Urteil des BSG vom 21.12.2009

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BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 21.12.2009, B 14 AS 83/08 R
Sozialgerichtliches Verfahren - Rechtsanwaltsvergütung - isoliertes Vorverfahren -
Betragsrahmengebühr - Auftraggebermehrheit - Erhöhung des Schwellenwertes für die
Geschäftsgebühr bei mehreren Auftraggebern - Anwendbarkeit des § 14 Abs 2 RVG
Leitsätze
In sozialrechtlichen Angelegenheiten erhöht sich der Schwellenwert für die Geschäftsgebühr,
wenn der Rechtsanwalt in derselben Sache für mehrere Auftraggeber tätig wird.
Tatbestand
1 Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die Kosten für ein isoliertes Vorverfahren
unter Berücksichtigung einer Erhöhungsgebühr nach Nr 1008 der Anlage 1
Vergütungsverzeichnis (VV) zum Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und
Rechtsanwälte (RVG) zu erstatten hat.
2 Die Kläger, die 1974 geborene Klägerin zu 1 und ihr 2005 geborener Sohn, der Kläger zu 2,
beziehen seit Januar 2006 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Im
August 2006 beantragten sie eine Kostenzusicherung für eine andere Wohnung. Die Beklagte
erteilte mit Bescheid vom 14. August 2006 eine Kostenzusicherung für eine Wohnung mit
einer Kaltmiete bis zu maximal 252,90 Euro. Hiergegen legte der Prozessbevollmächtigte der
Kläger Widerspruch ein mit der Begründung, dass der Zusicherung die
Angemessenheitsgrenze für einen Zwei-Personen-Haushalt zu Grunde zu legen sei. Mit
Bescheid vom 11. September 2006 erhöhte daraufhin die Beklagte die Kostenzusicherung für
eine Wohnung mit einer Kaltmiete bis maximal 337,20 Euro. Die Kläger erklärten daraufhin
das Widerspruchsverfahren für erledigt. Der Prozessbevollmächtigte machte mit Kostennote
vom 26. September 2006 die Übernahme von Anwaltskosten nach dem RVG in Höhe von
insgesamt 385,12 Euro geltend. Der Betrag setzte sich wie folgt zusammen:
3 Verfahrensgebühr gemäß § 13 RVG, Nr 2400 VV RVG 240 Euro
30 % Erhöhungsgebühr gemäß § 7 RVG, Nr 1008 VV RVG 72 Euro
Auslagenpauschale gemäß Nr 7002 VV RVG 20 Euro
Zwischensumme 332 Euro
16 % Mehrwertsteuer gemäß Nr 7008 VV RVG 53,12 Euro
Gesamtsumme 385,12 Euro
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4 Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 11. Juni 2007 die zu erstattenden Kosten auf 309,40
Euro (Geschäftsgebühr 240 Euro, Auslagen 20 Euro, 19 % Mehrwertsteuer 49,40 Euro) fest.
Eine Erhöhungsgebühr berücksichtigte sie dabei nicht. Zur Begründung führte sie aus, eine
Geschäftsgebühr von 240 Euro sei nach dem Willen des Gesetzgebers die Höchstgrenze in
sozialgerichtlichen Verfahren mit durchschnittlichem Aufwand und Schwierigkeitsgrad. Das
gelte unabhängig davon, ob Mindest- und Höchstbetrag wegen mehrerer Auftraggeber zu
erhöhen seien. Eine andere Deutung ergebe sich nur dann, wenn weitere Auftraggeber eine
gesonderte Gebühr auslösen würden. Den Widerspruch hiergegen wies die Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 3. Juli 2007 zurück. Es werde nicht bestritten, dass die
Erhöhungsgebühr hier zum Tragen komme, die Begrenzung auf 240 Euro in
durchschnittlichen Verfahren betreffe jedoch die Gesamtsumme der Geschäftsgebühr unter
Einbeziehung der Erhöhungsgebühr und nicht nur die Regelgebühr nach Nr 2400 VV RVG.
5 Das Sozialgericht Freiburg (SG) hat die hiergegen erhobene Klage mit Urteil vom 24. April
2008 abgewiesen. Nr 1008 VV RVG erhöhe nach seinem Wortlaut nur den Mindest- und
Höchstbetrag der Betragsrahmengebühr, nicht die festzusetzende Gebühr selbst oder eine in
dem Gebührentatbestand bestimmte Kappungsgrenze. Dass Nr 1008 VV RVG sich zu der
Kappungsgrenze nicht verhalte, lege den Schluss nahe, dass diese Grenze unberührt bleiben
solle. Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat mit Urteil vom 22. Oktober 2008
die Berufung der Kläger zurückgewiesen. Es erhöhe sich vorliegend der Mindest- und
Höchstbetrag der Gebühr Nr 2400 VV RVG, weil es sich um zwei Auftraggeber handele.
