Urteil des BPatG vom 10.07.2018

Urteil vom 10.07.2018

ECLI:DE:BPatG:2018:100718B19Wpat18.17.0
BUNDESPATENTGERICHT
19 W (pat) 18/17
_______________
(Aktenzeichen)
Verkündet am
10. Juli 2018
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend das Patent 101 01 704
- 2 -
hat der 19. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf
die mündliche Verhandlung vom 10. Juli 2018 unter Mitwirkung des Vorsitzenden
Richters Dipl.-Ing. Kleinschmidt, der Richterin Kirschneck sowie der Richter
Dipl.-Ing. J. Müller und Dr.-Ing. Kapels
beschlossen:
Die Beschwerde der Patentinhaberin wird zurückgewiesen.
- 3 -
G r ü n d e
I
Auf die am 15. Januar 2001 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingegan-
gene Patentanmeldung ist die Erteilung des nachgesuchten Patents mit der Num-
mer 101 01 704 am 8. November 2012 veröffentlicht worden. Es trägt die Bezeich-
nung „Antrieb“.
Gegen das Patent hat die Einsprechende I mit Schreiben vom 11. Januar 2013,
beim Deutschen Patent- und Markenamt eingegangen am selben Tag, Einspruch
erhoben mit der Begründung, der Gegenstand des Patents sei aufgrund fehlender
Neuheit und fehlender erfinderischer Tätigkeit nicht patentfähig. Außerdem läge
eine unzulässige Erweiterung gegenüber den ursprünglich eingereichten Unterla-
gen vor.
Weiter hat die Einsprechende II gegen das Patent mit Schreiben vom 30. Ja-
nuar 2013, eingegangen am 31. Januar 2013, Einspruch erhoben mit der Begrün-
dung, der Gegenstand des Patents sei aufgrund fehlender Neuheit und fehlender
erfinderischer Tätigkeit nicht patentfähig.
Des Weiteren hat die Einsprechende III gegen das Patent mit Schreiben vom
6. Februar 2013, eingegangen am 7. Februar 2013, Einspruch erhoben mit der
Begründung, der Gegenstand des Anspruchs 1 gehe über den Inhalt der ur-
sprünglich eingereichten Anmeldung hinaus, sei nicht neu und beruhe nicht auf
einer erfinderischen Tätigkeit.
Außerdem hat die Einsprechende IV gegen das Patent mit Schreiben vom 8. Fe-
bruar 2013, eingegangen am selben Tag, Einspruch erhoben mit der Begründung,
es läge eine unzulässige Erweiterung gegenüber den ursprünglich eingereichten
- 4 -
Unterlagen vor. Abgesehen davon sei der Gegenstand des Patents nicht neu und
beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Mit am Ende einer Anhörung am 18. Januar 2016 verkündetem Beschluss hat die
Patentabteilung 1.23 das Patent widerrufen.
Gegen diesen Beschluss hat die Patentinhaberin mit Schreiben vom 6. April 2016
Beschwerde eingelegt.
Sie beantragt:
den Beschluss der Patentabteilung 1.23 des Deutschen Patent- und
Markenamts vom 18. Januar 2016 aufzuheben und das angegriffene
Patent 101 01 704 im erteilten Umfang,
hilfsweise mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechtzuerhalten:
Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 vom 18. Januar 2016,
Patentansprüche 2 bis 15 gemäß Patentschrift,
weiter hilfsweise,
Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2, überreicht in der mündlichen
Verhandlung am 10. Juli 2018,
Patentansprüche 2 bis 15 gemäß Patentschrift,
Beschreibung zu den Hilfsanträgen 1 und 2 jeweils gemäß Patent-
schrift,
- 5 -
weiter hilfsweise,
Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3, überreicht in der mündlichen
Verhandlung am 10. Juli 2018,
mit noch zu formulierenden Unteransprüchen und anzupassender Be-
schreibung zu Hilfsantrag 3,
eine Figur zu den Hilfsanträgen 1 bis 3 jeweils gemäß Patentschrift.
Die Einsprechenden I bis IV beantragen übereinstimmend,
die Beschwerde der Patentinhaberin zurückzuweisen.
