Urteil des BSG vom 07.06.2018

Statusfeststellungsverfahren - späterer Beginn der Versicherungspflicht - ausreichende Absicherung gegen das finanzielle Risiko von Krankheit - private (Mindest-)Krankheitskostenversicherung - ausreichende Absicherung zur Altersvorsorge - späterer Beginn

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 7.6.2018, B 12 KR 17/17
R
ECLI:DE:BSG:2018:070618UB12KR1717R0
Statusfeststellungsverfahren - späterer Beginn der
Versicherungspflicht - ausreichende Absicherung gegen das
finanzielle Risiko von Krankheit - private (Mindest-
)Krankheitskostenversicherung - ausreichende Absicherung
zur Altersvorsorge - späterer Beginn der
Versicherungspflicht erstreckt sich auch auf das Recht der
Arbeitsförderung
Tenor
Auf die Anschlussrevision der Klägerin wird das Urteil des
Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 14. Juni 2017
aufgehoben, soweit es die Versicherungspflicht nach dem Recht
der Arbeitsförderung betrifft, und die Berufung der Beklagten
gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. Mai 2015 in
vollem Umfang zurückgewiesen. Die Revision der Beklagten wird
zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Gerichtskosten und die außergerichtlichen
Kosten der Klägerin in allen Rechtszügen sowie die
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. im ersten
Rechtszug. Im Übrigen tragen die Beigeladenen ihre
außergerichtlichen Kosten selbst.
Der Streitwert wird für das Revisionsverfahren auf 5000 Euro
festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Versicherungspflicht der
Beigeladenen zu 1. in der gesetzlichen Kranken- (GKV) und
Rentenversicherung (GRV), der sozialen Pflegeversicherung (sPV)
sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung aufgrund einer
Beschäftigung für die Klägerin wegen des Zeitpunkts der
Bekanntgabe des Statusfeststellungsbescheids nicht eingetreten ist.
2 Die Beigeladene zu 1. ist Architektin und Mitglied der Bayerischen
Architektenversorgung. Sie ist privat krankenversichert und hat
Anspruch auf Krankentagegeld ab dem 43. Tag der
Arbeitsunfähigkeit (AU). Daneben ist sie Inhaberin einer
dynamischen Kapitallebensversicherung auf den Todes- und
Erlebensfall. Für die Zeit ab 1.4.2009 schloss sie mit der Klägerin
einen Dienstleistungsvertrag über Koordinierungs- und
Managementleistungen bei einem Bauprojekt. Zum 30.11.2009
hoben die Parteien diesen Vertrag einvernehmlich auf.
3 Am 17.4.2009 beantragten die Klägerin und die Beigeladene zu 1.
bei der Beklagten die Feststellung des
sozialversicherungsrechtlichen Status der Beigeladenen zu 1. Nach
Anhörung stellte die Beklagte mit separaten an die Klägerin und die
Beigeladene zu 1. gerichteten Bescheiden vom 3.12.2009 fest, dass
die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1. bei der Klägerin im Rahmen
eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde.
Die Versicherungspflicht dem Grunde nach beginne mit dem Tag
der Aufnahme der Beschäftigung. Mit ihrem Widerspruch erklärte die
Beigeladene zu 1., dass sie dem Beginn der Versicherungspflicht
erst mit Bekanntgabe des Bescheids nicht zustimme. Während des
Widerspruchsverfahrens änderte die Beklagte die Bescheide dahin
ab, dass in der von der Beigeladenen zu 1. ausgeübten
Beschäftigung bei der Klägerin Versicherungspflicht in der GKV,
GRV und sPV sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung seit dem
1.4.2009 bestehe (Bescheide vom 31.5.2010). Die Widersprüche
der Klägerin und der Beigeladenen zu 1. wies die Beklagte zurück; §
7a Abs 6 SGB IV finde keine Anwendung, da die Beigeladene zu 1.
dem späteren Beginn der Versicherungspflicht nicht zugestimmt
habe (Widerspruchsbescheide vom 20.1.2011).
