Urteil des BSG vom 18.08.2010

BSG: rlv, vergütung, restriktive auslegung, innere medizin, anpassung, gestaltungsspielraum, vergleich, veröffentlichung, unterliegen, ermächtigung

Bundessozialgericht
Urteil vom 18.08.2010
Sozialgericht Marburg S 12 KA 476/07
Hessisches Landessozialgericht L 4 KA 110/08
Bundessozialgericht B 6 KA 26/09 R
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 24. Juni 2009 wird
zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Gründe:
I
1
Im Streit steht die Höhe vertragsärztlichen Honorars für die Quartale III/2005 und IV/2005.
2
Der Kläger ist als Facharzt für Innere Medizin zur vertragsärztlichen Versorgung in F. zugelassen und nimmt an der
fachärztlichen Versorgung teil. Mit Honorarbescheid vom 12.8.2006 setzte die beklagte Kassenärztliche Vereinigung
(KÄV) das Honorar des Klägers für das Quartal III/2005 und mit weiterem Bescheid vom 28.11.2006 für das Quartal
IV/2005 fest. Dabei wandte sie ihren Honorarverteilungsvertrag (HVV) an, welcher zeitgleich mit dem neu gefassten
Einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen (EBM-Ä) zum 1.4.2005 in Kraft getreten war. Dieser HVV
enthielt ua in Ziffer 7.5 eine "Regelung zur Vermeidung von Honorarverwerfungen nach Einführung des EBM
2000plus". Danach erfolgte nach Feststellung der Punktwerte und Quoten gemäß Ziffer 7.2 HVV ein Vergleich des für
das aktuelle Abrechnungsquartal berechneten fallbezogenen Honoraranspruchs der einzelnen Praxis mit der
fallbezogenen Honorarzahlung im entsprechenden Abrechnungsquartal des Jahres 2004 (beschränkt auf Leistungen,
die dem budgetierten Teil der Gesamtvergütung unterliegen). Zeigte der Fallwertvergleich eine Fallwertminderung oder
-erhöhung von jeweils mehr als 5 %, so erfolgte eine Begrenzung auf den maximalen Veränderungsrahmen von 5 %
(Ziffer 7.5.1 HVV). Zudem sah Ziffer 6.3 HVV eine Vergütung der Leistungen innerhalb von Regelleistungsvolumina
(RLV) vor: Dies betraf auch die vom Kläger erbrachten Leistungen nach den Nr 01600, 01601 und 01602 EBM-Ä.
Unter Anwendung der Ausgleichsregelung nach Ziffer 7.5 HVV kam es im Quartal IV/2005 - nicht jedoch im Quartal
III/2005 - zu einer Honorarkürzung in Höhe von 121,34 Euro.
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Während die Widersprüche des Klägers erfolglos blieben, hat das SG auf seine Klage die Beklagte unter Abänderung
ihrer Bescheide zur Neubescheidung nach Maßgabe seiner - des SG - Rechtsauffassung verpflichtet (Urteil des SG
vom 22.10.2008). Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil des LSG vom 24.6.2009). Zur
Begründung hat es ausgeführt, die Honorarbescheide seien zunächst insoweit rechtswidrig, als die Beklagte die nicht
dem RLV unterliegenden Leistungen nach den Nr 01600, 01601 und 01602 EBM-Ä entgegen den Vorgaben in Teil III
4.1 des Beschlusses des Bewertungsausschusses (BewA) zur Festlegung von RLV durch die KÄVen gemäß § 85
Abs 4 SGB V vom 29.10.2004 (nachfolgend als BRLV bezeichnet) innerhalb des RLV vergütet habe. Den vom BewA
gemäß § 85 Abs 4a Satz 1 iVm Abs 4 Satz 7 SGB V zu beschließenden bundeseinheitlichen Vorgaben komme im
Falle divergenter Regelungen der Vorrang zu. Die Vertragspartner des HVV seien hieran in der Weise gebunden, dass
sie rechtswirksam keine abweichenden Regelungen treffen könnten. Zu den in Teil III 4.1 BRLV aufgeführten
Leistungen, die nicht den RLV unterlägen, gehörten auch die streitgegenständlichen. Die Herausnahme bestimmter
Leistungen aus den RLV durch den BRLV sei mit höherrangigem Recht vereinbar. RLV seien nicht die einzige
Gestaltungsmöglichkeit für mengenbegrenzende Regelungen, wie sich aus der einleitenden Formulierung
"insbesondere" in § 85 Abs 4 Satz 7 SGB V ergebe. Der BewA habe auch den Grundsätzen der
Honorarverteilungsgerechtigkeit und der Leistungsgerechtigkeit der Honorarverteilung Rechnung zu tragen. Daher sei
er nicht verpflichtet gewesen, alle Leistungen dem RLV zu unterwerfen.
4
Der Honorarbescheid für das Quartal IV/2005 sei auch insoweit rechtswidrig, als eine auf Ziffer 7.5 HVV gestützte
Honorarkürzung erfolgt sei. Diese Regelung verstoße gegen zwingende Vorgaben des BRLV und sei nicht durch die
Ermächtigungsgrundlage in § 85 Abs 4 SGB V iVm Art 12 GG gedeckt. Nach Sinn und Zweck der Neufassung des §
85 Abs 4 SGB V durch das GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) sei die Gestaltungsfreiheit der KÄVen und ihrer
Vertragspartner bei der Honorarverteilung nunmehr insoweit eingeschränkt, als RLV nach arztgruppenspezifischen
Grenzwerten und eine Vergütung der den Grenzwert überschreitenden Leistungen mit abgestaffelten Punktwerten für
alle HVV verbindlich vorgegeben worden seien. Die in Ziffer 7.5 HVV geregelte Honorarkürzung sei nicht mit dem in §
85 Abs 4 SGB V idF des GMG sowie im BRLV als Teil des HVV verbindlich vorgegebenen System der RLV vereinbar
und stelle auch keine zulässige Ergänzung dieses Systems dar. Zum einen bewirke die Regelung für die von
Kürzungen betroffenen Praxen praktisch eine Vergütung nach einem praxisindividuellen Individualbudget;
Individualbudgets seien jedoch mit dem System der RLV nicht vereinbar. Zum anderen sei eine
Honorarverteilungsregelung, durch die der Honoraranspruch bei Praxen mit hohem Fallwert vermindert werde, wegen
des alleinigen Anknüpfens an den Fallwert durch § 85 Abs 4 SGB V nicht gedeckt. Auch § 85 Abs 4 Satz 6 SGB V
biete keine Rechtsgrundlage dafür, dass von besonders ertragreichen Praxen ein bestimmter Übermaßbetrag
abgezogen und anderen Praxen zugewiesen werde; vielmehr solle durch die gesetzliche Vorgabe bereits das
Entstehen solcher Übermaßbeträge durch übermäßige Ausdehnung der Tätigkeit des Arztes verhindert werden.
