Urteil des BPatG vom 06.06.2005

BPatG: schutzwürdiges interesse, akteneinsicht, überwiegendes interesse, einverständnis, nichtigkeitsklage, geheimhaltung, initiative, strohmann, ausnahme, vergleich

BUNDESPATENTGERICHT
3 ZA (pat) 25/05
zu 3 Ni 39/04 (EU)
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(Aktenzeichen)
B E S C H L U S S
In der Akteneinsichtssache
BPatG 152
10.99
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betreffend das Nichtigkeitsverfahren 3 Ni 39/04 (EU)
hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom
6. Juni 2005 unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Dr. Schermer und der
Richter Brandt und Dipl.-Chem. Dr. Egerer
beschlossen:
Den Antragstellern wird Einsicht in die Akten des Nichtigkeitsver-
fahrens 3 Ni 39/04 (EU) gewährt.
G r ü n d e
I
Die Antragsteller begehren Einsicht in die Akten des Nichtigkeitsverfahrens
3 Ni 39/04 (EU). Die Nichtigkeitsbeklagte hat dem Antrag innerhalb der vorgege-
benen Frist von zwei Wochen widersprochen. Die Nichtigkeitsklägerin zu 1. hat ihr
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Einverständnis mit der Akteneinsicht erklärt, die Nichtigkeitsklägerinnen zu 2.
und 3. haben sich nicht geäußert.
Die Nichtigkeitsbeklagte bestreitet, dass die Antragssteller ein eigenes Interesse
an der Akteneinsicht haben. Es müsse davon ausgegangen werden, dass der An-
trag als "Strohmann" eines anderen gestellt worden sei. Ihr eigenes schutzwürdi-
ges Interesse sieht sie darin, dass sich die Parteien des Nichtigkeitsverfahrens in
einer patentrechtlichen Auseinandersetzung auf der Grundlage des Streitpatents
befinden. Solange noch Vergleichsmöglichkeiten von dem Landgericht Düsseldorf,
vor dem ein Verletzungsverfahren anhängig sei, initiiert werden könnten, sei von
einem besonders schutzwürdigen Interesse der Patentinhaberin auszugehen.
Die Nichtigkeitsbeklagte trägt zur Begründung eines überwiegenden schutzwürdi-
gen Interesses weiterhin vor, dass gegen sie bzw gegen ihre Tochtergesellschaft
eine Verletzungsklage der Nichtigkeitsklägerin zu 1. vor dem Landgericht
Mannheim anhängig sei. Zur Verteidigung in jenem Verfahren berufe sich die hie-
sige Nichtigkeitsbeklagte auf ein aus dem Streitpatent folgendes älteres Recht im
Verhältnis zu dem von der hiesigen Klägerin zu 1. geltend gemachten Patent. Die
in der vorliegenden Nichtigkeitsklage geltend gemachten Nichtigkeitsgründe der
fehlenden Nacharbeitbarkeit und unzulässigen Erweiterung hätten unweigerlich
Auswirkungen auf die Argumentation der Nichtigkeitsbeklagten und "auf die im
Verletzungsprozess angegriffene und dort technisch näher erläuterte Verletzungs-
form". Derartige Ausführungen dürften Dritten im Wege der Akteneinsicht nicht zu-
gänglich gemacht werden.
Die Antragsteller haben ihr Einverständnis mit einer Einschränkung der Aktenein-
sicht um die den Verletzungsstreit betreffenden Aktenteile erklärt. Auf die Auffor-
derung durch das Bundespatentgericht an die Nichtigkeitsbeklagte, die den Verlet-
zungsstreit betreffenden Aktenteile konkret zu benennen, hat diese lediglich mitge-
teilt, dass dem Akteneinsichtsantrag weiterhin widersprochen werde und im übri-
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gen auf die bereits zuvor eingereichte schriftliche Begründung des Widerspruchs
verwiesen.
II
Der Antrag auf Akteneinsicht hat Erfolg, weil die Beklagte des Ausgangsverfah-
rens ein hinreichend schutzwürdiges Interesse an der Geheimhaltung nicht darge-
legt hat, § 99 Abs 3 Satz 3 PatG.
