Urteil des BSG vom 14.03.2018

Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit - GmbH-Geschäftsführer - Sperrminorität - Kapitalbeteiligung - Erwerbsoption auf Gesellschaftsanteile - Rechtsmacht - keine Berücksichtigung von außerhalb des Gesellschaftsvertrags zustande gekommenen Abreden - abh

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 14.3.2018, B 12 KR 13/17
R
ECLI:DE:BSG:2018:140318UB12KR1317R0
Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit - GmbH-
Geschäftsführer - Sperrminorität - Kapitalbeteiligung -
Erwerbsoption auf Gesellschaftsanteile - Rechtsmacht -
keine Berücksichtigung von außerhalb des
Gesellschaftsvertrags zustande gekommenen Abreden -
abhängige Beschäftigung - selbstständige Tätigkeit
Leitsätze
1. Geschäftsführer einer GmbH, die nicht am Gesellschaftskapital
beteiligt sind (sog Fremdgeschäftsführer), sind ausnahmslos
abhängig beschäftigt.
2. Gesellschafter-Geschäftsführer sind aufgrund ihrer
Kapitalbeteiligung nur dann selbstständig tätig, wenn sie
mindestens 50 vH der Anteile am Stammkapital halten oder
ihnen bei geringerer Kapitalbeteiligung nach dem
Gesellschaftsvertrag eine "echte"/"qualifizierte" Sperrminorität
eingeräumt ist.
3. Eine "echte"/"qualifizierte" Sperrminorität setzt voraus, dass sie
nicht auf bestimmte Angelegenheiten der Gesellschaft begrenzt
ist, sondern uneingeschränkt die gesamte Unternehmenstätigkeit
umfasst.
4. Außerhalb des Gesellschaftsvertrags (Satzung) zustande
gekommene, das Stimmverhalten regelnde Vereinbarungen
(Abreden) sind bei der Bewertung der Rechtsmachtverhältnisse
nicht zu berücksichtigen.
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des
Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 10. Mai 2017 wird
zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Revisionsverfahren
nicht zu erstatten.
Tatbestand
1
Der Kläger ist Geschäftsführer der von ihm und seinem Bruder A. (A)
durch Gesellschaftsvertrag vom 30.10.2006 gegründeten, zu 1.
beigeladenen GmbH. Nachdem am 25.9.2012 ein Beteiligungsvertrag
mit der V. GmbH (V) sowie der S. GmbH (S) geschlossen worden war,
wurde das Stammkapital durch Beschluss der
Gesellschafterversammlung vom selben Tag um 8212 Euro auf 34
212 Euro erhöht. Davon halten der Kläger 15 600 Euro (45,6 vH), sein
Bruder 10 400 Euro (30,4 vH) und V sowie S jeweils 4106 Euro (12
vH). Der von der Gesellschafterversammlung zugleich geänderte
Gesellschaftsvertrag sieht für eine Beschlussfassung grundsätzlich
die einfache Mehrheit, für bestimmte, ausdrücklich bezeichnete
Gegenstände eine Mehrheit von 80 vH der abgegebenen Stimmen
vor. In einer zum 1.1.2012 getroffenen "Stimmbindungsabrede"
verpflichtete sich A, nur im "Sinne und nicht gegen den Willen" seines
Bruders abzustimmen. Der am 25.9.2012 mit Wirkung zum 1.10.2012
vereinbarte "Geschäftsführer-Anstellungsvertrag" sieht vor, dass dem
Kläger ein monatliches Bruttogehalt von 5500 Euro gezahlt (§ 4 Nr 1),
ein Dienstwagen zur Verfügung gestellt (§ 4 Nr 6), im Fall der
Arbeitsunfähigkeit das Grundgehalt für sechs Wochen weitergezahlt
(§ 5) und bezahlter Jahresurlaub von 26 Arbeitstagen gewährt wird
(§ 6).
2
Der Kläger beantragte im Dezember 2012 die Klärung seines
sozialversicherungsrechtlichen Status als geschäftsführender
Gesellschafter. Die Beklagte stellte daraufhin fest, dass seit dem
1.10.2012 die Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer im
Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt
werde und Versicherungspflicht in der gesetzlichen
Rentenversicherung (GRV) sowie nach dem Recht der
Arbeitsförderung bestehe
(Bescheid vom 23.4.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 10.9.2013).