5
Die in Ziffer 7.5 HVV geregelte Honorarkürzung entspreche auch nicht den inhaltlichen Anforderungen an eine
wirksame Berufsausübungsregelung. So könne nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass ein erheblich
über dem Durchschnitt liegender Fallwert ein Indiz dafür sei, dass der betreffende Arzt seine Leistungen über das
medizinisch Erforderliche hinaus ausgedehnt habe. Das ausschließliche Anknüpfen an die Höhe der
durchschnittlichen Vergütung pro Behandlungsfall führe auch zu einer Stützung von Praxen mit hoher Fallzahl, sofern
die Punktzahl je Behandlungsfall unter dem Durchschnitt der Fachgruppe gelegen habe, und umgekehrt zu weiteren
Honorarbegrenzungen bei Praxen mit geringer Fallzahl, bei denen der Fallwert wegen Spezialisierung über dem
Durchschnittswert gelegen habe, ungeachtet der möglicherweise schlechteren Ertragssituation. Zudem griffen
derartige Regelungen in den freien Wettbewerb zwischen den Ärzten ein. Die Beklagte könne sich auch nicht auf den
"Beschluss des Erweiterten Bewertungsausschusses nach § 87 Abs. 4 SGB V in seiner 9. Sitzung am 15. Januar
2009 zur Umsetzung und Weiterentwicklung der arzt- und praxisbezogenen Regelleistungsvolumen nach § 87b Abs. 2
und 3 SGB V mit Wirkung zum 1. Januar 2009" (DÄ 2009, A 308 f; nachfolgend als "Beschluss vom 15.1.2009"
bezeichnet) berufen, wonach die KÄVen und die Krankenkassenverbände im Rahmen einer so genannten
"Konvergenzphase" eine schrittweise Anpassung der RLV beschließen könnten, denn der Beschluss sei weder im
Hinblick auf seinen Geltungszeitraum noch inhaltlich auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar. Die Regelung
könne schließlich auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Anfangs- und Erprobungsregelung Geltung
beanspruchen.
6
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung von Bundesrecht. Die Einbeziehung der Leistungen nach den Nr
01600, 01601 und 01602 EBM-Ä in die RLV sei rechtmäßig. Rechtswidrig sei vielmehr die Vorgabe in Teil III 4.1
BRLV, bestimmte Leistungen nicht dem RLV zu unterwerfen. Der BewA sei zwar gesetzlich ermächtigt,
mengensteuernde Maßnahmen, insbesondere RLV, einzuführen, nicht jedoch dazu, zwischen Leistungen zu
differenzieren, die dem RLV unterfielen bzw nicht unterfielen. Nach § 85 Abs 4 Satz 7 SGB V seien für sämtliche
vertragsärztlichen Leistungen arztgruppenspezifische Grenzwerte festzulegen; einzige Ausnahme stellten Leistungen
dar, die keiner Mengenausweitung zugänglich seien. Diese Sichtweise lege auch die Regel-Ausnahme-Systematik
des SGB V nahe, da das Gesetz selbst Ausnahmen vorsehe, wenn es Leistungen nicht den Maßgaben der
budgetierten Gesamtvergütung unterwerfe. Die streitgegenständlichen Leistungen seien als typische Folgeleistungen
zu ärztlichen Hauptleistungen zumindest mittelbar der Mengenausweitung zugänglich. § 85 Abs 4a SGB V enthalte
keine Ermächtigung des BewA zur Förderung bestimmter Leistungen im Wege der Konstituierung von Ausnahmen zu
Mengenbegrenzungsregelungen.
7
Sie - die Beklagte - sei auch nicht zur ausnahmslosen Umsetzung der im BRLV enthaltenen Vorgaben verpflichtet
gewesen, weil der Beschluss in seinem Teil III 2.2 den KÄVen die Möglichkeit eröffne, andere Steuerungsinstrumente
anzuwenden, die in ihren Auswirkungen mit der gesetzlichen Regelung in § 85 Abs 4 SGB V vergleichbar seien. Dies
sei, wie noch ausgeführt werde, bei ihr der Fall gewesen. Im Übrigen stellten die Regelungen im BRLV lediglich
Empfehlungen, jedoch keine verbindlichen Vorgaben dar, da der Beschluss den Vertragspartnern des HVV
Handlungsspielräume eröffne. Schließlich sei die Einbeziehung der streitbefangenen Leistungen in das RLV
zumindest unter dem Gesichtspunkt einer Anfangs- und Erprobungsregelung gerechtfertigt. Der ihr - der Beklagten -
eingeräumte erweiterte Gestaltungsspielraum werde obsolet, wenn sie trotz zahlreicher Abweichungsklauseln und
Neuregelungen derart konkret gebunden wäre, dass sie bestimmte Leistungen vom RLV auszunehmen hätte.
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Auch die Ausgleichsregelung nach Ziffer 7.5 HVV sei rechtmäßig; insbesondere verstoße sie nicht gegen zwingende
Vorgaben des BewA. Dies werde durch den Beschluss des BewA vom 15.1.2009 bestätigt, der den Partnern der
Gesamtverträge die Möglichkeit eröffne, im Rahmen eines sogenannten Konvergenzverfahrens eine schrittweise
Anpassung des RLV zu beschließen und prozentuale Grenzwerte für die Höhe der Umsatzveränderungen im Vergleich
zum Vorjahresquartal festzustellen, sofern durch die Umstellung der Mengensteuerung auf die neue Systematik
Honorarverluste begründet worden seien. Dass der Beschluss für die Konvergenzphase einen Zeitraum vom 1.4.2009
bis 31.12.2010 vorsehe, stehe einer Anwendung auch für den Zeitraum ab dem Quartal II/2005 nicht entgegen, da
Sinn und Zweck einer solchen Konvergenzphase die schrittweise Anpassung der vertragsärztlichen Vergütung an die
RLV sei. Inhaltlich gehe es, wie der Beschluss ausdrücklich klarstelle, um die "Umstellung der Mengensteuerung auf
die neue Systematik". Diese Umstellung sei bei ihr - der Beklagten - früher als bei anderen KÄVen bereits im Quartal
II/2005 erfolgt. Die Notwendigkeit einer Anpassungs- bzw Übergangsregelung habe daher in ihrem Bereich bereits im
Jahr 2005 bestanden und nicht erst - wie bei der Mehrzahl der KÄVen - im Jahr 2009. Es sei rechtmäßig und einzig
praktikabel, die Konvergenzphase an dem Zeitpunkt der Einführung der RLV zu orientieren, da eine schrittweise
Anpassung nur in diesem Zusammenhang Sinn mache. Es liege für sie - die Beklagte - nahe, dass die aus der neuen
Systematik resultierenden Verwerfungen vom BewA zunächst nicht in vollem Umfang bedacht und daher im BRLV
nicht geregelt worden seien. Dies stelle eine planwidrige Regelungslücke in den Beschlüssen des BewA dar und
spreche für einen von den Vertragspartnern des HVV rechtskonform genutzten Gestaltungsspielraum zur Einführung
von Ausgleichsregelungen.
