Urteil des BSG vom 17.02.2004

BSG: wartezeit, behandlung im ausland, nierentransplantation, auslandsbehandlung, soziale gerechtigkeit, therapie, dialyse, versorgung, belastung, krankenkasse

Bundessozialgericht
Urteil vom 17.02.2004
Sozialgericht Darmstadt S 10 KR 1850/97
Hessisches Landessozialgericht L 14 KR 556/00
Bundessozialgericht B 1 KR 5/02 R
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 6. Dezember 2001 wird
zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten um die Erstattung der Kosten für eine in den USA durchgeführte Nierentransplantation.
Bei dem 1948 geborenen, bei der beklagten Ersatzkasse freiwillig versicherten Kläger wurde Mitte 1996 eine erblich
bedingte dialysepflichtige Niereninsuffizienz festgestellt. Unter Vorlage von Kostenvoranschlägen beantragte er in der
Folgezeit die Übernahme der Kosten für eine in den USA durchzuführende Nierentransplantation, wo die Wartezeit auf
ein Spenderorgan erheblich kürzer sei als in Deutschland. Nach Einholung einer Stellungnahme des Medizinischen
Dienstes der Krankenversicherung (MDK) lehnte die Beklagte den Antrag wegen der Möglichkeit einer
Inlandsbehandlung ab (Bescheide vom 25. Februar und 6. Mai 1997; Widerspruchsbescheid vom 19. September
1997).
Während des dagegen eingeleiteten Klageverfahrens wurde dem Kläger im August 1998 in den USA die Niere eines
verstorbenen Spenders implantiert. Die ihm dafür entstandenen Gesamtkosten bezifferte er mit 265.007,53 DM; davon
habe ihm eine private Zusatzversicherung 40.000 DM erstattet.
Die Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Nach Vernehmung des MDK-Arztes Dr. H. (Internist und
Nephrologe) hat das Sozialgericht die Klage unter Hinweis auf die Ausführungen des sachverständigen Zeugen als
unbegründet abgewiesen (Urteil vom 23. März 2000). Die dagegen gerichtete Berufung hat das Landessozialgericht
(LSG) zurückgewiesen: Die Voraussetzungen für einen Kostenerstattungsanspruch des Klägers nach dem allein dafür
in Betracht kommenden § 18 Abs 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) seien nicht erfüllt. Zwar könne
angenommen werden, dass die abstrakte statistische Wartezeit auf ein Spenderorgan in den USA kürzer gewesen sei
als in Deutschland. Sie habe für Patienten der Blutgruppe des Klägers in den USA 1997 etwa zwei Jahre betragen,
während sie im Bereich des mitteleuropäischen Organspenden-Verteilungssystems "Eurotransplant" 1995 bei ca 4,5
Jahren und 1999 bei ca sechs Jahren gelegen habe. Ausgehend von dieser durchschnittlichen Wartezeit für eine
Inlandsbehandlung habe bei dem Kläger keine medizinische Notwendigkeit für eine frühere Transplantation bestanden,
da er während der Wartezeit in Deutschland per Dialyse ausreichend habe behandelt werden können. Sein Vortrag,
dass eine besondere psychische Belastung die sofortige Transplantation erforderlich gemacht habe, führe zu keinem
anderen Ergebnis. Die Dialysepflicht und -abhängigkeit stelle für jeden Patienten eine psychische und physische
Belastung dar, die auch nach einer erfolgreichen Transplantation in Form einer lebenslangen Abhängigkeit von
Medikamenten und Anfälligkeiten für Infektionskrankheiten bestehen bleibe. Insoweit habe der Kläger weder dargelegt
noch bewiesen, dass die Transplantation bei ihm die einzig lebenserhaltende Behandlungsmöglichkeit gewesen sei
(Urteil vom 6. Dezember 2001).
