Urteil des BSG vom 24.04.2018

Krankenversicherung - stationäre Krankenhausbehandlung - Methode, die lediglich das Potential einer erforderlichen Behandlungsmethode bietet (hier: Liposuktion) - Versicherter - Anspruch auf Teilhabe am Auswahlverfahren für Leistungen aufgrund von Erprobu

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 24.4.2018, B 1 KR 13/16
R
ECLI:DE:BSG:2018:240418UB1KR1316R0
Krankenversicherung - stationäre Krankenhausbehandlung -
Methode, die lediglich das Potential einer erforderlichen
Behandlungsmethode bietet (hier: Liposuktion) -
Versicherter - Anspruch auf Teilhabe am Auswahlverfahren
für Leistungen aufgrund von Erprobungsrichtlinien -
Gemeinsamer Bundesausschuss - Erlass von
Erprobungsrichtlinien ist verfassungsgemäß
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sächsischen
Landessozialgerichts vom 23. Juli 2015 aufgehoben. Die Sache
wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das
Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten über die Versorgung der Klägerin mit einer
stationären Liposuktion (Fettabsaugung) zur Behandlung eines
Lipödems.
2
Die bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Klägerin
beantragte befundgestützt die Versorgung mit einer Liposuktion
(8.4.2011 und 22.6.2011). Die Beklagte lehnte dies nach Einholung
von Stellungnahmen des Medizinischen Dienstes der
Krankenversicherung (MDK) mit der Begründung ab, die Liposuktion
stelle keine vertragsärztliche, zu Lasten der gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV) abrechenbare Leistung dar. Eine
Anerkennung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA)
fehle. Eine Indikation zur Liposuktion unter stationären
Krankenhausbedingungen bestehe nicht. Der Nutzen einer
Liposuktion beim Lip- oder Lymphödem sei nicht nachgewiesen
(Bescheid vom 29.7.2011; Widerspruchsbescheid vom 4.2.2014).
Das SG hat die auf eine stationäre Liposuktion gerichtete Klage
abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 13.4.2015). Das LSG hat die
Berufung der Klägerin zurückgewiesen: Die Klägerin habe keinen
Anspruch auf eine stationäre Liposuktion. Nach dem auch für die
stationäre Behandlung maßgeblichen Qualitätsgebot
(§ 2 Abs 1 S 3 SGB V) müssten Qualität und Wirksamkeit der
Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen
Erkenntnisse entsprechen. Die Liposuktion zur Behandlung eines
Lipödems entspreche nicht diesem Maßstab. Es bedürfe weiterer
randomisierter Studien (Urteil vom 23.7.2015).
3
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 137c Abs 3
SGB V idF durch Art 1 Nr 64 Buchst b Gesetz zur Stärkung der
Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung
(GKV-Versorgungsstärkungsgesetz vom 16.7.2015,
BGBl I 1211, 1230 mWv 23.7.2015)
. Die Regelung ersetze für den stationären Bereich die Anforderungen
des Qualitätsgebots. Die Liposuktion zur Therapie eines Lipödems
habe das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative.
4
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 23. Juli 2015
und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 13. April
2015 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides
vom 29. Juli 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4.
Februar 2014 zu verurteilen, sie mit einer stationären Liposuktion zu
versorgen,
hilfsweise,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 23. Juli 2015
aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und
Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
5
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
6
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
7 Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung und
Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG). Das
angefochtene LSG-Urteil ist aufzuheben, weil es auf der Verletzung
materiellen Rechts beruht und sich nicht aus anderen Gründen als
richtig erweist. Ob die zulässige kombinierte Anfechtungs- und
Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) zumindest teilweise begründet ist,
kann der erkennende Senat nicht abschließend entscheiden. Die
Klägerin hat keinen Anspruch auf Regelversorgung mit einer
stationären Liposuktion aus § 27 Abs 1 S 2 Nr 5 iVm § 39 Abs 1 S 1
SGB V (dazu 1.). Der Senat kann wegen fehlender tatsächlicher
Feststellungen indes nicht abschließend entscheiden, ob die
Klägerin einen Anspruch auf Teilnahme am Erprobungsverfahren
nach § 137e SGB V hat (dazu 2.).
8
1. Die Klägerin hat keinen Anspruch aus § 27 Abs 1 S 2 Nr 5 iVm §
39 Abs 1 S 1 SGB V auf die Gewährung einer stationär
durchgeführten Liposuktion des Lipödems als Regelversorgung, weil
diese Behandlungsmethode nicht den Anforderungen des
Qualitätsgebots entspricht. Ein entsprechender Anspruch aufgrund
grundrechtsorientierter Leistungsauslegung (§ 2 Abs 1a SGB V)
kommt nicht in Betracht. Das Lipödem ist weder eine
lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche noch eine hiermit
wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung.
9 a) Der Anspruch Versicherter auf stationäre
Krankenhausbehandlung aus § 27 Abs 1 S 2 Nr 5, § 39 Abs 1 S 1
SGB V unterliegt nach Wortlaut, Regelungssystem und
Regelungszweck den sich aus dem Qualitätsgebot ergebenden
Einschränkungen. Eine Absenkung der Qualitätsanforderungen für
die stationäre Versorgung auf Methoden mit dem bloßen Potential
einer Behandlungsalternative ergibt sich nicht aus § 137c Abs 3
SGB V (idF durch Art 1 Nr 64 Buchst b GKV-VSG). Allein Hinweise in
den Gesetzesmaterialien genügen nicht, um das Ergebnis aller
anderen Auslegungsmethoden zu überspielen.
10
Dabei geht der erkennende Senat davon aus, dass der
Leistungsanspruch der Versicherten auf Krankenhausbehandlung
ein Individualanspruch und nicht lediglich ein bloßes subjektiv-
öffentlich-rechtliches Rahmenrecht oder ein bloßer Anspruch dem
Grunde nach ist. Seine Reichweite und Gestalt ergibt sich erst aus
dem Zusammenspiel mit weiteren gesetzlichen und
untergesetzlichen Rechtsnormen
(stRspr, vgl zB BSGE 113, 241 = SozR 4-2500 § 13 Nr 29, RdNr 11
mwN; BSGE 117, 10 = SozR 4-2500 § 13 Nr 32, RdNr 8; BSGE 117,
236 = SozR 4-2500 § 11 Nr 2, RdNr 13; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr
29 RdNr 11, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen; vgl
auch Hauck in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Bd 1,
Stand November 2017, § 13 SGB V RdNr 53 f).
Hierzu gehören auch Regelungen des Leistungserbringungsrechts.
11
Funktionell dient das Leistungserbringungsrecht der Erfüllung der
Naturalleistungsansprüche der Versicherten. Die KKn gewähren
medizinische Sach- und Dienstleistungen, soweit sie nicht
ausnahmsweise Eigeneinrichtungen betreiben
(vgl zB § 132a Abs 4 S 13, § 140 SGB V), nicht unmittelbar in Natur,
sondern bedienen sich regelmäßig der zugelassenen
Leistungserbringer, um die Naturalleistungsansprüche der
Versicherten zu erfüllen. Deshalb schließen sie über die Erbringung
der Sach- und Dienstleistungen nach den Vorschriften des Vierten
Kapitels des SGB V Verträge mit den Leistungserbringern
(vgl § 2 Abs 2 S 3 SGB V idF durch Art 4 Nr 1 Gesetz zur
Einordnung des Sozialhilferechts in das SGB vom 27.12.2003, BGBl
I 3022; zuvor § 2 Abs 2 S 2 SGB V; vgl zum Ganzen BSGE 99, 180
= SozR 4-2500 § 13 Nr 15, RdNr 30 f; BSGE 117, 1 = SozR 4-2500
§ 28 Nr 8, RdNr 12; BSG Urteil vom 11.7.2017 - B 1 KR 30/16 R -
Juris RdNr 9, für BSGE und SozR 4-2500 § 27 Nr 29 vorgesehen)
.
12
aa) Schon nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes haben
Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig
ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung
zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern
(§ 27 Abs 1 S 1 SGB V). Nach § 27 Abs 1 S 2 Nr 5 SGB V umfasst
die Krankenbehandlung auch die Krankenhausbehandlung.
Versicherte haben Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem
zugelassenen Krankenhaus (§ 108 SGB V), wenn die Aufnahme
nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das
Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre
oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher
Krankenpflege erreicht werden kann (§ 39 Abs 1 S 2 SGB V). Die
Krankenhausbehandlung umfasst im Rahmen des
Versorgungsauftrags des Krankenhauses alle Leistungen, die im
Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinische
Versorgung der Versicherten im Krankenhaus notwendig sind
(§ 39 Abs 1 S 3 SGB V).
13
bb) Krankenhausbehandlung ist im Sinne von § 39 SGB V konform
mit dem Regelungssystem grundsätzlich nur dann erforderlich, wenn
die Behandlung dem allgemein anerkannten Stand der
medizinischen Erkenntnisse entspricht und notwendig ist
(stRspr, vgl zB BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2 Nr 4, RdNr 14).Der
Anspruch eines Versicherten auf Krankenhausbehandlung unterliegt
nach dem Gesetzeswortlaut und dem Regelungssystem wie jeder
Anspruch auf Krankenbehandlung grundsätzlich den sich aus dem
Qualitäts- und dem Wirtschaftlichkeitsgebot ergebenden
Einschränkungen (vgl § 2 Abs 1 S 3 SGB V und § 12 Abs 1 SGB V).