4 Nachdem die Beigeladene zu 1. während des Klageverfahrens ihre
Zustimmung zum Beginn der Versicherungspflicht erst mit
Bekanntgabe des Bescheids vom 3.12.2009 erklärt hatte, hat das
SG unter Änderung der angefochtenen Bescheide festgestellt, dass
die Beigeladene zu 1. in ihrer Tätigkeit bei der Klägerin in der Zeit
vom 1.4.2009 bis 30.11.2009 nicht sozialversicherungspflichtig
gewesen sei; der Beginn der Versicherungspflicht sei nach § 7a Abs
6 S 1 SGB IV hinausgeschoben gewesen (Urteil vom 8.5.2015). Auf
die Berufung der Beklagten hat das LSG das Urteil abgeändert,
soweit es die Versicherungspflicht nach dem Recht der
Arbeitsförderung betrifft, und die Klage insoweit abgewiesen. Im
Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 14.6.2017).
Die Voraussetzungen des § 7a Abs 6 S 1 SGB V seien erfüllt. Eine
ausreichende Absicherung zur Altersvorsorge bestehe durch die
Mitgliedschaft der Beigeladenen zu 1. in einem berufsständischen
Versorgungswerk. Auch das Risiko von Krankheit sei adäquat
versichert. Das erforderliche Schutzniveau entspreche den in § 193
Abs 3 S 1 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) enthaltenen
Mindestanforderungen an eine private Krankenversicherung (PKV).
Im Recht der Arbeitsförderung werde der Beginn der
Versicherungspflicht hingegen nicht hinausgeschoben. Die mit § 7a
Abs 6 S 1 SGB V bezweckte Privilegierung werde ins Gegenteil
verkehrt, wenn Beschäftigten durch den späteren
Versicherungsbeginn im Bereich der Arbeitslosenversicherung
Anwartschaftszeiten vorenthalten würden.
5 Die Beklagte hat Revision und die Klägerin Anschlussrevision
eingelegt. Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung des §
7a Abs 6 S 1 SGB IV. Eine den Leistungen der GKV entsprechende
Absicherung gegen das Risiko von Krankheit müsse auch mit dem
Krankengeld (Krg) vergleichbare Leistungen enthalten.
6 Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 14.
Juni 2017 abzuändern und die Klage unter Aufhebung des Urteils
des Sozialgerichts Berlin vom 8. Mai 2015 in vollem Umfang
abzuweisen
und die Anschlussrevision der Klägerin zurückzuweisen.
7 Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
8 Im Wege der Anschlussrevision beantragt sie,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 14.
Juni 2017 aufzuheben, soweit es die Versicherungspflicht nach dem
Recht der Arbeitsförderung betrifft, und die Berufung der Beklagten
gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. Mai 2015 in vollem
Umfang zurückzuweisen.
9 Sie trägt vor, die Voraussetzungen für den späteren Eintritt der
Versicherungspflicht seien erfüllt. Der Wortlaut des § 7a Abs 6 S 1
SGB IV differenziere nicht zwischen den einzelnen
Versicherungszweigen.
10
Die Beklagte hält die Anschlussrevision für unzulässig. Das
Anschlussrechtsmittel müsse sich auf den gleichen prozessualen
Anspruch wie das Hauptrechtsmittel beziehen. Die Revision betreffe
jedoch nicht die Versicherungspflicht nach dem Recht der
Arbeitsförderung. Im Übrigen gehe sie - wie die Klägerin - davon
aus, dass der Beginn der Versicherungspflicht einheitlich für alle vier
Zweige der Sozialversicherung zu beurteilen sei; allerdings seien die
Voraussetzungen des § 7a Abs 6 S 1 Nr 2 SGB IV nicht erfüllt.
Entscheidungsgründe
11
Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg (hierzu A.). Die
Anschlussrevision der Klägerin ist hingegen zulässig und begründet
(hierzu B.). Eine Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1.
aufgrund Beschäftigung hat in allen Zweigen der Sozialversicherung
wegen des erst nach dem Ende der Tätigkeit bekanntgegebenen
Statusfeststellungsbescheids nicht bestanden.
12
A. Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet.
13
I. Der Senat hat im Rahmen der Revision der Beklagten nur die
Frage nach dem Beginn der Versicherungspflicht in der GKV, GRV
und sPV zu beantworten. Die Entscheidung der Beklagten, dass bei
der Beigeladenen zu 1. in einer Tätigkeit für die Klägerin
Versicherungspflicht wegen Beschäftigung bestand, hat die Klägerin
nicht angefochten. Sie ist bestandskräftig geworden (§ 77 SGG).
