Urteil des BSG vom 17.12.2009

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BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 17.12.2009, B 3 KR 12/08 R
Krankenversicherung - Vergütungsanspruch des Krankenhauses gegen die
Krankenkasse - Korrektur der Schlussrechnung durch ein Krankenhaus innerhalb von
sechs Wochen seit Rechnungsstellung - später nur bei Nachforderung über 100 Euro
bzw 300 Euro und mindestens 5% des Ausgangsrechnungswerts
Leitsätze
1. Die Korrektur einer Schlussrechnung durch ein Krankenhaus ist innerhalb von sechs
Wochen seit Rechnungsstellung grundsätzlich möglich.
2. Nach Ablauf dieser Frist kann eine Schlussrechnung nach Treu und Glauben - von
offensichtlichen Schreib- und Rechenfehlern abgesehen - gegenüber der Krankenkasse nur
noch dann korrigiert werden, wenn die Nachforderung über 100 Euro (ab 25.3.2009: über 300
Euro) liegt und zudem mindestens 5 % des Ausgangsrechnungswerts erreicht.
Tatbestand
1 Streitig ist die nachträgliche Korrektur einer Krankenhausrechnung um 58,06 Euro.
2 Die in Schleswig-Holstein ansässige Klägerin ist Trägerin eines zur Versorgung von
Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zugelassenen Krankenhauses in
Rheinland-Pfalz. Dort wurde vom 23.2. bis 2.3.2006 die bei der beklagten Krankenkasse
versicherte Fr. H. (im Folgenden: Versicherte) stationär behandelt. Behandlungsanlass waren
ua ein entgleister Diabetes mellitus und eine Bronchopneumonie. In einer als "End-
Rechnung" bezeichneten Abrechnung vom 15.3.2006 stützte die Klägerin ihr
Zahlungsverlangen von 3.393,45 Euro zunächst auf die DRG-Ziffer K60B ("Diabetes mellitus
mit komplizierenden Diagnosen oder äußerst schweren CC oder schwere
Ernährungsstörungen"); diese Rechnung beglich die Beklagte nach Prüfung am 21.3.2006.
Nach Überprüfung ihrer Abrechnungen korrigierte die Klägerin diese - und andere -
Rechnungen und stellte der Beklagten mit Schreiben vom 12.6.2006 eine neue Rechnung
aus, nunmehr gestützt auf die DRG-Ziffer E77B ("Andere Infektionen und Entzündungen der
Atmungsorgane außer bei Zustand nach Organtransplantation, mit komplexer Diagnose oder
äußerst schweren CC"). Daraus ergab sich gegenüber der ursprünglichen Rechnung ein
Mehrbetrag in Höhe von 58,65 Euro. Dessen Zahlung lehnte die Beklagte ab, weil das
Vertragsverhältnis mit der Zahlung beendet sei; eine Rechnungskorrektur sei vertraglich nicht
geregelt und würde dem Sinn der Vertragsvereinbarung widersprechen.
3 Das Sozialgericht hat die Beklagte abzüglich eines Abschlages zur Anschubfinanzierung der
integrierten Versorgung nach § 140d Abs 1 Satz 1 SGB V antragsgemäß zur Zahlung von
58,06 Euro verurteilt (Urteil vom 15.12.2006). Die Berufung hiergegen hat das
Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen (Urteil vom 10.10.2007): Das mit der
Inanspruchnahme der Krankenhausleistung entstehende (gesetzliche) Schuldverhältnis
erlösche erst mit Bewirken der geschuldeten Leistung. Das sei der tatsächlich durch die
Behandlung entstandene Vergütungsanspruch. An dessen nachträglicher Geltendmachung
sei das Krankenhaus nach Treu und Glauben nicht gehindert.
4 Mit ihrer vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision rügt die
Beklagte die Verletzung materiellen Rechts. Das LSG habe den für die Beziehungen
zwischen Krankenhaus und Krankenkasse prägenden Grundsatz der zeitnahen Abrechnung
nicht hinreichend beachtet. Er stehe einer nachträglichen Abrechnungskorrektur entgegen.
