Urteil des BSG vom 15.08.2012

BSG: Vertragsärztliche Versorgung, Wirtschaftlichkeitsprüfung von Amts wegen, keine Hemmung der vierjährigen Ablauffrist durch einen Prüfantrag

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 15.8.2012, B 6 KA 45/11 R
Vertragsärztliche Versorgung - Wirtschaftlichkeitsprüfung von Amts wegen - keine Hemmung der
vierjährigen Ablauffrist durch einen Prüfantrag
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 15.
September 2011 aufgehoben. Die Berufung der Beigeladenen zu 2. gegen das Urteil des
Sozialgerichts Mainz vom 30. September 2009 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte und die Beigeladene zu 2. tragen die Kosten des Revisionsverfahrens mit
Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 3. bis 6. je zur Hälfte. Die
Beigeladene zu 2. trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 3. bis 6. in vollem Umfang.
Tatbestand
1 Im Revisionsverfahren ist noch die Rechtmäßigkeit eines Arzneikostenregresses für das
Quartal II/2001 in Höhe von 6430 Euro umstritten.
2 Die Klägerin, eine aus einer Allgemeinmedizinerin und einem praktischen Arzt mit
chirurgischer Qualifikation bestehende, an der hausärztlichen Versorgung teilnehmende
Gemeinschaftspraxis überschritt im streitbefangenen Quartal bei den Kosten für die
verordneten Arzneimittel den Durchschnitt der Vergleichsgruppe (gewichtet) um 66 %. Die
Überschreitungen beliefen sich bei den Rentnern auf 81 %, bei den Familienangehörigen
auf 59 % und bei den Mitgliedern auf 42 %. Nachdem der Prüfungsausschuss (PA) der
Klägerin am 6.6.2002 mitgeteilt hatte, ihre Verordnungen würden auf ihre Wirtschaftlichkeit
geprüft, setzte er mit Bescheid vom 15.11.2005 einen Kostenregress in Höhe von knapp
9000 Euro fest. Auf den Widerspruch der Klägerin reduzierte der beklagte
Berufungsausschuss den Regress auf 6430 Euro. Soweit der Regress aufrechterhalten
worden ist, begründete das der Beklagte damit, die Überschreitungswerte der Klägerin
bewegten sich oberhalb der Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis und würden durch
Praxisbesonderheiten nicht erklärt. Die unterdurchschnittliche Fallzahl der klagenden
Praxis sei dabei ebenso berücksichtigt worden wie der leicht überdurchschnittliche
Rentneranteil.
3 Das SG hat - soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse - den Bescheid des
Beklagten mit der Begründung aufgehoben, der am 16.11.2005 der Klägerin
bekanntgegebene Bescheid des PA habe die vierjährige Ausschlussfrist für den Erlass
von Regressbescheiden im Rahmen der vertragsärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht
gewahrt. Die maßgebliche Frist sei am 15.11.2005 abgelaufen, weil der Bescheid der zu
1. beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) über das Honorar der Klägerin im
hier betroffenen Quartal II/2001 als am 15.11.2001 bekanntgegeben gelte.
4 Auf die Berufung der zu 2. beigeladenen AOK hat das LSG das sozialgerichtliche Urteil
aufgehoben, soweit es der Klage stattgegeben hat, und die Klage insgesamt abgewiesen.
Das LSG hat unter Berücksichtigung der jüngsten Rechtsprechung des BSG die
Auffassung des SG geteilt, der angefochtene Bescheid sei erst nach Ablauf der
vierjährigen Ausschlussfrist für den Erlass von Kostenregressen ergangen. Das BSG habe
entschieden, dass es insoweit auf die Zuordnung der in Regress genommenen
Verordnungen zu einem bestimmten Quartal und nicht auf den Erlass des
Honorarbescheides für das Quartal ankomme, in dem die Verordnungen ausgestellt
worden waren. Die Frist sei jedoch gehemmt gewesen, da der PA der Klägerin am
6.6.2002 mitgeteilt habe, dass die Wirtschaftlichkeit ihrer Verordnungen geprüft werde.