Auch betrifft die Revision nur die Versicherungspflicht in der GKV,
GRV und sPV, nicht aber die Versicherungspflicht nach dem Recht
der Arbeitsförderung
(vgl zur Teilbarkeit eines Statusfeststellungsbescheids BSG Urteil
vom 5.12.2017 - B 12 R 6/15 R - Juris RdNr 11, auch zur
Veröffentlichung in SozR vorgesehen; BSG Urteil vom 24.3.2016 - B
12 R 3/14 R - SozR 4-2400 § 7a Nr 5 RdNr 11, 18; BSG Urteil vom
24.3.2016 - B 12 R 12/14 R - SozR 4-2400 § 7a Nr 6 RdNr 11)
.
14
II. Das LSG hat zutreffend entschieden, dass Versicherungspflicht
der Beigeladenen zu 1. in der GKV, GRV und sPV wegen des erst
nach der Aufgabe der Tätigkeit bekanntgegebenen Bescheids der
Beklagten vom 3.12.2009 nicht bestanden hat. Maßgeblich ist der
Zeitpunkt der Bekanntgabe der ersten zum Vorliegen einer
"Beschäftigung" ergangenen Entscheidung
(BSG Urteil vom 24.3.2016 - B 12 R 3/14 R - SozR 4-2400 § 7a Nr 5
RdNr 17)
.
15
1. Nach § 7a Abs 6 S 1 SGB IV tritt, wenn der Antrag auf
Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status nach § 7a
Abs 1 S 1 SGB IV innerhalb eines Monats nach Aufnahme der
Tätigkeit gestellt wird und die Beklagte ein versicherungspflichtiges
Beschäftigungsverhältnis feststellt, Versicherungspflicht mit der
Bekanntgabe der Entscheidung ein, wenn der Beschäftigte zustimmt
(Nr 1) und er für den Zeitraum zwischen Aufnahme der
Beschäftigung und der Entscheidung eine Absicherung gegen das
finanzielle Risiko von Krankheit und zur Altersvorsorge
vorgenommen hat, die der Art nach den Leistungen der GKV und
GRV entspricht (Nr 2). Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der
Statusfeststellungsantrag wurde am 17.4.2009 und damit innerhalb
eines Monats nach Aufnahme der Tätigkeit am 1.4.2009 gestellt. Die
Beigeladene zu 1. hat einem späteren Eintritt der
Versicherungspflicht auch zugestimmt. Dass sie ihre Zustimmung
erst im Klageverfahren erklärt hat, steht deren Wirksamkeit nicht
entgegen
(vgl bereits BSG Urteil vom 24.3.2016 - B 12 R 3/14 R - SozR 4-
2400 § 7a Nr 5 RdNr 14; BSG Urteil vom 5.12.2017 - B 12 R 6/15 R -
Juris RdNr 15, auch zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen)
. Die Beigeladene zu 1. war schließlich adäquat sowohl zur GKV
(dazu 2.) als auch zur GRV (dazu 3.) abgesichert.
16
2. Zwischen der Aufnahme der Beschäftigung und der Entscheidung
der Beklagten hat für die Beigeladene zu 1. eine anderweitige
adäquate Absicherung gegen das finanzielle Risiko von Krankheit iS
des § 7a Abs 6 S 1 Nr 2 SGB IV bestanden. Einer solchen
anderweitigen Absicherung bedurfte es, weil die Beigeladene zu 1.
im maßgeblichen Zeitraum nicht in der GKV versicherungsfrei war
(vgl dazu BSG Urteil vom 5.12.2017 - B 12 R 6/15R - Juris RdNr 23
ff, auch zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).
17
Die Beigeladene zu 1. verfügte nach den für den Senat bindenden
Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 163 SGG)im relevanten
Zeitraum über eine PKV nebst einer Krankentagegeldversicherung.
