Urteil des BPatG vom 02.08.2018

Urteil vom 02.08.2018

ECLI:DE:BPatG:2018:020818U5Ni3.17EP.0
BUNDESPATENTGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
5 Ni 3/17 (EP)
(Aktenzeichen)
URTEIL
Verkündet am
2. August 2018
In der Patentnichtigkeitssache
- 2 -
betreffend das europäische Patent 1 381 502
(DE 502 02 221)
hat der 5. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der
mündlichen Verhandlung vom 2. August 2018 durch den Vorsitzenden Richter
Voit, den Richter Dr. agr. Huber, die Richterin Martens sowie die Richter
Dipl.-Ing. Rippel und Dipl.-Ing. Brunn
für Recht erkannt:
I.
Das europäische Patent 1 381 502 wird mit Wirkung für das
Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland dadurch teil-
weise für nichtig erklärt, dass es folgende Fassung erhält:
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
- 3 -
II. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgeho-
ben.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 %
des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreck-
bar.
Tatbestand
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des auch mit Wirkung für das
Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents
1 381 502 (Streitpatent), das am 2. April 2002 unter Inanspruchnahme zweier
deutscher Prioritäten vom 5. April 2001 (DE 101 16 998) und vom
12. November 2001 (DE 101 55 162) angemeldet worden ist. Beim Deutschen
Patent- und Markenamt wird das Streitpatent unter dem Aktenzeichen
DE 502 02 221.3 geführt. Es trägt die Bezeichnung: „Verfahren zum Füllen der
Kavität eines Werkzeuges“ und umfasst zwei Patentansprüche, die mit der Nich-
tigkeitsklage angegriffen sind und in der erteilten Fassung wie folgt lauten:
Mit ihrer Klage vom 2. Dezember 2016 macht die Klägerin fehlende Patentfähig-
keit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 InPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1a EPÜ) des Gegen-
stands des Streitpatents geltend. Die Nichtigerklärung des Streitpatents begründet
- 4 -
sie darüber hinaus mit einer ihrer Ansicht nach nicht so deutlich und vollständig
offenbarten Erfindung, dass ein Fachmann sie ausführen könne (Art. II § 6 Abs. 1
Nr. 2 InPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1b EPÜ).
Ihren Vortrag zur fehlenden Patentfähigkeit stützt sie auf folgende Dokumente:
NK4
DE 198 03 352 A1
NK5a
Auszug aus dem internationalen vorläufigen Prüfungsbericht aus
dem Prüfungsverfahren des Streitpatents
NK5b
Eingabe des Patentinhaberin vom 19. Mai 2003 im Prüfungs-
verfahren des Streitpatents
NK5c
US 7 682 535 B2 (Familienmitglied des Streitpatents)
NK6a
JP S51-056868 A2
NK6b
Übersetzung der NK6a
NK7
EP 0 707 936 A2
NK8
US 5 556 582 A
NK9
DE 197 09 609 A1
NK10a JPS61-255825 A
NK10b Übersetzung der NK10a
NK11a JPH04-082723 A
NK11b Übersetzung der NK11a
NK12
„Total Quality Process Control for Injection Molding”, M. Joseph
Gordon, Jr., Carl Hanser Verlag 1992, Seiten 99-113,148-159,
186-239, 308-391
Die Klägerin beantragt,
das europäische Patent 1 381 502 mit Wirkung für das
Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland in vollem Umfang
für nichtig zu erklären.
- 5 -
Die Beklagte beantragt,
die Klage nach Maßgabe des Hauptantrags, eingegangen als An-
lage zum Schriftsatz vom 4. Mai 2018 abzuweisen,
hilfsweise die Klage nach Maßgabe der Hilfsanträge 1 und 2, ein-
gegangen als Anlagen zum Schriftsatz vom 4. Mai 2018 abzuwei-
sen,
weiter hilfsweise die Klage nach Maßgabe der Hilfsanträge 3 bis 8,
eingegangen als Anlagen zum Schriftsatz vom 18. Juli 2018 ab-
zuweisen.
Wegen der Fassungen nach dem Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1 und 2 wird
auf die Anlagen zum Schriftsatz vom 4. Mai 2018 Bezug genommen. Die Fassung
nach Hilfsantrag 3 ist in der Urteilsformel wiedergegeben. Wegen der weiteren
Hilfsanträge 4 bis 8 wird auf die Anlagen zum Schriftsatz vom 18. Juli 2018 Bezug
genommen.
Die Klägerin hält die Nichtigkeitsklage auch gegenüber der Verteidigung des
Streitpatents mit dem Hauptantrag und den Hilfsanträgen aufrecht und macht in-
soweit zusätzlich die Nichtigkeitsgründe der unzulässigen Erweiterung gegenüber
den ursprünglichen Anmeldeunterlagen sowie eine Erweiterung des Schutzbe-
reichs geltend.
Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin in allen Punkten entgegen. Der Ge-
genstand des Streitpatents sei ausführbar offenbart und jedenfalls in einer der
verteidigten Fassungen in zulässiger Weise beschränkt und bestandsfähig. Ge-
genüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik sei sein Gegenstand
neu und beruhe auch auf einer erfinderischen Tätigkeit, da er dem Fachmann am
1. Prioritätstag nicht nahegelegen habe.
- 6 -
Der Senat hat die Parteien mit einem Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG vom
29. März 2018 auf die Gesichtspunkte hingewiesen, die für die Entscheidung vo-
raussichtlich von besonderer Bedeutung sind.
Entscheidungsgründe
A.
Die zulässige Klage ist teilweise begründet. In der erteilten Fassung, die die Be-
klagte nicht mehr verteidigt, ist das Streitpatent nach ständiger Rechtsprechung
ohne weitere Sachprüfung für nichtig zu erklären (st. Rspr., vgl. Schulte/Voit, PatG
10. Auflage, § 81 Rdn 127 m. w. N). In der Fassung nach dem Hauptantrag kann
das Streitpatent keinen Bestand haben, da sein Gegenstand nicht patentfähig ist
(Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 a, Art. 52 - 57 EPÜ). Dies
gilt ebenfalls für die Fassungen nach den Hilfsanträgen 1 und 2, die der Senat als
nicht zulässig angesehen hat. In der Fassung nach Hilfsantrag 3 hat das Streitpa-
tent jedoch Bestand, sodass die weitergehende Klage abzuweisen war. Die Beur-
teilung der weiteren Hilfsanträge 4 bis 8 konnte somit dahinstehen.
I. Zum Gegenstand des Streitpatents
1.
Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zum Füllen einer Kavität eines
Werkzeuges zum Herstellen eines Formteiles aus einer Schmelze, insbesondere
einer Kavität einer Spritzgießmaschine, wobei die Schmelze, insbesondere aus
Kunststoff, Metall oder einer Keramik, unter Druck in die Kavität eingefüllt und ge-
gen Ende oder am Ende ihres Fließweges unter Nachdruck gesetzt wird. Der
Einfüllvorgang geschieht so lange, bis die Kavität gefüllt ist, danach erfolgt ein
Umschalten auf die sogenannte Nachdruckphase, in der vor allem ein Schwinden
des Werkstoffes in der Kavität ausgeglichen wird.
- 7 -
Aus dem Stand der Technik ist nach Angaben der Streitpatentschrift bekannt, zur
Beeinflussung der Einheitlichkeit und der guten Qualität von Spritzgießprodukten
die Temperatur der Schmelze zu ermitteln. So wird zum Beispiel gemäß der
NK10a (JPS61-255825 A) die Temperatur der Schmelze oder die aktuell gemes-
sene Temperatur der Form mit einer Vielzahl von vorgegebenen Temperaturwer-
ten verglichen.
Wichtig sei bei diesen Verfahren eine Bestimmung des Umschaltzeitpunktes von
der Einfüll- zu der Nachdruckphase. Eine manuelle Optimierung sei schwierig und
zeitaufwendig, weshalb sie in der Praxis nur selten korrekt durchgeführt würde.
Eine fixe Umschaltung vom Einspritzvorgang auf den Nachdruckvorgang könne
nicht auf prozessbedingte Schwankungen z. B. der Viskosität reagieren, was wie-
derum eine große Schwankung der Qualität der Formteile zur Folge hätte.
Im Stand der Technik z. B. nach der NK7 (EP 0 707 936 A2) werden Verfahren zur
Bestimmung des Umschaltzeitpunktes bei der Herstellung eines Spritzgussteils
beschrieben. Sie dienten dazu, den Zeitpunkt der volumetrischen Füllung in der
Werkzeugkavität automatisch zu ermitteln. Diese Verfahren basieren in der Regel
auf der Messung des Innendrucks. So wird z. B. der "Knickpunkt" zwischen der
Einfüll- und der Nachdruckphase, der sich automatisch ergibt, mit Hilfe künstlicher
Intelligenz ermittelt. Problematisch sei in der Praxis allerdings, dass sich aufgrund
der Rechenzeiten zum Teil zu große Verzögerungen ergeben, welche automatisch
Druckspitzen und Verspannungen im Formteil nach sich ziehen würden.
Außerdem könnten nicht alle Anwendungen universell abgedeckt werden. In ei-
nem weiteren bekannten Verfahren würden die Druckdifferenzen zwischen zwei
Werkzeuginnendrucksensoren ermittelt und deren Verlauf über der Zeit analysiert,
wobei über einen plötzlichen Abfall des Signals (= Knickpunkterkennung) die vo-
lumetrische Füllung ermittelt würde. Beide oben beschriebenen Verfahren benö-
tigten relativ teure Sensorik und Elektronik und wären nicht prozesssicher.
Aus der NK4 (DE 98 03 352 A1) sei ein Verfahren zur Ermittlung des Zeitpunktes
eines Druckanstiegs in einer Werkzeugform bekannt, wobei als Folge des Druck-
- 8 -
anstieges von dem Einspritzdruck auf den Nachdruck umgeschaltet würde. Dabei
würde der Druckanstieg nicht mittels Drucksensoren, sondern mittels Temperatur-
sensoren ermittelt.
Vor diesem Hintergrund bezeichnet es die Streitpatentschrift in Absatz [0012] als
Aufgabe der Erfindung, ein Verfahren der oben genannten Art zu entwickeln, mit
dem auf einfache und kostengünstige Weise und dennoch relativ genau auf die
Nachdruckphase umgeschaltet wird.
2.
Der Gegenstand des Streitpatents richtet sich an einen Ingenieur auf dem
Gebiet der Kunststoffspritztechnik, der insbesondere über Erfahrung in der Kon-
struktion von Spritzgießwerkzeugen sowie in der Einrichtung, Parametrisierung
und im Betrieb von derartige Werkzeuge einsetzenden Spritzgießmaschinen ver-
fügt.
3.
Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt Patentanspruch 1 in der nunmehr mit
dem Hauptantrag vom 4. Mai 2018 verteidigten Fassung ein Verfahren vor, das
die Beklagte wie folgt nach Merkmalen gegliedert eingereicht hat (Änderungen
gegenüber der erteilten Fassung sind hervorgehoben):
- 9 -
4.
Der Senat legt Anspruch 1 des geltenden Hauptantrags folgendes Verständ-
nis zugrunde:
Die Merkmale 1.1 und 1.2 beschreiben ein herkömmliches Verfahren zum Befüllen
einer Kavität eines Werkzeuges, insbesondere einer Spritzgießmaschine zum
Herstellen eines Formteiles aus einer Schmelze unter Druck, wie es aus dem
Stand der Technik bekannt ist und das für den Fachmann klar verständlich ist.
Die Auslegung der Merkmale 1.3 bis 1.5 kann nur im Zusammenhang betrachtet
werden:
Nach Merkmal 1.5 wird anhand des
bestimmt. Entsprechend der Absätze [0013]
bis [0015] der Beschreibung erfolgt durch die Messung der Werkzeugwandinnen-
temperatur ein schlagartiger Signalanstieg, wenn die Schmelze die Position eines
entsprechenden Thermoelementes erreicht. Dieser Signalanstieg kann dann ohne
weitere Intelligenz, z. B. als analoges Schaltsignal, verwendet werden. Dem kann
der Fachmann zweifelsfrei entnehmen, dass beim Gegenstand des Anspruchs 1
vorgesehen ist, dass das Erreichen der Position der Sensoren durch die Schmelze
ohne programmtechnische Zwischenschritte unmittelbar ein analoges Schaltsignal
für das Umschalten auf die Nachdruckphase auslöst. Daher besteht in Überein-
stimmung mit der Auffassung der Beklagten eine direkte Unmittelbarkeit zwischen
der detektierten Temperaturänderung und dem Umschalten auf die Nachdruck-
phase. Für die Auffassung der Klägerin, das Merkmal 1.5 ließe offen, wann tat-
- 10 -
sächlich das Umschalten erfolge bzw. wo zeitlich der Umschaltpunkt liege, bleibt
mangels einer diese Sichtweise stützenden Offenbarung kein Raum.
