Urteil des BPatG vom 10.01.2000

Urteil vom 10.01.2000

BUNDESPATENTGERICHT
9 W (pat) 23/99
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(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung …
(hier: Antrag auf Gewährung von Verfahrens-
kostenhilfe für das Patenterteilungsverfahren)
hat der 9. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am
10. Januar 2000 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Ing. Petzold
sowie der Richter Dipl.-Ing. Bork, Dipl.-Ing. Bülskämper und Rauch
BPatG 152
10.99
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beschlossen:
1. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluß
des Deutschen Patentamts - Patentabteilung 11 - vom
12. Oktober 1998 aufgehoben.
2. Das Verfahren wird zur weiteren Prüfung an das Deutsche
Patent- und Markenamt zurückverwiesen.
3. Der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung
wird zurückgewiesen.
G r ü n d e :
I.
Der Antragsteller hat im Verfahren seiner am 14. März 1991 eingereichten Pa-
tentanmeldung … (einer Zusatzanmeldung zur Patentanmeldung
…) mit der Bezeichnung „…“ am 29. Dezem-
ber 1997 den Prüfungsantrag gemäß § 44 PatG gestellt und zugleich Verfahrens-
kostenhilfe für die Prüfungsgebühr, für die Lieferung der Ablichtungen der im Prü-
fungsverfahren entgegengehaltenen Druckschriften sowie für das ganze Ertei-
lungsverfahren beantragt.
Auf Grund der vom Antragsteller vorgelegten Erklärung über seine wirtschaftlichen
und persönlichen Verhältnisse hat die Patentabteilung
11 des Deutschen
Patentamts seine Bedürftigkeit als nachgewiesen angesehen. Mit Zwischenbe-
scheid vom 30. Juni 1998 hat sie den Antragsteller aufgefordert mitzuteilen, in
welcher Weise und mit welchem Erfolg er seine bisherigen Patente wirtschaftlich
verwertet habe. Nach den vorliegenden Unterlagen habe er seit 1975 109 Ge-
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brauchsmuster- und Patentanmeldungen getätigt und dafür in 41 Fällen Verfah-
renskostenhilfe beantragt und in 17 Fällen bewilligt erhalten. Für 22 Patentan-
meldungen sei ihm auf Antrag die Stundung der fälligen Jahresgebühr bewilligt
worden. Bislang sei es zu drei Eintragungen bzw. Erteilungen gekommen. Es ge-
be keine Hinweise, daß auch nur eines der Patente des Antragstellers bisher wirt-
schaftlich verwertet worden sei. Sollte dies zutreffen, so müsse der Antragsteller
damit rechnen, daß ihm die Verfahrenskostenhilfe - ohne vorherige Prüfung der
Aussichten auf Patenterteilung wegen Mutwilligkeit verweigert werde. Durch die
Verfahrenskostenhilfe solle ein bedürftiger Anmelder beim Zugang zum gewerbli-
chen Rechtsschutz und im Rechtsstreit einem vermögenden Anmelder gleichge-
stellt werden, jedoch solle ihm nicht auf Kosten der Allgemeinheit eine Prozeß-
führung ermöglicht werden, von der ein Vermögender bei vernünftiger Einschät-
zung seiner Sach- und Rechtslage absehen würde. Die aus Steuermitteln aufge-
brachte Verfahrenskostenhilfe müsse sorgfältig und abgewogen, sie dürfe jedoch
nicht mutwillig oder gar im Abonnement beansprucht werden. Es sei abzuwägen,
ob die anfallenden Kosten für ein konkretes Schutzrecht wirtschaftlich angemes-
sen seien und ob die Art des Schutzrechts für die offenbarte Neuerung geeignet
sei. Es müsse daher gefragt werden, ob ein besser bemittelter Bürger in gleicher
Weise 109 Patent- und Gebrauchsmusteranmeldungen zu Neuerungen auf so
verschiedenen technischen Gebieten getätigt hätte, wenn er dabei alle anfallen-
den Kosten selbst hätte tragen müssen. Diese Auslegung des unbestimmten
Rechtsbegriffs der Mutwilligkeit werde gestützt durch die Rechtsprechung des
23. Senats des Bundespatentgerichts (Beschluß vom 12. 8. 1997, BlPMZ 1997,
443 ff. = GRUR 1998, 42, 46 - Gitarrenbauer), der in einem gleichgelagerten Fall
formuliert habe, daß mutwillig handele, wer eine zweckentsprechende Rechtsver-
folgung nicht beabsichtige oder die hierzu im Einzelfall notwendigen Maßnahmen
nicht vornehme, wer also davon abweiche, was eine verständige, ausreichend be-
mittelte Partei in einem gleich gelagerten Fall tun würde. Gelinge es dem Antrag-
steller nicht nachzuweisen, in welcher Weise und mit welchem Erfolg die Patente
bisher wirtschaftlich verwertet wurden, müsse angenommen werden, daß er Dinge
entwickle, für die am Markt kein Bedarf bestehe. Jeder, der seine eigenen finan-
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ziellen Mittel hierfür aufzubringen habe, werde schnell davon Abstand nehmen
und auch keine Schutzrechte hierfür anmelden.