Das Krankenhaus dürfe durch Nachcodierungen die zügige Rechnungsabwicklung nicht
beeinträchtigen. Es belaste die Krankenkassen übermäßig, wenn sie bereits abgearbeitete
und abgeschlossene Verfahren wieder aufgreifen müssten.
5 Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 10.10.2007 und des
Sozialgerichts Lübeck vom 15.12.2006 zu ändern und die Klage abzuweisen.
6 Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
7 Die Revision ist begründet. Zu Unrecht hat das LSG der Klägerin einen weiteren
Zahlungsanspruch über 58,06 Euro zuerkannt. Zu dieser Korrektur ihrer Schlussrechnung
war die Klägerin drei Monate nach Rechnungsstellung unter Berücksichtigung des
zusätzlichen Verwaltungsaufwands der Beklagten für die erneute Rechnungsprüfung
einerseits und des Werts des Fehlbetrages andererseits nach Treu und Glauben nicht mehr
befugt.
8 1. Rechtsgrundlage des zulässig mit der (echten) Leistungsklage nach § 54 Abs 5 SGG
verfolgten restlichen Vergütungsanspruchs (stRspr, vgl zB BSGE 90, 1 f = SozR 3-2500 §
112 Nr 3 S 18, 20; BSGE 100, 164 = SozR 4-2500 § 39 Nr 12 RdNr 10; BSGE 102, 172 =
SozR 4-2500 § 109 Nr 13 RdNr 9) ist § 109 Abs 4 Satz 3 SGB V iVm § 7 Satz 1 Nr 1 des
Gesetzes über die Entgelte für voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen -
Krankenhausentgeltgesetz - KHEntgG - (hier anzuwenden idF von Art 2 Nr 5 Buchst a
Zweites Fallpauschalenänderungsgesetz vom 15.12.2004, BGBl I 3429) und der
Pflegesatzvereinbarung für das Jahr 2006 sowie - im Hinblick auf den Sitz des
Krankenhauses in Rheinland-Pfalz und nicht dem der Klägerin in Schleswig-Holstein (vgl
BSG SozR 4-2500 § 109 Nr 1 RdNr 8 mwN) - dem Vertrag über die Allgemeinen
Bedingungen der Krankenhausbehandlung zwischen der Krankenhausgesellschaft
Rheinland-Pfalz eV und den Landesverbänden der Krankenkassen idF des Schiedsspruchs
vom 19.11.1999 unter Berücksichtigung des Urteils des LSG vom 12.12.2002
(Krankenhausbehandlungsvertrag - nachfolgend: KBV) und dem Vertrag zur Überprüfung
der Notwendigkeit und Dauer der Krankenhausbehandlung zwischen der
Krankenhausgesellschaft Rheinland-Pfalz eV und den Landesverbänden der
Krankenkassen vom 25.3.1991 (Krankenhausüberprüfungsvertrag - nachfolgend: KÜV).
Danach entsteht die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse - unabhängig von einer
Kostenzusage - unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten,
wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und iS von §
39 Abs 1 Satz 2 SGB V erforderlich ist. Der Behandlungspflicht zugelassener
Krankenhäuser iS des § 109 Abs 4 Satz 2 SGB V steht ein Vergütungsanspruch gegenüber,
der auf der Grundlage der gesetzlichen Ermächtigung in §§ 16, 17
Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) in der Pflegesatzvereinbarung zwischen
Krankenkasse und Krankenhausträger festgelegt wird (vgl BSGE 86, 166, 168 = SozR 3-
2500 § 112 Nr 1 S 3; BSGE 90, 1, 2 = SozR 3-2500 § 112 Nr 3 S 20) .