Der Patentanspruch 1 erteilter Fassung (Hauptantrag) lautet:
Antriebsystem (1) für beweglich an einem ortsfesten Bauteil gelagerte
Flügel mit mehreren Antrieben und mehreren Ansteuerelementen zum
Ansteuern der Antriebe,
wobei der Antrieb (1) jeweils ein Antriebsgehäuse (2) aufweist, und
mit jeweils einem im Antriebsgehäuse (2) angeordneten elektrischen
Antriebsmotor (3),
mit jeweils einer im Antriebsgehäuse (2) angeordneten elektronischen
Steuerung (7)
mit jeweils einem Abtriebsglied (5), welches aus einer Öffnung des An-
triebsgehäuses (2) austritt und direkt oder indirekt mit dem beweglichen
Flügel kraftschlüssig verbunden ist, und
mit jeweils einem zwischen dem Antriebsmotor (3) und dem Abtriebs-
glied (5) geschalteten Getriebe (4), wobei der Antrieb (1) jeweils eine
elektrische Verbindung zu einem Bussystem aufweist, wobei
- 6 -
der Antrieb (1) jeweils eine im Antriebsgehäuse (2) integriert angeord-
nete Schnittstelle (8) zum Anschluss an ein Bussystem umfasst und
wobei die Antriebe über die Ansteuerelemente flexibel ansteuerbar
sind.
Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 vom 18. Januar 2016 lautet:
Antriebsystem (1) für beweglich an einem ortsfesten Bauteil gelagerte
Flügel mit mehreren Antrieben und mehreren Ansteuerelementen zum
Ansteuern der Antriebe,
wobei der Antrieb (1) jeweils ein Antriebsgehäuse (2) aufweist, und
mit jeweils einem im Antriebsgehäuse (2) angeordneten elektrischen
Antriebsmotor (3),
mit jeweils einer im Antriebsgehäuse (2) angeordneten elektronischen
Steuerung (7)
mit jeweils einem Abtriebsglied (5), welches aus einer Öffnung des An-
triebsgehäuses (2) austritt und direkt oder indirekt mit dem beweglichen
Flügel kraftschlüssig verbunden ist, und
mit jeweils einem zwischen dem Antriebsmotor (3) und dem Abtriebs-
glied (5) geschalteten Getriebe (4), wobei der Antrieb (1) jeweils eine
elektrische Verbindung zu einem Bussystem aufweist, wobei
der Antrieb (1) jeweils eine im Antriebsgehäuse (2) integriert angeord-
nete Schnittstelle (8) zum Anschluss an ein Bussystem umfasst und
wobei die Antriebe über die Ansteuerelemente flexibel ansteuerbar
sind, indem die Zuordnung der Ansteuerelemente zu den Antrieben
flexibel erfolgt.
- 7 -
Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 vom 10. Juli 2018 lautet:
Antriebsystem (1) für beweglich an einem ortsfesten Bauteil gelagerte
Flügel mit mehreren Antrieben und mehreren Ansteuerelementen zum
Ansteuern der Antriebe,
wobei der Antrieb (1) jeweils ein Antriebsgehäuse (2) aufweist, und mit
jeweils einem im Antriebsgehäuse (2) angeordneten elektrischen An-
triebsmotor (3),
mit jeweils einer im Antriebsgehäuse (2) angeordneten elektronischen
Steuerung (7)
mit jeweils einem Abtriebsglied (5), welches aus einer Öffnung des An-
triebsgehäuses (2) austritt und direkt oder indirekt mit dem beweglichen
Flügel kraftschlüssig verbunden ist, und
mit jeweils einem zwischen dem Antriebsmotor (3) und dem Abtriebs-
glied (5) geschalteten Getriebe (4),
wobei der Antrieb (1) jeweils eine elektrische Verbindung zu einem Bus-
system aufweist, wobei
der Antrieb (1) jeweils eine im Antriebsgehäuse (2) integriert angeord-
nete Schnittstelle (8) zum Anschluss an ein Bussystem umfasst, wobei
die Antriebe über die Ansteuerelemente flexibel ansteuerbar sind, und
wobei die Ansteuerelemente zu den Antrieben flexibel zuordenbar sind.
Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 vom 10. Juli 2018 lautet:
Verwendung eines Antriebsystems (1) für beweglich an einem ortsfes-
ten Bauteil gelagerte Flügel mit mehreren Antrieben und mehreren An-
steuerelementen zum Ansteuern der Antriebe,
wobei der Antrieb (1) jeweils ein Antriebsgehäuse (2) aufweist, und mit
jeweils einem im Antriebsgehäuse (2) angeordneten elektrischen An-
triebsmotor (3),
- 8 -
mit jeweils einer im Antriebsgehäuse (2) angeordneten elektronischen
Steuerung (7)
mit jeweils einem Abtriebsglied (5), welches aus einer Öffnung des An-
triebsgehäuses (2) austritt und direkt oder indirekt mit dem beweglichen
Flügel kraftschlüssig verbunden ist, und
mit jeweils einem zwischen dem Antriebsmotor (3) und dem Abtriebs-
glied (5) geschalteten Getriebe (4),
wobei der Antrieb (1) jeweils eine elektrische Verbindung zu einem
Bussystem aufweist, wobei
der Antrieb (1) jeweils eine im Antriebsgehäuse (2) integriert angeord-
nete Schnittstelle (8) zum Anschluss an ein Bussystem umfasst und
wobei die Ansteuerelemente zur Ansteuerung der Antriebe (1) über das
Bussystem ausgebildet sind,
wobei die Antriebe über die Ansteuerelemente flexibel ansteuerbar
sind, und
wobei die Zuordnung der Ansteuerelemente zu den Antrieben über das
Bussystem flexibel erfolgt.
Der Vortrag der Einsprechenden ist neben anderen auf folgende Druckschriften
gestützt:
D2
US 5 285 137
D8
DE 39 15 569 A1
D20
DE 94 12 599 U1.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten, insbesondere zum Wortlaut der rückbezo-
genen Patentansprüche sowie zum weiteren im Verfahren berücksichtigten Stand
der Technik, wird auf die Akte verwiesen.
- 9 -
II.
1.
Die Beschwerde der Patentinhaberin ist statthaft und auch sonst zulässig
(§ 73 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 PatG, § 6 Abs. 1 Satz 1 PatKostG).
2.
Die Beschwerde hat jedoch im Ergebnis keinen Erfolg.
2.1
Hintergrund der Erfindung sind elektrische Antriebe für bewegliche Tür- und
Fensterflügel. Herkömmlich würden diese Antriebe durch Anlegen der Versor-
gungsspannung, beispielsweise über Taster oder Schalter, die jeweils einem be-
stimmten Antrieb fest zugeordnet sind, angesteuert (Absatz 0003 der Patent-
schrift).
In der Beschreibungseinleitung (Absatz 0005) ist bereits als aus dem Stand der
Technik bekannt beschrieben, die Antriebe über ein separates Schnittstellenele-
ment an ein Bussystem anzukoppeln. Es könnten dann zwar einige Vorteile des
Betriebes der Antriebe über das Bussystem genutzt werden, z. B. eine wesentli-
che Verringerung des Verkabelungsaufwands sowie eine flexible Zuordnung der
Ansteuerelemente zu den Antrieben. Nachteilig sei jedoch, dass bei dieser An-
wendungsform keine Rückmeldung von Betriebsstati an antriebsferne Anzeige-
elemente möglich sei und dass das Schnittstellenelement aufgrund seiner sepa-
raten Anordnung außerhalb des Antriebsgehäuses bei bestimmten Platzverhält-
nissen am Einbauort des Antriebs schwer zu montieren sei und zudem auch den
optischen Eindruck des Antriebs störe. Insbesondere müssten hier auch die bei
der Inbetriebnahme des Antriebs durchzuführenden Einstellungen direkt beim An-
trieb durchgeführt werden, was bei ungünstigen Platzverhältnissen die Inbetrieb-
nahme erschwere.
