Urteil des BSG vom 13.12.2011

Krankenversicherung - Fahrkosten - Auswirkungen der Höchstpreisregelung für Krankentransporte auf bereits eingegangene rahmenvertragliche Vergütungsverpflichtungen und neue Vergütungsvereinbarungen - keine "Urkundeneinheit" bei koordinationsrechtlichen -

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 13.12.2011, B 1 KR 9/11
R
Krankenversicherung - Fahrkosten - Auswirkungen der
Höchstpreisregelung für Krankentransporte auf bereits
eingegangene rahmenvertragliche
Vergütungsverpflichtungen und neue
Vergütungsvereinbarungen - keine "Urkundeneinheit" bei
koordinationsrechtlichen - öffentlich-rechtlichen Verträgen -
vorweggenommene schriftliche Zustimmungserklärung der
Rahmenvertragsparteien bei Beitrittsoption - Begründung
einer unmittelbaren öffentlich-rechtlichen Leistungs- und
Vergütungsberechtigung - Rahmenvertrag keine Vorschrift
iSd § 162 SGG - Auslegung schuldrechtlicher Verträge durch
das Revisionsgericht
Leitsätze
1. Die gesetzliche Höchstpreisregelung für Krankentransporte
berechtigt eine Krankenkasse nicht dazu, eingegangene
rahmenvertragliche Vergütungsverpflichtungen einseitig einem
Vorbehalt günstigerer Vertragsangebote Dritter zu unterwerfen.
2. Die gesetzliche Höchstpreisregelung für Krankentransporte
erlaubt Krankenkassen lediglich, über bereits abgeschlossene
Verträge hinaus weitere, für sie günstigere
Vergütungsvereinbarungen zu treffen, lässt aber die Wirkungen
der bereits abgeschlossenen Verträge unberührt.
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des
Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 7. Juni 2011 wird
zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.
Der Streitwert wird für das Revisionsverfahren auf 521,79 Euro
festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten über die Höhe der Vergütung für mit einem
Taxi durchgeführte Krankentransportfahrten.
2
Die beklagte Krankenkasse (KK) schrieb die ihrer Versicherten A. M.
(im Folgenden: Versicherte) verordneten Krankentransportfahrten
zum Universitätsklinikum Bonn im Internet aus und teilte ihrer
Versicherten mit, das Unternehmen H. werde sie zu den
Behandlungsterminen befördern
(Hin- und Rückfahrten in der Zeit "vom 02.05.2007 bis 31.03.2008
und/oder 96 Fahrten"; Bescheid vom 27.4.2007)
. Die Versicherte wollte sich dagegen von dem klagenden Taxi- und
Mietwagenunternehmen befördern lassen. Daraufhin teilte ihr die
Beklagte mit (Bescheid vom 4.5.2007), sie könne das
Personenbeförderungsunternehmen frei wählen, es würden jedoch
nur Kosten in Höhe von 90,00 Euro je Transporttag übernommen. Sie
fügte ein dem Unternehmen auszuhändigendes, an dieses
gerichtetes Genehmigungsschreiben mit demselben Datum bei, das
zu den oben bezeichneten Krankentransportfahrten ua ausführte:
"Für diese Fahrten können Sie mit der EUR 90,00 pro
Hin- und Rückfahrt abrechnen." Die Klägerin führte zunächst von Mai
bis August 2007 mehrere Fahrten durch. Sie forderte von der
Beklagten insgesamt 1440,74 Euro aufgrund eines auf Landesebene
geschlossenen Rahmenvertrages
(Rechnungen vom 26.6., 30.6., 9.7., 17.7. und 28.8.2007). Die
Beklagte zahlte hierauf nur 1001,84 Euro. Die Klägerin hat ihre beim
SG auf Zahlung von 438,19 Euro erhobene Klage auf insgesamt
521,79 Euro nebst Zinsen erweitert
(Rechnungen vom 18.1. und vom 13.3.2008 und weitere Teilzahlung
der Beklagten)
. Das SG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt
(Urteil vom 26.4.2010). Das LSG hat die Berufung der Beklagten
zurückgewiesen: Die Beklagte habe den im Rahmenvertrag
vereinbarten Preis nicht wirksam einseitig zu Lasten der Klägerin
abändern können (Urteil vom 7.6.2011).
3
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung der
Höchstpreisregelung des § 133 Abs 1 S 4 SGB V iVm dem
Rahmenvertrag sowie des § 60 Abs 1 S 3 SGB V iVm § 91 Abs 6
SGB V und des § 8 Krankentransport-Richtlinien. § 133 Abs 1 S 4
SGB V erlaube es den KKn, geringere Angebote als
rahmenvertraglich vereinbart abzugeben, wenn andere Unternehmen
zu diesen Preisen leistungsbereit seien. Nehme ein
Personenbeförderungsunternehmen - wie hier die Klägerin - ein
solches niedrigeres Angebot nicht an, könne es keine höhere
Vergütung aus dem Rahmenvertrag verlangen, sondern allenfalls
Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung im Wert des
niedrigeren Angebotes. Der Anspruch der Klägerin könne außerdem
nicht weiter reichen als der Anspruch der Versicherten, den der
Bescheid vom 4.5.2007 begrenze. Die Beklagte habe eine Leistung
zu einem Preis oberhalb von 90,00 Euro auch nicht nach § 8
Krankentransport-Richtlinien genehmigt.
4
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 7. Juni
2011 und des Sozialgerichts Koblenz vom 26. April 2010 aufzuheben
und die Klage abzuweisen.
5
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
6
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
7
Die zulässige Revision der beklagten KK ist unbegründet. Zu Recht
hat das LSG die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und das
SG die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Die klagende
Transportunternehmerin hat nämlich gegen die Beklagte Anspruch
auf Zahlung weiterer 521,79 Euro nebst 4 % Zinsen hieraus seit
Rechtshängigkeit für die erbrachten Fahrten mit der Versicherten zu
deren ambulanter Behandlung in Bonn (dazu 2.). Die dagegen
erhobenen Einwendungen der Beklagten greifen nicht durch
(dazu 3.).
