Urteil des BSG vom 13.03.2017

BSG (kläger, besondere härte, ursächlicher zusammenhang, vereinbarung, vvg, höhe, lebensversicherung, grund, wirtschaftliche betrachtungsweise, verwertung)

BUNDESSOZIALGERICHT Urteil vom 31.10.2007, B 14/11b AS 63/06 R
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Vermögensberücksichtigung -
Kapitallebensversicherung - rückwirkender Verwertungsausschluss nach § 165 VVG -
Beratungspflicht - sozialrechtlicher Herstellungsanspruch - offensichtliche
Unwirtschaftlichkeit - besondere Härte
Leitsätze
1. Die vertragliche Vereinbarung zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer über einen
Ausschluss der Verwertbarkeit einer Lebensversicherung vor dem Eintritt in den Ruhestand
kann nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ersetzt werden.
2. Zum Umfang der Beratungspflichten der Grundsicherungsträger nach dem SGB 2.
Tatbestand
1 Die Kläger begehren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten
Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für die Zeit ab 23. Mai
2005.
Der am 17. August 1949 geborene Kläger zu 1 bezog bis zum 22. Mai 2005 Arbeitslosengeld
nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung (SGB III) in Höhe von täglich
36,32 Euro. Am 11. Mai 2005 beantragte er bei der Beklagten für sich und seine am 19.
Januar 1954 geborene Ehefrau (Klägerin zu 2) Leistungen nach dem SGB II. Zum
Antragszeitpunkt verfügten die Kläger über folgende Vermögenswerte:
-Bausparvertrag in Höhe von 4.542,52 Euro
-Girokonto in Höhe von 2.160,76 Euro
-Bargeld in Höhe von 200,00 Euro
-Kapital-Lebensversicherung mit einem Rückkaufswert von 27.401,00 Euro
(Versicherungssumme: 50.852,42 Euro; Guthabenswert 28.522,00 Euro).
2 Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 31. Mai 2005 den Antrag ab, weil die Kläger nicht
hilfebedürftig seien. Das zu berücksichtigende Vermögen übersteige mit 35.431,35 Euro die
anzuerkennenden Grundfreibeträge. Die Kläger legten am 6. Juni 2005 Widerspruch ein und
führten zur Begründung aus, die Lebensversicherung habe ursprünglich zum 1. Juli 2009 mit
einem Guthaben von 50.852,42 Euro fällig werden und der zusätzlichen Altersversorgung
dienen sollen. Auf Grund der Arbeitslosigkeit des Klägers zu 1 seien sie nicht mehr in der
Lage gewesen, den monatlichen Versicherungsbeitrag von 293,18 Euro zu zahlen, sodass
die Versicherung beitragsfrei gestellt worden sei. Der Rückkaufswert dieser Versicherung
betrage nur 27.401,00 Euro. Die Auflösung des Lebensversicherungsvertrages sei
wirtschaftlich nicht sinnvoll und würde eine unzumutbare Härte darstellen. Sie seien aber mit
einem Auszahlungsvorbehalt durch die Agentur für Arbeit bis zum 1. Juli 2009 einverstanden.
Die Beklagte wies den Widerspruch durch Bescheid vom 13. Juni 2005 zurück. Zur
Begründung hat sie ua ausgeführt, von einer Unwirtschaftlichkeit der Verwertung könne
angesichts des Rückkaufswertes der Lebensversicherung nicht ausgegangen werden. Nach
Klageerhebung zum Sozialgericht (SG) Duisburg wies dieses die Kläger mit Schreiben vom 5.
August 2005 auf die Vorschrift des § 12 Abs 2 Nr 3 SGB II hin. Daraufhin vereinbarte der
Kläger zu 1 am 29. August 2005 einen Verwertungsausschluss gemäß § 165 Abs 3
Versicherungsvertragsgesetz (VVG) mit seinem Lebensversicherer. Seit diesem Zeitpunkt (29.
August 2005) erhalten die Kläger Leistungen nach dem SGB II (Bewilligungsbescheid vom 8.
Februar 2006). Die Kläger wiesen zur Klagebegründung nunmehr ergänzend darauf hin, dass
die Beklagte sie bereits bei Antragstellung oder spätestens während des
Widerspruchsverfahrens auf die Möglichkeit des § 12 Abs 2 Nr 3 SGB II hätte hinweisen
müssen. Wäre ein solcher Hinweis erfolgt, so hätte der Kläger zu 1 sich bereits zum
damaligen Zeitpunkt um eine entsprechende Vereinbarung mit seinem Lebensversicherer
bemüht.
