Urteil des BSG vom 25.06.2009

BSG: künstliche befruchtung, altersgrenze, schwangerschaft, krankenkasse, eugh, konkretisierung, entstehungsgeschichte, anknüpfung, ehepartner, gleichbehandlung

Bundessozialgericht
Urteil vom 25.06.2009
Sozialgericht Köln S 9 KR 222/06
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 5 KR 93/07
Bundessozialgericht B 3 KR 7/08 R
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 14. Februar 2008 wird
zurückgewiesen. Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I
1
Streitig ist die Erstattung von Kosten für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung.
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Der am 16.2.1967 geborene Kläger ist seit dem 22.9.2006 verheiratet und bei der beklagten Krankenkasse versichert.
Seine Ehefrau ist am 7.6.1966 geboren; sie ist beihilfeberechtigt und ergänzend privat krankenversichert. Der Kläger
leidet an einer Asthenozoospermie, bei seiner Ehefrau liegt eine Follikelreifestörung vor. Die Beklagte teilte dem
Kläger auf dessen Anfrage vom 2.8.2006 unter Beifügung einer Rechtsmittelbelehrung mit, dass Kosten für
Maßnahmen der künstlichen Befruchtung wegen des Alters der Ehefrau nicht übernommen werden könnten, denn
diese habe das 40. Lebensjahr bereits vollendet (Schreiben vom 7.8.2006). Den Widerspruch hiergegen verwarf sie als
unzulässig, da sie keine Entscheidung getroffen, sondern lediglich eine Auskunft erteilt habe (Widerspruchsbescheid
vom 15.8.2006). Im September 2006 sowie im Januar und Juli 2007 ließen der Kläger und seine Ehefrau drei In-Vitro-
Fertilisationen mit Intracytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI) privatärztlich durchführen, ohne zuvor einen
Behandlungsplan erstellen zu lassen. Der dritte Behandlungsversuch führte zu einer Schwangerschaft. Für die
privatärztlichen Leistungen sind dem Kläger Behandlungskosten in Höhe von 4.394,84 Euro in Rechnung gestellt
worden, deren hälftige Erstattung er von der Beklagten beansprucht; die zusätzlich bei seiner Ehefrau angefallenen
Behandlungskosten sind nicht Gegenstand dieses Verfahrens.
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Klage (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts (SG) vom 18.7.2007) und Berufung (Urteil des Landessozialgerichts
(LSG) vom 14.2.2008) sind erfolglos geblieben: Der Kostenerstattungsanspruch sei unbegründet, weil die Ehefrau des
Klägers bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung älter als 40 Jahre gewesen sei. Diese Anspruchsbegrenzung in §
27a Abs 3 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V sei von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden; insbesondere liege kein
Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz vor.
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Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des Art 3 Abs 1 GG und des
gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsverbots. Die gesetzliche Altersgrenze für weibliche Versicherte betreffe
überwiegend Akademikerinnen und diskriminiere sie in ihrem beruflichen Werdegang. Darin liege eine unzulässige
Diskriminierung nach dem Alter. Zudem habe diese Grenzziehung auch eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung
von privat und gesetzlich Versicherten zur Folge, weil für privat Versicherte andere Vorschriften gälten.
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Der Kläger beantragt, das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 14.2.2008 und den Gerichtsbescheid des SG Köln
vom 18.7.2007 zu ändern, den Bescheid der Beklagten vom 7.8.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
15.8.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.197,42 Euro zu zahlen.
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Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II
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Die Revision ist unbegründet. Dem Kostenerstattungsanspruch des Klägers steht die Altersgrenze des § 27a Abs 3
Satz 1 Halbsatz 2 SGB V entgegen; dies hat das LSG zutreffend entschieden. Offen bleiben kann deshalb, ob vor
Behandlungsbeginn eine den Anforderungen des § 27a Abs 1 Nr 5 SGB V genügende Beratung stattgefunden hat und
ob wegen der bereits vor Einleitung des förmlichen Verfahrens getroffenen Ablehnungsentscheidung der Beklagten ein
Behandlungsplan nach § 27a Abs 3 Satz 2 SGB V ausnahmsweise nicht vorzulegen war.