Daraus folge, dass sich die Mindestgebühr von 40 auf 52 Euro und die Höchstgebühr von 520
auf 676 Euro erhöhe. Nach Nr 1008 VV RVG werde nur die Geschäftsgebühr, nicht jedoch die
in Nr 2400 VV RVG darüber hinaus festgelegte Kappungsgrenze von 240 Euro erhöht. Eine
Gebühr von mehr als 240 Euro könne nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich
oder schwierig gewesen sei. Nr 1008 VV RVG sei nicht lex specialis für die in Nr 2400 VV
RVG festgelegte Kappungsgrenze. Die Stellung der beiden Gebührennummern zeige
vielmehr, dass das Gegenteil der Fall sei. Die Nr 1008 VV RVG sei die allgemeine Regel und
die Nr 2400 VV RVG eine Sonderregelung. Die Vertretung mehrerer Auftraggeber könne sich
im Zusammenhang mit der Kappungsgrenze nur dann auswirken, wenn dies dazu führe, dass
die Tätigkeit umfangreich oder schwierig werde.
6 Hiergegen richtet sich die vom LSG zugelassene Revision der Kläger. Die Nr 1008 VV RVG
modifiziere nicht die Gebühr Nr 2400 VV RVG, sondern normiere einen eigenen
Gebührenanspruch, der durch die Vertretung mehrerer Auftraggeber ausgelöst werde. Der
Gesetzgeber habe damit dem Umstand Rechnung getragen, dass die Vertretung mehrerer
Auftraggeber in der Regel auch mit einem größeren Aufwand, größeren Schwierigkeiten und
nicht zuletzt einem größeren Haftungsrisiko verbunden sei. Hierfür spreche die
Gesetzesbegründung, wonach der allgemeine Teil die Tatbestände für solche Gebühren
enthalte, die unabhängig davon entstehen könnten, welchen Tätigkeitsbereich der dem
Rechtsanwalt erteilte Auftrag umfasse und nach welchen weiteren Teilen des
Vergütungsverzeichnisses Gebühren anfielen. Die Einführung der Kappungs- oder
Schwellengebühr im Verwaltungsverfahren stehe der pauschalen Abgeltung des
Mehraufwandes im Falle der Vertretung mehrerer Auftraggeber nicht entgegen. Die
Auffassung des LSG habe zur Folge, dass die Nr 1008 VV RVG im Falle von
Betragsrahmengebühren nur dann zur Anwendung komme, wenn Gebühren in Höhe der
Mindestgebühr oder der Höchstgebühr in Frage kämen. Selbst wenn man die Gebühr nach Nr
1008 VV RVG nicht als eigenständige Gebühr verstehe, folge daraus, dass sie nicht nur die
Mindest- und die Höchstgebühr modifiziere, sondern die Betragsrahmengebühr in Gestalt
ihrer konkreten Bemessung.
7 Die Kläger beantragen schriftsätzlich,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. Oktober 2008 und des
Sozialgerichts Freiburg vom 24. April 2008 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des
Bescheides vom 11. Juni 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juli 2007
zu verurteilen, die im Widerspruchsverfahren entstandenen Aufwendungen in Höhe von
weiteren 75,72 Euro zu erstatten.
8 Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Revision zurückzuweisen.
9 Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.
Entscheidungsgründe
10 Die Revision der Kläger ist begründet. Die Urteile des SG und des LSG sind aufzuheben.
Die Kläger haben Anspruch auf die von ihnen bei der Beklagten geltend gemachten
Aufwendungserstattung in Höhe von weiteren 75,72 Euro.
11 1. Die Revision ist zulässig. Wird wie vorliegend in der Hauptsache über die Kosten eines
isolierten Vorverfahrens (§§ 78 ff Sozialgerichtsgesetz ) gestritten, handelt es sich
nicht um Kosten des Verfahrens iS von § 144 Abs 4 iVm § 165 Satz 1 SGG, bei denen
Berufung und Revision nicht statthaft sind (vgl Bundessozialgericht , Urteil vom 1. Juli
2009 - B 4 AS 21/09 R; BSG SozR 3-1500 § 144 Nr 13 S 30; BSG SozR 4-1300 § 63 Nr 1
RdNr 6; BSG, Urteil vom 7. November 2006 - B 1 KR 23/06 R - SozR 4-1300 § 63 Nr 8 RdNr
11).
