Urteil des BPatG vom 16.12.1992

BPatG: stand der technik, lebensmittel, fett, patentanspruch, begriff, neuheit, wasser, fig, gemüse, erfindung

BPatG 253
08.05
BUNDESPATENTGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
3 Ni 39/07
(Aktenzeichen)
URTEIL
An Verkündungs Statt
zugestellt am
In der Patentnichtigkeitssache
- 2 -
betreffend das deutsche Patent 41 41 448
hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der
mündlichen Verhandlung vom 23. Juni 2009 unter Mitwirkung der Vorsitzenden
Richterin Dr. Schermer sowie des Richters Engels, der Richterin
Dipl.-Chem. Dr. Proksch-Ledig, des Richters Dipl.-Chem. Dr. Gerster und der
Richterin Dr. Schuster
für Recht erkannt:
1.
Die Klage wird abgewiesen.
2.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung
in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig
vollstreckbar.
- 3 -
Tatbestand
Die Beklagte zu 5 ist eingetragene Mitinhaberin des am 16. Dezember 1992 beim
Deutschen Patent- und Markenamt angemeldeten und am 19. Oktober 1995 er-
teilten deutschen Patents DE 41 41 448. Die Beklagte 1 bis 4 sind Erben des noch
im Patentregister eingetragenen weiteren Mitinhabers O…, der am
9. Februar 2009 verstorben ist. Das Streitpatent betrifft „Verfahren zur Herstellung
von
tiefgefrorenen
verzehrfertigen
Fertiggerichten“
und
umfasst
10 Patentansprüche. Patentanspruch 1 lautet:
1.
Verfahren zur Herstellung von tiefgefrorenen, verzehrfertigen
Gemüsebeilagen oder Fertiggerichten mit oder ohne Fleisch-
und/oder Meerestierzusatz, indem bereits tiefgefrorene, frei rol-
lende Komponenten in einem rotierenden Mischer gemischt, durch
Besprühen mit einer über den Gefrierpunkt temperaturkontrollier-
ten Soßenemulsion oder zum flüssigen Zustand erhitztem Fett be-
schichtet und die Beschichtungen unter fortgesetzter Rotation auf
den einzelnen Komponenten gleichmäßig angelagert und festge-
froren werden, ohne dass diese untereinander zusammenfrieren,
dadurch gekennzeichnet,
Kälteeinleitung erfolgt.
Die Patentansprüche 2 bis 10 betreffen besondere Ausgestaltungen des
Verfahrens nach Anspruch 1.
Die Klägerin macht mit der vorliegenden Klage die vollumfängliche
Nichtigerklärung des Streitpatents wegen fehlender Neuheit und fehlender
erfinderischer Tätigkeit geltend. Auch gehe der Gegenstand des Patents über den
Inhalt der Anmeldung in der Fassung hinaus, in der sie beim Deutschen Patent-
und Markenamt ursprünglich eingereicht worden sei. Das Patent offenbare ferner
die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen
könne. Sie stützt sich auf die Druckschriften:
- 4 -
K01
DE 41 41 448 C2 (Streitpatent)
K02
Merkmalsanalyse des Anspruchs 1 des Streitpatents
K03
DE 41 41 448 A1
K04
Meyers Lexikon online, Stichwort: Vakuum
K05
DE 34 17 031 A1
K06
DE 691 15 797 T2
K07
US 3 607 313
K08
Richtlinie 89/108/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur
Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über tief-
gefrorene Lebensmittel
K09
DE 29 26 992 A1
K10
US 4 894 245
K11
DE 82 34 869.3 U1
K12
DE 28 41 199 A1
K13
DE 31 38 995 A1
K14
US 4 394 259
K15
DE 38 11 048 A1
Die Ansprüche 6 und 7 seien bezüglich des Austauschs des ursprünglich
offenbarten Merkmals „Vakuum“ durch das nicht offenbarte Merkmal „Unterdruck“
unzulässig erweitert. Auch seien die Ansprüche 8 bis 10 nunmehr nicht auf die
Anwendung des Verfahrens, sondern auf das Verfahren selbst gerichtet und auch
auf einen der Ansprüche 1 bis 7 rückbezogen und nicht, wie ursprünglich jeweils
auf die Anwendungen des Verfahrens nach Anspruch 1 bis 6. Der
Offenbarungsmangel liege darin, dass der Fachmann dem Streitpatent keinerlei
Lehre
entnehmen
könne,
wie
die
Soßenemulsion
oder
das
Fett
temperaturkontrolliert werde.