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1. Rechtsgrundlage des geltend gemachten Kostenerstattungsanspruchs ist § 13 Abs 3 Satz 1, 2. Alternative SGB V
(hier idF von Art 5 Nr 7 Buchst b SGB IX Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19.6.2001, BGBl I
1046). Danach gilt: Hat die Krankenkasse "eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die
selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu
erstatten, soweit die Leistung notwendig war." Der Anspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender
Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört,
welche die Krankenkassen allgemein als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (stRspr, vgl BSGE 79, 125,
126 f = SozR 3-2500 § 13 Nr 11 S 51 f mwN; BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12 - jeweils RdNr 11 mwN;
zuletzt Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 16.12.2008 - B 1 KR 11/08 R -, SozR 4-2500 § 13 Nr 19, RdNr 12
mwN, vgl auch Hauck in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung Band 1, Stand: 1.9.2008, § 13 SGB V RdNr 233
ff). Kostenerstattung kann der Kläger deshalb nur beanspruchen, wenn im Zeitpunkt der Leistungsverschaffung alle
Voraussetzungen für Leistungen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft vorgelegen haben. Das ist nicht der Fall.
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2. Rechtsgrundlage eines Anspruchs auf Leistungen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft im Zeitpunkt der
Leistungsverschaffung ab September 2006 ist § 27a SGB V in der am 1.1.2004 in Kraft getretenen Fassung des
GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG) vom 14.11.2003 (BGBl I 2190). Leistungsvoraussetzung ist danach ua die
Erforderlichkeit (Abs 1 Nr 1) und die hinreichende Erfolgsaussicht (Abs 1 Nr 2) von medizinischen Maßnahmen zur
Herbeiführung einer Schwangerschaft sowie weiterhin, dass die Maßnahmen von Eheleuten durchgeführt werden (Abs
1 Nr 3), dass vor deren Durchführung eine Beratung stattgefunden hat (Abs 1 Nr 5) und dass schließlich die
Altersgrenzen des Abs 3 Satz 1 eingehalten sind. Anspruch auf Sachleistungen nach § 27a Abs 1 SGB V besteht nur
für Versicherte, die das 25. Lebensjahr vollendet haben; der Anspruch besteht nicht für weibliche Versicherte, die das
40. und für männliche Versicherte, die das 50. Lebensjahr vollendet haben. Diese Höchstaltersbegrenzung konnten
die Eheleute im Hinblick auf die Ehefrau des Klägers nicht einhalten, nachdem diese bereits im Juni 2006 und damit
vor der Eheschließung und vor Einleitung der Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung 40 Jahre alt geworden war
(dazu unter 3). Auf den fehlenden Behandlungsplan und die weitere Frage, ob vor Durchführung der Maßnahmen eine
Beratung gemäß den Anforderungen des § 27a Abs 1 Nr 5 SGB V stattgefunden hat, kommt es demnach nicht an
(dazu unter 4). Die Einwände des Klägers gegen die Versagung des Kostenerstattungsanspruchs sind nicht begründet
(dazu unter 5).
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3. Die Altersgrenzen nach § 27a Abs 3 Satz 1 SGB V sind nur gewahrt, wenn sie im Zeitpunkt der
Leistungsinanspruchnahme von beiden Eheleute eingehalten worden. Die obere Altersgrenze ist demnach nur
eingehalten, wenn bei Durchführung der Maßnahmen die Ehefrau das 40. und der Ehemann das 50. Lebensjahr noch
nicht vollendet haben. Ob beide Eheleute Leistungen im System der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)
beanspruchen können, ist hingegen ohne Bedeutung, wie das LSG schon zutreffend entschieden hat. Anders können
die Altersgrenzen nach Entstehungsgeschichte, Systematik und Regelungszweck der Vorschrift nicht verstanden
werden.
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a) Eingeführt wurde die obere Altersbegrenzung ebenso wie das Mindestalter durch das GMG. Bis dahin galten als
medizinische Voraussetzung für die Leistungserbringung nur die Anforderungen des § 27a Abs 1 Nr 1 und 2 SGB V in
der durch das KOV-Anpassungsgesetz (KOVAnpG) 1990 vom 29.6.1990 (BGBl I 1211) eingefügten Fassung. Nach
diesen weiterhin unverändert geltenden Voraussetzungen besteht ein Anspruch auf Leistungen zur künstlichen
Befruchtung nur, wenn sie zur Herbeiführung einer Schwangerschaft erforderlich und hinreichend aussichtsreich sind.