9 2. Zutreffend hat das LSG entschieden, dass der restliche Vergütungsanspruch der Klägerin
durch die Zahlung des zuerst abgerechneten Betrages nicht erloschen ist; insoweit geht die
Auffassung der Beklagten fehl. Durch eine mit den maßgeblichen Vorschriften im Einklang
stehende Versorgung erwirbt das Krankenhaus einen gesetzlichen Vergütungsanspruch,
dessen Höhe gemäß § 109 Abs 4 Satz 2 SGB V nach Maßgabe des KHG, des KHEntgG
und, sofern das Krankenhaus nicht in das DRG-Vergütungssystem einbezogen ist, der
Bundespflegesatzverordnung (vgl dort § 1 Abs 1) vertraglich abschließend festgelegt wird.
Maßgebend für den Vergütungsanspruch ist danach der Fallpauschalen-Katalog nach §§ 7
iVm § 17b Abs 1 Satz 10 KHG (hier idF von Art 2 Nr 4 Buchst a Doppelbuchst aa und bb des
Gesetzes zur Einführung des diagnose-orientierten Fallpauschalensystems für
Krankenhäuser - Fallpauschalengesetz - vom 23.4.2002, BGBl I 1412) , der
Bindungswirkung für die Vertragsparteien nach § 11 KHEntG iVm § 18 Abs 2 KHG entfaltet
(§ 11 KHEntG iVm § 18 Abs 2 KHG: Krankenhausträger und Sozialleistungsträger) und
streng nach dem Wortlaut einschließlich der Operationen- und Prozedurenschlüssel sowie
der Codierrichtlinien auszulegen ist (zu den Einzelheiten der Vergütung von
Krankenhausleistungen nach dem DRG-System vgl Urteil des erkennenden Senats vom
18.9.2008 - B 3 KR 15/07 R - SozR 4-2500 § 109 Nr 11) . Insoweit gewährt der
Fallpauschalenkatalog kein Bestimmungsrecht, dessen Ausübung das Krankenhaus
abschließend binden und den Zahlungsanspruch auf den zunächst geforderten Betrag
beschränken würde. So wie die Krankenkasse auch nach Zahlung der
Krankenhausrechnung nachträgliche Korrekturen vornehmen darf (vgl hierzu zuletzt etwa
BSG SozR 4-2500 § 109 Nr 16 RdNr 17 mwN) , ist ebenso das Krankenhaus auch noch
nach Rechnungsstellung grundsätzlich zur Nachforderung einer offenen Vergütung
berechtigt (so auch die Fallgestaltung im Urteil vom 18.9.2008 aaO; ebenso Urteil des 1.
Senats des BSG vom 8.9.2009 - B 1 KR 11/09 R - SozR 4-2500 § 109 Nr 19 RdNr 16) .
10 3. Die Nachforderung eines restlichen Vergütungsanspruchs steht jedoch - ebenso wie die
Einzelfallkorrektur einer bereits bezahlten Krankenhausrechnung durch die Krankenkasse -
unter dem Vorbehalt von Treu und Glauben, der über § 69 SGB V (hier § 69 Satz 3 idF von
Art 1 Nr 26 des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr
2000 - GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 - vom 22.12.1999, BGBl I 2626 ) gemäß dem
Rechtsgedanken des § 242 BGB auf die Rechtsbeziehungen der Beteiligten einwirkt.
Insoweit hat der erkennende Senat bereits entschieden, dass eine Krankenkasse nach Treu
und Glauben mit Einwendungen ausgeschlossen sein kann, wenn sie das zu deren Klärung
vorgesehene Verfahren nicht rechtzeitig einleitet (vgl BSGE 89, 104, 110 = SozR 3-2500 §
112 Nr 2 S 10, 16 - "Berliner Fälle"). Umgekehrt hat der 1. Senat des BSG ausgesprochen,
dass ein Krankenhaus nach dem Grundsatz von Treu und Glauben an der Korrektur einer
fehlerhaften Abrechnung gehindert sein kann, wenn sie mehr als zwei Jahre nach
Rechnungsstellung und damit außerhalb des laufenden Haushaltsjahres der Krankenkasse
vorgenommen wird und dafür keine besondere Rechtfertigung besteht (Urteil vom 8.9.2009,
SozR 4-2500 § 109 Nr 19) . Zutreffend hat der 1. Senat darauf hingewiesen, dass die
dauerhaften Vertragsbeziehungen zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen zu
gegenseitiger Rücksichtnahme verpflichten und diese Sonderbeziehung die Befugnis zur
nachträglichen Rechnungskorrektur begrenzt (aaO, RdNr 16) . Diesem Ansatz folgt auch der
erkennende 3. Senat (kritisch dagegen Korthus, Das Krankenhaus 2010, 49 f) .