Die Formulierungen der Merkmale 1.3 und 1.4 müssen unter Berücksichtigung
dieses Verständnisses des Merkmals 1.5 ausgelegt werden. Während das Merk-
mal 1.3 fordert, dass die Schmelze
, wird nach Merkmal 1.4
. Unter ver-
steht der Fachmann den Weg, den die Schmelze nach Einspritzen in die Kavität
des Werkzeuges bis zum vollständigen Füllen des Werkzeuges zurücklegen muss
(vgl. Figur 1 und Absatz [0016]).
Daher kann der Auffassung beider Parteien, dass die Begriffe
und räumlich auszulegen wären, zuge-
stimmt werden.
In der Beschreibung werden die Begriffe „ und sowohl im
Kontext mit der Position der Temperatursensoren als auch mit dem Umschaltpunkt
für die Nachdruckphase ohne einen erkennbaren inhaltlichen Unterschied ab-
wechselnd beliebig verwendet (vgl. Absätze [0013], [0014], [0021], [0025], [0027]
und [0029]). Darin ist in erster Linie eine sprachliche Unsauberkeit zu sehen, da
sich für den Fachmann die Bedeutung der Merkmale 1.3 und 1.4 aus der Gesamt-
offenbarung zweifelsfrei ergibt.
- 11 -
Aus der Offenbarung der Absätze [0013] und [0014], nach denen gegen Ende des
Fließweges der Schmelze die Werkzeugwandtemperatur und der Umschaltpunkt
zur Nachdruckphase bestimmt werden und dabei grundlegende Überlegung die
Tatsache sei, dass theoretisch immer bei ca. 97 bis 98 % des Fließweges umge-
schaltet werden soll, sowie aus den Figuren schließt der Fachmann, dass das
Merkmal 1.4 so auszulegen ist, dass die Temperatursensoren zwar in der Nähe,
aber nicht am unmittelbaren Ende der Werkzeugform anzuordnen sind, sodass
hier unter zu verstehen ist, dass die Temperaturbestimmung erfolgt, bevor
die Schmelze die Kavität 100 % ig gefüllt hat. Eine Platzierung der Sensoren erst
an Ende der Kavität würde ein Umschalten auf die Nachdruckphase vor Erreichen
des Endes der Kavität durch die Schmelze nicht ermöglichen.
Allerdings entnimmt der Fachmann dem Absatz [0014] auch, dass entsprechend
der grundlegenden Überlegung theoretisch immer bei ca. 97 bis 98 % des Fließ-
weges umgeschaltet werden soll, „
“ Dem Fachmann ist bekannt, dass beim bean-
spruchten Verfahren sowohl die eingespritzte Schmelze als auch die verwendete
Vorrichtung einer Trägheit unterworfen sind. Daraus ergibt sich für den Fachmann,
dass nach Umschalten auf die Nachdruckphase entsprechend Merkmal 1.5 nicht
nur die Schmelze aufgrund der Trägheit noch in der Kavität weiterfließt, sondern
auch die Vorrichtung beim Umschalten von Einfüll- auf Nachdruckphase einer
Trägheit unterworfen ist, zumal auf dieses Problem beim bekannten Stand der
Technik im Absatz [0008] des Streitpatents explizit hingewiesen wird.
Demzufolge umfasst das Merkmal 1.3 auch Verfahrenszustände, bei denen trotz
einer Bestimmung des Umschaltpunktes gegen Ende des Fließweges nach den
Merkmalen 1.4 und 1.5 aufgrund der Trägheit der Vorrichtung die Schmelze erst
unter Nachdruck gesetzt wird, wenn die Schmelze das Ende der Kavität erreicht
hat bzw. die Kavität 100 % ig gefüllt hat, so dass hier unter
zu verstehen ist, dass die Schmelze sowohl unter Nachdruck gesetzt wer-
den kann, bevor sie die Kavität vollständig gefüllt hat als auch erst bei Erreichen
dieser vollständigen Füllung. Diese Auslegung des Merkmals 1.3 entspricht auch
- 12 -
der Auffassung der Beklagten im vorgelagerten Prüfungsverfahren, wonach „
“ (NK5b,
Seite 1).
Der Gegenstand des Anspruchs 1 betrifft allerdings nur ein Verfahren zur Ermitt-
lung eines Umschaltpunktes mittels einer Werkzeugwandtemperaturbestimmung
an bestimmten Punkten eines Werkzeuges. Anzahl und Ausgestaltung der Tem-
peratursensoren an jedem Messpunkt lässt der Gegenstand des Anspruchs 1 of-
fen.
Bezüglich der „ nach Merkmal 1.4
sind dem Streitpatent nähere Angaben zu den Thermoelementen sowie dem
Messprinzip nicht zu entnehmen. Da bei einer gefüllten Kavität die Grenztempera-
tur der Schmelze an der Werkzeuginnenwand mit der Temperatur der Werk-
zeuginnenwand selbst gleichzusetzen ist, fällt unter die Bestimmung der „Werk-
zeugwandtemperatur“ neben einer indirekten Messung der Temperatur der
Schmelze auch, wenn mittels der Sensoren die Grenztemperatur der Schmelze an
sich direkt bestimmt wird. Diese Auslegung entspricht auch der Auffassung der
Beklagten, nach der die Merkmale (d) bis (f) des in den USA erteilten Patentan-
spruchs 1 der NK5c (Familienmitglied des Streitpatents) im Wesentlichen den
Merkmalen M1.4 und M1.5 entsprechen und das Merkmal (d) in der NK5c eindeu-
tig eine direkte Messung der Temperatur der Schmelze beinhaltet (
).
Unter der beanspruchten versteht der einschlägige Fachmann,
dass die Schmelze nach Beenden des Einfüllvorgangs in Abhängigkeit von ver-
schiedenen Parametern wie Druck oder Temperatur unter Druck gehalten wird,
sodass verfahrensabhängig während der Nachdruckphase auch noch Material in
die Kavität nachgefüllt wird, um eine Volumenkontraktion durch Materialabkühlung
bzw. Schwindvorgänge auszugleichen. Der breiteren Auslegung der Klägerin,
- 13 -
dass der Begriff lediglich eine beliebige vorbestimmte Phase
nach Beenden des Einspritzvorganges kennzeichnet, kann hier nicht gefolgt wer-
den.