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Bei der Ausgleichsregelung nach Ziffer 7.5 HVV handele es sich nicht um eine Honorarbegrenzungsregelung zum
Zwecke der Mengensteuerung, sondern um eine Maßnahme, die die Auswirkungen des zum Quartal II/2005
eingeführten EBM-Ä für bereits bestehende Praxen habe abfedern und den Arztpraxen eine Umstellung auf die neuen
Honorarstrukturen habe ermöglichen sollen. Ausgleich und Kürzung dürften nicht losgelöst voneinander betrachtet
werden; vielmehr sei eine mit der Ausgleichsregelung verfolgte Vermeidung von Honorarverwerfungen sowohl im Falle
eines Ausgleichs als auch im Falle einer Kürzung denkbar. Ein Widerspruch zum Beschluss des BewA könne somit
bereits aufgrund unterschiedlicher Regelungsziele nicht vorliegen. Die Ausgleichsregelung sei im Übrigen auch mit
den Vorgaben des BRLV vereinbar, denn dieser sehe in Teil III 2.2 für eine Übergangszeit bis zum 31.12.2005 die
Fortführung bereits vorhandener, in ihren Auswirkungen mit der gesetzlichen Regelung in § 85 Abs 4 SGB V
vergleichbarer Steuerungsinstrumente vor. Arztgruppenspezifische Grenzwerte auf der Grundlage praxisindividueller
Punktzahl-Obergrenzen genügten diesen Anforderungen, so dass keinesfalls vergleichbare Bestimmungen über eine
(abgestaffelte) Regelleistungsvergütung hätten eingeführt werden müssen. Entscheidend sei, dass es sich bei den vor
dem 1.4.2005 geltenden Steuerungsinstrumenten um solche gehandelt habe, die in ihren Auswirkungen vergleichbar
gewesen seien. Es genüge eine Orientierung am gesetzgeberischen Ziel der Punktwertstabilisierung und
Kalkulationssicherheit; einzig diese Zielsetzung sei entscheidend.
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Des weiteren sei die Ausgleichsregelung nach Ziffer 7.5 HVV - auch soweit Honorarkürzungen vorgesehen seien -
zumindest unter dem Gesichtspunkt einer Anfangs- und Erprobungsregelung rechtmäßig. Der Honorarverteilung ab
dem Quartal II/2005 hätten aufgrund des Inkrafttretens des EBM-Ä 2005 neue Rahmenbedingungen zugrunde
gelegen, deren Auswirkungen nur schwer einzuschätzen gewesen seien. Dies gelte umso mehr, als zeitgleich die
Vorgaben des BRLV betreffend die RLV in Kraft getreten seien. Sie - die Beklagte - sei auch ihrer Verpflichtung zur
Beobachtung und ggf Nachbesserung der Regelung mit Wirkung für die Zukunft dadurch nachgekommen, dass der
HVV ab dem 1.4.2007 im Falle von Fallwertveränderungen nur noch eine Honorarstützung vorsehe. Die
Ausgleichsregelung sei schließlich bereits dem Grunde nach nicht mit der "Segeberger Wippe" vergleichbar, weil ihr
eine gänzlich andere Systematik zugrunde liege; insbesondere stelle sie durch den Rückgriff auf praxisindividuelle
Werte in der Vergangenheit keine Subvention dar.
11
Die Beklagte beantragt, die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 24. Juni 2009 sowie des Sozialgerichts
Marburg vom 22. Oktober 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
12
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
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Die Bindungswirkung des Beschlusses des BewA und dessen diesbezügliche Befugnis sei durch das Urteil des
entscheidenden Senats vom 3.2.2010 (B 6 KA 31/08 R) bestätigt worden. Der Beschluss sei auch mit § 85 SGB V
vereinbar. Hier gehe es ebenfalls um Leistungen, die einer Mengenausweitung prinzipiell nicht zugänglich seien.
vereinbar. Hier gehe es ebenfalls um Leistungen, die einer Mengenausweitung prinzipiell nicht zugänglich seien.
Sowohl nach seinem Wortlaut als auch nach der Ermächtigungsgrundlage sei der Beschluss bindend. Die Beklagte
habe keinen Gestaltungsspielraum, der es ihr erlaube, eine abweichende Entscheidung zu treffen. Eine restriktive
Auslegung des Beschlusses des BewA sei nicht zulässig. Beschlüsse des BewA seien keiner Auslegung zugänglich,
wie sie etwa für Gesetzesnormen gelte; abzustellen sei vielmehr auf den Wortlaut. Die Beklagte habe auch vor dem
Quartal II/2005 keine RLV eingeführt, die eine Abweichung von Beschlüssen des BewA nach dem 1.4.2005
rechtfertigten. Anfangs- und Erprobungsregelungen kämen nur dann und insoweit in Betracht, als dem entsprechenden
Gremium ein Entscheidungsspielraum eingeräumt worden sei. Vorliegend räume das Gesetz der Beklagten jedoch
keinen derartigen Spielraum ein, sondern es ermächtige den BewA, zwingende Vorgaben zu formulieren, an die sich
jeder HVV zu halten habe. Ziel des EBM-Ä 2005 sei es gewesen, bestimmte Leistungen höher, andere niedriger zu
bewerten sowie durch Einführung von Zeitprofilen bestimmte Leistungen in der Anzahl zu begrenzen. Das Ergebnis
dieses Reformprozesses komme bei Praxen, die davon profitieren sollten, nicht oder nur mit Verspätung an, wenn
man zugleich die Ausgleichsregelung anwende.
II
14
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.