Die Klägerin bestreitet die Neuheit des Verfahrens gemäß Anspruch 1 und des
eingeschränkt verteidigten Anspruchs 1 jeweils gegenüber K05 und der
nachveröffentlichten Anmeldung mit älterem Zeitrang K06. Das Verfahren gemäß
verteidigtem Anspruch 1 sei gegenüber K05 und K08 bzw. K15 nicht erfinderisch.
- 5 -
Dies gelte auch gegenüber K07 im Lichte von K08. Auch die geltenden
Unteransprüche seien nicht erfinderisch, wozu zusätzlich noch auf die
Druckschriften K10 bis K15 verwiesen werde.
Die Klägerin beantragt,
das deutsche Patent DE 41 41 448 C2 in vollem Umfang für nich-
tig zu erklären.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Hilfsweise verteidigen sie das Streitpatent dadurch, dass das kennzeichnende
Merkmal in Patentanspruch 1 zur Klarstellung wie folgt lautet: „dass die Kälteein-
leitung in den rotierenden Mischer erfolgt“.
Sie treten dem Vorbringen der Klägerin in allen Punkten entgegen und machen
geltend, dass die Ansprüche 6 und 7 nicht unzulässig erweitert seien, und auch in
den geänderten Rückbezügen der Ansprüche 8 bis 10 keine unzulässige
Erweiterung gesehen werden könne. Es liege auch kein Offenbarungsmangel vor.
Das Verfahren gemäß Anspruch 1 sei neu und beruhe auch auf einer
erfinderischen Tätigkeit. Weder bei K05 noch bei K06 erfolge nämlich nach der
Beschichtung eine Kälteeinleitung im Sinne des Streitpatents in den rotierenden
Mischer gemäß kennzeichnendem Teil des Anspruchs 1. Der Fachmann erhalte
auch im gesamten Stand der Technik keine Anregung, diese Maßnahme
durchzuführen.
Die Beklagten zu 1 bis 4 haben im Termin zur mündlichen Verhandlung vom
23. Juni 2009 den Rechtsstreit als Rechtsnachfolgerin des ursprünglich Beklagten
O… aufgenommen, die Klägerin hat ihr Einverständnis erklärt und die ur-
- 6 -
sprünglich gegen den noch im Patentregister eingetragenen, verstorbenen
O…l gerichtete Klage umgestellt. Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Par-
teien sowie hinsichtlich der weiteren Patentansprüche wird auf den Akteninhalt
verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die auf Nichtigerklärung des Streitpatents gerichtete Klage ist zulässig aber
unbegründet und deshalb abzuweisen. Nachdem die jetzigen Beklagten 1 bis 4 als
Miterben und Gesamtrechtsnachfolger des noch im Patentregister eingetragenen
weiteren Patentinhabers O… mit dessen Tod am 9. Februar 2009 Partei
des - wegen der Vertretung durch den Verfahrensbevollmächtigten nach § 246
Abs. 1 ZPO nicht unterbrochenen - Streitverfahrens geworden sind (vgl.
BGHZ 121, 263) und das Verfahren auch durch ausdrückliche Erklärung
fortgeführt haben, ist der Rechtsstreit entscheidungsreif. Insbesondere bedurfte es
zur wirksamen Verfahrensbeteiligung und Verfahrensführungsbefugnis der
Beklagten zu 1 bis 4 keiner vorherigen Umschreibung des Patentregisters, da § 30
Abs. 3 Satz 2 PatG insoweit nicht anwendbar ist (vgl. BPatGE 29, 244;
BPatGE 32, 153; Rudloff-Schäffer in Schulte, PatG, 8. Aufl., § 30 Rdn. 51; Kühnen
a. a. O. § 81 Rdn. 18).