Das Schutzniveau der GKV war dadurch zwar nicht vollumfänglich
erreicht. Insbesondere entsprach das erst vom 43. Tag der AU an zu
leistende Krankentagegeld nicht vollständig dem Krg nach §§ 44 ff
SGB V. Denn der Anspruch auf Krg entsteht für Versicherte der GKV
- vorbehaltlich seines Ruhens nach § 49 SGB V - gemäß § 46 Abs 1
S 1 Nr 2 SGB V in der für den hier streitigen Zeitraum maßgebenden
Fassung des Gesundheits-Reformgesetzes vom 20.12.1988
(BGBl I 2477) grundsätzlich von dem Tag an, der auf den Tag der
ärztlichen Feststellung der AU folgt
(erst seit 23.7.2015 durch das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz
vom 16.7.2015 vom Tag der
ärztlichen Feststellung der AU an). Gleichwohl erfüllt die
privatrechtliche Absicherung der Beigeladenen zu 1. die
Anforderungen des § 7a Abs 6 S 1 Nr 2 SGB IV. Das folgt aus dem
Wortlaut der Vorschrift, der ihr zugrunde liegenden Intention des
Gesetzgebers und dessen systematischer Mindestabsicherung im
Krankheitsfall durch Leistungen der GKV oder PKV.
18
Bereits nach dem Gesetzeswortlaut, der lediglich eine Absicherung
verlangt, die "der Art nach" den Leistungen der GKV entspricht, ist
eine private Krankenversorgung, die in Art, Umfang und Höhe
deckungsgleich mit den Leistungen der GKV ist, nicht erforderlich.
Eine Parallelität mit den Leistungen der GKV war mit der Einführung
des § 7a Abs 6 S 1 Nr 2 SGB IV durch das Gesetz zur Förderung
der Selbständigkeit vom 20.12.1999 (BGBl I 2000, 2) auch nicht
bezweckt. Nach dem Willen des Gesetzgebers, der in den
Gesetzesmaterialien Ausdruck findet, genügt für eine adäquate
Absicherung, dass ein ausreichender sozialer Schutz besteht
(BT-Drucks 14/1855 S 8 zu Abs 6). Systematisch ergibt sich der
Umfang des erforderlichen Sicherungsniveaus aus einer
Parallelwertung zu § 193 Abs 3 S 1 VVG und dem dort geregelten
Mindestschutzniveau der allgemeinen Krankenversicherungspflicht,
die eine Entgeltersatzleistung für den Fall der AU nicht vorsieht. Ein
ausreichender sozialer Schutz gegen das finanzielle Risiko von
Krankheit, der der Art nach den Leistungen der GKV entspricht, ist
daher nicht von einem Anspruch auf eine mit dem Krg (zumindest)
vergleichbare Entgeltersatzleistung abhängig.
19
Die allgemeine Krankenversicherungspflicht war Kernziel der
Gesundheitsreform 2007 durch das GKV-
Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG)vom 26.3.2007
(BGBl I 378; vgl Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD, BT-Ducks 16/3100 S 86)
, mit dem die Auffang-Versicherungspflicht in der GKV eingeführt
worden ist. Seit 1.4.2007 sind nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V
Personen versicherungspflichtig, die keinen anderweitigen Anspruch
auf Absicherung im Krankheitsfall haben und entweder zuletzt
gesetzlich krankenversichert waren oder bisher nicht gesetzlich oder
privat krankenversichert waren, es sei denn, dass sie zu den
hauptberuflich selbstständig Erwerbstätigen oder bestimmten
versicherungsfreien Personen gehören oder bei Ausübung ihrer
beruflichen Tätigkeit im Inland gehört hätten. Gleichzeitig wurde
durch das GKV-WSG für die PKV zum 1.1.2009 eine Verpflichtung
zum Abschluss eines privaten
Krankheitskostenversicherungsvertrags in § 178a Abs 5 S 1 VVG
aufgenommen. Diese Regelung ist durch das Gesetz zur Reform
des Versicherungsvertragsrechts vom 23.11.2007 (BGBl I 2631)
inhaltlich unverändert als § 193 Abs 3 S 1 VVG in die ab 1.1.2009
geltende Neufassung des VVG übernommen worden. Danach ist
jede Person - die weder gesetzlich krankenversichert ist noch einem
anderen Sicherungssystem im Sinn des § 193 Abs 3 S 2 VVG
angehört - mit Wohnsitz im Inland verpflichtet, bei einem in
Deutschland zum Geschäftsbetrieb zugelassenen
Versicherungsunternehmen für sich selbst und für die von ihr
gesetzlich vertretenen Personen, soweit diese nicht selbst Verträge
abschließen können, eine Krankheitskostenversicherung, die
mindestens eine Kostenerstattung für ambulante und stationäre
Heilbehandlung umfasst und bei der die für tariflich vorgesehene
Leistungen vereinbarten absoluten und prozentualen Selbstbehalte
für ambulante und stationäre Heilbehandlung für jede zu
versichernde Person auf eine betragsmäßige Auswirkung von
kalenderjährlich 5000 Euro begrenzt ist, abzuschließen und
aufrechtzuerhalten. Eine Absicherung gegen den
krankheitsbedingten Ausfall von Arbeitsentgelt wird danach nicht
verlangt.