Mit der vom LSG zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er rügt eine Verletzung des § 18
SGB V sowie der §§ 103, 128 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die in den USA durchgeführte Nierentransplantation sei
einer in Deutschland erst nach mehreren Jahren Dialyse verfügbar gewesenen Transplantation eindeutig überlegen
und stelle im Gegensatz zur symptomatischen Dialyse-Behandlung letztlich eine kausale Therapie dar. Die frühzeitige
Nierentransplantation habe zudem die Chance geboten, seine Arbeitsfähigkeit schneller wiederherzustellen. Neben
dem Nierenleiden habe er auch an einer schweren Depression gelitten, die ihren Ursprung in der familiären Belastung
mit entsprechenden Nierenerkrankungen gehabt habe; 1980 bzw 1982 seien seine Mutter und sein Bruder im
Zusammenhang mit Dialysebehandlungen verstorben. Das LSG sei auch verpflichtet gewesen, Beweis darüber zu
erheben, dass seine 1997/1998 vorhanden gewesene Depression die baldige Transplantation erfordert habe; dabei
hätte die bei ihm bestehende Suizidgefahr mitberücksichtigt werden müssen. Weiterhin habe es der Ermittlung der
konkreten Wartezeit auf eine Spenderniere in diesen Jahren bedurft; die realistische Wartedauer habe seinerzeit mehr
als vier Jahre betragen und sei ihm wegen seiner schweren Depression nicht zuzumuten gewesen.
Der Kläger beantragt, die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 6. Dezember 2001 und des Sozialgerichts
Darmstadt vom 23. März 2000 aufzuheben sowie die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide vom 25. Februar und
6. Mai 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. September 1997 zu verurteilen, ihm (225.007,53 DM =)
115.044,52 EUR zu erstatten, hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, ihn unter Beachtung der Rechtsauffassung des
Senats neu zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtenen Entscheidungen.
II
Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, dass er von der
beklagten Ersatzkasse keine Kostenerstattung für die im August 1998 in den USA durchgeführte Transplantation der
Niere eines verstorbenen Spenders beanspruchen kann.
Als Anspruchsgrundlage dafür kommt nur § 18 Abs 1 Satz 1 SGB V in Betracht. Nach § 16 Abs 1 Nr 1 SGB V ruht
der Anspruch auf Leistungen, solange Versicherte sich im Ausland aufhalten. Nichts anderes ergibt sich aus dem
Abkommensrecht. Das zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA geschlossene
Sozialversicherungsabkommen (vom 7. Januar 1976 - BGBl II 1358 - idF der Zusatzabkommen vom 2. Oktober 1986
- BGBl II 1988, 83 - und vom 6. März 1995 - BGBl II 1996, 302) betrifft nach seinem Art 2 keine Rechtsvorschriften
des Leistungsrechts der gesetzlichen Krankenversicherung (KV).
Nach § 18 Abs 1 SGB V (in der hier anzuwendenden, von 1993 bis Ende 2003 geltenden Fassung des
Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21. Dezember 1992 - BGBl I 2266) kann eine Krankenkasse die Kosten einer
erforderlichen Behandlung (Abs 1 Satz 1) sowie weitere Kosten des Versicherten und Kosten für eine erforderliche
Begleitperson (Abs 2) ganz oder teilweise übernehmen, wenn eine dem allgemein anerkannten Stand der
medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit "nur im Ausland möglich" ist.
Der Kostenerstattungsanspruch des Klägers nach § 18 Abs 1 Satz 1 SGB V scheitert nicht daran, dass ein
Versicherter vor Durchführung der Auslandsbehandlung bei seiner Krankenkasse die Kostenübernahme beantragen
und ihr Gelegenheit zur Prüfung geben und deren Entscheidung abwarten muss (vgl dazu Urteil des Senats vom 3.
September 2003 - B 1 KR 34/01 R - Petö, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen); denn der Kläger hat die
Nierentransplantation erst während des laufenden sozialgerichtlichen Verfahrens durchführen lassen, nachdem die
abschlägigen Bescheide der Beklagten bereits ergangen waren. Ob eine Kostenerstattung weiter voraussetzt, dass
der Betroffene der Krankenkasse eine vertragsärztliche Verordnung für die Auslandsbehandlung vorlegt (für dieses
Erfordernis zB LSG Berlin NZS 1997, 519, 520; Noftz in: Hauck/Noftz, SGB V, K 18 RdNr 19, Stand Juni 1999; R.
Wagner in: Krauskopf, Soziale KV - Pflegeversicherung, Stand November 1998, § 18 SGB V RdNr 4) und ob dies hier
der Fall war, kann offen bleiben. Das Kostenerstattungsbegehren des Klägers ist jedenfalls aus anderen Gründen
erfolglos.
