen der im Rahmen des § 43
SGB VI notwendigen Kausalität zwischen der absichtlich
herbeigeführten bzw während einer Straftat zugezogenen
gesundheitlichen Beeinträchtigung und der grundsätzlich
rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit voraus.
Obwohl alle Voraussetzungen des § 43 SGB VI erfüllt sind, wird mit
Rücksicht auf einen Verstoß gegen die Pflicht zum solidarischen
Verhalten
(vgl zu § 1277 RVO, § 54 AVG BSG Urteil vom 1.6.1982 - 1 RA
45/81 - SozR 2200 § 1277 Nr 5 - Juris RdNr 15)
bzw die Verletzung sozialethischer Mindeststandards
(BSG Urteil vom 18.3.2008 - B 2 U 1/07 R - BSGE 100, 124 = SozR
4-2700 § 101 Nr 1, RdNr 21 mwN)
der Rentenanspruch ausgeschlossen bzw versagt. Im vorliegenden
Fall ist aber schon gar kein Rentenanspruch entstanden, denn die
nur auf der ersten Prüfungsstufe bestehende Kausalität im
naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne zwischen
gesundheitlicher Beeinträchtigung (Krankheit) und fehlender
Erwerbsfähigkeit wird auf der zweiten Stufe durch den außerhalb
des Schutzbereichs der gesetzlichen Rentenversicherung liegenden
notwendigen Schutz der Allgemeinheit verdrängt. Ausschließlich
dieser bzw die zu diesem Zwecke angeordnete Unterbringung sind -
im Rechtssinne - Ursache dafür, dass der Kläger trotz seines
quantitativ nicht eingeschränkten Leistungsvermögens am
Arbeitsmarkt nicht tätig sein kann.
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3. In der vorliegenden Fallkonstellation brauchte der Senat nicht
darüber zu befinden, ob die rechtliche Wertung dann eine andere
sein muss, wenn zu der Gefährlichkeit weitere aus der oder einer
anderen als der psychischen Erkrankung folgende
Leistungseinschränkungen hinzutreten
(vgl zur Frage der Berufsunfähigkeit eines aus Gründen der
öffentlichen Sicherheit in einer Heil- oder Pflegeanstalt
untergebrachten Versicherten BSG Urteil vom 26.6.1969 - 12 RJ
418/66 - SozR Nr 74 zu § 1246 RVO - Juris RdNr 12)
.
23
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.