11 4. Mit dem Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme unvereinbar ist die nachträgliche Korrektur
einer geprüften und bezahlten Rechnung dann, wenn das Interesse des Krankenhauses am
Ausgleich seines Rechnungsfehlbetrages weniger schutzwürdig ist als das Interesse der
Krankenkasse an der Vermeidung des Zusatzaufwands für die erneute Rechnungsprüfung.
Das betrifft regelmäßig jedenfalls solche Nachforderungen, die erst nach abschließender
Prüfung und Zahlung einer vorbehaltlos erteilten Schlussrechnung erhoben werden und
durch deren Prüfung bei der Krankenkasse ein hoher Verwaltungsaufwand anfällt, der den
mit der Korrektur begehrten Betrag - rein rechnerisch - übersteigt, oder dessen Wert im
Verhältnis zum ursprünglichen Rechnungsbetrag nur von untergeordneter Bedeutung ist.
Hiervon geht der Senat nach dem "Prinzip der Waffengleichheit" aus, wenn eine Frist von
sechs Wochen verstrichen ist (vgl zur Einleitung einzelfallbezogener Rechnungsprüfungen:
§ 275 Abs 1c SGB V idF des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen
Krankenversicherung - GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz - vom 26.3.2007,
BGBl I 378) und die nachgeforderte Summe entweder den Betrag der Aufwandspauschale
nach § 275 Abs 1c Satz 3 SGB V (hier idF des GKV-WSG und ab dem 25.3.2009 idF von Art
3 Nr 8a des Krankenhausfinanzierungsreformgesetzes - KHRG - vom 17.3.2009, BGBl I 534)
oder 5 % des Ausgangsrechnungswertes nicht erreicht. Maßgebend dafür sind folgende
Erwägungen:
12 a) Im Rahmen ihrer wechselseitigen Obhutspflichten sind Krankenhäuser und
Krankenkassen bei der Geltendmachung von Ansprüchen gehalten, auf einen beiderseits
möglichst geringen Verwaltungsaufwand Bedacht zu nehmen. In diesem Sinne hat der
Senat das Krankenhaus als verpflichtet gesehen, bei Zahlungsverzug der Krankenkasse
jedenfalls in einfach gelagerten Abrechnungsfällen einen offenen Vergütungsanspruch
vorgerichtlich mit eigenen Mitarbeitern und ohne anwaltliche Unterstützung geltend zu
machen (BSGE 99, 208 = SozR 4-2500 § 69 Nr 3 RdNr 22 ff, 26 f mwN) . Umgekehrt muss
ein Leistungserbringer aus ähnlichen Erwägungen heraus kein eigenes Kostenrisiko auf
sich nehmen, um im ausschließlichen Interesse der Krankenkasse die Berechtigung einer
Umsatzsteuerforderung der Finanzverwaltung zur gerichtlichen Überprüfung zu stellen
(BSGE 101, 137 = SozR 4-2500 § 69 Nr 6 RdNr 15; ebenso 1. Senat des BSG, Urteil vom
3.3.2009, NZS 2010, 154 RdNr 20) . Entsprechend kann in Fällen der vorliegenden Art der
Urheber einer fehlerhaften Abrechnung oder Zahlung (hier: Krankenhaus) nicht erwarten,
dass die Gegenseite (hier: Krankenkasse) zusätzlichen Verwaltungsaufwand zur Korrektur
eines jeglichen Fehlers trägt. Vielmehr muss bei jeder Fehlerkorrektur Rücksicht darauf
genommen werden, welchen zusätzlichen Verwaltungsaufwand sie bei der Gegenseite
auslöst. Steht dieser nicht in einem angemessenen Verhältnis zum Ausgleich des selbst
verursachten Vermögensnachteils, kann der Gegenseite die erneute Rechnungsprüfung
nach Treu und Glauben nicht zugemutet werden.