12 2. Die Kläger verfolgen ihr Anliegen zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und
Leistungsklage.
13 a) Gegenstand des Rechtsstreits ist allein die Entscheidung der Beklagten darüber, in
welcher Höhe die zu erstattenden Aufwendungen festzusetzen sind (§ 63 Abs 3 Satz 1
Halbsatz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch ) . Indem die Beklagte im Bescheid
vom 11. Juni 2007 notwendige Aufwendungen in Höhe von 309,40 Euro anerkannt hat, hat
sie konkludent entschieden, dass den Klägern die Kosten des Vorverfahrens dem Grunde
nach erstattet werden (vgl § 63 Abs 1 Satz 1, Abs 2, Abs 3 Satz 1 SGB X) und die Zuziehung
eines Rechtsanwalts iS von § 63 Abs 2, Abs 3 Satz 2 SGB X notwendig war (vgl BSG, Urteil
vom 5. Mai 2009 - B 13 R 137/08 R- JurBüro 2009, 481).
14 b) Der Einholung eines Gutachtens nach § 14 Abs 2 des RVG idF von Art 3 des Gesetzes
zur Modernisierung des Kostenrechts (Kostenrechtsmodernisierungsgesetz )
vom 5. Mai 2004 (BGBl I 718; in Kraft getreten am 1. Juli 2004) bedurfte es nicht (vgl BSG,
Urteil vom 1. Juli 2009 - B 4 AS 21/09 R) . Nach dieser Vorschrift hat das Gericht im
"Rechtsstreit" über die Höhe der Gebühr ein Gutachten des Vorstands der
Rechtsanwaltskammer einzuholen. Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich dabei um eine
von Amts wegen zu beachtende Verfahrensvorschrift handelt. Diese Regelung ist nur im
Rechtsstreit zwischen Mandant und Rechtsanwalt anwendbar, nicht hingegen im Prozess
zwischen dem Gebührenschuldner, hier den Klägern, und dem Erstattungspflichtigen, hier
dem beklagten Grundsicherungsträger (vgl BSG, Urteil vom 18. Januar 1990 - 4 RA 40/89 -
juris RdNr 12 = USK 90182; BSG, Urteil vom 27. Januar 2009 - B 7/7a AL 20/07 R - SozR 4-
1935 § 14 RdNr 17-18; vgl auch Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen
Verfahrens, 5. Aufl 2008, Kap XII RdNr 105) .
15 3. Die Kläger haben Anspruch auf Erstattung ihrer Aufwendungen nach § 63 Abs 1 Satz 1
SGB X in Höhe von 385,12 Euro.
16 a) Nach § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X hat, soweit der Widerspruch erfolgreich ist, der
Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat,
demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung
oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Nach § 63 Abs 2 SGB X
sind die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts im Vorverfahren erstattungsfähig,
wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war. Gemäß § 63 Abs 3 Satz 1
Halbsatz 1 SGB X setzt die Behörde, die die Kostenentscheidung getroffen hat, auf Antrag
den Betrag der zu erstattenden Aufwendungen fest. Gebühren und Auslagen iS von § 63
Abs 2 SGB X sind die gesetzlichen Gebühren (BSG SozR 3-1300 § 63 Nr 7 S 25 f ) .
Aufwendungen der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung sind grundsätzlich auch die
Gebühren und Auslagen, die ein Rechtsanwalt seinem Mandanten, hier dem Kläger, in
Rechnung stellt. Diese Vergütung bemisst sich seit dem 1. Juli 2004 nach dem RVG (§ 1
Abs 1 Satz 1 RVG) , sowie dem VV der Anlage 1 zum RVG (§ 2 Abs 2 Satz 1 RVG) .