15
Das SG und das LSG haben in der Sache zu Recht entschieden, dass die Beklagte erneut über den Honoraranspruch
des Klägers zu entscheiden hat. Die angefochtenen Honorarbescheide der Beklagten sind rechtswidrig, weil die ihnen
zugrunde liegenden Bestimmungen des HVV in der hier maßgeblichen, ab dem 1.4.2005 geltenden Fassung - soweit
sie im Streit stehen - unwirksam sind. Dies gilt zum einen für die Regelungen im HVV, die eine Einbeziehung auch
solcher Leistungen in das RLV vorsehen, die nach Teil III 4.1 BRLV hiervon ausgenommen sind (1.). Zum anderen
betrifft dies die Regelung in Ziffer 7.5 HVV, soweit diese bei der Überschreitung von Fallwertsteigerungsgrenzen
Honorarkürzungen vorsieht (2.).
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1. Die Bestimmungen im HVV, die die Zuordnung zu einem RLV auch für die Leistungen vorsahen, die nach Teil III
4.1 BRLV dem RLV nicht unterliegen, waren mit den im BRLV normierten vorrangigen Vorgaben des BewA nicht
vereinbar.
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a) In den Regelungen des HVV, den die Beklagte und die Krankenkassen zum 1.4.2005 vereinbart hatten, wurden die
streitbefangenen Leistungen nach den Nr 01600, 01601 und 01602 EBM-Ä den RLV zugeordnet (vgl § 6 HVV
betreffend Honorar(unter)gruppe B 2.13 iVm Anlage zu Ziffer 6.2 HVV).
18
aa) Diese Regelung verstieß gegen die Vorgaben des BewA, die dieser - gemäß der ihm nach § 85 Abs 4a Satz 1
letzter Teilsatz SGB V übertragenen Aufgabe - am 29.10.2004 mit Wirkung für die Zeit ab 1.1.2005 beschlossen hatte
(BRLV - DÄ 2004, A 3129). Gemäß Teil III Nr 2.1 iVm Nr 3 dieses Beschlusses waren die KÄVen verpflichtet, in der
Honorarverteilung RLV in der Weise festzulegen, dass arztgruppeneinheitliche Fallpunktzahlen vorzusehen waren, aus
denen durch Multiplikation mit individuellen Behandlungsfallzahlen praxisindividuelle Grenzwerte zu errechnen waren,
in deren Rahmen die Vergütung nach einem festen Punktwert (sogenannter Regelleistungspunktwert) zu erfolgen
hatte. Unter Teil III Nr 4.1 des Beschlusses waren tabellarisch die aus dem Arztgruppentopf zu vergütenden
Leistungen aufgeführt, die dem RLV nicht unterlagen. Darin waren unter anderem - unter 1.6 - die Leistungen nach den
Nr 01600 bis 01623 EBM-Ä aufgeführt ("Schriftliche Mitteilungen, Gutachten").
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bb) Diese Regelungen des BewA gehen denjenigen des HVV vor, wie der Senat bereits mit Urteil vom 3.2.2010 (B 6
KA 31/08 R - BSGE 105, 236 = SozR 4-2500 § 85 Nr 53) entschieden hat. Dies folgt daraus, dass in § 85 Abs 4 Satz
6 bis 8 iVm Abs 4a Satz 1 letzter Teilsatz SGB V vorgesehen ist, dass "der Bewertungsausschuss den Inhalt der
nach Absatz 4 Satz 4, 6, 7 und 8 zu treffenden Regelungen" bestimmt. Zudem ist in § 85 Abs 4 Satz 10 SGB V
normiert, dass "die vom Bewertungsausschuss nach Absatz 4a Satz 1 getroffenen Regelungen Bestandteil der
Vereinbarungen nach Satz 2" sind. Durch diese beiden Bestimmungen ist klargestellt, dass der Inhalt des HVV sich
nach den vom BewA normierten Vorgaben zu richten hat und dass diese Regelungen des BewA Bestandteil des HVV
sind. Aus beidem folgt jeweils, dass die Bestimmungen des HVV nachrangig gegenüber den Vorgaben des BewA
sind, sodass der HVV zurücktreten muss, soweit ein Widerspruch zwischen ihm und den Vorgaben des BewA
vorliegt, es sei denn, dieser hätte Spielräume für die Vertragspartner des HVV gelassen.
20
cc) Wie der Senat ebenfalls mit Urteil vom 3.2.2010 (aaO unter RdNr 22 f) entschieden hat, ließen die Regelungen des
BewA keine Spielräume für abweichende Regelungen zu, sondern waren von den Partnern des HVV strikt zu
beachten. Dies gilt nicht nur in Bezug auf Dialyseleistungen, deren Einbeziehung in das RLV in jenem Verfahren
strittig war, sondern gleichermaßen für die streitbefangenen Leistungen. Die Regelungen unter Teil III 4. des
Beschlusses bestimmten ausdrücklich, dass die dort aufgeführten Leistungen, Leistungsarten und
Kostenerstattungen nicht dem RLV unterlagen, und sahen Abweichungen (Rückausnahmen) von den dort geregelten
Ausnahmen nicht vor (4.: "Von der Anrechnung auf das Regelleistungsvolumen ausgenommen sind "; 4.1: " , die dem
Regelleistungsvolumen nicht unterliegen").
21
Ausdrückliche Abweichungen von den Vorgaben des BewA waren nur insoweit gestattet, als die Übergangsregelung in
Teil III Nr 2.2 des Beschlusses vom 29.10.2004 zuließ, dass bisherige Steuerungsinstrumente fortgeführt wurden,
deren Auswirkungen mit den Vorgaben des § 85 Abs 4 SGB V vergleichbar waren. Die in dem HVV enthaltene, vom
BRLV abweichende Einbeziehung der Leistungen nach den Nr 01600 bis 01623 EBM-Ä stellte indessen keine gemäß
Nr 2.2 aaO zulässige Abweichung dar.
22
Wie der Senat in seinem Urteil vom 3.2.2010 (BSGE 105, 236 = SozR 4-2500 § 85 Nr 53, RdNr 23), das ebenfalls den
hier maßgeblichen HVV der Beklagten in der ab dem 1.4.2005 geltenden Fassung betraf, bereits im Einzelnen
dargelegt hat, fehlte es bereits vom Inhalt der Honorarverteilungsregelungen her an der Fortführung solcher
"Steuerungsinstrumente, die in ihren Auswirkungen mit der gesetzlichen Regelung in § 85 Abs 4 SGB V vergleichbar
sind": Die Honorarverteilung war bis Anfang 2005 auf der Grundlage praxisindividueller Punktzahl-Obergrenzen
geregelt, wie in dem vom BSG (aaO) in Bezug genommenen Urteil des Hessischen LSG vom 23.4.2008 (L 4 KA
69/07) zum HVV der Beklagten ausgeführt worden ist. Diese Regelungsstrukturen stellen keine
Steuerungsinstrumente dar, deren Auswirkungen mit den Vorgaben des § 85 Abs 4 SGB V vergleichbar sind.