Er umfasst in diesem Rahmen nur solche Leistungen, die
zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und
Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen
Erkenntnisse entsprechen
(BSGE 117, 10 = SozR 4-2500 § 13 Nr 32, RdNr 11; BSGE 113, 241
= SozR 4-2500 § 13 Nr 29, RdNr 13 mwN; Hauck, NZS 2007, 461,
466 ff)
. Ausnahmen vom Qualitätsgebot bestehen im Rahmen
grundrechtsorientierter Leistungsauslegung - sei es
verfassungsunmittelbar oder nach § 2 Abs 1a SGB V - und bei
Seltenheitsfällen
(stRspr, vgl zB BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2 Nr 4, RdNr 27
mwN)
mit Auswirkungen sowohl für den Leistungsanspruch der
Versicherten als auch für die Rechte und Pflichten der
Leistungserbringer als auch der KKn.
14
Das SGB V sichert auch im Recht der Leistungserbringung in
seinem Vierten Kapitel "Beziehungen der Krankenkassen zu den
Leistungserbringern" die Beachtung des Qualitätsgebots. So haben
die KKn und die Leistungserbringer eine bedarfsgerechte und
gleichmäßige, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen
Erkenntnisse entsprechende Versorgung der Versicherten zu
gewährleisten. Die Versorgung der Versicherten muss ausreichend
und zweckmäßig sein, darf das Maß des Notwendigen nicht
überschreiten und muss in der fachlich gebotenen Qualität sowie
wirtschaftlich erbracht werden (vgl § 70 Abs 1 S 1 und 2 SGB V).Die
Pflicht des zugelassenen Krankenhauses im Rahmen seines
Versorgungsauftrags zur Krankenhausbehandlung (§ 39 SGB V)der
Versicherten richtet sich hieran aus (vgl § 109 Abs 4 S 2 SGB V).
15
Gleiches gilt für die Bewertung von Untersuchungs- und
Behandlungsverfahren im Krankenhaus: Der GBA überprüft auf
Antrag des Spitzenverbandes Bund der KKn, der Deutschen
Krankenhausgesellschaft (DKG) oder eines Bundesverbandes der
Krankenhausträger Untersuchungs- und Behandlungsmethoden,
die zu Lasten der gesetzlichen KKn im Rahmen einer
Krankenhausbehandlung angewandt werden oder angewandt
werden sollen, daraufhin, ob sie für eine ausreichende,
zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter
Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der
medizinischen Erkenntnisse erforderlich sind. Ergibt die
Überprüfung, dass der Nutzen einer Methode nicht hinreichend
belegt ist und sie nicht das Potential einer erforderlichen
Behandlungsalternative bietet, insbesondere weil sie schädlich oder
unwirksam ist, erlässt der GBA eine entsprechende Richtlinie,
wonach die Methode im Rahmen einer Krankenhausbehandlung
nicht mehr zulasten der KKn erbracht werden darf. Ergibt die
Überprüfung, dass der Nutzen einer Methode noch nicht hinreichend
belegt ist, sie aber das Potential einer erforderlichen
Behandlungsalternative bietet, beschließt der GBA eine Richtlinie
Behandlungsalternative bietet, beschließt der GBA eine Richtlinie
zur Erprobung nach § 137e SGB V. Nach Abschluss der Erprobung
erlässt der GBA eine Richtlinie, wonach die Methode im Rahmen
einer Krankenhausbehandlung nicht mehr zulasten der KKn
erbracht werden darf, wenn die Überprüfung unter Hinzuziehung der
durch die Erprobung gewonnenen Erkenntnisse ergibt, dass die
Methode nicht den Kriterien nach S 1 entspricht. Ist eine Richtlinie
zur Erprobung nicht zustande gekommen, weil es an einer nach §
137e Abs 6 SGB V erforderlichen Vereinbarung fehlt, gilt S 4
entsprechend (vgl § 137c Abs 1 S 1 bis 5 SGB V).Die zugrunde
liegende Änderung des § 137c SGB V und Einfügung der Regelung
des § 137e SGB V durch das Gesetz zur Verbesserung der
Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung
(Art 1 Nr 54 und Nr 56 GKV-Versorgungsstrukturgesetz - GKV-VStG
- vom 22.12.2011, BGBl I 2011, 2983)
hat insofern an der bisherigen Grundkonzeption nichts geändert. Sie
hat lediglich Raum für den GBA geschaffen, Richtlinien zur
Erprobung nach § 137e SGB V zu beschließen, wenn die
Überprüfung im Rahmen des § 137c SGB V ergibt, dass der Nutzen
einer Methode noch nicht hinreichend belegt ist, sie aber das
Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet.
Abgesehen von der speziell geregelten Modifizierung durch die
zeitlich begrenzte Erprobung (§ 137e Abs 1 S 2 SGB V) noch nicht
dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse
entsprechender Methoden verbleibt es auch im stationären Sektor
beim Qualitätsgebot des § 2 Abs 1 S 3 SGB V
(vgl BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2 Nr 4, RdNr 19; BSG
Beschluss vom 15.7.2015 - B 1 KR 23/15 B - Juris RdNr 8).
Eine weitere Ausnahme hat der Gesetzgeber mit dem Anspruch auf
zulassungsüberschreitende Anwendung von Arzneimitteln im
Rahmen klinischer Studien in § 35c SGB V geregelt
(vgl BSG Urteil vom 19.12.2017 - B 1 KR 17/17 R - für BSGE und
SozR 4 vorgesehen, Juris RdNr 22)
.
16
Nach Wortlaut und Regelungssystem ändert auch die Norm des §
137c Abs 3 S 1 und 2 SGB V an den Anforderungen des Anspruchs
Versicherter auf Krankenhausbehandlung nichts. Danach dürfen
Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, zu denen der GBA
bisher keine Entscheidung nach Abs 1 getroffen hat, im Rahmen
einer Krankenhausbehandlung angewandt werden, wenn sie das
Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bieten und ihre
Anwendung nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt, sie also
insbesondere medizinisch indiziert und notwendig ist. Dies gilt
sowohl für Methoden, für die noch kein Antrag nach Abs 1 S 1
gestellt wurde, als auch für Methoden, deren Bewertung nach Abs 1
noch nicht abgeschlossen ist (vgl § 137 Abs 3 S 1 und 2 SGB V).
Die Regelung trifft bereits nach ihrem Wortlaut ("dürfen …
angewendet werden") - anders als zB jene des § 2 Abs 1a SGB V
(Versicherte "können … beanspruchen") - keine Aussage zu
Leistungsansprüchen der Versicherten; sie setzt diese vielmehr
voraus. Sie können sich etwa aus Ansprüchen Versicherter auf
Krankenhausbehandlung bei grundrechtsorientierter
Leistungsauslegung ergeben
(vgl zB § 2 Abs 1a iVm § 27 Abs 1 S 1, § 27 Abs 1 S 2 Nr 5 und § 39
Abs 1 SGB V)
.
17
cc) Zweck der Ausrichtung der Leistungsansprüche der
Versicherten am Qualitätsgebot ist es, im Interesse des
Patientenschutzes und des effektiven Einsatzes der Mittel der
Beitragszahler zu gewährleisten, dass eine nicht ausreichend
erprobte Methode nicht zulasten der KKn abgerechnet werden darf
(vgl BSG Urteil vom 27.3.2007 - B 1 KR 17/06 R - Juris RdNr 21 =
USK 2007-25 - Polyglobin, zustimmend BVerfG Beschluss vom
30.6.2008 - 1 BvR 1665/07 - SozR 4-2500 § 31 Nr 17 RdNr 10 und
Gesetzesbegründung im Entwurf der Bundesregierung eines GKV-
VStG, BR-Drucks 456/11 S 74, zum Off-Label-Use von
Arzneimitteln; BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 8 RdNr 21 zur Reichweite
der grundrechtsorientierten Auslegung; BSGE 115, 95 = SozR 4-
2500 § 2 Nr 4, RdNr 22; zum effizienten Einsatz der der GKV zur
Verfügung stehenden finanziellen Mittel, indem nur wirksame
Leistungen auf Kosten der GKV erbracht werden sollen, vgl
Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP eines
Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen
Reformgesetz - GRG>, BT-Drucks 11/2237 S 157 zu Artikel 1 <§ 2
Abs 1>)
. Eine Behandlungsmethode gehört dementsprechend grundsätzlich
erst dann zum Leistungsumfang der GKV, wenn die Erprobung
abgeschlossen ist und über Qualität und Wirkungsweise der neuen
Methode zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen
gemacht werden können. Das setzt einen Erfolg der
Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung
ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen voraus. Dabei muss
sich der Erfolg aus wissenschaftlich einwandfrei geführten
Statistiken über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit
der neuen Methode ablesen lassen
(stRspr, vgl BSGE 76, 194 = SozR 3-2500 § 27 Nr 5 = Juris RdNr 22
ff; BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2 Nr 4, RdNr 21; BSG Urteil vom
19.12.2017 - B 1 KR 17/17 R - für BSGE und SozR 4 vorgesehen,
Juris RdNr 14)
. Diese Anforderung darf aber nicht als starrer Rahmen
missverstanden werden, der unabhängig von den praktischen
Möglichkeiten tatsächlich erzielbarer Evidenz gilt
(vgl BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2 Nr 4, RdNr 21).
