Urteil des BSG vom 08.03.2018

Elterngeldrecht - Aufhebung der Adoptionspflege im ersten Bezugsmonat - einmonatiger Elterngeldanspruch - Mindestbezugsdauer

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 8.3.2018, B 10 EG 7/16 R
ECLI:DE:BSG:2018:080318UB10EG716R0
Elterngeldrecht - Aufhebung der Adoptionspflege im ersten
Bezugsmonat - einmonatiger Elterngeldanspruch -
Mindestbezugsdauer
Leitsätze
Bei Beendigung der Adoptionspflege besteht der
Elterngeldanspruch unabhängig von der Mindestbezugszeit bis
zum Ablauf des Ereignismonats fort, wenn der
Elterngeldberechtigte den damit verbundenen Verlust des Kindes
nicht zu verantworten hat.
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des
Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. Mai 2016 wird
zurückgewiesen.
Die Beklagte hat auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu
tragen.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger für einen Monat
Elterngeld zusteht, obwohl er die Adoptionspflege nur etwa drei
Wochen ausüben konnte.
2
Der Kläger und seine Ehefrau nahmen am 22.2.2010 ein Kind
(geboren am 16.2.2010) zur Adoptionspflege in ihren Haushalt auf.
3
Am 24.2.2010 beantragte der Kläger bei seiner Arbeitgeberin eine
siebenmonatige Elternzeit. Ab dem vereinbarten Beginn der Elternzeit
am 25.2.2010 unterbrach der Kläger seine Erwerbstätigkeit
vollständig und erzielte ab diesem Zeitpunkt sowie im Monat März
2010 keine Einkünfte. Bereits am 12.3.2010 nahmen die leiblichen
Eltern das Kind wieder in ihren Haushalt auf. Gleichzeitig hob das
Jugendamt den Adoptionspflegevertrag auf.
4
Der Kläger beantragte ohne die Unterschrift seiner Ehefrau am
14.3.2010 schriftlich Elterngeld "für den ersten Lebensmonat" des
Kindes. Die Beklagte lehnte eine Bewilligung mit der Begründung ab,
dass Elterngeld nur für mindestens zwei Monate bezogen werden
könne
(Bescheid vom 11.5.2010, Widerspruchsbescheid vom 26.4.2011).
5
Auf die Berufung des Klägers gegen das die Klage abweisende Urteil
des SG (Urteil vom 4.9.2012) hat das LSG die Beklagte - wie
beantragt - dem Grunde nach zur Gewährung von Elterngeld für den
Zeitraum vom 25.2.2010 bis 21.3.2010 verurteilt: Zum Zeitpunkt der
Haushaltsaufnahme des Kindes am 22.2.2010 seien einschließlich
der gesetzlich vorgesehenen Mindestbezugszeit alle
Anspruchsvoraussetzungen für das Elterngeld prognostisch erfüllt
gewesen. Fielen die Anspruchsvoraussetzungen später weg, sei
keine neue Prognoseentscheidung zu treffen (Urteil vom 11.5.2016).
6
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 4 Abs 3 S 1
Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) in der ab 24.1.2009
geltenden Fassung. Hiernach sei eine Mindestbezugsdauer von zwei
Monaten als Anspruchsvoraussetzung für das Elterngeld geregelt, bei
deren Nichterreichung kein Elterngeld zu bewilligen sei.
7
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. Mai
2016 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des
Sozialgerichts Potsdam vom 4. September 2012 zurückzuweisen.
8
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
9
Er hält die Rechtsauslegung durch die Vorinstanz für zutreffend.
Entscheidungsgründe
10
Die Revision der Beklagten ist unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 SGG).
Das LSG hat im Ergebnis zutreffend auf die in zulässiger Weise auf
ein Grundurteil beschränkte Klage (dazu 1.) entschieden, dass die
Beklagte dem Kläger Elterngeld zu gewähren hat (dazu 2.).
11
1. Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 11.5.2010
in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.4.2011 über die
Ablehnung des vom Kläger geltend gemachten Elterngeldanspruchs
für einen Monat. Gegen die genannten Entscheidungen der
Beklagten wendet sich der Kläger in zulässiger Weise mit der auf die
Gewährung von Elterngeld gerichteten kombinierten Anfechtungs-
und Leistungsklage (§ 54 Abs 1, Abs 4, § 56 SGG), die er
zulässigerweise auf den Erlass eines Grundurteils beschränkt hat
(§ 130 Abs 1 SGG; stRspr vgl BSG Urteil vom 29.6.2017 - B 10 EG
5/16 R - SozR 4-7837 § 2 Nr 32 RdNr 9 mwN)
.