8 1. Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden
Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt. Die Klägerin macht zu
Recht ihren Vergütungsanspruch mit der (echten) Leistungsklage
nach § 54 Abs 5 SGG gegen die Beklagte geltend. Die Klage eines
Leistungserbringers iS des § 133 SGB V auf Zahlung zu Unrecht
nicht geleisteter Vergütung gegen eine KK - wie hier - ist ein sog
Beteiligtenstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung
durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt, kein Vorverfahren
durchzuführen und keine Klagefrist zu beachten ist
(stRspr, vgl entsprechend zu Heilmittelerbringern BSG Urteil vom
13.9.2011 - B 1 KR 23/10 R - SozR 4-2500 § 125 Nr 7 RdNr 9, zur
Veröffentlichung auch in BSGE vorgesehen)
.
9 2. Der Zahlungsanspruch der Klägerin ergibt sich aus § 5 des
zwischen dem Verband des Verkehrsgewerbes Rheinland e.V. und
dem Verband des Verkehrsgewerbes Rheinhessen-Pfalz e.V.
einerseits und den Verbänden der KKn iS der §§ 207, 212 SGB V
sowie Landesverbänden der gewerblichen Berufsgenossenschaften
andererseits geschlossenen Rahmenvertrages vom 5.4.2006 (im
Folgenden: Rahmenvertrag) iVm § 1 I. Abs 2 und 3 Anlage 2
Rahmenvertrag. Die Klägerin und die Beklagte sind wirksam in den
zustande gekommenen Vertrag einbezogen (dazu a). Die
vertraglichen Voraussetzungen des Zahlungsanspruchs (dazu b)
sind erfüllt (dazu c).Der Anspruch besteht auch der Höhe nach und
hinsichtlich der Zinsen im geltend gemachten Umfang (dazu d).
10
a) Leistungserbringungsrechtsverhältnisse sind mit dem Inhalt des
Rahmenvertrages und der jeweils geltenden
Vergütungsvereinbarung zwischen der Klägerin auf der einen Seite
und den Vertragspartnern auf Kostenträgerseite (soweit sie selbst
Versicherungsträger sind) sowie den dem Vertrag beigetretenen
Mitgliedskassen (soweit die Vertragspartner nur Zusammenschlüsse
von Versicherungsträgern sind) auf der anderen Seite zustande
gekommen. Die Beklagte zählt zu den durch einen Verband
vertretenen Mitgliedskassen. Die Klägerin (dazu aa) und die
Beklagte (dazu bb) sind dem Rahmenvertrag wirksam beigetreten,
ohne gegen § 56 SGB X zu verstoßen (dazu cc).
11
aa) Nach § 1 Buchst a, § 3 Abs 1 bis 3 Rahmenvertrag gilt der
Vertrag für die Mitglieder der Verkehrsverbände, wenn sie im Besitz
einer gültigen Genehmigungsurkunde nach dem
Personenbeförderungsgesetz (PBefG) sind, die Beitrittserklärung
gemäß Anlage 1 Rahmenvertrag unterzeichnet haben, ein Antrag
mit Nachweis der vorgenannten Voraussetzungen bei der AOK - Die
Gesundheitskasse in Rheinland-Pfalz, der BKK-IKK-LKK
Arbeitsgemeinschaft Rheinland-Pfalz, der Knappschaft oder bei dem
Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V. (VdAK) bzw dem
Arbeiter-Ersatzkassen-Verband e.V. (AEV) gestellt und die
Leistungsberechtigung durch eine der vorgenannten Stellen
festgestellt wurde. Die Übergangsbestimmung des § 11 Abs 2
Rahmenvertrag sieht vor, dass die nach den bisher bestehenden
Verträgen tätigen Kraftdroschken- und Mietwagenunternehmen
nach § 3 Abs 1 Rahmenvertrag als leistungsberechtigt gelten, sofern
sie die Erklärung nach Anlage 1 Rahmenvertrag unterzeichnet und
bei den zuständigen Verkehrsverbänden eingereicht haben, die die
Erklärung an die Kostenträger nach § 3 Abs 2 Rahmenvertrag
weiterleiten.
12
Die Klägerin erfüllt diese Voraussetzungen. Nach den
unangegriffenen und daher den Senat bindenden Feststellungen
des LSG (§ 163 SGG) ließen der VdAK und der AEV mit Schreiben
vom 30.9.2004 die Klägerin zu den Bedingungen des
Rahmenvertrages vom 1.3.1995 zwischen den Verbänden des
Verkehrsgewerbes Rheinland-Pfalz und den Verbänden der
Kostenträger in Rheinland-Pfalz zur Leistungserbringung zu. Die
Klägerin erklärte unter dem 25.11.2006 mit dem in Anlage 1
Rahmenvertrag vorgesehenen Formular ihren Beitritt zum
Rahmenvertrag vom 5.4.2006. Aufgrund der Bestimmung des § 11
Abs 2 Rahmenvertrag bedurfte es für das wirksame
Zustandekommen des Vertrages nicht einer besonderen
Annahmeerklärung des Vertragsbeitrittsangebotes der Klägerin.
Vielmehr galt jedes Taxi- und Mietwagenunternehmen unter den dort
genannten Bedingungen als leistungsberechtigt, wenn es zugleich
seine Beitrittserklärung dem zuständigen Verkehrsverband
einreichte. Die Übergangsregelung des § 11 Abs 2 Rahmenvertrag
sah ein "echtes" Optionsrecht für die Übergangssachverhalte vor.