Überdies fehlte es auch an einer "Fortführung" von entsprechenden Steuerungsinstrumenten. Denn insgesamt wurden
zum Quartal II/2005 im Vergleich zu den vorher geltenden Honorarverteilungsregelungen sehr viele Änderungen
vorgenommen, wie sich aus der Zusammenstellung der Beklagten in ihrem Rundschreiben "Die Honorarverteilung ab
dem 2. Quartal 2005" ergibt (BSGE 105, 236 = SozR 4-2500 § 85 Nr 53 aaO unter Hinweis auf "info.doc" Nr 2, 2005,
S 37-45).
23
dd) Waren die Bestimmungen des HVV der Beklagten also mit den Vorgaben, die der BewA in Ausübung seiner
Kompetenz gemäß § 85 Abs 4a Satz 1 letzter Teilsatz SGB V normiert hatte, nicht vereinbar, so folgt daraus
entsprechend den allgemeinen Grundsätzen der Normengeltung und -hierarchie, dass die im Verhältnis zu den
höherrangigen Regelungen des BewA nachrangigen Bestimmungen des HVV rechtswidrig und damit unwirksam waren
(vgl BSGE 105, 236 = SozR 4-2500 § 85 Nr 53, RdNr 24; zur Normenhierarchie vgl auch die Rspr zum höheren Rang
der vom BewA beschlossenen Regelungen des EBM-Ä gegenüber Honorarverteilungsregelungen: zB BSGE 86, 16,
25 = SozR 3-2500 § 87 Nr 23 S 124; BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, RdNr 51 mwN; BSG SozR 4-2500 § 85
Nr 17 RdNr 12).
24
Wenn sich die Beklagte demgegenüber auf die ihr (zusammen mit den Krankenkassenverbänden) als Normgeber
zustehende Gestaltungsfreiheit beruft, lässt sie unberücksichtigt, dass diese Gestaltungsfreiheit nur im Rahmen der
gesetzlichen und vertraglichen Vorgaben besteht. Gestaltungsspielräume der KÄVen bestehen nur - von der Struktur
her der konkurrierenden Gesetzgebung nach Art 72 Abs 1 GG ähnlich -, soweit und solange höherrangige Normgeber -
insbesondere der Gesetzgeber, aber auch der BewA innerhalb der ihm übertragenen Kompetenzen - die Materie nicht
selbst geregelt haben.
25
b) Gegenüber dem Vorrang der BewA-Regelungen und der Unwirksamkeit der HVV-Bestimmungen greift nicht der
Einwand der Beklagten durch, der Beschluss des BewA über die Freistellung von Leistungen - namentlich solcher
nach den Nr 01600, 01601 und 01602 EBM-Ä - von den RLV sei unwirksam, weil er gegen höherrangiges Recht
verstoße.
26
aa) Die Ansicht, diese Freistellung verstoße gegen die "Leitlinie" des § 85 Abs 4 Satz 6 und 7 SGB V und stelle
deshalb keine zulässige Inhaltsbestimmung gemäß § 85 Abs 4a Satz 1 letzter Teilsatz SGB V dar, trifft nicht zu.
27
Der BewA hat im Rahmen der ihm gemäß § 85 Abs 4a Satz 1 letzter Teilsatz SGB V übertragenen Aufgabe, den
Inhalt der nach Abs 4 Satz 7 zu treffenden Regelungen zu bestimmen und dabei RLV vorzusehen, ein gewisses Maß
an Gestaltungsfreiheit (BSGE 105, 236 = SozR 4-2500 § 85 Nr 53, RdNr 26; zuletzt BSG Urteil vom 17.3.2010 - B 6
KA 43/08 R - SozR 4-2500 § 85 Nr 54 RdNr 20 f, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen). Dies gilt sowohl für
die Bestimmung derjenigen Arztgruppen, die nicht dem RLV unterliegen (zB der Nephrologen, dazu BSGE 105, 236=
SozR 4-2500 § 85 Nr 53, RdNr 26), als auch für abweichende Regelungen bezüglich einzelner Leistungen. Einer
ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung des BewA, bestimmte Leistungen oder Leistungsgruppen aus den RLV
herauszunehmen, hat es daher nicht bedurft.
28
Die Entscheidung, (ua) die streitgegenständlichen Leistungen nicht in die RLV einzubeziehen, hält sich auch im
Rahmen dieser Gestaltungsmöglichkeiten. Wie der Senat bereits entschieden hat (s BSGE 105, 236 = SozR 4-2500 §
85 Nr 53, RdNr 26), lässt sich der Bestimmung des § 85 Abs 4 Satz 7 SGB V nicht entnehmen, dass RLV
flächendeckend ohne jede Ausnahme geschaffen werden müssten. Vielmehr reichen Vorschriften aus, die für weite
Bereiche RLV vorsehen. Dem hat der BewA Rechnung getragen, indem er in seinem Beschluss vom 29.10.2004 in
Anlage 1 (zum Teil III Nr 3.1 Satz 1) die meisten Arztgruppen aufgeführt und somit vorgegeben hat, dass die HVV für
diese Arztgruppen RLV vorsehen müssen.
29
bb) Die Gestaltungsfreiheit des BewA ist allerdings durch das Gebot der Gleichbehandlung gemäß Art 3 Abs 1 GG
begrenzt. Er darf nicht willkürlich einige Arztgruppen bzw Leistungen einbeziehen und andere unberücksichtigt lassen.
Vielmehr sind Ungleichbehandlungen nur insoweit zulässig, als sie durch sachliche Gründe gerechtfertigt sind (vgl
hierzu zB BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 38 RdNr 15 f mit BVerfG-Angaben; BSGE 105, 236= SozR 4-2500 § 85 Nr 53,
RdNr 27).