13 b) Nach diesen Grundsätzen muss die Krankenkasse darauf vertrauen können, dass eine
vom Krankenhaus als "Schlussrechnung" bezeichnete Abrechnung auf einem
ordnungsgemäßen Abrechnungsverfahren beruht und grundsätzlich auf den endgültigen
Abschluss des Abrechnungsverfahrens des jeweiligen Behandlungsfalls gerichtet ist. Das
liegt immanent den Vorschriften der beschleunigten Rechnungsabwicklung zu Grunde, mit
dem in allen landesvertraglichen Abrechnungsbestimmungen - hier: § 9 KBV - im
Wesentlichen einheitlich und deshalb revisibel (vgl BSG SozR 4-2500 § 112 Nr 6 RdNr 16
mwN) das Primat der zeitnahen Zahlung der Krankenhausrechnung näher ausgestaltet ist
(vgl § 8 Abs 7 Satz 3 und § 11 Abs 1 Satz 3 KHEntgG und nunmehr auch § 275 Abs 1c Satz
1 SGB V) . Demnach kann das Krankenhaus zwar Zwischenrechnungen erstellen und
Abschlagszahlungen verlangen (vgl § 8 Abs 7 Satz 2 und § 11 Abs 1 Satz 3 Halbsatz 2
KHEntgG, § 9 Abs 1 Satz 2 und 3 KBV) . Regelmäßig soll es der Krankenkasse aber bereits
innerhalb von 14 Kalendertagen nach Entlassung eine "Schlussrechnung" stellen (§ 9 Abs 1
Satz 1 KBV) , worauf diese - auch zur Meidung von Verzugszinsen (§ 9 Abs 7 KBV) - nach
weiteren 14 Kalendertagen den Rechnungsbetrag zu bezahlen hat (§ 9 Abs 6 Satz 1 KBV) .
Auch danach sind zwar Beanstandungen rechnerischer oder sachlicher Art durch die
Krankenkasse noch möglich (§ 9 Abs 6 Satz 4 KBV) . Gleichwohl hat sie - zumal unter
Berücksichtigung der hohen Zahl von Abrechnungsfällen - demzufolge Sorge zu tragen
dafür, dass eine als Schlussrechnung bezeichnete und mit Vorbehalten nicht versehene
Krankenhausabrechnung innerhalb kurzer Zeit auf ihre sachliche und rechnerische
Richtigkeit geprüft wird. Das gilt umso mehr, als nach Einführung des § 275 Abs 1c SGB V
durch das GKV-WSG die Entscheidung über die Notwendigkeit der Einleitung eines
Prüfverfahrens durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) spätestens sechs
Wochen nach Rechnungsstellung getroffen werden muss (§ 275 Abs 1c Satz 1 SGB V; vgl
zur zeitnahen Einschaltung des MDK nach der früheren Rechtslage aufgrund des jeweiligen
KÜV BSGE 89, 104 = SozR 3-2500 § 112 Nr 2 S 10 - "Berliner Fälle") .