I.
1.
Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Herstellung tiefgefrorener Fertigge-
richte mit stückigen Hauptbestandteilen pflanzlicher oder tierischer Herkunft, wie
Gemüse oder Gulasch mit Soße und befasst sich mit der Herstellung von Tief-
kühlkost. Darunter versteht man industriell hergestellte Lebensmittel, die durch
Tiefkühlung konserviert werden. Tiefgefrorene Lebensmittel sind nach der Richtli-
nie 89/108/EWG (K08) Lebensmittel, die einem Gefrierprozess unterzogen worden
sind, bei dem der Temperaturbereich der maximalen Kristallisation entsprechend
der Art des Erzeugnisses so schnell wie nötig durchschritten wird, mit der Wir-
kung, dass die Temperatur des Erzeugnisses an allen seinen Punkten - nach
- 7 -
thermischer Stabilisierung - ständig bei Werten von mindestens minus 18° C
gehalten wird (K08 Artikel 1 (2)). Die Temperatur tiefgefrorener Lebensmittel muss
gleichbleibend sein und an allen Punkten des Erzeugnisses auf minus 18° C oder
niedriger gehalten werden (K08 Artikel 5 (1)). Stand der Technik ist ein Verfahren
zur Herstellung solcher Lebensmittel, bei dem ein mit Wasser bzw. Fett gebunde-
nes Granulat an einen Teil stückiger Hauptbestandteile angelagert wird. Nachteilig
ist dabei, dass mit einem insgesamt trockenen Granulat gearbeitet wird, bei Ar-
beiten mit Fett der erforderliche Fettanteil nicht eingearbeitet werden kann, und
keine erneute Tiefkühlung erfolgt. Bei einem weiteren Verfahren werden mit ge-
sonderten Quellsubstanzen vermischte Geschmacksstoffe durch Wasser oder
durch zuvor aufgespritztes Fett auf tiefgefrorene Lebensmittel aufgebracht. Damit
kann weder eine optimale Soßenkonsistenz noch eine sichere Bindung an frei
rollende Komponenten für die anschließende Portionierung erreicht werden. Man-
gels Rückkühlung kann auch hier ein lückenloser Frostungszustand nicht ge-
währleistet werden. Bei einem weiteren Verfahren wird deutlich über dem Gefrier-
punkt gearbeitet und die Lebensmittelstücke und das pulvrige Anlagerungsgut in-
tensiv verwirbelt, was keine sichere Anlagerung gewährleistet und zu einer Er-
wärmung und Umkristallisation des Zellinhalts im Kern der Stücke führen kann.
Schließlich ist zwar bei einem weiteren Verfahren Soße auf tiefgefrorene Lebens-
mittel aufgesprüht worden, deren niedrige Temperatur zum Auffrieren der Soße
führt. Dabei frieren aber die einzelnen Stücke aneinander an (vgl. Streitpatent
Sp. 1 Z. 7 bis 56).
2.
Davon ausgehend liegt dem Streitpatent die Aufgabe zugrunde, ein
energiesparendes Verfahren zur Herstellung tiefgefrorener Fertiggerichte mit stü-
ckigem Hauptbestandteil zu schaffen, die ohne zusätzliche Konditionierungsmittel,
wie Stärke oder Beschichtungswachse, ohne Entmischungsgefahr beliebig portio-
nierbar sind (Streitpatent Sp. 2 Z. 12 bis 17).
3.