18
Das Gesetz garantiert zugleich mit der Sicherung des
Qualitätsgebots die Gleichbehandlung der Versicherten, um den
allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG)zu beachten. Der
Gesetzgeber muss den Versicherten Rechtsanwendungsgleichheit
im Leistungsrecht gewährleisten
(vgl BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 7 RdNr 23 zur Auslandsbehandlung;
BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2 Nr 4, RdNr 23; Hauck, Festschrift
für Kohte, 2016, 577, 585, 587; vgl auch Udsching, VSSR 1996,
271, unter III.1)
. Es wäre vor dem allgemeinen Gleichheitssatz nicht zu
rechtfertigen, würde der Gesetzgeber natürliche Personen zwar in
gleicher Weise dem Versicherungs- und Beitragszwang der GKV
unterwerfen, ihnen aber trotz gleicher Erkrankung und gleichem
Anspruch auf Krankenbehandlung rechtlich unterschiedliche
Chancen eröffnen, ihren Anspruch zu verwirklichen. Der allgemeine
Gleichheitssatz gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu
behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber zwar nicht jede
Differenzierung verwehrt. Er verletzt das Grundrecht, wenn er eine
Gruppe von Normadressaten anders als eine andere behandelt,
obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher
Art und von solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche
Behandlung rechtfertigen
(BVerfGE 117, 316, 325 = SozR 4-2500 § 27a Nr 3 RdNr 31; BSGE
99, 95 = SozR 4-2500 § 44 Nr 13, RdNr 26)
.
19
Um das Ziel der Rechtsanwendungsgleichheit im Leistungsrecht der
GKV zu erreichen, regelt das Gesetz nicht nur gleiche
Rechtsansprüche der Versicherten auf Krankenbehandlung. Es
garantiert den Versicherten auch deren Realisierung, nach Wortlaut,
Regelungssystem und Regelungszweck einheitlich und eindeutig
ausgerichtet am Qualitätsgebot (§ 2 Abs 1 S 3 SGB V), erweitert um
die Fälle grundrechtsorientierter Auslegung
(vgl zB BSG Urteil vom 20.3.2018 - B 1 KR 4/17 R - Juris RdNr 20 f,
für SozR vorgesehen)
: Kommt es entgegen der Gewährleistungspflicht der KKn für eine
: Kommt es entgegen der Gewährleistungspflicht der KKn für eine
bedarfsgerechte und gleichmäßige, dem allgemein anerkannten
Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Versorgung
(vgl § 70 Abs 1 S 1 SGB V) zu einer Lücke im Versorgungssystem,
hat der betroffene Versicherte Anspruch auf Kostenerstattung
wegen Systemversagens (vgl § 13 Abs 3 S 1 SGB V). Ist eine dem
allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse
entsprechende Behandlung einer Krankheit nur in einem anderen
Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen
Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen
Wirtschaftsraum möglich, kann die KK die Kosten der erforderlichen
Behandlung auch ganz übernehmen (vgl § 13 Abs 4 S 6 SGB V).
Besteht innerhalb der EU, des EWR und der Schweiz ein
qualitatives oder quantitatives Versorgungsdefizit, sodass eine
Krankenbehandlung nach allgemein anerkanntem Stand der
medizinischen Erkenntnisse nur im Ausland möglich ist, hat der
Versicherte hierauf Anspruch
(vgl näher zB BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 7 RdNr 12 ff; Hauck, GesR
2017, 19, 22 sowie ders in Festschrift für Kohte, 2016, 577, 590 f,
dort auch zur Garantie bei Leistungsmöglichkeit nur in einem
anderen Mitgliedstaat der EU oder einem anderen Vertragsstaat des
EWR; lediglich andere Teilaspekte beleuchtend Stallberg, NZS
2017, 332).
Das SGB V kennt nach Wortlaut, Regelungssystem und
Regelungszweck keine gleichen Garantien für Krankenbehandlung
Versicherter mit Methoden, die lediglich das Potential einer
Behandlungsalternative haben. Die Gerichte sind bei dieser klaren
Gesetzeslage an einer Rechtsfortbildung contra legem gehindert
(vgl zu den Grenzen Hauck in Masuch/Spellbrink/Becker/Leibfried
, Grundlagen und Herausforderungen des Sozialstaats -
Denkschrift 60 Jahre Bundessozialgericht, Band 2:
Bundessozialgericht und die Sozialstaatsforschung - Richterliche
Wissensgewinnung und Wissenschaft, 2015, 299, 300 ff).
20
Wollte man entgegen Wortlaut, Regelungssystem und
Regelungszweck auch Potentialleistungen nach § 137c Abs 3 SGB
V in die Ansprüche Versicherter auf Regelversorgung einbeziehen,
wäre eine sachwidrige Ungleichbehandlung Versicherter die Folge.
Die Gruppe der Versicherten, die dem Qualitätsgebot
entsprechende Leistungen benötigt, hätte durch die aufgezeigten
einfachrechtlichen Garantien einen rechtlich gesicherten Zugang zu
diesen Leistungen auch dann, wenn sie im Inland überhaupt nicht
oder jedenfalls nicht innerhalb des Leistungserbringungssystems
zur Verfügung stehen oder rechtswidrig verweigert werden. Die
Gruppe der Versicherten, die Potentialleistungen als
Regelversorgung begehrte, hätte hingegen keinen rechtlich
gesicherten Anspruch auf die Potentialleistungen. Würde die
Potentialleistung im Inland nicht durch nach § 108 SGB V
zugelassene Krankenhäuser erbracht, könnte diese Gruppe sich die
Leistung zulasten der GKV weder in Krankenhäusern außerhalb des
Leistungserbringungssystems, sei es im Inland, sei es im Ausland,
beschaffen, noch wäre eine Leistungsablehnung durch die KK
rechtswidrig mit der Folge der Selbstbeschaffungsmöglichkeit
(§ 13 Abs 3 S 1 Fall 2 SGB V). Denn Ansprüche auf
Krankenhausbehandlung (§ 27 Abs 1 S 1, S 2 Nr 5, § 39 SGB V)
umfassen grundsätzlich nur Leistungen, die dem Qualitätsgebot
entsprechen.
21
Das Gesetz sieht Abweichungen von den aufgezeigten Garantien
der Krankenbehandlung Versicherter nach dem Qualitätsgebot nur
außerhalb der Regelversorgung der GKV bei einer
Zusatzversorgung aus besonderen sachlichen Gründen vor. So
eröffnet die Regelung der Erprobungsrichtlinien (vgl § 137e SGB V)
des GBA den Versicherten - bei überschießender Nachfrage im
Rahmen pflichtgemäßen Ermessens der KKn
(vgl näher unten, unter II. 2) -die Möglichkeit, trotz zur Verfügung
stehender qualitätsgerechter Leistungen an der Anwendung nicht
dem allgemeinen Erkenntnisstand entsprechender Methoden
zulasten der GKV teilzunehmen, um innovative Untersuchungs- und
Behandlungsmethoden mit Potential zeitlich begrenzt zwecks
Erkenntnisgewinns zum Nutzen der Gesamtheit der Versicherten
und Beitragszahler unter strukturierten Bedingungen zu erproben
(vgl Gesetzentwurf der BReg eines GKV-VStG, BT-Drucks 17/6906
S 87 Zu Nummer 56 <§ 137e>; Hauck, GesR 2014, 257, 261)
. Die Gewährleistungspflicht und der dementsprechende
Sicherstellungsauftrag der KKn und Leistungserbringer erstreckt
sich nicht - von Fällen grundrechtsorientierter Leistungsauslegung
und Seltenheitsfällen abgesehen - auf davon abweichende
Erprobungssituationen. Die Folge ist, dass sich auf der Landkarte
ein "Erprobungsflecken-Teppich" mit Regionen entwickelt, in denen
Krankenhäuser an der Erprobung teilnehmen, und anderen
Regionen, bei denen das nicht der Fall ist
(vgl Hauck, GesR 2014, 257, 261). Die Ungleichbehandlung
Versicherter, die sich aus der eingeschränkten Verfügbarkeit der
Leistung ergeben kann, ist wegen des mit der Erprobung
verknüpften wichtigen öffentlichen Zwecks und des nur
vorübergehenden Ausnahmefalls aufgrund notwendiger Befristung
der Erprobung verfassungsrechtlich gerechtfertigt.
22
Auch die Regelung der Genehmigungsfiktion
(vgl § 13 Abs 3a SGB V und hierzu BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 §
13 Nr 33; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 36 und 37; BSG Urteile vom
26.9.2017 - B 1 KR 6/17 R und B 1 KR 8/17 R - beide Juris; BSG
Urteil vom 7.11.2017 - B 1 KR 24/17 R - für BSGE und SozR
vorgesehen)
kann als durch rechtmäßiges Verwaltungshandeln vermeidbare
Sanktion in eng begrenzten Ausnahmefällen zu Abweichungen vom
Qualitätsgebot führen. Eine Gewährleistungspflicht entsprechend
jener für Leistungsansprüche Versicherter, die dem Qualitätsgebot
genügen, ist hierfür ausgeschlossen: Der Gesetzgeber will durch die
Androhung der Sanktion gerade verhindern, dass es zum Eintritt von
Genehmigungsfiktionen kommt. Wiederum rechtfertigen der
zugrunde liegende wichtige öffentliche Zweck und die Enge der
hierzu erforderlichen, vermeidbaren Ausnahme die darin liegende
Ungleichbehandlung Versicherter.
23
dd) Soweit die Gesetzesmaterialien zu einem von Vorstehendem
abweichenden Ergebnis führen, vermag der erkennende Senat dem
nicht zu folgen. Gesetzesmaterialien sind mit Vorsicht, nur
unterstützend und insgesamt nur insofern heranzuziehen, als sie auf
einen objektiven Gesetzesinhalt schließen lassen und im
Gesetzeswortlaut einen Niederschlag gefunden haben
(stRspr, vgl zB BVerfGE 62, 1, 45 mwN). Daran fehlt es. Nach den
Gesetzesmaterialien sollten "Methoden mit dem Potential einer
erforderlichen Behandlungsalternative" im Rahmen der
Krankenhausbehandlung zulasten der KKn erbracht werden
können, insbesondere damit sie zur Versorgung typischerweise
schwerer erkrankter Versicherter mit besonderem Bedarf nach
innovativen Behandlungsalternativen zur Verfügung stünden
(vgl Entwurf der BReg eines GKV-VSG, BR-Drucks 641/14 S 147 f
Zu Nr 64 <§ 137c SGB V> Buchst b).