20
Nach der gesetzlichen Systematik wird der angestrebte
Versicherungsschutz aller in Deutschland lebenden Menschen
(vgl Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, BT-
Drucks 16/3100 S 94 zu Art 1 Nr 2 Buchst a Doppelbuchst bb und
cc; Bericht des Ausschusses für Gesundheit, BT-Drucks 16/4247 S
66 zu Art 43 Nr 01 <§ 178a> Abs 5)
- sofern nicht bereits eine hinreichende Absicherung besteht - je
nach rechtlicher Zuordnung entweder durch die Auffang-
Versicherungspflicht in der GKV oder durch eine
Krankheitskostenpflichtversicherung in der (deutschen) PKV
gewährleistet
(BSG Urteil vom 12.1.2011 - B 12 KR 11/09 R - BSGE 107, 177 =
SozR 4-2500 § 5 Nr 13, RdNr 16 unter Bezugnahme auf den
Allgemeinen Teil der Begründung zum GKV-WSG, Gesetzentwurf
der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, aaO, S 86 f unter A.II.1.).
Damit stehen beide Sicherungssysteme gleichwertig
nebeneinander. Auch wenn der vorgegebene Umfang der
Mindestabsicherung in der PKV hinter dem Leistungskatalog der
GKV zurückbleibt, genügt das versicherungsvertragliche
Sicherungsniveau dem Gesetzgeber für eine ausreichende
Versorgung privat Versicherter im Bedarfsfall
(Bericht des Ausschusses für Gesundheit, BT-Drucks 16/4247 S 66
f zu Art 43 Nr 01 <§ 178a> Abs 5)
. Infolgedessen werden an einen "anderweitigen Anspruch auf
Absicherung" im Krankheitsfall im Sinn des § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V
keine höheren Anforderungen gestellt als an die
Krankheitskostenpflichtversicherung nach § 193 Abs 3 S 1 VVG
(BSG Urteil vom 20.3.2013 - B 12 KR 14/11 R - BSGE 113, 160 =
SozR 4-2500 § 5 Nr 18, RdNr 16).
Es wäre widersprüchlich, ein den Anforderungen nach § 193 Abs 3
S 1 VVG entsprechendes Sicherungsniveau in der deutschen PKV
als gleichwertig zur Versicherungspflicht in der GKV zu akzeptieren,
nicht aber als ausreichende artgleiche Eigenvorsorge nach § 7a Abs
6 S 1 Nr 2 SGB V anzuerkennen.
21
3. Die Beigeladene zu 1. verfügte für den Zeitraum zwischen
Aufnahme der Beschäftigung und der Entscheidung der Beklagten
zur Statusfeststellung auch über eine ausreichende Absicherung zur
Altersvorsorge im Sinn von § 7a Abs 6 S 1 Nr 2 SGB IV. Diese war
nicht entbehrlich, denn die Beigeladene zu 1. war nicht von der
Versicherungspflicht in der GRV befreit
(vgl für den Bereich der GKV BSG Urteil vom 5.12.2017 - B 12 R
6/15 R - Juris RdNr 22, auch zur Veröffentlichung in SozR
vorgesehen)
.
22
Die anderweitige adäquate Altersvorsorge kann wahlweise
öffentlich-rechtlich (etwa durch eine freiwillige Versicherung nach § 7
SGB VI oder als Pflicht- oder freiwillige Versicherung bei einer
berufsständischen Altersversorgung) oder privatrechtlich (etwa
durch eine private Lebens- bzw Rentenversicherung für den Fall des
Erlebens des 60. oder eines höheren Lebensjahres) sichergestellt
werden
(BSG Urteil vom 5.12.2017 - B 12 R 6/15 R - Juris RdNr 20, auch zur
Veröffentlichung in SozR vorgesehen)
.