2.2
Der Erfindung liege daher die Aufgabe zugrunde, solche Antrieb derart zu
verbessern, dass sie ohne großen Verkabelungsaufwand montierbar sowie kom-
fortabel betreibbar seien (Absatz 0006).
- 10 -
2.3
Die Lösung dieses Problems obliegt nach Erkenntnis des Senats einem
Diplomingenieur (FH) oder Bachelor der Fachrichtung Elektrotechnik mit mehrjäh-
rigen Erfahrungen in der Konstruktion von Antrieben für beweglich gelagerte Flü-
gel, der jedenfalls hinsichtlich der mechanischen Komponenten mit einem ent-
sprechenden Diplomingenieur (FH) oder Bachelor der Fachrichtung Maschinen-
bau zusammenarbeitet.
2.4
Die Lösung bestehe gemäß Hauptantrag in den Maßnahmen gemäß erteil-
tem Patentanspruch 1, der sich wie folgt gliedern lässt:
1.1
Antriebsystem (1) für beweglich an einem ortsfesten Bauteil ge-
lagerte Flügel
1.2
mit mehreren Antrieben
1.3
und mehreren Ansteuerelementen zum Ansteuern der Antriebe,
1.4
wobei der Antrieb (1) jeweils ein Antriebsgehäuse (2) aufweist,
und
1.4a
mit jeweils einem im Antriebsgehäuse (2) angeordneten elektri-
schen Antriebsmotor (3),
1.4b
mit jeweils einer im Antriebsgehäuse (2) angeordneten elektro-
nischen Steuerung (7)
1.4c
mit jeweils einem Abtriebsglied (5), welches aus einer Öffnung
des Antriebsgehäuses (2) austritt
1.4d
und direkt oder indirekt mit dem beweglichen Flügel kraftschlüs-
sig verbunden ist, und
1.4e
mit jeweils einem zwischen dem Antriebsmotor (3) und dem Ab-
triebsglied (5) geschalteten Getriebe (4),
1.5
wobei der Antrieb (1) jeweils eine elektrische Verbindung zu
einem Bussystem aufweist,
1.6
wobei der Antrieb (1) jeweils eine im Antriebsgehäuse (2) inte-
griert angeordnete Schnittstelle (8) zum Anschluss an ein Bus-
system umfasst
- 11 -
1.7
und wobei die Antriebe über die Ansteuerelemente flexibel an-
steuerbar sind.
Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 nennt zusätzlich zum Patentan-
spruch 1 gemäß Hauptantrag folgendes Merkmal:
1.7a
H1
indem die Zuordnung der Ansteuerelemente zu den Antrieben
flexibel erfolgt.
Gemäß Hilfsantrag 2 lauten die Merkmale 1.7 und 1.7a des Patentanspruch 1:
1.7
H2
wobei die Antriebe über die Ansteuerelemente flexibel an-
steuerbar sind,
1.7a
H2
und wobei die Ansteuerelemente zu den Antrieben flexibel zu-
ordenbar sind.
Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 nennt gegenüber dem Patentan-
spruch 1 gemäß Hauptantrag statt dem Merkmal 1.7 die Merkmale:
1.7
H3
und wobei die Ansteuerelemente zur Ansteuerung der Antrie-
be (1) über das Bussystem ausgebildet sind,
1.7a
H3
wobei die Antriebe über die Ansteuerelemente flexibel an-
steuerbar sind,
1.7b
H3
und wobei die Zuordnung der Ansteuerelemente zu den Antrie-
ben über das Bussystem flexibel erfolgt.
Außerdem hat gemäß Hilfsantrag 3 das Merkmal 1.1 die Fassung:
1.1
H3
Verwendung eines Antriebsystems (1) für beweglich an einem
ortsfesten Bauteil gelagerte Flügel.
- 12 -
3.
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag geht über den
Inhalt der Anmeldung in der Fassung hinaus, in der sie beim Deutschen Patent-
und Markenamt als der für die Einreichung der Anmeldung zuständigen Behörde
ursprünglich eingereicht worden ist (§ 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG).
Der erteilte Patentanspruch 1 umfasst unter anderem das Merkmal
1.7
und wobei die Antriebe über die Ansteuerelemente flexibel an-
steuerbar sind.