Die Einsicht in die Akten von Nichtigkeitsverfahren ist grundsätzlich frei, es sei
denn, der Patentinhaber beruft sich auf ein entgegenstehendes schutzwürdiges In-
teresse, § 99 Abs 3 Satz 3 PatG (vgl Schulte, PatG, 6. Aufl, § 99, Rdnr 26 ff).
Dritten steht es frei, jederzeit selbst das dem Nichtigkeitsverfahren zugrundelie-
gende Patent mit der Nichtigkeitsklage anzugreifen und sich zur Vorbereitung ei-
nes solchen Verfahrens im Wege der Einsicht in die Akten des Ausgangsverfah-
rens Kenntnisse über den Patentgegenstand zu verschaffen oder sich darüber zu
informieren, inwieweit, mit welchen Mitteln und mit welchem Erfolg das Streitpa-
tent angegriffen und verteidigt worden ist, wobei zB auch durchaus Rückschlüsse
auf etwaige Verletzungsformen gezogen werden können. Das Begehren Dritter
auf Einsichtnahme in die Akte steht gerade im Einklang mit dem allgemeinen An-
liegen der Öffentlichkeit, bestehende Patente auf ihre Rechtsbeständigkeit über-
prüfen zu lassen (vgl BPatGE 22, 66).
Entgegen der Ansicht der Nichtigkeitsbeklagten hängt die Gewährung der Akten-
einsicht nicht von der Benennung des Auftraggebers der antragstellenden Rechts-
und Patentanwälte ab und kommt es - soweit die Akteneinsicht jedermann frei-
steht - auch nicht darauf an, ob die begehrte Akteneinsicht im eigenen oder im
fremden Namen beantragt wird und in wessen Interesse sie erfolgen soll
(BGH GRUR 1999, 226 - Akteneinsicht XIV, BGH GRUR 2001, 143 - Aktenein-
sicht XV). Soweit Aktenteile betroffen sind, die die Interessen der Parteien des
Nichtigkeitsverfahrens berühren könnten, sind sie gehalten, dieses der freien Ak-
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teneinsicht entgegenstehende Interesse substantiiert geltend zu machen. Schon
nach dem klaren Wortlaut des § 99 Abs 3 Satz 3 PatG und dem Zweck dieser Vor-
schrift ist es nicht Sache des Akteneinsicht Begehrenden, seinerseits von vorn-
herein ein schutzwürdiges Interesse an der Einsicht darzulegen und glaubhaft zu
machen. Dazu ist der Antragsteller allenfalls erst dann gehalten, wenn der An-
tragsgegner ein schutzwürdiges Gegeninteresse darlegt und gegebenenfalls
glaubhaft macht (BGH GRUR 2001, 143, 144 - Akteneinsicht XV). Dies ist hier
nicht der Fall.
Das Vorbringen der Nichtigkeitsbeklagten, die noch zu erwartenden Vergleichsan-
regungen des Landgerichts Düsseldorf in dem dort zwischen den Parteien des
Ausgangsverfahrens anhängigen, das Streitpatent betreffenden Verletzungsver-
fahren stünden der beantragten Akteneinsicht entgegen, begründen kein schutz-
würdiges Interesse im Sinne des § 99 Abs 3 Satz 3 PatG. Selbst ein schon erfolg-
ter Abschluss eines Vergleichs im Nichtigkeitsverfahren oder bereits schwebende
Vergleichsverhandlungen können nicht zu einer generellen Versagung der Akten-
einsicht führen. Allenfalls kann der Vergleich selbst ausgenommen werden (vgl
BGH GRUR 1972, 195 - Akteneinsicht VIII; BPatGE 34, 9). Erst recht kann es
dann für die begehrte Einsicht in Akten des Patentnichtigkeitsverfahrens nicht auf
etwaige Vergleichsbemühungen in einem parallelen Verletzungsverfahren ankom-
men, zumal diese derzeit konkret noch gar nicht im Verletzungsverfahren ange-
stellt werden, sondern eine entsprechende Anregung bzw Aufforderung seitens
des Landgerichts erst noch erwartet wird. Insoweit kommt es auch nicht entschei-
dend darauf an, ob die Einigungsbemühungen auf der Initiative eines Prozessge-
richts oder der Parteien selbst beruhen. Inwieweit die erwartete Initiierung solcher
Vergleichsmöglichkeiten seitens des Prozessgerichts ein besonders schutzwürdi-
ges Geheimhaltungsinteresse zugunsten der Nichtigkeitsbeklagten im Rahmen
des hier vorliegenden Akteneinsichtsbegehrens begründen soll, ist nicht ersichtlich
und von der Nichtigkeitsbeklagten auch nicht substantiiert dargelegt.