Dieser Mitteilung habe ein Auswahlgespräch vom 16.5.2002 zwischen den
Krankenkassenverbänden und der KÄV zugrunde gelegen. In dem Protokoll über dieses
Gespräch sei ua die klagende Praxis in der Liste der Arztpraxen aufgeführt worden, deren
Verordnungsverhalten geprüft werden solle. Dieses Protokoll sei als Kundgabe eines
Prüfantrages der Krankenkassen (KKn) zu sehen, der nach der jüngeren Rechtsprechung
des BSG die Ausschlussfrist für den Erlass eines Prüfbescheides hemme (Urteil vom
15.9.2011).
5 Mit ihrer Revision rügt die Klägerin, das Berufungsurteil verletze Bundesrecht. Zunächst
sei dem Berufungsgericht dahin zuzustimmen, dass die vierjährige Ausschlussfrist für den
Erlass des angefochtenen Regressbescheides prinzipiell abgelaufen gewesen sei. Nicht
zu folgen sei dem LSG allerdings insofern, als es angenommen habe, die Frist sei durch
die Mitteilung des PA vom 6.6.2002 über die beabsichtigte Durchführung eines
Prüfverfahrens gehemmt worden. Selbst wenn man der nicht uneingeschränkt
überzeugenden Rechtsprechung des BSG hinsichtlich der Hemmungs- bzw
Unterbrechungswirkung eines Prüfantrages einer KK folgen wolle, könne dem
Berufungsgericht weder dahin zugestimmt werden, dass hier tatsächlich ein Prüfantrag
einer KK oder mehrerer Krankenkassenverbände gestellt worden sei, noch dahin, dass die
Mitteilung des PA über das Prüfungsprotokoll aus der Sitzung vom 16.5.2002 tatsächlich
die Wirkung eines Prüfantrages habe. Zu berücksichtigen sei, dass seit dem 1.1.2000 das
Prüfverfahren - jedenfalls soweit es um statistische Vergleichsprüfungen gehe - nicht mehr
von einem Prüfantrag der betroffenen KKn bzw Krankenkassenverbände abhängig sei,
sondern von Amts wegen durchgeführt werde. Damit sei für die rechtsgestaltende Wirkung
von Prüfanträgen von vornherein kein Raum mehr. Im Übrigen müsse nach der
Rechtsprechung des BSG ein die Ausschlussfrist hemmender Prüfantrag der KKn
hinreichend deutlich machen, dass die KK ihre Rechte auch gegenüber den Prüfgremien
durchsetzen wolle. Die bloße Mitteilung des PA, er werde sich mit der Wirtschaftlichkeit
der Verordnungsweise einer bestimmten Praxis in einem bestimmten Zeitraum befassen,
stehe dem nicht gleich.
6 Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 15.9.2011 aufzuheben und die
Berufung der Beigeladenen zu 2. gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom
30.9.2009 zurückzuweisen.
7 Die zu 1. beigeladene KÄV schließt sich der Auffassung und dem Antrag der Klägerin an.
8 Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
9 Er ist der Auffassung, das LSG habe der Mitteilung des PA vom 6.6.2002 zu Recht die
Rechtswirkung zugesprochen, den Ablauf der vierjährigen Ausschlussfrist für den Erlass
eines Regressbescheides zu hemmen.
10 Dem schließt sich in der Sache auch die zu 2. beigeladene AOK an.
Entscheidungsgründe
11 Die Revision der Klägerin ist begründet. Das LSG hat das sozialgerichtliche Urteil, mit
dem ihrer Klage gegen den Bescheid des Beklagten für das Quartal II/2001 stattgegeben
worden war, zu Unrecht geändert. Das sozialgerichtliche Urteil ist wiederherzustellen, weil
dieser Bescheid rechtswidrig ist und die Klägerin beschwert (§ 54 Abs 2 Satz 1 SGG).