3
Während des Klageverfahrens ist dem Kläger von seinem Bruder
durch notariellen Vertrag vom 11.8.2014 über "Option und Angebot
zum Erwerb von Geschäftsanteilen" für die Zeit vom 1.5.2014 bis zum
1.8.2017 das unwiderrufliche Angebot unterbreitet worden, 1849
Geschäftsanteile zu je einem Euro zu erwerben. Das SG Berlin hat
die Verwaltungsentscheidungen der Beklagten aufgehoben und
festgestellt, dass der Kläger wegen selbstständiger Tätigkeit als
Gesellschafter-Geschäftsführer nicht der Versicherungspflicht in der
GRV und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliege
(Urteil vom 24.6.2015). Das LSG Berlin-Brandenburg hat das Urteil
des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Kläger sei nicht
selbstständig tätig. Er verfüge nicht über mindestens die Hälfte des
Stammkapitals und habe damit keinen maßgeblichen Einfluss auf die
Entscheidungen der Gesellschaft. Seine Sperrminorität beziehe sich
nicht auf sämtliche den Geschäftsführer selbst betreffenden
Angelegenheiten. Die Stimmbindungsabrede habe sowohl ordentlich
als auch aus wichtigem Grund gekündigt werden können. Ein
beherrschender Einfluss in der Gesellschafterversammlung ergebe
sich schließlich nicht aus dem Angebot zum Erwerb von 1849
Geschäftsanteilen (Urteil vom 10.5.2017).
4
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung der §§ 2, 7 und 7a
SGB IV, der §§ 103, 128 und 170 Abs 2 SGG sowie der §§ 35, 38
Abs 2, 45 und 46 GmbHG. Das LSG sei unter Verstoß gegen den
Grundsatz der Vorhersehbarkeit unzutreffend von einer nicht
umfassenden Sperrminorität ausgegangen. Es habe eine Bindung an
Weisungen der Gesellschafterversammlung angenommen, ohne die
nach dem Gesellschaftsvertrag zustimmungsbedürftigen
Angelegenheiten festzustellen und auszuführen, bei welchen
konkreten Maßnahmen keine Sperrminorität bestehen würde. Da er -
der Kläger - einer Vertragsänderung zustimmen müsse, könne er
sämtliche ihn betreffenden Weisungen verhindern. Auch seine
Abberufung als Geschäftsführer bedürfe einer Mehrheit von 80 vH der
abgegebenen Stimmen. Eine außerordentliche Kündigung der
Stimmbindungsabrede sei nicht möglich. Solange das Unternehmen
nicht verkauft sei, stelle die Kaufoption einen beherrschenden
Einfluss sicher. Die angegriffene Entscheidung verstoße schließlich
gegen die Rechtsprechung des BSG und sei verfahrensfehlerhaft
zustande gekommen. Das LSG habe die Regelungen zur
Beweiserhebung, Amtsermittlung sowie Beweiswürdigung verletzt
und mit seinen überraschenden Ausführungen zum Optionsvertrag
gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen.
5
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 10. Mai
2017 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil
des Sozialgerichts Berlin vom 24. Juni 2015 zurückzuweisen.
6
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
7
Sie hält das angegriffene Urteil für zutreffend.
8
Die Beigeladenen stellen keine Anträge.
Entscheidungsgründe
9 Die zulässige Revision ist nicht begründet und daher
zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 S 1 SGG).
10
Das LSG hat zu Recht das Urteil des SG aufgehoben und die Klage
abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 23.4.2013 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.9.2013 ist rechtmäßig
und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Nach einer
Gesamtwürdigung der vom LSG für den Senat bindend
festgestellten Tatsachen (dazu 1.)war der Kläger als
Geschäftsführer in der Zeit vom 1.10.2012 (Beginn des
Geschäftsführer-Anstellungsvertrags) bis zum 10.5.2017 (Tag der
mündlichen Verhandlung vor dem LSG) Beschäftigter der
Beigeladenen zu 1. und damit versicherungspflichtig in der GRV und
nach dem Recht der Arbeitsförderung (dazu 2.).
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1. Der Senat ist nach § 163 SGG an die Tatsachenfeststellungen
des LSG gebunden, weil sie nicht mit zulässig erhobenen
Verfahrensrügen angegriffen worden sind. Der Kläger hat entgegen
§ 164 Abs 2 S 3 SGG nicht alle Tatsachen bezeichnet, die den
Verfahrensmangel ergeben.