12
2. Die Revision der Beklagten gegen das hiernach ergangene
Grundurteil des LSG hat - unbeschadet der insoweit unzutreffenden
Zeitangaben im Tenor - keinen Erfolg. Dem Kläger steht Elterngeld
für einen vollen Monat nach Beginn der Kindesbetreuung zu. Er hat
seinen Elterngeldantrag rechtzeitig und wirksam rückwirkend gestellt
(hierzu a) und erfüllt die Grundvoraussetzungen für den
Elterngeldanspruch bei Übernahme der Kindesbetreuung (hierzu b).
Sein Leistungsanspruch ist mit dem Tag der Haushaltsaufnahme
des in Adoptionspflege genommenen Kindes entstanden (hierzu c)
und bleibt für einen vollen Monat bestehen (hierzu d). Bei einer mit
dem Wegfall der Adoptionspflege verbundenen Entziehung der
Kindesbetreuung steht die Regelung zur Mindestbezugsdauer der
Gewährung von Elterngeld nicht entgegen (hierzu e).
a) Der Kläger hat Elterngeld am 14.3.2010 wie erforderlich schriftlich
13
a) Der Kläger hat Elterngeld am 14.3.2010 wie erforderlich schriftlich
und zulässigerweise rückwirkend, dh innerhalb der dreimonatigen
Ausschlussfrist
(vgl § 7 Abs 1 BEEG idF durch das Gesetz zur Einführung des
Elterngeldes vom 5.12.2006, BGBl I 2748)
für den Monat nach Aufnahme des Kindes beantragt. Sein Antrag ist
trotz der fehlenden Unterschrift seiner Ehefrau wirksam. Die im
Elterngeldantrag zusätzlich beizubringende Unterschrift der anderen
berechtigten Person soll nach dem Wortlaut des § 7 Abs 3 S 1
BEEG
(in der ab 24.1.2009 gültigen Fassung durch das Erste Gesetz zur
Änderung des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes vom
17.1.2009, BGBl I 61)
lediglich deren Kenntnis bekunden und damit das gegenseitige
Wissen um die jeweils erhobenen und ggf konkurrierenden
Ansprüche insbesondere im Zusammenhang mit der
Mindestbezugszeit nach § 4 Abs 3 S 1 BEEG (s hierzu unter e)
gewährleisten
(vgl Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zu einem
Gesetz zur Einführung des Elterngeldes, BT-Drucks 16/1889 S 25)
. Selbst wenn die weitere Unterschrift als Zustimmung erklärt bzw
gewertet werden kann, ist die andere berechtigte Person nicht
gehindert, konkurrierend Elterngeld zu beantragen
(§ 7 Abs 3 S 2 BEEG idF durch das Erste Gesetz zur Änderung des
BEEG vom 17.1.2009, aaO)
. Dass eine von der anderen berechtigten Person verweigerte
Unterschrift und damit auch eine fehlende Unterschrift der
Gewährung nicht entgegensteht, kann bereits § 7 Abs 3 S 3 2. Halbs
BEEG
(idF durch das Erste Gesetz zur Änderung des BEEG vom
17.1.2009, aaO)
mittelbar entnommen werden. Denn der andere Elternteil soll durch
eine unterlassene Mitwirkung die Auszahlung des Elterngelds nicht
verhindern können
(vgl Jaritz in Roos/Bieresborn, MuSchG/BEEG, 2014, § 7 BEEG
RdNr 44 mwN)
. Zudem folgt aus den in § 5 Abs 2 BEEG
(idF durch das Gesetz zur Einführung des Elterngeldes vom
5.12.2006, aaO)
5.12.2006, aaO)
geregelten Anspruchskonkurrenzen, dass der materielle Anspruch
unabhängig von der mit der zweiten Unterschrift bekundeten
Kenntnis oder gar Zustimmung ist und dass die zweite Unterschrift
weder formelle noch materielle Voraussetzung für die Entstehung
bzw Geltendmachung des Elterngeldanspruchs ist.
14
b) Der Anspruch des Klägers auf Elterngeld ist für einen
Betreuungsmonat entstanden, nachdem ab dem 22.2.2010 die sich
aus § 1 Abs 1 Nr 1 bis 4 BEEG
(idF durch das Gesetz zur Einführung des Elterngeldes vom
5.12.2006, aaO)
ergebenden materiellen Grundvoraussetzungen vorlagen. Hiernach
steht Elterngeld in Deutschland wohnenden bzw sich hier
gewöhnlich aufhaltenden Personen zu, wenn sie die Betreuung und
Erziehung eines im Haushalt lebenden eigenen Kindes selbst
übernommen haben und keine oder keine volle Erwerbstätigkeit
ausüben.