30
Nach diesem Maßstab ist die - für den vorliegenden Rechtsstreit relevante - Nichteinbeziehung der Leistungen nach
den Nr 01600, 01601 und 01602 EBM-Ä unbedenklich; denn in diesem Leistungsbereich bestehen Besonderheiten, die
den BewA berechtigen - aber nicht verpflichten -, diese Leistungen von der Einbeziehung in RLV freizustellen. Als
derartige Besonderheit hat es der Senat bereits in seinem Urteil vom 3.2.2010 (BSGE 105, 236 = SozR 4-2500 § 85
Nr 53, RdNr 28) gewertet, dass in einem Bereich eine Leistungs- und Mengenausweitung zwar nicht ausgeschlossen,
diese Gefahr aber geringer ist als in anderen ärztlichen Bereichen.
31
Dies gilt auch für die hier in Rede stehenden Leistungen. Wie das LSG zutreffend dargelegt hat, sind auch diese nur
mittelbar einer Mengenausweitung zugänglich. Zu einer mittelbaren Mengenausweitung kann es allein über eine
Ausweitung der ihnen zugrunde liegenden Leistungen kommen. Gegenstand der Leistungen nach Nr 01600 EBM-Ä ist
ein "ärztlicher Bericht über das Ergebnis einer Patientenuntersuchung" und der Leistungen nach Nr 01601 EBM-Ä ein
"ärztlicher Brief in Form einer individuellen schriftlichen Information"; die Nr 01602 EBM-Ä stellt eine "Gebühr für die
Mehrausfertigung (z.B. Kopie) eines Berichtes oder Briefes" dar.
32
Ausgeschlossen war die Herausnahme der streitbefangenen Leistungen aus den RLV auch nicht etwa deshalb, weil
eine derartige Befugnis dem Gesetzgeber vorbehalten sei. Zwar trifft es zu, dass der Gesetzgeber in verschiedenen
Fällen die Geltung von Budgetierungen eingeschränkt hat (s § 85 Abs 2 Satz 4 und 5, Abs 2a, Abs 3a Satz 4, 6 und 7
SGB V). Hierin liegt aber keine abschließende Regelung, die es dem BewA verbieten würde, seinerseits Ausnahmen
von der Geltung der RLV vorzugeben. Diese Bestimmungen stehen selbstständig neben den Sonderregelungen für
RLV in § 85 Abs 4 Satz 7 iVm Abs 4a Satz 1 letzter Teilsatz SGB V (so bereits BSGE 105, 236 = SozR 4-2500 § 85
Nr 53, RdNr 30).
33
cc) Nach alledem waren die Vorgaben des BewA in seinem Beschluss vom 29.10.2004 über die Nichteinbeziehung
von Leistungen nach den Nr 01600 ff EBM-Ä in die RLV nicht zu beanstanden und daher wirksam.
34
c) Die diesen Vorgaben widersprechenden Regelungen des HVV lassen sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt von
Anfangs- und Erprobungsregelungen rechtfertigen. Denn das kommt nach der Rechtsprechung des Senats regelmäßig
nicht in Betracht, wenn eine Regelung schon von ihrer Struktur her mit höherrangigen Vorgaben nicht übereinstimmt
(vgl BSG SozR 3-2500 § 85 Nr 16 S 106 f; BSGE 88, 126, 137 f = SozR 3-2500 § 87 Nr 29 S 157; BSGE 96, 1 =
SozR 4-2500 § 85 Nr 22, RdNr 35; zuletzt BSGE 105, 236 = SozR 4-2500 § 85 Nr 53, RdNr 31; sowie BSG SozR 4-
2500 § 85 Nr 54 RdNr 29, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen).
35
Dies ist hier der Fall, wie der Senat bereits in seiner - die Einbeziehung von Dialyseleistungen in die RLV durch den
HVV der Beklagten betreffenden - Entscheidung vom 3.2.2010 (BSGE 105, 236 = SozR 4-2500 § 85 Nr 53, RdNr 31)
festgestellt hat. Denn der Einbeziehung der streitbefangenen Leistungen in die RLV standen - wie dargelegt -
verbindliche Vorgaben des BewA entgegen. Die Beklagte verkennt insoweit, dass der ihr im Rahmen einer Anfangs-
und Erprobungsregelung eingeräumte erweiterte Gestaltungsspielraum nicht pauschal von der Beachtung der
rechtlichen Vorgaben entbindet (vgl BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 50 RdNr 24). Dieser besondere Gestaltungsspielraum
wird entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht dadurch obsolet, dass er nicht zum Erlass von Regelungen
ermächtigt, die von vornherein den gesetzlichen oder vertraglichen Bestimmungen zuwiderlaufen.
36
2. Ebenfalls zu Recht haben die Vorinstanzen entschieden, dass die Regelung in Ziffer 7.5 HVV unwirksam ist, soweit
sie eine Honorarkürzung bei einer Fallwerterhöhung im Vergleich zum Referenzquartal um mehr als 5 % bestimmt.
37
Die Ausgleichsregelung nach Ziffer 7.5 HVV entsprach insoweit weder den gesetzlichen Vorgaben nach § 85 Abs 4
SGB V noch den zu deren Umsetzung erlassenen Regelungen im BRLV. Der Gesetzgeber des GMG hat sich für das
System der Vergütung nach RLV entschieden, weil er dieses für sachgerecht gehalten hat. Die damit ggf verbundenen
Vorteile für die Vertragsärzte dürfen nicht ohne normative Grundlage im Bundesrecht durch die Partner der HVV so
begrenzt werden, dass an Stelle der RLV faktisch praxisindividuelle Budgets - bezogen auf die von den einzelnen
Praxen im Referenzquartal erreichte Vergütung - zur Anwendung kommen. Entsprechendes gilt für die mit der
grundlegenden Umgestaltung des EBM-Ä ggf verbundenen Honorarzuwächse. Eine zur Abweichung von diesen
Vorgaben ermächtigende normative Grundlage liegt nicht vor.
38
a) Kernpunkt der gesetzlichen Neuregelung sind, wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 17.3.2010 (BSG SozR 4-
2500 § 85 Nr 54 RdNr 14 ff, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen) dargelegt hat, nach § 85 Abs 4 Satz 7
SGB V nF zwei Vorgaben, nämlich die Festlegung arztgruppenspezifischer Grenzwerte und fester Punktwerte, sowie -
gemäß § 85 Abs 4 Satz 8 SGB V - für darüber hinausgehende Leistungen abgestaffelte Punktwerte. Dabei kommt den
festen Punktwerten besonderes Gewicht zu (BSG aaO RdNr 15). Diesen Vorgaben entsprachen die - maßgeblich
durch Ausgleichsregelung nach Ziffer 7.5 HVV geprägten - Honorarverteilungsregelungen in dem ab 1.4.2005
geltenden HVV nicht.