Die Patentinhaberin meint, dieses Merkmal sei in den ursprünglichen Unterlagen
offenbart, wo es auf Seite 3 im vierten Absatz heißt:
Diese Offenbarungsstelle stützt das Merkmal 1.7 jedoch nicht.
Den ursprünglichen Unterlagen entnimmt der Fachmann lediglich, dass die Zuord-
nung der Ansteuerelemente zu den Antrieben flexibel erfolgen kann. Dem misst
der Fachmann nach Überzeugung des Senats keine weitergehende Bedeutung
zu, als dass der Fachmann zuordnen kann, welches Fenster oder welche Türe
– genauer: welcher Antrieb – von welchem Ansteuerelement, betätigt wird, ohne
dazu die Verdrahtung ändern zu müssen.
- 13 -
Dagegen besagt der erteilte Patentanspruch 1 im Merkmal 1.7, dass die Antriebe
flexibel ansteuerbar sind. Das geht über eine flexible Zuordnung der Ansteuerele-
mente zu den Antrieben hinaus. Unter einer flexibler Ansteuerung der Antriebe
versteht der Fachmann nämlich zur Überzeugung des Senats, dass er die Art der
Ansteuerung, beispielsweise den jeweiligen Betriebsmodus, frei wählen kann, je-
denfalls nicht nur die Zuordnung der Ansteuerelemente zu den Antrieben.
Insoweit ist ein Gegenstand patentiert worden, den der Fachmann den ursprüng-
lich eingereichten Unterlagen nicht entnehmen konnte.
Deshalb ist die von der Patentinhaberin mit ihrem Hauptantrag angestrebte Auf-
rechterhaltung des Patents nicht möglich.
4.
Durch den Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 würde
der Schutzbereich des Patents gegenüber der erteilten Fassung erweitert (§ 22
Abs. 1 Alt. 2. PatG).
Durch den Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 wird ein kausaler Zusammen-
hang zwischen dem erteilten Merkmal
1.7
und wobei die Antriebe über die Ansteuerelemente flexibel an-
steuerbar sind,
und der den ursprünglichen Unterlagen entnommenen Formulierung
1.7a
H1
indem die Zuordnung der Ansteuerelemente zu den Antrieben
flexibel erfolgt,
hergestellt.
- 14 -
Abgesehen davon, dass ein solcher Zusammenhang den ursprünglichen Unterla-
gen nicht zu entnehmen ist, eröffnet die Formulierung des Merkmals 1.7a
H1
als
Verfahrensschritt Lesarten, die aus dem Schutzbereich des auf ein Antriebssys-
tems, also einen Gegenstand, gerichteten erteilten Patentanspruch 1 hinausführen
würden. Beispielsweise zieht der Fachmann bei der gegenwärtigen Formulierung
des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 in Betracht, die Antriebe würden
dadurch unterschiedlich angesteuert werden, dass während des Betriebs von
einem Ansteuerelement auf ein anderes umgeschaltet wird.
Eine Lesart, bei der das auf einer unzulässigen Erweiterung beruhende Merk-
mal 1.7 unberücksichtigt bliebe, ist nicht möglich, da das Merkmal 1.7a
H1
auf die-
ses Bezug nimmt.
Deshalb ist der Hilfsantrag 1 nicht zulässig.
5.
Die jeweiligen Gegenstände der Patentansprüche 1 gemäß der Hilfsanträ-
ge 2 und 3 beruhen gegenüber dem Stand der Technik nicht auf einer erfinderi-
schen Tätigkeit und sind daher nicht patentfähig. Deshalb ist eine beschränkte
Aufrechterhaltung des Patents auf Grundlage des Hilfsantrags 2 oder des Hilfsan-
trags 3 nicht möglich (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG i. V. m. § 4 PatG).