15
aa) Eigenen Kindern stehen jene gleich, die - wie hier - mit dem Ziel
der Annahme als Kind in den Haushalt aufgenommen werden
(§ 1 Abs 3 S 1 Nr 1 BEEG idF durch das Gesetz zur Einführung des
Elterngeldes vom 5.12.2006, aaO)
. Die Formulierung und Reichweite dieser Gleichstellung entspricht §
1 Abs 3 Nr 1 Bundeserziehungsgeldgesetz
(BErzGG in der letzten Fassung durch Art 2 Nr 1 des
Tagesbetreuungsausbaugesetzes vom 27.12.2004, BGBl I 3852).
Diese Norm ordnete eine Gleichstellung der mit dem Ziel der
Annahme aufgenommenen Kinder mit einem Kind an, für das die
Personensorge zustand
(vgl § 1 Abs 1 Nr 2 BErzGG gemäß Bekanntmachung der
Neufassung des BErzGG vom 9.2.2004, BGBl I 206)
. Bereits im Geltungszeitraum des BErzGG war mit
"Haushaltsaufnahme zur späteren Annahme als Kind" die
Adoptionspflege umschrieben, deren Besonderheiten die
Gleichstellung erfordert. Schon während der Adoptionspflege sollte
eine dauerhafte oder zumindest auf Dauer angelegte
Familienbeziehung anzunehmen sein
(vgl die Entwurfsbegründung zu § 1 Abs 3 Nr 1 BErzGG im
Gesetzentwurf der Bundesregierung zu einem Gesetz über die
Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub, BT-Drucks
10/3792 S 15)
, sodass zukünftige Adoptiveltern nicht aus dem Kreis der nach dem
BErzGG Anspruchsberechtigten ausgeschlossen werden sollten
(BSG Urteil vom 15.8.2000 - B 14 EG 4/99 R - SozR 3-7833 § 1 Nr
23 S 118)
.
16
Das Bürgerliche Recht erlaubt eine Adoption nur, wenn sie dem
Wohl des Kindes dient und zu erwarten ist, dass zwischen dem
Annehmenden und dem Kind ein Eltern-Kind-Verhältnis entsteht
(§ 1741 Abs 1 S 1 BGB). Die für eine Adoption wesentliche
Prognoseentscheidung über das Entstehen eines Eltern-Kind-
Verhältnisses kann am ehesten aufgrund praktischer Erfahrungen
gestellt werden, sodass das Kind gemäß § 1744 BGB vor einer
Adoption im Regelfall für eine angemessene Zeit in Adoptionspflege
gegeben werden soll
(vgl Bericht und Antrag des Rechtsausschusses zum Entwurf eines
Gesetzes über die Annahme als Kind, BT-Drucks 7/5087 S 5;
Othmer in Roos/Bieresborn, MuSchG/BEEG, 2014, § 1 BEEG RdNr
39)
. Die Adoptionspflege ist mithin ein notwendiger Schritt bei der
Vorbereitung der Adoption
(vgl Heiderhoff in Herberger/Martinek/Rüßmann ua, juris-PK BGB, 8.
Aufl 2017, § 1744 BGB RdNr 4)
und geht in der Regel in eine Adoption über. Hieraus bzw aus den
im Gesetz zugelassenen Ausnahmen vom Erfordernis der
Personensorge
(§ 1 Abs 1 Nr 2 BErzGG gemäß Bekanntmachung der Neufassung
des BErzGG vom 9.2.2004, aaO)
folgte aber auch, dass andere tatsächlich dauerhafte
Pflegschaftsverhältnisse ohne entsprechende rechtliche Fundierung
die Grundvoraussetzungen nicht begründen konnten
(vgl BSG Urteil vom 9.9.1992 - 14b/4 REg 15/91 - BSGE 71, 128,
130 = SozR 3-7833 § 1 Nr 9 S 38).