14 Pendant für diese wesentlich dem wirtschaftlichen Interesse des Krankenhauses dienende
Verfahrensbeschleunigung ist auf Seiten der Krankenkasse die Erwartung, dass das
Krankenhaus den Behandlungsfall mit der Schlussrechnung jedenfalls grundsätzlich
abschließt und sie demzufolge mit demselben Vorgang nicht mehrfach befasst wird. Damit
nicht vereinbar wäre es hingegen, wenn vom Krankenhaus zur späteren
Rechnungsoptimierung regelmäßig Nachprüfungen der als "Schlussrechnung"
bezeichneten Abrechnungen stattfänden und die so geprüfte Rechnung entgegen ihrer
Bezeichnung faktisch nur der Anforderung eines Rechnungsabschlags dienen würde. Eine
solche Verfahrensgestaltung wäre mit den Anforderungen an ein ordnungsgemäßes
Abrechnungsverhalten unvereinbar, weil von der Krankenkasse die eingehende Prüfung und
vollständige Zahlung der geschuldeten Vergütung anstelle des ansonsten zu entrichtenden
Vorschusses nach Sinn und Zweck der Abrechnungsbestimmungen nur verlangt werden
kann, wenn die "Schlussrechnung" auch aus Sicht des Krankenhauses eine
Schlussrechnung iS der Abrechnungsbestimmungen - hier von § 9 Abs 1 Satz 1 KBV -
darstellt.
15 c) Die Korrektur eines dem Krankenhaus im Einzelfall gleichwohl unterlaufenen
Abrechnungsfehlers kann hiernach nur verlangt werden, wenn sein Interesse an der
Fehlerkorrektur das der Krankenkasse am endgültigen Verfahrensabschluss überwiegt. Das
wird im Regelfall zu bejahen sein, wenn der nachgeforderte Betrag den Kostenaufwand der
Krankenkasse für die zusätzliche Prüfung übersteigt und die Einleitung eines
Korrekturverfahrens auch im Verhältnis zur ursprünglichen Rechnungssumme rechtfertigt;
dann muss die Krankenkasse die Zusatzbelastung im Interesse des Krankenhauses
hinnehmen. Ist dagegen der Aufwand der Nachprüfung - pauschaliert - höher als der
Fehlbetrag oder kommt ihm im Verhältnis zum ursprünglichen Rechnungsbetrag ein nur
untergeordnetes Gewicht zu, kann das Krankenhaus nach Treu und Glauben eine erneute
Prüfung des Abrechnungsfalles auch dann nicht beanspruchen, wenn seine Leistung
ansonsten nicht vollständig vergütet würde. Insoweit sieht der Senat diese Grenze der
berechtigten Nachforderung im Allgemeinen als erreicht an, wenn der Nachforderungsbetrag
erstens in Anlehnung an den Rechtsgedanken des § 275 Abs 1c Satz 3 SGB V über 100
Euro bzw ab dem 25.3.2009 über 300 Euro liegt und er zweitens mindestens 5 % des
Ausgangsrechnungswertes erreicht.
16 aa) Bedeutsam für die hier zu entscheidende Fallkonstellation ist zunächst die Bemessung
der Aufwandspauschale nach § 275 Abs 1c Satz 3 SGB V, auch wenn sie sich zunächst nur
an die Krankenkassen als Normadressaten wendet. Die Aufwandspauschale soll nach dem
Regelungsansatz des GKV-WSG einen Anreiz dafür bieten, dass die nach Einschätzung des
Gesetzgebers übermäßige Einschaltung des MDK im Rahmen von Einzelfallprüfungen nach
§ 275 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V zurückgedrängt wird. Unnötige Bürokratie sowie zusätzlicher
personeller und finanzieller Aufwand sollen auch dann vermieden werden, wenn keine
Detailgerechtigkeit in jedem Einzelfall gewährleistet werden kann (vgl BT-Drucks 16/3100 S