Dies gewährleiste die Teilhabe der Versicherten am medizinischen
Fortschritt auch außerhalb von Studien
(Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für
Gesundheit - 14. Ausschuss - zum Entwurf eines GKV-VSG, BT-
Drucks 18/5123 S 135 Zu Nr 64 <§ 137c SGB V> Buchst b).
24
Besteht - wie hier - eine Diskrepanz, muss dem Gesetzeswortlaut,
dem Regelungssystem und dem Regelungsziel der Vorrang
zukommen
(stRspr, vgl zB BVerfGE 62, 1, 45; BVerfGE 119, 96, 179; BSG SozR
4-2500 § 62 Nr 8 RdNr 20 f; Hauck/Wiegand, KrV 2016, 1, 4).
Die Erweiterung der Regelversorgung der stationären
Krankenhausbehandlung auf Methoden mit Potential ohne die im
bisherigen System vorgesehenen Garantien, die ausdrücklich
lediglich für Leistungen entsprechend dem Qualitätsgebot gelten,
würden zudem den allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG),
das Gebot der Rechtsanwendungsgleichheit für Versicherte
verletzen(vgl dazu oben, unter II. 1. a. cc).
25
b) Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe hat die Klägerin keinen
Anspruch auf Versorgung mit unter stationären Bedingungen
durchzuführenden Liposuktionen bei Lipödem als Regelleistung. Die
begehrte Maßnahme entspricht nicht den Anforderungen des
Qualitätsgebots. Die Anforderungen des Qualitätsgebots werden
gewahrt, wenn die "große Mehrheit der einschlägigen Fachleute
(Ärzte, Wissenschaftler)" die Behandlungsmethode befürwortet und
von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen
abgesehen, über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens
besteht. Dies setzt im Regelfall voraus, dass über Qualität und
Wirksamkeit der Methode - die in ihrer Gesamtheit und nicht nur in
Bezug auf Teilaspekte zu würdigen ist - zuverlässige,
wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können.
Der Erfolg muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei
durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die
Wirksamkeit der Methode ablesen lassen. Die Therapie muss in
einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von
Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein
(stRspr, vgl zB BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3, RdNr 29;
BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 8 RdNr 10)
.
26
Die von der Klägerin beantragten stationären Liposuktionen erfüllen
diese Voraussetzungen nach den den Senat bindenden
(vgl § 163 SGG) Feststellungen des LSG nicht. Den LSG-
Feststellungen aufgrund des Gutachtens "Liposuktion bei Lip- und
Lymphödemen" der Sozialmedizinischen Expertengruppe 7 des
MDK vom 6.10.2011 nebst Gutachtensaktualisierung
(15.1.2015; abrufbar unter
www.mds-ev.de/richtlinien-publikationen/gutachten-
nutzenbewertungen.html dort Gutachten Liposuktion bei Lip- und
Lymphödemen)
entspricht im Übrigen die Beurteilung des GBA in den "Tragenden
Gründen zum Beschluss des GBA über eine Änderung der Richtlinie
Methoden Krankenhausbehandlung: Liposuktion bei Lipödem vom
20.7.2017"
(abrufbar unter www.g-ba.de/informationen/beschluesse/3013/; zur
Möglichkeit, Erkenntnisse auf Beschlüsse des GBA zu stützen:
BSGE 101, 177 = SozR 4-2500 § 109 Nr 6, RdNr 50)
. Es geht nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des
LSG auch nicht um Ausnahmen vom Qualitätsgebot im Sinne eines
Seltenheitsfalls.
27
2. Ein Anspruch der Klägerin auf die begehrte stationäre Liposuktion
kann sich jedoch ergeben aus einem Anspruch auf Teilnahme der
Klägerin an dem Erprobungsverfahren nach der am 10.4.2018 in
Kraft getretenen Erp-RL Liposuktion
(Richtlinie des GBA zur Erprobung der Liposuktion zur Behandlung
des Lipödems
Liposuktion> vom 18.1.2018, BAnz AT 9.4.2018 B1)
, ggf in Gestalt eines Anspruchs auf ermessensfehlerfreie
Berücksichtigung beim Auswahlverfahren. Der erkennende Senat
hat bei der Entscheidung über den zulässigerweise mit der
kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage verfolgten
Leistungsanspruch die durch Erlass der Erp-RL Liposuktion
während des Revisionsverfahrens eingetretene Rechtsänderung zu
berücksichtigen
(stRspr, vgl zB BSGE 43, 1, 5 = SozR 2200 § 690 Nr 4 S 17 f; BSGE
73, 25, 27 = SozR 3-2500 § 116 Nr 4 S 26; Hauck in Zeihe/Hauck,
SGG, Stand August 2017, § 162 Anm 10b und § 163 Anm 4f mwN).
28
Ob die Klägerin Anspruch auf Teilnahme am Erprobungsverfahren
hat, weil sie die Voraussetzungen der Erp-RL Liposuktion für die
Teilnahme an der Erprobung erfüllt, kann der Senat nicht
abschließend entscheiden (hierzu a). Die Erp-RL Liposuktion
entspricht den gesetzlichen Anforderungen des § 137c Abs 1 S 3
und des § 137e SGB V (hierzu b). Die Erp-RL Liposuktion und ihre
gesetzliche Grundlage sind verfassungsgemäß (hierzu c).
29
a) Die Erprobung einer Untersuchungs- oder Behandlungsmethode
nach § 135 und/oder § 137c SGB V zur Gewinnung der
notwendigen Erkenntnisse für die Bewertung des Nutzens der
Methode vermittelt Versicherten der GKV einen gegen ihre KK
gerichteten Anspruch auf Teilnahme an der Erprobung, soweit sie
die in der Richtlinie nach § 137e Abs 1 S 1 SGB V geregelten
Anforderungen erfüllen
(vgl § 137e Abs 1 S 2 SGB V und hierzu Hauck, GesR 2014, 257,
263 mwN).
Bei der Auswahl der Teilnehmer ist dem Grundsatz der
Rechtsanwendungsgleichheit Rechnung zu tragen.
30
Der erkennende Senat kann nicht abschließend darüber
entscheiden, ob die Klägerin zumindest Anspruch auf Teilhabe an
einer Versorgung mit stationärer Liposuktion hat, weil sie die
Anforderungen der Erp-RL Liposuktion für eine stationäre
Behandlung erfüllt und einen Behandlungsplatz in einem
Krankenhaus erhalten kann, das nach den Kriterien der Erprobung
verfährt. Das LSG hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus zu Recht
- schon keine Feststellungen dazu getroffen, dass die Klägerin,
soweit ihr eine Liposuktion zu gewähren ist, hierfür stationärer
Behandlung bedarf. Das LSG wird dies festzustellen haben.
Zusätzlich wird es festzustellen haben, dass die Klägerin die
Einschlusskriterien der Erp-RL Liposuktion erfüllt und die
Ausschlusskriterien der Erp-RL Liposuktion nicht erfüllt sowie, falls
diese Voraussetzungen erfüllt sind, inwieweit sie einen
Behandlungsplatz in einem die institutionellen Anforderungen
erfüllenden Krankenhaus erhalten kann. Die Anforderungen der Erp-
RL Liposuktion bedürfen zudem teilweise noch der
Operationalisierung durch die beauftragte unabhängige
wissenschaftliche Institution.
31
Zielsetzung der Erp-RL Liposuktion ist es, den GBA in die Lage zu
versetzen, eine abschließende Bewertung des Nutzens der
Liposuktion zur Behandlung des Lipödems durchzuführen, indem im
Wege der Erprobung die hierfür nach den §§ 135 Abs 1, 137c Abs 1
SGB V iVm den Vorgaben der Verfahrensordnung des GBA (VerfO)
notwendigen Erkenntnisse für die Bewertung des Nutzens der
Methode gewonnen werden (vgl § 1 S 1 Erp-RL Liposuktion). Die
Erprobung soll der Beantwortung der Frage dienen, ob bei
Patientinnen mit Lipödem die zusätzliche Liposuktion gegenüber
einer alleinigen konservativen, symptomorientierten Behandlung
insbesondere unter Einsatz der komplexen physikalischen
Entstauungstherapie (KPE) zu einer Verbesserung
patientenrelevanter Zielgrößen führt (vgl § 2 Erp-RL Liposuktion).