13
bb) Die Beklagte erklärte gegenüber ihrem Verband mit Schreiben
vom 15.5.2006 ihre Zustimmung zum ab 1.4.2006 geltenden
Rahmenvertrag und mit Schreiben vom 2.1.2007 ihre Zustimmung
zu der ab 1.1.2007 geltenden Vergütungsvereinbarung.
14
cc) Klägerin und Beklagte haben - ohne wechselbezügliche
Willenserklärungen - durch ihre schriftlichen Beitrittserklärungen die
Geltung des Rahmenvertrages formgerecht unter Beachtung des §
56 SGB X auf sich erstreckt. Nach § 56 SGB X ist ein öffentlich-
rechtlicher Vertrag schriftlich zu schließen, soweit nicht durch
Rechtsvorschrift eine andere Form vorgeschrieben ist. Der schon
vor den Beitrittserklärungen geschlossene Rahmenvertrag selbst
erfüllt die Schriftform. Auch die Beitrittserklärungen der Klägerin und
der Beklagten erfolgten schriftlich. Die fehlende Urkundeneinheit
steht hier der Wirksamkeit der Vertragsbeitritte nicht entgegen. Sie
sind nicht deshalb unwirksam, weil Klägerin und Beklagte nicht
gemeinsam eine Vertragsurkunde unterzeichnet haben, wie dies §
56 SGB X iVm dem - ggf entsprechend anzuwendenden - § 126 Abs
2 S 1 BGB grundsätzlich voraussetzt.
15
Nach der Rechtsprechung des BSG kann bei -
koordinationsrechtlichen - öffentlich-rechtlichen Verträgen zwischen
Leistungsträgern von dem Erfordernis der "Urkundeneinheit" des §
126 Abs 2 S 1 BGB, also der Unterschrift der Vertragspartner auf
einer Urkunde, abgesehen werden
(vgl BSGE 69, 238, 241 f = SozR 3-1200 §
52 Nr 2 S 23 mwN; anders BSG SozR 3-2500 §120 Nr3 S
21, das aber keinen koordinationsrechtlichen Sachverhalt, sondern
eine abweichend von §
120 SGB V - Vergütung ambulanter Krankenhausleistungen -
angestrebte Direktabrechnungsbefugnis des ermächtigten
Krankenhausarztes betrifft).
Der mit dem Schriftformerfordernis des § 56 SGB X erstrebten
Dokumentations- und Schutzfunktion kommt hier nicht die
Bedeutung zu wie bei subordinationsrechtlichen Verträgen.
Ausreichend für die Erfüllung der Schriftform ist in diesen Fällen die
willensmäßige Übereinstimmung schriftlich in verschiedenen
Urkunden abgegebener Willenserklärungen
(sogar für einen subordinationsrechtlichen Vertrag angenommen
von BVerwGE 96, 326, 332 ff = NJW 1995, 1104, wenn einer
lediglich schriftlich erklärten einseitigen Verpflichtung eines Bürgers
zugunsten der Verwaltung eine unmissverständliche schriftliche
Annahmeerklärung der Behörde gegenübersteht)
. Nach diesen Rechtsgedanken begegnet die schriftliche
Beitrittserklärung der Beklagten keinen formellen Bedenken. Wird
einem bestimmten Personenkreis auf Gleichordnungsebene
rahmenvertraglich eine Beitrittsoption eingeräumt, liegt darin eine
unmissverständliche vorweggenommene schriftliche
Zustimmungserklärung der Rahmenvertragsparteien zur Ausübung
der Option im Wege der einseitigen empfangsbedürftigen
Willenserklärung. Es bedarf nach dem Schutzzweck des § 56 SGB
X iVm § 126 Abs 2 S 1 BGB keiner Urkundeneinheit zwischen der
bereits vorhandenen Vertragsurkunde und der schriftlichen
Optionserklärung.
16
Nichts anderes gilt für die Ausübung des Optionsrechts der Klägerin.
Die Übergangsvorschrift des § 11 Abs 2 Rahmenvertrag räumte ihr
im bereits dargelegten Sinne ein Optionsrecht ein, das sie im Sinne
des Beitritts ausgeübt hat.
17
b) Der Vergütungsanspruch des Transporteurs entsteht - in Einklang
mit der Gesetzeskonzeption - aufgrund des Rahmenvertrags ohne
weitere auf die Versicherten bezogene Einzelleistungsverträge. Der
Rahmenvertrag begründet nämlich entsprechend § 133 Abs 1 iVm
Abs 3 SGB V
(idF des im Zeitpunkt des Vertragsschlusses einschließlich der
Beitrittserklärungen noch maßgeblichen Art
1 Nr
51 Gesetz zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab
dem Jahr 2000 vom
22.12.1999, BGBl
I 2626) eine unmittelbare öffentlich-rechtliche Leistungs- und
Vergütungsberechtigung für die einbezogenen
Personenbeförderungsunternehmen, die Versicherten gegen von
den KKn zu entrichtendes Entgelt mit Krankenfahrten zu versorgen.
Dies entspricht dem allgemeinen Regelungsprinzip, das der
erkennende Senat und der 3. Senat des BSG übereinstimmend dem
Vergütungsrecht der nichtvertragsärztlichen Leistungserbringer
zugrunde legen
(zuletzt BSG Urteil vom 13.9.2011 - B 1 KR 23/10 R - SozR 4-2500 §
125 Nr 7 RdNr 11 mwN, zur Veröffentlichung auch in BSGE
vorgesehen; s auch BSGE 85, 110, 112 f und 115 = SozR 3-2500 §
60 Nr 4 S 22 f, 25)
.