Zur Konkretisierung des Merkmals der hinreichenden Erfolgsaussicht hatte bereits der Bundesausschuss der Ärzte
und Krankenkassen (seit 1.1.2004: Gemeinsamer Bundesausschuss) aufgrund der Ermächtigung in §§ 27a Abs 4, 92
Abs 1 Satz 2 Nr 10 SGB V in seinen Richtlinien zu § 27a SGB V Leistungsgrenzen in Anknüpfung an das Alter der
Frau eingeführt. Dort hieß es: "Da das Alter der Frau im Rahmen der Sterilitätsbehandlung einen limitierenden Faktor
darstellt, sollen Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung bei Frauen, die das 40. Lebensjahr vollendet haben, nicht
durchgeführt werden. Ausnahmen sind nur bei Frauen zulässig, die das 45. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und
sofern die Krankenkasse nach gutachterlicher Beurteilung der Erfolgsaussichten eine Genehmigung erteilt hat." (Ziffer
9 der Richtlinien über künstliche Befruchtung vom 14.8.1990, BArbBl 12/1990 S 21).
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Daran anknüpfend zielten die Änderungen des GMG darauf ab, die "Ausgaben für künstliche Befruchtung auf Fälle
medizinischer Notwendigkeit" zu begrenzen (BT-Drucks 15/1525 S 83). Dazu ist zum einen in § 27a Abs 1 Nr 2
Halbsatz 2 SGB V die Zahl zulässiger Versuche auf bis zu drei beschränkt worden gegenüber bis dahin "in der Regel"
bis zu vier möglichen Versuchen (§ 27a Abs 1 Nr 2 Halbsatz 2 SGB V idF des KOVAnpG 1990). Zum anderen sollen
diesem Ziel auch die Altersgrenzen des § 27a Abs 3 SGB V dienen. Insoweit soll die untere Altersgrenze dazu
beitragen, dass die Chancen zu einer Spontanschwangerschaft "nicht durch fehlende Geduld vieler
Kinderwunschpaare und auch der Ärzte mit Hilfe einer schnellen Medikalisierung des Kinderwunsches vertan" werden;
zudem soll berücksichtigt werden, dass es bis zum Alter von 25 Jahren nur sehr wenig unfruchtbare Paare gibt (vgl
BT-Drucks aaO). Auf der anderen Seite soll die Regelung "Höchstalter weiblich 40 Jahre" in Anknüpfung an die bis
dahin geltende Ausgestaltung des Leistungsrechts durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen dem
Gesichtspunkt Rechnung tragen, "dass bereits jenseits des 30. Lebensjahres das natürliche Konzeptionsoptimum
überschritten und die Konzeptionswahrscheinlichkeit nach dem 40. Lebensjahr sehr gering ist". Im Übrigen soll durch
die oberen Altersbegrenzungen "auch einer starken Gewichtung des künftigen Wohls des erhofften Kindes" gedient
werden (vgl BT-Drucks aaO).
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b) Unter Berücksichtigung dieser Intention des Gesetzgebers besteht Anspruch auf Beteiligung an den Kosten der
"bei ihrem Versicherten" durchgeführten Maßnahmen (§ 27a Abs 3 Satz 3 SGB V) nur, solange die
leistungsrechtlichen Voraussetzungen des § 27a Abs 3 Satz 1 SGB V von dem Ehepaar als Ganzes erfüllt werden.
Zwar ist nach dem Wortlaut des Gesetzes auch ein anderes Verständnis möglich, weil der Anspruch nur
ausgeschlossen wird "für Versicherte", die die Altersgrenze nicht eingehalten haben. Die Folge wäre, dass nur der
Ehepartner von Leistungen ausgeschlossen wäre, der selbst die Altersgrenzen des § 27a Abs 3 Satz 1 SGB V nicht
einhält. Eine solche Interpretation verbieten indessen Systematik und Zweck der Regelung und würde im Übrigen
gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG verstoßen. Der Anspruch auf Maßnahmen zur
künstlichen Befruchtung knüpft nicht an den regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand des versicherten Ehegatten
an, sondern an die Unfruchtbarkeit des Ehepaares. Folglich stellt nicht das Vorliegen einer Krankheit den
Versicherungsfall dar, sondern die Unfähigkeit eines Ehepaares, auf natürlichem Wege Kinder zu zeugen, und die
daraus resultierende Notwendigkeit einer künstlichen Befruchtung (stRspr, vgl BSGE 88, 62, 64 = SozR 3-2500 § 27a
Nr 3; BVerfGE 117, 316, 325 f = SozR 4-2500 § 27a Nr 3 RdNr 34; BSG SozR 4-2500 § 27a Nr 5 RdNr 13 mwN).