II. Zum Hauptantrag
In der Fassung nach Patentanspruch 1 des Hauptantrags kann das Streitpatent
mangels Patentfähigkeit keinen Bestand haben.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hauptantrag beruht ausgehend von der
NK11
NK7
NK11
Verfahren und eine Vorrichtung zum Einspritzen von Gummi- oder Harzinjekti-
onsmaterial in eine Kavität eines Formwerkzeugs (vgl. Anspruch 1, S. 3 letzter
Absatz – , während das einzige Ausfüh-
rungsbeispiel nur die Einspritzung eines Kautschukmaterials betrifft. Während die
Klägerin die Meinung vertritt, der Fachmann würde die Figuren und die zugehörige
Beschreibung des Ausführungsbeispiels der NK11 gar nicht konsultieren, weil
diese nur die Vulkanisation eines Gummiwerkstoffes beträfen, ist die Beklagte der
Auffassung, man müsse die allgemeine Beschreibung und das Ausführungsbei-
spiel separat betrachten.
Beiden Auffassungen vermag der Senat nicht zu folgen. Aufgrund der übergeord-
neten Aufgabenstellung zur Optimierung eines Spritzgussverfahrens und einer
Formvorrichtung zum Einspritzen eines Gummi- oder Harzinjektionsmaterials be-
rücksichtigt der Fachmann die Gesamtoffenbarung der NK11 einschließlich der
Offenbarung des Ausführungsbeispiels, auch wenn sich dieses nur mit dem Ein-
spritzen von Kautschuk beschäftigt.
- 14 -
den Merkmalen 1.1 und 1.2. Die NK11 offenbart auch den Einsatz von Tempera-
tursensoren in der Kavität des Werkzeuges, mit der die Werkzeugwandtemperatur
nach Beginn des Einfüllvorgangs detektiert wird (vgl. z. B. Anspruch 1, vorletztes
Merkmal). Die genaue Lage der Temperatursensoren wird in der NK11 nicht expli-
zit thematisiert. Allerdings entnimmt der Fachmann der NK11 unmittelbar und ein-
deutig den Zweck der Temperaturmessung, nämlich nach Beginn des Einfüllvor-
gangs bei Erreichen einer vorbestimmten Änderung der Werkzeugwandtemperatur
den Einfüllvorgang zu beenden (vgl. Anspruch 1, vorletztes Merkmal). Angesichts
der Aufgabenstellung der NK11, ohne den Einsatz eines teuren Drucksensors zu
verhindern, dass die Kavität entweder zu wenig oder überfüllt wird (NK11b, S. 3,
zweiter Absatz), entnimmt der Fachmann der NK11 auch die Notwendigkeit, für
das Erreichen dieser Aufgabenstellung die Temperatursensoren im Sinne des
Streitpatents gegen Ende ihres Fließweges zu platzieren, um dort die Werkzeug-
wandtemperatur zu bestimmen. Damit kann der Fachmann der NK11 ebenfalls
das Merkmal 1.4 entnehmen, auch wenn beim konkreten Ausführungsbeispiel
entsprechend Figur 4 die Sensoren zwar relativ zur Gesamtausdehnung der sehr
kleinen Kavität scheinbar nicht im Endbereich, aber entsprechend S. 8, zweiter
Absatz nur 7 mm entfernt von Endbereich angeordnet sind.
Da das einzige Ausführungsbeispiel ein Verfahren zur Vulkanisation eines Gum-
miwerkstoffes betrifft, wird in der NK11 eine streitpatentgemäße Nachdruckphase
entsprechend der Merkmale 1.3 bzw. 1.5 nicht erwähnt. Da es jedoch Zweck der
in der NK11 offenbarten Temperaturmessungen ist, den Umschaltpunkt zu detek-
tieren, an dem die Zufuhr der Schmelze unterbrochen wird, ist es dem Fachmann
aus seinem Fachwissen, welches unter anderem in der NK7 druckschriftlich belegt
ist, bekannt, dass bei einem mit einem Kunstharzinjektionsmaterial gefüllten
Spritzgießwerkzeug zum Zeitpunkt, an dem der Einfüllvorgang beendet wird, die
eingefüllte Kunstharzschmelze unabhängig von der Art und Weise des Steuer-
ungsverfahrens prinzipiell unter einen Nachdruck gesetzt werden muss.
- 15 -
Somit gelangt der Fachmann ausgehend von NK11 unter Berücksichtigung seines
Fachwissens- und Fachkönnens in naheliegender Weise zum Gegenstand der
Merkmale 1.3 und 1.5 und somit zum Gegenstand des geltenden Anspruchs 1.
Die Beklagte argumentiert bezüglich der Merkmale 1.3 und 1.4, der NK11 sei nicht
allein auf Grund ihrer Aufgabenstellung eine Notwendigkeit zu entnehmen, die
Temperatursensoren am Ende des Fließwegs zu positionieren. Vielmehr leite die
NK11 den Fachmann detailliert an, wie die Temperatursensoren zu positionieren
und auszuwerten seien. Der allgemeinen Beschreibung sowie den Ansprüchen
(Seiten 1 bis 7 der NK11b) sei kein einziger Hinweis auf eine Positionierung des
Temperatursensors zu entnehmen. Der Fachmann würde daher die Figurenbe-
schreibung
der Figuren 3
und 4 konsultieren. Dieser
wären
durchgehend zwei
Temperatursensoren
(59a,
59b) zu entnehmen. Infor-
mationen über die Positionie-
rung der Temperatursenso-
ren entnähme der Fachmann
ausschließlich der Seite 8
(unten) und der Seite 15
(oben). Nach Ansicht der Beklagten darf der (geringe) Abstand von 7 Millimetern
– welcher offensichtlich einer insgesamt sehr kleinen Kavität geschuldet sei – nicht
zu der Auffassung führen, dass der Temperatursensor nahe am Endbereich der
Kavität angeordnet sei. Vielmehr könne eine solche Aussage nur unter Einbezie-
hung aller Abmessungen des Werkzeugs getroffen werden. Den zitierten Passa-
gen auf den Seiten 8 und 15 der NK11b sei eindeutig zu entnehmen, dass die
Temperatursensoren jeweils mittig zwischen dem zentralen Angusspunkt und den
Enden der Kavität anzuordnen seien. Sei der Temperatursensor 8 Millimeter von
Einspritzpunkt und 7 Millimeter vom Endbereich der Kavität – und somit mittig in
dieser – angeordnet, könne dies nach Auffassung der Beklagten das
Merkmal M1.4 nicht nahelegen.