18
Nach § 133 Abs 1 SGB V schließen die KKn oder ihre Verbände,
soweit die Entgelte für die Inanspruchnahme von Leistungen des
Rettungsdienstes und anderer Krankentransporte nicht durch
landesrechtliche oder kommunalrechtliche Bestimmungen festgelegt
werden, Verträge über die Vergütung dieser Leistungen unter
Beachtung des § 71 Abs 1 bis 3 SGB V mit dafür geeigneten
Einrichtungen oder Unternehmen. Die KKn und ihre Verbände
haben dabei die Sicherstellung der flächendeckenden
rettungsdienstlichen Versorgung und die Empfehlungen der
Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen zu berücksichtigen. Die
vereinbarten Preise sind Höchstpreise. Die Preisvereinbarungen
haben sich an möglichst preisgünstigen Versorgungsmöglichkeiten
auszurichten. Diese Bestimmungen gelten nach § 133 Abs 3 SGB V
auch für Leistungen des Rettungsdienstes und andere
Krankentransporte im Rahmen des PBefG.
19
Die Norm des § 133 Abs 3 SGB V gilt lediglich noch für die sog
einfachen Krankentransporte, die - wie hier - Taxi- und
Mietwagenunternehmen im Regelfall durchführen können. Nur
insoweit handelt es sich nämlich um Leistungen "im Rahmen des
PBefG". Denn seit 1.1.1992 umfasst der sachliche
Anwendungsbereich des PBefG gemäß § 1 Abs 2 Nr 2 PBefG
(idF des Art 1 Nr 1 Sechstes Gesetz zur Änderung des
Personenbeförderungsgesetzes vom 25.7.1989, BGBl I 1547, zum
1.1.1992 in Kraft getreten)
nicht mehr die Beförderung mit Krankenkraftwagen, wenn damit
kranke, verletzte oder sonstige hilfsbedürftige Personen befördert
werden, die während der Fahrt einer medizinisch fachlichen
Betreuung oder der besonderen Einrichtung des
Krankenkraftwagens bedürfen oder bei denen solches aufgrund
ihres Zustandes zu erwarten ist
(zum weiter reichenden Anwendungsbereich vor 1992
vgl die Entstehungsgeschichte des §133 Abs
3 SGB V: Erstreckung der Vertragslösung auch auf
Krankentransporte iS des §
51 Abs6 PBefG idF des Art1 Nr
5 Fünftes Gesetz zur Änderung des
Personenbeförderungsgesetzes vom 25.2.1983, BGBl I 196
durch Art1 §142 Abs
3 Entwurf eines Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen,
BT-Drucks 11/2237 S
48 und S
207; Änderung im Ausschussverfahren im Sinne seines jetzigen
Wortlauts um sicherzustellen, dass die Gewährleistung eines
leistungsfähigen Rettungsdienstes insgesamt in die Zuständigkeit
der Länder fällt, vgl insgesamt BT-Drucks 11/2493 S 20, BT-Drucks
11/3320 S 89 und BT-Drucks 11/3480 S 63)
.
20
Kommt nach § 133 Abs 1 iVm Abs 3 SGB V ein öffentlich-rechtlicher
Vertrag zwischen den KKn und einem
Personenbeförderungsunternehmen über Transportentgelte
zustande, erwirbt das Personenbeförderungsunternehmen mit Blick
auf den einzelnen Personenbeförderungsfall in Erfüllung seiner
rahmenvertraglich begründeten Leistungspflicht einen
rahmenvertraglich näher ausgestalteten Anspruch auf die Vergütung
gegen die KK. Dabei kann der den (Natural-
)Leistungserbringerstatus begründende Vertrag mit einem die
Vergütung regelnden Vertrag zusammenfallen. Die
Vergütungsregelungen können aber auch auf einer eigenständigen
vertraglichen Vereinbarung beruhen. Vorliegend wurde der
Rahmenvertrag am 5.4.2006 geschlossen. Als einen Bestandteil
vereinbarten die Vertragspartner Vergütungsregelungen in Anlage 2
Rahmenvertrag. Mit Wirkung ab 1.1.2007 ersetzten neue
Vergütungsregelungen die ursprünglichen vom 5.4.2006.
21
Anspruch auf die sich aus Anlage 2 Rahmenvertrag ergebende
Vergütung besteht, wenn in der Person des zu befördernden
Versicherten die Voraussetzungen für eine Krankenfahrt erfüllt sind
und der leistungsberechtigte Taxi- und Mietwagenunternehmer die
durch die vertragsärztliche Verordnung oder die Genehmigung der
KK konkretisierte Leistungspflicht erfüllt. Im Einzelnen begründet § 4
Rahmenvertrag zusammen mit weiteren
Rahmenvertragsregelungen unter folgenden Voraussetzungen
einen Zahlungsanspruch des Personenbeförderungsunternehmens:
Es muss ein Versicherter betroffen sein, dessen KK in den
Rahmenvertrag einbezogen ist. Ein Vertragsarzt muss dem
Versicherten formgerecht nicht übertragbar einen Krankentransport
mit verbindlicher Angabe des Fahrziels verordnet haben
(§ 4 Abs 1 S 1, Abs 5 S 1 und 2 Rahmenvertrag). Der Versicherte
muss unter den gemäß § 3 Rahmenvertrag leistungsberechtigten
Personenbeförderungsunternehmen frei ein Unternehmen
ausgewählt haben (§ 4 Abs 2 S 1 Rahmenvertrag); nimmt er nicht
den nächst erreichbaren Leistungserbringer in Anspruch, trägt der
Versicherte die Mehrkosten (§ 4 Abs 2 S 2 Rahmenvertrag). Der
ausgewählte Leistungserbringer muss grundsätzlich zeitnah beim
Versicherten zum Transport eintreffen (§ 4 Abs 3 Rahmenvertrag).
Fernfahrten (Krankenfahrten von mehr als 150 km einfache
Fahrstrecke) bedürfen nach § 2 Anlage 2 Rahmenvertrag -
abgesehen von Notfällen - der vorherigen Genehmigung der
leistungspflichtigen KK.