17
Diese Grundsätze und Gründe für die Gleichbehandlung gelten mit
der Übernahme der Gleichstellung zur Annahme als Kind
aufgenommener Kinder mit leiblichen Kindern aus dem BErzGG in
das BEEG unverändert fort. Auch der Verzicht auf das Merkmal der
Personensorge in § 1 Abs 1 Nr 2 BEEG
(idF durch das Gesetz zur Einführung des Elterngeldes vom
5.12.2006, aaO)
bedeutet keine Rechtsänderung. Es wird nur deutlicher als bisher
betont, dass vorrangig die leiblichen Eltern anspruchsberechtigt sein
sollen (vgl BT-Drucks 16/1889 S 18), nach wie vor aber die
Adoptionspflege iS des § 1744 BGB gleichgestellt wird
(BT-Drucks 16/1889 S 19; vgl BSG Urteil vom 15.8.2000 - B 14 EG
4/99 R - SozR 3-7833 § 1 Nr 23 S 116)
.
18
bb) Den Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) kann auch
entnommen werden, dass der zuvor erwerbstätige Kläger zum
Zeitpunkt der Erfüllung der übrigen Grundvoraussetzungen ab dem
22.2.2010 keine volle Erwerbstätigkeit iS des § 1 Abs 1 Nr 4 BEEG
mehr ausübte. Keine volle Erwerbstätigkeit liegt vor, wenn die
wöchentliche Arbeitszeit 30 Wochenstunden im Durchschnitt des
Monats nicht übersteigt
(§ 1 Abs 6 Alt 1 BEEG idF durch das Gesetz zur Einführung des
Elterngeldes vom 5.12.2006, aaO)
.
19
Als Konsequenz der rechtlichen Gleichstellung von Adoptionspflege
ist der Umfang der Erwerbstätigkeit hier erst ab der
Haushaltsaufnahme ausschlaggebend. Das Lebensmonatsprinzip
(vgl BSG Urteil vom 15.12.2015 - B 10 EG 3/14 R - BSGE 120, 189 =
SozR 4-7837 § 1 Nr 8, RdNr 11)
wird für die Adoptionspflege abgewandelt, weil die Vorschriften des
BEEG mit der Maßgabe anzuwenden sind, dass statt des Zeitpunkts
der Geburt der Zeitpunkt der Aufnahme bei der berechtigten Person
maßgeblich ist
(§ 1 Abs 3 S 2 BEEG idF durch das Gesetz zur Einführung des
Elterngeldes vom 5.12.2006, aaO)
. Damit schreibt der Gesetzgeber die Gleichbehandlung gegenüber
Berechtigten mit leiblichen Kindern in der gebotenen Weise fort
(zu einer entsprechenden Auslegung des BErzGG vgl BSG Urteil
vom 15.8.2000 - B 14 EG 4/99 R - SozR 3-7833 § 1 Nr 23 S 115).
20
Die Feststellungen des LSG ergeben hinreichend, dass der Kläger
ab der Haushaltsaufnahme (hier dem 22.2.2010) nicht mehr voll
erwerbstätig war. Auch wenn das LSG keine Feststellungen zur
Arbeitszeit des Klägers getroffen hat, betrug der auf den
Monatsdurchschnitt zu rechnende
(vgl Othmer in Roos/Bieresborn, MuSchG/BEEG, 2014, § 1 BEEG
RdNr 28)
Umfang der Erwerbstätigkeit in jedem Fall unter 30 Wochenstunden,
wenn der Kläger - wie festgestellt - ab dem 22.2.2010 bis zum
21.3.2010 lediglich drei Tage erwerbstätig war.
21
c) Der Elterngeldanspruch des Klägers ist für einen Monat
entstanden.
22
Ein monatlicher Elterngeldanspruch kann bei Adoptionspflege
frühestens ab der Aufnahme des Kindes bei der berechtigten
Person für bis zu 14 Monate und längstens bis zur Vollendung des
achten Lebensjahres des Kindes bestehen
(§ 4 Abs 1 S 2 BEEG idF durch das Gesetz zur Einführung des
Elterngeldes vom 5.12.2006, aaO)
. Auch diese Regelung dient der Gleichstellung der (zukünftigen)
Adoptiveltern und Eltern leiblicher Kinder, weil bereits mit dem
Beginn des Zusammenlebens regelmäßig besondere
Anforderungen an die fürsorgliche Leistung der Eltern einhergehen
(BT-Drucks 16/1889 S 23). Der einer Betreuung neugeborener
Kinder vergleichbar anspruchsvolle Aufbau einer Eltern-Kind-
Beziehung soll gefördert werden
(vgl die Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drucks 11/4708 S 2 zu
dem entsprechenden § 4 Abs 1 S 3 BErzGG und dessen ab dem
1.7.1989 geltende Fassung durch das Gesetz zur Änderung des
Bundeserziehungsgeldgesetzes und anderer Vorschriften vom
30.6.1989, BGBl I 1297)
. Der Anspruch entsteht bei Adoptionspflege eigenständig und wird
nicht durch Inanspruchnahme des Elterngelds durch die leiblichen
Eltern verbraucht
(vgl Becker in Buchner/Becker, MuSchG/BEEG, 8. Aufl 2008, § 4
BEEG RdNr 6)
.