171 f) . Demgemäß muss eine Krankenkasse seit Einführung der Regelung zum 1.4.2007
dem Krankenhaus eine Aufwandspauschale von früher 100 Euro und nunmehr 300 Euro
entrichten, wenn ihr Nachprüfungsauftrag nicht zu einer Minderung des
Abrechnungsbetrages führt. Die darin zum Ausdruck kommende Bewertung des
bürokratischen Aufwands bei unberechtigten Nachprüfungsverlangen ist nach dem "Prinzip
der Waffengleichheit" auf den vorliegenden Fall übertragbar. Zwar unterscheiden sich die
Sachverhalte insofern, als das Prüfbegehren der Krankenkasse im Falle des § 275 Abs 1c
Satz 3 SGB V sich im Nachhinein als unzutreffend erweist, während die Nachforderung des
Krankenhauses berechtigt sein kann. Jedoch wäre auch dieser bürokratische Aufwand
vermeidbar gewesen, wenn das Krankenhaus bereits die ursprüngliche Schlussrechnung
fehlerfrei erstellt hätte. Insofern beansprucht die ökonomische Bewertung des vermeidbaren
zusätzlichen Prüfaufwands Geltung auch für solche Korrekturen, die - wie hier -
Abrechnungen vor Inkrafttreten des GKV-WSG betreffen. Denn ungeachtet der erst später in
Kraft getretenen Zahlungspflicht selbst besteht kein Anhalt dafür, dass der Gesetzgeber die
wirtschaftlichen Folgen der von ihm angestrebten Verfahrensvereinfachung und des
Bürokratieabbaus für die Zeit vor Inkrafttreten des GKV-WSG anders beurteilt hätte. Zudem
hat der erkennende Senat den Grundsatz der Beschleunigung in Abrechnungsverfahren (vgl
SozR 4-2500 § 33 Nr 14 RdNr 13 mwN) auch schon früher immer betont und die Regelung
des § 275 Abs 1c Satz 3 SGB V als besonderen Ausdruck des Beschleunigungsgebots
angesehen (vgl SozR 4-2500 § 109 Nr 16 RdNr 16) .
17 bb) Entspricht der zu korrigierende Fehlbetrag mindestens dem Wert der
Aufwandspauschale nach § 275 Abs 1c Satz 3 SGB V alter oder neuer Fassung, so kommt
es für die Korrekturbefugnis des Krankenhauses nach Treu und Glauben im Weiteren noch
darauf an, ob dieser Betrag auch im Verhältnis zur ursprünglichen Rechnungssumme die
Einleitung eines zusätzlichen Prüfverfahrens rechtfertigt. Deshalb muss die nachträgliche
Korrektur einer Schlussrechnung auf solche Fälle beschränkt bleiben, die einen Fehler von
erheblichem Gewicht auch im Einzelfall betreffen. Maßstab hierfür kann - weil eine zu
häufige und marginale Summen betreffende Korrektur von Schlussrechnungen dem Gebot
der gegenseitigen Rücksichtnahme widersprechen würde (vgl oben unter 4.b) - nicht die
Gesamtsumme der von einem Krankenhaus möglicherweise verfolgten Nachforderungen
sein, sondern nur das Verhältnis zwischen dem Nachforderungs- und dem ursprünglichen
Rechnungsbetrag im jeweiligen Einzelfall. Zum Ausschluss von Bagatellfällen besitzt eine
Nachforderung die für die Einleitung eines weiteren Prüfverfahrens ausreichende
wirtschaftliche Bedeutung nur dann, wenn sie eine Mindestsumme des ursprünglichen
Rechnungsbetrages erreicht; der Senat sieht hierfür mindestens 5 % der ursprünglichen
Rechnung als erforderlich an. Einzelfallfehler unterhalb dieser Bagatellgrenze rechtfertigen
den zusätzlichen Verwaltungsaufwand der Krankenkasse für eine erneute
Rechnungsprüfung hingegen nicht.