§ 18 Abs 1 Satz 1 SGB V gewährt dem Versicherten nur dann einen in das Ermessen der Krankenkasse gestellten
Anspruch auf Kostenübernahme, wenn die in Aussicht genommene Behandlung einer Krankheit dem allgemein
anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht und darüber hinaus - kumulativ (vgl BSGE 84, 90, 91 =
SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 13 - Kozijavkin I) - nur im Ausland möglich ist. Die erste Voraussetzung ist hier erfüllt; es
besteht in medizinischer Hinsicht Konsens darüber, dass die Transplantation der Niere eines verstorbenen Spenders
allgemein eine geeignete therapeutische Maßnahme zum Ausgleich der beim Empfänger des Spenderorgans
ausgefallenen Nierenfunktion ist. Ein Anspruch des Klägers scheitert jedoch daran, dass eine qualitativ gleichwertige
und unter zumutbaren Bedingungen verfügbare Behandlungsmöglichkeit im Inland bestand.
Als Bestimmung, die eine Krankenbehandlung ausnahmsweise auch im (Nichtvertrags-) Ausland zulässt, ist § 18 Abs
1 SGB V eng auszulegen. Er ermöglicht es zwar, dass Versicherten bei etwaigen Versorgungsdefiziten in
Deutschland eine Behandlung zuteil wird, soll aber andererseits der Gefahr des "Gesundheitstourismus" vorbeugen
und hat - ausgestaltet als Ermessensleistung - im Blick, eine finanzielle Überforderung der Krankenkassen zu
vermeiden (so BSGE 84, 90, 92 f = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 15 unter Hinweis auf BT-Drucks 11/2237 S 166). Nach
dem Wortlaut des § 18 Abs 1 Satz 1 SGB V und seinen Gesetzesmaterialien ist die Kostenübernahme allerdings
nicht darauf beschränkt, dass eine konkrete medizinische Behandlungsmaßnahme im Inland überhaupt nicht zu
erlangen ist. Umfasst davon ist ebenso die Fallgestaltung, dass eine Behandlung zwar im Inland mit den hier
verfügbaren personellen und sächlichen Mitteln erfolgen kann, der im Ausland praktizierten anderen Methode jedoch
ein qualitativer Vorrang gegenüber den in Deutschland angewandten Methoden gebührt. Solches hat der Senat zB
erwogen, wenn eine Krankheit im Inland nur symptomatisch behandelt werden kann, während im Ausland eine
kausale, die Krankheitsursache beseitigende Therapie angeboten wird, die begehrte Behandlung der
Inlandsbehandlung also aus medizinischen Gründen "eindeutig überlegen" ist; nicht notwendig ist eine
Auslandsbehandlung dagegen, wenn im Inland gleich oder ähnlich wirksame und damit zumutbare
Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen (vgl BSGE 84, 90, 93 = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 15; BSG SozR 3-
2500 § 18 Nr 6 S 27 - Kozijavkin II). Darüber hinaus ist § 18 Abs 1 SGB V auch einschlägig, wenn eine Behandlung
im Inland zwar grundsätzlich möglich ist, aus Kapazitätsgründen und dadurch bedingte Wartezeiten aber nicht
rechtzeitig erfolgen kann (BSGE 84, 90, 92 = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 14 mwN; BSG SozR 3-2500 § 18 Nr 6 S 27).
Auch einer Kostenübernahme für die zu einem früheren Zeitpunkt mögliche Behandlung im Ausland sind indessen
Grenzen gesetzt. So wird die Anwendbarkeit schon in der Gesetzesbegründung zu § 18 Abs 1 SGB V darauf
beschränkt, dass die früher als im Inland mögliche Auslandsbehandlung "aus medizinischen Gründen unbedingt
erforderlich" ist (so BT-Drucks 11/2237 S 166).
Eine in den USA 1998 vorgenommene Nierentransplantation ist im beschriebenen Sinne keine Behandlungsmethode,
die in der Zeit nach der ärztlichen Feststellung der dialysepflichtigen Niereninsuffizienz des Klägers nicht auch
allgemein in Deutschland verfügbar gewesen wäre. Es handelt sich vielmehr um eine Therapie, die einer im Inland
ebenso in Betracht gekommenen Transplantation gleichartig und gleichwertig war und bei Beginn der
Behandlungsbedürftigkeit (nur) rein statistisch gesehen bereits zu einem früheren Zeitpunkt durchführbar erschien. Da
die sich im Inland wie im Ausland ergebende Zeit des Wartens auf ein geeignetes Spenderorgan zunächst mit
laufender Dialysebehandlung (seit Mai 1997) überbrückt werden musste, lag ein qualitatives Versorgungsdefizit nicht
vor.