3 Durch Urteil vom 9. Juni 2006 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide
verurteilt, den Klägern Leistungen ab 23. Mai 2005 nach dem SGB II ohne Berücksichtigung
von Vermögen nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu bewilligen. Zur Begründung
hat es ausgeführt, wegen des Hinweises in § 12 Abs 2 Nr 3 SGB II auf § 165 Abs 3 VVG
bestehe eine so große Sachnähe zwischen den zivilrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten
und den sozialrechtlichen Ansprüchen, dass sich entsprechende Beratungspflichten des
Sozialleistungsträgers auch auf diese Gestaltungsmöglichkeiten beziehen müssten. Zwar
liege die Vereinbarung nach § 165 Abs 3 VVG grundsätzlich außerhalb des
Sozialrechtsverhältnisses. Faktisch wirke die zum 29. August 2006 geschlossene
Vereinbarung jedoch zurück, denn der Kläger könne auch im Nachhinein für die hier streitige
Zeit die Versicherung auf Grund der Vereinbarung nach § 165 Abs 3 VVG nicht mehr
verwerten. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-
Westfalen durch Urteil vom 20. November 2006 das Urteil des SG Duisburg geändert und die
Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, das SG habe die
Beklagte zu Unrecht verurteilt, den Klägern Leistungen ab dem 23. Mai 2005 zu gewähren.
Angesichts der vorhandenen verwertbaren Vermögensgegenstände seien die Kläger nicht
hilfebedürftig iS des § 9 Abs 1 SGB II gewesen. Den Klägern stehe insgesamt ein
Grundfreibetrag nach dem SGB II in Höhe von 22.700,00 Euro zu. Bereits die verwertbare
Kapitallebensversicherung mit einem Rückkaufswert von 27.401,00 Euro übersteige diesen
Freibetrag. Die Kläger könnten sich auch nicht auf § 12 Abs 2 Nr 3 SGB II berufen. Der
Verwertungsausschluss gemäß § 165 VVG sei erst am 29. August 2005 vereinbart worden.
Auch wenn dieser Verwertungsausschluss rückwirkend zum 1. Januar 2005 wirksam
geworden sein sollte, ändere dies nichts daran, dass den Klägern im streitigen Zeitraum die
Verwertung jederzeit möglich gewesen wäre. Auch lägen die Voraussetzungen eines
sozialrechtlichen Herstellungsanspruches nicht vor. Der Senat neige zwar der Auffassung zu,
dass die Beklagte jedenfalls nach Kenntnisnahme des Widerspruchsschreibens vom 6. Juni
2005 den Kläger zu 1 darüber hätte aufklären müssen, dass er durch Vereinbarung eines
Verwertungsausschlusses gemäß § 165 Abs 3 VVG seine Lebensversicherung aus der
Berücksichtigung nach dem SGB II hätte ausschließen können. Wegen der engen
Verknüpfung zur sozialrechtlichen Regelung im SGB II wäre ein solcher Hinweis auch auf
eine zivilrechtliche Gestaltungsmöglichkeit nötig und erforderlich gewesen. Andererseits
bestünden auf Grund der Erklärungen des Klägers zu 1 im sozialgerichtlichen Verfahren
Zweifel, ob diesem nicht die Möglichkeit einer Vereinbarung eines Verwertungsausschlusses
auf Grund von Informationen seines Lebensversicherers bereits bekannt gewesen sei. Es
"spreche viel dafür", dass der Kläger schon vor Abfassung des Widerspruchsschreibens vom
6. Juni 2005 über die Möglichkeit der Vereinbarung eines Verwertungsausschlusses
informiert gewesen sei. Dies könne aber dahinstehen, weil es ohnehin an der rechtlichen bzw
tatsächlichen Möglichkeit fehle, die Kläger so zu stellen, als wären sie ordnungsgemäß
beraten worden. Der soziale Leistungsträger sei nicht in der Lage, durch eine ihm mögliche
Amtshandlung eine privatrechtliche Vereinbarung zwischen dem Kläger zu 1 und dem
Lebensversicherer bereits für den hier streitigen Zeitraum herbeizuführen. Auch liege keine
offensichtliche Unwirtschaftlichkeit der Verwertung bzw eine besondere Härte bei der
Verwertung der Lebensversicherung vor. Schließlich könnten die Kläger sich auch nicht auf
die Übergangsvorschrift des § 65 Abs 5 SGB II berufen.