Deshalb besteht auch eine hinreichende Erfolgsaussicht als Leistungsvoraussetzung für Maßnahmen zur künstlichen
Befruchtung (§ 27a Abs 1 Nr 2 SGB V) nur, wenn von dem betroffenen Paar insgesamt die Überwindung der
Kinderlosigkeit erwartet werden kann und mit einer Gefährdung des Kindeswohls nicht zu rechnen ist. Dies schließt
Leistungsansprüche generell aus, wenn das Alter auch nur eines Beteiligten - unabhängig von seinem
Versichertenstatus und ohne Berücksichtigung individueller Gegebenheiten - die erfolgreiche Herbeiführung einer
Schwangerschaft nicht mehr erwarten lässt bzw anzunehmen ist, dass sie mit unwägbaren Risiken behaftet ist. Dies
folgt auch aus § 27a Abs 1 Nr 2 SGB V, dessen typisierender Konkretisierung die Altersgrenzen des § 27a Abs 3
Satz 1 Halbsatz 2 SGB V dienen.
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Für dieses Normverständnis sprechen zudem die Entstehungsgeschichte des § 27a SGB V und die
Gesetzesmaterialien. Der Gesetzgeber hat die schon in den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und
Krankenkassen über künstliche Befruchtung vom 14.8.1990 (vgl oben 3.a) eingeführte Altersgrenze für Frauen von 40
Jahren in Gesetzesrang erhoben und zugleich die nach jenen Richtlinien früher noch zugelassene Ausnahme für
Frauen bis zum Alter von 45 Jahren beseitigt. Doch auch zuvor waren Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung
grundsätzlich - von genehmigungspflichtigen Ausnahmen abgesehen - ausgeschlossen "bei Frauen, die das 40.
Lebensjahr vollendet haben" (Ziffer 9 der Richtlinien über künstliche Befruchtung, aaO, S 21). In dieser Formulierung
kam deutlicher als nunmehr in § 27a Abs 3 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V zum Ausdruck, dass auch dem Ehepartner
nach Vollendung des 40. Lebensjahres der Ehefrau Leistungsansprüche nicht mehr zustehen sollten, und zwar
unabhängig vom Versichertenstatus. Daran hat die heutige gesetzliche Formulierung "für weibliche Versicherte" nichts
geändert. Wie sich aus den zusätzlichen Altersgrenzen in § 27a Abs 3 Satz 1 SGB V, der Streichung der vom
Bundesausschuss noch zugelassenen Ausnahme für weibliche Versicherte bis zum Alter von 45 Jahren und der
Begrenzung der Zahl der möglichen erfolglosen Versuche auf ausnahmslos drei ergibt, sollten die Neuregelungen nach
dem Willen des Gesetzgebers an dem bis dahin geltenden Rechtszustand ansetzen und davon ausgehend Ansprüche
auf Leistungen zur künstlichen Befruchtung auf Fälle "medizinischer Notwendigkeit" beschränken (so ausdrücklich
BT-Drucks 15/1525 S 83). Damit wäre es nicht vereinbar, einem Ehegatten Ansprüche auf Leistungen zur künstlichen
Befruchtung zu gewähren, obwohl nach der typisierenden und generalisierenden Betrachtungsweise des Gesetzgebers
von einer positiven Erfolgsaussicht der durchgeführten Maßnahmen wegen des Alters seines Ehepartners gerade
nicht mehr ausgegangen werden kann (ebenso BSG SozR 4-2500 § 27a Nr 4 RdNr 10; BSG, Urteil vom 3.3.2009 - B 1
KR 12/08 R -, SozR 4-2500 § 27a Nr 7 RdNr 13).