Auch das Vorliegen eines quantitativen Versorgungsdefizits in Deutschland ist in Bezug auf Nierentransplantationen
zweifelhaft, weil der Vergleich der vom LSG mitgeteilten abstrakten Wartezeiten für diese Beurteilung nur beschränkte
Aussagekraft besitzt (vgl BSGE 84, 90, 95 = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 17; BSG SozR 3-2500 § 18 Nr 6 S 27). Selbst
wenn man aber von einem solchen Defizit ausgeht, folgt daraus nicht schon, dass die beklagte Ersatzkasse gehalten
war, eine dem Kläger günstige Entscheidung über die Kosten seiner Auslandsbehandlung zu treffen. Denn eine dem
allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende und den medizinischen Fortschritt
berücksichtigende Behandlung seiner Niereninsuffizienz (vgl § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V) war entgegen § 18 Abs 1 SGB
V nicht "nur im Ausland möglich". Die sich in Deutschland ergebende längere Wartezeit auf ein geeignetes
Spenderorgan konnte mit einer Dialysebehandlung überbrückt werden, die ebenfalls dem allgemein anerkannten
medizinischen Standard entspricht. Die Auslegung des § 18 SGB V ergibt in Verbindung mit den vom LSG zum
Gesundheitszustand des Klägers getroffenen Feststellungen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für eine
Übernahme der Kosten der Nierentransplantation in den USA nicht erfüllt sind, obwohl die Wartezeit dort kürzer war.
Die Ermöglichung von Behandlungen außerhalb Deutschlands durch § 18 SGB V führt schon nach der bisherigen
Rechtsprechung nicht dazu, dass allgemeine Prinzipien des Leistungsrechts außer Kraft gesetzt werden. So gilt zB
auch für eine Auslandsbehandlung das Erfordernis, dass die Behandlung dem allgemein anerkannten Stand der
medizinischen Erkenntnisse - im Sinne eines medizinischen Konsenses über die Zweckmäßigkeit der Therapie -
entsprechen muss (BSGE 84, 90, 96 f = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 18 f mwN; SozR 3-2500 § 18 Nr 6 S 23; vgl auch
Urteil des Senats vom 3. September 2003 - B 1 KR 34/01 R, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) und dass das
Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 2 Abs 1 Satz 3, § 12, § 70 Abs 1 SGB V) beachtet wird (BSGE 84, 90, 93 f = SozR 3-
2500 § 18 Nr 4 S 15 f; vgl bereits BSG - 6. Senat - SozR 5520 § 29 Nr 3 S 8 f). Über § 18 Abs 1 SGB V sind ebenso
die Kosten einer wegen ethisch-moralischer Bedenken in Deutschland unzulässigen Behandlung nicht
erstattungsfähig (vgl zur Beschaffung von Organen zum Zwecke der Transplantation unter Lebenden BSGE 79, 53 =
SozR 3-2500 § 27 Nr 7, BSG SozR 3-2500 § 18 Nr 2 sowie BSG, Urteil vom 10. Dezember 2003 - B 9 VS 1/01 R, S 8
des Umdrucks, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Gleiches gilt in Bezug auf eine Behandlung, für
die im Inland aus Gründen des Gesundheitsschutzes eine stationäre Aufnahme vorgeschrieben ist (BSGE 89, 34 =
SozR 3-2500 § 18 Nr 8 - ambulante Radio-Jod-Therapie).
Krankenkassen schulden ihren Versicherten auch bei einer Auslandsbehandlung mithin keine Versorgung, die alle dort
bestehenden Behandlungsmöglichkeiten bis an ihre medizinisch-technischen Grenzen um jeden Preis ausschöpft.