4 Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrer - vom LSG zugelassenen - Revision. Sie rügen -
sinngemäß - eine Verletzung des § 12 SGB II und der Grundsätze der Rechtsprechung über
den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch. Der vereinbarte Verwertungsausschluss der
Lebensversicherung sei in jedem Falle zu beachten, weil er sich rückwirkende Geltung
beigelegt habe. Im Übrigen hätte die Beklagte ihn - den Kläger zu 1 - auf die Möglichkeit eines
Verwertungsausschlusses rechtzeitig hinweisen müssen, sodass er unverzüglich von seinem
Recht hätte Gebrauch machen können. Hierdurch sei ihm ein erheblicher Schaden
entstanden. Auch das LSG habe eingeräumt, dass die Beklagte ihre Beratungspflicht objektiv
rechtswidrig nicht erfüllt habe.
5 Die Kläger beantragen nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. November 2006
aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg
vom 9. Juni 2006 zurückzuweisen.
6 Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
7 Sie beruft sich auf den Inhalt des angefochtenen Urteils.
8 Die Beteiligten haben übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des
Gerichts ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz
) erklärt.
Entscheidungsgründe
9 Die Revision der Kläger ist unbegründet. Zu Recht hat das LSG entschieden, dass den
Klägern für den Zeitraum ab 23. Mai 2005 kein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts gemäß §§ 19 ff SGB II zusteht. Die Kläger sind nicht hilfebedürftig iS des §
9 Abs 1 SGB II. Es steht ihnen auch kein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch zur Seite.
10 Die Kläger begehren Leistungen ab 23. Mai 2005. Ab 29. August 2005 wurden ihnen
Leistungen nach dem SGB II bewilligt (Bewilligungsbescheid vom 8. Februar 2006). Unklar
bleibt, wieso die Kläger - wovon das LSG ausging - nur bis 31. Juli 2005 einen Anspruch
geltend machen, was aber letztlich dahin stehen kann, weil der Anspruch ohnehin nicht
besteht. Ob der Berufungsstreitwert gemäß § 144 Abs 1 Nr 1 SGG (500,00 Euro) erreicht
wurde, kann ebenfalls dahinstehen, weil das SG die Berufung ausdrücklich zugelassen hat.
Zu Recht hat das LSG sodann die beiden Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft jeweils als
Kläger angesehen und die Beteiligteneigenschaft der Beklagten gemäß § 70 SGG bejaht
(hierzu BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 1).
11 Die Kläger waren nicht hilfebedürftig gemäß § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II iVm § 9 Abs 1
SGB II (idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.
Dezember 2003, BGBl I, 2954). Hilfebedürftig ist im Sinne dieser Vorschrift, wer seinen
Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer
Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften
und Mitteln, vor allem nicht 1. durch die Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, 2. aus dem zu
berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe
nicht oder nicht ausreichend von anderen, insbesondere Angehörigen oder von Trägern
anderer Sozialleistungen erhält. Gemäß § 9 Abs 2 Satz 1 SGB II sind bei Personen, die wie
die Kläger in einer Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst a SGB II leben, auch
das Einkommen und Vermögen des jeweiligen Partners zu berücksichtigen. Das bei den
Partnern der Bedarfsgemeinschaft zum Zeitpunkt der Antragstellung vorhandene Vermögen
überstieg die Grundfreibeträge gemäß § 12 SGB II. Nach § 12 Abs 2 Nr 1 SGB II (idF der
Norm durch das Vierte SGB III-Änderungsgesetz vom 19. November 2004, BGBl I, 2902) war
vom Vermögen abzusetzen ein Grundfreibetrag in Höhe von 200,00 Euro je vollendetem
Lebensjahr des volljährigen Hilfebedürftigen und seines Partners, mindestens aber jeweils
4.100,00 Euro. Der Kläger hatte das 55. Lebensjahr vollendet, seine Ehefrau das 51.