5.1
Gemäß Hilfsantrag 2 besteht der kausale Zusammenhang zwischen den
Merkmalen 1.7
H2
und 1.7a
H2
wie beim Hilfsantrag 1 nicht mehr, außerdem ist in
der Fassung gemäß Hilfsantrag 2 auch das Merkmal
1.7a
H2
und wobei die Ansteuerelemente zu den Antrieben flexibel zu-
ordenbar sind,
gegenständlich formuliert, sowie auf die ursprüngliche Offenbarung zurückgeführt,
so dass der Hilfsantrag 2 nach Erkenntnis des Senats zulässig ist.
- 15 -
Der Antrag musste auch nicht zwingend mit der Aufnahme eines entsprechenden
Hinweises („Disclaimer“) in die Patentschrift verbunden sein. Vielmehr erkennt der
Fachmann, dass das Merkmal 1.7
H2
– aus den zum Merkmal 1.7 des Anspruchs 1
gemäß Hauptantrag dargelegten Gründen – auf einer unzulässigen Erweiterung
beruht und dass aus diesem deshalb keine Rechte hergeleitet werden dürfen (vgl.
BGH, Beschluss vom 21. Oktober 2010 – Xa ZB 14/09, GRUR 2011, 40 – Winkel-
messeinrichtung).
Folglich muss bei dem nachfolgenden Vergleich des Gegenstandes des Patentan-
spruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 mit dem Stand der Technik und bei der Beurteilung
des Vorliegens erfinderischer Tätigkeit die unzulässige Änderung gegenüber den
ursprünglichen Unterlagen
1.7
H2
wobei die Antriebe über die Ansteuerelemente flexibel an-
steuerbar sind,
unberücksichtigt bleiben (§ 38 Satz 2 PatG).
Im Hinblick auf den Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2
offenbart die Druckschrift DE 94 12 599 U1 (= D20) ein
1.1
Antriebssystem für beweglich an einem ortsfesten Bauteil gela-
gerte Flügel (Seite 1, 1. sowie 2. Absatz; Seite 2, 1. Absatz;
Seite 4, 2. Absatz; Schutzanspruch 1)
1.2
mit mehreren Antrieben 1, 2 (Brückensatz von Seite 4 zu Sei-
te 5 sowie Schutzanspruch 3 und Figur 1)
1.3
und mehreren Ansteuerelementen 5 zum Ansteuern der Antrie-
be (Schutzansprüche 2, 3 sowie 10),
1.4
wobei der Antrieb 1, 2 jeweils ein Antriebsgehäuse aufweist
(vgl. Figur 1), und
- 16 -
1.4a
mit jeweils einem im Antriebsgehäuse angeordneten elektri-
schen Antriebsmotor (Jeweils einen elektrischen Antriebsmotor
in den Antrieben 1, 2 liest der Fachmann selbstverständlich
mit.),
1.4b
mit jeweils einer im Antriebsgehäuse angeordneten elektroni-
schen Steuerung 6 (Seite 6, 3. Absatz: „in dem Motor angeord-
nete Elektronik“; Seite 6, 4. Absatz: „… , wie diese in dem An-
triebsmotor untergebracht ist.“),
1.5
wobei der Antrieb 1, 2 jeweils eine elektrische Verbindung zu ei-
nem Bussystem 3 aufweist (Brückensatz von Seite 4 zu Seite 5;
Seite 5, 3. Absatz; Seite 7, 1. Absatz; Schutzanspruch 2),
1.6
wobei der Antrieb 1, 2 jeweils eine im Antriebsgehäuse inte-
griert angeordnete Schnittstelle 11 zum Anschluss an ein Bus-
system 3 umfasst (Figur 2 i. V. m. Seite 5, 3. und 4. Absatz;
Seite 7, 1. Absatz),
1.7a
H2
wobei die Ansteuerelemente 5 zu den Antrieben 1, 2 flexibel zu-
ordenbar sind (Brückensatz von Seite 4 zu Seite 5; Seite 5, vor-
letzter Absatz; Seite 7, letzter Absatz, Schutzanspruch 10 – Es
liegt in der Natur von Komponenten, die mittels eines Bus-
systems miteinander kommunizieren, dass sie jeweils mit einer
individuellen Adresse versehen sind, sowie dass frei program-
mierbar ist, aufgrund welches Sensorsignals oder aufgrund wel-
ches anderen Steuerbefehls welcher Aktor anspricht).