- 16 -
Dieser Auffassung vermag der Senat nicht zu folgen. Die NK11 lehrt nach dem
Erkennen einer Temperaturerhöhung durch die Thermoelemente in der Steuerung
über eine Zeitgebereinrichtung den Zeitpunkt für den Stopp der Injektion des
Harzmaterials zu bestimmen (vgl. Figur 1; Anspruch 3; S. 7, Absatz 1). Mit dem
Zeitfaktor werden Betriebsverzögerungen des hydraulischen Systems einschließ-
lich der Trägheit der eingespritzten Masse sowie Reaktionsverzögerung der Steu-
erung einschließlich der Thermoelemente berücksichtigt. (S. 13, 2. Absatz – „
).
Die NK11 lehrt jedoch weiterhin die Möglichkeit, unter bestimmten Bedingungen
auf die Zeitgeberschaltung zu verzichten (S. 13, letzte 4 Zeilen):
und die Injektion ausschließlich aufgrund des Signals der Thermoelemente zu
stoppen, wenn die notwendige Menge des Harzes injiziert ist (S. 14, Absatz 1 und
2).
Daraus erhält der Fachmann den Hinweis auf die Möglichkeit, bei Positionierung
der Thermoelemente gegen Ende des Fließweges entsprechend der zu erwarten-
den Trägheit des eingespritzten Materials auf die Zeitgeberschaltung gegebenen-
falls verzichten zu können. Dem Fachmann ist dadurch in Kenntnis der NK11
durch sein Fachwissen nahegelegt, die Thermoelemente so gegen Ende der Ka-
vität zu platzieren, dass sowohl die Trägheiten der Vorrichtung als auch die der
Schmelze berücksichtigt werden, um sowohl ein Überfüllen als auch ein unvoll-
ständiges Füllen der Kavität zu vermeiden.
Die Beklagte argumentiert weiterhin zum Merkmal 1.5, der Fachmann könne der
NK11 ab Seite 13, Zeile 1 nur entnehmen, dass am Umschaltpunkt der Zeitge-
- 17 -
ber 87 aktiviert wird, wenn eine voreingestellte Temperaturerniedrigung durch
beide Sensoren (59a/b) festgestellt wird. Somit wäre der streitpatentgemäße
Temperaturanstieg gemäß Merkmal M1.5 eindeutig nicht offenbart oder auch nur
nahegelegt.
Dem kann auch nicht gefolgt werden. Wie schon ausgeführt stellt das einzige
Ausführungsbeispiel nur einen speziellen Anwendungsfall mit einem eingespritz-
ten Gummimaterial dar, welches in der Form nach dem Einfüllvorgang vulkanisiert
wird. Daher liegt in diesem Anwendungsfall bei Beginn des Einfüllvorgangs die
Temperatur des Werkzeugs über der des eingefüllten Materials, sodass sich im
laufenden Prozess die Werkzeugwandtemperatur verringert. In der grundlegenden
Beschreibung der Erfindung auf Seite 6 der NK11b wird jedoch eindeutig zwischen
zwei Varianten des beanspruchten Verfahrens unterschieden, nämlich dem ent-
sprechend dem Ausführungsbeispiel, bei dem das Formwerkzeug auf eine höhere
Temperatur erhitzt wird als eine Temperatur des Injektionsmaterials und über die
Sensoren eine Verringerung der Werkzeugwandtemperatur detektiert wird und
einem zweiten Fall, bei dem am Ausgangspunkt die Temperatur des Injektions-
material höher als die Temperatur des Formwerkzeugs ist und dort beim Anstieg
der Werkzeugwandtemperatur über eine vorbestimmte Temperatur hinaus der
Einfüllvorgang gestoppt wird.
Damit legt die NK11 dem Fachmann mit seinem Fachwissen über die Notwendig-
keit einer Nachdruckphase auch das Merkmal 1.5 und im Ergebnis dessen den
Gegenstand des Anspruchs 1 insgesamt nahe.
III. Zu den Hilfsanträgen 1 und 2
Die Verteidigung der Beklagten mit Patentanspruch 1 nach den Hilfsanträgen 1
und 2 führt mangels zulässiger Fassung nicht zu einer Bestandsfähigkeit des
Streitpatents in diesem Umfang.
- 18 -
1.
Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 und Hilfsantrag 2 gliedert sich jeweils
wie folgt (Hervorhebungen und Streichungen gegenüber der erteilten Fassung
sind eingefügt).
Hilfsantrag 1:
Hilfsantrag 2:
- 19 -
Der Gegenstand von Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 und 2 unterscheidet
sich unter anderem vom Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 dadurch,
dass in Merkmal 1.5 nur noch die Verwendung eines Temperaturanstiegs zur Be-
stimmung des Umschaltpunktes zur Nachdruckphase beansprucht wird, während
in der erteilten Fassung noch anhand eines Anstieges dieser Temperatur der Um-
schaltpunkt zur Nachdruckphase bestimmt wurde. Hierdurch wird der Schutzbe-
reich des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 und 2 derart erweitert bzw. geändert,
dass die Bestimmung des Umschaltpunktes selbst nun nicht mehr im Umfang des
Anspruchs 1 enthalten ist, sondern lediglich die Anweisung einer Verwendung.
Dadurch wurde der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 und 2 in einer Weise ge-
ändert, dass deren jeweiliger Schutzbereich erweitert ist.
III. Hilfsantrag 3
In der Fassung nach Hilfsantrag 3 hat das Streitpatent Bestand.
1.
Der
Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 gliedert sich wie folgt
(Hervorhebungen und Streichungen gegenüber der erteilten Fassung sind einge-
fügt):
- 20 -
2.
Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 ist zulässig.
2.1.
len 20 und 21 der ursprünglichen Unterlagen die Bestimmung der Temperatur
mittels eines Thermoelementes nur in Verbindung mit der Werkzeuginnenwand
offenbart sei, auch wenn vorstehend in den Zeilen 15 bis 18 ausgeführt würde,
dass gegen Ende des Fließweges der Schmelze die Werkzeugwandtemperatur
bestimmt wird. Dadurch sei Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 gegenüber den
ursprünglichen Unterlagen unzulässig erweitert.
Dieser Auffassung vermag der Senat nicht zu folgen. In den weiteren ursprüngli-
chen Beschreibungsunterlagen (S. 7, Absatz 2; S. 8, Absatz 1) wird die Tempera-
turbestimmung mittels Thermoelementen auch in Verbindung mit dem Begriff
genannt, wodurch durch das geltende Merkmal 1.4
nach Hauptantrag die ursprüngliche Offenbarung nicht erweitert wird.