Lebensjahr. Hieraus errechnet sich ein Grundfreibetrag gemäß § 12 Abs 2 Nr 1 SGB II in
Höhe von 21.200,00 Euro (55 x 200 Euro + 51 x 200 Euro). Unter Berücksichtigung des
Freibetrags für notwendige Anschaffungen gemäß § 12 Abs 2 Nr 4 SGB II in Höhe von
750,00 Euro für jeden in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Hilfebedürftigen ergab sich
mithin ein Gesamtfreibetrag von 22.700,00 Euro. Bereits der aus der Kapital-
Lebensversicherung zu realisierende Auszahlungsbetrag (Rückkaufswert) von 27.401,00
Euro übersteigt diesen Freibetrag, sodass es auf die weiteren Vermögenswerte nicht
ankommt.
12 Das LSG hat zu Recht entschieden, dass die Lebensversicherung im streitigen Zeitraum als
Vermögen zu berücksichtigen ist. Die Kläger können sich zunächst nicht auf die Norm des §
12 Abs 2 Nr 3 SGB II berufen. Hiernach sind vom Vermögen abzusetzen: Geldwerte
Ansprüche, die der Altersvorsorge dienen, soweit der Inhaber sie vor dem Eintritt in den
Ruhestand auf Grund einer vertraglichen Vereinbarung nicht verwerten kann und der Wert
der geldwerten Ansprüche 200,00 Euro je vollendetem Lebensjahr des erwerbsfähigen
Hilfebedürftigen und seines Partners, höchstens jedoch jeweils 13.000,00 Euro nicht
übersteigt. Der Kläger zu 1 hat die gemäß § 165 Abs 3 VVG erforderliche vertragliche
Vereinbarung am 29. August 2005 geschlossen. Es ist unbeachtlich, dass diese
Vereinbarung - nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG - sich Rückwirkung
beigemessen hat. Auch wenn der Verwertungsausschluss rückwirkend zum 1. Januar 2005
wirksam geworden sein sollte, ändert dies nichts daran, dass diese Rechtsfolge erst am 29.
August 2005 - also zeitlich nach dem hier streitigen Zeitraum - eingetreten ist. Die
Hilfebedürftigkeit der Kläger ist jeweils aktuell für den Zeitraum zu beurteilen, für den
Leistungen beansprucht werden. Im Zeitpunkt der Antragstellung bzw ab 23. Mai 2005 war
ein Verwertungsausschluss gemäß § 165 Abs 3 VVG gerade nicht vereinbart. Bei der hier
maßgebenden aktuellen Betrachtungsweise kann eine zeitlich später erfolgte vertragliche
Vereinbarung keine Wirksamkeit für vergangene Zeiträume entfalten.
13 Die Kläger können auch im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht so
gestellt werden, als sei diese Vereinbarung gemäß § 165 Abs 3 VVG früher als am 29.
August 2005 geschlossen worden. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch hat zur
Voraussetzung, dass der Sozialleistungsträger eine ihm auf Grund Gesetzes oder eines
Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht (a), insbesondere zur Beratung und Auskunft
(§§ 14, 15 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil ), verletzt hat (b). Ferner
ist erforderlich, dass zwischen der Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers und dem
Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang (c) besteht. Schließlich muss der
durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige
Amtshandlung beseitigt werden können (d). Die Korrektur durch den Herstellungsanspruch
darf dem jeweiligen Gesetzeszweck nicht widersprechen (e) (vgl Urteil des 7. Senats des
Bundessozialgerichts vom 1. April 2003 - Lohnsteuerklassenwechsel - BSGE 92,
267, 279 = SozR 4-4300 § 137 Nr 1 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Der Senat stimmt
dem LSG insoweit zu, dass die Beklagte hier ihre Beratungs- und Auskunftspflichten gemäß
§§ 14, 15 SGB I verletzt hat (sogleich a). Allerdings bestehen erhebliche Zweifel, ob
zwischen dieser Pflichtverletzung und dem Nachteil für den Betroffenen bereits ein
ursächlicher Zusammenhang bestand. Letzteres kann dahinstehen, weil die Korrektur des
Beratungsfehlers hier nicht durch eine zulässige Amtshandlung möglich ist (vgl sogleich
unter b).