12 1. Die Rechtswidrigkeit des Bescheides lässt sich allerdings nicht damit begründen, dass
die Klägerin - was nicht feststeht - vor Erlass des Bescheides des PA vom 15.11.2005
nicht über die Unwirtschaftlichkeit ihrer Verordnungsweise beraten worden wäre. Die
Festsetzung eines Regresses war nämlich im streitbefangenen Quartal II/2001 nicht davon
abhängig, dass die Prüfgremien die Klägerin zuvor über die Unwirtschaftlichkeit ihrer
Verordnungsweise beraten haben. Soweit in § 106 Abs 5e Satz 2 SGB V in der ab dem
1.1.2012 geltenden Fassung des GKV-VStG vom 22.12.2011 (BGBl I 2983) bestimmt ist,
die Festsetzung von Erstattungsbeträgen bei Überschreitung des Richtgrößenvolumens (§
106 Abs 5a Satz 3 SGB V) könne erst für Zeiträume nach einer individuellen Beratung
erfolgen, findet diese Regelung hier aus sachlichen und zeitlichen Gründen keine
Anwendung. Die Abs 5a und 5c bis 5e des § 106 SGB V befassen sich allein mit der
Wirtschaftlichkeitsprüfung bei Überschreitung von Richtgrößenvolumina iS des § 106 Abs
2 Satz 1 Nr 1 SGB V und finden auf Prüfungen nach der Methode des statistischen
Kostenvergleichs keine Anwendung. Im Übrigen wäre die Regelung über die
regressausschließende Beratung hier auch dann nicht anwendbar, wenn eine
Richtgrößenprüfung durchgeführt worden wäre. Diese Vorschrift gilt nur für Prüfverfahren,
die Zeiträume ab ihrem Inkrafttreten (1.1.2012) betreffen (vgl allg zu den für die
Wirtschaftlichkeitsprüfung maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen bei
Gesetzesänderungen: BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 18 RdNr 15 f). Soweit der Deutsche
Bundestag am 27.6.2012 eine Ergänzung des § 106 Abs 5e SGB V um Satz 7
beschlossen hat, wonach die Regelung des Abs 5e für alle Verfahren gilt, die am
31.12.2011 noch nicht abgeschlossen waren (BT-Drucks 17/10156 S 77 zum Zweiten
Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften), gilt diese Regelung
erst ab ihrem Inkrafttreten. Das ist derzeit nicht absehbar, weil der Bundesrat sich noch
nicht mit dem Gesetz befasst hat. Im Übrigen würde die vom Gesundheitsausschuss als
"Klarstellung zur Rechtslage" bezeichnete Änderung des Gesetzes den streitbefangenen
Regress nicht erfassen, weil das Widerspruchsverfahren dazu bereits vor Inkrafttreten des
GKV-VStG abgeschlossen war. Für derartige Verfahren soll die (unterstellt) klarstellende
Neuregelung in § 106 Abs 5e Satz 7 nicht gelten (BT-Drucks 17/10156 S 95).
13 2. Die Rechtswidrigkeit des Bescheides ergibt sich jedoch daraus, dass die
Ausschlussfrist für den Erlass von Bescheiden über Regresse wegen unwirtschaftlicher
Verordnung von Arzneimitteln bei seinem Erlass abgelaufen war. Der Senat hat in den
Urteilen vom 5.5.2010 (SozR 4-2500 § 106 Nr 28) und vom 18.8.2010 (SozR 4-2500 § 106
Nr 29) für den hier betroffenen Bereich von Arzneikostenregressen klargestellt, dass
solche Regresse einer vierjährigen Ausschlussfrist unterliegen, dass weiterhin diese
Ausschlussfrist mit Ablauf des Quartals beginnt, dem die (potenziell) in Regress
genommenen Verordnungen zuzurechnen sind, und dass schließlich die Ausschlussfrist
durch einen Prüfantrag der betroffenen KK gehemmt wird. Dies bedarf hier keiner weiteren
Ausführungen, weil die Beteiligten insoweit übereinstimmen.
14 Hier gilt eine vierjährige und nicht - wie die zu 1. beigeladene KÄV annimmt - eine
zweijährige Ausschlussfrist. Die Beigeladene zu 1. beruft sich für ihre Auffassung auf §
106 Abs 2 Satz 7 Halbsatz 2 SGB V. Dort ist bestimmt, dass "die Festsetzung eines den
Krankenkassen zu erstattenden Mehraufwands nach Abs 5a innerhalb von zwei Jahren
nach Ende des geprüften Verordnungszeitraums erfolgen" muss. Diese Regelung des Art
1 Nr 72 Buchst b cc GKV-WSG ist zum 1.1.2008 in Kraft getreten (Art 46 Abs 8 GKV-WSG;
BGBl I 2007, 378) und erfasst den hier betroffenen Zeitraum schon deshalb nicht. Im
Übrigen ist die Regelung auch thematisch nicht einschlägig, weil sie nur auf
Richtgrößenprüfungen nach § 106 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB V anzuwenden ist. Das ergibt
sich aus der Verweisung auf Abs 5a, der sich nur mit den Folgen der Überschreitung der
Richtgrößenvolumen nach § 84 Abs 6 und 8 SGB V befasst. Deshalb greift § 106 Abs 2
Satz 7 SGB V auch dann nicht ein, wenn wegen der Nichtdurchführbarkeit einer
Richtgrößenprüfung eine Durchschnittsprüfung erfolgt (§ 106 Abs 2 Satz 5, letzter
Halbsatz SGB V).