Der Antragsteller hat daraufhin mit Schreiben vom 11. September 1998 geltend
gemacht, es treffe nicht zu, daß er 21 Gebrauchsmusteranmeldungen eingereicht
habe. Die von der Patentabteilung angeführten Patentanmeldungen umfassten
zudem auch die jeweiligen Voranmeldungen, die durch Inanspruchnahme der in-
neren Priorität zurückgenommen worden seien. Im übrigen hat er ausführlich dar-
gelegt, welche Anstrengungen er seit Jahren unternommen habe, um seine Pa-
tente wirtschaftlich zu verwerten, und aus welchen Gründen diese Anstrengungen
bislang zu keinem Erfolg geführt hätten. Zur Unterstützung seiner Verwertungsbe-
mühungen habe er zahlreiche Vorführmaschinen und Funktionsmodelle gebaut
und den in Frage kommenden Interessenten vorgeführt. Für die von ihm verfolgten
Entwicklungen herrsche am Markt ein erheblicher Bedarf. Seine Patente würden
von insgesamt 19 Herstellern zum Teil mit großem wirtschaftlichen Erfolg genutzt,
jedoch habe er erst mit einem Hersteller eine lizenzvertragliche Vereinbarung
erzielen können. Aus dieser Vereinbarung würden ihm zunächst nur geringe, im
kommenden Jahr jedoch größere Lizenzzahlungen zufließen. Im Hinblick auf ein
weiteres Patent sei er in Verhandlungen mit dessen Nutzern mittlerweile so weit
vorangekommen, daß eine Schadenersatz- und Lizenzvereinbarung aller
Voraussicht nach demnächst erfolgen könne. Auch mit der vorliegenden Patent-
anmeldung sei er mit einem Hersteller von Achsen und Antrieben in positiven Ver-
handlungen, wobei dieser Hersteller mit einer lizenzvertraglichen Vereinbarung
allerdings bis zum Abschluß des Prüfungsverfahrens bzw. bis zur Patenterteilung
warten wolle. Wegen Verletzung eines seiner Gebrauchsmuster sei ein Rechts-
streit beim Bundesgerichtshof anhängig. Die Schutzrechtsverletzung durch eine
Anzahl marktbeherrschender Anbieter könne die Ablehnung der beantragten Ver-
fahrenskostenhilfe nicht rechtfertigen. Eine verständige und vermögende Person,
die keine Verfahrenskostenhilfe erhalte, würde in gleicher Weise ihr Recht verfol-
gen und die anfallenden Kosten für die vorliegende Patentanmeldung selbst tra-
gen. Im übrigen sei der darum bemüht, die Kosten in Grenzen zu halten.
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Mit Beschluß vom 12. Oktober 1998 hat die Patentabteilung den Antrag auf Ver-
fahrenskostenhilfe zurückgewiesen. Zur Begründung heißt es in dem Beschluß,
dem Antragsteller sei es nicht gelungen nachzuweisen, auf welche Weise und mit
welchem Erfolg die Patente konkret bisher wirtschaftlich verwertet worden seien.
Es müsse weiterhin angenommen werden, daß er Dinge entwickele, für die am
Markt kein Interesse bestünden. Da somit die beabsichtigte Rechtsverfolgung
mutwillig erscheine, bestehe zur Abklärung der hinreichenden Aussichten auf Er-
teilung des Patents keine Veranlassung.
Dagegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, der beantragt,
den angefochtenen Beschluß aufzuheben und gemäß seinen
Anträgen in der Vorinstanz zu entscheiden;
hilfsweise: eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.