Die Aufgabe wird durch ein Verfahren nach dem erteilten Patentanspruch 1
gemäß Hauptantrag mit folgenden Merkmalen gelöst:
- 8 -
1.1.1 Verfahren zur Herstellung von tiefgefrorenen, verzehrferti-
gen Gemüsebeilagen
1.1.2 oder Fertiggerichten mit oder ohne Fleisch- und/oder
Meerestierzusatz,
1.2
in dem bereits tiefgefrorene, frei rollende Komponenten in
einem rotierenden Mischer gemischt,
1.3
durch Besprühen mit einer über dem Gefrierpunkt tempera-
turkontrollierten Soßenemulsion oder zum flüssigen Zu-
stand erhitztem Fett beschichtet und
1.4
die Beschichtungen unter fortgesetzter Rotation auf den
einzelnen Komponenten gleichmäßig angelagert und fest-
gefroren werden, ohne dass diese untereinander zusam-
menfrieren,
1.5
dadurch gekennzeichnet, dass nach der Beschichtung eine
Kälteeinleitung erfolgt.
4.
Zuständiger Fachmann ist ein Ingenieur der Lebensmitteltechnik mit langjähri-
ger Erfahrung in der Herstellung von Tiefkühlprodukten, der über spezielle Kennt-
nisse in der Kältetechnik verfügt.
II.
1.
Die erteilten Patentansprüche 1 bis 10 gemäß Hauptantrag enthalten entge-
gen der Rechtsansicht der Klägerin keine unzulässige Erweiterung des Inhalts der
ursprünglich eingereichten Anmeldung i. S. v. §§ 22 Abs. 1, 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG.
Denn sie sind aus den Ansprüchen 1 bis 9 i. V. m. S. 4 le. Abs. bis S. 5 Abs. 2 und
S. 7 Abs. 1 der Erstunterlagen ableitbar. Dies gilt auch für die geltenden Patentan-
sprüche 6 und 7. In diesen Patentansprüchen wurde lediglich der in den ursprüng-
lichen Unterlagen genannte Begriff „Vakuum“ durch den Begriff „Unterdruck“ er-
setzt. Beim Streitpatent wird gemäß den Erstunterlagen an den Schneckenmi-
scher ein Vakuum angelegt, wodurch die Charge aus dem Vorlagenbehälter ein-
gesogen wird, und im weiteren wird nochmals Vakuum angelegt, um das fertige
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Mischgut aus dem Mischer in den Vorratsbehälter zu überführen (K03 Sp. 3 Z. 52
bis 58 und Sp. 4 Z. 14 bis 17). Durch das Anlegen von Vakuum wird ein Unter-
druck erzeugt und das Verfahren läuft bis auf die Kälteeinleitung unter Unterdruck
ab, der das Fördern des Mischguts bewirkt. Ein Evakuieren des Mischers, um ein
Vakuum gemäß der physikalischen Erläuterung K04 zu erreichen, ist also beim
Streitpatent nicht beabsichtigt. Der im Verlauf des Prüfungsverfahrens eingeführte
Begriff Unterdruck für Vakuum in den Patentansprüchen 6 und 7 beschreibt daher
das Verfahren in technisch korrekter Weise entsprechend seiner Funktion und
führt nicht zu einer unzulässigen Erweiterung. Auch die Rückbezüge der Ansprü-
che 8 bis 10 sind in zulässiger Weise berichtigt, da die ursprünglichen Rückbe-
züge der Patentansprüche 7 bis 9 auf die Ansprüche 1 bis 6 offensichtlich nicht
korrekt waren. Diese bezogen sich nämlich gleichzeitig auf die nur als Alternativen
in den ursprünglichen Ansprüchen 2 bis 4 genannten Mischertypen. Im Übrigen ist
der Anmelder an die von ihm ursprünglich oder später eingereichten Fassungen
der Ansprüche nicht gebunden. Das Erteilungsverfahren dient dazu, eine gewähr-
bare Fassung der Ansprüche festzustellen (Schulte PatG 8. Aufl. § 34 Rdn. 198).
2.
Der Gegenstand des Streitpatents ist so deutlich und vollständig offenbart,
dass ein Fachmann ihn ausführen kann (§ 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG).