15 Soweit die beigeladene KÄV auf die Begründung des Gesetzgebers zur Einführung des §
106 Abs 2 Satz 7 SGB V verweist, rechtfertigt das keine andere Beurteilung der bis zum
31.12.2007 geltenden Rechtslage. Die damaligen Regierungsfraktionen vertraten die
Auffassung, Zeiträume von mehr als zwei Jahren zwischen dem geprüften
Verordnungszeitraum und dem Abschluss der Prüfungen seien für die Betroffenen
unzumutbar (BT-Drucks 16/3100 zu Art 1 Nr 72 zu Buchst b cc, S 136). Diese Wertung
bezieht sich jedoch allein auf Richtgrößenprüfungen nach § 106 Abs 5a SGB V. Hätte der
Gesetzgeber generell eine Unzumutbarkeit länger andauernder Prüfverfahren
angenommen, hätte er die Gelegenheit gehabt, diese Sichtweise durch entsprechende
gesetzliche Änderungen umzusetzen. Dass die fehlende Umsetzung auf einem Versehen
des Gesetzgebers beruht, ist nicht erkennbar; vielmehr hat er eine entsprechende
Regelung wegen der besonderen Bedeutung von Richtgrößenverfahren ausschließlich in
diesem Bereich für erforderlich gehalten. Im Übrigen müssen schon aus Gründen der
Rechtssicherheit rückwirkende Verkürzungen von Handlungsfristen auf besonders
gelagerte Konstellationen beschränkt sein und bedürfen einer eindeutigen gesetzlichen
Grundlage. Daran fehlt es für den hier betroffenen Zeitraum.
16 3. Danach ist in Übereinstimmung mit dem LSG davon auszugehen, dass die
Ausschlussfrist für einen Regressbescheid für das Quartal II/2001 hier am 1.7.2001 zu
laufen begann und grundsätzlich am 30.6.2005 abgelaufen ist. Der dem angefochtenen
Bescheid des Beklagten zugrunde liegende Bescheid des PA stammt vom 15.11.2005
und hat die Frist dementsprechend nicht gewahrt. Die formelle Rechtmäßigkeit des
angefochtenen Bescheides des Beklagten hängt deshalb allein davon ab, ob diese Frist
vor ihrem Ablauf am 30.6.2005 unterbrochen - bzw nach neuem Recht - gehemmt worden
ist. Das ist entgegen der Auffassung des LSG nicht der Fall. Die Hemmung kann hier
allein durch die Mitteilung des PA an die Klägerin vom 6.6.2002 bewirkt worden sein,
wonach deren Verordnungsweise geprüft werden solle. Das LSG hat in diesem Schreiben
konkludent einen Prüfantrag der KKn gesehen und diesem hemmende Wirkung
beigemessen. Das hält der Senat nicht für richtig.
17 Fraglich ist bereits, ob die Mitteilung des PA vom 6.6.2002 den formellen und inhaltlichen
Anforderungen genügt, die erfüllt sein müssen, damit die Rechtsfolgen eines Prüfantrages
von Krankenkassen ausgelöst werden können (a). Im Übrigen würde auch ein wirksamer
Prüfantrag hier die Ausschlussfrist nicht gehemmt haben (b). Auch eine Information der
Klägerin über die Gründe für die Verzögerungen beim Prüfverfahren, die hemmende
Wirkung haben kann, ist hier nicht erfolgt (c).