Den Versicherten steht bei der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen außerhalb Deutschlands regelmäßig (nur)
eine bedarfsgerechte Versorgung zu, die ebenso an die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Notwendigkeit
gebunden ist wie der Behandlungsanspruch im Inland (§ 12 Abs 1 SGB V). Wie sich zusätzlich aus § 70 Abs 1 Satz 1
SGB V ergibt, ist daneben auf eine gleichmäßige Versorgung zu achten, was durch den verfassungsrechtlichen
allgemeinen Gleichheitssatz bestärkt wird. Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) begründet die verfassungsrechtliche Pflicht,
die Versicherten bei der Versorgung mit Leistungen auch in bestehenden Mangelsituationen nicht willkürlich ungleich
zu behandeln (vgl zB BVerfGE 33, 303, 345 ff; 43, 291, 314 ff; 59, 1, 21 ff). Vor diesem Hintergrund erlangt im zu
entscheidenden Fall das am 1. Dezember 1997 in Kraft getretene "Gesetz über die Spende, Entnahme und
Übertragung von Organen - Transplantationsgesetz" (TPG) vom 5. November 1997 (BGBl I 2631) besondere
Bedeutung. Dieses Gesetz wurde ua in der Erkenntnis geschaffen, dass Spenderorgane nicht in ausreichender Zahl
zur Verfügung stehen und nur begrenzt vermehrbar sind und dass sich daraus zahlreiche Probleme im
Zusammenhang mit der Versorgung von Behandlungsbedürftigen mit diesen Organen ergeben können (vgl dazu zB
die Beiträge in: Nagel/Fuchs, Soziale Gerechtigkeit im Gesundheitswesen - Ökonomische, ethische, rechtliche
Fragen am Beispiel der Transplantationsmedizin, 1993, sowie in: Meuter/Lachmann, Zur Gerechtigkeit der
Organverteilung, 1997; Conrads, MedR 1996, 300 ff; ferner: Schutzeichel, Geschenk oder Ware? Das begehrte Gut
Organ - Nierentransplantation in einem hochregulierten Markt, 2002). So befanden sich nach der "Eurotransplant"-
Statistik des Jahres 1998, dem Jahr der Transplantation des Klägers, in Deutschland 9.067 Patienten auf der
Warteliste für eine Nierenspende, während hier nur 1.997 Nieren von Verstorbenen transplantiert wurden (vgl
www.eurotransplant.nl/statistics/zfl d98.htm, im Internet recherchiert am 5. August 2003). Das TPG verfolgt das Ziel,
die Voraussetzungen für die Spende und Entnahme menschlicher Organe zum Zwecke der Transplantation
rechtssicher zu regeln (vgl BT-Drucks 13/4355 S 1 und S 14 f) und stellt dazu in seinem § 12 verbindliche Regeln
über die Organvermittlung auf. Nach § 12 Abs 3 TPG sind die vermittlungspflichtigen menschlichen Organe von einer
Vermittlungsstelle nach Regeln zu vermitteln, die dem Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechen,
insbesondere nach Erfolgsaussicht und Dringlichkeit; diese Vermittlungsstelle kann - wie die im niederländischen
Leiden ansässige "Eurotransplant International Foundation" - auch eine international tätige Einrichtung außerhalb
Deutschlands sein (§ 12 Abs 2 TPG). Der hierin zum Ausdruck kommende Gesichtspunkt der Chancengleichheit bei
der Möglichkeit zur Erlangung eines Spenderorgans (vgl BT-Drucks 13/4355 S 26 zu § 11 Abs 3 des Entwurfs;
Klinkhammer, DÄBl 1998, A-1503 f) wird weiter konkretisiert durch die auf der Grundlage des § 16 TPG von der
Bundesärztekammer erlassenen Richtlinien über die Organvermittlung zur Nierentransplantation (erstmals idF vom 13.