Die Ein- und Ausschlusskriterien normiert § 3 Erp-RL Liposuktion. In
die Erprobungsstudie sollen Patientinnen eingeschlossen werden,
die das 18. Lebensjahr vollendet haben, mit gesichertem Lipödem
der Beine im Stadium I, II oder III, die auch unter konservativer
Behandlung keine ausreichende Linderung ihrer Beschwerden
angeben (§ 3 Abs 1 Erp-RL Liposuktion). Ausschlussgründe sind
eine allgemeine Adipositas ohne Disproportion, wobei Grenzwerte
oder andere Maße zur Operationalisierung durch die unabhängige
wissenschaftliche Institution festzulegen sind, andere
ödemverursachende Erkrankungen, Fettverteilungsstörungen
anderer Genese sowie eine Ablehnung der konservativen Therapie
(§ 3 Abs 2 Erp-RL Liposuktion). Nach den tragenden Gründen zu §
3 Abs 2 Erp-RL Liposuktion kann Adipositas "den Verlauf und das
Beschwerdebild beim Lipödem verschlechtern. Bei den
Beschwerdebild beim Lipödem verschlechtern. Bei den
Studienpatientinnen soll eine allgemeine Adipositas ausgeschlossen
werden. Maßgeblich ist hierbei vorrangig das Fehlen des Kriteriums
'Disproportion'. Im Rahmen der Erstellung des Studienprotokolls soll
durch die unabhängige wissenschaftliche Institution operationalisiert
werden, durch welche Kriterien die allgemeine Adipositas von der
Disproportion des Lipödems abgegrenzt werden kann. Hierbei sollen
auch medizinisch begründete Grenzwerte für die Operabilität
festgelegt werden." Dieses Vorgehen entspricht den
Stellungnahmen von Spitzenverband Bund der KKn,
Kassenärztlichen Bundesvereinigung, DKG und Patientenvertretung
im Stellungnahmeverfahren vor der Entscheidung des GBA
(vgl dort, S 66 f).Die weiteren Ein- und Ausschlusskriterien (zB Alter,
Komorbiditäten, Vorerkrankungen) sind so festzulegen, dass eine
Übertragbarkeit der Ergebnisse auf die Zielpopulation ermöglicht
wird (§ 3 Abs 3 Erp-RL Liposuktion). Die Konkretisierung erfolgt
durch die mit der Durchführung der Erprobungsstudie zu
beauftragende unabhängige wissenschaftliche Institution. Denn die
Studie, die erforderlich ist, um notwendige Erkenntnisse für die
Bewertung des Nutzens der Methode der Liposuktion zu gewinnen,
soll durch eine unabhängige wissenschaftliche Institution nach
Maßgabe der Erp-RL Liposuktion entworfen, durchgeführt und
ausgewertet werden. Die Ausgestaltung des Studiendesigns ist -
soweit nicht in der Erp-RL Liposuktion näher bestimmt - von der
unabhängigen wissenschaftlichen Institution auf der Basis des
Standes der wissenschaftlichen Erkenntnisse vorzunehmen und zu
begründen (vgl § 1 S 2 und 3 Erp-RL Liposuktion).
32
Soweit die Klägerin alle vorgenannten Voraussetzungen nach den
vom LSG zu treffenden Feststellungen erfüllt, wird das LSG
festzustellen haben, inwieweit die Klägerin einen Behandlungsplatz
in einem Krankenhaus erhalten kann, das nach den Kriterien der
Erprobung verfährt. Einzubeziehen sind neben den an der
Erprobung teilnehmenden die nicht an der Erprobung
teilnehmenden Krankenhäuser, die hierzu bereit sind, hierfür
zumindest die Intervention entsprechend § 4 Abs 1 und Abs 2 Erp-
RL Liposuktion durchführen, den sächlichen, personellen und
sonstigen Anforderungen an die Qualität gemäß § 7 Erp-RL
Liposuktion einschließlich der Konkretisierungen durch die
unabhängige wissenschaftliche Institution
(vgl § 7 Abs 1 S 5 und Abs 4 Erp-RL Liposuktion)genügen sowie die
Kriterien zur Qualitätssicherung für nicht an der Erprobung
teilnehmende Krankenhäuser erfüllen (vgl § 137e Abs 2 S 3 SGB V).
Über deren Regelung entscheidet der GBA im Rahmen der
Umsetzung der Erprobung
(vgl tragende Gründe zum GBA-Beschluss vom 20.7.2017 S 8).
33
Sind mehr Interessenten als Behandlungsplätze vorhanden, ist der
Anspruch der Versicherten auf Teilnahme an der Erprobung
entsprechend dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG) auf
ermessensfehlerfreie Berücksichtigung bei der
Auswahlentscheidung gerichtet. Der Anspruch der einzelnen
Versicherten richtet sich gegen ihre jeweilige KK. Bei der
verfahrensmäßigen Umsetzung dieses Anspruchs steht der
Selbstverwaltung ein Gestaltungsspielraum zu, der etwa durch
Organisation der Verteilung der interessierten Versicherten auf die
teilnehmenden Leistungserbringer mit Unterstützung des
Spitzenverbandes Bund der KKn ausgefüllt werden kann
(vgl § 217 f Abs 2 S 1 SGB V). Voraussetzung einer
ermessensfehlerfreien Auswahlentscheidung ist hierbei, dass alle
interessierten Versicherten - vermittelt durch ihre jeweilige KK -
gleichberechtigten Zugang zum Auswahlverfahren haben. Das LSG
wird ggf auch die hierzu gebotenen Feststellungen zu treffen haben.
34
b) Es steht mit Gesetzesrecht in Einklang, dass der GBA das
sektorenübergreifende Bewertungsverfahren Liposuktion bei
Lipödem ausgesetzt und die genannten Regelungen der Erp-RL
Liposuktion erlassen hat. Die Beschlüsse des GBA
(vom 20.7.2017 und vom 18.1.2018, aaO)entsprechen den in §
137c Abs 1 S 3 SGB V (zum Wortlaut vgl oben)und § 137e SGB V
geregelten gesetzlichen Anforderungen. Aufgrund der Richtlinie wird
die Untersuchungs- oder Behandlungsmethode in einem befristeten
Zeitraum ua im Rahmen der Krankenbehandlung zulasten der KKn
erbracht (§ 137e Abs 1 S 2 SGB V).
35
Die gerichtliche Überprüfung der Aussetzungsbeschlüsse und der
Erp-RL Liposuktion hat zu beachten, dass Richtlinien des GBA nach
der Gesetzeskonzeption (§§ 91, 92, 94 SGB V) entsprechend der
Rspr des BSG untergesetzliche Rechtsnormen sind, die alle
Systembeteiligten binden
(§ 91 Abs 6 SGB V idF des Art 2 Nr 14 Gesetz zur Stärkung des
Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung
Wettbewerbsstärkungsgesetz - GKV-WSG> vom 26.3.2007, BGBl I
378; vgl BSGE 120, 170 = SozR 4-2500 § 34 Nr 18, RdNr 23 mwN).
Als unterhalb des Gesetzesrechts stehende normative Regelungen
unterliegen sie der formellen und inhaltlichen gerichtlichen
Überprüfung, wie wenn der Bundesgesetzgeber derartige
Regelungen selbst als untergesetzliche Normen erlassen hätte.
Zusätzlich ist besonderes Augenmerk auf die Normdichte der
gesetzlichen Ermächtigung in Relation zur Eingriffstiefe zu richten,
um verfassungsrechtlich die hinreichende Legitimation des GBA zu
überprüfen
(vgl dazu unten, unter II. 2. c; zum Ganzen vgl BSGE 120, 170 =
SozR 4-2500 § 34 Nr 18, RdNr 23 mwN).
Bei der Auslegung der gesetzlichen Rechtsbegriffe und bei der
Einhaltung des gesetzlich vorgegebenen Verfahrens, einschließlich
der Vollständigkeit der zu berücksichtigenden Studienlage, unterliegt
der GBA der vollen gerichtlichen Überprüfung
(stRspr, vgl zB BSGE 114, 217 = SozR 4-2500 § 35 Nr 7, RdNr 27;
BSGE 116, 153 = SozR 4-2500 § 137 Nr 4, RdNr 15; BSGE 120,
170 = SozR 4-2500 § 34 Nr 18, RdNr 24).
Erst über die weitere Konkretisierung des Gesetzes entscheidet der
GBA als Normgeber. Insoweit darf die sozialgerichtliche Kontrolle
ihre eigenen Wertungen nicht an die Stelle der vom GBA getroffenen
Wertungen setzen. Vielmehr beschränkt sich die gerichtliche
Prüfung in diesen Segmenten darauf, ob die Zuständigkeits- und
Verfahrensbestimmungen sowie die gesetzlichen Vorgaben
nachvollziehbar und widerspruchsfrei Beachtung gefunden haben,
um den Gestaltungsspielraum auszufüllen
(vgl BSGE 120, 170 = SozR 4-2500 § 34 Nr 18, RdNr 25; BSGE
107, 287 = SozR 4-2500 § 35 Nr 4, RdNr 38; ähnlich BSGE 96, 261
= SozR 4-2500 § 92 Nr 5, RdNr 67 - Therapiehinweise).
Dem GBA steht dementsprechend erst bei der Bewertung des
Nutzens einer Methode nach den internationalen Standards
evidenzbasierter Medizin und des Potentials einer erforderlichen
Behandlungsalternative ein pflichtgemäßer - gerichtlich nur
eingeschränkt überprüfbarer - Ermessensspielraum zu
(vgl hierzu etwa Hauck, GesR 2014, 257, 261 f mwN). Nach diesem
Maßstab hat der GBA über die Aussetzung der
Bewertungsverfahren und den Erlass der Erp-RL Liposuktion
gesetzeskonform entschieden.
36
aa) Der GBA hat bei der Aussetzung des Bewertungsverfahrens und
bei Erlass der Erp-RL Liposuktion die im Interesse der
verfassungsrechtlichen Anforderungen der Betroffenenpartizipation
umfassend durch Gesetz und VerfO des GBA ausgestalteten und
abgesicherten Beteiligtenrechte gewahrt. Diese stellen sicher, dass
alle sachnahen Betroffenen selbst oder durch Repräsentanten auch
über eine unmittelbare Betroffenheit in eigenen Rechten hinaus
Gelegenheit zur Stellungnahme haben, wenn ihnen nicht nur
marginale Bedeutung zukommt (vgl
BSGE 120, 170 = SozR 4-2500 § 34 Nr 18, RdNr 26; BSGE 107,
287 = SozR 4-2500 § 35 Nr 4, RdNr 34; Hauck, NZS 2010, 600,
604).