14 a) Rechtsgrundlage für die Beratungspflicht in Form einer Hinweispflicht sind §§ 14, 15 SGB
I. Eine umfassende Beratungspflicht des Sozialversicherungsträgers bzw des
Sozialleistungsträgers besteht zunächst regelmäßig bei einem entsprechenden Beratungs-
und Auskunftsbegehren des Versicherten (vgl BSG Urteil vom 17. August 2000 - B 13 RJ
87/98 R - SGb 2000, 616; SozR 3-2600 § 115 Nr 9 S 59). Wie der 7. Senat des BSG mit
Urteil vom 8. Februar 2007 (B 7a AL 22/06 R - Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer -)
entschieden hat, besteht ausnahmsweise jedoch auch dann eine Hinweis- und
Beratungspflicht des Versicherungsträgers, wenn anlässlich einer konkreten
Sachbearbeitung dem jeweiligen Mitarbeiter eine nahe liegende Gestaltungsmöglichkeit
ersichtlich ist, die ein verständiger Versicherter wahrnehmen würde, wenn sie ihm bekannt
wäre (stRspr des BSG; vgl BSG SozR 4-1200 § 14 Nr 5 S 8 mit Anm Münder, SGb 2005,
239; BSGE 92, 34 = SozR 4-3100 § 60 Nr 1; SozR 3-2600 § 115 Nr 9 S 59 mit Anm Köhler,
SGb 2003, 407; BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 29 S 96 mit Anm Hase, SGb 2001, 593; SozR 3-
4100 § 110 Nr 2 S 9; BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 16 S 49; BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 6 S 13;
BSG Urteil vom 22. Oktober 1998 - B 5 RJ 56/97 R - SGb 1999, 26; Meyer, SGb 1985, 57;
Funk, SDSRV 39, 51, 54 ff). Dabei ist die Frage, ob eine Gestaltungsmöglichkeit klar zu
Tage liegt, allein nach objektiven Merkmalen zu beurteilen (BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 16 S
50). Sie liegt jedenfalls nahe, wenn sie - wie hier in § 12 Abs 2 Nr 3 SGB II - im Gesetz
ausdrücklich geregelt ist. Eine derartige Verpflichtung zur Spontanberatung trifft den
Sozialleistungsträger insbesondere im Rahmen eines Sozialrechtsverhältnisses. Zum
Leistungsrecht der Bundesagentur für Arbeit (BA) nach dem SGB III hat der 7. Senat des
BSG entschieden, dass ein solches Sozialrechtsverhältnis bereits durch die
Arbeitslosmeldung bzw die Antragstellung bei der BA entsteht (BSG SozR 4-4300 § 324 Nr
3 RdNr 18; BSG SozR 4100 § 44 Nr 9 S 28; BSGE 92, 267, 269 = SozR 4-4300 § 137 Nr 1 S
3). Dementsprechend hat eine gesteigerte Beratungs- und Hinweispflicht der Beklagten hier
bereits im Zeitpunkt der Antragstellung eingesetzt. Eine solche hat der 7. Senat des BSG
etwa bei einer Gesetzesänderung (Einführung der Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer)
auf Grund einer Arbeitslosmeldung eines Arbeitnehmers bejaht, der das nach dem Gesetz
für die Inanspruchnahme einer Vergünstigung maßgebliche Lebensalter erreicht hatte (BSG
SozR 4-4300 § 324 Nr 3). Auch im Rahmen des Lohnsteuerklassenwechsels hat die
Rechtsprechung eine Verpflichtung der Verwaltung zur Beratung bzw zur Erteilung von
Hinweisen aus den §§ 14, 15 SGB I abgeleitet, die bereits bei Antragstellung etwa in der
Form sachgerechter Merkblätter zu erfüllen ist (BSGE 92, 267, 278 = SozR 4-4300 § 137 Nr
1). Es besteht keine Veranlassung, Antragsteller auf Leistungen nach dem SGB II
hinsichtlich ihrer Hinweis- und Beratungsrechte anders zu behandeln als Antragsteller nach
dem SGB III. Danach könnte hier, anders als das LSG angenommen hat, nicht erst nachdem
die Beklagte vom Widerspruchsschreiben des Klägers zu 1 Kenntnis erlangt hatte, eine
Hinweis- und Beratungspflicht entstanden sein, sondern bereits bei der Antragstellung. Die
§§ 14, 15 SGB I beanspruchen insofern Geltung in allen Büchern des SGB.