22
Nach der richtlinienkonformen Konzeption des Rahmenvertrags
bedürfen Fahrten zur ambulanten Behandlung der vorherigen
Genehmigung durch die KK. Die Richtlinien des Gemeinsamen
Bundesausschusses über die Verordnung von Krankenfahrten,
Krankentransportleistungen und Rettungsfahrten nach § 92 Abs 1 S
2 Nr 12 SGB V
(Krankentransport-Richtlinien ; zuletzt
geändert am 21.12.2004, BAnz 2005, Nr 41 S 2937, in Kraft getreten
am 2.3.2005)
sind gegenüber dem Rahmenvertrag vorrangig anzuwenden.
Danach bedürfen Fahrten zur ambulanten Behandlung, deren
Kosten bei zwingender medizinischer Notwendigkeit von der KK
nach vorheriger Verordnung des Vertragsarztes übernommen
werden müssen, der vorherigen Genehmigung durch die KK
(§ 6 Abs 3 S 1, § 8 Abs 1 Krankentransport-RL). Der Rahmenvertrag
trifft für diesen praktisch bedeutsamen Anwendungsfall der
Krankenfahrten zur ambulanten Behandlung - um den es hier auch
bei der Versicherten geht - keine dies ausdrücklich wiederholende
oder ergänzende verfahrensmäßige Regelung. Er ist aber
richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass in den genannten
Fällen dem Leistungserbringer eine Genehmigung der KK nach § 8
Krankentransport-RL vorzulegen ist. Den Leistungserbringer trifft im
Übrigen bei nicht durch eine Vollständigkeits- und
Plausibilitätsprüfung erkennbaren - hier auch nicht geltend
gemachten - Verstößen der KK oder des Vertragsarztes gegen
Leistungs- und Leistungserbringungsvorschriften grundsätzlich
keine weitergehende Überprüfungspflicht
(vgl BSG Urteil vom 13.9.2011 - B 1 KR 23/10 R - SozR 4-2500 §
125 Nr 7 RdNr 14 ff, zur Veröffentlichung vorgesehen auch in BSGE)
.
23
Schließlich muss der Transportunternehmer nach § 8
Rahmenvertrag ordnungsgemäß Rechnung legen. Solange dies
nicht erfolgt ist, kann die Beklagte die Vergütung verweigern.
Insbesondere sind nach § 8 Abs 2 Rahmenvertrag die Rechnungen
über die durchgeführten Krankenfahrten innerhalb eines Monats
maschinenlesbar unter Beifügung der ärztlichen Verordnung bei den
zuständigen Kostenträgern einzureichen. Bei der Frist handelt es
sich jedoch mangels ausdrücklicher Regelung über die
Rechtsfolgen bei ihrer Nichteinhaltung nicht um eine Ausschlussfrist,
sondern um eine bloße Ordnungsvorschrift, deren (beharrliche)
Nichtbeachtung allerdings gegebenenfalls zum Entzug der
Leistungsberechtigung nach § 3 Abs 4 Rahmenvertrag führen kann.
24
Der erkennende Senat ist zu der aufgezeigten Auslegung berechtigt.
Es finden insoweit die Grundsätze über die Auslegung von
Verträgen im Revisionsverfahren Anwendung. Die Regelungen des
Rahmenvertrages unterfallen als Bestandteile eines bloß
schuldrechtlich wirkenden Vertrages nicht § 162 SGG. Es handelt
sich nicht um "Vorschriften" iS normativ wirkender Regelungen der
objektiven Rechtsordnung, auf die allein sich § 162 SGG bezieht.
Der Rahmenvertrag ist kein Normenvertrag. Während das
Revisionsgericht grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen des
Vordergerichts gebunden ist, hat es bei der Auslegung
schuldrechtlicher Verträge zu prüfen, ob die Vorinstanz hierbei
Bundesrecht iS des § 162 SGG verletzt hat, also insbesondere die
gesetzlichen Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB nicht beachtet
und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hat
(BSG SozR 4-8570 § 1 Nr 2 RdNr 20; BSG SozR 3-2200 § 1265 Nr
13 S 89 f; BSGE 75, 92, 96 mwN = SozR 3-4100 § 141b Nr 10 S 47).
Darüber hinaus sind Vereinbarungen revisionsgerichtlich
uneingeschränkt überprüfbar, wenn sie sog "typische" Verträge
darstellen, die in einer Vielzahl von Fällen - häufig unter Benutzung
von Vertragsformularen - geschlossen werden (BSG SozR 3-2200 §
1265 Nr13 S
89; BSG SozR 4-8570 § 1 Nr 2 RdNr 19 mwN; s auch aus jüngster
Zeit BAG BB 2011, 1725, 1726, RdNr 21).
Um einen solchen Fall handelt es sich hier, weil der Rahmenvertrag,
zu dem der Beitritt erklärt wird, einerseits den Mitgliedsunternehmen
der beiden Verkehrsverbände und den Mitgliedskassen der
Krankenkassenverbände iS der §§ 207, 212 SGB V ein
Optionsrecht eröffnet, andererseits aber - wie ein Mustervertrag -
durch seinen nicht abänderbaren Vertragsinhalt die in Ausübung
des Optionsrechts zustande gekommenen vertraglichen
Beziehungen zwischen den Leistungserbringern und den KKn
abschließend ausgestaltet.
25
c) Die Klägerin erfüllte mit ihren Fahrten die aufgezeigten
vertraglichen Voraussetzungen des Vergütungsanspruchs.