23
Sie ergibt sich indes nicht bereits aus der Mitgliedschaft in einer
berufsständischen Versorgungseinrichtung. Eine den Leistungen
der GRV entsprechende berufsständische Altersvorsorge setzt
vielmehr voraus, dass eine Befreiung von der gesetzlichen
Rentenversicherungspflicht besteht oder anderenfalls tatsächlich
Beiträge in Höhe des in der freiwilligen GRV zu zahlenden
Mindestbeitrags entrichtet werden. Das LSG hat hierzu keine
Feststellungen getroffen. Auch ist aus den vom LSG in Bezug
genommenen Gerichts- und Verwaltungsakten nicht ersichtlich, ob
von der Beigeladenen zu 1. aufgrund § 22 Abs 2 der Satzung der
Bayerischen Versorgungskammer
(Bayer Staatsanzeiger Nr 50, in der Fassung vom 23.6.2008 und
8.8.2009, Bayer Staatsanzeiger Nr 26 und Nr 33)
lediglich der auf die Hälfte ermäßigte Mindestbeitrag gezahlt worden
ist, der unter dem Mindestbeitrag in der freiwilligen
Rentenversicherung gelegen hätte.
24
Die Höhe der berufsständisch gezahlten Beiträge kann allerdings
wegen der von der Beigeladenen zu 1. abgeschlossenen
Kapitallebensversicherung offenbleiben. Bei einer privatrechtlichen
Absicherung liegt eine ausreichende Altersvorsorge jedenfalls dann
vor, wenn die hierfür aufgewandten Prämien der Höhe nach dem
Mindestbeitrag in der freiwilligen Rentenversicherung entsprechen
(BSG Urteil vom 5.12.2017 - B 12 R 6/15 R - Juris RdNr 20, auch zur
Veröffentlichung in SozR vorgesehen)
. Das ist bei den von der Beigeladenen zu 1. für ihre zum 31.12.2017
und damit nach Erreichen des 60. Lebensjahres abgelaufene
Lebensversicherung ausweislich des Versicherungsscheins ab
1.1.2009 gezahlten Prämien von monatlich 94,93 Euro der Fall.
B. Die Anschlussrevision der Klägerin ist zulässig und begründet.
25
26
I. Die Anschlussrevision war nicht als unzulässig zu verwerfen. Eine
nach Ablauf der Revisionsfrist eingelegte - mithin unselbstständige -
Anschlussrevision darf einerseits zwar grundsätzlich nicht einen Teil
der Entscheidung betreffen, den die Revision selbst nicht erfasst,
und damit einen neuen Streitgegenstand in das Verfahren einführen
(vgl BSG Urteil vom 13.10.1992 - 4 RA 40/91 - SozR 3-5050 § 15 Nr
5; BSG Urteil vom 23.6.1998 - B 4 RA 33/97 R - Juris; BSG Urteil
vom 19.6.1996 - 6 RKa 24/95 - Juris RdNr 16; BSG Urteil vom
10.2.2005 - B 4 RA 48/04 R - Juris RdNr 34 - jeweils zu einer
Anschlussberufung)
. Sie muss sich andererseits aber auch nicht stets auf denselben
Streitstoff beziehen. Vielmehr kann im Einzelfall ein unmittelbarer
rechtlicher oder wirtschaftlicher Zusammenhang mit dem
Lebenssachverhalt des Streitgegenstands der Revision ausreichen
(BGH Urteil vom 22.11.2007 - I ZR 74/05 - BGHZ 174, 244 = NJW
2008, 920; BGH Urteil vom 21.6.2001 - IX ZR 73/00 - BGHZ 148,
156 = NJW 2001, 3543; BGH Urteil vom 19.2.2002 - X ZR 166/99 -
NJW 2002, 1870; Leitherer in Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 160 RdNr
3a; Karmanski in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 160 RdNr 7)
. Die Anschlussrevision ist daher zulässig, wenn sie sich - wie hier -
"im Rahmen des gesamten Streitgegenstandes bewegt"
(BSG Urteil vom 24.5.2006 - B 3 KR 15/05 R - SozR 4-1500 § 144 Nr
4 RdNr 16)
.