18 a) Der Senat hat anders als das LSG schon Zweifel, ob das Schreiben der Geschäftsstelle
des "Prüfungsausschusses 3" der gemeinsamen Prüfeinrichtungen der KKn und der KÄV
Rheinland-Pfalz vom 6.6.2002 als Prüfantrag im Sinne der dargestellten Rechtsprechung
des Senats zu werten ist. In diesem Schreiben, das in der Verwaltungsakte des Beklagten
enthalten ist, teilt der Referatsleiter der Prüfeinrichtungen der Klägerin mit, es werde
hinsichtlich des Quartals II/2001 um Kenntnisnahme gebeten, dass "Ihre
Arzneimittelverordnungen bezüglich des vorgenannten Quartals einer
Wirtschaftlichkeitsprüfung unterzogen werden". Die Einleitung des Prüfverfahrens besage
selbstverständlich noch nicht, dass Unwirtschaftlichkeit vorliege; die Klägerin habe
Gelegenheit, auf Praxisbesonderheiten hinzuweisen.
19 Diesem Schreiben lag die Arzneikostenstatistik der Klägerin sowie deren
Honorarabrechnung bei. Irgendein Hinweis darauf, dass Prüfanträge der KKn bzw der
Krankenkassenverbände in Bezug auf die klägerische Praxis zugrunde gelegen haben
oder vorausgegangen sind, ist dem Schreiben nicht zu entnehmen. Ohne Kenntnisnahme
des vom Beklagten unter dem 2.3.2011 an das Berufungsgericht versandten Protokolls
"über das Auswahlgespräch am 16.5.2002 im Hause der KV Pfalz" hinsichtlich der
Arzneiverordnungen im Quartal II/2001 wäre nicht bekannt, inwieweit sich die KKn bzw
deren Verbände in das Prüfverfahren für das Quartal II/2001 eingeschaltet haben. Die
Mitteilung der für die Entscheidung über einen Arzneikostenregress zuständigen Behörde
- nämlich des PA nach altem Recht bzw der Prüfungsstelle nach Inkrafttreten des GKV-
WSG - über die Einleitung eines Prüfverfahrens wahrt die vierjährige Ausschlussfrist nicht
und ist nicht geeignet, sie in entsprechender Anwendung des § 204 Abs 1 Nr 12 BGB bzw
des § 45 Abs 3 SGB I zu hemmen, wie das in den vorerwähnten Urteilen des Senats vom
5.5. und 18.8.2010 für einen Prüfantrag der KKn angenommen worden ist.
20 Der Senat hat die hemmende Wirkung des Prüfantrags der KK in erster Linie damit
begründet, dass die KK unmittelbar gegen den (möglicherweise) unwirtschaftlich
verordnenden Arzt nicht vorgehen könne, sondern zur Realisierung ihres auf der
Unwirtschaftlichkeit von Verordnungen beruhenden Schadensersatzanspruchs auf die
Tätigkeit der Prüfgremien angewiesen sei. Nur die besondere Konstellation, dass die KKn
ihren gegen den Vertragsarzt gerichteten Anspruch auf Ersatz für unwirtschaftlich
verordnete Arzneimittel bzw unwirtschaftlich verordneten Sprechstundenbedarfs nicht
unmittelbar, sondern nur durch Inanspruchnahme der Prüfgremien realisieren können,
rechtfertigt es, unter bestimmten Voraussetzungen den KKn die Möglichkeit zu geben, den
Ablauf der vierjährigen Ausschlussfrist zu hemmen. Dafür bedarf es aber eines konkreten,
auf eine bestimmte Praxis gerichteten Begehrens einer KK oder von
Krankenkassenverbänden. Das kann auch in der Weise formuliert werden, dass zwischen
den Verbänden und der KÄV eine Abstimmung erfolgt, welche Praxen geprüft werden
sollen. Unverzichtbar ist aber, dass die KKn von sich aus tätig geworden sind und die
betroffene Praxis informiert ist, dass die KKn auf eine Prüfung der Verordnungsweise
bestehen. Die bloße Mitteilung des PA über eine beabsichtigte Prüfung für sich
genommen steht einem Prüfantrag der KKn nicht gleich.