12
Bei einem Verstoß gegen die Pflicht, den Sachverhalt von Amts
wegen zu ermitteln (§ 103 SGG), muss der Revisionskläger die
Tatsachen bezeichnen, aus denen sich ergibt, dass sich das LSG
von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus zu weiteren
Ermittlungen hätte gedrängt fühlen müssen. Hierzu gehört auch die
Benennung konkreter Beweismittel, deren Erhebung sich dem LSG
hätte aufdrängen müssen. Es ist ferner darzulegen, zu welchem
Ergebnis nach Auffassung des Revisionsklägers die für erforderlich
gehaltenen Ermittlungen geführt hätten und dass hieraus die
Möglichkeit folgt, dass das Gericht ohne den geltend gemachten
Verfahrensfehler anders entschieden hätte
(BSG Urteil vom 31.3.2017 - B 12 R 7/15 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 30
RdNr 14 mwN, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen)
. Diesen Anforderungen ist nicht mit dem Vorbringen genügt, das
LSG habe nur unzureichend die vertraglichen Regelungen zwischen
dem Kläger und der Beigeladenen zu 1. festgestellt.
13
Auch die Rüge des Klägers, die Entscheidung des LSG beruhe auf
einer fehlerhaften Beweiswürdigung, ist nicht ordnungsgemäß
erhoben. Er hätte darlegen müssen, dass das Berufungsgericht die
Grenzen seiner ihm durch § 128 Abs 1 S 1 SGG eingeräumten
Befugnis verletzt hat, nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis
des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden, weil
gegen allgemeine Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstoßen
oder das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht ausreichend
berücksichtigt worden ist
(BSG Urteil vom 18.6.2013 - B 2 U 6/12 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 22
RdNr 29 mwN)
. Daran fehlt es hier. Soweit ein Verstoß gegen Denkgesetze
hinsichtlich der Bedeutung des Begriffs "umfassend" behauptet wird,
ist nicht dargetan, dass das LSG nur eine Folgerung hätte ziehen
können, jede andere nicht folgerichtig "denkbar" ist und das Gericht
die allein in Betracht kommende nicht gesehen hat
(vgl BSG aaO RdNr 31 mwN).
14
Schließlich ist der gerügte Verstoß gegen den Grundsatz des fairen
Verfahrens infolge einer Überraschungsentscheidung nicht
hinreichend dargelegt. Der Anspruch auf rechtliches Gehör
(Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) soll zwar verhindern, dass die
Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf
Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht,
zu denen sie sich nicht äußern konnten. Daher darf ein Urteil nicht
auf tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte gestützt werden, die
bisher nicht erörtert worden sind, wenn dadurch der Rechtsstreit
eine unerwartete Wendung nimmt. Allerdings ist das Gericht nicht
verpflichtet, die Beteiligten auf eine in Aussicht genommene
Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche
Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit
den Beteiligten zu erörtern
(BSG Urteil vom 26.9.2017 - B 1 KR 31/16 R - SozR 4-7862 § 7 Nr 1
RdNr 27 mwN, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen)
. Weshalb dem LSG gleichwohl eine unangekündigte
Auseinandersetzung mit dem vom Kläger selbst vorgelegten
Beteiligungsvertrag verwehrt gewesen sein soll, hat die Revision
nicht aufgezeigt.
15
2. Im streitigen Zeitraum unterlagen Personen, die gegen
Arbeitsentgelt beschäftigt waren, in der GRV und nach dem Recht
der Arbeitsförderung
(§ 1 S 1 Nr 1 SGB VI in der Fassung des Gesetzes zur Förderung
ganzjähriger Beschäftigung vom 24.4.2006 , § 25 Abs
1 S 1 SGB III in der Fassung des Job-AQTIV-Gesetzes vom
10.12.2001 )
der Versicherungspflicht. Der Kläger war in diesem Sinn in seiner
Tätigkeit als Geschäftsführer der Beigeladenen zu 1. abhängig
beschäftigt.
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Beschäftigung ist gemäß § 7 Abs 1 SGB IV die nichtselbstständige
Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (S 1). Anhaltspunkte
für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine
Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (S 2).
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine abhängige
Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber
persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden
Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb
eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der
Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers
unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann - vornehmlich bei
Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur "funktionsgerecht
dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein.
Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch
das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen
Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene
Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und
Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand beschäftigt oder
selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das
Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche
Merkmale überwiegen
(stRspr; vgl zum Ganzen zB BSG Urteil vom 16.8.2017 - B 12 KR
14/16 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 31 RdNr 17 mwN und BSG Urteil vom
31.3.2017 - B 12 R 7/15 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 30 RdNr 21 mwN,
jeweils auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; BSG Urteil
vom 30.4.2013 - B 12 KR 19/11 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 21 RdNr 13
mwN; zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen
Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit vgl BVerfG
Beschluss vom 20.5.1996 - 1 BvR 21/96 - SozR 3-2400 § 7 Nr 11)
. Die Zuordnung einer Tätigkeit nach deren Gesamtbild zum
rechtlichen Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit
setzt voraus, dass alle nach Lage des Einzelfalls als Indizien in
Betracht kommenden Umstände festgestellt, in ihrer Tragweite
zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem
Gewicht eingestellt und nachvollziehbar, dh den Gesetzen der Logik
entsprechend und widerspruchsfrei gegeneinander abgewogen
werden
(BSG Urteil vom 23.5.2017 - B 12 KR 9/16 R - SozR 4-2400 § 26 Nr
4 RdNr 24 mwN, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen)
.
17
Bei der Statusbeurteilung ist regelmäßig vom Inhalt der zwischen
den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen auszugehen, den die
Verwaltung und die Gerichte konkret festzustellen haben. Liegen
schriftliche Vereinbarungen vor, so ist neben deren Vereinbarkeit mit
zwingendem Recht auch zu prüfen, ob mündliche oder konkludente
Änderungen erfolgt sind. Diese sind ebenfalls nur maßgebend,
soweit sie rechtlich zulässig sind. Schließlich ist auch die
Ernsthaftigkeit der dokumentierten Vereinbarungen zu prüfen und
auszuschließen, dass es sich hierbei um einen bloßen
"Etikettenschwindel" handelt, der uU als Scheingeschäft iS des §
117 BGB zur Nichtigkeit dieser Vereinbarungen und der
Notwendigkeit führen kann, ggf den Inhalt eines hierdurch
verdeckten Rechtsgeschäfts festzustellen. Erst auf der Grundlage
der so getroffenen Feststellungen über den (wahren) Inhalt der
Vereinbarungen ist eine wertende Zuordnung des
Rechtsverhältnisses zum Typus der Beschäftigung oder
selbstständigen Tätigkeit vorzunehmen und in einem weiteren
Schritt zu prüfen, ob besondere Umstände vorliegen, die eine
hiervon abweichende Beurteilung notwendig machen
(BSG Urteil vom 18.11.2015 - B 12 KR 16/13 R - BSGE 120, 99 =
SozR 4-2400 § 7 Nr 25, RdNr 17 mwN)
.
18
Diese Maßstäbe gelten auch für Geschäftsführer einer GmbH
(vgl zuletzt BSG Urteil vom 11.11.2015 - B 12 KR 10/14 R - SozR 4-
2400 § 7 Nr 28 RdNr 15 ff; BSG Urteil vom 29.7.2015 - B 12 KR
23/13 R - BSGE 119, 216 = SozR 4-2400 § 7 Nr 24, RdNr 17 ff)
, und zwar ungeachtet der konkreten Bezeichnung des der
Geschäftsführertätigkeit zugrunde liegenden Vertrags. Dem steht
nicht die Vorschrift des § 5 Abs 1 S 3 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG)
entgegen (dazu a). Vielmehr kommt es für die Annahme einer
selbstständigen Tätigkeit zunächst darauf an, dass der
Geschäftsführer am Gesellschaftskapital beteiligt ist (sog
Gesellschafter-Geschäftsführer). Ein Geschäftsführer ohne
Kapitalbeteiligung (sog Fremdgeschäftsführer) ist ausnahmslos
abhängig beschäftigt (dazu b). Selbstständig tätige Gesellschafter-
Geschäftsführer müssen zudem über eine Mindestkapitalbeteiligung
von 50 vH oder eine "echte" Sperrminorität verfügen (dazu c).
Außerhalb des Gesellschaftsvertrags (Satzung) zustande
gekommene, sich auf die Stimmverteilung auswirkende Abreden
sind für die sozialversicherungsrechtliche Statusbeurteilung ohne
Bedeutung (dazu d). Gemessen daran ist der Kläger abhängig
beschäftigt (dazu e).
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a) Eine abhängige Beschäftigung von Geschäftsführern ist nicht
bereits deshalb ausgeschlossen, weil nach § 5 Abs 1 S 3 ArbGG
Personen, die kraft Gesetzes, Satzung oder Gesellschaftsvertrags
allein oder als Mitglieder des Vertretungsorgans zur Vertretung einer
juristischen Person berufen sind, nicht als Arbeitnehmer gelten.