23
Ab der Aufnahme des Adoptionspflegekindes entsteht der Anspruch
monatsweise. Nach § 4 Abs 2 S 1 BEEG
(idF durch das Gesetz zur Einführung des Elterngeldes vom
5.12.2006, aaO)
wird Elterngeld in Monatsbeträgen für Lebensmonate des Kindes
gezahlt. Obwohl der Wortlaut darauf hindeutet, wird damit nicht die
Zahlweise geregelt, sondern die in § 6 S 1 BEEG erwähnte
Anspruchsbestimmung bzw das Lebensmonatsprinzip
(vgl BSG Urteil vom 29.8.2012 - B 10 EG 20/11 R - SozR 4-7837 § 2
Nr 18 RdNr 30 mwN)
. Entsprechendes gilt bei einer Adoptionspflege für
Betreuungsmonate
(§ 4 Abs 5 S 1 BEEG idF durch das Gesetz zur Einführung des
Elterngeldes vom 5.12.2006, aaO)
, sodass in Verbindung mit § 4 Abs 1 S 2 BEEG der
Elterngeldanspruch für die mit dem Aufnahmetag beginnenden
Monate der Betreuung entsteht.
24
Danach ist der Elterngeldanspruch des Klägers ab dem 22.2.2010
für den ersten Betreuungsmonat entstanden, nachdem er das zur
Adoptionspflege gegebene Kind an diesem Datum in seinen
Haushalt aufnahm.
25
d) Der Elterngeldanspruch ist trotz der Beendigung der
Adoptionspflege vor Ablauf des ersten Betreuungsmonats für diesen
Betreuungsmonat weder vollständig noch teilweise weggefallen,
sondern bleibt bis zu dessen Ablauf bestandsgeschützt.
26
Nach § 1 Abs 5 BEEG bleibt der Anspruch auf Elterngeld zwar
unberührt, wenn die Betreuung und Erziehung des Kindes aus
einem wichtigen Grund nicht sofort aufgenommen werden kann oder
unterbrochen werden muss. Werden die Betreuung und Erziehung
des Kindes aber dauerhaft unmöglich, führt dies zum Wegfall des
Elterngeldanspruchs (BT-Drucks 16/1889 S 19). Ein solcher Fall ist
mit der Beendigung der Adoptionspflege und der Betreuung ab dem
12.3.2010 eingetreten. Die wesentlichste Grundvoraussetzung für
den Elterngeldanspruch ist damit noch vor dem Ende des ersten
Betreuungsmonats auf Dauer entfallen.
27
Gleichwohl belässt das BEEG grundsätzlich den Eltern einen einmal
entstandenen Elterngeldanspruch zumindest noch als
Zahlungsanspruch für den gesamten Lebens- bzw
Betreuungsmonat, in dem eine Anspruchsvoraussetzung entfallen
ist
(§ 4 Abs 4 BEEG idF durch das Gesetz zur Einführung des
Elterngeldes vom 5.12.2006, aaO)
. Nach dem Wortlaut des § 4 Abs 4 BEEG, der systematischen
Stellung der Regelung, ihrem Normzweck und ihrer
Entstehungsgeschichte gilt dieser Bestandsschutz bei dem Verlust
des Kindes durch Tod und in gleicher Weise bei dem Verlust des
Kindes durch Entziehung der Adoptionspflege.
28
Nach seinem Wortlaut erfasst § 4 Abs 4 BEEG zunächst sämtliche
Gründe für den Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen. Dies
entspricht der systematischen Stellung im Kontext des
Lebensmonatsprinzips
(§ 4 Abs 2 S 1 BEEG idF durch das Gesetz zur Einführung des
Elterngeldes vom 5.12.2006, aaO)
und wird durch die Entstehungsgeschichte sowie den Normzweck
bestätigt.