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist der Fachmann ohne spezielle Anwei-
sungen im Streitpatent beim Verfahren gemäß Anspruch 1 in der Lage, die Tem-
peratur einer Soßenemulsion über dem Gefrierpunkt entsprechend Merkmal 1.3
des Anspruchs 1 zu kontrollieren. Dem Fachmann ist es nämlich geläufig, welche
über dem Gefrierpunkt liegenden Temperaturen er einstellen und wie er diese re-
geln kann, um das Besprühen in einem tiefgekühlten rotierenden Mischer mit be-
reits tiefgefrorenen frei rollenden Komponenten durchführen zu können. Er muss
lediglich darauf achten, dass die Temperatur der Soße während des Besprühens
sicher über dem Gefrierpunkt gehalten wird, um ein Anfrieren bzw. Verstopfen der
Sprüheinrichtung zu vermeiden, und nicht zu hoch liegt, um das beschichtete Ge-
friergut nicht zu stark zu erwärmen (Streitpatent Sp. 2 Z. 59 bis 65, Sp. 3 Z. 44 bis
47, Z. 55 bis 66, Sp. 4 Z. 29 bis 37). Auch im gesamten Stand der Technik wird
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vorausgesetzt, dass dem Fachmann ohne detaillierte Anweisungen geläufig ist,
wie er eine entsprechende Temperaturkontrolle auszuführen hat (vgl. z.B. K05
S. 4 Abs. 1).
3.
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag ist neu.
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag betrifft ein Verfahren
zur Herstellung von tiefgefrorenen Gemüsebeilagen oder Fertiggerichten, bei dem
nach der Beschichtung gemäß Merkmal 1.5 eine Kälteeinleitung erfolgt. Die Klä-
gerin versteht unter Kälteeinleitung die Abfuhr von Wärme. Kälte sei nämlich
nichts Stoffliches und im Gegensatz zu Wärme kein physikalischer Begriff. Sie
fasst daher unter Kälteeinleitung gemäß Merkmal 1.5 des Patentanspruchs 1 jegli-
che Art von Kühlung auf. Zur Auslegung des Gegenstandes des verteidigten Pa-
tentanspruchs 1 ist aber der Sinngehalt der Patentansprüche in seiner Gesamtheit
und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der Erfin-
dung liefern, unter Heranziehung der den Patentanspruch erläuternden Beschrei-
bung und Figuren durch Auslegung zu ermitteln. Dabei stellt die Patentschrift im
Hinblick auf die dort gebrauchten Begriffe gleichsam ihr eigenes Lexikon dar (vgl.
BGH GRUR 2007, 410 [18] - Kettenradanordnung; 1999, 909 - Spannschraube).
Unter einer Kälteeinleitung ist demnach nicht irgendeine Kühlung, sondern nach
den Erläuterungen in der Streitpatentschrift die Einleitung bzw. das Einsprühen
oder Einspritzen eines Kältemittels, insbesondere Stickstoff, zu verstehen (vgl.
Sp. 2 Z. 30 bis 32, 59 bis 68, Sp. 3 Z. 55 bis Sp. 4 Z. 9 der Streitpatentschrift).
Diese Kälteeinleitung, bei der ein direkter Wärmeübergang zwischen den tiefgefro-
renen beschichteten Komponenten und dem zugeführten Kältemittel erfolgt, um-
fasst im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin also nicht eine indirekte Kühlung
durch Behälterwandungen hindurch oder durch Konvektion gekühlter Luft, wie die
nach der Patentschrift nicht erforderliche Kühlung in einem Band - oder Tunnel-
froster (Sp. 3 Z. 7 bis 8). Auch geht aus dem zur Auslegung heranzuziehenden
Sinngehalt der Patentschrift hervor, dass das Mischen, Besprühen und Anfrieren
in einem einzigen Gefäß abläuft, also die Kälteeinleitung nach der Beschichtung in
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den Behälter erfolgt, in dem die Komponenten gemischt und besprüht werden
(Sp. 2 Z. 30 bis 32, Z. 55 bis 68, Sp. 3 Z. 55 bis Sp. 4 Z. 9 i. V. m. mit der Figur).
Die Kälteeinleitung findet also im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin beim
Streitpatent daher nicht irgendwann und irgendwo nach dem Besprühen statt.