26
Die Versicherte suchte sich als hierzu berechtigtes Mitglied der
Beklagten die Klägerin als leistungsberechtigtes
Personenbeförderungsunternehmen aus. Klägerin und Beklagte
waren in den Rahmenvertrag einbezogen. Nach dem
Gesamtzusammenhang der unangegriffenen Feststellungen des
LSG (§163 SGG) verfügte die Versicherte über eine
ordnungsgemäß ausgestellte vertragsärztliche Verordnung über 96
Hin- und Rückfahrten vom 2.5.2007 bis 31.3.2008 zum und vom
Universitätsklinikum Bonn. Es handelte sich nicht um besonders zu
genehmigende Fernfahrten von mehr als 150 km, sondern bloß von
53 km einfache Fahrstrecke. Die Klägerin erfüllte stets zeitgerecht
den Anspruch der Versicherten auf die Transportleistungen und
rechnete diese auch ordnungsgemäß ab. Die Beklagte genehmigte
der Versicherten für den betroffenen Zeitraum auch die maximal
zulässige Zahl der Fahrten mit dem Ziel- und Ausgangspunkt der
ambulanten Behandlung im Universitätsklinikum Bonn
(Bescheid vom 4.5.2007).
27
Entgegen der Auffassung der Beklagen mangelt es der
Genehmigung nicht dadurch an ihrer Wirksamkeit und
Rechtsqualität, die Versicherte zur Leistungsinanspruchnahme und
die Klägerin zur Leistungserbringung zu berechtigen, dass die
Beklagte zugleich erklärte, Kosten lediglich bis zur Höhe von 90,00
Euro je Transporttag zu übernehmen. Unabhängig von der Frage,
ob die Beklagte überhaupt eine Genehmigung nach den genannten
Vorschriften mit einer Preisvorgabe verbinden durfte und ob dies von
der Beklagten so gewollt war, richtete sich die im Bescheid erteilte
Genehmigung nur an die Versicherte. Die Preisvorgabe der
Beklagten begrenzte nur die Erstattungshöhe für einen eventuellen
Kostenerstattungsanspruch der Versicherten (im Falle des §60 Abs
3 Nr4 SGB V) und für einen Vergütungsanspruch von nicht durch
den Rahmenvertrag gebundenen Leistungserbringern
(näher dazu insgesamt unter 3.b).
28
d) Der bisher nicht erfüllte Vergütungsanspruch beläuft sich der
Höhe nach jedenfalls auf die geltend gemachten 521,79 Euro
(dazu aa); hinzu kommen Prozesszinsen (dazu bb).
29
aa) Die noch zu beanspruchende Vergütung der Klägerin ergibt sich
aus dem Unterschiedsbetrag zwischen ihrer Gesamtforderung und
deren Teilerfüllung. Ihr stand für die erbrachten Fahrten insgesamt
eine Vergütung von 1647,50 Euro zu. Nach § 1 I. Abs 2 Anlage 2
Rahmenvertrag waren die Preise für den Mietwagenverkehr
maßgeblich. Das folgt aus § 1 II. Anlage 2 Rahmenvertrag, weil die
Klägerin die Versicherte jeweils über die Landesgrenze hinweg nach
Bonn fuhr und sich damit außerhalb ihres Pflichtfahrbereichs befand.
Nach den unangegriffenen und damit den Senat bindenden, sich
aus dem Gesamtzusammenhang ergebenden Feststellungen des
LSG (§163 SGG) betrug die Fahrstrecke der Klägerin als nächst
erreichbarer Leistungserbringerin (§4 Abs2 S2 Rahmenvertrag) 106
km je Fahrt (einschließlich jeweiliger Leerfahrt). Dies führt nach den
genannten Vertragsbestimmungen zu einem Preis von 65,90 Euro je
Fahrt und von 131,80 Euro je Hin- und Rückfahrt. Der genannte
Gesamtvergütungsbetrag resultiert aus der geleisteten und
abgerechneten Zahl von 25 Fahrten. Die Beklagte zahlte bislang auf
die Gesamtforderung von 1647,50 Euro bloß 1125,00 Euro. Die
Klägerin hat von dem noch offenen Differenzbetrag von 522,50 Euro
die streitgegenständlichen 521,79 Euro eingeklagt.
30
bb) Die vom LSG zuerkannte Forderung von Prozesszinsen besteht
entsprechend der Rechtsprechung des erkennenden Senats
(vgl BSG SozR 4-2500 §69 Nr7 RdNr
14; vgl auch BSGE 96, 133 = SozR 4-7610 §291 Nr3).
31
3. Die von der Beklagten gegen die Anwendbarkeit der
rahmenvertraglichen Vergütungsvereinbarung vorgetragenen
Einwendungen greifen nicht durch. § 133 Abs 1 S 4 SGB V stellt die
im Rahmenvertrag getroffene Abrede über die Vergütung von
einfachen Krankentransportleistungen mittels Taxi und Mietwagen,
bei denen die Versicherten keiner fachlichen Betreuung bedürfen
(Krankenfahrten iS des § 2 Abs 1 und Abs 2 Rahmenvertrag), nicht
zur Disposition der KKn (dazu a). Die Beklagte begrenzte mit ihrem
Bescheid vom 4.5.2007 zwar gegenüber ihrer Versicherten deren
Kostenerstattungsanspruch auf 90,00 Euro je Transporttag
(abzüglich des - hier nicht anzusetzenden - Eigenanteils) und mit
ihrem Angebotsschreiben einen Anspruch nicht vertraglich
gebundener Transportunternehmer, nicht aber zugleich auch den
Vergütungsanspruch der Klägerin (dazu b).Die Beklagte
beschränkte den Naturalleistungsanspruch der Klägerin am Ende
auch nicht mehr durch Verwaltungsakt - rechtswidrig - auf eine
Inanspruchnahme allein des Taxiunternehmens H. (dazu c).
Schließlich schloss die Klägerin keinen den Rahmenvertrag zu
ihrem Nachteil abändernden Vertrag mit der Beklagten (dazu d).