29
Erst mit der Neufassung der seit dem 1.1.2004 geltenden
Vorläuferregelung in § 4 Abs 3 BErzGG
(idF durch Haushaltsbegleitgesetz 2004 vom 29.12.2003, BGBl I
3076)
entfiel eine Ausnahmeregelung im Fall des Todes des Kindes und
endete der Erziehungsgeldanspruch stets mit dem Ablauf des
Lebensmonats, in dem eine der Anspruchsvoraussetzungen
entfallen ist. Zuvor galt der Tod des Kindes während der Elternzeit
als einzige Ausnahme, bei der das Erziehungsgeld bis zur
Beendigung der Elternzeit weitergezahlt wurde
(§ 4 Abs 3 S 2 BErzGG idF durch die Bekanntmachung der
Neufassung vom 7.12.2001, BGBl I 3358)
. Dadurch endete der Erziehungsgeldanspruch wie die Elternzeit
gemäß § 16 Abs 4 BErzGG spätestens drei Wochen nach dem Tod
des Kindes; Elternzeit und Erziehungsgeldanspruch gingen bis zum
frühestmöglichen Zeitpunkt der Wiederaufnahme der
Erwerbstätigkeit parallel (BT-Drucks 10/3792 S 16). Mit der
ersatzlosen Streichung dieser Ausnahmeregelung sollte klargestellt
werden, dass auch Eltern, die ihr Kind in der Elternzeit durch Tod
verlieren, Erziehungsgeld bis zum Ablauf des betreffenden Monats
erhalten
(Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zu Art 14 Nr
2 Buchst c des Haushaltsbegleitgesetzes 2004, BT-Drucks 15/1502
S 34)
. Als Folge der rechtlichen Gleichstellung des Adoptionspflegekindes
mit dem leiblichen Kind unterfiel dementsprechend auch der Verlust
des Adoptionspflegekindes infolge der Rückforderung durch die
leiblichen Eltern dem Bestandsschutz des § 4 Abs 3 BErzGG.
30
Hieran knüpft § 4 Abs 4 BEEG ohne inhaltliche Änderung der
Rechtslage an. Für den Elterngeldanspruch verbleibt es bei der
beschriebenen allgemeinen Regel des § 4 Abs 3 BErzGG
(Becker in Buchner/Becker, MuSchG/BEEG, 8. Aufl 2008, § 4 BEEG
RdNr 26)
, nicht zuletzt im Interesse der Verwaltungsvereinfachung
(BT-Drucks 16/1889 S 24). Wegen der vom BEEG vorgesehenen
umfassenden Gleichstellung der Elternschaft und der
Adoptionspflege im Bereich der Anspruchsvoraussetzungen und
Anspruchsgestaltung gilt der Bestandsschutz auch weiterhin im Fall
des endgültigen Verlustes des in Adoptionspflege genommenen
Kindes.
31
Dementsprechend ist trotz Haushaltsaufnahme durch die leiblichen
Eltern und Beendigung des Adoptionspflegevertrags der
Elterngeldanspruch des Klägers bis zum Ablauf des ersten
Betreuungsmonats begründet.
32
Entgegen der Rechtsaufassung der Beklagten beeinflusst die
Möglichkeit rückwirkender Antragstellung
(§ 7 Abs 1 BEEG, dazu unter 2. a) die Fortdauer des
Elterngeldanspruchs bis zum Ablauf des Monats nach Wegfall der
Anspruchsvoraussetzungen nicht. Denn die Möglichkeit
rückwirkender Antragstellung ist - wenn auch mit abweichender Frist
- ebenfalls dem BErzGG entlehnt (§ 4 Abs 2 BErzGG), welches
ursprünglich allein für den Fall des Kindstodes eine Ausnahme von
der beschriebenen Grundregel des § 4 Abs 3 BErzGG vorsah
(BT-Drucks 10/3792 S 16) und späterhin gar keine Ausnahme mehr
zuließ.
33
e) Der Elterngeldanspruch für den Betreuungsmonat ist nicht
dadurch entfallen, dass der Kläger die vorgegebene
Mindestbezugszeit von zwei Monaten nicht erfüllt.
34
Auch bei Adoptionspflege kann eine berechtigte Person
grundsätzlich nur mindestens für zwei (die sog "Mindestbezugszeit")
und höchstens für zwölf Monate Elterngeld beziehen
(§ 4 Abs 3 S 1 BEEG in der ab 24.1.2009 gültigen Fassung durch
das Erste Gesetz zur Änderung des BEEG vom 17.1.2009, BGBl I
61 iVm § 4 Abs 5 S 1 BEEG idF durch das Gesetz zur Einführung
des Elterngeldes vom 5.12.2006, aaO)
. Die Mindestbezugsdauer findet auf die unter d) beschriebenen
Verlustfälle jedoch keine Anwendung. Dies ergibt sich aus Wortlaut
und Kontext sowie Historie und Zielsetzung der erst später durch
das Erste Gesetz zur Änderung des BEEG vom 17.1.2009 (aaO)
geschaffenen Regelung.