November 1999, DÄ 2000, C-322, zuletzt idF vom 28. Februar 2003). Die Richtlinien stellen einen Kriterienkatalog auf,
der die schon in der Gesetzesbegründung zu § 12 Abs 3 TPG geforderte angemessene Gewichtung der maßgeblichen
Umstände vornimmt und dabei die bereits verstrichene Wartezeit sowie eingetretene bzw absehbare zusätzliche
gesundheitliche Belastungen einbezieht (BT-Drucks 13/4355, ebenda). In den Richtlinien werden neben dem
medizinischen Gesichtspunkt der Blutgruppenkompatibilität der Grad der Gewebeverträglichkeit (sog HLA-Merkmale,
zu 40 %), die Mismatch-Wahrscheinlichkeit (10 %), die Wartezeit (zu 30 %) und die Konservierungszeit des
Spenderorgans (20 %) prozentual gewichtet; für bestimmte Patientengruppen (zB Kinder) sind Abweichungen und
Bonus-Vergaben vorgesehen (vgl im Einzelnen zB Schreiber/Haverich, DÄBl 2000, A-385). Bedeutsam ist bei alledem
unter dem Blickwinkel des Leistungsrechts der gesetzlichen KV, dass damit unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten
sachliche Kriterien für eine möglichst gleichmäßige Vergabepraxis geschaffen worden sind. Mit dieser Ausgestaltung
wird weitgehend erreicht, dass die Chancen auf eine Transplantation insbesondere von Wohnort, sozialem Status,
finanzieller Situation und der Meldung bei einem bestimmten Transplantationszentrum unabhängig sind, wie dies
inzwischen die Richtlinien der Bundesärztekammer idF vom 28. Februar 2003 (unter I. Nr 7 letzter Satz) ausdrücklich
verlangen.
Mit dem Vorhalten dieses Vergabesystems und den dafür geltenden allgemeinen Regelungen wird bezogen auf den
Bereich der Transplantation anonymer Spenderorgane das Merkmal der krankenversicherungsrechtlichen
Notwendigkeit in zulässiger Weise konkretisiert. Die durch das TPG vorgenommenen, trotz des Mangels an
Spenderorganen (auch) die Gleichbehandlung aller Versicherten der KV gewährleistenden Wertungen führen dazu,
dass ein Versicherter, der das im Einzelnen austarierte inländische, um den "Eurotransplant"-Vergabepool auf
Belgien, die Niederlande, Luxemburg, Österreich und (seit 1. Januar 2000) Slowenien erweiterte Verteilungssystem
verlässt und sich im vertragslosen Ausland auf eigene Kosten ein Spenderorgan verschafft, diese Kosten von den
Krankenkassen grundsätzlich nicht erstattet bekommen kann. Dies gilt insbesondere unter dem Blickwinkel, dass das
Fehlen einer ausreichenden Zahl transplantationsgeeigneter Spenderorgane kein nur nationales, sondern ein
international auftretendes Problem ist. So gibt es gerade in den vom Kläger zwecks Beschaffung einer Niere
aufgesuchten USA gleichermaßen ein Wartelistensystem für Bewerber um eine Spenderniere (vgl dazu Erklärung des
US-amerikanischen "United Network for Organ Sharing" - UNOS - von 1994, abgedruckt in Meuter/Lachmann, aaO, S
139 ff; Conrads, MedR 1996, 300, 304 ff). In dieser Situation würde eine am Gleichheitssatz und an der medizinischen
Erforderlichkeit orientierte Verteilung unmöglich gemacht, wenn sich der Patient der Warteliste mit den für den
konkreten Bedarf jeweils günstigsten Wartezeiten anschließen dürfte und wenn dieses Verhalten durch
Kostenerstattungen seitens der Solidargemeinschaft unterstützt würde.
Für Ansprüche des Versicherten im Sinne eines Eintretens der Krankenkassen für sog Systemversagen (vgl zB
BSGE 86, 54, 60 ff = SozR 3-2500 § 135 Nr 14 S 66 ff; BSGE 89, 184, 190 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8 S 34) ist in
diesem Bereich entgegen den rechtlichen Erwägungen des Klägers kein Raum. Denn mit dem gesetzlich anerkannten,
im Inland verbindlichen Verteilungssystem wird dem Gesichtspunkt Rechnung getragen, dass die Leistungsträger im
Zusammenwirken mit anderen Institutionen alle nötigen Anstrengungen unternehmen müssen, um
Behandlungsansprüche der Versicherten auch bei Versorgungsengpässen erfüllen zu können (vgl § 17 Abs 1 Nr 1 und
2, Abs 3 SGB I). Weitergehende Ansprüche fordert auch das Verfassungsrecht nicht. Aus Art 2 Abs 2 Satz 1 GG
folgt kein Anspruch auf Bereithaltung spezieller Gesundheitsleistungen (BSGE 86, 54, 65 = SozR 3-2500 § 135 Nr 14
S 71 mwN aus der Rspr des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG)). Der grundrechtliche Anspruch ist im Hinblick auf
die den zuständigen staatlichen Stellen eingeräumte weite Gestaltungsfreiheit bei der Erfüllung der Schutzpflicht nur
darauf gerichtet, dass überhaupt Vorkehrungen zum Schutz des Grundrechtes getroffen werden, die nicht völlig
ungeeignet oder völlig unzulänglich sind. Das gilt auch für die Versorgung mit Spendernieren (vgl BVerfG NJW 1999,
3399 = MedR 2000, 28). Soweit das BVerfG mit Beschluss vom 22. November 2002 (NJW 2003, 1236) einem
Versicherten weitergehende Leistungsansprüche bei der Therapie eines lebensbedrohenden Leidens eingeräumt hat,
hängt dies damit zusammen, dass im zu Grunde liegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Sach- und
Rechtslage nicht abschließend geklärt werden konnte.