Aus K05 ist ein Verfahren zum Herstellen von Gemüse-Fertiggerichten bekannt,
bei dem tiefgefrorene Gemüseteilchen in einem rotierenden Mischer (Freifallmi-
scher) mit einer temperierten homogenisierten Soßenwürzensuspension besprüht
werden. Die Gemüseteilchen werden in dem rotierenden Mischer dabei gleichmä-
ßig mit der Suspension überzogen, die sofort auf den tiefgefrorenen Gemüseteil-
chen erstarrt, ohne dass diese verkleben (Anspruch 1 i. V. m. S. 5 Z. 26 bis 36
und Fig. 1). Damit sind aus K05 die Merkmale 1.1.1, 1.2, 1.3 und 1.4 bekannt. Aus
K05 ist aber nicht abzuleiten, dass nach der Beschichtung eine Kälteeinleitung im
Sinne des Streitpatents erfolgt. In K05 findet sich lediglich die Angabe, dass vor
dem Abpacken nochmals gekühlt wird, sollte das überzogene Gemüse nicht mehr
ausreichend kalt sein. Diese Maßnahme soll gerade beim Streitpatent vermieden
werden (Sp. 3 Z. 7 bis 8). Der Fachmann kann auch im Gegensatz zur Auffassung
der Klägerin aus der Erläuterung in K05, dass erfindungsgemäß das Endprodukt
nach dem Aufsprühen gefroren bleibt und nicht verklebt oder verkleistert, nicht
mitlesen, dass nach der Beschichtung eine Kälteeinleitung gemäß Merkmal 1.5
des Patentanspruchs des Streitpatents erfolgt (vgl. K05 S. 5 Z. 3 bis 7). Damit ist
das Merkmal 1.5 aus K05 nicht bekannt.
Auch in der nicht vorveröffentlichten Anmeldung mit älterem Zeitrang K06 wird
dieses Merkmal nicht vorbeschrieben. Denn bei K06 werden zwar gleich dem
Verfahren gemäß Streitpatent tiefgefrorene stückige Produkte (Küchenkräuter) mit
einer kein Wasser enthaltenden aus hauptsächlich Fett bestehenden Überzugsmi-
schung besprüht, dann aber einer Abkühlung zugeführt, wozu sie in eine Vorrich-
tung zum Abkühlen (Abkühlungstunnel, Tiefgefrier-Tunnel I.Q.F.-Art) überführt
wird. Diese Maßnahmen können in einem den Mischer, die Abkühlvorrichtung und
Verpackungsmaschine umgebenden abgeschlossenen Raum, z. B. einer Kühl-
zelle, durchgeführt werden (Ansprüche 1, 12 i. V. m. S. 4 Abs. 1 bis 4, S. 5 Abs. 2,
- 12 -
S. 6/7 Abs. a) bis e), S. 9 Abs. 2 bis 4 und Fig. 1). Es findet dabei aber auch hier
keine Kälteeinleitung nach der Beschichtung im Sinne des Merkmals 1.5 des Pa-
tentanspruchs 1 des Streitpatents, sondern eine indirekte Kühlung statt.
Auch gegenüber der bereits im Prüfungsverfahren berücksichtigten K07 ist das
Verfahren gemäß Anspruch 1 neu. Denn bei diesem Verfahren zum Überziehen
von Lebensmittelstücken mit einem essbaren Überzug, wird mit einer auf unter
den Gefrierpunkt abgekühlten Soße unter Druck auf die in einem Mischer befindli-
chen tiefgefrorenen Stücke gesprüht. Eine Kälteeinleitung nach der Beschichtung
findet nicht statt und ist auch nicht erforderlich, da mit einem bereits abgekühlten
Beschichtungsmittel besprüht wird (Anspruch 1, Sp. 2 Z. 11 bis 30, Z. 43 bis 50
und Z. 69 bis 73 i. V. m. Fig.).
Die weiteren Entgegenhaltungen liegen ferner und können die Neuheit des Ge-
genstandes des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag nicht in Frage stellen. Sie
wurden auch in der mündlichen Verhandlung zur Beurteilung der Neuheit nicht in
Betracht gezogen.