35
Der Wortlaut des § 4 Abs 3 S 1 BEEG bringt den Regelungsinhalt
der Mindestbezugszeit sprachlich auf der Tatbestandseite nur
unvollkommen und hinsichtlich der Rechtsfolgen gar nicht zum
Ausdruck. Eltern "können" nicht nur für die Mindestbezugszeit und
darüber hinaus Elterngeld beziehen. Die Mindestbezugszeit "muss"
vielmehr von der leistungsberechtigten Person selbst erreicht
werden, was eine entsprechende Mindestbetreuungsdauer
voraussetzt. Sprachlich ungekürzt kann der Regelungsinhalt zur
voraussetzt. Sprachlich ungekürzt kann der Regelungsinhalt zur
Mindestbezugszeit wie folgt formuliert werden: Ein
Elterngeldanspruch besteht ua nur, wenn eine elterngeldberechtigte
Person die Betreuung für mindestens zwei Lebens- bzw
Betreuungsmonate übernimmt. Wird die umschriebene
Mindestbezugsdauer nicht erreicht, weil die Betreuung von
vornherein für weniger als zwei Monate ausgeübt wird, besteht
insgesamt kein Anspruch auf Elterngeld. Stellt sich erst später
heraus, dass die an sich erreichbare Mindestbezugszeit nicht
erreicht wird, führt dies rückwirkend zu einem Wegfall des
Elterngeldanspruchs auch für den ersten Betreuungsmonat. Diese
Betrachtungsweise trägt dem Umstand Rechnung, dass der Bezug
des Elterngelds durch die Mindestbezugszeit ansonsten nicht
erschwert werden soll. Insbesondere bleibt es weiter möglich, die
Elterngeld- und damit auch die Partnermonate frei über die
Rahmenfrist zu verteilen, ohne sie "am Stück" nehmen zu müssen
(vgl Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des BEEG, BT-
Drucks 16/9415 S 6; Jaritz in Roos/Bieresborn, MuSchG/BEEG,
2014, § 4 BEEG RdNr 38)
. Hieran ändert sich deshalb auch dann nichts, wenn die
Elterngeldstelle bei der in die Zukunft gerichteten
Elterngeldbewilligung ggf eine vorausschauende Betrachtungsweise
(Prognose) über die Mindestbetreuung anzustellen hat
(vgl BMFSFJ, Richtlinien zum BEEG, Teil I, 4.5.2, S 188, Stand Mai
2017)
. Hierbei handelt es sich ersichtlich nicht um eine echte (richtige)
Prognose über langfristige zukünftige Entwicklungen
(vgl hierzu BSG Urteil vom 6.4.2006 - B 7a AL 20/05 R - SozR 4-
4300 § 324 Nr 2 RdNr 22)
, deren rückwirkend abweichende Betrachtung mit dem Wesen der
Leistung nicht vereinbar wäre
(vgl zu Statusentscheidungen BSG Urteil vom 2.4.2014 - B 3 KS
4/13 R - SozR 4-5425 § 3 Nr 3 RdNr 29; BSG Urteil vom 27.7.2011 -
B 12 R 15/09 R - SozR 4-2600 § 5 Nr 6 RdNr 17)
.
36
Die Mindestbezugszeit stellt sich danach zwar - bestätigt durch ihre
systematische Stellung innerhalb des § 4 BEEG - als Ausnahme
vom Lebensmonatsprinzip einerseits und dem daran gekoppelten
Ende der Dauer des Elterngeldanspruchs andererseits dar. Als
Ausnahme vom Lebensmonatsprinzip erfasst die Mindestbezugszeit
jedoch weder den Tod des Kindes noch den gleichzustellenden
Verlust des Adoptionspflegekindes. Die Regelung zur
Mindestbezugszeit ist insoweit aufgrund ihrer
Entstehungsgeschichte und ihrem Sinn und Zweck sowie im Kontext
insbesondere zum Lebensmonatsprinzip einschränkend
auszulegen
(teleologische Reduktion; zu den Grundsätzen vgl BSG Urteil vom
6.9.2017 - B 13 R 33/16 R - SozR 4-2600 § 96a Nr 17 RdNr 38; BSG
Urteil vom 4.12.2014 - B 2 U 18/13 R - BSGE 118, 18 = SozR 4-
2700 § 101 Nr 2, RdNr 27)
.