17 b) Rechtsgrundlage der geltend gemachten Geschäftsgebühr ist Nr 2400 VV RVG iVm § 14
RVG. Nach § 14 RVG bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter
Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der
anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und
Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Der Rechtsanwalt erhält
für die Vertretung im Verwaltungsverfahren in bestimmten sozialrechtlichen Angelegenheiten
die Geschäftsgebühr nach Nr 2400 VV RVG (seit 1. Juli 2006, vgl Art 5 Abs 1 Nr 4 lit b
KostRMoG). Die Geschäftsgebühr nach Nr 2400 VV RVG fällt in sozialrechtlichen
Angelegenheiten an, in denen im gerichtlichen Verfahren Betragsrahmengebühren
entstehen (§ 3 RVG) . Betragsrahmengebühren sind in sozialgerichtlichen Verfahren
vorgesehen, in denen das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist (§ 3 Abs 1 Satz
1 RVG) . Abs 1 gilt entsprechend für eine Tätigkeit außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens
(§ 3 Abs 2 RVG) . Ginge es vorliegend um ein gerichtliches Verfahren, entstünden
Betragsrahmengebühren, denn die Kläger machten als Leistungsempfänger iS des § 183
Satz 1 SGG höhere Ansprüche nach dem SGB II geltend. Verfahren, die in dieser
Eigenschaft vor den Gerichten geführt werden, sind (gerichts-)kostenfrei.
18 Gemäß Nr 2400 VV RVG umfasst die Geschäftsgebühr in sozialrechtlichen Angelegenheiten
einen Betragsrahmen von 40 Euro bis 520 Euro. Eine Gebühr von mehr als 240 Euro kann
aber nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war (sog
Schwellengebühr). Innerhalb dieses Gebührenrahmens bestimmt der Rechtsanwalt nach §
14 Abs 1 Satz 1 RVG die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor
allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der
Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach
billigem Ermessen. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sind objektive
Kriterien. Zu diesen treten die Bedeutung der Angelegenheit für den Auftraggeber sowie
dessen Einkommens- und Vermögensverhältnisse als subjektive Kriterien hinzu. Darüber
hinaus ist nach § 14 Abs 1 Satz 3 RVG bei Verfahren, auf die Betragsrahmengebühren
anzuwenden sind, ein besonderes Haftungsrisiko zu berücksichtigen. Diese Norm ergänzt
für die Betragsrahmengebühren die allgemeine Regelung in § 14 Abs 1 Satz 1 RVG (vgl
Otto, NJW 2006, 1472; BSG, Urteil vom 27. Januar 2009 - B 7/7a AL 20/07 R - SozR 4-1935
§ 14 Nr 1 RdNr 13 f) .
19 4. Die konkreten Umstände des vorliegenden Falles lassen, darüber besteht zwischen den
Beteiligten Einigkeit, eine Festsetzung der Betragsrahmengebühr durch den Rechtsanwalt
der Kläger auf 240 Euro zu. Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit war durchschnittlich.
Zwar hat der Bevollmächtigte nach den Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) lediglich einen
Schriftsatz verfasst. Auch war die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit durchschnittlich.
Der Bevollmächtigte hatte sich nur mit der Frage auseinanderzusetzen, auf welche
Personenzahl für die Beurteilung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft (KdU)
abzustellen war. Andererseits war die Bedeutung der Angelegenheit für die Kläger weit
überdurchschnittlich. Mit dem Widerspruch begehrten die Kläger eine Zusicherung für
deutlich höhere KdU nach dem SGB II als im angefochtenen Bescheid ausgewiesen. Ihre
Einkommens- und Vermögensverhältnisse waren weit unterdurchschnittlich. Es kann offen
bleiben, ob der heranzuziehende Vergleichsparameter das Durchschnittseinkommen und -
vermögen der Gesamtbevölkerung ist, oder ob hiervon deshalb noch ein Abschlag
vorzunehmen ist, weil das Durchschnittseinkommen die Personenkreise vernachlässigt, die
kein eigenes Einkommen haben (so Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 18. Aufl 2008, § 14
RdNr 18, der daher den Durchschnitt bei 1 500 Euro ansetzt) . Dieses Kriterium wird
jedenfalls durch die überdurchschnittliche Bedeutung der Angelegenheit kompensiert (vgl
BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 - B 4 AS 21/09 R; Thüringer OLG, Beschluss vom 2. Februar
2005 - 9 Verg 6/04 - JurBüro 2005, 303, 305 f; Jungbauer in Bischof, RVG, 2. Aufl 2007, § 14
RdNr 72 mwN).