32
a) Entgegen der Auffassung der Beklagten berechtigt § 133 Abs 1 S
4 SGB V
(idF des Art 1 Nr 103 Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der
gesetzlichen Krankenversicherung
Wettbewerbsstärkungsgesetz vom 26.3.2007, BGBl I 378)
KKn nicht dazu, vertraglich vereinbarte Vergütungsregelungen
einseitig außer Kraft zu setzen. Insbesondere haben KKn nicht das
Recht, sich dadurch von Vertragspreisen zu lösen, dass sie ihren
Vertragspartnern vom Vertrag abweichende Preisabsprachen
anbieten, deren Höhe sie in einem als Ausschreibung
ausgestalteten Verfahren ermittelt haben und die für sie günstiger
als die bestehenden Vergütungsregelungen sind. Auch aus dem
Rahmenvertrag oder aufgrund einer sonstigen gesetzlichen
Grundlage ergibt sich kein Recht der Beklagten zu einer solchen
einseitigen Vertragsanpassung.
33
§ 133 Abs 1 S 4 SGB V bestimmt: Die vereinbarten Preise sind
Höchstpreise. Diese seit ihrem Inkrafttreten am 1.1.1989 im
sachlichen Kern unverändert gebliebene Regelung bedeutet
lediglich, dass KKn von (rahmen-)vertraglich vereinbarten Preisen in
anderen, weiteren Verträgen mit Leistungserbringern abweichen
dürfen. Die in Versorgungsstruktur-Verträgen nach § 133 Abs 1 iVm
Abs 3 SGB V vereinbarten Vergütungen haben nicht die
Rechtsqualität von Gebührenordnungen bzw -taxen. KKn können
vielmehr andere, für sie günstigere Verträge abschließen. Niedrigere
Preise sind aber nur von den Leistungserbringern hinzunehmen, die
sich zuvor unter diesen Konditionen zur Leistungserbringung
vertraglich bereit erklärt haben. Bestehende Verträge zwischen KKn
und Leistungserbringern mit höheren Preisen werden von Verträgen
zwischen KKn und Dritten mit niedrigeren Preisen nicht berührt. Die
Höchstpreisregelung in § 133 Abs 1 S 4 SGB V berechtigt die KKn
erst recht nicht dazu, eingegangene rahmenvertragliche
Vergütungsverpflichtungen einseitig einem Vorbehalt günstigerer
Vertragsangebote Dritter zu unterwerfen. Für alle Verträge
einschließlich der öffentlich-rechtlichen Verträge gilt uneingeschränkt
der als verpflichtende Basis jedes Vertrages unverzichtbare
Grundsatz der Vertragstreue
(vgl dazu Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des
verpflichtenden Rechtsgeschäfts, S
109 ff; zum Grundsatz Pacta sunt servanda vgl auch BGH NJW
1981, 2184, 2185, dort zu § 826 BGB und das Einwirken eines
Dritten auf den Vertrag)
.
34
Der Rahmenvertrag und die Vergütungsvereinbarung enthalten
keine vertraglich vereinbarten Preisanpassungsklauseln oder
sonstige einseitige Leistungsbestimmungsrechte der Beklagten
(§ 61 S 2 SGB X iVm § 315 BGB). Zudem ist weder etwas dazu
vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die Voraussetzungen für
die Anwendung allgemeiner Rechtsinstitute - wie etwa Wegfall der
Geschäftsgrundlage (§ 59 SGB X) - vorliegen und zu einem
Anspruch auf Änderung der Vergütungsabsprachen berechtigen.
35
b) Nichts anderes ergibt sich aus dem Umstand, dass die Beklagte
durch Bescheid vom 4.5.2007 gegenüber ihrer Versicherten den
Anspruch auf 90,00 Euro je Transporttag, das heißt Hin- und
Rückfahrt mit der Versicherten einschließlich der jeweiligen
Leerfahrten, abzüglich eines eventuellen Eigenanteils begrenzte.
Diese Begrenzung entfaltet nicht zugleich auch Wirkung gegenüber
der Klägerin.
36
Das Revisionsgericht kann die Auslegung von Willenserklärungen,
auch von öffentlich-rechtlichen Erklärungen einschließlich von
Verwaltungsakten selbst vornehmen, wenn das Vordergericht - wie
hier das LSG - den Verwaltungsakt nicht ausgelegt hat und weitere
Feststellungen nicht mehr in Betracht kommen (vgl hierzu BSGE
96, 161 = SozR 4-2500 §13 Nr8, RdNr12).Die Rechtsprechung des
BSG geht unter diesen Voraussetzungen auch davon aus,
Vertragserklärungen zu nicht revisiblem Recht selbst auslegen zu
dürfen(zur stRspr siehe BSGE 105, 1 = SozR 4-2500 §125 Nr
5, RdNr19 mwN; vgl auch BFHE 205, 96, 110 mwN). Solche
Erklärungen und Verwaltungsakte sind erst recht dann der
Auslegung durch das Revisionsgericht zugänglich, wenn diese - wie
hier mit Blick auf § 60 SGB V - aufgrund von Rechtsnormen
ergangen sind, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des
Berufungsgerichts hinaus erstreckt
(zu letzterem Aspekt vgl BSGE 48, 56, 58 = SozR 2200 §368a Nr
5 S 10).
37
Der Bescheid vom 4.5.2007 konkretisierte als Verwaltungsakt mit
Dauerwirkung den Anspruch der Versicherten auf
Fahrkostenübernahme aus § 60 SGB V. Die getroffene Regelung
hat keine Auswirkung auf den Vergütungsanspruch der Klägerin.