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4. Ob der Kostenerstattungsanspruch des Klägers auch deshalb nicht besteht, weil vor Beginn der Maßnahmen keine
unabhängige Beratung nach Maßgabe des § 27a Abs 1 Nr 5 SGB V durchgeführt und der Krankenkasse kein
Behandlungsplan iS von § 27a Abs 3 Satz 2 SGB V vorgelegt worden ist, kann hier offen bleiben. Einen
Behandlungsplan hat der Kläger jedenfalls nicht vorgelegt; weil das von den behandelnden Ärzten verwendete
Computerprogramm die Erstellung eines Behandlungsplans bei Frauen über 40 Jahren angeblich nicht erlaubte, haben
die behandelnden Ärzte hierauf verzichtet. Ob das Fehlen des Behandlungsplans vorliegend ausnahmsweise
unerheblich ist, weil die beklagte Krankenkasse den Kläger bereits vor Einleitung eines förmlichen Verfahrens
abschlägig beschieden und damit konkludent auf die Vorlage des Behandlungsplans verzichtet hat, braucht der Senat
nicht zu entscheiden, weil der Kostenerstattungsanspruch schon aus anderen Gründen nicht besteht. Ob es darüber
hinaus auch an der erforderlichen Beratung unter Beachtung der förmlichen Anforderungen des § 27a Abs 1 Nr 5 SGB
V fehlt (zu deren Bedeutung vgl BSGE 88, 62, 63 f und 71 = SozR 3-2500 § 27a Nr 3 S 23 f und 32), erscheint
naheliegend, ist vom LSG - von dessen Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - aber nicht ausdrücklich festgestellt
worden; auch das würde dem Kostenerstattungsanspruch ebenfalls entgegenstehen (vgl BSG SozR 4-2500 § 27a Nr 1
RdNr 18). Diese Frage kann der Senat hier jedoch aus den genannten Gründen ebenfalls offen lassen.
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5. Die Einwände des Klägers gegen die Versagung des Kostenerstattungsanspruchs sind unbegründet.
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a) Dies gilt zunächst für die Rüge, der Gesetzgeber habe mit der Bestimmung der Altersgrenze von 40 Jahren die
verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Befugnis zur Typisierung und Generalisierung verletzt. Das ist nicht der Fall,
denn die Altersbegrenzung genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen insbesondere des allgemeinen
Gleichheitssatzes. Bei der Ausgestaltung der Leistungsansprüche nach § 27a SGB V durfte der Gesetzgeber
berücksichtigen, dass diese nicht den Kernbereich der GKV berühren, sondern die Vorschrift einen eigenständigen
Versicherungsfall begründet (vgl oben 3.b). Der dem Gesetzgeber hierbei eröffnete Rahmen zur typisierenden
Ausgestaltung der Leistungsansprüche (grundlegend hierzu BVerfGE 117, 316, 326 = SozR 4-2500 § 27a Nr 3 RdNr
35) ist nicht überschritten; die für die Einführung einer Altersgrenze für Frauen sprechenden Sachgründe haben
vielmehr ein die Begrenzung rechtfertigendes Gewicht. Das hat der 1. Senat des BSG bereits mit Urteil vom 3.3.2009
im Einzelnen näher dargelegt (B 1 KR 12/08 R, SozR 4-2500 § 27a Nr 7; ebenso bereits BSG SozR 4-2500 § 27a Nr 4
- Altersgrenze für Männer). Dem schließt sich der erkennende Senat an.