Die Druckschrift D20 beschreibt zwar nur ein Ausführungsbeispiel für Rohrmoto-
ren, also den Antriebsmotoren von Rollläden und Jalousien, so dass die Merkmale
1.4c
mit jeweils einem Abtriebsglied (5), welches aus einer Öffnung
des Antriebsgehäuses (2) austritt
1.4d
und direkt oder indirekt mit dem beweglichen Flügel kraftschlüs-
sig verbunden ist, und
- 17 -
1.4e
mit jeweils einem zwischen dem Antriebsmotor (3) und dem Ab-
triebsglied (5) geschalteten Getriebe (4),
der Druckschrift D20 nicht im Detail zu entnehmen sein mögen und somit der Ge-
genstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 dem gegenüber neu sein
mag. Zur Überzeugung des Senats muss der Fachmann jedoch nicht erfinderisch
tätig werden, um das Ausführungsbeispiel der Druckschrift D20 auf ein Antriebs-
system für beweglich an einem ortsfesten Bauteil gelagerte Flügel, also beispiels-
weise Tür- oder Fensterflügel zu übertragen, zumal in der Druckschrift D20 bereits
Türen und Fenster als mögliche Anwendungsfälle erwähnt sind (vgl. Seite 1,
1. und 2. Absatz, Schutzanspruch 1).
Darüber hinaus ist dem Fachmann aus dem Stand der Technik bekannt, im Zu-
sammenhang mit der Ansteuerung von Motoren Bussysteme vorzusehen.
Neben der Druckschrift D20 setzen sowohl die Druckschrift US 5 285 137 (= D2),
die ein Abtriebsglied („motor output shaft 62“) sowie ein Getriebe („intermediate
gear structure“) offenbart (Spalte 6, Zeilen 50 bis 53), als auch die Druckschrift
DE 39 15 569 A1 (= D8), die ein Abtriebsglied (Gewindespindel) sowie ein Getrie-
be (Scherenhebel, Spindelmutter) offenbart (Spalte 8, Zeilen 55 bis 65, Patent-
anspruch 47), Bussysteme als bekannt voraus (D20, Brückensatz von Seite 4 auf
Seite 5; D2, Anspruch 4: „bidirectional serial channel 28“; D8, Spalte 2, Zeilen 7
bis 14: Datenbus, Spalte 10, Zeilen 51 bis 63: Datenringleitung 47). Damit liegen
für den Fachmann die technischen Mittel, um die Ansteuerelemente im Sinne des
Streitpatents den Antrieben flexibel zuzuordnen, in seinem Griffbereich. Zur Über-
zeugung des Senats hat der Fachmann auch Anlass, diese technischen Mittel ein-
zusetzen, wenn ihm an der Flexibilität gelegen ist, was sich für ihn ohne weiteres
aus alltäglichen Anforderungen ergibt.
Somit beruht der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 nicht
auf einer erfinderischen Tätigkeit.
- 18 -
5.2
Soweit der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 3 mit
dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 übereinstimmt, wird
auf die obigen Ausführungen zum Hilfsantrag 2 verwiesen.
Die darüber hinausgehenden Merkmale können die Patentfähigkeit nicht begrün-
den.
Da die Ansteuerelemente gemäß Druckschrift D20 ebenso wie die Antriebe über
das Bussystem miteinander sowie mit einer zentralen Vorrichtung kommunizieren
können (Brückenabsatz von Seite 4 zu Seite 5), liest der Fachmann ohne weiteres
mit, dass die Ansteuerelemente wie in Merkmal 1.7
H3
gefordert, zur Ansteuerung
der Antriebe über das Bussystem ausgebildet sind.
Das Merkmal 1.7a
H3
beruht – aus den zum Merkmal 1.7 des Anspruchs 1 gemäß
Hauptantrag dargelegten Gründen – auf einer unzulässigen Erweiterung und bleibt
deshalb unberücksichtigt.