4.
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag beruht auch auf
einer erfinderischen Tätigkeit.
Ausgangspunkt zur streitpatentgemäßen Lösung der Aufgabe bilden die
vorstehend
beschriebenen
Verfahren
zur
Herstellung
tiefgefrorener
Gemüsebeilagen oder Fertiggerichte gemäß K05 und K07. In diesen
Druckschriften werden jedoch, wie vorstehend dargelegt, Lösungswege
beschrieben, ohne eine Kälteeinleitung nach dem Besprühen des gefrorenen
Gutes im Sinne des Streitpatents in Betracht zu ziehen. Das Verfahren der K05
führt zwar insofern zur teilweisen Lösung der streitpatentgemäßen Aufgabe, als
auch beim Verfahren der K05 das Endprodukt nach dem Aufsprühen gefroren
bleibt und nicht verklebt oder verkleistert, was die Verpackung oder auch die
beliebige Teilbarkeit des Produktes beeinträchtigen könnte (S. 5 Z. 3 bis 7). Dem
Fachmann ist auch aus der Richtlinie K08 und der DE 38 11 048 A1 (K15), die ein
- 13 -
Verfahren
zum
Vakuum-Druck-Schockfrosten
mittels
verflüssigtem
Gas
beschreibt, bekannt, Lebensmittel durch direkten Kontakt mit Kühlmitteln, wie CO
2
und insbesondere flüssigem Stickstoff, tiefzugefrieren bzw. schockzufrosten (vgl.
K08 Artikel 4; K15 Anspruch 1). Aber der Fachmann erhält dadurch weder
Anregungen noch ein Vorbild, von den bekannten Verfahren abzuweichen und
gerade nach der Beschichtung im Sinne des Streitpatents eine Kälteeinleitung in
den Behandlungssbehälter unter Einsparung weiterer Kühlvorrichtungen zur
Abfuhr der durch das Einsprühmedium eingebrachten Wärme durchzuführen, um
aufgabengemäß ein besonders einergiesparendes Verfahren bereitzustellen. Die
Erfindung beschränkt sich im Hinblick auf K05 auch nicht auf die Auswahl, ob eine
Kühlung innerhalb oder außerhalb des rotierenden Mischers erfolgen soll, wie die
Klägerin vorträgt, sondern beim Streitpatent geht es insbesondere darum, dass die
Wärme erst gar nicht in das Gefriergut eindringt, wozu die schockartige
Kälteeinleitung unmittelbar nach der Beschichtung dient, durch die die Wärme
sogleich nach außen abgeführt wird (vgl. Streitpatent Sp. 3 Z. 64 bis Sp. 4 Z. 3
und Z. 26 bis 44). Durch diese Verfahrensweise ergibt sich auch der Vorteil, dass
beim Einbringen größerer Soßenanteile schrittweise eingedüst und tiefgekühlt
werden kann, wodurch die Beschichtung der Partikel schichtweise aufgebracht
und angefroren werden, ohne dass ein größerer Temperaturanstieg im Mischgut
entsteht (Sp. 4 Z. 45 bis 50). Das Einbeziehen der weiteren Entgegenhaltungen,
die in der mündlichen Verhandlung nicht mehr in Betracht gezogen wurden, führt
zu keiner anderen Beurteilung. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 wird
daher vom Stand der Technik nicht nahegelegt.
5.
Der Patentanspruch 1 der gemäß Hauptantrag verteidigten veröffentlichten
Fassung der Patentansprüche hat daher Bestand. Mit ihm haben die darauf rück-
bezogenen, vorteilhafte Ausführungsformen des Patentanspruchs 1 betreffenden
Patentansprüche 2 bis 10 ebenfalls Bestand.
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IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. §§ 91 Abs. 1 ZPO,
wonach die Klägerin als unterlegene Partei die Kosten des Verfahrens zu tragen
hat. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG
i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
Dr. Schermer
Engels
Dr. Proksch-Ledig
Dr. Gerster
Dr. Schuster
Pr