21 Der mit der Ausschlussfrist verbundene Schutz des Arztes, nicht zeitlich unbegrenzt für
seine Verordnungen in Regress genommen werden zu können, liefe weitgehend leer,
wenn nicht erst der Bescheid über einen Arzneikostenregress oder über die Ablehnung
eines Arzneikostenregresses, sondern allein die Mitteilung, das Verordnungsverhalten
eines Arztes werde geprüft, bereits die zugunsten des Arztes bestehende vierjährige
Ausschlussfrist hemmen würde. Der PA (nach bis zum 31.12.2007 geltendem alten Recht)
bzw die Prüfungsstelle (nach neuem Recht) könnten dann routinemäßig allen Ärzten,
deren Verordnungsverhalten in irgendeiner Hinsicht auffällig ist, kurz nach Eingang
bestimmter, auf die Auffälligkeit hindeutender Unterlagen, eine Mitteilung zuleiten, es sei
mit einer Wirtschaftlichkeitsprüfung zu rechnen, mit der Folge, dass die Vertragsärzte ohne
zeitliche Begrenzung damit rechnen müssten, dass gegen sie Kostenregresse festgesetzt
würden. Das wäre aus denselben Gründen, aus denen der Senat in ständiger
Rechtsprechung die Notwendigkeit einer zeitlichen Begrenzung von für die Vertragsärzte
wirtschaftlich sehr einschneidenden Regressfestsetzungsverfahren abgeleitet hat (vgl zB
BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 28 RdNr 28 f), nicht akzeptabel.
22 b) Im Übrigen vermag der Senat der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts nicht zu
folgen, wonach generell jeder Prüfantrag einer KK die vierjährige Ausschlussfrist zu
hemmen geeignet ist, soweit Quartale ab dem 1.1.2000 betroffen sind. Das LSG hat in
diesem Zusammenhang nicht übersehen, dass infolge der Änderung des § 106 Abs 5
SGB V durch das GKV-Reformgesetz 2000 (BGBl I 1999, 2626) zum 1.1.2000 das
antragsgebundene Prüfverfahren durch ein grundsätzlich von Amts wegen einzuleitendes
und durchzuführendes Prüfungsverfahren ersetzt worden ist. Für die Verfahren, die nach
den in § 106 Abs 2 Satz 1 SGB V normierten Regelprüfmethoden oder ersatzweise nach
der Methode des statistischen Kostenvergleichs durchgeführt werden, war ein Prüfantrag
nicht mehr Voraussetzung für die Durchführung der Prüfung. Die Neuregelung des § 106
Abs 2 SGB V zum 1.1.2000 hat zwar nicht generell das Antragsrecht der KKn bzw ihrer
Verbände beseitigt; soweit jedoch das Verfahren vom PA antragsunabhängig
durchzuführen ist, kann ein gleichwohl gestellter Antrag keine besonderen Rechtspflichten
der Prüfgremien mehr auslösen. Jedenfalls in dem Bereich der hier betroffenen
statistischen Vergleichsprüfung und der Richtgrößenprüfung hat ein allein von Gesetzes
wegen nicht erforderlicher Prüfantrag der KKn nicht die Wirkung, die vierjährige
Ausschlussfrist zu hemmen. Damit weicht der Senat nicht von der Rechtsprechung ab, die
den zitierten Urteilen vom 5.5. und 18.8.2010 zugrunde liegt. Beide Fälle betrafen
Konstellationen, in denen ein Prüfantrag der KK ungeachtet der grundsätzlichen
Umstellung des Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahrens von einem antragsgebundenen auf
ein von Amts wegen durchzuführendes Verfahren weiterhin erforderlich war.
23 Dem Urteil vom 5.5.2010 (SozR 4-2500 § 106 Nr 28) lag ein einzelfallbezogener
Prüfantrag einer KK im Hinblick auf die Verordnung eines bestimmten Medikamentes
gegenüber einem konkreten Patienten zugrunde. Rechtsgrundlage der Einzelfallprüfung in
diesem Fall war § 106 Abs 3 Satz 3 SGB V in der ab 1.1.2000 geltenden Fassung.