37
Entstehungsgeschichtlich hat die Mindestbezugszeit anders als die
Regelung in § 4 Abs 4 BEEG kein Vorbild im BErzGG und verfolgt
ein davon abweichendes elterngeldspezifisches Ziel. Der Sinn und
Zweck der Einführung einer Mindestbezugszeit zum 24.1.2009
bestand darin, eine vermehrte Inanspruchnahme der mit dem BEEG
zum 1.1.2007 eingeführten zusätzlichen zwei "Partnermonate" zu
erreichen. Die für eine leistungsberechtigte Person in der Regel
geltende Höchstbezugsdauer von 12 Monaten konnte danach
erstmalig um zwei weitere Monatsbeträge ("Partnermonate")
verlängert werden, wenn für zwei Monate eine Minderung des
Einkommens aus Erwerbstätigkeit erfolgt
(§ 4 Abs 3 S 1, Abs 2 S 2 BEEG in der bis 31.12.2014 geltenden
Fassung durch das Gesetz zur Einführung des Elterngeldes vom
5.12.2006, aaO)
. Mit den Partnermonaten förderte das BEEG von vornherein in
besonderer Weise die Elternzeit für Väter, indem es ihnen die
Übernahme einer aktiveren Rolle in der Familie erlauben wollte
sowie gegenüber Dritten die Entscheidung erleichtern sollte, sich
eine Zeitlang der Betreuung ihres neugeborenen Kindes zu widmen
(BT-Drucks 16/1889 S 16). Dabei sollten Eltern schon vor der
Einführung der Mindestbezugszeit wählen können, wer in welchem
Umfang und wann in der gesamten möglichen Bezugsdauer die
mindestens zwei Monate garantierte Leistung in Anspruch nimmt
(BT-Drucks 16/1889 S 2). Nach den ersten Erfahrungen mit dem
BEEG sollte mit der Mindestbezugszeit eine noch bessere
Rechtfertigung für eine längere Elternzeit gegenüber Dritten
geschaffen und eine intensivere Bindung des zweiten Elternteils
zum Kind gefördert werden
(vgl Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des BEEG, BT-
Drucks 16/9415 S 6)
. Anders ausgedrückt soll verhindert werden, dass ein Elternteil - vor
allem der Vater - oftmals nur einen der beiden "Partnermonate"
beansprucht
(Wiegand in Wiegand, BEEG, § 4 RdNr 11a, Werksstand Dezember
2017)
. Die Mindestbezugszeit zielt demnach vor allem auf die Motivation
des zweiten Partners zu einer ernsthafteren Betreuung und liefert
insbesondere gegenüber einem Arbeitgeber ein gewichtigeres
Argument für eine wenigstens zweimonatige Reduzierung der
Erwerbstätigkeit, weil nur so der Zugang zum Elterngeldanspruch
geschaffen wird.
38
Nach diesen Regelungszielen ist nicht zu erkennen, dass die
Mindestbezugszeit außerhalb ihres speziellen Anliegens an den
sonstigen Anspruchsumständen etwas ändert. Sie schränkt auch
den nach übergeordneten Merkmalen zu bestimmenden
Personenkreis im Geltungsbereich des BEEG ebenso wenig ein, wie
dies bei den Partnermonaten der Fall ist
(vgl BSG Urteil vom 15.12.2015 - B 10 EG 3/14 R - BSGE 120, 189 =
SozR 4-7837 § 1 Nr 8, RdNr 22)
. Der durch die Mindestbezugszeit bewirkte Verlust des
Elterngeldanspruchs ist vielmehr die Folge einer Entscheidung im
Verantwortungsbereich der Berechtigten für eine Elternzeit unterhalb
des vom Gesetz geforderten Schwellenwerts. Die hier einschlägigen
Verlustfälle werden deshalb von der Mindestbezugszeit nicht erfasst
und verbleiben weiterhin im Regelungsbereich der Grundnorm des §
4 Abs 4 BEEG.
39
Die Grundnorm des § 4 Abs 4 BEEG ist hiernach durch die jüngere
Regelung zur Mindestbezugszeit nicht "überholt"
(vgl zum Grundsatz des Vorrangs des jüngeren Gesetzes BSG
Urteil vom 20.3.2013 - B 5 R 2/12 R - SozR 4-2600 § 88 Nr 2 RdNr
18; BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 =
SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 25)
. Die Mindestbezugszeit hat lediglich die Bedeutung der
Partnermonate gestärkt. Nur mit diesem speziellen Anliegen
beansprucht sie zeitlich und inhaltlich Vorrang. Auch nach der
Einführung der Mindestbezugszeit bleibt es dabei, dass ein einmal
begründeter Elterngeldanspruch mit dem Ablauf des Lebens- oder
Betreuungsmonats endet, in dem der Verlust des Kindes eintritt.
40
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.