Adressatin des Bescheides ist bloß die Versicherte. Er entfaltet
gegenüber der Klägerin hinsichtlich der Preisgrenze keine
belastende Drittwirkung. Die in ihm geregelte Kostenbegrenzung auf
90,00 Euro für die gewerbliche Personenbeförderung betrifft den
Inhalt eines potentiellen Kostenerstattungsverhältnisses zwischen
Versicherter und Beklagter. Der Verwaltungsakt beschränkt die
Erstattungshöhe sowohl bei Wahl eines nicht vertragsgebundenen
Transportunternehmens als auch bei der durch § 60 Abs 3 Nr 4 SGB
V der Versicherten eröffneten Möglichkeit, ein eigenes privates
Kraftfahrzeug oder das eines Dritten anstelle eines Taxis nach § 60
Abs 3 Nr 2 SGB V zu benutzen. § 60 Abs 3 Nr 4 SGB V (idF des Art
1 Nr28 Buchst
b Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen
Krankenversicherung vom
21.12.1992, BGBl
I 2266) bestimmt nämlich, dass bei Benutzung eines privaten
Kraftfahrzeugs für jeden gefahrenen Kilometer der jeweils aufgrund
des Bundesreisekostengesetzes festgesetzte Höchstbetrag für
Wegstreckenentschädigung, höchstens jedoch die Kosten, die bei
Inanspruchnahme des nach Nr 1 bis 3 des § 60 Abs 3 SGB V
erforderlichen Transportmittels entstanden wären, als Fahrkosten
anerkannt werden können. Dies sind im Falle der Versicherten
maximal 90,00 Euro für eine Hin- und Rückfahrt.
38
Das dem Bescheid beigefügte Angebot der Beklagten räumte nach
seiner zulässigen Zweckbestimmung lediglich
Personenbeförderungsunternehmen, die nicht rahmenvertraglich
eingebunden sind, einen eigenständigen direkt abrechenbaren
Vergütungsanspruch in Höhe des genannten Betrages bei
Leistungserbringung ein. Die Beklagte verpflichtete sich damit unter
Verzicht auf den Zugang einer Annahmeerklärung (§151 BGB)
gegenüber jedem zulässigen, nicht vertragsgebundenen
(gewerblichen) Transporteur, der die Transportleistung erbringt, die
Vergütung nach Abrechnung unmittelbar zu zahlen. Eine
vertragswidrige Drittwirkung für vertraglich gebundene Unternehmen
lässt sich dem Angebot dagegen nicht entnehmen.
39
Allerdings wollte die Beklagte im wirtschaftlichen Ergebnis
verhindern, dass ein anderer Leistungserbringer zu einem höheren
Preis die Versicherte zur ambulanten Behandlung jeweils hin- und
zurückbefördert. Insoweit erweckte die Beklagte bei der Versicherten
rechtswidrig den Eindruck, die Versicherte könnte bei
Inanspruchnahme eines anderen
Personenbeförderungsunternehmens als desjenigen, das das
günstigste Angebot im Internetausschreibungsverfahren abgegeben
hatte, mit zusätzlichen Kosten auch dann belastet werden, wenn es
sich um ein vertraglich zur Leistungserbringung nach Maßgabe des
Rahmenvertrages und der Vergütungsvereinbarung berechtigtes
Taxi- und Mietwagenunternehmen handelte. Dadurch hat die
Beklage in Kenntnis des Wunsches der Versicherten, sich von
einem nach § 133 Abs 1 iVm Abs 3 SGB V leistungsberechtigten
Vertragspartner der Beklagten befördern zu lassen, durch
tatsächliches Handeln in Gestalt unzutreffender
Rechtsausführungen auf den mit der Klägerin bestehenden Vertrag
eingewirkt, um deren uneingeschränkte Berechtigung zur
Sachleistungserbringung und damit zur Begründung eines höheren
Vergütungsanspruch zu vereiteln. Eine derartige irreführende
Beeinflussung von Versicherten kann die Klägerin (und
gegebenenfalls andere dem Rahmenvertrag beigetretene
Leistungserbringer) mit Blick auf zukünftige
Leistungserbringungssachverhalte durch Geltendmachung eines
Unterlassungsanspruchs unterbinden
(allgemein zur vorbeugenden Unterlassungsklage BSG Urteil vom
15.11.1995 - 6 RKa 17/95 - juris RdNr
15 und 17 = USK 95139; vgl auch Sächsisches LSG Beschluss vom
2.3.2011 - L 1 KR 177/10 B ER - juris RdNr
54 ff). Dies ist jedoch nicht streitgegenständlich.
40
c) Der Bescheid vom 4.5.2007 schränkte das Recht der
Versicherten nicht ein, vertraglich bereit stehende
Leistungserbringer für die Krankenfahrten einzusetzen. Die Beklagte
stellte vielmehr der Versicherten gerade die Wahl eines
Leistungserbringers frei. Sie änderte hierzu ihren Bescheid vom
27.4.2007, in welchem sie ursprünglich - den rahmenvertraglichen
Vereinbarungen zuwiderlaufend (s oben unter 2.b) - die Versicherte
auf die Beförderung durch das Taxiunternehmen H. festgelegt hatte.
41
d) Die Klägerin erklärte mit der Leistungserbringung nach Empfang
des Genehmigungsschreibens nicht, das ungünstigere Angebot der
Beklagten anzunehmen und damit zugleich auf die ihr im
Rahmenvertrag zuerkannten höheren Vergütungsansprüche zu
verzichten. Bei verständiger Würdigung der Interessenlage der
Klägerin (§§133, 157 BGB) konnte die Beklagte nach Treu und
Glauben - ungeachtet der Frage nach der Beachtung des
Schriftformerfordernisses nach § 56 SGB X - nicht davon ausgehen,
dass die Klägerin mit der Erbringung der rahmenvertraglich
geschuldeten Transportleistung eine solche konkludente
Willenserklärung abgab. Denn die Klägerin war rahmenvertraglich
bei Leistungsabruf durch die hierzu berechtigte Versicherte zur
Leistungserbringung verpflichtet. Sie verhielt sich vertragstreu,
während die Beklagte mit ihrem Angebot versuchte, den Vertrag
einseitig zu unterlaufen.
42
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Halbs 3
SGG iVm § 154 S 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt
aus § 197a Abs 1 S 1 Halbs 1 SGG iVm §§ 52 Abs 3, 47, 63 Abs 2 S
1 GKG.