- 21 -
2.2.
ursprünglich nicht offenbart. Der Begriff
würde in den ursprünglichen Unterlagen nur einmalig auf Seite 3 in Zeile in Ver-
bindung mit einem Signalanstieg genannt
“), weshalb das Merkmal 1.5, wonach
ursprünglich nicht offenbart sei.
Dieser Auffassung vermag der Senat nicht zu folgen. Der Fachmann kann dem
Gesamtkontext der Offenbarung auf Seite 3 unmittelbar und eindeutig entnehmen,
dass ein „notwendigerweise Folge eines schlagarti-
gen Temperaturanstiegs durch die Schmelze ist, zumal im selben Absatz noch
explizit ausgeführt wird, dass das Thermoelement ein analoges Schaltsignal aus-
gibt, das sich prinzipiell proportional zum detektierten Temperaturverlauf verhält.
Weiterhin sieht die Klägerin den Begriff als unklar an.
sei eine subjektive und rein zeitbezogene Angabe, welche den Fachmann auf dem
betreffenden technischen Gebiet vollkommen im Unklaren darüber ließe, was ein
sein soll bzw. wie viel Zeit verstreichen soll, um
von einer Schlagartigkeit sprechen zu können.
Dieser Auffassung vermag der Senat auch nicht zu folgen. Beim Begriff
bzw. dessen Synonymoder schnell ist davon auszugehen,
dass der Fachmann prinzipiell versteht (vgl. z. B. Fig. 3 der NK4), was unter einem
zu verstehen sein soll. Die mögliche Breite dieses
Merkmals ohne präzise Zeit- oder Wertangaben bezüglich des Temperaturan-
stiegs stellt dessen Zulässigkeit jedenfalls nicht in Frage.
2.3.
in der Ursprungsoffenbarung lediglich ein einziges Mal,
nämlich auf Seite 3 in Zeile 29, erwähnt werde, ohne dort oder an einer anderen
- 22 -
Stelle in der Ursprungsoffenbarung zu definieren, was eine
sein soll. Es würden auch keine Beispiele, aus denen sich der Fachmann wenigs-
tens einen groben Bedeutungsgehalt herleiten könne, genannt. Daher sei dieses
Merkmal nicht klar bzw. nicht ausführbar.
Auch hier vermag der Senat der Ansicht der Klägerin nicht zu folgen. Auf Seite 3
der ursprünglichen Beschreibung ist ausgeführt, dass beim Erreichen der Position
eines Thermoelementes durch die Schmelze ein schlagartiger Signalanstieg er-
folgt
Daraus entnimmt der Fachmann zweifellos die Information, dass
das analoge Ausgangssignal der Thermoelemente ohne weitere Auswertung bzw.
Aufbereitung in der Steuerung unmittelbar als Umschaltsignal genutzt wird.
3.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 3 ist gegenüber dem im
Verfahren genannten Stand der Technik neu und beruht auch auf einer
erfinderischen Tätigkeit.
3.1
Der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 3 beruht ausgehend von
NK11
NK7
Der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 unterschiedet sich vom An-
spruch 1 nach Hauptantrag nur in Merkmal 1.5, wonach nun anhand eines schlag-
artigen Anstieges dieser Temperatur, ausgelöst durch die das Thermoelement (4)
erreichende Schmelze, als analoges Schaltsignal ohne weitere Intelligenz der
Umschaltpunkt zur Nachdruckphase bestimmt wird.
Wie zum Gegenstand des Hauptantrags schon ausgeführt wurde, erhält der
Fachmann aus der NK11 den Hinweis auf die Möglichkeit, bei Positionierung der
Thermoelemente gegen Ende des Fließweges entsprechend der zu erwartenden
Trägheit des eingespritzten Materials auf die Zeitgeberschaltung gegebenenfalls
- 23 -
verzichten zu können. Dem Fachmann ist dadurch in Kenntnis der NK11 durch
sein Fachwissen nahegelegt, die Thermoelemente so gegen Ende der Kavität zu
platzieren, dass die Trägheiten berücksichtigt werden und sowohl ein Überfüllen
als auch ein unvollständiges Füllen der Kavität zu vermeiden.
Die Zeitgeberschaltung 87 ist jedoch nur ein Teil der Steuerung der in Figur 1 der
NK11 offenbarten Spritzgießvorrichtung.
Auch wenn der Fachmann aus der NK11 den Hinweis darauf erhält, auf die Zeit-
gegeberschaltung unter den genannten Voraussetzungen verzichten zu können,
erhält er aus der NK11 jedenfalls keine Anregung dazu, auch auf die weitere in der
Figur 1 gezeigten Steuerungslogik zu verzichten und die Signale 61a,61b der
Thermoelemente 59,a,59b als analoge Signale unmittelbar für das Beenden des
Einspritzvorgangs bzw. beim Spritzgießen eines Kunstharzmaterials für das Um-
schalten auf die Nachdruckphase zu verwenden.
Somit gelangt der Fachmann ausgehend von NK11 auch unter Berücksichtigung
seines Fachwissens- und Fachkönnens bzw. der NK7 nicht in naheliegender
Weise zum Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 3.
- 24 -
3.2
Der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 3 ist auch neu
NK4
NK4 lehrt in Anbetracht der Figur 3 und der zugehörigen Beschreibung definitiv
nicht, dass der Umschaltpunkt zur Nachdruckphase anhand eines schlagartigen
Anstieges dieser Temperatur, ausgelöst durch die das Thermoelement errei-
chende Schmelze, bestimmt wird. Entsprechend der Lehre der NK4 wird der
streitpatentgemäße schlagartige Anstieg der Temperatur, ausgelöst durch die das
Thermoelement erreichende Schmelze, gar nicht ausgewertet, sondern die nach-
folgende nochmalige Erwärmung der Schmelze durch den Druckanstieg der sich
verdichteten Schmelze nach Erreichen des Endes der Kavität.