Danach war in Verträgen durch die Partner iS des Abs 2 Satz 4 auch festzulegen, unter
welchen Voraussetzungen Einzelfallprüfungen durchgeführt und pauschale
Honorarkürzungen festgesetzt werden können. Für Einzelfallprüfungen im Hinblick auf die
Verordnung bestimmter Medikamente kann jedenfalls auch nach der Neufassung des §
106 Abs 5 SGB V schon aus praktischen Gründen auf einen Prüfantrag der KK nicht
verzichtet werden. Nur die einzelne KK hat die Möglichkeit, aufgrund der bei ihr
vorliegenden Verordnungen und Diagnosen zu beurteilen, ob eine unzulässige
Verordnung vorgenommen wurde oder nicht; der im Falle der Unzulässigkeit der
Verordnung zu leistende Schadensersatz kommt in diesem Fall auch allein der
antragstellenden KK zugute und nicht - wie im Fall von statistischen Vergleichsprüfungen -
allen Krankenkassenverbänden nach einem bestimmten Schlüssel. Diese Rechtslage hat
der Gesetzgeber durch die Neufassung des § 106 Abs 3 SGB V durch das Gesetz zur
Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG vom 14.11.2003, BGBl I
2190) präzisiert. Dort ist nunmehr bestimmt, dass die Vertragspartner vereinbaren müssen,
unter welchen Voraussetzungen Einzelfallprüfungen auf Antrag ua einer KK oder der KÄV
durchzuführen sind (vgl Engelhard in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand: August 2012, K § 106
RdNr 445).
24 Ähnliches gilt für die Konstellation, die dem Senatsurteil vom 18.8.2010 (SozR 4-2500 §
106 Nr 29) zugrunde lag. Dort ging es um die Verordnung von Sprechstundenbedarf, die
auf einer Vereinbarung der Vertragspartner über die Verordnung und Prüfung der
Wirtschaftlichkeit von Sprechstundenbedarf in der vertragsärztlichen Versorgung beruhte;
deren gesetzliche Grundlage ist § 106 Abs 2 Satz 4 SGB V. Auch insoweit sah die
Prüfvereinbarung - nicht anders als die Prüfvereinbarung in dem am 5.5.2010
entschiedenen Fall hinsichtlich der Einzelfallprüfung - ein Antragsrecht der KK vor; bei der
Verordnung von Sprechstundenbedarf ist dies schon deshalb erforderlich, weil
üblicherweise Sprechstundenbedarf zu Lasten einer bestimmten KK für alle Versicherten
verordnet wird, die entsprechend auch berechtigt ist, Prüfanträge hinsichtlich der
Einhaltung der Vorgaben der Sprechstundenbedarfsvereinbarung und der
Wirtschaftlichkeit der Verordnung von Sprechstundenbedarf zu stellen.
25 Soweit ein Prüfantrag kraft Gesetzes Voraussetzung für die Durchführung eines
Prüfverfahrens oder auf gesetzlicher Grundlage in der Prüfvereinbarung (neu) vereinbart
worden oder von der Sache her unverzichtbar ist, kommt diesem Antrag auch für Quartale
nach dem 1.1.2000 ua die Wirkung zu, den Ablauf der Ausschlussfrist für die Festsetzung
eines Arzneikostenregresses zu hemmen. Soweit die Wirtschaftlichkeitsprüfung jedoch als
Richtgrößenprüfung oder statistische Vergleichsprüfung durchgeführt wird und Quartale
betroffen sind, in denen diese Prüfung von Amts wegen durchzuführen ist, gilt das
grundsätzlich nicht. Der Senat hat die hemmende Wirkung des Prüfantrags vor allem mit
einer entsprechenden Anwendung des Rechtsgedankens des § 204 Abs 1 Nr 12 BGB
begründet. Danach hemmt ein "Antrag bei einer Behörde" die Verjährung, "wenn die
Zulässigkeit der Klage von der Vorentscheidung dieser Behörde abhängt". Der
Heranziehung des in dieser Vorschrift enthaltenen Rechtsgedankens auf den Prüfantrag
einer KK liegt die Erwägung zugrunde, dass dieser Antrag Voraussetzung dafür war, dass
sich das zuständige Prüfgremium mit der Verordnungsweise einer Praxis befassen konnte.