Zu dem Merkmal 1.7b
H3
sei im Wesentlichen auf die obigen Ausführungen zum
Merkmal 1.7a
H2
verwiesen. Soweit die Zuordnung über das Bussystem erfolgen
soll, geht das nicht über fachmännische Maßnahmen hinaus, wenn man berück-
sichtigt, dass der Fachmann das Bussystem ohnehin zur Ansteuerung vorsieht.
Schließlich ist es, wie ebenfalls bereits zum Hilfsantrag 2 aufgeführt, für den
Fachmann naheliegend, das für Rohrmotoren aus der Druckschrift D20 offenbarte
Antriebssystem auch bei Tür- oder Fensterflügeln zu verwenden, wie es aus den
Druckschriften D2 oder D8 bekannt ist.
Somit führt auch die Beschränkung des Streitpatents auf eine Verwendung (Merk-
mal 1.1
H3
) nicht zu einer gewährbaren Anspruchsfassung. Vielmehr ergibt sich
auch diese in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik.
- 19 -
6.
Nachdem sich die Gegenstände der Patentansprüche 1 gemäß Haupt- und
allen Hilfsanträgen als nicht zulässig bzw. als nicht patentfähig erweisen, war die
Beschwerde der Patentinhaberin zurückzuweisen. Mit dem jeweiligen Patentan-
spruch 1 fallen auch alle anderen Ansprüche. Aus der Fassung der Anträge und
dem zu ihrer Begründung Vorgebrachten ergeben sich keine Zweifel an dem pro-
zessualen Begehren der Patentinhaberin, das Patent ausschließlich in einer der
beantragten Fassungen zu verteidigen (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Fe-
bruar 2008 – X ZB 10/07, GRUR-RR 2008, 456 Rn. 22 m. w. N. – Installierein-
richtung).
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Beschluss steht den an dem Beschwerdeverfahren Beteiligten das
Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde zu (§ 99 Abs. 2, § 100 Abs. 1, § 101 Abs. 1 PatG).
Nachdem der Beschwerdesenat in dem Beschluss die Einlegung der Rechtsbeschwerde
nicht zugelassen hat, ist die Rechtsbeschwerde nur statthaft, wenn einer der
nachfolgenden Verfahrensmängel durch substanziierten Vortrag gerügt wird (§ 100 Abs. 3
PatG):
1. Das beschließende Gericht war nicht vorschriftsmäßig besetzt.
2. Bei dem Beschluss hat ein Richter mitgewirkt, der von der Ausübung des
Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der
Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war.
3. Einem Beteiligten war das rechtliche Gehör versagt.
4. Ein Beteiligter war im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes
vertreten, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder
stillschweigend zugestimmt hat.
5. Der Beschluss ist aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen, bei
der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden
sind.
6. Der Beschluss ist nicht mit Gründen versehen.
- 20 -
Die Rechtsbeschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim
Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe, schriftlich einzulegen (§ 102
Abs. 1 PatG).
Die Rechtsbeschwerde kann auch als elektronisches Dokument, das mit einer
qualifizierten oder fortgeschrittenen elektronischen Signatur zu versehen ist, durch
Übertragung in die elektronische Poststelle des Bundesgerichtshofes eingelegt werden
(§ 125a Abs. 3 Nr. 1 PatG i. V. m. § 1, § 2 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, Abs. 2a, Anlage (zu § 1)
Nr. 6 der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundesgerichtshof
und Bundespatentgericht (BGH/BPatGERVV)). Die elektronische Poststelle ist über die
auf der Internetseite des Bundesgerichtshofes www.bundesgerichtshof.de/erv.html
bezeichneten Kommunikationswege erreichbar (§ 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1
BGH/BPatGERVV). Dort sind auch die Einzelheiten zu den Betriebsvoraussetzungen
bekanntgegeben (§ 3 BGH/BPatGERVV).
Die Rechtsbeschwerde muss durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen
Rechtsanwalt als Bevollmächtigten des Rechtsbeschwerdeführers eingelegt werden
(§ 102 Abs. 5 Satz 1 PatG).
Kleinschmidt
Kirschneck
J. Müller
RiBPatG Dr. Kapels
ist wegen Urlaubs
gehindert, seine
Unterschrift beizufügen
Kleinschmidt
Ko