Daher zeigt die NK4 nicht das Merkmal 1.5, wodurch der Anspruch 1 nach Hilfs-
antrag 3 gegenüber der NK4 neu ist.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 3 beruht ausgehend von der
NK4 auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Die NK4 offenbart ein gänzlich anderes Verfahren zur Bestimmung des Umschalt-
punkts zur Nachdruckphase als das Streitpatent, da in der NK4 die vollständige
Füllung der Kavität und der daraus resultierende Druckanstieg in der Kavität als
Triggerpunkt für das Umschalten auf Nachdruck angesehen wird (Spalte 1, Z. 43
– 50). Die Problematik eines möglichen Überfüllens der Kavität durch nicht berück-
sichtigte Trägheiten wird in der NK4 überhaupt nicht angesprochen. Selbst wenn
der Fachmann, wie von der Klägerin behauptet, die erforderlichen
als nachteilig ansehen sollte, erhielte er aus der Fi-
gur 3 der NK4 selbst keinen Hinweis darauf, von dem offenbarten Prinzip abzu-
weichen und den gezeigten schlagartigen Temperaturanstieg für die Bestimmung
des Umschaltpunktes zu verwenden, da nach der Lehre der NK4 Trägheiten nicht
berücksichtigt werden und daher zu diesem Zeitpunkt die vollständige Füllung der
Kavität entsprechend des in Figur 3 dargestellten Zeitverlaufes gar nicht sicherge-
stellt ist.
- 25 -
Figur 3 der NK4
3.3.
Auch die weiteren im Verfahren genannten Entgegenhaltungen stehen der
Patentfähigkeit des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 3 nicht entgegen.
3.3.1.
NK7
einer erfinderischen Tätigkeit.
Zwar offenbart die NK6 ein Verfahren mit den Merkmale 1.1 und 1.2, bei dem die
Temperatur der Schmelze bzw. die Werkzeugwandtemperatur (NK6b, S. 3, letzte
Zeile bis S. 4, Z. 1) bestimmt wird. Auch wenn die NK6 zu einer Nachdruckphase
nichts offenbart, ist es dem Fachmann bekannt, dass bei einem Spritzgießwerk-
zeug zu diesem Zeitpunkt die eingefüllte Schmelze unabhängig von der Art und
Weise des Steuerungsverfahrens prinzipiell unter einen Nachdruck gesetzt wer-
den muss (vgl. Streitpatentschrift, Absatz [0003] oder NK7, Sp. 1, Z. 7 bis 37). Al-
lerdings offenbart die NK6 im Endbereich 11 nur eine Temperaturmessung, die
sich direkt am Ende der Kavität befindet. Daher zeigt die NK6 nicht das Merk-
- 26 -
mal 1.4 im Sinne des Streitpatents, das dem Fachmann auch nicht aus der NK7
nahegelegt wird.
3.3.2.
NK9
auf einer erfinderischen Tätigkeit.
NK8
Spritzgießwerkzeuges mit mindestens zwei Anbindungen bzw. Anspritzpunkten.
Ziel des gezeigten Verfahrens ist es, durch Beeinflussung des Drucks bzw. der
Fließgeschwindigkeit in den verschiedenen Anspritzpunkten den Grenzbereich, an
dem sich die Schmelzfronten der durch die beiden Anspritzpunkte eingefüllten
Schmelze treffen und eine Grenzfläche bzw. eine „“ bilden, in einen Bereich
zu legen, an dem keine hohen Spannungen im fertigen Werkstück auftreten. Dazu
werden jeweils in der Nähe der Anspritzpunkte (vgl. Fig. 1, Sp. 6, Z. 61-66)
Drucksensoren eingesetzt, die den Druck in der Kavität im Bereich der
Anspritzpunkte ermitteln, wobei die Auswertung der Drucksignale in der Steuerung
durch verschiedene Programmroutinen detailliert erläutert wird. Nur in Spalte 5,
Z. 18 bis 25 wird allgemein erwähnt, dass anstelle der Drucksensoren auch
Temperatursensoren eingesetzt werden können und der Prozess auf Basis der
Hohlraumtemperaturen gesteuert werden kann. Die NK8 gibt dem Fachmann
jedoch keinerlei Hinweise darauf, dass diese Temperatursensoren am bzw. gegen
Ende des Fließweges positioniert werden könnten, um die Füllung der Kavität zu
detektierten und einen Umschaltpunkt für die Nachdruckphase zu bestimmen. Die
Klägerin verweist hierzu auf Spalte 7, Z. 47 ff. Dort wird aber nur erläutert, wie
während der dem Fachmann bekannten und im Verfahrensablauf hier schon
gestarteten Nachdruckphase der Nachdruck in Abhängigkeit vom Hohlraumdruck
an den Messpunkten der beiden Anspritzpunkte gesteuert werden kann, um zum
Beispiel die Werkstückschrumpfung lokal differenziert zu beeinflussen.
- 27 -
Somit offenbart die NK8 nicht die kennzeichnenden Merkmale 1.4 und 1.5 und gibt
dem Fachmann auch keine Anregungen bzw. Hinweise auf eine entsprechende
Gestaltung des streitpatentgemäßen Verfahrens.
NK9
chend Absatz [0005] der NK9 ist es deren Aufgabe, eine Vorrichtung und ein Ver-
fahren zur Messung einer Messgröße bei einem Kunststoff-Spritzgießverfahren
zur Verfügung zu stellen, mit dem die Messung der gewünschten Messgröße op-
timal durchgeführt werden kann, das an die beengten Raumverhältnisse in Spritz-
gießwerkzeugen angepasst ist, und das trotzdem hinsichtlich der Kosten in einem
wirtschaftlich vertretbaren Rahmen bleibt. Gelöst wird dies dadurch, dass min-
destens zwei zueinander beabstandet angeordnete Sensoren zur jeweiligen Mes-
sung der Messgröße vorgesehen werden, wodurch die Messgröße an mindestens
zwei zueinander beabstandet angeordneten Messstellen gemessen wird.
Daher ist es äußerst fraglich, ob der Fachmann zur Lösung der streitpatentgemä-
ßen Aufgabe, ein Verfahren zu entwickeln, mit dem auf einfache und kostengüns-
tige Weise und dennoch relativ genau auf die Nachdruckphase umgeschaltet wer-
den kann, die NK9 überhaupt zu Rate gezogen hätte.
Für den Fall, dass der Fachmann die NK9 in Betracht gezogen hätte, würde er
dieser nur konkret entnehmen, an jeder Messstelle zwei Sensoren vorzusehen,
deren Messdaten in einem komplexen Auswerteprozess verarbeitet werden, wobei
die Ermittlung der Messwerte der Sensoren separat und/oder unter Berücksichti-
gung der Messwerte des jeweils anderen Sensors erfolgt (vgl. Spalte 3, Zei-
len 32 ff.). Daher entnimmt der Fachmann der NK9 keinen Hinweis darauf, einen
Temperatursensor gegen Ende des Fließweges vorzusehen, dessen Signal in der
Steuerung nicht separat ausgewertet wird, sondern direkt als analoges Signal die
Umschaltung auf die Nachdruckphase bewirkt.