15 Eine Beratungspflicht bereits bei Antragstellung wird im Übrigen auch durch die gesetzliche
Konzeption des SGB II gefordert, die auf umfassende Unterstützung durch einen
persönlichen Ansprechpartner ausgerichtet ist. § 14 Satz 1 SGB II betont, dass die Träger
der Leistungen nach dem SGB II erwerbsfähige Hilfebedürftige umfassend mit dem Ziel der
Eingliederung in Arbeit unterstützen. Hierfür soll die Agentur für Arbeit einen persönlichen
Ansprechpartner (Fallmanager) für jeden erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und die mit ihm in
Bedarfsgemeinschaft Lebenden benennen (§ 14 Satz 2 SGB II). Das BSG hat bereits in
anderem Zusammenhang (SozR 4-1200 § 14 Nr 5 - Beratungspflichten des Jugendamtes)
darauf hingewiesen, dass für den persönlichen Ansprechpartner iS des § 14 SGB II eine
gesetzlich normierte weit gehende Beratungs- und Aufklärungspflicht gegenüber dem
erwerbsfähigen Hilfebedürftigen iS des SGB II über den jeweiligen Beratungsanlass hinaus
besteht. Beratung und Aufklärung des Hilfebedürftigen durch den persönlichen
Ansprechpartner sind "Querschnittsaufgaben", die für das Aktivierungskonzept des SGB II
mit der Betonung einer vertraglichen oder zumindest vertragsähnlichen Beziehung zwischen
Leistungsempfänger und Fallmanager von essenzieller Bedeutung sind (vgl BSG SozR 4-
1200 § 14 Nr 5; Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 4 RdNr 8 ff; Vor in Estelmann, SGB
II, § 4 RdNr 7 ff, Stand Mai 2007). Dies kommt bereits im ursprünglichen Gesetzentwurf der
Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 5. September 2003 (BT-Drucks 15/1516 S
44) zum Ausdruck: "Im Rahmen des Fallmanagements wird die konkrete Bedarfslage des
Betroffenen erhoben; darauf aufbauend wird dann ein individuelles Angebot unter aktiver
Mitarbeit des Hilfebedürftigen geplant und gesteuert." Konsequenz dieser gesteigerten
Beziehung kann es auch sein, dass die Beratungs- und Betreuungspflichten des
persönlichen Ansprechpartners iS des § 14 Satz 2 SGB II auch hinsichtlich der Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß §§ 19 ff SGB II über die nach den §§ 14, 15 SGB
I erforderliche Intensität noch hinausgehen.
16 b) Intensität und Zeitpunkt der der Beklagten obliegenden Beratungspflichten können hier
jedoch dahinstehen, weil ein hieraus abzuleitender Herstellungsanspruch der Kläger aus
anderen Gründen nicht in Betracht kommt. Er könnte hier bereits daran scheitern, dass der
Kläger zu 1 schon vor dem Hinweis des SG im August 2005 von seinem
Lebensversicherungsunternehmen selbst über die Möglichkeit eines
Verwertungsausschlusses informiert worden ist. In diesem Falle würde es an der Kausalität
des Beratungsfehlers für einen Nachteil auf Seiten der Kläger fehlen. Das LSG hat dies
jedoch dahinstehen lassen, weil es an der weiteren Tatbestandsvoraussetzung eines
sozialrechtlichen Herstellungsanspruches fehle, dass der Nachteil durch eine zulässige
Amtshandlung ausgeglichen werden kann. Dem stimmt der erkennende Senat im Ergebnis
zu.