20 5. Die Geschäftsgebühr in Höhe des Schwellenwertes von 240 Euro erhöht sich hier gemäß
Nr 1008 VV RVG um 72 Euro. Nach Nr 1008 VV RVG erhöht sich die Geschäfts- oder
Verfahrensgebühr, bei Betragsrahmengebühren der Mindest- und Höchstbetrag um 30 % für
jede weitere Person, wenn Auftraggeber in derselben Angelegenheit mehrere Personen
sind. Bei mehreren Auftraggebern erhöht sich auch die Schwellengebühr entsprechend der
Anzahl der Auftraggeber um jeweils 30 % bis maximal zum Doppelten des
Ausgangsbetrages (vgl Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 18. Aufl 2008, Nr 1008 VV
RVG RdNr 242; Dinkat in Mayer/Kroiß, RVG, 2. Aufl 2006, Nr 1008 VV RVG RdNr 8) . Eine
Einschränkung dahingehend, dass eine Erhöhung auch bei mehreren Auftraggebern nur in
Betracht kommt, wenn dies dazu führt, dass die Tätigkeit des Rechtsanwalts umfangreich
oder schwierig wird, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen.
21 a) Der Bevollmächtigte hat Widerspruch ausdrücklich im Namen beider Kläger eingelegt und
wurde damit für eine Auftraggebermehrheit tätig. Eine Auftraggebermehrheit liegt vor, wenn
derselbe Rechtsanwalt für verschiedene natürliche Personen tätig wird (vgl Müller-Rabe,
aaO, RdNr 36) . Abgestellt wird nur auf die Zahl der Auftraggeber unabhängig davon, wer
von ihnen gegenüber dem Anwalt auftritt (vgl BT-Drucks 15/1971 S 205; BVerwG, Urteil vom
10. April 2000 - 6 C 3/99 - Buchholz 362 § 6 BRAGO Nr 2 für die Anwaltsvertretung eines
Elternpaares in einer Schulangelegenheit; Müller-Rabe, aaO, RdNr 38) . Auftraggeber iS des
§ 7 Abs 1 RVG ist derjenige, in dessen Angelegenheit ein Rechtsanwalt tätig wird. Das
waren hier beide Kläger, die unter dem Gesichtspunkt der Meistbegünstigung ihre jeweiligen
Individualansprüche (BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, jeweils RdNr 12) gemeinsam
geltend gemacht haben. Dass der Kläger zu 2 minderjährig war und von seiner Mutter
vertreten wurde, steht der Anwendung der Nr 1008 VV RVG nicht entgegen.
22 b) Nach dem Wortlaut der Nr 1008 VV RVG erhöht sich lediglich der Mindest- und
Höchstbetrag um 30 %, der Betragsrahmen der Nr 2400 VV RVG liegt damit hier zwischen
52 Euro als Mindestgebühr und 676 Euro als Höchstgebühr. Die Mittelgebühr beträgt
demnach 364 Euro, die hieraus ermittelte Schwellengebühr beträgt 312 Euro. Eine
Erhöhung der Schwellengebühr von 240 Euro sieht der Gebührentatbestand nach seinem
Wortlaut allerdings nur vor, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Die amtliche
Begründung gibt keinen Aufschluss über die gesetzgeberischen Vorstellungen zum
Verhältnis der Nr 1008 VV RVG zum Gebührentatbestand der Nr 2400 VV RVG. In der
Begründung zu Nr 1008 VV RVG heißt es, dass sich die Geschäfts- und die Prozessgebühr
durch jeden weiteren Auftraggeber um drei Zehntel erhöhe. Die drei Zehntel würden auf die
Höhe der zu Grunde liegenden Gebühr bezogen. Der vorgeschlagene Erhöhungsfaktor von
0,3 erhöhe jede Gebühr unabhängig von ihrem Gebührensatz um diesen Faktor. Bei
Festgebühren solle sich diese und bei Rahmengebühren der Höchst- und Mindestbetrag um
30 % erhöhen. Der Erhöhungsbetrag solle jedoch das Doppelte der Festgebühr bzw des
Mindest- und des Höchstbetrages nicht überschreiten (BT-Drucks 15/1971 S 205) . Die
Begründung zu Nr 2400 VV RVG verhält sich allein zu der Vereinfachung durch den
erweiterten Abgeltungsbereich der Geschäftsgebühr und der neuen Definition des
"Normalfalls". Zur Beurteilung von Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit wird
allein auf die Kriterien des § 14 Abs 1 RVG verwiesen. Die Nr 1008 VV RVG findet keine
Erwähnung.