3.3.3.
NK9
- 28 -
Wie vorstehend ausgeführt offenbart die NK9 nur die Möglichkeit, Messwerte spe-
ziell gestalteter Temperatursensoren zur Regelung der Prozessparameter des
Kunststoff-Spritzgießverfahrens heranzuziehen und weiterhin mittels zweier zuei-
nander beabstandet angeordneter Messstellen zu detektieren, wann der ge-
schmolzene Kunststoff den Bereich des Endes einer Kavität erreicht hat und wann
die Kavität vollständig von dem geschmolzenen Kunststoff gefüllt ist. Damit liegt
die NK9 weiter ab von Gegenstand des Anspruchs 1 als die NK6.
Grundproblematik der NK9 ist jedoch die gänzlich anders gelagerte Aufgaben-
stellung, ein Verfahren zur Messung einer Messgröße bei einem Kunststoff-
Spritzgießvorfahren zur Verfügung zu stellen, mit der die Messung der ge-
wünschten Messgröße optimal durchgeführt werden kann und das an die beeng-
ten Raumverhältnisse in Spritzgieß-Werkzeugen angepasst ist, sodass fraglich ist,
ob die NK9 einen geeigneten Ausgangspunkt für die streitpatentgemäße Aufgabe
darstellt, vom dem aus sich der Fachmann überhaupt mit der Frage des Um-
schaltpunkts für eine Nachdruckphase beschäftigt, da die NK9 auf die Problematik
einer Nachdruckphase nicht eingeht.
Daher weist die Lehre der NK9 in eine andere Richtung, da die Thermoelemente
stets paarweise verwenden werden und nicht unmittelbar die Ausgabe eines ein-
zelnen Sensors erfasst wird. Die NK9 enthält keine Anregung dazu, warum der
Fachmann ausgehend von den paarigen Sensoren der NK9, unabhängig davon,
ob diese separat ausgewertet werden, einen einzelnen Sensor zu verwenden und
dessen analoges Ausgangssignal direkt für das Umschalten auf die Nachdruck-
phase zu verwenden. Diese Ausgestaltung wird dem Fachmann auch nicht aus
der NK7, die nur die Verwendung von Drucksensoren innerhalb einer Steuerung
mittels aufwendiger Logik-Methoden offenbart, nahegelegt.
3.3.4.
NK10
NK9
- 29 -
NK10
hin zeigt die NK10 einen Temperatursensor 31, der in bzw. in der Nähe der Kavität
die Temperatur der Schmelze oder die Werkzeugwandtemperatur detektiert
(N10b, S. 4). Die NK10 macht jedoch keine Aussagen zur Positionierung des Sen-
sors 31 innerhalb des Werkzeuges bzw. im Verhältnis zum Fließweg des Harzes.
Aus der Figur 1 kann der Fachmann, entgegen der Auffassung der Klägerin, auch
nicht zweifelsfrei entnehmen, dass gegen Ende des Fließweges der Schmelze die
Werkzeugwandtemperatur bestimmt wird, zumal eine derartige Positionierung für
die in der NK10 offenbarten temperaturabhängigen Drucksteuerungen auch keine
Rolle spielt. Der Umschaltpunkt zur Nachdruckphase wird auch nicht über den
Anstieg der gemessenen Werkzeugwandtemperatur bestimmt, sondern in Abhän-
gigkeit von einem Sensor zur Schraubenpositionserkennung und einem Timer.
Daher zeigt die NK10 weder das Merkmal 1.4 noch das Merkmal 1.5.
Im Verfahren nach der NK10 werden die Ergebnisse der Temperaturmessung
ausschließlich für eine Drucksteuerung während der Nachdruckphase herangezo-
gen, bei der die Messergebnisse als Ist-Werte mit Soll-Werten verglichen werden,
um mögliche Störungen realisieren und durch eine Änderung des Drucks ausglei-
chen zu können. Aus der Figur 2 ist zwar erkennbar, dass auch schon vor dem
Umschaltzeitpunkt die Werkzeugwandtemperatur bestimmt wird. Die NK10 selbst
gibt dem Fachmann aber keine Hinweise bzw. keine Anregung, für die Bestim-
mung des Umschaltpunkts auf die Temperaturmesswerte zurückzugreifen. Einer-
seits wird die offenbarte Bestimmung des Umschaltpunkts mittels Schraubenposi-
tionserkennung und Timer als unproblematisch bzw. bewährt dargestellt (NK10b,
S. 4+5, seitenübergreifender Satz). Anderseits legt der Verlauf der detektierten
Temperatur (Fig. 2) dem Fachmann auch nicht nahe, den Umschaltpunkt zur
Nachdruckphase mittels des Temperaturverlaufs zu bestimmen. Wie aus Fig. 2
ersichtlich, erreicht die Werkzeugwandtemperatur kurz vor oder am Scheitelpunkt
der Temperaturkurve ihren Höhepunkt. Damit ist die Steigung der Kurve bzw. die
Temperaturänderung je Zeiteinheit in diesem Bereich am geringsten, was den
Fachmann davon abhält, den konkreten Umschaltpunkt in Abhängigkeit dieses
Temperaturanstieges der Werkzeugwandtemperatur zu bestimmen.
- 30 -
Damit ist es auch nicht von Bedeutung, ob der Fachmann aus seinem Fachwissen
bzw. der NK7 oder der NK9 Kenntnisse über die Bestimmung von Umschaltpunk-
ten der Nachdruckphase (NK7) bzw. temperaturabhängige Druckregelungen in
Spritzgießwerkzeugen (NK9) hat, da er aus der NK10 keine Anregung dazu erhält,
dass der Temperaturanstieg während der Einspritzphase und vor dem vollständi-
gen Füllen der Kavität der Auslösepunkt für das Umschalten auf die Nachdruck-
phase sein könnte.
B.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 92 Abs. 1 ZPO, die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m.
§ 709 ZPO.
C.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung gemäß § 110 PatG gege-
ben.
Die Berufungsfrist beträgt einen Monat. Sie beginnt mit der Zustellung des in voll-
ständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Mo-
naten nach der Verkündung (§ 110 Abs. 3 PatG).
- 31 -
Die Berufung wird nach § 110 Abs. 2 PatG durch Einreichung der Berufungsschrift
beim Bundesgerichtshof, Herrenstr. 45a, 76133 Karlsruhe eingelegt.
Voit
Dr. Huber
Martens
Rippel
Brunn
Fi