Urteil des BPatG vom 31.10.1989

BPatG (stand der technik, anlage, fachmann, einspruch, patent, unterlagen, einstellung, herstellung, zeichnung, presse)

BUNDESPATENTGERICHT
34 W (pat) 364/03
_______________
(Aktenzeichen)
Verkündet am
6. Dezember 2007
B E S C H L U S S
In der Beschwerdesache
betreffend das Patent 195 25 339
BPatG 154
08.05
- 2 -
beschlossen:
Das Patent wird aufrechterhalten.
G r ü n d e
I
Gegen das am 30. April 2003 veröffentlichte deutsche Patent 195 25 339 mit der
Bezeichnung "Verfahren zur Herstellung von dreischichtigen Holzwerkstoffplatten,
insbesondere von Spanplatten oder Faserplatten“ hat die M…
GmbH in W… am 30. Juli 2003 Einspruch erhoben.
Der Einspruch wurde damit begründet, dass die Widerrufsgründe nach § 21 Abs. 1
Nr. 1 (mangelnde Patentfähigkeit), Nr. 2 (unzureichende Offenbarung) und Nr. 4
(unzulässige Erweiterung) vorliegen.
Die Einsprechende verweist auf folgenden druckschriftlichen Stand der Technik:
E1: DE 43 01 594 A1
E2: DE 35 39 364 A1
E3: DE 24 51 894 A1
E4: US 3 545 370
E5: DE-OS 22 42 399 und
E6: DE-OS 21 26 935
Sie hat außerdem offenkundige Vorbenutzungen geltend gemacht, wozu sie fol-
gende Unterlagen eingereicht hat:
- 3 -
Anlage 1:
Vertrag vom 31. Oktober 1989 zwischen Nelson Pine Industries und
Eduard
Kusters
GmbH
& Co. KG Press Division
Anlage 2:
Order confirmation No. 400-07009 vom 29. September 1989
Anlage 3:
Rechnung vom 21. September 1990, Auftragsnr. 400-07009
Anlage 4:
Epple, A. u. a.: Besuchsbericht Nelson Pine Industries Ltd,
Neuseeland, 25. bis 30. Juni, datiert: 1992-08-05
Anlage 5:
Versuchsbericht vom 13. Juni 1992 betreffend die Herstellung einer
MDF-Platte in Fibranova, Chile
Anlage 6:
Einstellung eines Pressspaltprofils einer Küsters Presse mit Datum
14.
11.
94
Anlage 7:
Montagebericht 25. 3. bis 28. 3. 1991, Kom.-Nr. 400-07009
Anlage 8:
Zeichnung vom 6. 12. 1989, Kom.-Nr. 400-07009
Anlage 9:
Zeichnung eines Pressrahmens vom 29. 11. 1989
Anlage 10: Prospekt küsters press, 2/92
Anlage 11: Sturgeon, Murray G. u. a.: Goldenedge liteboard (600 kg/m3)
manufactured at Nelson Pine Industries Ltd New Zealand.
In:
International
Particleboard/Composite Materials Symposium,
Seite 189 bis 195, April 1992.
Dafür, dass die in den Dokumenten dargestellten Pressen sowie deren Betriebs-
weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden, hat die Einsprechende
Zeugenbeweis angeboten.
Im Prüfungsverfahren wurden noch die nicht vorveröffentlichte DE 43 42 279 C1,
die DE 39 18 757 A1, die DE 39 14 105 A1, die DE 31 16 379 A1 sowie die Zeit-
schrift Holz als Roh- und Werkstoff 39, Seite 433 (1981) und Holz als Roh- und
Werkstoff 42, Seite 93 (1984) berücksichtigt.
Mit Eingabe vom 6.
November
2007 hat die Einsprechende den Einspruch
zurückgenommen.
- 4 -
Die Patentinhaberin hat dem Vortrag der Einsprechenden widersprochen. Sie
beantragt in der mündlichen Verhandlung,
das Patent aufrechtzuerhalten.
Sie führt im Wesentlichen aus, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1
weder neuheitsschädlich vorweggenommen noch nahegelegt sei. Die Erfindung
sei ausreichend klar und deutlich offenbart, so dass sie ein Fachmann ausführen
könne. Die offenkundige Vorbenutzung des Gegenstandes des angefochtenen
Patents könnten die den Einspruch stützenden Unterlagen nicht belegen. Der
Vertrag gemäß Anlage 1 enthalte eine weitgehende Geheimhaltungsverpflichtung.