23 Für eine Berücksichtigung des Erhöhungstatbestandes der Nr 1008 VV RVG im Rahmen der
Nr 2400 VV RVG sprechen aber systematische Gesichtspunkte. Der Erhöhungstatbestand
findet sich im Allgemeinen Teil des Vergütungsverzeichnisses und bezieht sich auf die
Gebühren des Besonderen Teils. Nach der Vorbemerkung zu Teil 1 des VV entstehen die
Gebühren dieses Teils neben den in anderen Teilen bestimmten Gebühren. Eine
Verknüpfung mit den allgemeinen Voraussetzungen der besonderen Gebührentatbestände
besteht nicht. Da die Nr 1008 VV RVG die Nr 2400 VV RVG mithin ergänzt, führt der
Gedanke des LSG, dass es sich bei Nr 2400 VV RVG um lex specialis handelt, nicht weiter.
Der Bevollmächtigte weist insofern zutreffend darauf hin, dass die Tatbestände materiell
nicht konkurrieren (so auch SG Karlsruhe, Urteil vom 28. Juli 2009 - S 15 AS 1493/08 - AGS
2009, 488, 490) . Der Schwellenwert von 240 Euro bezieht sich erkennbar auf den
vorgegebenen - nicht erhöhten - Gebührenrahmen. Es handelt sich um eine von dem
Mindest- und Höchstbetrag abgeleitete Größe. Das zeigt auch ein Vergleich etwa mit dem
Gebührentatbestand der Geschäftsgebühr nach Nr 2300 VV RVG, der einen bestimmten
Gebührensatz der jeweils nach § 13 RVG konkret bemessenen Gebühr vorsieht. Es wird
damit deutlich, dass der Schwellenwert stets nur im Verhältnis zu dem jeweiligen
Gebührenrahmen bestimmt werden kann. Daraus folgt, dass sich automatisch auch der
Schwellenwert erhöht, wenn Mindest- und Höchstgebühr angehoben werden.
24 Für eine Erhöhung der Schwellengebühr der Nummer 2400 VV RVG im Fall mehrerer
Auftraggeber streiten aber vor allem Sinn und Zweck der Nr 1008 VV RVG. Der
Gebührentatbestand der Nr 1008 VV RVG übernimmt den Grundgedanken des § 6 Abs 1
Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BT-Drucks 15/1971 S 205) . Diese
Vorschrift sah eine Erhöhung der Geschäfts- und Prozessgebühr durch jeden weiteren
Auftraggeber um drei Zehntel vor und diente nach dem Willen des Gesetzgebers dazu, die
bei typisierender Betrachtung anzunehmende Mehrbelastung des Rechtsanwalts bei einer
Tätigkeit für mehrere Auftraggeber zu honorieren (vgl BT-Drucks 7/2016 S 99; BT-Drucks
7/3243 S 7; BVerwG, Urteil vom 10. April 2000 - 6 C 3/99 - Buchholz 362 § 6 BRAGO Nr 2;
BGH, Urteil vom 6. Oktober 1983 - III ZR 109/82 - LM Nr 4 zu § 6 BRAGebO; Baumgärtel in
RMOLK RVG, 11. Aufl 2006, § 7 Anm 1) . Sieht man den Betrag von 240 Euro als absolute
Grenze an, die ausschließlich dann überschritten werden kann, wenn die Tätigkeit
umfangreich oder schwierig war, würde eine Erhöhung wegen mehrerer Auftraggeber ins
Leere laufen. Da bereits die Nr 2400 VV RVG eine Erhöhung der Gebühr für einen solchen
Fall vorsieht, von dem bei der Vertretung mehrerer Auftraggeber auch häufig auszugehen
sein wird, bliebe die in der Nr 1008 VV RVG unabhängig von Umfang und Schwierigkeit im
Einzelfall vorgesehene Erhöhung der Mindest- und Höchstgebühr ohne Auswirkung. Der
Mehraufwand des Rechtsanwalts bei einer Tätigkeit für mehrere Auftraggeber würde
entgegen der Intention der Nr 1008 VV RVG nicht honoriert.
25 6. Hinzu kommen die zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitigen
Auslagentatbestände nach Nr 7002 VV RVG und Nr 7008 VV RVG iVm § 12 Abs 1
Umsatzsteuergesetz (UStG) idF der Bekanntmachung der Neufassung des UStG vom 21.
Februar 2005 (BGBl I 386). Unter Berücksichtigung der Erhöhung in Höhe von 72 Euro und
einer hierauf entfallenden Umsatzsteuer in Höhe von 11,52 Euro ergäbe sich ein weiterer
Anspruch in Höhe von 83,52 Euro. Da die Beklagte jedoch auf die Forderung von 385,12
Euro bereits 309,40 Euro geleistet hat, verbleibt eine Restforderung in Höhe von 75,72 Euro.
26 Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.