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b) Ebenfalls nicht verletzt ist das gemeinschaftsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung nach der "Richtlinie (RL)
2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der
Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf" (Rahmen-RL, ABl EG vom 2.12.2000 - L 303 S 16 ff). Der Gesetzgeber
hat diese mit dem "Gesetz zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der
Gleichbehandlung" (GleiBehUmsG) vom 14.8.2006 (BGBl I 1897) innerstaatlich umgesetzt, und zwar insbesondere
mit dem "Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)" von demselben Tag (BGBl aaO). § 27a Abs 3 Satz 1
Halbsatz 2 SGB V widerspricht den Regelungen des AGG nicht. Nach § 2 Abs 2 AGG gelten für Leistungen nach dem
SGB ausschließlich die durch Art 3 Abs 7 Nr 2 und Abs 9 Nr 3 GleiBehUmsG eingefügten Regelungen der §§ 33c
SGB I, 19a SGB IV. Gegen die hierdurch begründeten Benachteiligungsverbote verstößt die angegriffene
Leistungsversagung nicht, weil sie eine Differenzierung nach dem Alter für das hier im Streit stehende
Leistungsbegehren nicht ausschließen. Das Verbot der Benachteiligung ua aus Gründen des Alters nach § 19a SGB
IV trifft den vorliegenden Sachverhalt nicht, weil der Kläger keine Leistung mit dem Ziel der Berufsberatung, der
Berufsbildung, der beruflichen Weiterbildung oÄ beansprucht. § 33c SGB I ist nicht verletzt, weil die hierdurch für die
Inanspruchnahme sozialer Rechte begründeten Benachteiligungsverbote nur Differenzierungen nach der Rasse, der
ethnischen Herkunft oder einer Behinderung betreffen, nicht aber den Differenzierungsgrund des Alters (Satz 1);
Leistungsansprüche können im Übrigen auch nach Inkrafttreten des AGG nur insoweit geltend gemacht oder
hergeleitet werden, als deren Voraussetzungen und Inhalt durch die Vorschriften der besonderen Teile des SGB im
Einzelnen bestimmt sind (Satz 2), hier also durch § 27a SGB V.
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Dass die Altersbegrenzung des § 27a Abs 3 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V bei der Umsetzung der europäischen Rahmen-
RL unverändert beibehalten worden ist, bleibt entgegen der Auffassung des Klägers hinter den europarechtlichen
Vorgaben nicht zurück. Weder daran noch an der Auslegung des vorliegend relevanten europäischen Rechts bestehen
Zweifel für den Senat, sodass Anlass zur Vorlage gemäß Art 234 Abs 3 des Vertrags zur Gründung der Europäischen
Gemeinschaft (EGV) an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) nicht besteht. Prüfungsmaßstab ist nach der
Rechtsprechung des EuGH die aufgrund des Art 13 EGV erlassene Rahmen-RL, nicht aber Art 13 EGV selbst
(ebenso BSG, Urteil vom 9.4.2008 - B 6 KA 44/07 R -, juris RdNr 19 f; Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 14.10.2008 -
9 AZR 511/07 -, AP Nr 41 zu § 1 TVG, juris RdNr 41 unter Verweis auf Urteile des EuGH vom 16.10.2007 - C-411/05 -
"Palacios de la Villa", NJW 2007, 3339, und vom 23.9.2008 - C-427/06 - "Bartsch", NZA 2008, 1119). Der hier zu
beurteilende Sachverhalt wird indes vom Anwendungsbereich der Rahmen-RL nicht erfasst. Das gilt selbst dann,
wenn trotz der Regelung in Art 3 Abs 3 Rahmen-RL zumindest partiell auch die Gewährung von Sozialleistungen
erfasst sein sollte (in diesem Sinne Bieback, ZESAR 2006, 143, 145; ähnlich Husmann ZESAR 2007, 13, 15). Denn
die Altersgrenze des § 27a Abs 3 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V hat entgegen der Ansicht des Klägers keine mittelbar
berufsbezogene Regelungswirkung iS von Art 3 Abs 1 Buchstabe a Rahmen-RL (Bedingungen für den Zugang zu
unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit, ). Wollte man ihr eine solche Wirkung gleichwohl beimessen, so
wäre die Differenzierung nach dem Alter gleichwohl durch ein legitimes Gemeinwohlinteresse gerechtfertigt, nämlich
die Begrenzung der Leistungspflicht der GKV für Leistungen, denen mit zunehmendem Lebensalter eine immer weiter
abnehmende Erfolgsaussicht zukommt (vgl hierzu die vom BVerfG noch im Jahr 2007 unter Zugrundelegung des
Deutschen IVF-Registers 2005 getroffene Einschätzung, dass die Konzeptionswahrscheinlichkeit durch eine
Behandlung nach der ICSI-Methode für unter 35-jährige Frauen bei über 30% liegt, für über 40-jährige dagegen nur
noch bei etwa 12%, BVerfGE 117, 316, 319, insoweit in SozR 4-2500 § 27a Nr 3 nicht abgedruckt).
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6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.