39
Zwar sah der HVV unter Ziffer 6.3 HVV die Bildung praxisindividueller RLV sowie unter Ziffer 6.4 HVV die Bewertung
der innerhalb des RLV liegenden Honoraranforderungen mit einem festen Punktwert vor. Diese in Erfüllung der
gesetzlichen und vertraglichen Vorgaben erlassenen Bestimmungen des HVV wurden jedoch durch die
Ausgleichsregelung nach Ziffer 7.5 HVV korrigiert bzw konterkariert. Danach erfolgte nach Feststellung der
Punktwerte und Quoten gemäß Ziffer 7.2 HVV ein Vergleich der für das aktuelle Abrechnungsquartal berechneten
fallbezogenen Honoraranforderung der einzelnen Praxis mit der fallbezogenen Honorarzahlung im entsprechenden
Abrechnungsquartal des Jahres 2004, in dessen Folge Fallwertsteigerungen von mehr als 5 % gekappt und
Fallwertverluste von mehr als 5 % ausgeglichen wurden. Somit bestimmte sich die Höhe des der Arztpraxis
zustehenden Honorars im Ergebnis nicht nach arztgruppenspezifischen Grenzwerten und festen Punktwerten, sondern
primär nach dem im Referenzquartal maßgeblichen praxisindividuellen Fallwert.
40
Je größer das durch die Ausgleichsregelung vorgegebene Ausmaß der Honorarkürzung im Falle einer
Fallwertsteigerung war, desto mehr entfernte sich der Honoraranspruch der einzelnen Arztpraxis von dem nach den
gesetzlichen und vertraglichen Vorgaben ermittelten Anspruch. Die Ausgleichsregelung führte im Ergebnis dazu, dass
die von einer Arztpraxis abgerechneten Leistungen in einer Form vergütet wurden, die einem praxisindividuellen
Individualbudget weitgehend vergleichbar war. Denn auch eine Praxis, deren Leistungsumfang sich innerhalb des
vorgegebenen RLV hielt, erhielt diese Leistungen nur dann mit dem vorgesehenen festen Punktwert vergütet, wenn es
- im Vergleich zum Referenzquartal - nicht zu einer Fallwertveränderung um mehr als 5 % gekommen war. Eine
Erhöhung des Fallwerts wirkte sich hingegen auf den Honoraranspruch der Praxis nicht aus, soweit der im
Referenzquartal erzielte Fallwert um mehr als 5 % überschritten war. Dann wurde das - im ersten Schritt nach RLV
und festem Punktwert berechnete - Honorar in einem zweiten Schritt um den übersteigenden Betrag gekürzt, mit der
Folge, dass sich der "feste" Punktwert faktisch entsprechend dem Ausmaß der durch die Ausgleichsregelung
bedingten Honorarkürzung verringerte.
41
b) Das LSG hat zutreffend dargelegt, dass sich die Beklagte zur Rechtfertigung der Ausgleichsregelung nach Ziffer
7.5 HVV nicht auf den Beschluss des Erweiterten BewA vom 15.1.2009 berufen kann. Die dort - in Teil A - den
Partnern der Gesamtverträge eingeräumte Möglichkeit einer schrittweisen Anpassung der RLV im Rahmen eines
sogenannten "Konvergenzverfahrens" betrifft zum einen inhaltlich allein die sich aus der gesetzlichen Umgestaltung
des vertragsärztlichen Vergütungsrechts (§§ 87a ff SGB V idF des GKV-WSG vom 26.3.2007, BGBl I 378) zum
1.1.2009 sowie den hierzu ergangenen Beschlüssen des BewA ergebenden Konsequenzen. Hinzu kommt, dass sich
die Ermächtigung zu einer schrittweisen Anpassung auf die RLV bezieht, nicht hingegen auf die Normierung von
Ausgleichsregelungen außerhalb der Vergütung nach RLV. Zum anderen ergibt sich aus Teil A Ziffer 1 des
Beschlusses eindeutig, dass die Regelung allein für die Zeit ab Inkrafttreten dieser gesetzlichen Änderungen (sowie
begrenzt auf die Zeit bis Ende 2009) Geltung beansprucht. Rückwirkung kommt dem Beschluss nicht zu (s hierzu
schon BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 50 RdNr 25).
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c) Eine Befugnis, an Stelle von RLV andere Steuerungsinstrumente vorzusehen, haben die Partner der HVV
grundsätzlich nicht. Wie bereits dargelegt (siehe unter 1. a bb), sind die im BRLV gemachten Vorgaben des BewA zur
Bildung von RLV für die Beklagte verbindlich.
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Die Beklagte kann sich - wie ebenfalls bereits dargelegt (siehe unter 1. a cc) - auch nicht auf die Ausnahmeregelung
nach Teil III 2.2 BRLV berufen, da deren Voraussetzungen nicht gegeben sind. Im Übrigen steht der Annahme, die
Beklagte habe mit der Ausgleichsregelung nach Ziffer 7.5 HVV lediglich bisherige, vergleichbare
Steuerungsinstrumente fortgeführt, schon entgegen, dass der vorangegangene HVM keine derartige
Ausgleichsregelung enthielt, sondern diese vielmehr in Reaktion auf die zum 1.4.2005 in Kraft getretenen
Neuregelungen ausdrücklich neu geschaffen wurde.
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d) Auch die Erwägung, die Kosten für die Stützung derjenigen Praxen, die infolge der RLV unzumutbare
Honorareinbußen hinnehmen müssen, seien von den Praxen aufzubringen, die von den RLV besonders profitieren,
rechtfertigt die Regelung in Ziffer 7.5 HVV nicht. Zwar hält der Senat die Partner der HVV grundsätzlich für berechtigt,
im HVV zumindest für eine Übergangszeit Vorkehrungen zu treffen, dass die Umstellung der Vergütung auf das
System der RLV nicht zu existenzbedrohenden Honorarminderungen für bestehende Praxen trotz unveränderten
Leistungsangebots führt. Außer Frage steht, dass eine KÄV aufgrund des ihr nach § 75 Abs 1 SGB V obliegenden
Sicherstellungsauftrags berechtigt ist, zwar nicht an Stelle, jedoch ergänzend zu den RLV mit den
Krankenkassenverbänden im HVV Maßnahmen zu vereinbaren, die eine Stützung gefährdeter Praxen beinhalten (vgl
schon BSGE 81, 86, 102 = SozR 3-2500 § 87 Nr 18 S 98). Ob die Grenze unzumutbarer Honorarminderungen schon
bei 5 % zu ziehen ist, bedarf keiner Entscheidung, weil die begünstigende Wirkung der Ziffer 7.5 HVV nicht
Gegenstand des vorliegenden Revisionsverfahrens ist. Ebenso ist die KÄV weiterhin nicht nur berechtigt, sondern -
wie zuletzt im Urteil vom 3.2.2010 (B 6 KA 1/09 R - SozR 4-2500 § 85 Nr 50 RdNr 13 ff) ausdrücklich zum hier in
Rede stehenden HVV der Beklagten entschieden - sogar verpflichtet, auch im Rahmen von RLV unterdurchschnittlich
abrechnende Praxen wie auch sogenannter "Anfänger- oder Aufbaupraxen" zu stützen.