17 Die Vereinbarung eines Verwertungsausschlusses gemäß § 165 Abs 3 VVG stellt einen -
zivilrechtlichen - Vertrag dar, mit dem sich Versicherungsnehmer und Versicherungsgeber
durch überreinstimmende Willenserklärungen über eine Rechtsfolge - Ausschluss der
Verwertung vor Eintritt in den Ruhestand - einigen. Diese Rechtsfolge kann mithin nur der
Kläger zu 1 selbst herbeiführen. Es ist nicht möglich, die Kläger im Wege einer
Amtshandlung so zu stellen, als hätte der Kläger zu 1 bereits zu einem früheren Zeitpunkt
den Verwertungsausschluss vertraglich vereinbart. Im Unterschied und zur Abgrenzung zum
Amtshaftungsanspruch kommt im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs eine
Ersetzung von tatsächlichen Umständen - wie dem Vorliegen einer vertraglichen
Vereinbarung - denen gestaltende Entscheidungen des Antragstellers zu Grunde liegen,
nicht in Betracht (vgl BSG Urteil vom 31. Januar 2006 - B 11a AL 15/05 R mwN; vgl auch
Ladage, Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch, 1990, insbes S 100 f; ebenso Kreßel,
NZS 1994, 395, 400; kritisch Bieback, SGb 1990, 517, 518). Zu Recht hat das LSG darauf
hingewiesen, dass die vorliegende Konstellation derjenigen entspricht, in der das BSG es
mangels vorherigen Lohnsteuerklassenwechsels abgelehnt hat, im Wege des
Herstellungsanspruchs eine in die Lohnsteuerkarte eingetragene Lohnsteuerklasse durch
eine günstigere Steuerklasse zu ersetzen. Insofern fehlt es in beiden Fällen an der
Voraussetzung, dass der Nachteil durch eine vom Gesetz vorgesehene und zulässige
Amtshandlung ausgeglichen werden kann (vgl hierzu BSG Urteil vom 16. März 2005 - B
11a/11 AL 45/04 R). Eine in der Gestaltungsmacht ausschließlich des Bürgers liegende
vertragliche Disposition kann nicht im Wege des Herstellungsanspruchs nachgeholt bzw
fingiert werden, weil sie insoweit außerhalb des Sozialrechtsverhältnisses liegt.
18 Die Verwertung der Lebensversicherung im streitigen Zeitraum ab 23. Mai 2005 war auch
nicht offensichtlich unwirtschaftlich iS des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II. Hiernach sind als
Vermögen nicht zu berücksichtigen Sachen und Rechte, soweit ihre Verwertung
offensichtlich unwirtschaftlich ist oder für den Betroffenen eine besondere Härte bedeuten
würde. Der Senat hat zuletzt (Urteil vom 6. September 2007 - B 14/7b AS 66/06 R)
klargestellt, dass hinsichtlich des Begriffs der offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit eine rein
wirtschaftliche Betrachtungsweise geboten ist. Der Senat hat hierbei entschieden, dass die
im früheren Recht der Arbeitslosenhilfe gezogene Verlustgrenze von 10 Prozent im Rahmen
des SGB II uU nicht mehr maßgeblich ist. Allerdings lag im dort zu entscheidenden Fall eine
offensichtliche Unwirtschaftlichkeit vor, soweit der Kläger bei Rückkauf bzw Verkauf einer
Rentenversicherung 48,2 Prozent der eingezahlten Beträge verlor. Letztlich kann der genaue
Grenzwert der offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit iS des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II aber
dahinstehen, weil im vorliegenden Fall die Summe der eingezahlten Beträge - nach den
insofern unangefochtenen Feststellungen des LSG - erheblich weniger als 10 vH über der
Höhe des Rückkaufswerts lag. Eine offensichtliche Unwirtschaftlichkeit scheidet daher auf
Grund der tatsächlichen Gegebenheiten aus. Im Rahmen der besonderen Härte gemäß § 12
Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II (2. Alternative) ist hingegen eine Gesamtberücksichtigung aller
Umstände des Einzelfalls möglich und geboten (vgl zum Rechtsbegriff der besonderen Härte
auch BSG Urteil vom 16. Mai 2007, B 11b AS 37/06 R). Insofern ist das LSG rechtsfehlerfrei
davon ausgegangen, dass bei dem Kläger zu 1 eine besondere Härte nicht bejaht werden
kann. Der Kläger zu 1 hat selbst vorgetragen, dass er mit einer Altersrente in Höhe von
voraussichtlich 1.148,04 Euro monatlich rechnen könne. Insofern liegt bei ihm kein
atypischer Lebens- oder Versicherungsverlauf vor, der eine besondere Schonung des
Altersvorsorgevermögens (über die in § 12 Abs 2 Nr 2 und Nr 3 SGB II vorgesehenen
Möglichkeiten hinaus) erforderlich erscheinen lässt (hierzu BSGE 94, 121, 122 = SozR 4-
4300 § 193 Nr 3 - fehlende Härtefallklauseln in der AlhiV 2002).
19 Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.