Die tragenden Gründe der Beschlüsse des GBA vom 20.7.2017 und
vom 18.1.2018 und die zusammenfassenden Dokumentationen
belegen das formal korrekte Vorgehen des GBA. Insbesondere
erfolgte die Einleitung des Beratungsverfahrens zur Erp-RL
Liposuktion nach § 137e SGB V auf der Grundlage eines laufenden
Bewertungsverfahrens nach § 135 Abs 1 und § 137c Abs 1 S 1 SGB
V
(Beschlüsse des GBA vom 20.7.2017, BAnz AT 17.10.2017 B3 und
B4).
Dies entspricht den gesetzlichen Vorgaben. Danach kann der GBA
unter Aussetzung seines Bewertungsverfahrens eine Richtlinie zur
Erprobung beschließen, um die notwendigen Erkenntnisse für die
Bewertung des Nutzens der Methode zu gewinnen, wenn er bei der
Prüfung ua von Behandlungsmethoden nach § 137c SGB V zu der
Feststellung gelangt, dass eine Methode das Potential einer
erforderlichen Behandlungsalternative bietet, ihr Nutzen aber noch
nicht hinreichend belegt ist (§ 137e Abs 1 S 1 SGB V).
37
Die Patientenvertretung war durch die Antragstellung für die
Bewertungsverfahren nach § 140f Abs 2 S 5 SGB V, die Mitberatung
nach § 140f Abs 2 S 1 und 2 SGB V und die Berücksichtigung von
ihrer Position ordnungsgemäß eingebunden
(vgl B-2.2.2, B-4.1, B-6.2, B-7.3.2, B-9.2, C-3.2, D-5.2, D-6 und E-2
der zusammenfassenden Dokumentation zum Beratungsverfahren
nach §§ 135 Abs 1, 137c SGB V sowie A-1.2.10 und B-5 der
zusammenfassenden Dokumentation zum Beratungsverfahren nach
§ 137e SGB V)
. Die nach § 91 Abs 5, § 91 Abs 5a, § 92 Abs 7d SGB V, 1. Kap §§ 8
bis 14 VerfO vorgesehenen Stellungnahme- und
Anhörungsverfahren wurden ordnungsgemäß durchgeführt
(vgl D der zusammenfassenden
Dokumentation zum Beratungsverfahren nach §§ 135 Abs 1, 137c
SGB V sowie B der zusammenfassenden Dokumentation zum
Beratungsverfahren nach § 137e SGB V nebst Anlagen).
38
bb) Der GBA hat als Grundlage seiner Entscheidung die Studienlage
vollständig berücksichtigt. Er hat sich auf die relevanten und
verfügbaren Fachveröffentlichungen und zwei (im Wesentlichen
deckungsgleiche) Leitlinien, insbesondere die S1-Leitlinie 037/012:
Lipödem der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie
(http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/037-
012l_S1_Lipoedem_2016-01.pdf)
, gestützt (A-1.2.2.1, A-2.2.2.1und B-3 der zusammenfassenden
Dokumentation zum Beratungsverfahren nach §§ 135 Abs 1, 137c
SGB V)
. Er hat ein Expertengespräch durchgeführt
(B-5 der zusammenfassenden
Dokumentation zum Beratungsverfahren nach §§ 135 Abs 1, 137c
SGB V)
und - wie dargelegt - die eingegangenen schriftlichen und im
Rahmen der durchgeführten Anhörungen abgegebenen mündlichen
Stellungnahmen berücksichtigt (vgl oben unter 2. b. aa).
39
cc) Der GBA ist rechtmäßig gesetzeskonform davon ausgegangen,
dass die Liposuktion bei Lipödem eine Methode ist (1.), deren
Nutzen noch nicht hinreichend belegt ist (2.), die aber das Potential
einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet (3.), welches die
Festlegung der Eckpunkte der noch erforderlichen Studie gestattet
(4.)und welches sich vertretbar aus der Studienlage und den
weiteren verfahrensmäßig korrekt gewonnenen Erkenntnissen
ableiten lässt (5.).
40
(1.) "Behandlungsmethoden" im Sinne der GKV sind medizinische
Vorgehensweisen, denen ein eigenes theoretisch-
wissenschaftliches Konzept zugrunde liegt, das sie von anderen
Therapieverfahren unterscheidet und das ihre systematische
Anwendung in der Behandlung bestimmter Krankheiten rechtfertigen
soll
(stRspr, vgl zB BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 29 RdNr 16 mwN, zur
Veröffentlichung in BSGE vorgesehen).
Dazu zählt auch die Liposuktion bei Lipödem. Sie ist ein operativer
Eingriff, bei dem Teile des Unterhautfettgewebes mit Hilfe von
Kanülen abgesaugt werden
(Tragende Gründe zur Erp-RL Liposuktion S 3).
41
(2.) Der GBA geht rechtmäßig davon aus, dass der Nutzen einer
stationären Methode hinreichend belegt ist, wenn sie für eine
ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der
Versicherten unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten
Standes der medizinischen Erkenntnisse erforderlich ist
(vgl § 137c Abs 1 S 1 SGB V). Hierzu überprüft er den Nutzen einer
Methode bezüglich therapeutischer Leistungen - hier Liposuktion bei
Lipödem - insbesondere auf der Basis von Unterlagen zum
Nachweis der Wirksamkeit bei den beanspruchten Indikationen, zur
Abwägung des Nutzens gegen die Risiken, zur Bewertung der
erwünschten und unerwünschten Folgen (outcomes) und zum
Nutzen im Vergleich zu anderen Methoden gleicher Zielsetzung
(vgl VerfO 2. Kap § 10 Abs 2 Nr 1 Buchst a, c bis e gemäß § 91 Abs
4 S 1 Nr 1 SGB V)
. Das entspricht den Anforderungen der Rspr des BSG
(vgl zB BSG SozR 4-2500 § 18 Nr 9 RdNr 13 ff mwN).
42
Auch die Gesamtbewertung des Nutzens im Versorgungskontext
durch den GBA steht in Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben.
Danach ist der Nutzen einer Methode durch qualitativ angemessene
Unterlagen zu belegen. Dies sollen, soweit möglich, Unterlagen der
Evidenzstufe I mit patientenbezogenen Endpunkten (zB Mortalität,
Morbidität, Lebensqualität) sein. Soweit qualitativ angemessene
Unterlagen dieser Aussagekraft nicht vorliegen, erfolgt die Nutzen-
Schaden-Abwägung einer Methode aufgrund qualitativ
angemessener Unterlagen niedrigerer Evidenzstufen. Die
Anerkennung des medizinischen Nutzens einer Methode auf
Grundlage von Unterlagen einer niedrigeren Evidenzstufe bedarf
jedoch - auch unter Berücksichtigung der jeweiligen medizinischen
Notwendigkeit - zum Schutz der Patientinnen und Patienten umso
mehr einer Begründung, je weiter von der Evidenzstufe I
abgewichen wird. Dafür ist der potentielle Nutzen einer Methode,
insbesondere gegen die Risiken der Anwendung bei Patientinnen
oder Patienten abzuwägen, die mit einem Wirksamkeitsnachweis
geringerer Aussagekraft einhergehen
(vgl VerfO 2. Kap § 13 Abs 2; zur Klassifizierung und Bewertung von
Unterlagen vgl VerfO 2. Kap § 11 Abs 3, 5 bis 7)
. Die Auswertung der Unterlagen besteht aus einer
Evidenzklassifizierung und einer Qualitätsbewertung
(vgl VerfO 2. Kap § 11 Abs 1). Bei der Klassifizierung der Unterlagen
zu therapeutischen Methoden gelten folgende Evidenzstufen: I a
Systematische Übersichtsarbeiten von Studien der Evidenzstufe I b;
I b Randomisierte klinische Studien; II a Systematische
Übersichtsarbeiten von Studien der Evidenzstufe II b; II b
Prospektive vergleichende Kohortenstudien; III Retrospektive
vergleichende Studien; IV Fallserien und andere nicht vergleichende
Studien; V Assoziationsbeobachtungen, pathophysiologische
Überlegungen, deskriptive Darstellungen, Einzelfallberichte, uä;
nicht mit Studien belegte Meinungen anerkannter Expertinnen und
Experten, Berichte von Expertenkomitees und
Konsensuskonferenzen (vgl VerfO 2. Kap § 11 Abs 3). Auch dies
entspricht der Rspr des BSG
(vgl zB BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2 Nr 4, RdNr 14 ff mwN).
43
Nach diesen Maßstäben sieht der GBA gesetzeskonform die
Voraussetzungen eines hinreichenden Nutzenbelegs gemäß VerfO
für die Liposuktion bei Lipödem als nicht erfüllt an. Die wenigen
gefundenen Studien entsprechen nach vertretbarer Einschätzung
des GBA der Evidenzklasse IV (vgl VerfO 2. Kap § 11 Abs 3). Der
GBA bewertet vertretbar die darin beschriebenen Ergebnisse in ihrer
Ergebnissicherheit als nicht ausreichend, um daraus bereits einen
Nutzen ableiten zu können. Er sieht für die Bewertung des Nutzens
vielmehr Ergebnisse aus einer randomisierten kontrollierten Studie
als erforderlich und die Durchführung einer solchen Studie als
möglich an (Tragende Gründe zur Erp-RL Liposuktion S 3). Die
Beschlüsse des GBA, das sektorenübergreifende
Bewertungsverfahren zur Liposuktion bei Lipödem auszusetzen
(vgl VerfO 2. Kap § 14 Abs 2), knüpfen gesetzeskonform hieran an.