Diese Regelung beschränkt sich auf das ArbGG und hat keine
Bedeutung für das Sozialversicherungsrecht. Der Zugehörigkeit zu
den Beschäftigten der juristischen Person steht auch nicht
entgegen, dass Geschäftsführer im Verhältnis zu sonstigen
Arbeitnehmern Arbeitgeberfunktionen wahrnehmen
(BSG Urteil vom 18.12.2001 - B 12 KR 10/01 R - SozR 3-2400 § 7 Nr
20 S 78 f)
.
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b) Bei einem Fremdgeschäftsführer scheidet eine selbstständige
Tätigkeit generell aus
(BSG Urteil vom 18.12.2001 - B 12 KR 10/01 R - SozR 3-2400 § 7 Nr
20 S 79)
. Die frühere sog "Kopf und Seele"-Rechtsprechung, wonach ein
Fremdgeschäftsführer einer Familiengesellschaft und
ausnahmsweise auch ein Angestellter unterhalb der
Geschäftsführerebene, der mit den Gesellschaftern familiär
verbunden ist, ausnahmsweise als selbstständig angesehen worden
ist, wenn er faktisch wie ein Alleininhaber die Geschäfte der
Gesellschaft nach eigenem Gutdünken führen konnte und geführt
hat, ohne dass ihn die Gesellschafter daran hinderten, hat der Senat
ausdrücklich aufgegeben. Die Maßgeblichkeit des rein faktischen,
nicht rechtlich gebundenen und daher jederzeit änderbaren
Verhaltens der Beteiligten ist mit dem Erfordernis der
Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher
Tatbestände nicht zu vereinbaren. Eine "Schönwetter-
Selbstständigkeit" lediglich in harmonischen Zeiten, während im Fall
eines Zerwürfnisses die rechtlich bestehende
Weisungsgebundenheit zum Tragen käme, ist nicht anzuerkennen
(BSG Urteil vom 29.7.2015 - B 12 KR 23/13 R - BSGE 119, 216 =
SozR 4-2400 § 7 Nr 24, RdNr 29 f mwN; BSG Urteil vom 29.8.2012 -
B 12 KR 25/10 R - BSGE 111, 257 = SozR 4-2400 § 7 Nr 17, RdNr
32)
.
21
c) Ist ein GmbH-Geschäftsführer zugleich als Gesellschafter am
Kapital der Gesellschaft beteiligt, sind der Umfang der
Kapitalbeteiligung und das Ausmaß des sich daraus für ihn
ergebenden Einflusses auf die Gesellschaft ein wesentliches
Merkmal bei der Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und
selbstständiger Tätigkeit. Ein Gesellschafter-Geschäftsführer ist
nicht per se kraft seiner Kapitalbeteiligung selbstständig tätig,
sondern muss, um nicht als abhängig Beschäftigter angesehen zu
werden, über seine Gesellschafterstellung hinaus die Rechtsmacht
besitzen, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung
die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können. Eine solche
Rechtsmacht ist bei einem Gesellschafter gegeben, der mehr als 50
vH der Anteile am Stammkapital hält. Ein Geschäftsführer, der nicht
über diese Kapitalbeteiligung verfügt und damit als
Mehrheitsgesellschafter ausscheidet, ist grundsätzlich abhängig
beschäftigt. Er ist ausnahmsweise nur dann als Selbstständiger
anzusehen, wenn er exakt 50 vH der Anteile am Stammkapital hält
oder ihm bei einer geringeren Kapitalbeteiligung nach dem
Gesellschaftsvertrag eine umfassende ("echte" oder "qualifizierte"),
die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität
eingeräumt ist. Denn der selbstständig tätige Gesellschafter-
Geschäftsführer muss eine Einflussmöglichkeit auf den Inhalt von
Gesellschafterbeschlüssen haben und zumindest ihm nicht
genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung verhindern
können. Demgegenüber ist eine "unechte", auf bestimmte
Gegenstände begrenzte Sperrminorität nicht geeignet, die
erforderliche Rechtsmacht zu vermitteln
(vgl BSG Urteil vom 11.11.2015 - B 12 R 2/14 R - SozR 4-2400 § 7
Nr 27 RdNr 28 mwN; BSG Urteil vom 11.11.2015 - B 12 KR 10/14 R
- SozR 4-2400 § 7 Nr 28 RdNr 24 mwN; BSG Urteil vom 29.6.2016 -
B 12 R 5/14 R - Juris RdNr 39 ff; BSG Urteil vom 24.9.1992 - 7 RAr
12/92 - SozR 3-4100 § 168 Nr 8 S 16)
.