Zur Begründung wiederholt der Antragsteller im wesentlichen seine Ausführungen
in seiner Eingabe vom 11. September 1998.
II.
Die zulässige Beschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses
und zur Zurückverweisung der Sache an das Deutsche Patent- und Markenamt.
Gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 PatG i. V. m. § 114 ZPO erhält im Verfahren zur Er-
teilung eines Patents jeder Anmelder, der die Kosten für eine Patentanmeldung
nicht aufbringen kann, auf Antrag Verfahrenskostenhilfe, wenn hinreichende Aus-
sicht auf Patenterteilung besteht und die beabsichtigte Rechtsverfolgung (d. h. das
Erteilungsbegehren) nicht mutwillig erscheint.
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Der Senat hat sich in seinem zur Veröffentlichung vorgesehenen Beschluß vom
20. Dezember 1999 im Verfahren 9 W (pat) 59/98 ausführlich zu den von der an-
gefochtenen Entscheidung der Patentabteilung aufgeworfenen, die Auslegung des
Merkmals „Mutwilligkeit“ betreffenden Rechtsfragen geäußert. An seinen damals
vertretenen Auffassungen hält der Senat auch im vorliegenden Zusammenhang
fest. Danach können zwar mangelnde Aussichten für die wirtschaftliche Ver-
wertung eines Patents im Einzelfall die Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung begrün-
den. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn gravierende, gegen eine wirtschaftliche
Verwertung sprechende Anhaltspunkte vorhanden sind, die im Ergebnis nicht ent-
kräftet werden können. Bloße Zweifel an der Verwertbarkeit sind für eine Versa-
gung nicht ausreichend. Ebensowenig wie für die Annahme von Mutwilligkeit die
fehlenden Gewinnaussichten mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden müs-
sen, bedarf es umgekehrt für den Ausschluß der Mutwilligkeit eines exakten
Nachweises, daß das angestrebte Patent wirtschaftlich verwertbar sein wird.
Nach Auffassung der Patentabteilung verhält sich der Antragsteller mutwillig, weil
es ihm trotz einer Vielzahl von Gebrauchsmuster- und Patentanmeldungen, die er
in den vergangenen 23 Jahren getätigte habe (teilweise unter Inanspruchnahme
von Verfahrenskostenhilfe) bislang noch nicht gelungen sei, eines der aus den
Anmeldungen hervorgegangenen drei Schutzrechte durch Lizenzvergabe zu ver-
werten. Dieser Schlußfolgerung kann nicht zugestimmt werden.
Zwar kann für die Prüfung, ob die Rechtsverfolgung im konkret vorliegenden Fall
mutwillig ist, durchaus von Bedeutung sein, daß ein Antragsteller mit seinen zahl-
reichen bisherigen Anmeldungen keinen wirtschaftlichen Erfolg erzielen konnte.
Dies gilt insbesondere dann, wenn die früheren Erfindungen mit dem Gegenstand
der jetzigen Anmeldung eng zusammenhängen. Konnte der Antragsteller in einem
solchen Fall schon bisherige Schutzrechte nicht verwerten, so kann dies nach der
Lebenserfahrung ein Indiz dafür sein, daß auch mit der konkreten verfahrensge-
genständlichen Anmeldung keine Verwertungsaussichten verbunden sind.
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Eine automatische Schlußfolgerung von dem bisherigen Anmeldeverhalten des
Antragstellers und von seiner wirtschaftlichen Erfolglosigkeit auf die Mutwilligkeit
der jetzigen Anmeldung wäre jedoch mit dem im Verfahren der Prozeß- und Ver-
fahrenskostenhilfe geltenden Amtsermittlungsgrundsatz nicht vereinbar. Die Pa-
tentabteilung darf sich daher in den genannten Fällen nicht mit der bloßen Fest-
stellung begnügen, daß die bisherigen Verwertungsversuche erfolglos geblieben
sind. Vielmehr muß sie die Gründe benennen, die den Schluß rechtfertigen, daß
auch der aktuellen Anmeldung voraussichtlich kein wirtschaftlicher Erfolg be-
schieden sein wird. Diese Gründe können sich aus dem Erfindungsgegenstand
ebenso ergeben wie aus der Person oder dem Verhalten des Antragstellers oder
aus objektiven Gegebenheiten des Marktes. Die Patentabteilung muß aber auch
den Gesichtspunkten nachgehen, die geeignet sind, das sich aus der bisherigen
wirtschaftlichen Erfolglosigkeit ergebende Indiz zu entkräften. Bei offensichtlich
besonders erfolgversprechenden Anmeldungen ist die Annahme von Mutwilligkeit
stets fehl am Platz.
Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller ausführlich dargelegt, daß er sich in der
Vergangenheit nach Kräften um die Verwertung seiner Schutzrechte bemüht habe
und daß seine Erfindungen von verschiedenen Firmen genutzt würden, ohne daß
ihm - bis auf einen Fall - dafür eine Lizenz angeboten worden sei. Was die hier
verfahrensgegenständliche Erfindung betrifft, so sei ein Unternehmen an einer Li-
zenznahme interessiert. Damit hat der Antragsteller Gründe angegeben, die es
nicht zulassen, von seiner bisherigen Erfolglosigkeit im Bemühen um die wirt-
schaftliche Verwertung seiner Erfindungen ohne weiteres darauf zu schließen, daß
auch im konkret zu beurteilenden Fall keine Gewinne zu erwarten seien. Die
vorliegende Fallgestaltung ist daher mit dem Sachverhalt der BPatG-Entscheidung
GRUR 1998, 42, 46 - Gitarrenbauer - , auf die sich die Patentabteilung in der
Begründung des angefochtenen Beschlusses stützt, nicht vergleichbar. Diesem
Beschluß zufolge konnte der Antragsteller des damaligen Verfahrens nichts
Überzeugendes dafür vortragen, daß die Besonderheiten der verfahrensgegen-
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ständlichen Erfindung, abweichend vom früheren Geschehensablauf, Erträge er-
warten lassen könnten.
Allein aus dem Umstand, daß der Antragsteller in der Vergangenheit bereits eine
große Zahl von Anmeldungen getätigt hat, ohne dadurch zu einem wirtschaftlichen
Gewinn zu gelangen, kann die Mutwilligkeit der hier in Rede stehenden An-
meldung daher nicht hergeleitet werden. Die Patentabteilung hat aber auch keine
sonstigen gravierenden Anhaltspunkte für das Vorliegen von Mutwilligkeit ange-
führt. Insbesondere hat sie keine Gründe für fehlende Verwertungsaussichten des
hier zum Patent angemeldeten konkreten Erfindungsgegenstands dargetan. In der
vom Anmelder vorgelegten Beschreibung werden Nachteile geschildert, die bei
Fahrzeugen mit einem am Fahrzeugaufbau bzw. am Fahrzeugrahmen gehaltenen
Fahrwerk bei unebener Fahrbahn auftreten (insbesondere ungünstiges Fahrver-
halten mit ungleichmäßiger Räderbelastung). Diese Nachteile sollen erfindungs-
gemäß mit Hilfe von Schwenkvorrichtungen, die in bestimmter Weise ausgestaltet
sind, vermieden werden. Unabhängig von der Frage der Patentfähigkeit ergeben
sich aus den eingereichten Unterlagen keine Anhaltspunkte dafür, daß der An-
tragsteller seine Erfindung nicht mit Gewinn verwerten könnte.
Die Patentabteilung durfte daher den Antrag auf Gewährung von Verfahrensko-
stenhilfe nicht wegen Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung zurückweisen. Unter der
Voraussetzung, daß der Antragsteller, ggf. trotz mittlerweile bei ihm eingegange-
ner Lizenzzahlungen, nicht über ausreichende eigene Mittel verfügt, wird der Er-
folg seines Antrags demnach allein davon abhängen, ob hinreichende Aussichten
auf Erteilung des beantragten Patents bestehen. Da sich die Patentabteilung zu
dieser Frage bislang noch nicht geäußert hat, sieht der Senat davon ab, die hierzu
erforderliche Untersuchung im Rahmen seiner Rechtsmittelzuständigkeit vor-
zunehmen. Statt dessen wird die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Be-
schlusses zur weiteren Prüfung an das Deutsche Patent- und Markenamt zurück-
verwiesen.
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Dem Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte nicht statt-
gegeben werden, weil im Verfahren über die Verfahrenskostenhilfe eine mündliche
Verhandlung vom Gesetz nicht vorgesehen ist (§ 136 Satz 1 PatG i. V. m. § 127
Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Petzold Bork
Bülskämper
Rauch
Ko