44
(3.) Der GBA hat auch den Begriff des "Potentials einer
erforderlichen Behandlungsalternative" gesetzeskonform
angewandt. Der GBA versteht den Begriff des Potentials
dahingehend, dass der Nutzen der Methode mangels
aussagekräftiger wissenschaftlicher Unterlagen weder eindeutig
belegt noch deren Schädlichkeit oder Unwirksamkeit festgestellt
werden kann, die Methode aufgrund ihres Wirkprinzips und der
bisher vorliegenden Erkenntnisse aber mit der Erwartung verbunden
ist, dass andere aufwändigere, für den Patienten invasivere oder bei
bestimmten Patienten nicht erfolgreich einsetzbare Methoden ersetzt
werden können, die Methode weniger Nebenwirkungen hat, sie eine
Optimierung der Behandlung bedeutet oder die Methode in sonstiger
Weise eine effektivere Behandlung ermöglichen kann. Es genügt,
dass die gefundenen Publikationen die Konzeption einer
entsprechenden Studie erlauben, die ein randomisiertes,
kontrolliertes Design aufweisen muss, um die bestehende
Evidenzlücke zu füllen
(vgl VerfO 2. Kap § 14 Abs 3 und 4; vgl auch B-8 der
zusammenfassenden
Dokumentation zum Beratungsverfahren nach §§ 135 Abs 1, 137c
SGB V)
. Dieses Verständnis entspricht Wortlaut (vgl oben, RdNr 16, 31),
Zweck und Regelungskonzeption des § 137c Abs 1 S 3 und § 137e
SGB V. Danach soll ua eine Behandlungsmethode, deren Nutzen
nach den internationalen Standards der evidenzbasierten Medizin
noch nicht ausreichend belegt ist, dann in einem strukturierten
Verfahren durch eine Studie erprobt werden, wenn aufgrund der
bisher vorliegenden Erkenntnisse zu erwarten ist, dass die
bestehende Evidenzlücke durch diese Studie in einem begrenzten
Zeitraum geschlossen werden kann
(vgl Gesetzentwurf der BReg eines GKV-VStG, BT-Drucks 17/6906
S 87 f; Becker in Becker/Kingreen, SGB V, 5. Aufl 2017, § 137e
RdNr 3; Deister, NZS 2016, 328, 331; Hauck, GesR 2014, 257, 261
f; Jung in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Bd 1, Stand
November 2017, § 137e SGB V RdNr 6; Roters in KassKomm Stand
1.12.2017, § 137e RdNr 3; Stallberg, NZS 2017, 332, 336;
Roters/Propp, MPR 2013, 37, 40).
45
(4.) Auch das vom GBA gewählte zweiphasige Verfahren,
Eckpunkte in der Erp-RL Liposuktion zu regeln und der
unabhängigen wissenschaftlichen Institution im Rahmen der
Operationalisierung und Konkretisierung die nähere technische
Ausgestaltung des Studiendesigns und -protokolls zu überlassen
(vgl oben, § 3 Abs 2 und Abs 3 sowie § 7 Abs 1 S 5 sowie Abs 4
Erp-RL Liposuktion)
, begegnet noch keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Der
GBA hat in den §§ 2 bis 6 Erp-RL Liposuktion die wesentlichen
Eckpunkte für die Durchführung der Erprobung
(vgl VerfO 2. Kap § 22 Abs 2) geregelt, nämlich insbesondere die
Indikation, die erfassten Patientenpopulationen, die ins Auge
gefassten Interventionen und Vergleichsinterventionen, die
Evidenzstufe der Studie, die patientenrelevanten Endpunkte und
den Beobachtungszeitraum. Die der unabhängigen
wissenschaftlichen Institution eingeräumten Spielräume sind unter
Berücksichtigung der zur Vorbereitung der Erp-RL Liposuktion
eingegangenen Stellungnahmen und der tragenden Gründe der
Erp-RL Liposuktion gering und eher technischer Natur. Der GBA hält
sich damit noch an die Vorgaben seiner VerfO
(vgl VerfO 2. Kap § 22 Abs 1 und 2).Er beauftragt eine unabhängige
(vgl VerfO 2. Kap § 22 Abs 1 und 2).Er beauftragt eine unabhängige
wissenschaftliche Institution mit der näheren Ausgestaltung des
Studiendesigns sowie dem Entwurf, der Durchführung und der
Auswertung der Erprobungsstudie
(§ 1 S 2 und S 3 Erp-RL Liposuktion). Die Regelung beachtet noch
den gesetzlichen Rahmen. Danach regelt der GBA in der Erp-RL
Liposuktion die in die Erprobung einbezogenen Indikationen und die
sächlichen, personellen und sonstigen Anforderungen an die
Qualität der Leistungserbringung im Rahmen der Erprobung. Er legt
zudem Anforderungen an die Durchführung, die wissenschaftliche
Begleitung und die Auswertung der Erprobung fest
(vgl § 137e Abs 2 S 1 und 2 SGB V). Für die wissenschaftliche
Begleitung und Auswertung der Erprobung beauftragt der GBA eine
unabhängige wissenschaftliche Institution (§ 137e Abs 5 S 1 SGB V)
. Die vom GBA gewählte Ausgestaltung entspricht auch dem
Regelungsziel des § 137e Abs 5 SGB V, auf der Grundlage
ausreichend konkreter Vorgaben zum Studienziel sowie zu den
Eckpunkten für die Durchführung der Studie externen Sachverstand
einzubinden. Auf einer solchen Grundlage darf der GBA die nähere
Ausgestaltung des Studiendesigns der beauftragten unabhängigen
wissenschaftlichen Institution überlassen.
46
(5.) Der GBA ist vertretbar zu dem Ergebnis gelangt, die Liposuktion
bei Lipödem biete das Potential einer erforderlichen
Behandlungsalternative, welche die konkrete Ausgestaltung der Erp-
RL Liposuktion rechtfertige. Die zusammenfassenden
Dokumentationen zum Beratungsverfahren nach §§ 135 Abs 1,
137c SGB V und zum Beratungsverfahren nach § 137e SGB V
belegen, dass er die Studienlage sowie die Ergebnisse der
Expertenbefragung und des Stellungnahme- und
Anhörungsverfahrens und die Position der Patientenvertretung
ausführlich ausgewertet und daraus die vertretbaren
Schlussfolgerungen sowohl hinsichtlich des Potentials als auch der
Planbarkeit einer Erprobungsstudie und ihrer Ausgestaltung
gezogen hat.
47
c) Die Erp-RL Liposuktion, ihre gesetzliche Grundlage und die
Rechtsanwendung stehen auch mit Verfassungsrecht in Einklang.
Es ist verfassungsrechtlich zulässig, dass der Gesetzgeber den
GBA in § 137c Abs 1 S 3 iVm § 137e SGB V konkret ermächtigt,
Richtlinien zur Erprobung von Untersuchungs- und
Behandlungsmethoden zu erlassen, die das Potential einer
erforderlichen Behandlungsalternative bieten. Der GBA verfügt
hierdurch über eine hinreichende demokratische Legitimation
(vgl zu den Voraussetzungen BVerfGE 140, 229 = SozR 4-2500 §
92 Nr 18, RdNr 22; BSGE 120, 170 = SozR 4-2500 § 34 Nr 18, RdNr
43 mwN).
48
Im hier einschlägigen Bereich der funktionalen Selbstverwaltung
fordert das demokratische Prinzip nicht, dass eine lückenlose
personelle Legitimationskette vom Volk zum Entscheidungsträger
vorliegen muss. Es ist vielmehr bei hinreichend normdichter
gesetzlicher Ausgestaltung ausreichend, dass Aufgaben und
Handlungsbefugnisse der Organe gesetzlich ausreichend
vorherbestimmt sind, ihre Wahrnehmung der Aufsicht personell
legitimierter Amtswalter unterliegt
(vgl BVerfGE 107, 59, 94; 111, 191, 217 f; BSGE 120, 170 = SozR 4-
2500 § 34 Nr 18, RdNr 44 mwN)
und die Wahrung der Interessen der Betroffenen rechtssicher
gewährleistet ist (BVerfGE 111, 191, 217; BSGE, aaO). Der GBA
droht die Grenzen hinreichender demokratischer Legitimation für
eine Richtlinie zu überschreiten, wenn er mit hoher Intensität
Angelegenheiten Dritter regelt, die an deren Entstehung nicht haben
mitwirken können. Maßgeblich ist hierfür insbesondere, inwieweit der
GBA für seine zu treffenden Entscheidungen gesetzlich angeleitet ist
(vgl BVerfGE 140, 229 = SozR 4-2500 § 92 Nr 18, RdNr 22; BSGE
120, 170 = SozR 4-2500 § 34 Nr 18, RdNr 43 f mwN).
Diesen Anforderungen wird die Ermächtigung des GBA gerecht,
Richtlinien zur Erprobung von Untersuchungs- und
Behandlungsmethoden zu erlassen. Seine Aufgaben und
Handlungsbefugnisse sind in Relation zur Eingriffsintensität durch
hinreichend normdichte gesetzliche Regelungen ausreichend
vorherbestimmt (hierzu aa und bb).Er unterliegt der Aufsicht durch
personell legitimierte Amtswalter und die Wahrung der Interessen
der Betroffenen ist rechtssicher gewährleistet (hierzu cc und dd).
49
aa) Der GBA ist verfassungskonform kraft Gesetzes zur
Konkretisierung des sich aus § 137c Abs 1 S 2, § 137e SGB V
ergebenden Regelungsprogramms ermächtigt, außenwirksame
Normen im Range untergesetzlichen Rechts in Gestalt von Erp-RL
Liposuktion zu erlassen
(vgl § 137c Abs 1 S 2, § 137e Abs 1 S 1 SGB V, zur
Gesetzeskonzeption vgl bereits oben, II. 2. b.)
. Die vorgeschriebene Handlungsform ist gesetzlich präzise
ausgeformt und genügt rechtsstaatlichen Anforderungen. Das
Verfahren zum Erlass der Richtlinien ist transparent, die Publizität
gesichert und die Reichweite der Bindungswirkung gegenüber den
Systembeteiligten gesetzlich festgelegt (vgl § 91 Abs 6 SGB V).
Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit dieser gesetzlich
ausgestalteten Handlungsform des GBA steht für die Erp-RL
Liposuktion schon entgegen, dass die Handlungsform der
Normsetzung durch eine Allgemeinverfügung nach § 31 S 2 SGB X
als eine andere verfassungskonforme spezifische Form der
Normanwendung nach dem hinreichend dichten Normprogramm
wirkungsgleich substituiert werden könnte, wäre nicht die
Entscheidung durch untergesetzliche Rechtsnorm vom Gesetz
vorgegeben
(vgl entsprechend BSGE 120, 170 = SozR 4-2500 § 34 Nr 18, RdNr
46 mwN).
50
bb) Der GBA ist auch inhaltlich hinreichend normdicht für seine zu
treffenden Entscheidungen gesetzlich angeleitet, unter welchen
Voraussetzungen mit welchem Zweck (§ 137e Abs 1 S 1 SGB V),
welchen Folgen (§ 137e Abs 1 S 2 SGB V)und welchem Inhalt
(§ 137e Abs 2 SGB V)er Richtlinien zur Erprobung von
Untersuchungs- und Behandlungsmethoden erlassen darf
(vgl § 137c Abs 1 S 3 iVm § 137e SGB V). Wie oben dargelegt,
knüpft die Regelung daran an, dass die Überprüfung einer
Untersuchungs- oder Behandlungsmethode durch den GBA ergibt,
dass der Nutzen einer Methode noch nicht hinreichend belegt ist, sie
aber das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative
bietet. Dann beschließt der GBA eine Richtlinie zur Erprobung nach
§ 137e SGB V (§ 137c Abs 1 S 3 SGB V), um die notwendigen
Erkenntnisse für die Bewertung des Nutzens der Methode zu
gewinnen (§ 137e Abs 1 S 1 SGB V). Hierzu beauftragt der GBA
eine unabhängige wissenschaftliche Institution mit der
wissenschaftlichen Begleitung und Auswertung der Erprobung
(vgl § 137e Abs 5 SGB V).
51
Die Begriffe des "Nutzens einer Methode" und ihres "hinreichenden"
Belegt-Seins sind jedenfalls durch die Rspr des BSG
(vgl oben, RdNr 41 ff)so präzisiert, dass dem GBA kein
nennenswerter Auslegungsspielraum verbleibt. Auch bei der
Feststellung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen
Erkenntnisse zur Operationalisierung der genannten Rechtsbegriffe
unterliegt der GBA weitgehender gerichtlicher Kontrolle: So überprüft
das Gericht bei entsprechendem Anlass auch die Vollständigkeit der
vom GBA zu berücksichtigenden Studienlage
(vgl zB BSGE 116, 153 = SozR 4-2500 § 137 Nr 4, RdNr 15)und - so
diese Voraussetzung erfüllt ist - die Vertretbarkeit seiner
Schlussfolgerung
(vgl auch BSGE 114, 217 = SozR 4-2500 § 35 Nr 7, RdNr 28).
52
Der Gesetzgeber wählte die Ausgestaltung der Erp-RL Liposuktion
durch den GBA, um die Qualität der Erprobung zu sichern, durch
eine befristete Ausnahme vom Qualitätsgebot hinreichende
Erkenntnisse für die Versorgungsqualität zu erzielen und eine
Gleichbehandlung der Versicherten zu erreichen. Dies
gewährleistet, dass die betroffenen Methoden mit Potential aber
noch unzureichendem Nutzenbeleg in einem strukturierten
Verfahren auf ihren therapeutischen Nutzen nach dem Stand der
wissenschaftlichen Erkenntnisse sachverständig geprüft werden, um
die Entscheidung über die Bewertung der Methode und ihren
dauerhaften Einsatz zulasten der GKV auf eine fachlich-medizinisch
zuverlässige Grundlage zu stellen. Ein solches Vorgehen darf dem
Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht verwehrt sein
(vgl entsprechend BVerfGE 115, 25, 46 f = SozR 4-2500 § 27 Nr 5
RdNr 28; BSGE 102, 30 = SozR 4-2500 § 34 Nr 4, RdNr 19)
.
53
Die Bedeutung und Reichweite der Erp-RL Liposuktion ist von
vornherein dadurch gesetzlich begrenzt, dass die Erp-RL
Liposuktion nur befristet wirkt (vgl § 137e Abs 1 S 2 SGB V). Ihre
Eingriffsintensität ist insgesamt gering. Betroffen von Änderungen
des Leistungsrechts sind in erster Linie Versicherte, zudem Ärzte in
ihrer ärztlichen Therapiefreiheit
(vgl zur Bedeutung als dienende Freiheit Hauck, SGb 2014, 8 f
mwN)
. Die Erp-RL Liposuktion stellt auf Kosten der GKV ein Verfahren zur
Verfügung, um den bisher nicht gesicherten Nutzen von
Untersuchungs- und/oder Behandlungsmethoden nachzuweisen.
Versicherte erhalten hierdurch vorübergehend die Chance auf
zusätzliche Leistungen über die am Qualitätsgebot ausgerichtete
Regelversorgung hinaus. Dementsprechend weitet sich das Feld
aus, in dem Ärzte zulasten der GKV therapieren können. Die
grundsätzliche Ausrichtung der Regelversorgung Versicherter am
Qualitätsgebot bildet die eigentliche Einschränkung, die ihrerseits
aber unter Berücksichtigung ihrer Begrenzung durch die Möglichkeit
grundrechtsorientierter Auslegung des Leistungsrechts
verfassungskonform ist
(stRspr, vgl zB BVerfGE 140, 229 = SozR 4-2500 § 92 Nr 18, RdNr
12; BVerfGE 115, 25, 46 f = SozR 4-2500 § 27 Nr 5, RdNr 59).
Einer Ungleichbehandlung Versicherter, die sich aus der
eingeschränkten Verfügbarkeit der Leistung und dem Fehlen von
Garantien ergeben kann, wirkt der Anspruch Versicherter auf
gleichgerechte Teilhabe an Erprobungsleistungen entgegen.
Verbleibende Ungleichheit ist wegen des mit der Erprobung
verknüpften wichtigen öffentlichen Zwecks und des nur
vorübergehenden Ausnahmefalls aufgrund notwendiger Befristung
der Erprobung verfassungsrechtlich gerechtfertigt
(vgl hierzu oben II. 2. a.).
54
cc) Der GBA unterliegt bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben und
Handlungsbefugnisse - hier speziell beim Erlass der Erp-RL
Liposuktion nach § 137c Abs 1 S 2, § 137e Abs 1 S 1 SGB V - der
Aufsicht personell demokratisch legitimierter Amtswalter. Das SGB V
regelt in § 91a Abs 1 S 1 und 2, § 94 Abs 1 im Zusammenspiel mit
dem SGB IV (§ 91a Abs 1 S 2 SGB V iVm §§ 87 bis 89 SGB IV)
detailliert und umfassend die staatliche Aufsicht über den GBA
speziell beim Erlass von Richtlinien. Danach sind die vom GBA
beschlossenen Richtlinien dem Bundesministerium für Gesundheit
(BMG) vorzulegen. Es kann sie innerhalb von zwei Monaten
beanstanden. Das BMG kann im Rahmen der Richtlinienprüfung
vom GBA zusätzliche Informationen und ergänzende
Stellungnahmen anfordern; bis zum Eingang der Auskünfte ist der
Lauf der Zweimonatsfrist für eine Beanstandung unterbrochen. Die
Nichtbeanstandung einer Richtlinie kann vom BMG mit Auflagen
verbunden werden; es kann zur Erfüllung einer Auflage eine
angemessene Frist setzen. Kommen die für die Sicherstellung der
ärztlichen Versorgung erforderlichen Beschlüsse des GBA nicht
oder nicht innerhalb einer vom BMG gesetzten Frist zustande oder
werden die Beanstandungen des BMG nicht innerhalb der von ihm
gesetzten Frist behoben, erlässt es die Richtlinien selbst.
55
§ 94 Abs 1 SGB V ermöglicht damit eine präventive
aufsichtsrechtliche Kontrolle, bevor die Richtlinien des GBA im
Bundesanzeiger publiziert und damit grundsätzlich wirksam werden.
Die aufsichtsrechtlichen Befugnisse des BMG sind auf eine
Rechtskontrolle beschränkt. Das entspricht dem Grundsatz, dass
die Staatsaufsicht gegenüber Selbstverwaltungsträgern prinzipiell
auf eine Rechtsaufsicht begrenzt und für eine weiterreichende
Zweckmäßigkeitskontrolle nur Raum ist, wenn der Gesetzgeber dies
ausdrücklich angeordnet hat
(vgl hierzu BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 40 mwN)
. Die danach gebotene reine Rechtmäßigkeitskontrolle führt beim
Prüfmaßstab zum Gleichlauf mit der gerichtlichen Kontrolle. Die
Kontrolle ist - wie oben dargelegt (vgl II. 2. b.) -in der Prüfdichte nur
dort eingeschränkt, wo dem GBA ein Ermessens- oder
Beurteilungsspielraum zuzubilligen ist.
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dd) Die verfassungsrechtlich erforderliche Beteiligtenpartizipation
wird durch das Stellungnahme- und Anhörungsverfahren nach § 91
Abs 5 und 5a SGB V und § 92 Abs 7d SGB V sowie die Einbindung
der Patientenvertretung über die Antragstellung nach § 140f Abs 2 S
5 SGB V und die Mitberatung nach § 140f Abs 2 S 1 und 2 SGB V
gewahrt.
57
3. Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.