27
Zwar sind Statusfeststellungsbescheide im Hinblick auf die
Versicherungspflicht in den einzelnen Versicherungszweigen teilbar
(hierzu A. I.), doch besteht vorliegend ein enger Zusammenhang
zum Streitgegenstand der Revision. Im Rahmen der
Anschlussrevision stellt sich die Frage, ob der Beginn der
Versicherungspflicht für das Recht der Arbeitsförderung ebenso wie
für die anderen Sozialversicherungszweige und damit einheitlich zu
beurteilen ist, wenn die von der Revision bestrittenen
Voraussetzungen des § 7a Abs 6 S 1 Nr 2 SGB IV vorliegen. Die
Möglichkeit eines Anschlussbegehrens soll die prozessuale
Waffengleichheit und Billigkeit im Falle einer infolge der Revision
ohnehin gebotenen Überprüfung wahren
(vgl BGH Urteil vom 21.6.2001 - IX ZR 73/00 - BGHZ 148, 156 =
NJW 2001, 3543)
. Daher ist es geboten, der Klägerin die Geltendmachung von
Angriffs- und Verteidigungsmitteln bezogen auf die
Versicherungspflicht nach dem Recht der Arbeitsförderung im Wege
der Anschlussrevision zu ermöglichen.
28
II. Die Anschlussrevision ist begründet. Der spätere Beginn der
Versicherungspflicht erst mit der Bekanntgabe der Entscheidung
bezieht sich auch auf das Recht der Arbeitsförderung.
29
Der Wortlaut des § 7a Abs 6 S 1 SGB IV lässt es für einen späteren
Beginn der Versicherungspflicht ausreichen, dass für die Risiken
Krankheit und Alter ein bestimmtes Sicherungsniveau erreicht wird,
und formuliert als Rechtsfolge, dass "die Versicherungspflicht" erst
mit Bekanntgabe der Entscheidung eintritt, ohne zwischen den
einzelnen Zweigen der Sozialversicherung zu differenzieren.
Offenbleiben kann, ob der spätere Eintritt der Versicherungspflicht in
jedem der Zweige der Sozialversicherung stets davon abhängt,
dass für beide Risiken - Krankheit und Alter - eine mit der GKV und
GRV artgleiche Absicherung vorgenommen wurde.
30
Eine einschränkende, das Recht der Arbeitsförderung vom
Anwendungsbereich des § 7a Abs 6 S 1 SGB IV ausnehmende
Auslegung dieser Vorschrift aus anderen Gründen ist nicht geboten.
Die Regelung beruht auf einem Interessenausgleich zwischen
Arbeitgeber- und Beschäftigtenbelangen
(vgl hierzu im Einzelnen BSG Urteil vom 24.3.2016 - B 12 R 3/14 R -
SozR 4-2400 § 7a Nr 5 RdNr 19f; BSG Urteil vom 24.3.2016 - B 12 R
12/14 R - SozR 4-2400 § 7a Nr 6 RdNr 21 f)
. Einerseits sollen die finanziellen Risiken durch
Beitragsnachzahlungen für gutgläubige Arbeitgeber beschränkt
werden
(vgl Abschlussbericht der Kommission "Scheinselbständigkeit", NZA
1999, 1260, unter II. 2. d)
. Andererseits sollen mit den Anforderungen an eine zeitgleiche
anderweitige adäquate Absicherung entstehende
Versicherungsschutzlücken reduziert werden. Gerade im Hinblick
darauf, dass sich aufgrund eines späteren gewillkürten
Versicherungsbeginns Nachteile im Versicherungsschutz
Betroffener realisieren können, ist der spätere Eintritt der
Versicherungspflicht von der Zustimmung des Beschäftigten
abhängig gemacht worden
(vgl dazu näher Beschlussempfehlung und Bericht des
Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung <11. Ausschuss>, BT-
Drucks 14/2046 S 1 unter A., S 2 unter B., S 5 unter II., S 10
DAG> und S 13 )
. Allein der Beschäftigte - und gerade nicht der Arbeitgeber - hat
damit entsprechend seiner Interessenlage erweiterte
Handlungsspielräume in Bezug darauf, ob der
sozialversicherungsrechtliche Schutz vorübergehend nicht in
Anspruch genommen werden soll
(vgl BT-Drucks 14/1855 S 6 unter A., S 8 zu Abs 6).
31
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 3
SGG iVm § 154 Abs 2, § 162 Abs 3 VwGO.
32
D. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 1
SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1 und 2, § 47 Abs 1 S 1 GKG;
insoweit war der Auffangstreitwert festzusetzen.