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Soweit die Nichtigkeitsbeklagte hinsichtlich des gegen sie geführten Verletzungs-
prozesses der Nichtigkeitsklägerin zu 1. geltend macht, Ausführungen über die an-
gegriffene und dort technisch näher erläuterte Verletzungsform dürften Dritten im
Wege der Akteneinsicht nicht zugänglich gemacht werden, vermag dies ebenfalls
kein der Akteneinsicht entgegenstehendes überwiegendes Interesse zu begrün-
den. Zwar ist in der Rechtsprechung ein solches schutzwürdige Interesse hinsicht-
lich der technischen Erläuterung der Verletzungsform und damit verbundenen
Ausführungen zB zum Schutzumfang bejaht worden (BPatGE 25, 34). Ob diese
Voraussetzungen bezüglich der Akten des vorliegenden Nichtigkeitsverfahrens
vorliegen, kann jedoch aufgrund des insoweit nicht näher konkretisierten, pau-
schalen Vorbringens der Nichtigkeitsbeklagten nicht beurteilt werden. Der Auffor-
derung durch das Bundespatentgericht, die den Verletzungsstreit betreffenden Ak-
tenteile konkret zu benennen, ist die Nichtigkeitsbeklagte nicht nachgekommen.
Dazu hätte hier erst recht Anlass bestanden, weil die Antragsteller ihr Einverständ-
nis mit einer Einschränkung der Akteneinsicht um die den Verletzungsstreit betref-
fenden Aktenteile erklärt haben.
Es ist auch nicht Aufgabe des Senats, die Verfahrensakten, einzelne Schriftsätze
oder Anlagen daraufhin zu überprüfen, ob Teile von der Akteneinsicht betroffen
sind, die die Interessen der Verfahrensbeteiligten objektiv berühren könnten
(BGH BlPMZ 1971, 371; BPatGE 34, 9; Busse, PatG, 5. Aufl, § 99, Rdn 39;
Schulte, PatG, 9. Aufl, § 99, Rdn 10). Vor diesem Hintergrund hätte es seitens der
Nichtigkeitsbeklagten vielmehr einer konkreten Darlegung bedurft, welche der von
den Parteien im vorliegenden Nichtigkeitsverfahren eingereichten Schriftstücke
Angaben über angebliche Verletzungsformen des Streitpatents enthalten und ein
schutzwürdiges Interesse an der Ausnahme von der Akteneinsicht rechtfertigen
sollen. Die allgemeinen Ausführungen der Nichtigkeitsbeklagten zu möglichen
Auswirkungen von Argumentationen der Parteien in einem - zudem schon nicht
das vorliegende Streitpatent unmittelbar betreffenden - Verletzungsverfahren und
auf "dort technisch näher erläuterte Verletzungsformen" genügen in keiner Weise
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der erforderlichen substantiierten Darlegung eines schutzwürdigen Interesses an
der Geheimhaltung des Akteninhalts.
Vermag das entsprechende Vorbringen der Nichtigkeitsbeklagten danach kein der
Akteneinsicht entgegenstehendes überwiegendes Interesse zu begründen, sind
die Antragsteller auch nicht ihrerseits gehalten, ein eigenes Interesse oder das In-
teresse etwaiger Auftraggeber an der Akteneinsicht darzulegen und glaubhaft zu
machen (vgl BGH GRUR 2001, 143 - Akteneinsicht XV). Die Akteneinsicht war da-
nach hinsichtlich des gesamten Inhalts der Akten des Nichtigkeitsverfahrens zu
gewähren.
Dr. Schermer
Brandt
Dr. Egerer
Be