Danach seien sämtliche Zeichnungen, Betriebsanleitungen, Know-How usw.
ebenso geheim zu halten gewesen wie sämtliche technischen Informationen, und
zwar von beiden Seiten. Folglich fehle es dem Besuchsbericht gemäß Anlage 4
bzw. seinem Inhalt an Offenkundigkeit, sofern nicht eine Vertragsverletzung
vorliege. Die Anlage 8 lasse allenfalls eine kontinuierliche Küsters-Presse erken-
nen, jedoch bleibe offen, ob die Zeichnung aus 1990 gemäß Anlage 8 dem
Vertragswerk von 1989 gemäß Anlage 1 zugeordnet werden könne.
Der erteilte Patentanspruch 1 lautet:
Verfahren zur Herstellung von dreischichtigen Holzwerkstoff-
platten, insbesondere von Spanplatten oder von Faserplatten mit
Deckschichten hoher Dichte und vorgegebener Dicke sowie mit
einer Mittelschicht vorgegebener geringer Dichte durch Pressen
einer gestreuten Preßgutmatte unter Anwendung von Druck und
Wärme mit den Verfahrensschritten:
1.1) Das Pressen der Preßgutmatte wird mit Hilfe einer
kontinuierlich arbeitenden Stahlbandpresse mit Pressenge-
stell, beheizten Pressenplatten und den Preßdruck definie-
- 5 -
rendem Preßspalt durchgeführt, welche Stahlbandpresse zu-
mindest eine elastisch verformbare Pressenplatte sowie eine
Mehrzahl von über den Grundriss der Pressenplatte verteilten
Arbeitszylinderkolbenanordnungen aufweist, mit denen die
elastische Pressenplatte beaufschlagt wird,
1.2) die Arbeitszylinderkolbenanordnungen und damit der
Preßspalt der kontinuierlich arbeitenden Stahlbandpresse wer-
den sowohl in Bezug auf eine Bewegung zur Vergrößerung
des Preßspaltes als auch in Bezug auf eine Bewegung zur
Verkleinerung des Preßspaltes weggesteuert (d. h. zwangs-
gesteuert), und zwar sowohl zur Einstellung des Preßspaltes
in Längsrichtung der Stahlbandpresse als auch in Quer-
richtung der Stahlbandpresse,
1.3) bei der Wegsteuerung nach Maßgabe des vorgegebenen
Preßspaltes auftretende thermische Verformung der Pressen-
platten sowie elastische Verformungen des Pressengestells,
die sich den Pressenplatten mitteilen, werden kompensiert,
d. h. unterdrückt oder ausgeglichen,
1.4) im Anfangsbereich des Preßspaltes wird die Dicke des
Preßspaltes zum Zwecke der Einstellung der Dicke der aus-
zubildenden Deckschichten kleiner eingestellt, als es der vor-
gegebenen und zu erzeugenden Dicke der Mittelschicht
entspricht,
1.5) im Anschluss an den Anfangsbereich gemäß Merk-
1.4
Preßgutmatte druckentlastend auf ein Maß eingestellt, wel-
ches größer ist, als es der Dicke der fertigen Holzwerk-
stoffplatte entspricht, wobei ein „Aufatmen“ der Preßgutmatte
zugelassen wird,
- 6 -
wobei im Auslaufbereich des Preßspaltes die Dicke des Preß-
spaltes nach Maßgabe der vorgegebenen Dicke der fertigen
Holzwerkstoffplatte eingestellt wird.
Hinsichtlich des Wortlauts der Unteransprüche 2 bis 6 und zu weiteren Einzel-
heiten des Vortrags der Beteiligten wird auf die Akten verwiesen.
II
Nach der Rücknahme des Einspruchs ist das Verfahren von Amts wegen ohne die
Einsprechende fortzusetzen (§ 61 Abs. 1 Satz 2 PatG).
1.
Der form- und fristgerecht eingelegte Einspruch war zulässig.
2.
Das Patent ist aufrechtzuerhalten.
a) Der erteilte Anspruch 1 ist zulässig.