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Allerdings ist die KÄV gehalten, sich die für einen Ausgleich benötigten Geldmittel in rechtlich zulässiger Form zu
beschaffen. Insofern greift das Argument der Beklagten zu kurz, dass die Ausgleichsregelung bei
Fallwertminderungen nach Ziffer 7.5 HVV zwingend die Rechtmäßigkeit der zu ihrer Finanzierung erforderlichen
Regelung zur Honorarkappung bei Fallwertsteigerungen bedinge. Eine Art "Schicksalsgemeinschaft" der von den RLV
besonders begünstigten und besonders belasteten Praxen besteht nicht. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden,
dass deutliche Honorarzuwächse einzelner Arztgruppen oder Praxen infolge der RLV vom Normgeber ausdrücklich
gewollt sind, zB weil bestimmte Vergütungsanreize gesetzt werden sollten oder das bisherige Honorarniveau als
unzureichend angesehen wurde. Schon deshalb ist eine pauschale Inpflichtnahme aller "Gewinnerpraxen" zur
Finanzierung der von den Partnern des HVV für erforderlich gehaltenen Verlustbegrenzung ausgeschlossen.
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Erst recht gilt dies, wenn - wie die niedrigen Eingreifschwellen von minus 5 % für Stützungsmaßnahmen und von plus
5 % für Honorarkürzungen nahe legen - die Regelung eher den Charakter einer Bestandsschutzmaßnahme zugunsten
etablierter Praxen denn einer Stützungsmaßnahme zugunsten gefährdeter Praxen hatte. Die Auffüllbeträge und
Honorarkürzungen nach Ziffer 7.5 HVV glichen offenbar nicht nur extreme, ausreißerähnliche Verluste aus und
begrenzten extreme Gewinne als Folge der neuen RLV bzw des neuen EBM-Ä, sondern schrieben faktisch
gewachsene Vergütungsstrukturen fort.
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Die für die Stützung erforderlichen Auffüllbeträge müssen vielmehr gegebenenfalls aus der Gesamtvergütung - also zu
Lasten aller Vertragsärzte - aufgebracht werden. Die Beklagte hätte daher erforderlich werdende Ausgleichszahlungen
durch entsprechende Vorab-Einbehalte bei den Gesamtvergütungen bzw durch anteilige Honorarabzüge bei allen an
der Honorarverteilung teilnehmenden Vertragsärzten bzw Praxen finanzieren müssen. Hierzu wäre sie - ebenso wie zu
Sicherstellungseinbehalten oder zur Bildung von Rückstellungen im Falle von Rechtsstreitigkeiten (s hierzu BSG
Urteil vom 9.12.2004, B 6 KA 84/03 R = USK 2004-146 S 1067) - auch berechtigt gewesen.
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e) Schließlich ergibt sich eine Rechtfertigung auch nicht aus dem Gesichtspunkt einer Anfangs- und
Erprobungsregelung, denn eine den rechtlichen Vorgaben von vornherein zuwiderlaufende Regelung kann - wie bereits
dargelegt (siehe 1. c) - auch nicht für eine Übergangszeit toleriert werden. Dies gilt umso mehr, als die strittige
Regelung nicht die einzige Möglichkeit für die Beklagte darstellte, um die für die Ausgleichszahlungen erforderlichen
Mittel zu generieren.
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Im Übrigen war die Ausgleichsregelung nach Ziffer 7.5 HVV keineswegs als vorübergehende Regelung gedacht,
sondern von vornherein als Dauerregelung konzipiert. Dafür spricht auch, dass die Regelung hinsichtlich ihres
belastenden Teils erst ab dem Quartal II/2007 außer Kraft trat, und dies auch nur deswegen, weil durch die
fortlaufende Absenkung der Eingriffsschwelle auf jeweils 95 % pro Quartal ein zu finanzierender Ausgleichsbedarf
weitgehend entfallen ist. Die Beklagte hat sich erst im Zuge der rechtlichen Auseinandersetzungen darauf berufen,
dass es sich bei der Ausgleichsregelung nach Ziffer 7.5 HVV um eine zu erprobende Regelung handele.
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Die Beklagte kann sich - wie dargestellt - auch nicht darauf berufen, zu einer Modifizierung - vergleichbar den vom
BewA getroffenen Übergangsregelungen (etwa im Rahmen einer sogenannten "Konvergenzphase") - berechtigt
gewesen zu sein. Denn der Gestaltungsspielraum des vorrangigen Normgebers ist ein anderer als der eines
nachrangigen - zur Umsetzung verpflichteten - Normgebers. Während etwa dem BewA das Recht zuzugestehen ist,
eine allmähliche Anpassung an die Vorgaben des § 85 SGB V genügen zu lassen und übergangsweise noch
Abweichungen zu tolerieren (s hierzu BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 54 RdNr 21, auch zur Veröffentlichung in BSGE
vorgesehen), gilt dies nicht im gleichen Maße auch für die KÄVen, da andernfalls nicht sichergestellt wäre, dass
bundeseinheitlich geltende Vorgaben umgesetzt würden.
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f) Da die Ausgleichsregelung nach Ziffer 7.5 HVV, soweit sie Honorarkürzungen bei Fallwerterhöhungen bestimmt,
bereits aus den dargestellten Gründen unwirksam ist, kann offenbleiben, ob dies auch unter Berücksichtigung der
Entscheidung des Senats zur sogenannten "Segeberger Wippe" (BSGE 75, 37 = SozR 3-2500 § 85 Nr 7) der Fall
wäre.
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3. Nach der erforderlichen Anpassung des HVV wird die Beklagte neu über die Honoraransprüche des Klägers zu
entscheiden haben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der
§§ 154 ff VwGO. Danach hat die Beklagte die Kosten des erfolglos eingelegten Rechtsmittels zu tragen (§ 154 Abs 2
VwGO).