18 d) Diese Beschränkungen gelten in zeitlicher Hinsicht allerdings nicht, solange die
Krankenkasse ihrerseits die Prüfung der von dem Krankenhaus erstellten Schlussrechnung
in der Regel noch nicht abgeschlossen hat und eine Korrektur demzufolge kein weiteres
Verwaltungsverfahren auslösen würde. Denn von besonders gelagerten Ausnahmefällen
möglicherweise abgesehen - zB Rechnungskorrekturen in großer Zahl, die Sinn und Zweck
des beschleunigten Abrechnungsverfahrens widersprechen würden (vgl oben unter 4.b) -
muss die Krankenkasse es hinnehmen, wenn eine noch nicht endgültig geprüfte Rechnung
vor Abschluss der Rechnungsprüfung im Einzelfall geändert wird und wesentlicher
zusätzlicher Verwaltungsaufwand dadurch nicht anfällt. Deshalb sind Rechnungskorrekturen
der Krankenhäuser mit entsprechenden Nachforderungen ohne die zuvor dargelegten
Einschränkungen (oben unter 4.c) im Allgemeinen zulässig, soweit sie in die Zeit der
regelhaften Prüfung von Schlussrechnungen durch die Krankenkasse fallen und sie deshalb
als "zeitnah" iS des § 8 Abs 7 Satz 3 und § 11 Abs 1 Satz 3 KHEntgG sowie § 275 Abs 1c
Satz 1 SGB V idF des GKV-WSG gelten. Den maßgeblichen Zeitrahmen bestimmt der Senat
anhand der Sechs-Wochenfrist, innerhalb derer eine Krankenkasse nach Vorlage der
Schlussrechnung über die Einleitung einzelfallbezogener Rechnungsprüfungen entschieden
haben muss (§ 275 Abs 1c Satz 2 SGB V) und die demgemäß eine zeitliche Grenze für den
regelmäßigen Verwaltungsablauf bildet. Dies gilt ungeachtet des Inkrafttretens des § 275
Abs 1c SGB V erst zum 1.4.2007 auch schon im vorliegenden Abrechnungsfall aus dem
März 2006, weil die Frist von sechs Wochen lediglich eine Präzisierung des auch zuvor
geltenden Beschleunigungsgebots darstellt und daher keine Rechtsänderung im Hinblick
auf die Ausfüllung des Tatbestandsmerkmals "zeitnah" eingetreten ist; ein Verstoß gegen
das Rückwirkungsverbot des Art 20 Abs 3 GG liegt nicht vor.
19 5. Nach diesen Maßstäben ist die Klägerin mit der Korrektur ihrer Schlussrechnung vom
15.3.2006 durch die Nachforderung vom 12.6.2006 nach Treu und Glauben ausgeschlossen.
Die Schlussrechnung war weder mit einem ausdrücklichen oder sinngemäßen Vorbehalt
versehen noch diente die Rechnungsänderung der Korrektur eines offen zutage liegenden
Fehlers im Sinne der vom 1. Senat mit Urteil vom 8.9.2009 dargelegten Kriterien (vgl BSG
SozR 4-2500 § 109 Nr 19 RdNr 18 f) . Auch erfolgte die korrigierende Nachforderung nicht
mehr "zeitnah" innerhalb von sechs Wochen, sondern erst nach Ablauf von drei Monaten.
Demgemäß hätte die Klägerin zur Korrektur nur befugt sein können, wenn der
Nachforderungsbetrag erstens den Wert der Aufwandspauschale in der bis zum Inkrafttreten
des KHRG am 25.3.2009 geltenden Fassung des GKV-WSG - 100 Euro - und zweitens
mindestens 5 % des ursprünglichen Rechnungsbetrages erreicht hätte. Das ist mit dem
Korrekturbetrag von 58,06 Euro und damit ca 1,7 % des Ausgangsrechnungsbetrags von
3.393,45 Euro nicht der Fall. Dies muss die Klägerin auch dann hinnehmen, wenn die
Korrektur in der Sache - was die Beklagte nicht in Zweifel gezogen hat - berechtigt gewesen
wäre.
20 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 1 und 2
Verwaltungsgerichtsordnung. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 SGG
iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 1 und 3 sowie § 47 Abs 1 Gerichtskostengesetz.