Die ehemalige Einsprechende hat ausgeführt, während es in den ursprünglich
eingereichten Unterlagen und in der Offenlegungsschrift heiße „als der vorge-
gebenen und zu erzeugenden Dichte der Mittelschicht entspricht“, laute das
entsprechende Teilmerkmal im Merkmal 1.4 des erteilten Anspruchs 1: „als es der
vorgegebenen und zu erzeugenden Dicke der Mittelschicht entspricht“ (Spalte 5,
Zeilen 49 bis 50 der Patentschrift). Für die durch den erteilten Hauptanspruch
wiedergegebene Lehre zum technischen Handeln, die Dicke des Pressspaltes
u. a. von einer vorgegebenen Dicke der Mittelschicht einstellen zu sollen, finde
sich in den ursprünglich eingereichten Unterlagen keine Offenbarung.
Der Senat teilt diese Auffassung nicht. Maßgebend für den Offenbarungsgehalt ist,
was der Fachmann dem Inhalt der Anmeldung unmittelbar entnehmen kann. In
- 7 -
einer Anmeldung ist alles das unmittelbar offenbart, was sie dem Fachmann an
Kenntnissen vermittelt, ohne dass er sich nähere Gedanken machen muss.
Fachmann ist hier ein Dipl.-Ing. des Maschinenbaus der Fachrichtung Verfah-
renstechnik mit langjähriger Erfahrung in der Herstellung von Holzwerkstoffplatten.
Dieser Fachmann entnimmt den Merkmalen
1.4 und
1.5 des ursprünglich
eingereichten Anspruchs 1 in Verbindung mit der Beschreibung (OS Spalte 2,
Z. 67 bis Sp. 3, Z. 30), dass im Anfangsbereich des Pressspaltes die Dicke der
auszubildenden Deckschichten eingestellt wird, da der gute Wärmeübergang an
der Ober- und Unterseite der Matte zu einer schnellen Aushärtung des beleimten
Faser- oder Spänematerials in diesem Bereich führt. Im Auslaufbereich der Presse
wird schließlich die Dicke der fertigen Holzwerkstoffplatte eingestellt (letztes
Merkmal des Anspruchs 1). Damit ist aber neben der Dichte der Mittelschicht auch
vorab schon die Dicke der Mittelschicht vorgegeben, die sich aus der Differenz der
Dicke der fertigen Holzwerkstoffplatte und der Dicke der Deckschichten ergibt. Der
Fachmann erkennt diesen Zusammenhang ohne weiteres. Eine Einstellung der
Dicke des Pressspaltes auf einen Wert, der kleiner ist, als es der vorgegebenen
und zu erzeugenden Dicke der Mittelschicht entspricht, ist somit ursprünglich
offenbart. Er stellt eine Beschränkung dar gegenüber dem ursprünglich in erster
Linie offenbarten Wert, der kleiner ist, als es der vorgegebenen und zu
erzeugenden Dichte der Mittelschicht entspricht.
b)
Der Vortrag der Einsprechenden hinsichtlich der behaupteten offenkundi-
gen Vorbenutzungen könnte erheblich sein. Er weist jedoch Lücken und
Unklarheiten auf, auf die die Patentinhaberin zu Recht hingewiesen hat. Insbe-
sondere besteht bei der (handschriftlich rückdatierten) Anlage 5 weiterer Auf-
klärungsbedarf. Vor einer Einvernahme der benannten Zeugen müssten diese
Mängel ausgeräumt werden, was aber ohne die Mitwirkung der ehemaligen
Einsprechenden nicht möglich ist. Die behauptete offenkundige Vorbenutzung
muss daher bei der Beurteilung der Patentfähigkeit des Gegenstands des
Patentanspruchs 1 außer Betracht bleiben.
- 8 -
c) Die
erfindungsgemäße
Lehre ist so deutlich und vollständig offenbart, dass
ein Fachmann diese ausführen kann. Gegenüber dem im Verfahren befindlichen
Stand der Technik ist der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 neu und beruht
auch auf einer erfinderischen Tätigkeit. Die gewerbliche Anwendbarkeit steht
außer Frage.
Die Gegenstände der unmittelbar oder mittelbar auf den Patentanspruch 1 rück-
bezogenen Ansprüche 2 bis 6 sind ebenfalls patentfähig.
Einer näheren Begründung hierzu bedarf es nicht, da der einzige Einspruch
zurückgenommen wurde und somit nur noch die Patentinhaberin am Verfahren
beteiligt ist, deren Antrag stattgegeben wurde (§ 47 Abs. 1 Satz 3 PatG i. V. m.
§§ 59 Abs. 4).
Dr. Ipfelkofer
Hövelmann
Dr. Frowein
Sandkämper
Me