Auf der Grundlage der den Senat bindenden Feststellungen des LSG besteht kein Anlass, beim Kläger vom
Grundsatz abzuweichen, dass die Zuteilungskriterien des TPG den krankenversicherungsrechtlich abzudeckenden
Bedarf an Organtransplantationen zutreffend widerspiegeln. Die Kriterien beinhalten eine objektive Gewichtung der
maßgeblichen medizinisch-ethischen Gründe für die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer Transplantation und
ermöglichen nur so eine sachgerechte und für alle Beteiligten hinnehmbare Bewältigung des Mangels an
Spenderorganen. Der Senat kann offen lassen, unter welchen allgemeinen Bedingungen eine Durchbrechung des
aufgezeigten Grundsatzes gerechtfertigt wäre; die vom Kläger angeführten Umstände reichen jedenfalls hierfür nicht
aus, sodass eine Auslandsversorgung für den Kläger nicht "unbedingt erforderlich" war (vgl erneut BT-Drucks 11/2237
S 166). Dabei fällt vor allem ins Gewicht, dass keine Gesichtspunkte vorliegen, die nicht schon im Rahmen von § 12
TPG zu berücksichtigen wären und die deshalb für die Berechtigung des Klägers sprechen könnten, sich an der
Warteliste der "Eurotransplant"-Stiftung vorbei über ein im Ausland existierendes Vergabesystem mit kürzeren
Wartezeiten auf Kosten der gesetzlichen KV ein Spenderorgan zu beschaffen. Eine derart weitgehende Begünstigung
ist umso weniger berechtigt, als eine Inlandsbehandlung trotz längerer Wartezeit mit medizinischen Vorteilen
verbunden sein kann, auch wenn grundsätzlich eine möglichst frühzeitige Transplantation anzustreben ist (vgl zB
Zylka-Menhorn, DÄBl 2002, A-1727 f; Land, BayÄBl 2002, 296). Gesundheitliche Risiken sind jedoch nicht ganz
auszuschließen; insbesondere kann es beim Organempfänger gerade in den folgenden drei Monaten zu
behandlungspflichtigen Komplikationen und im Extremfall zu nicht beherrschbaren Gewebsabstoßungen kommen (so
BT-Drucks 13/4355 S 32 zu § 21 des Entwurfs; Blaeser-Kiel, DÄBl 2001, A-934; vgl auch den Verlauf im Fall einer in
Indien durchgeführten Nierentransplantation BSG SozR 3-2500 § 18 Nr 2). Deshalb kann es vorzuziehen sein, die
Transplantation im Inland durchführen zu lassen, um etwa notwendig werdende Folgebehandlungen am Ort des
gewöhnlichen Aufenthalts des Patienten alsbald erkennen und einleiten zu können.
Demgegenüber sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, die Kriterien des TPG außer Acht zu lassen und einen
vorrangigen Behandlungsbedarf des Klägers anzunehmen. Das LSG hat auf der Grundlage der Ausführungen eines
sachverständigen Zeugen angenommen, dass der Kläger nicht zu einer Personengruppe mit einer besonderen
Dringlichkeitsstufe für eine Transplantation gehörte. Diese Annahmen stehen mit dem Umstand im Einklang, dass in
Mitteleuropa immerhin über 10 % der Bevölkerung seine Blutgruppe B - die dritthäufigste Gruppe - besitzt (vgl
Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 259. Aufl, 2001, Stichwort "ABNull-Blutgruppen"), sodass sie noch nicht als
"selten" bezeichnet werden kann. Die Beurteilung des LSG, dass eine Dialyse für den Kläger ähnlich wie für jeden
anderen Patienten mit einer behandlungspflichtigen Niereninsuffizienz eine besondere psychische und physische
Belastung mit sich brachte und er sich insoweit nicht wesentlich von anderen Patienten dieser Gruppe unterschied, ist
aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Darüber hinaus hat das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang
zutreffend darauf hingewiesen, dass Betroffene mit der Grunderkrankung des Klägers selbst nach einer erfolgreich
durchgeführten Transplantation lebenslang medikamentös behandelt werden müssen und anfällig für
Infektionskrankheiten sind, also auch danach mit gesundheitlichen Risiken und Belastungen zu leben haben und
diese psychisch bewältigen müssen.