22
d) Die für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit notwendige
Rechtsmacht, die den Gesellschafter-Geschäftsführer in die Lage
versetzt, die Geschicke der Gesellschaft bestimmen oder zumindest
ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung
verhindern zu können, muss gesellschaftsrechtlich eingeräumt sein.
Außerhalb des Gesellschaftsvertrags (Satzung) bestehende
wirtschaftliche Verflechtungen
(vgl hierzu BSG Urteil vom 29.7.2015 - B 12 KR 23/13 R - BSGE
119, 216 = SozR 4-2400 § 7 Nr 24, RdNr 27; BSG Urteil vom
29.8.2012 - B 12 KR 25/10 R - BSGE 111, 257 = SozR 4-2400 § 7
Nr 17, RdNr 26; BSG Urteil vom 29.8.2012 - B 12 R 14/10 R - Juris
RdNr 30)
, Stimmbindungsabreden
(vgl hierzu BSG Urteil vom 11.11.2015 - B 12 KR 13/14 R - BSGE
120, 59 = SozR 4-2400 § 7 Nr 26, RdNr 25)
oder Veto-Rechte
(vgl hierzu BSG Urteil vom 11.11.2015 - B 12 KR 10/14 R - SozR 4-
2400 § 7 Nr 28 RdNr 26)
zwischen einem Gesellschafter-Geschäftsführer sowie anderen
Gesellschaftern und/oder der GmbH sind nicht zu berücksichtigen.
Sie vermögen die sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden
Rechtsmachtverhältnisse nicht mit sozialversicherungsrechtlicher
Wirkung zu verschieben. Unabhängig von ihrer Kündbarkeit
genügen die das Stimmverhalten regelnden Vereinbarungen nicht
dem Grundsatz der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und
beitragsrechtlicher Tatbestände. Im Interesse sowohl der
Versicherten als auch der Versicherungsträger ist die Frage der
(fehlenden) Versicherungspflicht wegen Selbstständigkeit oder
abhängiger Beschäftigung schon zu Beginn der Tätigkeit zu klären,
weil es darauf nicht nur für die Entrichtung der Beiträge, sondern
auch für die Leistungspflichten der Sozialversicherungsträger und
die Leistungsansprüche des Betroffenen ankommt
(BSG Urteil vom 11.11.2015 - B 12 KR 13/14 R - BSGE 120, 59 =
SozR 4-2400 § 7 Nr 26, RdNr 27 mwN)
.
23
e) Nach Maßgabe dieser Grundsätze war der Kläger nicht
selbstständig tätig, sondern abhängig beschäftigt. Er war zwar
Gesellschafter-Geschäftsführer, als Minderheitsgesellschafter mit
45,6 vH der Gesellschaftsanteile aber nicht in der Lage, seine
minderheitsbedingte Weisungsgebundenheit aufzuheben oder
abzuschwächen. Die ihm eingeräumte ("unechte") Sperrminorität
erstreckte sich ausschließlich auf bestimmte Bereiche und nicht
allumfassend auf die gesamte Unternehmenstätigkeit, sodass er
nicht jegliche Weisungen durch die Mehrheitsgesellschafter hätte
verhindern können. Die mit seinem Bruder getroffene
"Stimmbindungsabrede" ist schon unbeachtlich, weil es sich hierbei
nicht um eine durch Gesellschaftsvertrag zustande gekommene
Vereinbarung handelt. Dasselbe gilt für die unwiderrufliche Option
zum Erwerb von Geschäftsanteilen. Unabhängig davon ist nicht eine
"optionale" Stimmführerschaft, sondern die im zu beurteilenden
Zeitraum faktisch verteilte Rechtsmacht maßgebend.
24
Im Übrigen wird die bereits aus der Stellung als
Minderheitsgesellschafter ohne "echte" Sperrminorität resultierende
Zuordnung als abhängig Beschäftigter durch den zwischen dem
Kläger und der Beigeladenen zu 1. abgeschlossenen
"Geschäftsführer-Anstellungsvertrag" bestätigt, der typische
Regelungen einer Beschäftigung enthält. Danach wird dem Kläger
für seine Geschäftsführertätigkeit ein monatliches Bruttogehalt von
5500 Euro gezahlt und ist ein Urlaubsanspruch von jährlich 26
Tagen sowie bei Arbeitsunfähigkeit Entgeltfortzahlung für sechs
Wochen vorgesehen.
25
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 S 1 SGG.