Die Basis für eine entsprechende Anwendung dieser Norm ist verlassen, wenn der
"Antrag" nur noch eine unverbindliche Anregung an die Prüfgremien enthält, tätig zu
werden. In Prüfverfahren, in denen ein Prüfantrag weder gesetzlich bzw gesamtvertraglich
vorgeschrieben noch von der Sache her unverzichtbar ist, kann die betroffene KK die
Hemmung der Ausschlussfrist nur dadurch zu erreichen versuchen, dass sie
Untätigkeitsklage erhebt und darauf dringt, dass der Arzt, dessen Verordnungen sie
beanstandet, zum Verfahren beigeladen wird. Auf die tatsächliche Schwäche dieser
rechtlichen Gestaltungsmöglichkeit hat der Senat in seiner früheren Rechtsprechung
hingewiesen (vgl SozR 4-2500 § 106 Nr 28 RdNr 37 und 45). An dieser Beurteilung hat
sich nichts geändert, doch kann das nicht dazu führen, auch einem nicht erforderlichen
"Antrag" zu Lasten des Arztes hemmende Wirkung zuzubilligen: damit wäre nach
Auffassung des Senats der Rahmen für richterliche Rechtsfortbildung verlassen.
26 Im Übrigen stehen die KKn und ihre Verbände auch abgesehen von der Möglichkeit der
Untätigkeitsklage nicht rechtlos dar. Die Prüfgremien unterliegen staatlicher Aufsicht und
machen sich bei willkürlicher Verweigerung der Durchführung von Prüfungen der
betroffenen KK schadenersatzpflichtig. Den Gremien selbst stehen, soweit sachliche
Gründe eine zügige Durchführung der Prüfverfahren hindern, Instrumente zur Verfügung,
die Ausschlussfrist zu hemmen (vgl insoweit Senatsurteil vom heutigen Tag im Verfahren
B 6 KA 27/11 R). Darauf können (auch) die KKn im Prüfverfahren hinwirken. Soweit im
Übrigen die unzureichende personelle Ausstattung der Prüfgremien ursächlich dafür sein
sollte, dass selbst die vierjährige Ausschlussfrist, die im Gesetzgebungsverfahren zum
GKV-WSG als unzumutbar lang beurteilt worden ist (BT-Drucks 16/3100 S 136),
regelmäßig nicht gewahrt werden konnte, sind dafür die Krankenkassenverbände als
Partner der Gesamtverträge und Mitträger der Gremien mitverantwortlich.
27 c) Der Senat misst dem Umstand, dass eine Wirtschaftlichkeitsprüfung aus rechtlichen
Gründen - etwa wegen eines Streits zwischen KÄV und Krankenkassenverbänden über
die Prüfvereinbarung oder die anzuwendende Prüfmethode - nicht durchgeführt werden
kann, unter bestimmten Voraussetzungen hemmende Wirkung bei. Das ist im Urteil vom
15.8.2012 - B 6 KA 27/11 R - näher dargelegt. Dieser Aspekt hat hier jedoch keine
Bedeutung, weil weder der PA noch die Krankenkassenverbände die Klägerin darüber
informiert haben, dass das Prüfverfahren nach der Methode der Durchschnittswertprüfung
wegen einer eventuell rechtlich vorrangigen Prüfung nach Richtgrößen zunächst nicht
betrieben wird. Unterbleibt eine solche Information der betroffenen Praxis, tritt keine
Hemmung ein, auch wenn der Streit um die Prüfmethode tatsächlich eine Rolle gespielt
haben sollte (zur Bedeutung einer Information des betroffenen Arztes siehe BSG SozR 4-
2500 § 106 Nr 28 RdNr 46).
28 Danach hat das SG im Ergebnis zu Recht den angefochtenen Bescheid des Beklagten
wegen des Ablaufs der Ausschlussfrist aufgehoben. Ob es sich darauf hätte beschränken
dürfen, den Beklagten zu verpflichten, über den Widerspruch der Klägerin gegen den
Bescheid des PA unter Beachtung seiner Rechtsauffassung neu zu entscheiden, oder ob
es ihn hätte verpflichten müssen, auf den Widerspruch der Klägerin diesen Bescheid
aufzuheben, kann auf sich beruhen. Die Klägerin hat das sozialgerichtliche Urteil, soweit
es den Beklagten "nur" zur Neubescheidung des Widerspruchs der Klägerin verpflichtet
hat, nicht angefochten. Es ist insoweit rechtskräftig geworden.
29 Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 1,
§ 162 Abs 3 VwGO.