Unter diesen Umständen konnte aus der psychischen Situation des Klägers nach Feststellung der Dialysepflicht keine
für eine Auslandsbehandlung sprechende Besonderheit von Gewicht abgeleitet werden. Soweit er sich im
Revisionsverfahren auf eine seinerzeit vorhanden gewesene Suizidgefahr beruft, handelt es sich um nicht statthaften
neuen Sachvortrag (vgl § 163 SGG). Nach dem Sach- und Streitstand im Berufungsverfahren musste sich das LSG
nicht gedrängt fühlen, weitere Feststellungen zu seinem Gesundheitszustand zu treffen (vgl allgemein zu den
Ermittlungspflichten der Tatsachengerichte BSG SozR Nr 64 zu § 162 SGG und Nr 3 zu § 103 SGG; SozR 1500 §
160a Nr 34; Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl 2002, § 103 RdNr 7 mwN). Der Kläger hat sich erst in zweiter Instanz
darauf berufen, vor Beginn der Dialysebehandlung extrem psychisch belastet gewesen zu sein und unter schweren
Depressionen gelitten zu haben, die vor allem durch die Angst vor der Dialyse und die Ungewissheit des weiteren
Krankheitsverlaufes hervorgerufen worden seien. Weder durch ärztliche Unterlagen noch durch entsprechende
Beweisanträge hat er aber untermauert, dass sein Gesundheitszustand die Transplantation in den USA im Vergleich
zu der in Deutschland zunächst fortzusetzenden Dialyse aus psychischen Gründen unbedingt medizinisch erforderlich
machte.
Da es somit unter keinem Gesichtspunkt geboten war, die sich auf Grund der Kriterien des TPG ergebende Warteliste
mit Hilfe einer Beschaffung außerhalb des "Eurotransplant"-Vergabesystems zu umgehen, kommt es im Falle des
Klägers auf die genaue Ermittlung der jeweiligen Wartezeiten nicht an. Denn die in einem ausländischen
Vergabesystem möglicherweise bestehenden kürzeren Wartezeiten sind für sich genommen ungeeignet, den
Behandlungsanspruch eines Versicherten zu begründen, wenn nicht - im umschriebenen Sinne - gewichtige Gründe
für das Übergehen des inländischen Vergabesystems vorliegen. Den Hinweisen in den Transplantations-Statistiken
der USA, dass die statistische Wartezeit auf eine Niere dort im Jahr 1998 tatsächlich länger war als die vom LSG zu
Gunsten des Klägers angenommenen zwei Jahre, brauchte der Senat daher nicht weiter nachzugehen; allerdings
betrug die mittlere Wartezeit bei den registrierten Spendenempfängern in seiner Alterskohorte (50- bis 64-jährige) nach
den Übersichten des vom US-Kongress eingesetzten "Organ Procurement and Transplantation Network" (OPTN) mehr
als drei Jahre (vgl Annual Report of the OPTN and the Scientific Registry of Transplant Recipients 2002, Table 5.2).
Ebenso wenig war die nach Auffassung des Klägers erforderliche Beweiserhebung hinsichtlich der tatsächlichen
Wartezeit auf eine Nierenspende in Deutschland in den Jahren 1997/1998 geboten. Abgesehen davon, dass es dabei
auf die vom LSG zu Grunde gelegten, zum Zeitpunkt der konkreten Behandlungsmaßnahme verfügbaren
Erfahrungswerte ankommen muss, wäre eine diesbezügliche anders lautende Feststellung nach den obigen
Erwägungen unerheblich.
Die Revision musste nach alledem ohne Erfolg bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.